Читать книгу Toni der Hüttenwirt Paket 2 – Heimatroman - Friederike von Buchner - Страница 10

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Es war später Vormittag. Über Waldkogel und den Bergen wölbte sich ein makellos blauer Himmel. Ein warmer Südwind wehte über die Berge und verbreitete den würzigen Duft von Tannen und frischgemähtem Heu. Toni Baumberger, den seit frühester Kindheit niemand mehr Antonius rief, fuhr langsam den Weg am Bergsee entlang. Der Wind kräuselte die Wellen, deren Wellenkämme golden in der Sonne leuchteten. Toni hielt an. Er stieg aus und lehnte sich an seinen Geländewagen. Die Hände in den Lederhosen, stand er lange da und erfreute sich still an der wunderschönen Landschaft. Welch herrlicher Flecken Natur, dachte er. Die Zeit steht hier still und alles erscheint ewig.

Hinter Tonis Geländewagen hielt ein kleiner Jeep. Ein Mann stieg aus. Er trug den Hut tief ins Gesicht gezogen. Toni beobachtete ihn, wie er eine Anglerausrüstung aus dem Auto lud. Vollbepackt kam er auf Toni zu.

»Grüß dich, Toni! Was machst du hier? Warum bist du net auf deiner Berghütte?«

»Mei, der Straubingerbauer! Grüß Gott! Ich habe dich net gleich erkannt.«

In Tonis Stimme lag Verwunderung.

»Willst angeln?«

»Ja! Endlich hab’ ich Zeit! Ich weiß net, ob die Fisch’ anbeißen. Aber des ist auch net wichtig. Es geht um die Freude dabei, verstehst?«

Wilhelm Straubinger ging zum Ufer. Er klappte seinen dreibeinigen Segeltuchsessel auseinander und setzte sich. Toni folgte ihm. Straubinger, der Willi gerufen wurde, bereitete mit Akribie seine Angelrute vor.

Dann warf er sie aus. Er schaute Toni an.

»Nun, was machst du hier?«

»Ich bin auf dem Weg zum Sägewerk gewesen. Ich brauche Brennholz. Der Weißgerber soll mir eine Wagenladung zur Oberländer Alm fahren. Ich nehme dann jeden Tag ein Bündel mit rauf zur Berghütte.«

»Ein mühsames Geschäft!« bemerkte der Bauer.

»Des schon! Wir müssen alles rauftragen oder der Bello zieht des Wägelchen. Des hat die Anna gut gemacht, sie hat den Neufundländer bestens trainiert! Der Bello geht den Weg auch alleine. Ohne den Hund wäre es noch mühsamer. Doch die Vorteile überwiegen. Ich möchte keine andere Berghütte bewirtschaften. Eine Berghütte, zu der eine bequeme Straße raufführt, des ist in meinen Augen keine Berghütte mehr.«

»Des stimmt, Toni! Da gebe ich dir recht! Des ist ein Ausflugslokal. Sag mal, bringt dir der Leo des Bier immer noch mit dem Helikopter?«

»Ja! Des hat sich so eingependelt. Auf jedem Übungsflug der Bergwacht bringt Leo ein paar volle Fässer mit rauf und nimmt die leeren mit runter. Dafür machen wir alle paar Wochen einen zünftigen Hüttenabend mit Lagerfeuer auf dem Geröllfeld für die Kameraden der Bergwacht. Jetzt ist es bald wieder soweit. Deshalb will ich zum Weißgerber, wegen dem Holz. Der hat immer Abfallholz. Da ist er froh, wenn er es los wird.«

Wilhelm Straubinger holte die Angel ein und wechselte den Köder. Er warf sie wieder aus.

»Hast eine gute Ausstattung!« bemerkte Toni mit Blick in den offenen Kasten.

In kleinen Fächern lagen verschiedene Angelhaken.

»Ja, des ist die Luxusausführung. Die hat mir meine Trudi zum Geburtstag geschenkt. Angeln ist jetzt mein Hobby. Daheim auf dem Hof auf dem Altenteil rumsitzen, des ist net meine Sache. Die Trudi ist da besser dran. Die macht immer noch den Haushalt und tut kochen. Der Bub tut jeden Tag bei uns essen. Aber ich mach’ kaum noch etwas auf dem Hof. Nur, wenn der Gustl fragen tut. Weißt, entweder übergibt man einen Hof oder man übergibt ihn net. Wir, meine Trudl und ich, sind froh, daß der Gustl des macht. Und er macht es gut! Der ist mit Leib und Seel’ dabei. Da laß ich ihn in Ruhe. Sonst hätte er net des Gefühl, daß des jetzt sein Hof ist. Außerdem bin ich froh, daß ich endlich Zeit zum Angeln habe, verstehst? Des ruhige Sitzen und den Gedanken nachhängen, die schönen Berge betrachten, ohne sich Sorgen machen zu müssen, des

ist ein wirkliches Gottesgeschenk. Früher war ich ein begeisterter Bergsteiger, doch die alten Knochen sitzen lieber ruhig am Ufer des schönen Bergsees, verstehst?«

»Ja, dann wünsche ich dir, wie sagt man? Petri Heil!«

»Petri Dank! Dir auch einen schönen Tag, Toni! Ich komme vielleicht bald mal rauf zu euch auf die Berghütte. Wenn ich mal schöne Fische habe, dann bring’ ich die der Anna rauf. Ich muß mir beim Aufstieg eben Zeit lassen. Wie gesagt, die Beine wollen manchmal nimmer so. Doch es wäre mir schon eine richtige Freud’, deiner Anna ein paar Fisch zukommen zu lassen. Dein Madl kommt ja von der See, da wird sie sich freuen.«

»Danke, Straubinger! Da wird sich meine Anna sicherlich freuen. Dein selbstgeräucherter Fisch ist ja schon legendär!«

»Ja, da habe ich so meine Tricks. Die tue ich aber net verraten«, grinste Wilhelm Straubinger. »Grüß mir deine Anna!«

»Des mußt auch net verraten, Bauer! Ich werde Anna deine Grüße ausrichten.«

Toni ging zurück zu seinem Geländewagen. Er fuhr zum Sägewerk, und sprach mit Albert Weißgerber. Dieser versprach ihm das Holz in den nächsten Tagen auf die Oberländer Alm zu bringen. Er bot Toni sogar an, das Holz auf Paletten zu verschnüren. Dann könnte Leo vielleicht einige Paletten auch mit dem Hubschrauber hinauf auf die Berghütte fliegen, indem er sie als Last unter den Hubschrauber hängte.

»Des hört sich doch gut an, Weißgerber! Dann komm doch mit deinen Männern hinauf. Des wird ein zünftiges Fest geben.«

Albert Weißgerber bedankte sich und versprach zu kommen.

Auf dem Rückweg sah Toni Wilhelm Straubinger noch am Ufer sitzen. Toni hupte kurz und winkte ihm zu. Straubinger winkte mit dem Hut zurück. Im Rückspiegel sah Toni, wie der alte Bauer die Schnur einholte und einen Fisch aus dem Wasser zog.

Während Toni weiterfuhr, dachte er an seine Anna. Sie hatte sich gut in den Bergen eingelebt, war eine richtige Berglerin geworden. Doch bei dem Gedanken an frischen oder lecker geräucherten Fisch, bekam Anna schon einmal träumerische Augen. Toni verstand dies.

Er nahm sich vor, beim nächsten gemeinsamen Besuch in Kirchwalden Fisch essen zu gehen. Dort gab es seit neustem ein Fischrestaurant. Ich will meine liebe Anna mehr verwöhnen, dachte Toni. Sie ist so wunderbar. Ich bin so glücklich mit ihr, daß ich es in Worten nicht ausdrücken kann.

Bevor Toni hinauf auf die Oberländer Alm fuhr, hielt er noch kurz beim Andenken- und Trachtenladen Boller und kaufte für seine Anna ein schönes Umhängetuch. Warum nicht einfach einmal so zwischendrin etwas schenken? Es muß ja nicht immer an Weihnachten, Geburtstag oder Namenstag sein, dachte er. Fröhlich machte er sich auf den Weg. Er malte sich aus, wie sich Anna freuen würde, wie überrascht sie wäre.

*

Lärm und die Stimmen der Arbeiter, die im parkähnlichen Garten des Bergmannschen Anwesens das Partyzelt aufbauten, drangen durch das offene Fenster. Karoline Bergmann lag auf dem Bett und starrte an die Zimmerdecke. Ihr war unwohl. Sie fühlte sich nicht glücklich. Ärgerlich stand sie auf und schloß das Fenster. Dann warf sie sich wieder auf das Bett. Sie griff nach der Fernbedienung und schaltete ihre Musikanlage ein. Sie erhöhte die Lautstärke bis sie den Lärm aus dem Garten nicht mehr hörte. Lieder der Berge schallten durch das große Haus. Karoline schloß die Augen. Sie träumte. In Gedanken schritt sie über Almwiesen, auf denen Kühe friedlich grasten. Wenn sie einen Schritt weitergingen, läuteten die Kuhglocken an den breiten Lederbändern um ihrem Hals. Der Bergwind spielte mit Karolines Haar. Es duftete nach Tannen und frischem Heu.

Die Tür zu Karolines Zimmer wurde aufgerissen. Es war ihre Mutter, Agathe Bergmann. Zuerst stellte sie die Musik ab.

»Kind, was soll das? Die Scheiben scheppern schon, so laut ist es, dieses schreckliche Gedudel! Die Männer grinsen schon.«

»Mutter! Dann laß sie grinsen!«

Karoline drückte wieder auf ihre Fernbedienung. Aber ihre Mutter hatte die Anlage komplett ausgeschaltet. Karoline warf ihrer Mutter wütende Blicke zu.

»Gut, dann setze ich Kopfhörer auf!«

Ihre Mutter seufzte.

»Ich verstehe wirklich nicht, was du bei der Musik empfindest. Das ist mir ein Rätsel und wird es wohl immer bleiben. Wieso bist du so aus der Art geschlagen, bei dieser Schulbildung, die wir dir ermöglicht haben. Diese Musik ist so ganz anders als alles, was wir hören. Das paßt nicht zu uns!«

»Passen? Passen? Für dich! Für euch muß immer alles passen. Ich liebe Volksmusik! Sie gibt mir vielleicht Gefühle, von denen du keine Ahnung hast.«

»Das stimmt! Und ich möchte auch davon keine Ahnung haben. Das ist doch nur sentimentales Gedudel, ohne Tiefe. Das sind doch keine guten Kompositionen. Wie kann dir so etwas gefallen, Karoline? Ich verstehe dich wirklich nicht. Was gibt es nicht für schöne, hochkarätige klassische Komponisten!«

Dann zählte Agathe Bergmann sie auf: Bach, Beethoven, Chopin, Mozart, Haydn, Händel.

»Wenn du schon etwas Leichtes hören willst, dann nehme doch Mozart oder wenigstens Johann Strauß!«

»Mutter!« stöhnte Karoline. »Gibt es sonst noch etwas?«

»Ja! Die Catering-Firma wird in einer Stunde mit dem Aufbau des Partyzeltes fertig sein. Sie kommen dann erst am späten Nachmittag wieder und bringen das Büfett und die Getränke. Ich habe uns beiden einen Termin beim Friseur gemacht.«

»Was soll ich da?«

»Kindchen! Nun sei vernünftig! Was tut man schon beim Friseur? Sich schön machen lassen! Zum kleinen Schwarzen solltest du dir schon mal die Haare machen lassen.«

»Mutter! Ich weiß noch nicht, ob ich das schwarze Cocktailkleid anziehe.«

»Das mußt du aber! Vater trägt Abendanzug und ich Abendkleid. Alle Gäste werden entsprechend festlich gekleidet sein. Du weißt doch, daß wir es ausdrücklich auf die Einladungskarten geschrieben haben. Es sollte keinesfalls der Eindruck entstehen, daß es eine lässige Party wird, sondern ein wirkliches Fest der gehobenen Art. Es ist doch dein Fest, deine Feier, Karoline!«

»Nein, Mutter das ist es nicht! Es ist eure Feier! Warum muß das alles sein?«

Agathe Bergmann setzte sich zu ihrer Tochter auf das Bett.

»Karoline! Das sind gesellschaftliche Verpflichtungen, die man nun einmal hat. Es gehört eben dazu. Du hast dein Abitur bestanden. Das muß entsprechend gefeiert werden. Das wird erwartet. Bald wirst du studieren. Dann gehst du fort und kannst tun und lassen, was du willst. Bei mir und deinem Vater war es auch so. Wir haben die Studentenzeit genossen. Für alles im Leben gibt es eine Zeit und entsprechende Regeln. Du wirst es später bei euren Kindern auch mal so machen. Da bin ich mir ganz sicher.«

Es klopfte an der Tür. Die Hausangestellte brachte einen großen Blumenstrauß.

»Der wurde eben gebracht – für dich, Karoline!«

Weil Karoline nicht aufstand, nahm ihre Mutter den Strauß entgegen. Sie öffnete auch den beiliegenden Umschlag.

