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5. Kapitel

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Eine Beratung wurde in der Back von Seiner Majestät Kutter, der ‚Jungfrau‘, am Abende nach Smallbones’ Züchtigung abgehalten. Die Mehrzahl der Mannschaft wohnte derselben bei — nämlich alle, den Korporal Vanspitter und seine sechs Seesoldaten ausgenommen. Die Hauptperson war nicht eben der beredteste Sprecher, da sie durch keinen geringeren Mann als durch Richard Kurz repräsentiert wurde. Seine Beistände waren Obadiah Coble, Jack Jansen und eine andere Person, welche wir als den Hochbootsmann oder Hochbootsmannsmaaten des Kutters einführen müssen, denn obgleich er den ersteren Titel trug, erhielt er doch nur den Sold der letztgenannten Bedienstung. Dieser Mann hieß eigentlich James Salisbury, wurde aber stets als Jemmy Entenbein angeredet. Er war eine sehr auffallende Erscheinung, mit einem männlich schönen Gesichte, starkem Backenbart und einem Zopf, welcher sich bis auf Fußweite dem Decke näherte. Brust und Schultern waren breit; der ganze Mann bis zu der Stelle, wo sich die Beine anschließen, schön, gut gebaut und wohl proportioniert. Aber dann, welcher Abstand! Infolge irgend eines Zufalles waren seine Beine von seinem dritten Lebensjahre an nicht mehr in die Länge gewachsen. Hinsichtlich ihrer Derbheit standen sie wohl im Einklang mit dem übrigen Körper, aber sie maßen nicht mehr als achtzehn Zoll von der Hüfte bis zur Ferse, so daß er als eine wahrhaft lächerliche Figur umherwatschelte. Dieses Gebrechen der unteren Teile tat jedoch der Kraft des Mannes keinen Eintrag, denn es gab nur wenige auf dem Schiff, welche sich in einen Kampf mit dem Hochbootsmann einzulassen wagten. Die erwähnte eigentümliche Bauart hatte ihm die Benennung Jemmy Entenbein zugezogen. Jemmy war ein verständiger, heiterer Bursche und ein guter Seemann, der keinen Scherz, welchen man sich über seine Figur erlaubte, übel nahm, sondern sogar mitzuscherzen pflegte. Er war der Lustigmacher des Schiffes und spielte, wenn seine Kameraden tanzen wollten, die Geige, auf welcher er es fast zur Virtuosität gebracht hatte; außerdem begleitete er das Instrument mit seiner Stimme, wenn die lustigen Kumpane des Tanzens müde waren. Wir müssen noch bemerken, daß Jemmy verheiratet war und sich aus dem anderen Geschlechte eines der größten Exemplare zur Gattin ausersehen hatte. Von ihrer Schönheit ließ sich freilich nicht viel sagen, aber Jemmy hatte hierauf nicht gesehen, wenn ihm nicht etwa ihr Gesicht in so großer Höhe anders erschien, als denjenigen, welche sich mit ihm auf gleichem Niveau befanden.

Nun traf es sich, daß von Jemmys Standpunkt aus die unharmonischen Züge seines Weibes in völlige Harmonie traten und sie für ihren Gatten zum Muster der Vollkommenheit wurde, ohne hinreichenden Zauber zu besitzen, um andere zu veranlassen, sie ihrem ehelichen Gemahl abzuspannen. Außerdem muß man nicht vergessen, daß es Jemmy nur an Höhe gebrach, er hatte daher das, was ihm selbst fehlte, wenn auch nicht für die eigene Person, so doch für die seines Weibes gewonnen. Letztere war ihm mit leidenschaftlicher Liebe zugetan, dabei auch sehr eifersüchtig, worüber man sich nicht wundern darf, denn sie erklärte, daß es nie einen solchen hübschen Mann gegeben habe wie ihn.

Jemmy Entenbein hatte seine Fiedel in der Hand, die er abwärts in der Weise eines Violons hielt, weil er sein Instrument nie anders spielte. Gelegentlich fingerte er an den Saiten und zerrte daran, wie an einer Guitarre, damit der Ton nach dem Hinterschiff dringe und Herr Vanslyperken auf den Glauben komme, sie hätten sich zu Scherz und Lustbarkeit versammelt.

