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b) Ökumenische Hermeneutik

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ökumenische Herausforderungen

Ökumenische Begegnungen der Kirchen und ökumenische Dialoge erfordern eine Reflexion auf die Aufgabe, die Verstehensbedingungen, die Methodik und die Ziele. In jeder solchen Begegnung treffen unterschiedliche hermeneutische Konzepte aufeinander und werden in den Dialogen ein Stück weit miteinander vermittelt. Das Gelingen von Dialogen hängt entscheidend davon ab, dass eine gemeinsame Hermeneutik gefunden wird. Insbesondere im Rezeptionsprozess der 1982 in Lima verabschiedeten, multilateralen Konvergenzerklärung „Taufe, Eucharistie und Amt“ wurde deutlich, wie unterschiedlich die Kirchen dieses Dokument von ihren jeweiligen Verstehensvoraussetzungen und Anliegen her aufnahmen und kritisierten. Im ÖRK erkannte man anhand dieses Prozesses eine „neue Dringlichkeit, gemeinsam über Hermeneutik nachzudenken“ (Schatz 11). Diese erschien „noch dadurch verstärkt, dass neue Herausforderungen an das Leben als Christen in der heutigen Welt neue Schismen in und unter den Kirchen hervorzurufen drohen“ (ebd.).

Empfehlungen des ÖRK

Die fünfte Weltkonferenz der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des ÖRK in Santiago de Compostela 1993 markierte drei Aufgaben, um das Wachstum in der Gemeinschaft der Kirchen zu befördern. Die erste Aufgabe sah die Kommission darin, „die kriteriologischen Unterschiede im Blick auf eine getreue Interpretation des einen Evangelium zu überwinden und zu versöhnen, indem der vielfältige Reichtum und die Verschiedenheit des Kanons der Schrift, wie sie im Leben der Kirche gelesen, ausgelegt und angewandt wird, anerkannt wird, indem aber auch gleichzeitig das Bewusstsein von der einen TRADITION innerhalb der vielen Traditionen gestärkt wird“ (Schatz 12). Damit verbunden empfahl sie den Kirchen, das eine Evangelium in den verschiedenen Kontexten und Kulturen zum Ausdruck zu bringen und untereinander auszutauschen. Und schließlich betonte sie „eine gegenseitige Rechenschaftspflicht, Erkenntnis, verbindliches Lehren und Glaubwürdigkeit im gemeinsamen Zeugnis vor der Welt und letztlich auf die eschatologische Erfüllung der Wahrheit in der Kraft des Heiligen Geistes hinzuarbeiten“ (ebd.).

„Hermeneutik der Kohärenz“

Dieser Anregung entsprechend erarbeitete die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung das Studiendokument „Ein Schatz in zerbrechlichen Gefässen“ von 1999. Unter Hermeneutik in einem allgemeinen Sinne versteht der Text in Anlehnung an gegenwärtig maßgebliche Definitionen „die Kunst der Interpretation und Anwendung von Texten, Symbolen und Bräuchen in der Gegenwart und in der Vergangenheit als auch die Theorie über die Methoden einer solchen Interpretation und Anwendung“ (Schatz 5). Die Eigenart theologischer Hermeneutik wird darin gesehen, dass sie sich auf solche Texte, Symbole und Bräuche bezieht, „die innerhalb einer Glaubenstradition weiter vererbt wurden und ihre Gestalt gewannen“ (ebd.). Ökumenischer Hermeneutik gehe es dabei speziell um die Frage, „wie Texte, Symbole und Bräuche in den verschiedenen Kirchen interpretiert, weitergegeben und gegenseitig übernommen werden, wenn die Kirchen miteinander in Dialog treten“ (ebd.). Sie ziele auf „eine größere Kohärenz in der Interpretation des Glaubens in der Gemeinschaft aller Gläubigen; eine gegenseitig anerkennbare (Wieder-)Aneignung der Quellen des christlichen Glaubens“ (Schatz 6) und auf die Vorbereitung von „Möglichkeiten gemeinsamen Bekennens und Betens im Geist und in der Wahrheit“ (ebd.). In der Wahrnehmung dieser Aufgaben soll die in der Studie entwickelte ökumenische „Hermeneutik der Kohärenz“ (ebd.) dazu verhelfen, die wesentliche Einheit des christlichen Glaubens und der christlichen Gemeinschaft aus zu drücken.