»Oh, das ist von Pascal! Wie aufmerksam von ihm! Und wie nett er schreibt. Hier, lies selbst.«

Karoline überflog die Zeilen. Sie verzog keine Miene.

»Was ist, Karoline? Du freust dich nicht? Ist etwas nicht in Ordnung mit dir und Pascal? Das würde mir sehr leid tun. Ihr beide seid so ein schönes Paar – ein schönes Paar mit der Aussicht auf eine glänzende gemeinsame Zukunft! So sehen es auch Pascals Eltern. Pascals Mutter hat mich heute schon angerufen. Du wirst dich sicher später gut mit ihr verstehen. Sie hat ja nur Söhne und freut sich, dich in die Familie aufzunehmen.«

»Mutter, bitte! Das hatten wir doch schon alles!« stöhnte die junge Frau.

Karoline stand auf und ging in ihr Badezimmer. Sie schloß von innen ab und drehte das Wasser auf.

»Gut, dann bist du ja zur Vernunft gekommen. Wir fahren in einer Dreiviertelstunde. Hörst du?«

»Ja!« schrie Karoline durch die geschlossene Tür.

Die Tränen der jungen Frau mischten sich unter der Dusche mit dem warmen Wasser. Ach, wenn das Wasser doch allen Kummer fortspülen könnte, dachte Karoline. Wird das immer so weitergehen?

Ein ganzes Leben, bis zum Ende der Erdentage, alles geplant und geordnet? Karoline sah sich anders. Ihre Sehnsüchte und Wünsche hatten nichts mit den Plänen ihrer Eltern zu tun.

Bis jetzt habe ich mich immer ihren Wünschen untergeordnet und mich angepaßt. Wo bleibe ich dabei?

Das fragte sich Karoline in den letzten Monaten fast täglich. Karoline war das einzige Kind ihrer Eltern. Agathe und Berthold Bergmann waren weitere Kinder versagt geblieben. Als Kind war Karoline froh gewesen, keine Geschwister zu haben. Alle ihre Freundinnen hatten Geschwister, Brüder und Schwestern mit denen es manchen Ärger und Streit gab. Doch als Karoline älter wurde und spürte, daß ihre Eltern all ihre Zukunftswünsche, die sicherlich für viele Geschwister gereicht hätten, auf sie abwälzten, kam Karoline ins Nachdenken. Beide Eltern hatten Pharmazie studiert und anschließend die Apotheke des Großvaters übernommen und ausgebaut. Karolines Vater hatte sogar den Doktor in Pharmazie gemacht. Jetzt wurde von Karoline erwartet, daß sie diese Tradition weiterführte. Es stand im Haus Bergmann fest, daß sie ebenfalls Pharmazie studieren sollte. Pharmazie studierte auch Pascal Hubschmidt. Sein Vater war Arzt und mit Karolines Vater seit der gemeinsamen Studentenzeit eng befreundet. Sicherlich war Karoline mit Pascal befreundet, das kam schon alleine dadurch, daß sie sich durch die Freundschaft der Familien oft sahen. Pascals älterer Bruder studierte Medizin und würde die Praxis des Vaters übernehmen. Durch eine Ehe mit Karoline würde Pascal in eine Apotheke einheiraten. Die beiden Elternpaare hatten sich das fein ausgedacht. Für Pascal war alles perfekt. Er studierte jetzt schon im zweiten Jahr an der Universität. Sein Studium der Pharmazie machte ihm Freude. Er wird sicher einmal einen guten Apotheker abgeben, dachte Karoline. Sie mochte Pascal. Er war charmant, gebildet und humorvoll.

Doch war es Liebe? Sicherlich nicht!

Liebe stellte sich Karoline anders vor. Sie träumte von einem besonderen Prickeln, von Herzklopfen, von einer Leichtigkeit des Glücks, das sie schweben ließ. All dies empfand Karoline bei Pascal nicht.

Karoline war mit dem Duschen fertig. Sie trocknete sich ab, zog sich an, kämmte ihr schulterlanges Haar und band es zu einem Pferdeschwanz zusammen. Karoline wählte aus dem Schrank eine hellblaue Sommerhose und eine blaukarierte Hemdbluse. Sie krempelte die Ärmel bis zum Ellenbogen.

Sie warf einen Blick in den wandhohen Spiegel in ihrem Ankleidezimmer – sie gefiel sich. Ihre Mutter hatte ihr schon die Kleidung für den Abend herausgelegt: das schwarze Kleid und die Sandaletten mit den Straßsteinchen und auf dem kleinen Tisch lagen eine Goldkette, ein Armreif und Ohrringe. Dieser Schmuck war das Geschenk ihrer Mutter zu Karolines bestandenem Abitur gewesen. Ihr Vater hatte ihr einen Sportwagen gekauft. Das Auto war teuer gewesen. Karoline hätte lieber einen Jeep gehabt. Mit dem durch die Berge zu fahren, die Waldwege entlang, das wäre schön gewesen. Doch Karoline wollte ihren Vater nicht enttäuschen. So war sie mit dem Sportwagen zufrieden, um den sie alle ihre Freundinnen beneideten.

Der Tag nahm den von Karolines Mutter geplanten Verlauf. Karoline ging mit ihrer Mutter zum Friseur. Sie zog das schwarze Cocktailkleid an, legte den Schmuck um. Sie stand planmäßig an der Haustür zwischen ihren Eltern, als die Gäste nacheinander vorfuhren. Karoline lächelte, sagte freundliche Worte und nahm die Glückwünsche zum bestandenen Abitur entgegen. Sie bedankte sich artig für die Geschenke und Blumen.

Den ganzen Abend wich Pascal, ebenfalls wie alle Männer im Smoking, nicht von Karolines Seite. Doktor Berthold Bergmann hielt eine schöne Ansprache auf Karoline. Darin sprach er deutlich von den Erwartungen an Karoline. Er zeichnete den Weg vor: Studium, Heirat, Kinder und spätere Übernahme der Apotheke zusammen mit ihrem Mann. Obwohl Karolines Vater den Namen Pascal nicht erwähnte, wußten alle Anwesenden doch genau, wer gemeint war.

Nach der Ansprache erfolgte das Essen. Dazu spielte ein Streichquartett klassische Tischmusik. Nach dem Essen forderte Doktor Berthold Bergmann seine Tochter zum Tanz auf.

»Das ist ein wunderschöner Abend, Karoline! Alle bewundern dich! Alle beneiden uns um dich als Tochter!«

»Ja, Papa!« flüsterte Karoline leise.

Zu Beginn des zweiten Tanzes, es war ein langsamer Walzer von Johann Strauß, gab Bergmann an Pascal weiter. Die Sonne ging unter und Fackeln und unzählige Kerzen erleuchteten den Garten.

Die Zeit verrann im Nu.

»Ich habe noch eine Überraschung für dich, Karoline!« flüsterte ihr Pascal während des Tanzes ins Ohr.

Sie schaute ihn mit großen ängstlichen Augen an.

»Was ist? Freust du dich nicht? Was schaust du so ängstlich?«

»Ängstlich? Nein! Es ist nur so viel Trubel! Die Eltern sind in Hochform!«

»Wollen wir uns verziehen?«

»Damit würdest du mich retten, Pascal«, seufzte Karoline.

*

Unauffällig führte Pascal Karoline an den Rand der Tanzfläche. Er nahm sie an der Hand und sie verschwanden in einer dunklen Ecke des großen Gartens. Dort setzten sie sich unter einen Baum.

Karoline schloß für einen Moment die Augen.

»Also sprich! Was für eine Überraschung hast du?«

Pascal griff in die Hosentasche. Karolines Herz krampfte sich zusammen. In einer Sekunde schossen ihr Tausende von Ausreden durch den Kopf, Ausreden, seinen Antrag nicht annehmen zu wollen oder noch nicht annehmen zu wollen. Bitte, ihr himmlischen Mächte, laßt ihn nicht fragen! Gebt mir noch Zeit! So flehte Karoline stumm zu den Sternen hinauf.

»Hier! Das ist der Schlüssel zu meiner neuen Wohnung: drei große Zimmer, Küche, zwei Bäder, Terrasse vor dem Wohnzimmer, Balkon an der Küche, wunderschöner Blick, keine Nachbarn, Abstellplätze vor dem Haus und zwei Garagen!«

Karoline verstand nicht sofort, was er damit sagen wollte.

Pascal erklärte: »Mein Vater hat eine größere Eigentumswohnung gekauft. Er stellt sie uns zur Verfügung. Ist das nicht wunderbar? Mein Appartement wäre zu klein für uns beide. Jeder von uns braucht seinen eigenen Raum zum Lernen. Wir wollen doch, so schnell wie es möglich ist, das Studium durchziehen. Natürlich helfe ich dir dabei. Ich habe ja schon einen Vorsprung. Ich weiß, daß Chemie nicht deine Stärke ist. Ich habe die Wohnung schon eingerichtet. In deinem Zimmer liegen all meine Unterlagen. Du wirst ein gutes Examen machen. Da bin ich mir wirklich ganz sicher!«

Karoline seufzte.

»Ich weiß nicht, ob ich das will.«

»Wie bitte? Wie darf ich das verstehen? Du willst nicht, daß wir zusammenziehen? Da werden meine Eltern und auch deine aber enttäuscht sein.«

»Nein, das meine ich nicht! Ich habe keine Freude an Pharmazie.«

»Das überrascht mich jetzt doch sehr!« staunte Pascal. »Hast du mit deinen Eltern schon darüber gesprochen?«

»Bewahre! Wo denkst du hin?«

Pascal war erleichtert.

Er legte seinen Arm um Karolines Schultern.

»Ich verstehe dich! Nach dem Ab­itur war ich genauso verwirrt, wie du es jetzt bist. Erinnere dich doch einmal an unsere Gespräche. Die letzten zwei Jahre, besonderes das letzte Jahr vor der Prüfung, habe ich mein ganzes Denken auf diese Prüfung ausgerichtet. Das war auch richtig so. Du hast es doch genauso

gemacht: gelernt, gelernt und nochmals gelernt. Danach ist es nur verständlich, daß du in ein Loch fällst. Du wirst plötzlich unsicher, fragst dich, wie die Zukunft aussehen wird. Es ist sicherlich nicht leicht, die richtige Berufsentscheidung zu treffen.«

»Ach, Pascal!« seufzte Karoline. »Das stimmt alles, was du sagst. Hinzu kommt, daß ich mir nie Gedanken darüber gemacht habe. Ich sagte mir immer, das hat Zeit bis zum Abitur. Jetzt ist es soweit. Ich muß Farbe bekennen.«

Pascal hauchte Karoline zärtlich einen Kuß auf das blonde Haar.

»Ich will dir noch sagen, wie zauberhaft du heute aussiehst. Hast du bemerkt, wie dich alle beobachtet haben?«

»Ja! Das konnte ich kaum übersehen.«

»Deine Eltern sind mächtig stolz auf dich!«

»Ja, ja! Das sind sie! Vater sprach vorhin davon, daß ich ein Etappenziel erreicht hätte. Jetzt würde ich mich aufmachen, das nächste zu erreichen. Ich weiß wirklich nicht, ob ich das will.«

»Was willst du nicht? Apothekerin werden oder überhaupt studieren?«

»Pascal, ich weiß überhaupt nichts mehr. Da sind nur noch Fragen, Fragen, Fragen – mir fehlen die Antworten. Ich bin so unruhig! Pascal, wir kennen uns lange und gut. Darf ich dir etwas anvertrauen? Du darfst aber wirklich niemandem etwas erzählen!«

Pascal lächelte Karoline an. Er hob die Hand, wie sie es als Kinder immer getan hatten.

»Großes Indianerehrenwort!«

»Ich fühle mich unsicher. Da ist eine große Leere in mir. Ich suche etwas, aber ich weiß nicht, was ich eigentlich suche. Ach, guter Pascal, es ist so schwierig zu beschreiben. Da ist so eine treibende Unruhe in mir.«

Pascal streichelte Karolines Haar.

»Ich verstehe dich, liebste Karoline. Du bist ganz normal. Das, was du empfindest, ist ganz normal. Bis zum Wintersemester ist noch lange hin. Nach diesen Wochen des Lernens und Büffelns hast du jetzt keine Aufgabe. Da ist es doch ganz natürlich, daß du diese Leere empfindest. Jeder Mensch braucht Ziele, auf die er hinarbeitet. Wenn das Studium erst einmal begonnen hat, dann wird es dir wieder besser gehen. Du wirst glücklich sein. Wir haben die schöne Wohnung. Du kannst die verbleibende Zeit bis zum Semesteranfang nutzen, für uns ein Nest einzurichten. Wie wäre es damit? Damit hast du eine Aufgabe.«

Karoline schwieg eine Weile.

Ungeduldig wartete Pascal auf eine Antwort. Er war etwas enttäuscht, daß sich Karoline so wenig gefreut hatte auf die schöne neue gemeinsame Wohnung. Er spürte, wie angespannt sie war. Ich will ihr keinen Druck machen. Sie ist so angespannt und ausgepumpt von den letzten Wochen und Monaten, dachte Pascal und übte sich in Geduld.