„Eins ist gewiß“, bemerkte Coble, „daß sein Hund kein Offizier ist.“

„Nein“, versetzte Dick Kurz.

„Er steht nicht in den Schiffsbüchern. Ich kann daher nicht einsehen, wie man da von Meuterei sprechen kann.“

„Nein“, entgegnete Kurz.

„Mein Gott, er ist kein Hund — er ist der Teufel“, bemerkte Jansen.

„Wer weiß, wie er in den Kutter gekommen ist?“

„Es ist eine seltsame Historie darüber im Umlauf“, meinte einer der Matrosen.

„Tum, tum, tum di tum“, ließ sich Jemmy Entenbeins Fiedel vernehmen, als ob sie gleichfalls ihre Stimme bei der Beratung abzugeben habe.

„Wenn es so fortgeht, hat der arme Junge den Tod davon. Der Leutnant wird nicht ruhen, bis er der armen Kreatur die Seele aus dem Leib gehetzt hat. Schaut nur, wie er in seiner Hängematte liegt.“

„Ich habe nie einen Christenmenschen in einem solchen Zustand gesehen“, sagte einer der Matrosen.

„Wenn der Hund nicht draufgeht, so ist’s um den armen Bones geschehen“, ließ sich Coble vernehmen, „ich sehe deshalb nicht ein, warum man nicht einem menschlichen Individuum den Vorzug geben sollte, obgleich der Hund dem Leutnant gehört. Wohlan denn, was sagt ihr zu der Sache, meine Jungen?“

„Tum tum, tum tum, tum di tum di tum“, versetzte die Fiedel.

„Wir wollen die Bestie ohne Umstände aufhängen.“

„Nein“, versetzte Kurz.

Jansen sah Kurz an, zog sein Messer heraus und machte damit eine Bewegung, als ob er dem Hunde über die Kehle führe.

„Nein“, sagte Kurz.

„Wir wollen ihn bei Nacht über Bord werfen“, meinte einer der Matrosen.

„Aber wie kriegen wir das Untier aus der Kajüte heraus?“ entgegnete Coble. „Wenn wir dies im Sinne haben, so muß es bei Tage geschehen.“

Kurz nickte mit dem Kopfe.

„Ich will ihn bei der ersten Gelegenheit vom Stapel lassen“, bemerkte Jemmy Entenbein und fügte dann mit gedämpfter Stimme bei: „nur möchte ich zuerst wissen, ob er wirklich ein Hund ist, oder nicht.“

„Ein Hund ist ein Hund“, versetzte Jansen.

„Ja“, entgegnete einer von den Matrosen, „wir alle wissen, daß ein Hund ein Hund ist. Aber es fragt sich nun, ist dieser Hund ein Hund?“

Es trat eine Pause ein, welche Jemmy Entenbein mit Tasten auf seinen Fiedelsaiten ausfüllte.

Es stellte sich heraus, daß, obgleich alle Matrosen den Hund über Bord zu sehen wünschten, doch keiner die Tat auf sich nehmen wollte, nicht etwa aus Furcht vor Entdeckung, sondern weil viel Aberglauben unter ihnen herrschte. Sie waren der Meinung, es bringe Unglück, wenn man einen Hund oder überhaupt ein Tier über Bord werfe. Dazu kam noch, daß viele überzeugt waren, die Bestie sei ein Kobold aus der Hölle, den der Teufel Vanslyperken geliehen habe, und wenn man ihm ein Leides tue oder ihn umzubringen versuche, so hätten unausbleiblich die Täter, wenn nicht noch obendrein das Schiff und die ganze Mannschaft, die schrecklichsten Folgen zu gewärtigen. Sogar Kurz, Coble und Jansen konnten, trotz ihrer sonstigen Kühnheit und ihres Mitgefühls mit den Leiden des armen Smallbones, ihre eigenen Bedenken nicht überwinden, und mochten bei reiferer Überlegung nichts mit der Sache zu schaffen haben.

