Читать книгу Einführung in die ökumenische Theologie - Friederike Nüssel - Страница 11
a) Joh 17,21 oder: Ökumene im Sinne des sterbenden Jesus
Оглавлениеdas ökumenische Vermächtnis
Es gibt ein ökumenisches Vermächtnis, das sich auf Jesus Christus selbst zurückführt. Diese Überzeugung teilen alle Konfessionsgemeinschaften, wenn sie sich auf Worte in den Abschiedsreden Jesu vor seinem Tod berufen. Wieder und wieder wird in ökumenischen Gottesdiensten oder in Dokumentationen ökumenischer Gespräche ein Vers aus den Abschiedsreden Jesu nach der Überlieferung des Johannes-Evangeliums motivierend für alle weiteren Überlegungen herangezogen: „Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns eins sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast“ (Joh 17,21; zitiert nach der Einheitsübersetzung). Hier wird ein Zusammenhang ausgedrückt zwischen der Einheit der an Jesus Christus Glaubenden und ihrer missionarischen Wirksamkeit. Dieser Zusammenhang blieb zeitübergreifend unbestritten. Wer sich zu dem Versöhner Jesus Christus bekennt, darf in sich selbst nicht Wurzeln der Feindschaft nähren.
Der Deutsche Ökumenische Studienausschuss (DÖSTA) – ein Gremium zur theologischen Beratung der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK) – hat sich darum bemüht, in einem interdisziplinären theologischen Dialog die Entstehungsgeschichte sowie die unterschiedlichen konfessionellen Rezeptionsweisen von Joh 17,21 offen zu legen (Bienert/17). Deutlich wird dabei, dass im Hintergrund der Rede von der Einheit im Gottesbekenntnis im neutestamentlichen Kontext immer (auch) die Frage nach dem Verhältnis zwischen jüdischen und christlichen Gemeinden steht. Das christlich-ökumenische Bekenntnis steht gemeinsam vor der Herausforderung, die Einheit im Gottesglauben nicht nur in den eigenen Reihen zu suchen, diese Aufgabe vielmehr auch in Verbundenheit mit dem Judentum anzugehen.
soteriologische Perspektive
Papst Johannes XXIII. hat sich in seiner programmatischen Ansprache zur Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils auf das vom Evangelisten Johannes überlieferte Gebet Jesu Christi um die Einheit berufen, als er die Zielsetzung des von ihm einberufenen Konzils bestimmte, nämlich alle Kräfte einzusetzen, damit „die Heilsbotschaft von den Menschen bereitwillig aufgenommen werde“ (Johannes XXIII./18: 88) und das Menschengeschlecht einen Weg zur Einheit finde. Johannes XXIII. stellte die Rede von der Einheit in einen schöpfungstheologisch-kosmologischen Kontext und wies ihr eine soteriologische Sinngebung zu: „Die Sorge der Kirche für die Ausbreitung und Bewahrung der Wahrheit [ergibt sich] daraus, dass nach Gottes Heilsplan, ,der alle Menschen retten und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen lassen will‘ (1 Tim 2,4), die Menschen nur mit Hilfe der ungeschmälerten Offenbarung zur absoluten und sicheren Einheit der Herzen gelangen können, mit der ein wahrer Frieden und das ewige Heil verbunden sind. Diese sichtbare Einheit in der Wahrheit hat aber leider die gesamte christliche Familie noch nicht in Vollendung und in Vollkommenheit erreicht. Daher sieht es die katholische Kirche als ihre Pflicht an, alles Erdenkliche zu tun, damit das große Mysterium jener Einheit erfüllt werde, die Christus Jesus am Vorabend seines Opfertodes von seinem himmlischen Vater mit glühenden Gebeten erfleht hat. Sie erfreut sich des stillen Friedens im Bewusstsein, dass sie darin aufs innigste mit diesem Gebet Christi verbunden ist“ (Johannes XXIII./18: 88). Alle Menschen sollen eins sein in ihrer Teilhabe an der von Gott in Christus Jesus erwirkten Erlösung. Diese Zielsetzung nimmt die Kirche in die Pflicht, der sichtbaren Einheit der Getauften zu dienen.