Es dauerte eine ganze Weile. Dann streichelte Karoline Pascals Wange.

»Denke nicht, daß ich mich nicht freue. Das mit der Wohnung ist großartig.«

»Wollen wir uns morgen früh die Wohnung ansehen? Ich hole dich ab.«

Karoline schwieg. Sie überlegte.

»Morgen?«

»Ja! Du bist doch sicher neugierig! Das verstehe ich. Ich habe schon seit zwei Wochen den Schlüssel. Ich mußte mich sehr beherrschen, das Geheimnis für mich zu behalten. Die Wohnung ist traumhaft. Es ist eine Penthousewohnung. Wenn du willst, dann schleichen wir uns jetzt heimlich davon und fahren hin. Willst du?«

»Nein, nicht heute! Und auch nicht gleich morgen! Sei bitte nicht enttäuscht, Pascal. Ich brauche erst einmal Ruhe.«

»Dann sollst du sie haben!«

Er hielt sie fest. Karoline fühlte sich unter allen Menschen bei ihm noch am wohlsten.

»Laß uns eine Weile hier still sitzen und in die Sterne schauen!« flüsterte Karoline leise.

Pascal fühlte, daß Karoline fror. Er zog seine Jacke aus und legte sie ihr um die Schultern. Dann hielt er sie mit beiden Armen umschlungen. Ihre Lippen fanden sich zu einem zärtlichen Kuß. Karoline legte ihren Kopf an seine Schulter und schloß die Augen.

Auf Pascal ist Verlaß, dachte sie. Er will zwar auch, daß ich Apothekerin werde. Für ihn ist das Leben auch schon vorgeplant – er und ich, dann die Apotheke meiner Eltern, dann Kinder und… und… und… Trotzdem ist er derjenige, der von allen noch am meisten Rücksicht nimmt. Er ist derjenige, dem ich meine Gefühle und Bedenken anvertrauen kann.

Ist das Liebe?

Ist so die wirkliche Liebe?

Alle Gedanken vermischten sich: Gedanken über die Liebe, Gedanken über die Zukunft, Gedanken darüber, was wäre, wenn alles anders wäre.

Ja, wenn das Wörtchen »wenn« nicht wäre…

Karoline dachte den Satz nicht zu Ende. Sie lachte leise.

»Was denkst du?« fragte Pascal.

Sie kuschelte sich an ihn.

»Ich habe versucht, mir auszumalen, wie es wäre, wenn es die Apotheke nicht geben würde.«

»Mm! Interessant! Was wäre dann?«

»Nun, ich würde nicht Pharmazie studieren. Ich würde etwas anderes wählen. Vielleicht… vielleicht…« Karoline überlegte. »Vielleicht Tiermedizin! Vielleicht würde ich auch die Forstwirtschaftschule besuchen. Oder… oder…« Karoline überlegte. »Gärtnerin! Das würde mir auch Freude machen. Landschaftsgärtnerin oder Gartenbauarchitektin!«

Karoline schaute Pascal in die Augen. Er lächelte sie an.

»Daß du das eine machst, bedeutet nicht, daß du das andere aufgeben mußt. Du bist jetzt knapp zwanzig. Rechnen wir! In spätestens fünf Jahren kannst du fertig sein. Du mußt nicht unbedingt deinen Doktor machen. Wir heiraten! Ich bin dann schon fertig und habe meinen Titel. Ich steige in die Apotheke deines Vaters ein. Wenn du dann noch etwas anderes machen willst, dann werde ich alles tun, um dich zu unterstützen. Wenn du dann das immer noch willst, dann werden wir sehen, wie wir Familie, Kinder, Beruf und deine Wünsche unter einen Hut bekommen. Ich will, daß du glücklich wirst. Vielleicht bist du ja in fünf Jahren schon glücklich, weil wir glücklich sind. Dein Vater hat in seiner Rede von Etappen gesprochen. Die nächste Etappe ist jetzt das Studium und unser Zusammensein. Ich bin mir sicher, es wird wunderbar werden. Ich kenne dich! Du kennst mich! Jeder weiß, was der andere erwartet und wie es werden wird. Das Risiko, daß wir das nächste Etappenziel nicht erreichen werden, ist gleich Null. Mache dir nicht so viele Gedanken, Karoline!«

Das sagt sich so leicht, dachte Karoline.

Ihr Vater kam über den Rasen.

»Hier seid ihr! Man vermißt euch! Nun ja, ich kann ja verstehen, daß ihr auch ein wenig allein sein wollt. Hast du Karoline schon von der gemeinsamen Wohnung erzählt, Pascal?«

Pascal und Karoline standen auf.

»Ja, Vater, das hat er! Eine sehr praktische Lösung. Ideal! Ich bin noch total überrascht.«

»Du wirst jetzt erst einmal mit der Einrichtung beschäftigt sein. Wir werden natürlich auch unseren Beitrag dazu leisten. Deine Mutter und ich haben schon alles beredet, Karoline. Sie hat bereits einige Termine mit Inneneinrichtern vereinbart. Genaueres weiß ich nicht. Das wird sie dir noch selbst sagen.«

»Ja, das wird sie!« flüsterte Karoline leise.

Typisch Mutter, dachte sie.

Ihr Vater räusperte sich.

»Deine Mutter und ich – und auch Pascals Eltern, wir dachten uns, daß ihr zum offiziellen Einzug eure Verlobung bekanntgebt. Es muß ja alles seine Ordnung haben, oder?«

Karoline schluckte.

»Ja, es muß alles seine Ordnung haben!«

Sie atmete tief durch. Pascal, der seinen Arm um Karolines Schultern gelegt hatte, fühlte, wie sie leicht zu zittern begann.

»Das mit der Verlobung, das entscheiden wir dann in einigen Wochen. Immer schön einen Schritt nach dem anderen! Hauptsache die Richtung stimmt!«

»Das hast du gut erkannt, Pascal! Du bist genauso, wie ich mir meinen Nachfolger und den Mann unserer Karoline wünsche. Bleib so, Pascal!«

»Karoline!« rief ihre Mutter laut. »Wo seid ihr?«

»Wir werden gewünscht! Die ersten Gäste wollen gehen«, ergänzte Karolines Vater.

Karoline schüttelte Pascals Arm ab. Sie gab ihm seine Jacke zurück. Gemeinsam gingen sie zurück zum Partyzelt.

Dort herrschte allgemeine Aufbruchsstimmung. Die Gastgeber verabschiedeten die Gäste. Wie selbstverständlich stand Pascal dabei neben Karoline.

»Ja, das war es dann! Ein gelungenes Fest!«

Doktor Berthold Bergmann rieb sich die Hände.

»Trinken wir Bergmanns und Hubschmidts zum Schluß – im kleinen Familienkreis sozusagen – noch einen kleinen Abschiedstrunk?«

Karoline schüttelte den Kopf.

»Für mich nicht, Vater! Ich bin redlich müde!«

»Was ist, Karoline? Ich nehme an, Pascal hat dir von der Wohnung erzählt. Wann willst du sie dir ansehen?« mischte sich Pascals Vater in das Gespräch ein und ignorierte Karolines Wunsch nach Ruhe.

»Oh, bald, Herr Hubschmidt! Ich bin ganz überwältigt. Pascal hat mir schon einen Schlüssel gegeben! Alles ganz wunderbar! Überwältigend!«

Karoline wandte sich an Pascal.

»Wir telefonieren morgen! Ich bin wirklich müde!«

Pascal brachte Karoline ins Haus. Sie sagten sich mit einem Kuß gute Nacht, dann verschwand Karoline alleine in ihrem Zimmer.

Pascal ging auch nach Hause. Seine Eltern und Karolines Eltern tranken noch ein letztes Glas Wein zusammen. Dabei gab es nur ein Gesprächsthema, Karoline und Pascal und deren gemeinsame Zukunft als Apothekerfamilie.

Währenddessen lag Karoline in ihrem Bett und hörte über Kopfhörer leise Heimatlieder. Langsam wurde ihr Herz ruhiger. Sie träumte von den Bergen und schlief bald ein.

*

Ein metallisch schepperndes Ge-räusch schrecke Karoline aus ihrem Traum. Vor dem Haus warfen die Mitarbeiter der Catering-Firma die Eisenträger des Partyzeltes auf einen Lastwagen. Karoline beobachtete die Szene durch die Gardinen. Ihre Mutter stand dabei und redete mit dem Vorarbeiter. Dann ging Agathe Bergmann zu ihrem Auto und fuhr davon. Karoline seufzte erleichtert. Ihre Mutter hatte das Haus verlassen. Das gab ihr Zeit.

Karoline huschte barfuß die Treppe hinunter. Die langjährige Haushaltshilfe war in der Küche.

»Guten Morgen, Karoline! Gut geschlafen?«

»Ja, herrlich! Ich habe von den Bergen geträumt.«

»Du solltest mal wieder hinfahren.«

Karoline machte große Augen. Sie fuhr sich mit beiden Händen durch ihr blondes offenes Haar.

»Das ist es! Ich verschwinde in die Berge! Dort habe ich Ruhe vor Mutter, Vater, Pascal und der ganzen Familie Hubschmidt.«

Die alte Haushälterin schmunzelte. Sie kannte Karoline, seit sie ein kleines Mädchen war, und war ihr herzlich zugetan.

»Dann solltest du vielleicht noch fahren, bevor deine Mutter zurückkommt!« Sie blinzelte Karoline verschwörerisch zu.

»Wo ist sie hin?«

»Stoffmuster holen für die Wohnung!«

»Du machst mir Brote und packst mir etwas Obst ein. Ich will keine Zeit verlieren. Etwas essen kann ich unterwegs. Ich gehe packen!«

Karoline rannte die geschwungene Treppe in das obere Stockwerk hinauf. Sie nahm mehrere Stufen auf einmal.

In ihrem Zimmer stopfte sie ihre Wandersachen in den Rucksack. Sie zog sich an. Als sie in ihre roten Wildlederhosen schlüpfte, fühle sie sich gleich besser.

»Hallo, Berge! Ich komme!« jubelte Karoline laut vor sich hin.

Es dauerte keine Viertelstunde, dann war Karoline reisefertig. Sie verstaute den Rucksack im Kofferraum ihres neuen Sportwagens. Die Haushälterin stellte ihr einen Korb mit belegten Broten, Kaffee in einer Thermoskanne und Obst auf den Beifahrersitz.

Karoline umarmte sie.

»Bist ein Schatz! Was würde ich ohne dich tun?«

»Hast du schon Bescheid gesagt, Karoline?«

»In meinem Zimmer liegt ein Zettel! Darauf steht: ›Mache Urlaub! Bin in den Bergen! Grüße an Pascal! Karoline‹.«

Die beiden Frauen lächelten sich an.

»Mein Name ist Hase und ich weiß von nichts. Wo fährst du hin?«

»Waldkogel natürlich! Wohin sonst? Du weißt doch, daß der ›Engelssteig‹ mein Lieblingsberg ist.«

»Ja, das weiß ich! Denke an mich, wenn du auf dem Gipfel bist und gib schön auf dich acht!«

»Das werde ich tun! Laß du dich hier nicht stressen! Es wird in den nächsten Tagen dicke Luft geben. Mutter kann es nicht leiden, wenn jemand ihre Pläne durchkreuzt. Aber ich brauche Zeit für mich!«

»Dann nimm sie dir! Bis zum Beginn des Wintersemesters ist noch Zeit. Denke nicht daran! Denke nur an dich! Höre auf dein Herz! Um mich mußt du dir keine Sorgen machen. Wenn es mir zu viel wird, dann nehme ich auch Urlaub.«

»Wunderbar! Dann kommst du zu mir nach Waldkogel!«

Sie umarmten sich noch einmal. Dann steuerte Karoline den Sportwagen aus der Gararge und fuhr über den Kiesweg auf die Straße. Der Motor heulte auf und sie brauste davon.

*

Nach vier Stunden Fahrt, über die Autobahn bis Kirchwalden und dann über die kleine Landstraße, erreichte Karoline Waldkogel. Es war später Nachmittag. Sie überlegte. Sollte sie sich im Ort ein Zimmer nehmen oder gleich auf die Oberländer Alm hinauffahren?

Karoline hielt mit laufendem Motor vor der Kirche an.

Ein junger Bursche kam aus der Kirche heraus. Ihre Blicke trafen sich. Er betrachtete das Auto.

»Grüß Gott!« sagte er freundlich. »Kann ich dir helfen, Madl? Wo willst hin?«

»Grüß Gott!« hauchte Karoline und konnte kaum die Augen von ihm lassen. »Danke für das Angebot. Aber ich kenne mich gut aus!«

Karoline stellte den Motor ab. Ihr Herz klopfte wie wild. In ihrem Kopf drehte sich alles. Sie hatte das Gefühl, als verliere sie die Kontrolle über sich. Die Kirche, schoß es ihr durch den Kopf.

»Ich will noch in die Kirche!« sagte sie leise und senkte den Blick.

Sie stieg aus und rannte fast durch die offene Kirchentür.