Obschon man sich viel von dem Gerüchte erzählt hatte, so konnte doch kein Mann an Bord aus eigener Wahrnehmung die Tatsachen bezeugen, welche mit dem ersten Erscheinen des Tieres zusammenhingen, denn die Mannschaft, welche damals den Kutter bedient hatte, war inzwischen abgelohnt worden.

„He, Bill Spurey“, sagte Coble, „du weißt mehr von der Sache, als irgend einer. Spinn’ uns daher das Garn und dann werden wir imstande sein, die Sache nüchterner zu besprechen.“

„Gut“, versetzte Spurey, „ihr sollt die Geschichte, soweit mein Gedächtnis reicht, Wort für Wort hören, wie ich sie vernommen habe. Ihr wißt, ich war nicht in dem Fahrzeug, als das Ding an Bord kam, aber Joe Geary war’s. Gut, es war eines Nachts, als wir über einem steifen Glase in der neuen Schenke dort zechten — dem Orangebogen, wie sie’s nennen, an dem Point von Portsmouth — und da wünschte ich etwas von meinem neuen Leutnant zu hören, um zu wissen, mit was für einer Art von Kunden ich zu tun haben sollte. Nachdem ich alles über ihn gehört, hatte ich wohl ein halbdutzendmal im Sinn, wieder abzuschieben, aber ich besann mich eines bessern. Ihr wißt, man darf nicht sonderlich heikel sein in Friedenszeiten, wenn alle großen Schiffe im Schlamm von Southampton und Cinque Port modern. Gut denn, ich kann mich noch recht gut an alles erinnern, was er mir sagte. Es war eine wilde Nacht mit einem garstigen Südwester und die Wellen warfen sich im Hafen zu Schaum auf, so daß sie von dem Winde durch die Straßen gefegt wurden und einander nachjagten, als spielten sie wie die Buben das Fangen. Es war ungefähr zwei Glockenzüge in der Mittelwache, und nach unserem fünften Glase erzählte Joe Geary folgendes:

Es war in einer dunkeln Winternacht, wir lagen just auf der Höhe von Texel. Wir hatten das Sturmtuch auf und fochten mit den Elementen um jeden Zoll Grund — das Schiff wurde von den Wellen so gepeitscht, daß der Lotmann an das Takelwerk gebunden werden mußte, damit er nicht weggewaschen werde. Da kam mit einemmale ein Windstoß, laut genug, um für die letzte Trompete gelten zu können, und die Wellen tobten heiserer als je. Der Schiffsmast ging dahin, obgleich er kaum mehr Segel trug, als ein Schnupftuch groß ist, das Fahrzeug rollte und stieß in den tiefen Trögen, wie ein armer Sünder in der Verzweiflung stirbt. Und dann war’s ein Wrack, mit nichts, um uns zu helfen, als Gott dem Allmächtigen. Alle Matrosen riefen Gott an und hatten auch alle Ursache dazu.

Nun geht aber die Rede, daß der Leutnant nicht wie ein Christ und Mensch nach dem gerufen habe, der ihn und die bedrohlichen Wasser schuf, obgleich der Tod damals in seiner ganzen Herrlichkeit prangte und die schäumenden Wogenkämme wie Federn über einem Leichenwagen aussahen. Dagegen weinte er wie ein Kind und fluchte dazu fürchterlich, ohne Unterlaß von seinem Gelde, von seinem lieben Gelde sprechend und sich keinen Strohhalm um seine noch kostbarere Seele kümmernd.