Durchführung

Die Durchführung dieser ökumenischen Hermeneutik erfolgt in drei Schritten. Im ersten Schritt wird ein gemeinsames Traditionsverständnis erarbeitet. Hier wird unterschieden zwischen dem Evangelium als der von Generation zu Generation in und von den Kirchen übermittelten TRADITION, der „Tradition“ als dem Vorgang des Tradierens und den „Traditionen“ im Sinne unterschiedlicher Ausdrucksformen und konfessioneller Traditionen (vgl. Schatz 15). Im nächsten Schritt wird bedacht, dass das eine Evangelium in vielen unterschiedlichen Kontexten verkündigt und geglaubt wird. Kontextualität und Katholizität werden als die Begriffe benannt, die es erlauben sollen, theologisch „über die Vielfalt der christlichen Ortsgemeinden als auch ihre Beziehungen untereinander nachzudenken“ (Schatz 44). Verankert wird diese ökumenische Hermeneutik schließlich im dritten Schritt in dem Verständnis der Kirche als hermeneutischer Gemeinschaft, die die Aufgabe hat, „Texte, Symbole und Bräuche zu interpretieren, damit das Wort Gottes als ein Wort des Lebens inmitten ständig wechselnder Zeiten und Orte erkannt wird“ (Schatz 49).

gemeinsame Ausgangspunkte

Wenngleich dieses Konzept ökumenischer Hermeneutik an verschiedenen Stellen Rückfragen erzeugt und die Notwendigkeit weiterer Reflexion erkennen lässt (insbesondere im Blick auf die Erkennbarkeit der von allen Kirchen in Anspruch genommenen TRADITION, im Blick auf die in diesem Dokument noch fehlende Formulierung eines gemeinsamen Kirchenverständnisses und im Blick auf die Aussagen zu Episkopé und Papstamt), bietet es doch multilateral abgestimmte Rahmenüberlegungen, die für eine ökumenische Hermeneutik unaufgebbar sind. Folgende Ausgangspunkte ökumenischer Hermeneutik lassen sich benennen:

 Das Evangelium Gottes ist eines und begründet als solches die Kirche Jesu Christi, auch wenn es in verschiedenen Traditionen tradiert wird.

 In Entsprechung zu dem einen Evangelium bekennen sich alle Kirchen zur Einheit der Kirche und stehen damit unweigerlich vor der Frage, wie sie mit den gegebenen Spaltungen umgehen.

 Um die Unterschiede zwischen den Traditionen der Kirchen zu verstehen, sind die unterschiedlichen Bedingungen und Kontexte zu bedenken, unter denen sich die Kirchen entwickelt haben und in denen sie leben.

Aufgabe ökumenischer Hermeneutik

Die spezifische Aufgabe ökumenischer Theologie im Verhältnis zu der von den Kirchen entwickelten ökumenischen Hermeneutik besteht darin, die Reflexion auf die Verstehensbedingungen, die Zielvorstellung und die Durchführung derselben kritisch und konstruktiv zu begleiten. Konkret geht es dabei um

 die methodisch differenzierte Erfassung der Texte, Sitten und Bräuche, zu der alle theologischen Disziplinen beitragen;

 die systematisch vergleichende Erfassung der jeweiligen Bekenntnis- und Lehrtraditionen der Kirchen;

 die Bestimmung kirchentrennender Gegensätze;

 die Erkundung und Aufarbeitung der jeweiligen Kontexte, die die unterschiedlichen Traditionen der Kirchen bedingen;

 die Reflexion auf die jeweils erkennbaren Anliegen, die die Bekenntnis- und Lehrgegensätze sowie institutionelle und liturgische Unterschiede bestimmen;

 die systematische Reflexion auf die Möglichkeiten der Überwindung kirchentrennender Gegensätze;

 die Evaluierung kirchlicher Dialoge.

Einführung in die ökumenische Theologie

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