Drinnen war es angenehm dunkel. Es roch nach Weihrauch. Vor den Heiligenaltären brannten Kerzen. Karoline ging durch den Mittelgang und setzte sich in eine Bank. Sie schloß die Augen, preßte ihre Hände auf die Brust, als wollte sie ihr Herz festhalten.

Es dauerte eine ganze Weile, bis die Herzklopfen nachließen.

Sie dachte nur an den jungen Burschen, der sie auf der Straße angesprochen hatte. Obwohl sie ihn nur kurz gesehen hatte, war sein Bild tief in Karolines Herz gedrungen. Sein lockiges blondes Haar, seine großen rehbraunen Augen, seine breiten Schultern würde Karoline ein ganzes Leben lang nie mehr vergessen. Dessen war sie sich sicher. Er kam ihr vor, wie aus einer anderen Welt.

Karoline überlegte, wer er sein könnte. War er aus Waldkogel? Das konnte nicht sein. Sonst wäre er mir doch schon früher aufgefallen, überlegte sie. Wenn er nicht aus Waldkogel ist, dann muß er ein Tourist sein.

»Oh, nein!« flüsterte Karoline vor sich hin.

Erschrocken schlug sie die Augen auf und hielt sich die Hand vor den Mund.

In ihrem Kopf arbeitete es fieberhaft. Vor Aufregung bekam sie rote Wangen. Wenn er ein Tourist ist – was sehr wahrscheinlich ist –, dann sehe ich ihn vielleicht nie wieder. Dieser Gedanke beunruhigte Karoline sehr. Sie fühlte es tief in ihrem Herzen, ohne daß es ihr vom Verstand her klar war: Sie wollte ihn wiedersehen. Sie mußte ihn wiedersehen. Alles andere im Leben war plötzlich zur völligen Belanglosigkeit zusammengeschmolzen. Alle ihre Wünsche, ihr Begehren richteten sich nur auf ihn aus.

Karoline überlegte. Sie wollte ihn wiedersehen. Doch wie? Es mußte unauffällig sein. Wo war er?

Die junge Frau ärgerte sich über sich selbst. Warum bin ich nur so schnell davongelaufen? Er muß denken, ich habe Angst vor ihm. Doch im gleichen Augenblick war ihr auch bewußt, daß sie seine Nähe nicht eine Sekunde länger hätte ertragen können. Sie war kurz davor gewesen, daß ihr vor Glück die Beine versagten. Sein Anblick hätte ihr fast die Sinne geraubt.

Das ist das Gefühl, nach dem ich immer gesucht habe, dachte Karoline.

Karoline beschloß, an diesem Abend in Waldkogel zu bleiben. Sie verließ die schöne Barockkirche, stieg in ihren Sportwagen und fuhr direkt zum Wirtshaus und der Pension. Als sie das Schild am Haus »Beim Baumberger« las, fühlte sie sich schon besser. Karoline hatte dort schon öfter ein Zimmer gemietet. Xaver Baumberger fand sie sehr nett und mit seiner Frau Meta verband Karoline freundschaftliche Gefühle. Während eines Aufenthaltes hatte Karoline Tonis Schwester Maria mit ihrer Familie kennengelernt. Karoline wünschte sich, das Verhältnis zwischen ihr und ihrer Mutter wäre nur ein wenig so, wie zwischen Meta Baumberger und ihrer Tochter. Meta war so warmherzig und gütig. Sie war eine sehr verständnisvolle und liebende Mutter und Ehefrau. Sicherlich hatte sie nicht die Bildung wie Agathe Bergmann. Doch Meta verfügte über eine viel höhere und tiefergehende Bildung, etwas, was nur mit Herzensbildung beschrieben werden konnte.

»Mei, Madl! Ja, sehe ich recht! Bist du es wirklich?« fragte Meta Baumberger.

Sie wischte sich die Hände an der Küchenschürze ab und ging auf Karoline zu.

»Gut schaust aus, Madl!«

Die beiden Frauen lagen sich in den Armen.

»Ich hab’ mich schon oft gefragt, wann du uns mal wieder besuchen kommst. Mei, und jetzt bist du da!«

»Habt ihr noch ein Zimmer für mich?«

»Für dich immer! Die eigentlichen Gästezimmer sind alle belegt. Aber unser privates Gästezimmer ist leer. Weißt, des, wo der Toni und die Anna oder die Kinder drin schlafen, wenn’s unten übernachten in Waldkogel oder die Ria mit ihrer Familie. Des kannst gern haben.«

»Danke! Du bist lieb! Ihr seid so lieb zu mir!« sagte Karoline leise.

Meta Baumberger schaute sie prüfend an.

»Wie lange willst du in den schönen Bergen bleiben?«

Karoline seufzte tief.

»Ich weiß nicht. Ich habe viel Zeit, sehr viel Zeit… viele Tage… Wochen… Monate. Am liebsten würde ich Jahre bleiben, ein ganzes langes Leben in Waldkogel.«

Meta Baumberger griff nach Karolines Rucksack und stellte ihn in eine Ecke hinter dem Tresen. Sie nahm die junge Frau bei der Hand und zog sie in die Küche hinter die Wirtsstube.

»So, hier können wir uns unterhalten, wenn es dir nichts ausmacht, daß ich dabei weiter koche. Siehst ja selbst, die Wirtsstube ist voll.«

»Kann ich dir etwas helfen?«

»Naa! Bist ein braves Madl, daß du fragen tust. Aber du machst Urlaub. Da ist nix mit Arbeiten! Setz dich hin. Willst auch was essen?«

Karoline verneinte, sie nahm nur einen Kaffee. Tief in Gedanken rührte Karoline mit dem Löffel im Becher. Meta beobachtete sie. Sie hat verträumte Augen, dachte Tonis Mutter. Auf der anderen Seite scheint sie auch einen Kummer zu haben. Daß sie am liebsten für immer bleiben würde, war aus tiefstem Herzen gekommen. Des hat des Madl net nur so daher geredet!

»Willst mir erzählen, was du denken tust, Karoline?«

»Ach, das ist nicht so einfach. Ich denke viel. Ich denke an daheim. Ich denke an…« Sie mache eine Pause. »Doch das sind zwei verschiedene Sachen.«

»Wie geht es denn dem… Wie heißt er noch gleich? Der junge Bursche, der im letzten Jahr auch mal mit dir hier war?«

»Du meinst Pascal Hubschmidt!«

»Genau! Was macht er? Seid ihr noch zusammen?«

Karoline seufzte tief.

»Zusammen? Ja, wenn ich das nur wüßte.«

Meta Baumberger schob den Topf zur Seite.

»Des mußt du mir jetzt aber näher erklären. Des verstehe wer will! Ich net!«

Meta Baumberger tat verwundert. Es war aber nur eine List, Karoline zum Erzählen zu bewegen.

»Weißt, Meta! Ich dachte immer, Pascal sei derjenige welcher! Du weißt schon. Alles war irgendwie klar. Du verstehst?«

Meta kannte Karolines Familiengeschichten und alle Hintergründe. Sie nickte Karoline zu und ließ sie weiterreden.

»Doch ich vermisse bei Pascal etwas. Ich dachte, so etwas gibt es nicht. Doch jetzt weiß ich, mein Gefühl und meine Sehnsucht danach haben mich nicht getäuscht.«

Karoline trank einen Schluck Kaffee.

»Meta, sag mal! Du mußt es doch wissen! Ich muß dich fragen, weil ich sonst niemanden fragen kann. Damit meine ich zum Beispiel meine Mutter! Gibt es so etwas wie die Liebe auf den ersten Blick? Ein junger Mann sieht eine junge Frau und die junge Frau schaut den jungen Mann an.

Ein kurzer Blick genügt. Ein Blickkontakt im Vorübergehen, zum Beispiel auf der Straße, an der Ampel… sehen und dann spüren, daß… Jedenfalls ist danach alles anders.«

Meta lächelte Karoline an.

»Mei, Madl! Des hast schon richtig erkannt. Des ist dann Liebe, denk’ ich. Willst mir damit sagen, daß des mit deinem Pascal net so ist? Es niemals so war, oder?«

»Nein! Mit Pascal war es niemals so. Ich vermißte etwas, ohne daß ich genau sagen konnte, was es war. Ich weiß nur, tief in meinem Herzen war eine Sehnsucht. Ich wartete auf etwas. Ich suchte nach etwas. Ich konnte es nicht genau benennen. Aber jetzt habe ich da jemanden gesehen… Jetzt bin ich mir sicher, daß es mit mir und dem Pascal nicht so ist, wie es sein soll. Damit will ich gegen Pascal nichts Schlechtes sagen. Nur… es tut nicht prickeln! Ich habe keine Herzklopfen in seiner Nähe. Genaugenommen…«

Karoline schaute in ihren Kaffee.

»Genaugenommen sehne ich mich nicht nach Pascal. Ist das schlimm? Ist es vermessen, wenn ich mehr will als ein geordnetes Zusammensein, kultiviert, geplant und ausgewogen? Fast bin ich geneigt zu fragen, ob es eine Sünde ist, mehr zu wollen. Alle daheim versuchen, mir ein schlechtes Gewissen zu machen.«

»Naa, Madl! Des ist net schlimm. Es muß prickeln. Des Herz muß dir klopfen, daß du denkst, gleich platzt des Mieder. Des Blut muß dir die Wangen rot färben. Jede Minute, die du net bei deinem Liebsten bist, muß dir unerträglich erscheinen. Dann ist es Liebe, die wahre, die einzige Liebe! Die wirklich große Liebe! Ist es so bei deinem Pascal?«

Karoline schüttelte den Kopf.

»So ist es auf keinen Fall! So war es noch nie!« seufzte Karoline tief.

»Mei, mein liebes Madl, des ist aber net schön! Da hast mein ganzes Mitleid.«

Meta Baumberger sah Karoline an.

»Willst deshalb am liebsten für immer in Waldkogel bleiben?«

»O ja, das wäre ein Traum. Hier fühle ich mich so frei. Es kommt mir vor, als wäre alles heiter und sonnig, sogar mitten in der Nacht oder im Regen. Ich bin hier so glücklich. Alles kommt mir so einfach, so ehrlich vor.«

Meta Baumberger lächelte gütig.

»Madl! Madl! Wir haben den ›Engelssteig‹ und des ›Höllentor‹. Was ich damit sagen will, des ist, daß jeder hier auch schon mal Kummer und Leid erfahren mußte. Des gibt es net im Jahresablauf und net im

Leben: dreihundertfünfundsechzig Tage Sonnenschein. Dann würde nix wachsen und nix gedeihen. Der Regen und der Schnee, die Kälte, des wird auch gebraucht. Um so mehr freut sich jeder, wenn die Sonne wieder scheint. Doch in einer Beziehung, da stimme ich dir zu: Die Leut’ hier in unserem schönen Waldkogel, die tragen die Sonne im Herzen mit sich, jeden Tag, jede Stunde. Damit auch in die dunkelsten Stunden ein Sonnenstrahl fallen kann.«

»Das hast du schön gesagt, Meta! Das ist es doch, warum ich hier so glücklich bin.«

Meta schob den Topf wieder auf die Flamme. Sie rührte den Eintopf um.

»So, dann hast schon einmal einem jungen Burschen in die Augen geschaut, so direkt, daß dir war, als hüpfe dein Herz. Und dieser Bursche, des ist aber net der Pascal. Jetzt hast etwas zum Nachdenken, richtig?«

»Genau so!«

»Dann erzähle mir von ihm.«

»Das ist es doch! Ich weiß nichts. Nur, daß er gut aussieht, wundervolles blondes Haar hat. Braungebrannt ist er, nicht so wie der Pascal, der immer ins Sonnenstudio rennt. Nein, der junge Mann ist richtig braun. Wunderbare Augen hat er und breite Schultern. Mehr weiß ich nicht. Ich kenne seinen Namen nicht und habe nicht mit ihm gesprochen. Ich weiß nicht, wo er wohnt, was er tut. Wie kann ich ihn nur finden? Weißt, ich bin ihm vorhin auf dem Weg hierher vor der Kirche begegnet. Meta, das muß doch etwas bedeuten, glaubst du nicht auch?«

Meta Baumberger überlegte. Es gab einige junge hellblonde Burschen in Waldkogel.

»Ich denke nicht, daß er aus Waldkogel ist, Meta!« erzählte Karoline weiter. »Da hätte ich ihn schon einmal gesehen. Zum Beispiel im letzten Jahr auf der Kirchweih. So ein Mann wäre mir aufgefallen. Wenn er Tourist ist, dann finde ich ihn nie wieder.«

»Des heißt, du willst ihn suchen?«

»Ja, warum nicht? Ich bin auch zu blöd, Meta! Ich bin weggelaufen. Ich war so überwältigt, daß ich davongerannt bin. Ich habe mich in der Kirche versteckt.«

»Mei, Madl! Dich hat es ja ganz schön erwischt. Du bist in den unbekannten Burschen verliebt. Ja mei, was kann man denn da machen?«

Meta Baumberger dachte nach. Im Augenblick fiel ihr nichts ein. So versuchte sie Karoline zu trösten.