Und der Kutter wurde hinuntergetragen, jede Welle riß ihn mit furchtbarer Gewalt näher und näher dem Untergang„ als der Mann am Lot ausrief: Mark Drei, der Herr sei unsern Seelen gnädig! Die Mannschaft hörte dies und rief: Herr, rette uns, oder wir gehen zu Grunde. Aber dennoch dachten sie, daß ihr Stündlein gekommen sei. Einige weinten oder beteten, während sie sich an die Bollwerke des keiner Leitung gehorchenden Schiffes anklammerten, indes andere stumm dem Tode entgegensahen. Aber der Leutnant — er tat alles, er weinte und betete, fluchte und war stumm, wurde aber zuletzt ganz wütend, und als die Matrosen wieder riefen: Herr, hilf uns, Herr, rette uns! brüllte er hinaus: Will denn kein Teufel uns helfen, denn — —. Kaum waren diese Worte aus seinem Munde, als ein Blitzstrahl niederfuhr, der augenscheinlich das Schiff traf, aber ihm ebensowenig, als der darauf folgende Donnerschlag, Schaden tat. Eine blaue Flammenkugel setzte sich auf die Ritterköpfe und kam dann hüpfend und tanzend nach dem Hackebord, wo er allein stand, denn die Matrosen hatten ihn wegen seiner Gotteslästerungen verlassen. Einige sagen, man habe ihn wie in einer Unterhaltung sprechen hören, aber niemand weiß, was vorging. Wie dem sein mag, er kam plötzlich so mannhaft als nur möglich nach dem Vorderschiffe, und die Kreatur folgte ihm, den Kopf und den Schwanz ebenso gesenkt tragend, wie sie’s jetzt tut.

Und der Hund guckte auf, bellte tief, und sobald er gebellt hatte, schien der Wind einzuschlafen. Er bellte wieder, worauf Windstille eintrat. Bei seinem dritten Bellen legten sich die Wogen — er tätschelte den Hund auf den Kopf, und das Tier bellte dann ein paar Minuten ganz laut. Aber man denke sich nun unser Erstaunen und Entsetzen, denn statt in einer schweren Bö ohne Hoffnung auf Kabelslänge von den Texelsandbänken zu sein, sahen wir jetzt, mit klarem Himmel und glattem Wasser, die Forelandlichter nur zwei Meilen von unserem Kiele.“

Der Matrose endigte seine Legende — es trat nun für eine Weile Schweigen ein, welches zuerst durch Jansen mit den gedämpften Worten unterbrochen wurde: „Dann ist der Hund kein Hund.“

„Nein“, versetzte Coble, „er ist ein böser Geist, den der Teufel seinem in der Not befindlichen Jünger heraufgeschickt hat.“

„Ja“, sagte Kurz.

„Gut“, entgegnete Jemmy Entenbein, der für eine Weile aufgehört hatte, die Saiten seiner Fidel zu berühren, „aber ist es dann nicht die Aufgabe eines jeden guten Christen, das Vieh umzubringen?“

„Es ist kein sterbliches Tier, Jemmy.“

„Richtig. Das habe ich vergessen.“

„Der Hund ist ein Kind des Teufels“, bemerkte Jansen.

„Ja, und auch nach ihm getauft“, fuhr Coble fort. „Wer hat je gehört, daß irgend ein Christenvieh einen solchen höllischen Namen gehabt hätte?“

„Aber, was ist da anzufangen?“

„Je nun“, entgegnete Jemmy Entenbein, „mag’s nun ein Satanskobold sein oder nicht, jedenfalls hat ihn Smallbones heute mit seinen eigenen Waffen bekämpft.“

„Und ihn noch obendrein überwunden“, sagte Coble.

„Ja“, erklärte Kurz.

„Nun ist meine Meinung, daß sich Smallbones nicht vor ihm fürchtet“, fuhr Jemmy Entenbein fort, „mag er jetzt ein Teufel sein oder nicht, er wird ihn töten, wenn er kann.“

„Er ist die geeignete Person, es zu tun“, versetzte Coble, „um so mehr, da man sagen kann, er sei sein natürlicher Feind.“

„Ja, mein Gott, der Junge ist der Mann dazu“, sagte Jansen.

„Wir wollen ihm den Vorschlag machen, sobald er aus seiner Hängematte kommt“, entgegnete Jemmy Entenbein.

Man kam einmütig zu dem Beschlusse, daß Smallbones das Tier umbringen müsse, wenn es überhaupt getötet werden könne.

Die einzige Partei, welche darüber nicht um ihre Meinung befragt wurde, war Smallbones selbst, welcher in seiner Hängematte schlief. Die Beratung wurde alsbald geschlossen, und alle begaben sich nach dem Schiffsraume hinunter.

Der Höllenhund

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