die „Analogieregel“ und das Wesen der Einheit
Eine mittelalterliche konziliare Entscheidung kann als ein weiteres Zeugnis für die konfessionsübergreifende Gemeinsamkeit von Joh 17,21 gelten. 1215 hatte sich das 4. Laterankonzil mit den Thesen des Joachim von Fiore auseinanderzusetzen. Er betrachtete die Weise, wie Vater, Sohn und Geist in Gott eine Gemeinschaft bilden, als der Weise ähnlich, wie Menschen eins sind: Menschen sind aufgrund einer moralischen Anstrengung eines Sinnes, ein Herz und eine Seele. Solche vergleichenden Überlegungen veranlassten Joachim von Fiore dazu, den Aspekt der immanenten Einheit Gottes als eigene, neue Größe neben den einzelnen existierenden göttlichen Personen zu betrachten und infolgedessen das Wesen der göttlichen Einheit als eine vierte Wirklichkeit neben der trinitarischen Dimension Gottes zu zählen. In seiner Argumentation berief sich Joachim vor allem auf Joh 17,21. Dieser biblische Text stelle ja auch einen Zusammenhang zwischen der Einheit von Vater und Sohn und der Einheit der Jüngergemeinde her. Somit sei erwiesen, dass die Gestalt der Einheit Gottes der Weise menschlicher Gemeinschaft gleiche. Das 4. Laterankonzil wies in dieser theologiegeschichtlichen Herausforderung die Vorstellung einer „Vierfaltigkeit“ Gottes zurück. Dabei nahmen die Väter eine andere Auslegung von Joh 17,21 vor: „Wenn die Wahrheit [Jesus Christus] für ihre Gläubigen zum Vater betet und sagt: ,Ich will, dass sie eins seien in uns, so wie auch wir eins sind‘ (Joh 17,22), so wird zwar dieser Ausdruck ,eins‘ für die Gläubigen gebraucht, damit die Einigung der Liebe in der Gnade verstanden werde, für die göttlichen Personen aber, damit die Einheit der Identität in der Natur verstanden werde“ (DH, Nr. 806). Im Fortgang unterscheidet das 4. Laterankonzil auch bei der biblischen Rede von „Vollkommenheit“ zwischen der Ordnung der Gnade und der Ordnung der Natur. Gott ist seiner Natur und seinem Wesen nach eins und vollkommen. Die Geschöpfe sind es immer der Gnade nach, geschenkhaft, durch Teilhabe an Gottes Wesen. Die Textpassage endet mit jener Formulierung, die als theologische Analogieregel tradiert wird: „Zwischen Schöpfer und Geschöpf kann man keine Ähnlichkeit feststellen, ohne dabei zugleich eine noch größere Unähnlichkeit festzustellen“ (ebd.). Die Sinnspitze dieser im engeren Sinn theo-logischen Aussage ist die Rede von der immer zu berücksichtigenden Differenz zwischen Gottes ursprungsloser, wesenhafter Einheit und der immer nur in Teilhabe an Gottes Leben zu denkenden Existenzweise des Geschaffenen. Gottes „Einheit“ ist als die Fülle des Lebens stete schöpferische Gewähr von Dasein und Sosein des Geschaffenen. Die den Geschöpfen sola gratia geschenkte Gemeinschaft bleibt immer gefährdet, weil diese „Einheit“ den Geschöpfen nicht wesentlich ist, sondern Offenheit für Gottes Gnade voraussetzt und in einem beständigen Umkehrgeschehen immer neu errungen werden muss. Die ekklesiologische Bedeutung dieser Erkenntnis besteht in der Anerkenntnis der Differenz zwischen Gottes wesenhafter Einheit, die jeglichem kirchlichen Bemühen unerreichbar bleibt, und der von Gott gewährten Teilhabe an der in ihm vollendeten Einheit. Die Einheit der Kirche ist in Gott bereits Wirklichkeit. Sie kann nicht durch geschöpfliche Anstrengung errungen werden. Wandelbar ist die Dichte der Ausdrucksgestalt sichtbarer kirchlicher Einheit. Diese hat insofern soteriologische Relevanz, als sie die Kraft des missionarischen Wirkens der Kirche verändert.
missionarisch geprägte Ökumene
Im Sinne der gesamten Ausrichtung der gegenwärtigen ökumenischen Hermeneutik, bei der Fragen der Evangelisation sehr bedeutsam sind, ist eine Ökumene, die sich auf Joh 17,21 beruft, eine wichtige Stütze. Angesichts ihrer christologisch-soteriologischen Motivation hat die missionarisch geprägte Ökumene eine unbestrittene biblische Legitimation, die durch die Verkündigung des Verses Joh 17,21 immer wieder neu ins Gedächtnis gerufen wird.