»Wenn die Liebe euch zusammenführen will, dann tut sie des! Wenn net, dann hast jetzt einen Vorgeschmack auf die wirkliche Liebe bekommen. Jetzt mußt du nur entscheiden. Da gibt’s Fragen, die du dir stellen mußt und auch beantworten: Tust du den Pascal vergessen? Willst du auf die Liebe, die richtige Liebe warten? Oder bist du mit dem zufrieden, was du hast, Madl?«

»Ja, Meta! Nur, im Augenblick weiß ich nichts mehr. Ich wünsche ihn nur wiederzusehen! Es dreht sich alles in meinem Kopf. Mein Herz schlägt wie nach einem Marathonlauf oder noch schlimmer, ver­stehst?«

»Dann bist du verliebt! So viel steht fest! Also, dann mache ich dir einen Vorschlag: Bleibe doch einige Tage hier bei uns. Geh spazieren! Vielleicht siehst du ihn ja noch einmal.«

»Das ist eine gute Idee, Meta! Dir fällt nicht ein, wer es sein könnte?«

Meta Baumberger schmunzelte und schüttelte den Kopf.

»Naa, Madl! Mir fällt nix ein! Aber ich sage dir jetzt etwas. Jetzt tust erst mal schön essen, dann machst du einen schönen Spaziergang. Ich werde mal genau darüber nachdenken und auch mit meinem Xaver darüber

reden. Vielleicht fällt ihm jemand ein.«

Meta Baumberger holte einen Suppenteller und gab Karoline eine Portion von dem Gemüseeintopf mit Hühnerstückchen. Erst beim Essen bemerkte Karoline, wie hungrig sie war.

Nachdem Karoline ihren Rucksack nach oben gebracht hatte, machte sie sich etwas frisch. Dann ging sie spazieren.

Sie lief zum Bergsee und setzte sich ans Ufer.

Die Sonne versank langsam hinter den Bergen. Die Gipfel leuchteten rosa bis glutrot und spiegelten sich auf der Wasseroberfläche des Berg-sees.

Es ist hier wie im Paradies, dachte Karoline. Und der Mann, der mir gefällt, den habe ich heute auch noch gesehen.

Karoline schaute hinauf zum Gipfel des »Engelssteigs« und redete stumm mit den Himmelsboten.

Hört ihr Engel dort oben, ich bin wieder in Waldkogel, ich bin es, die Karoline. Nächste Woche klettere ich rauf zu euch auf den Gipfel. Jetzt will ich erst mal versuchen, den jungen Mann zu finden – also den Burschen, wie man hier in den Bergen sagen tut. Ihr kennt ihn. Könnt ihr ihn mir nicht noch einmal über den Weg schicken? Er ist so wunderbar. Er ist so ganz anders als Pascal! Danke, daß ihr ihn mir gezeigt habt. Aber das genügt mir nicht. Ich will ihn haben, wenn er noch frei ist. Und das ist er doch, oder? Also, ihr Engel dort oben, ich habe so ein wunderbares Gefühl in meinem Herzen, wenn ich an ihn denke. Bitte, bitte laßt mich ihn wiederfinden.

Die Sonne versank ganz hinter den Bergen. Die Nacht schob sich westwärts über das Tal. Der Vollmond stand inmitten des Sternenhimmels. Karoline legte sich auf den Rücken ins Gras. Sie verschränkte die Arme unter dem Kopf und sah hinauf in die Unendlichkeit des Himmels. Dabei dachte sie nur an den jungen Burschen. Sie wünschte sich, er wäre bei ihr. Sie wünschte sich, zusammen mit ihm in die Sterne zu schauen.

So verbrachte Karoline die nächsten Stunden mit Träumen. Sie träumte von der Liebe. Sie träumte davon, wie es sein würde, wenn er aus Waldkogel wäre. Sie versuchte sich auszumalen, wie er auf einem Hof lebte und wie es für sie sein würde, dort als Jungbäuerin an seiner Seite zu sein.

Karoline lächelte vor sich hin. Als Kind habe ich geträumt, wie es sein würde Prinzessin zu sein. Jetzt träume ich davon, die Braut an der Seite meines Traumprinzen zu sein.

Ach, seufzte Karoline. Wenn kein Wunder geschieht, wird mein Traum genauso unerfüllt bleiben wie meine Kleinmädchenträume. Doch eines wußte Karoline, sie wollte nicht weiter so leben, wie es ihr angeblich vorbestimmt war. Sie konnte sich plötzlich nicht mehr vorstellen, weiterhin mit Pascal zusammen zu sein. Das Leben, das sie an Pascals Seite erwartete, war nicht das, das sie sich wünschte. Das spürte Karoline in ihrem Herzen.

Die Turmuhr der schönen Barockkirche von Waldkogel schlug schon Mitternacht, als Karoline langsam zu den Baumbergers zurückging.

Es waren nur noch wenige Gäste in der Wirtsstube. Karoline grüßte und lächelte Meta und Xaver Baumberger zu. Sie ging gleich die Treppe hinauf in ihr Zimmer.

*

Zur gleichen Zeit saßen Karolines Eltern mit Pascal zusammen. Bei jedem Geräusch eines Autos rannte Agathe Bergmann zum Fenster oder hinaus auf die Terrasse.

»Agathe, bleib sitzen! Deine Nervosität und Unruhe sind sinnlos. Karoline ist in den Bergen, das hat sie deutlich geschrieben.«

»Das weiß ich, Berthold. Doch warum ist sie erstens einfach davongefahren, ohne sich zu verabschieden. Zweitens, warum hat sie sich nicht einmal von Pascal verabschiedet? Karoline wird immer seltsamer! Berthold, ich weiß mir keinen Rat mehr. Sie ist einfach unberechenbar. Und diese Begeisterung für die Berge? Unmöglich! Dort ist alles so einfach, sagt sie immer. Daß sie sich dort wohlfühlt, ist mir völlig unverständlich. Es war ein Fehler, sie damals mit der Schulklasse in die Berge fahren zu lassen. Bei dem Schulgeld hätte man erwarten können, daß sie mit den Schülern einen kultivierteren Ort aufsuchen als ausgerechnet dieses Waldkogel.«

»Du wiederholst dich, Agathe!«

Draußen war wieder ein vorbeifahrendes Auto zu hören.

»Bleib sitzen, Agathe! Karoline ist in den Bergen. Sie wird nicht vorfahren. Ende!«

Doktor Berthold Bergmann hob seine Augenbrauen und legte seine Stirn in Falten. Er schaute Pascal Hubschmidt an. Der junge Mann wirkte verlegen.

»Es tut mir leid, daß ich mit meinem Besuch Mißstimmung ausgelöst habe«, sagte er leise. »Wenn ich gewußt hätte, daß Karoline verreist ist, wäre ich nicht gekommen.«

»Das wissen wir doch, Pascal. Außerdem bist du uns immer willkommen, Junge! Mir ist Karolines Verhalten auch nicht verständlich. Wir – und auch du, Pascal – wir müssen alle ein ernstes Wort mit Karoline sprechen, wenn sie zurückkommt.«

»Ganz richtig, Berthold! Endlich nimmst du Vernunft an. Es ist völlig stillos, wie sich Karoline benimmt. Ich schäme mich so vor deinen Eltern, Pascal. Was müssen Sie jetzt von uns denken?« jammerte Karolines Mutter.

»Darüber müssen Sie sich keine Sorgen machen, Frau Bergmann. Noch wissen meine Eltern nichts. Ich werde ihnen…« Pascal lächelte. »Nun, ich werde meinen Eltern die Wahrheit etwas umschreiben. Ich kann es so darstellen, daß Karoline mit meinem Einverständnis einen Urlaub in Waldkogel macht. Außerdem ist es wirklich so, daß ich ihr dazu geraten hätte, wenn ich daran gedacht hätte. Karoline ist etwas durcheinander. Das ist nur verständlich, jetzt nach dem Abitur. So geht es vielen, bei mir war es nach dem Abitur auch so. Deshalb schlage ich vor, wir tun so, als wäre Karoline nicht heimlich und ohne Abschied abgefahren. Wir tun so, als sei es meine Idee gewesen. Das ist am Glaubhaftesten, denke ich. Sonst könnte der Umstand ihrer Abwesenheit vielleicht zu einem kleinen Skandal ausarten, zumindest zu Gerüchten führen. Das sollte unter allen Umständen vermieden werden, denke ich, nicht wahr?«

»Du bist ein weitblickender und sehr großzügiger junger Mann, Pascal. Karoline sollte sich glücklich schätzen, dich zu bekommen. Du weißt immer, was zu tun ist. Deshalb ist uns auch nicht bange, wenn Karoline jetzt in die Großstadt an die Universität zum Studium geht. Du wirst schon auf sie aufpassen, Pascal.«

»Das werde ich mit Sicherheit! Aber ich denke, daß Ihre Sorgen völlig unnötig sind, Herr Bergmann. Karoline weiß, was sie tut. Sie macht sich über alles und jedes Gedanken. Deshalb finde ich es gut, wenn sie einige Tage in die Berge fährt.« Pas-

cal trank einen Schluck Cognac. »Außerdem ist Waldkogel nicht so übel. Davon habe ich mich im letzten Jahr überzeugen können. Das gemeinsame lange Wochenende mit Karoline in Waldkogel war richtig nett. Ich gebe zu, daß es kein Luxu­s­ort ist. Es ist ein wunderbares Bergdorf mit einem ganz eigenen Reiz. Es ist vielleicht gerade diese bodenständige Schlichtheit, die Karoline so gefällt. Wenn es einen Ort gibt, an dem sie Ruhe finden kann, dann ist es Waldkogel. Davon bin ich überzeugt.«

Karolines Mutter lobte Pascal über alle Maßen für das Verständnis, das er aufbrachte. Sie schlug vor, daß er zu Karoline nach Waldkogel fahren solle. Er überlegte. Doch dann entschied er, daß er Karoline nicht sofort besuchen wollte.

»Vielleicht gegen Ende der nächsten Woche, wenn sie dann noch nicht zurück ist. Ich hoffe, daß sich Karoline bis dorthin bei mir meldet.«

»Das hoffe ich auch! Das ist doch das mindeste, was du erwarten kannst. Pascal, ich kann dir gar nicht sagen, wie betrübt ich über das Verhalten meiner Tochter bin. Wie mußt du sie lieben, daß du so verständnisvoll bist!« sagte Agathe.

»Liebe, das ist das Stichwort!« unterbrach Berthold seine Frau. »Wie steht es, hast du dir schon Gedanken gemacht, Pascal? Ich meine in bezug auf die Verlobung, da ihr ja zusammenzieht.«

»Ja, das habe ich! Darüber wollte ich heute mit Karoline sprechen. Es geht nicht nur darum, was ich will. Karoline muß es auch wollen.«

»Sicher will sie! Wie kannst du das in Frage stellen?« bemerkte Karolines Vater. »Wir haben so oft darüber geredet, wie das in der Zukunft werden soll. Außerdem hat Karoline sich nie für einen anderen jungen Mann interessiert. Du, mein lieber Pascal, bist derjenige, dem sie ihre Hand geben will. Da sind Agathe und ich uns ganz sicher.«

»Ich bin es auch! Es ist einfach ideal. Wir sind das ideale Paar!«

»Ja, das seid ihr! Beide stammt ihr aus guter Familie, habt fast die gleichen beruflichen Interessen und Ziele.«

»Und die Familien sind noch miteinander befreundet, Berthold. Das darfst du nicht vergessen«, ergänzte Agathe.

»Richtig!«

Berthold trank einen Schluck Cognac. Er schaute Pascal an.

»Pascal, hast du schon einmal daran gedacht, daß ihr vielleicht schon eher heiraten könntet? Damit meine ich schon bald, also noch während eures Studiums.«

»Nein! Nein, wenn ich ehrlich sein soll.«

Pascal Hubschmidt war jetzt doch überrascht.

»Klingt, als sollte ich Karoline sobald wie möglich an die Kette legen?« lachte er.

»Ganz so meine ich das nicht. Aber sie braucht einen starken Mann an ihrer Seite, denken wir. Jemand, der sie versteht und dem sie vertraut. Es heißt ja, daß Mädchen früher reifen als Jungen. Sie entwickeln sich schneller. Früher haben die Mädchen geheiratet, da waren sie noch sehr viel jünger als Karoline heute. Aber heute machen sie erst ihre Schule und Ausbildung, dann kommt die berufliche Bewährung. Das dauert alles sehr lange. Oft habe ich meine Zweifel, ob das richtig ist. Also, mein lieber Pascal, was ich damit sagen will, ist, wenn du und Karoline euch einig seid, dann legen wir kein Veto ein. Vielleicht wäre es wirklich sehr gut für Karoline, wenn sie bald deine Frau werden würde. Du machst bald deine Zwischenprüfung, bist ohnehin oft bei mir in der Apotheke. Was liegt also näher, als die Bande zwischen den Familien schneller enger zu knüpfen, als ursprünglich geplant?«

Pascal errötete.

»Ist es dir peinlich, daß ich so offen mit dir spreche?«

»Nein!«

Pascal trank sein Glas aus. Berthold schenkte ihm nach. Während Pascal den edlen Cognac in seinem Glas schwenkte, dachte er nach.

»Gut! Machen wir es so! Ich werde in zwei Wochen Karoline in Waldkogel aufsuchen. Ich hoffe, sie hat sich dann schon von dem Streß der letzten Wochen und der Anspannung der Prüfung erholt. Ich werde mit ihr reden. Wenn sie zustimmt, dann verloben wir uns in Waldkogel. Statt der geplanten Verlobung vor Semesterbeginn und dem Einzug in unsere gemeinsame Wohnung, werden wir heiraten. Es stimmt, Herr Bergmann! Warum noch Jahre warten? Karoline und ich, wir gehören zusammen!«

»Das ist doch ein Wort, Pascal!«

Doktor Berthold Bergmann hob sein Glas und trank Pascal zu. Agathe nippte an ihrem Portwein.

Dann saßen die drei noch eine Weile zusammen. Pascal fühlte sich in der Familie herzlich aufgenommen. Sie besprachen offen die Einzelheiten der Hochzeit. Die Bergmanns tasteten sich langsam vor. Sie wollten Pascal auch nicht vor den Kopf stoßen. Lange redeten sie um die Angelegenheit herum. Doch Pascal begriff gleich, was ihnen auf dem Herzen lag.

»Sie wollen wissen, ob es mir etwas ausmacht, wenn ich mich nach der Hochzeit ›Bergmann‹ nenne? Ist es das?«

»Ja!«

Pascal hatte Verständnis. Seit vielen Generationen war die Apotheke immer an den ältesten Sohn oder Neffen gegangen. Der Name Bergmann war tief mit der Geschichte der Apotheke verknüpft. So war es nur verständlich, daß die Bergmanns von dem neuen Namensrecht Gebrauch machen wollten.

»Also, ich bin damit einverstanden! Natürlich werde ich auch das mit Karoline bereden. Aber bitte überlassen Sie es mir! Ich finde bei Karoline bestimmt die richtigen

Worte. Es wird vielleicht ein klein wenig Überredungskunst notwendig sein.«

Die Uhr zeigte schon nach zwei Uhr nachts an. Es wurde höchste Zeit, ins Bett zu gehen. Pascal verabschiedete sich. Die Bergmanns brachten ihren zukünftigen Schwiegersohn an die Tür.

Doktor Berthold Bergmann legte den Arm um seine Frau:

»Siehst du, Agathe! Alles wird gut werden! Pascal ist ein wunderbarer junger Mann.«

Arm in Arm ging das Ehepaar gemeinsam die Treppe hinauf in das Schlafzimmer. Die Nacht würde kurz sein, aber sie hatten viel erreicht. Glücklich, die Zukunft so schön geordnet zu haben, schliefen sie ein.

*

Karoline blieb einige Tage bei Tonis Eltern in der Pension wohnen. Sie machte lange Spaziergänge. Unentwegt hoffte sie dem jungen Burschen zu begegnen. Aber sie sah ihn nicht. Meta und Xaver nannten Karoline auch die Namen von Bauernhöfen, deren Jungbauern blonde Haare hatten. Es waren nicht viele. Karoline spionierte diese Höfe richtig aus. Sie wartete die Zeit des Mittagessens ab, wenn alle am Tisch saßen. Dann klopfte sie an und bat, ihre Wasserflasche auffüllen zur dürfen. Meistens wurde die Wanderin zum Abendessen eingeladen. Dabei machte ihr so mancher Hoferbe schöne Augen. Karoline war wirklich hübsch und hatte ein angenehmes Wesen. Die meisten jungen Burschen versuchten, sich mit Karoline zu verabreden. Sie lehnte jedesmal höflich, aber bestimmt ab. Wenn die Burschen gar zu hartnäckig waren, erwähnte sie schon einmal, daß es daheim einen jungen angehenden Apotheker gebe.

»Meta, es hat keinen Zweck, daß ich noch länger hier bleibe. Ich wandere morgen rauf zur Berghütte«, verkündete Karoline eines Abends.

»Des ist eine gute Idee! Vielleicht findest du ihn dort oben, deinen Herzensburschen«, bemerkte Xaver Baumberger.

»Ja, des ist vielleicht eine Möglichkeit«, stimmte Meta zu.

Es war sehr früh am Morgen, als sich Karoline von Meta und Xaver Baumberger verabschiedete.

»Ich wünsche dir, daß du ihn findest, Karoline. Gib die Hoffnung net auf!«

»Das hast du schön gesagt, Meta. Nein, ich gebe die Hoffnung nicht auf.«

Karoline ließ ihren Sportwagen in der Scheune der Baumbergers stehen. Sie wanderte zu Fuß hinauf zur Oberländer Alm. Dunst lag noch über den Wiesen. Das Gras war feucht vom Tau. Die Sonne stand noch tief über den Bergen. Der Himmel war wolkenlos.

Karoline ließ sich Zeit. Sie legte einige Pausen ein. Sie betrachtete die schöne Landschaft, beobachtete die Kühe auf der Weide mit ihren kleinen Kälbern. Frieden legte sich über ihr Herz. Solche Ruhe und diesen tiefen inneren Frieden verspürte Karoline nur in den Bergen.

Hier gibt es nur den Rhythmus der Natur, dachte sie. Alle Menschen und alle Tiere, eine jegliche Kreatur ordnet sich unter. Seit Tausenden von Jahren wiederholt sich alles. Auch wenn es immer Modernisierungen gibt, so bleibt das Grundmuster doch erhalten. Es ist gut, daß es moderne Gerätschaften gibt, die den Menschen die schwere Arbeit erleichtern, dachte Karoline. Aber der Einzug der Technik hat die Menschen hier in den Bergen nicht sehr verändert, stellte Karoline fest. Die Ehrfurcht vor Gottes Schöpfung ist geblieben. Mit ihr war eine Demut verbunden, die Karoline gefiel.

Die junge Frau erinnerte sich an einen Satz, den Meta Baumberger ihr einmal gesagt hatte. Das war damals, als Karoline Tonis Mutter zum ersten Mal ihr Herz ausgeschüttet hatte. Damals hatte sie von ihren Eltern, den Plänen, die sie mit ihr hatten, von der Familie Hubschmidt und Pascal erzählt. Meta hatte sich alles ruhig angehört.

»Der Mensch denkt und Gott lenkt!« hatte Meta damals gesagt.

Sie hatte Karoline erzählt, wie viele Sorgen Xaver und sie sich über Toni gemacht hatten. Er hatte die Berghütte bewirtschaften wollen. Doch die Berghütte konnte nur von einem Ehepaar übernommen werden. Dann hatte die Liebe Toni die Dorothea Annabelle, eine junge Bankerin aus dem fernen Hamburg, über den Weg geschickt. Toni nannte sie Anna. Binnen weniger Wochen waren sie ein Ehepaar geworden und bewirtschafteten jetzt gemeinsam die abgelegene Berghütte, zu der keine Straße hinaufführte.

Karoline lächelte still, als sie daran dachte. Mit Anna verband Karoline eine herzliche Freundschaft. Anna spielte gegenüber Karoline die Rolle der älteren Schwester. Karoline, die ein Einzelkind war, gefiel das sehr. Sie schätzte an Anna die Ehrlichkeit und ihre Aufrichtigkeit. Wenn sie es geschafft hat, ihr Glück in den Bergen zu finden, dann finde ich es vielleicht auch. Da stehen die Chancen bei mir noch besser als damals bei Anna, überlegte Karoline. Ich liebe die Berge! Anna mußte sich in die Berge und in Toni verlieben. Wenn die Liebe dieses Wunder vollbringen konnte, dann macht die Liebe alles möglich.

Karoline atmete tief durch. Alles wird gut werden. Das fühlte sie in ihrem Herzen. Ich werde glücklich werden. Wohin mein Weg mich führt, das weiß ich noch nicht. Doch ich vertraue auf die Liebe.

Und wieder sah Karoline den jungen Mann vor sich, der ihr vor der Kirche begegnet war. Nichts geschieht sinnlos, dachte Karoline. Sie sollte spüren, wie es ist, wenn die Liebe plötzlich das Herz erfüllt. Alle Sehnsucht, alle Suche nach dem unbekannten Gefühl waren vorbei. Ich bin der Liebe begegnet, der wahren Liebe! Für einen Augenblick wurde sie mir gezeigt. Wie schön das war! Jetzt weiß ich, was Liebe ist. Sie ist schlicht und rein, ohne Pläne und totaler Festlegung der Zukunft bis in alle Einzelheiten.

Karoline dachte nach. Vielleicht lag Meta Baumberger nicht so falsch. Vielleicht werde ich den jungen Burschen mit den blonden Haaren nie wiedersehen. Dann kann ich nichts machen. Aber ich will für immer dankbar sein, daß ich diesen Augenblick erleben durfte. Es war, als hätten mir Engel die Tür zum Paradies geöffnet. Aus dem Türspalt fiel das Licht der Liebe heraus. Ich weiß jetzt, wie es sein soll, sein muß. Ich will Liebe, nur Liebe!

Frohen Herzens wanderte Karoline weiter. Sie hielt sich auf der Oberländer Alm nicht lange auf. Nach einer kurzen Rast schlug sie den Bergpfad hinauf zur Berghütte ein. Unterwegs kamen ihr einige Wanderer entgegen. Jeden sah sich Karoline genau an. Ihr Bursche, den sie suchte, war nicht dabei.

Karoline ließ sich viel Zeit. So erreichte sie gegen Mittag die Berghütte. Sie war voller Gäste. Toni und Anna servierten das Mittagessen. Der alte Alois saß auf einem Stuhl hinter dem Tresen und zapfte die Biere.

Sie begrüßten sich herzlich. Toni zeigte Karoline ihre Kammer. Seine Eltern hatten angerufen und Karolines Besuch angekündigt.

»So, in einer Stunde wird’s hier ruhiger. Dann haben die Anna und ich auch Zeit für ein Schwätzchen.«

»Das verstehe ich doch!«

Statt sich auf die Terrasse zu setzen, machte sich Karoline frisch und ging in die Küche der Berghütte. Wortlos nahm sie eine der Schürzen vom Haken und band sie sich um. Sie lächelte Anna zu:

»Sag nichts, Anna! Ich weiß selbst, daß ich Urlaub mache. Aber du weißt, wie sehr mir auch ein Leben hier gefallen würde. Also, es ist die pure Erholung für mich, wenn ich dir zur Hand gehen kann. Was kann ich tun?«

Anna bat Karoline, Kartoffeln zu schälen. Karoline wußte Bescheid. Normalerweise schälten Anna und Toni nach dem Mittagessen die Kartoffeln für den Abend.

»Das mache ich doch gern. Dabei kann ich auch nicht viel falsch machen. Du weißt, daß meine Kochkenntnisse doch eher bescheiden sind.«

»Das ist doch nicht schlimm. Glaubst du, ich konnte so gut kochen, bevor ich an Tonis Seite zur Hüttenwirtin wurde? Statt mit Kochtöpfen und Pfannen jonglierte ich mit Aktienpaketen.«

»Da kann auch etwas anbrennen oder verderben!« bemerkte Karoline.

Die beiden Frauen lachten herzlich.

Es dauerte dann wirklich noch ungefähr eine Stunde, bis es wieder ruhiger wurde. Die meisten Hüttengäste waren weitergewandert. Einige wenige saßen auf der Terrasse der Berghütte und sonnten sich. Anna und Toni setzten sich mit Karoline zusammen an den Küchentisch. Sie plauderten.

»Wie lange willst du bleiben?« fragte Toni.

»Am liebsten für immer! Das Leben in Waldkogel, inmitten der Berge ist so wunderbar. Ich fühle mich hier so glücklich. So glücklich, daß ich nie – nie mehr fortmöchte. Jetzt lacht nicht über mich! Aber auf dem Weg hier herauf, dachte ich, daß das Leben, das Schicksal – wer oder was auch immer – einen Fehler begangen hat. Ich bin falsch ausgeliefert worden! Ich gehöre nicht in die Stadt. Ich gehöre in die Berge. Das fühle ich hier drinnen.«

Toni und Anna lächelten Karoline an.

»Klingt verrückt, wie?« Karoline lachte laut. »Oder, wie ihr hier in den Bergen sagt: Des ist narrisch! Aber der Gedanke war plötzlich da. Wie kann das kommen, daß man sofort weiß, daß dies der Ort ist, der einen so glücklich macht? Ich fühle es hier drinnen!«

Karoline legte die Hand auf ihre Brust.

Anna sah sie voller Güte und Zustimmung an.

»Ich verstehe dich! Ich kann es nachempfinden. Als ich damals zum ersten Mal mit Toni und Bello in den Bergen wanderte, da ergriff mich dieses Gefühl. Im Anfang wehrte ich mich noch dagegen. Doch schon auf dem Heimweg wußte ich, daß ich hierher gehöre. Die Berge, das war der Ort, die Heimat, die ich – vielleicht unbewußt – immer gesucht hatte. Da war ein Gefühl, daß ich angekommen bin, heimgekommen bin.«

»Dann hast ein bissel Schicksal gespielt, daß ich – daß wir – zu unserer Berghütte gekommen sind.«

Toni nahm Anna in den Arm und küßte sie.

»Bist schon ein liebes Madl, du Flachlandindianerin!«

Anna lachte. Sie wußte, daß Tonis Bemerkung, sie sei eine Flachlandindianerin, eine Liebeserklärung war.

»Ach, ich möchte auch einmal so glücklich sein wie ihr!« seufzte Karoline.

»Des wird schon, Madl! Oft sind dazu einige Umwege nötig. Du weißt ja, daß mich das Schicksal nach Norwegen geschickt hat, damit ich auf dem Heimweg im Zug meine Anna treffe. Dich hat es nach Waldkogel geschickt und dir einen blonden Burschen begegnen lassen!«

»Oh, die Meta hat geplaudert!« rief Karoline laut.

»Es bleibt aber in der Familie!« tröstete Anna sofort. »Sie hat sich nur erkundigt, ob sich bei uns ein junger Bursche einquartiert hat, der ganz hellblondes Haar hat.«

Toni schüttelte den Kopf.

»Die Anna und ich, wir haben die Tage schon überlegt, wer des sein könnte. Aber uns ist niemand eingefallen. Es muß also ein Tourist gewesen sein.«

»Dann sehe ich ihn wahrscheinlich nie mehr wieder!« seufzte Karoline.

»Naa! So darfst net denken, Madl! Wenn ihr füreinander bestimmt seid, dann kommt ihr auch zusammen. Des ist so! Des war bei mir und meiner lieben Anna auch so gewesen. Wie lange willst du also bleiben? Die Frage hast du noch net beantwortet.«

Karoline erzählte, daß sie bis zum Wintersemester im Herbst Zeit hatte. Sie gestand, daß sie von Zuhause ohne Abschied abgereist sei. Sie sprach von ihren Ängsten. Sie redete davon, daß sie erst einmal herausfinden wollte, was sie selbst wollte.

»Auf der einen Seite sind die Wünsche, die wohl jeder hat. Auf der anderen Seite der Münze ist die Wirklichkeit. Mußt fest daran glauben, daß die beiden Seiten verschmelzen können, Karoline. Bist auf dem besten Weg dazu«, bemerkte der alte Alois, der sich dazugesetzt hatte. »Als erstes ist es nur wichtig, wo du leben willst. Der Herrgott hat dem Menschen nur ein Leben geschenkt. Er läßt dir auch die Wahl, wo du leben willst, Karoline. Willst für immer in den Bergen bleiben? Oder willst irgendwann wieder heim? Du mußt darauf hören, was dir dein Herz sagen tut. Weißt, Madl, des Herz, des sagt dir genau, wo und wie du glücklich bist. Dann mußt du nur noch den Mut aufbringen, auch danach zu handeln!«

Toni und Anna nickten dem alten Alois zu.

»Jetzt bleibst erst mal einige Wochen. Dann wirst schon wissen, was zu tun ist«, riet ihr Toni.

»Gehe in die Berge! Setze dich hin und lausche auf die Stimme deines Herzens. Mehr kann ich dir net sagen und niemand sonst auch net.«

Toni hätte sich noch gern weiter mit Karoline unterhalten. Aber es kamen neue Hüttengäste an, um die er sich kümmern mußte. Karoline ging mit Anna in die Küche.

*

Der Tisch im Altenteil oder Austragshäuserl, wie man in den Bergen sagte, war nur für zwei gedeckt. Wilhelm Straubinger wusch sich die Hände und setzte sich. Seine Frau Traudel stellte das Essen auf den Tisch. Der Altbauer sprach das Tischgebet. Sie aßen.

»Traudel, weißt du, was mit dem Gustl los ist? Er ist abends kaum noch daheim. Warum ist der immer im Wirtshaus? Außerdem hab’ ich festgestellt, daß er jeden Tag mit dem Jeep alle Straßen von Waldkogel abfährt. Meinst, der Bub ist krank?«

»Willi, ich mache mir auch schon langsam Gedanken. Der Bursch’ ist sehr sonderbar in der letzten Zeit. Ich hab’ ihn schon gefragt, ob er einen Kummer hat. Doch da wäre nix, sagt er. Trotzdem muß den Bub was bedrücken.«

»Er war immer so fröhlich!«

»Genau des ist es, Willi! Vielleicht ist er bei uns auf dem Hof doch net so glücklich. Ich dachte mir schon, daß er vielleicht doch Heimweh hat.«

Wilhelm Straubinger schüttelte den Kopf.

»Naa, des denke ich net! Die Arbeit macht ihm Freud’. Er ist mit Leib und Seel’ Bauer. Außerdem ist es net weit bis Kirchwalden. Wenn er Heimweh hätte, könnte er schnell hinfahren. Dazu kommt, daß er ja andauernd nach Kirchwalden zum Einkaufen fährt. Da geht er bestimmt daheim vorbei. Naa, naa! Traudel, des kann’s net sein.«

Sie aßen weiter.

Durch die offenen Fenster schien die Abendsonne. Ein warmer Südwind wehte von den Bergen herab.

»Vielleicht steckt ein Madl dahinter?« bemerkte Traudel Straubinger.

Ihr Mann hielt im Essen inne. Er bekam große Augen.

»Meinst wirklich? Mei, des wäre eine Freud! Ein Madl! Dann bringt der Bub uns vielleicht bald eine Braut auf den Hof und sie werden Kinder haben. Des wäre schön. Dann könnten wir sicher sein, daß die Zukunft des Hofes gesichert ist.«

»Mache dir da net so viel Hoffnung, Willi. Es war nur eine Vermutung von mir. Erzählt hat der Bub nix. Bemerkt hab’ ich auch nix. Man sagt doch, daß junge Burschen, wenn sie verliebt sind, Flaschen von Rasierwasser verbrauchen.«

»Irgend etwas muß den Gustl aber beschäftigen, Traudel! An deinem Essen kann es net liegen. Du bist eine gute Köchin. Er nimmt sich immer eine zweite Portion, wenn er hier essen tut.«

»Mache dir mal net so viele Gedanken, Willi! Der Bub ist jung. Was soll er abends daheim machen? Des muß doch langweilig für ihn sein. Da triff er sich mit anderen Burschen in seinem Alter im Wirtshaus. Des mußt verstehen. Gehe doch auch mal wieder ein Bier trinken. Bist schon lange nimmer ›Beim Baumberger‹ gewesen, Willi.«

»Ich gehe ab und zu zum Stammtisch, des reicht!«

Sie waren mit dem Abendessen fertig. Traudel Straubinger räumte ab. Sie spülte schnell die beiden Teller und das Besteck. Dann setzte sie sich zu ihrem Mann auf die Bank auf dem Hof.

Wilhelm Straubinger rauchte seine Pfeife und Traudel strickte.

Zur gleichen Zeit fuhr ihr Neffe Gustl Straubinger mit dem Jeep die Straßen von Waldkogel entlang. Er schaute in die Höfe und beobachtete die Leute, die spazierengingen. Er fuhr bei den Baumbergers vorbei.

Was sah er da?

Gustl trat auf die Bremse. Infolge der Vollbremsung quietschten die Reifen.

Xaver Baumberger, der einen Korb über den Hof trug, schaute sich erschrocken um.

»Mei! Den scheint der Teufel geritten zu haben!« murmelte Xaver.

Der junge Mann ließ seinen Jeep mitten auf der Straße stehen. Er sprang heraus und kam auf Xaver Baumberger zu. Dabei starrte er in Richtung des offenen Scheunentors, streckte den Arm aus, deutete mit dem Finger und stieß aufgeregt hervor:

»Wem gehört des rote Auto in der Scheune? Der offene Sportwagen?«

Xaver Baumberger schaute den jungen Mann von oben bis unten an. Dann grinste Xaver.

»Warum willst des wissen? Hast schon mal was von Datenschutz gehört? Ich bin zwar nur ein einfacher Wirt, aber Auskünfte über Gäste, die bekommt nur, wer dafür wirklich gute Gründe vorweisen kann.«

Der Bursche fuhr sich mit beiden Händen durch das blonde Haar.

»Bist net aus Waldkogel, wie? Aber irgendwie kommst du mir trotzdem bekannt vor«, redete Xaver weiter.

»Mei, was soll ich da sagen?«

»Wie wäre es erst mal mit Grüß Gott?«

Gustl errötete.

»Ja, Grüß Gott! Mußt entschuldigen, Baumberger. Aber des rote Auto, des suche ich schon die zweite Woche. Ich hatte schon fast die Hoffnung aufgegeben, daß ich es finde. Ich hatte mir aber die Nummer notiert.«

»Klingt, als wolltest du amtlich was unternehmen?«

Gustl errötete wieder. Am liebsten hätte er geantwortet, daß er wohl was Amtliches unternehmen wollte mit der Fahrerin. Aber dabei würde es sich nicht um eine Anzeige handeln, sondern eine Amtshandlung, die zuerst der Bürgermeister und dann der Pfarrer zu vollziehen hätten. Doch das konnte Gustl net sagen.

»Ich hab’, also ich hab’ da etwas verloren. Des hat was mit einer jungen Dame zu tun. Ich vermute, daß des Madl die Besitzerin des Autos ist. Ich hab’ sie vor einigen Tagen getroffen. Da muß ich, da will ich, da hab’ ich etwas zu klären mit ihr. Das muß ich schon selbst machen.«

Aha, dachte Xaver Baumberger. Des scheint der junge Bursch mit den blonden Haaren zu sein. Er ließ sich aber nix anmerken.

»Du kennst mich? Hast mich mit Namen angesprochen! Deinen Namen hast aber immer noch net genannt.«

»Oh, da mußt entschuldigen, Baumberger. Ich bin so aufgeregt, daß ich des Auto gefunden hab’. Nur der Himmel weiß, wie verzweifelt ich gesucht habe! Ich wollte schon ein Detektivbüro beauftragen, die Besitzerin oder die Fahrerin des Autos ausfindig zu machen.«

»Dann muß es wirklich was sehr Ernstes sein!« bemerkte Xaver Baumberger und unterdrückte ein Schmunzeln. »Also, Bursche! Du hast mir jetzt ja schon eine Menge erzählt. Nur net, wer du bist!«

»Des kommt nur, weil ich so aufgeregt bin. Ich bin der Gustav Straubinger, der Gustl. Ich bin der Neffe vom alten Wilhelm Straubinger. Ich bin der älteste Bub von seinem Bruder. Der Onkel Willi und die Tante Traudel, die haben mir kürzlich den Straubinger Hof überschrieben, weil sie doch keine Kinder haben – also auch keine Erben.«

»Mei, jetzt weiß ich es wieder! Richtig, du bist der Gustl! Als Kind bist du oft hier gewesen. Hast oft mit der Ria gespielt, unserer Tochter. Ja, ich hab’ schon gehört, daß der Willi den Hof an einen seiner Neffen gegeben hat. Des freut mich für dich, Gustl. Wolltest ja schon immer Bauer werden.«

»Ja! Ich bin immer ein Landkind gewesen. Hab’ mich nie sonderlich wohlgefühlt in der Stadt. Der Vater freut sich auch, daß ich beim Onkel ein Nest gefunden hab’.«

»Wie geht es deinem Vater?«

»Dem geht es gut! Er ist glücklich in Kirchwalden. Er führt mit der Mutter das Geschäft für Haushaltswaren. Er ist glücklich und die Mutter auch. Die Großeltern helfen immer noch im Laden mit. Sie vergöttern meinen Vater, daß er in das Geschäft eingeheiratet hat. Einer meiner Brüder ist auch im Laden und wird des weitermachen. Ich gönne es ihm. Für mich ist des nix gewesen. Wenn ich morgens aufstehe, dann muß ich erst mal Stalluft schnuppern. Da komme ich mehr auf die Straubinger Großeltern raus. Ich bin in den Ferien und auch später im Urlaub immer bei Onkel Willi und Tante Traudel auf dem Straubinger Hof gewesen. Richtig alte Leute sind die ja noch net. Deshalb war ich sehr überrascht, als sie mich im Frühjahr gefragt hatten, ob ich Lust hätte, den Hof zu übernehmen. Sie haben ja leider keine Kinder.«

»Ja! Aber jetzt haben s’ dich!«

»Richtig! Sie sind auch glücklich drüber. Nun, gut! Verwöhnt haben mich die zwei immer schon, aber jetzt lesen sie mir jeden Wunsch von den Augen ab. Sie setzen auch viel Vertrauen in mich. Sie lassen mir wirklich freie Hand mit dem Hof. Oft ist es ja so, daß nach einer Hofübergabe an die nächste Generation die Alten immer reinreden. Des machen sie net. Auf der anderen Seite kann ich mir jeden Rat bei ihnen holen. Sie überlassen mir aber die Entscheidung. Die Tante kocht jeden Tag auf dem Altenteil und ich tue dann mitessen.«

»Dann war des wirklich eine Hofübergabe, wenn sie sogar aufs Altenteil gezogen sind.«

»Ja, des ist es gewesen. Mir war des net so recht. Des Austragshäuserl, wie man sagt, des ist ja so die letzte Station im Leben. Ich hoffe, daß es noch recht lange dauert, bis der Herrgott sie abruft und sie mit den Füßen zuerst rausgetragen werden, aus dem Austragshäuserl. Aber ich konnte sie net überreden, zusammen mit mir im großen Haus wohnen zu bleiben. Sie sind der Meinung, daß alles seine richtige Ordnung haben muß. Sie meinen, daß ich sonst net des Gefühl hätte, der Bauer zu sein. Doch ich habe in diesem Punkt nachgeben müssen. Ich hoffe, daß sie es sich vielleicht noch mal anders überlegen und wieder zu mir unter des große Dach ziehen. Es wäre mein Wunsch, wenn sie näher bei mir wären, den ganzen Tag, auch wenn nur der Hof zwischen uns liegt.«

»Der Toni hat deinen Onkel beim Angeln getroffen. Dem scheint das Rentnerdasein zu gefallen!«

Gustl lachte.

»Ja, das sagt er! Doch ich denke auch, daß es ein bissel langweilig ist. Er ist immer heilfroh, wenn ich ihn bitte, mir zu helfen.«

Xaver Baumberger rieb sich das Kinn.

»Also, Gustl! Willst mir nicht sagen, warum dich des rote Auto so interessiert? Vielleicht kann ich dir dann helfen.«

Gustl errötete. Er steckte die Hände in die Hosentaschen. Xaver Baumberger sah ihm seine Verlegenheit an. Gustl war ein feiner Kerl. Er war kein Draufgänger.

»Also, ich habe das Auto vor der Kirche gesehen – neulich. Da stieg ein junges Madl aus, ein fesches Madl. Es ist weniger des Auto, des mich interessieren tut. So ein Auto ist nix für die Berge. Da braucht man einen Jeep oder einen noch größeren Geländewagen.«

»Willst net endlich zur Sache kommen, Gustl?«

»Also, ich versuche des Madl wiederzufinden! Des war ein ganz fesches Madl. Es war net so, wie man es bei so einem Sportwagen erwartet. Es sah eher aus, als gehörte es in die Berge. So natürlich ist es gewesen. Ein ganz liebes Madl! Blondes schulterlanges Haar hat des Madl gehabt und wunderschöne blaue Augen. Es ist vor mir davongelaufen, hat sich in die Kirche geflüchtet! So denke ich jedenfalls. Ich wußte net, wie ich das Madl ansprechen sollte. Ich hatte ein Gespräch über des Auto angefangen.«

»Des war ganz falsch, Gustl! Da hast du voll danebengegriffen. Dem Madl gefällt des Auto net. Es würde es sofort gegen einen Jeep austauschen. Des weiß ich genau.«

»Mei, Baumberger! Dann kennst des Madl näher? Wie lange tut’s bleiben hier in Waldkogel? Was kannst mir raten? Ist es da?«

Gustl blickte in Richtung Haus.

»Na, das Madl ist nimmer da! Es ist rauf in die Berge. Und so viel ich weiß, wird es auch noch eine Weile dort bleiben.«

»Willst mir nicht sagen, wie des Madl heißt, Baumberger?«

»Ich gebe die Namen von Madln, die bei uns Gast sind, generell net raus. Dafür sage ich dir etwas! Des wird dich freuen. Du scheinst einen bleibenden Eindruck bei ihr hinterlassen zu haben.«

»Mei, Baumberger! Des läßt mich hoffen! Ist sie oben auf der Berghütte?«

»Des ist schon möglich!« blinzelte Xaver Baumberger Gustl zu.

Gustl Straubinger strahlte. Er schaute hinauf in den Abendhimmel.

»Scheint morgen gutes Wetter zu geben, Baumberger.«

»Ja, des Wetter wird gut werden. Genau richtig für eine Wanderung hinauf in die Berge.«

»Richtig! Ich denke, der Toni und die Anna, die werden sich freuen, wenn ich sie mal besuche.«

»Bestimmt!«

Gustl schüttelte Xaver Baumberger die Hand.

»Ich danke dir schön, Baumberger! Wirklich, ein herzliches ­›Ver­gelt’s Gott!‹«

»Dir wünsche ich alles, alles Gute!«

Gustl Straubinger ging zu seinem Auto und fuhr laut hupend davon. Xaver Baumberger schmunzelte. Er ging ins Haus.

»Was war des für ein Lärm? Diese Autofahrer stören die Ruhe der Berge!« schimpfte Meta.

»Des war keine Ruhestörung! Des war ein Jubelschrei, auch wenn der Bursche dazu die Autohupe seines Jeeps benutzt hat. Des war der junge Straubingerbauer, der Gustl, der Neffe vom Willi. Ihm hat er den Hof überschrieben. Der Bursche ist blond und hat sich für des rote Auto in

der Scheune interessiert, verstehst, Meta?«

»Mei, was du net sagst, Xaver! An den Burschen hab’ ich net gedacht. Der Gustl ist ein sehr ordentlicher Bursche. Und jetzt? Hast ihm von der Karoline erzählt?«

Xaver berichtete kurz seiner Frau. Dann gingen sie wieder an die Arbeit. Die Wirtsstube war voller Gäste. Meta nahm sich vor, später Toni anzurufen, um ihm alles zu erzählen.

Gustl war mit schnellem Tempo durch Waldkogel gebraust. Laut hupend hielt er auf dem Straubinger Hof. Er sprang vom Auto.

»Tante Traudel! Hast noch etwas zu essen? Mei, hab’ ich einen Hunger!«

»Hast im Wirtshaus nix bekommen?« bemerkte sein Onkel.

»Ich bin zwar beim Xaver gewesen, aber net zum Essen oder Trinken. Wir haben nur ein bissel geredet.«

Traudel und Wilhelm Straubinger schauten sich an. Sie standen beide auf und gingen hinein. Traudel wärmte Gustl das Essen auf. Währenddessen saß Gustl am Tisch. Sein Onkel schenkte zwei Gläser Bier ein.

»Gibt es etwas zu berichten, Gustl? Bist ein bissel aufgekratzt, nachdem du in den letzten Tagen so ruhig gewesen bist.«

»Berichten? Ich hab’ mich nett mit dem Baumberger unterhalten.«

»Über was denn?«

»Über was unterhalten sich Männer schon? Über Autos und Madln! Übrigens, ich will morgen rauf auf die Berghütte, Onkel. Ich meine, wenn es dir paßt. Könntest du morgen die Arbeit auf dem Hof übernehmen? Würdest mir eine Freud’ machen!«

Traudel und Willi warfen sich Blicke zu.

»Eine Bergwanderung mitten in der Woche, des ist ungewöhnlich. Da darfst mir net böse sein, wenn ich verwundert bin. Aber du wirst schon deine Gründe haben, Bub!«

»Ja, die habe ich!«

»Willi, dann kann der Gustl der Anna doch einige geräucherte Fische mitnehmen. Du wolltest der Anna doch die Freud’ machen, Willi!«

»Ja, des ist eine gute Idee! Die nehme ich gern mit. Ich gehe gleich bei Sonnenaufgang los. Dann bin ich oben, wenn die Hüttengäste aufstehen.«

Gustls Tante und Onkel warfen sich wieder Blicke zu.

»Scheint ja ein sehr wichtiger Termin zu sein, Traudel?«

»Ja, das denke ich auch, Willi! Dann richte dem Buben heute Abend die Fisch. Er wird ja noch vor uns aufstehen, wenn er zum Frühstück der Hüttengäste oben sein will.«

Gustl wurde rot. Er trank den halben Bierseidel aus.

»Ich habe da oben etwas zu regeln! Je früher ich oben bin, desto besser. Ich habe mir gedacht, ich schaue auf dem Hinweg auf unserer Hochalm vorbei.«

Traudel Straubinger stellte Gustl den Teller mit dem Essen hin. Es gab Pichelsteiner Eintopf. Er aß. Seine Tante und sein Onkel schauten ihm zu.

»Des mag euch ja alles ein bissel sonderbar vorkommen. Aber ich habe da oben auf der Berghütte etwas zu regeln. Mir geht da seit Tagen etwas im Kopf herum. Das muß jetzt geklärt werden. So oder so!«

»Mmm! So oder so! Und du willst mit uns net drüber reden?«

»Ist vielleicht noch ein bissel früh! Es hat was mit einem Auto zu tun! Mit einem roten Sportwagen.«

»Mei, dafür mußt auf die Berghütte? Des verstehe ich net. Es führt doch gar keine Straße auf die Berghütte hinauf.«

»Des Auto steht auch net auf der Oberländer Alm. Des Auto ist in der Scheune vom Baumberger geparkt.«

»Aha! Jetzt kommen wir der Sach’ schon näher. Laß mich raten, Bub.«

»Ich kann dich net daran hindern, Onkel Willi!«

»Des Auto gehört einem Madl!«

»Des scheint so zu sein!« sagte Gustl langsam.

»Aha! Was interessiert dich, Gustl? Des Auto oder des Madl?«

Statt einer Antwort errötete Gustl. Seine Tante und sein Onkel schmunzelten. Sie stellten keine weiteren Fragen. Sie wollten ihren Neffen nicht noch mehr in Verlegenheit bringen. Er war kein Bursche, der viel redete, besonders nicht über Angelegenheiten, die er innerlich noch nicht ganz durchdacht hatte. So, wie es schien, gab es in der Angelegenheit Auto und Madl noch Fragen. Deshalb wollte er hinauf auf die Berghütte, vermuteten seine Tante und sein Onkel.

Nach dem Essen tranken die beiden Männer noch einen Schnaps. Sie besprachen kurz die anstehenden Arbeiten auf dem Hof, die Willi übernehmen sollte. Dann zog sich Gustl zurück.

»Scheint mir, daß sich der Bursche verliebt hat, Traudel. Wie denkst du darüber?«

»Willi, ja! Da scheint etwas in Bewegung zu kommen. Ich werde morgen mal die Meta Baumberger besuchen. Vielleicht erfahre ich dann mehr.«

»Des ist eine gute Idee, Traudel. Mach des!«

Dann gingen die beiden auch schlafen.

Gustl lag im Bett und schaute durch das offene Fenster hinaus. Er betrachtete den Mond, der silbern am Nachthimmel stand. Sein Herz klopfte. Er dachte daran, daß er das Madl morgen wiedersehen würde. Hoffentlich läuft sie nicht wieder fort. Gustl überlegte, was er sagen sollte. Vielleicht schaffe ich es, daß ich oben bin, bevor sie wach ist. Dann könnte ich mit Toni und Anna sprechen. Er rechnete sich aus, wie lange er für den Aufstieg brauchen würde, wenn er vorher noch auf der Straubinger Hochalm vorbeischauen würde.

Die Turmuhr schlug Mitternacht. Gustl fand keinen Schlaf. Er stand auf und zog sich an. Er packte den Rucksack und stieg in sein Auto. Leise fuhr er vom Hof. Er hoffte, daß seine Tante und sein Onkel ihn nicht hörten.

Eine halbe Stunde später hielt er vor der großen Almhütte, die zur Straubinger Hochalm gehörte. Es brannte noch Licht. Das wunderte ihn. Fröhliches Lachen drang aus den offenen Fenstern.

Gustl schlich sich leise heran und spähte hinein. Der Senn, den er über Sommer angestellt hatte, feierte inmitten einer Gruppe junger Leute ein feuchtfröhliches Fest.

Gustl ging über die Weide und kontrollierte den Stall. Was er sah, gefiel ihm nicht. Der Senn nahm seine Aufgabe offensichtlich zu leicht. Wenn man nicht alles kontrolliert, dachte Gustl. Ich muß jemand anderes suchen. Leise schlich er davon. Er ließ sein Auto im Leerlauf den Weg hinunterrollen. Erst dann schaltete er den Motor ein und fuhr weiter. Nach einigen hundert Metern bog er auf den Milchpfad ein. Das Gestein knirschte unter den Reifen, als der Jeep langsam die Serpentinen hinauffuhr.

Gustl parkte auf der Wiese hinter der Oberländer Alm. Er schulterte seinen Rucksack, nahm die Stablampe in die Hand und wanderte den Bergpfad hinauf. Gustl ging vorsichtig. Es war Nacht und er kannte den Weg nicht gut. Als Junge war er oft mit Toni zum alten Alois hinaufgegangen. Aber das war lange her.

Auf halber Strecke legte Gustl eine Rast ein. Er betrachtete den Sternenhimmel und den Mond. Er spürte den milden Nachtwind auf seinem Gesicht. Er war glücklich. Vielleicht betrachte ich bald mit dem Madl meines Herzens den Sternenhimmel, dachte er.

Gustl blieb sitzen, bis das erste Morgenlicht hinter den Berggipfeln im Osten den neuen Tag ankündigte. Dann ging er weiter.

*

In der gleichen Nacht wälzte sich Agathe Bergmann unruhig im Bett.

»Agathe, wenn du nicht schlafen kannst, dann nimm wenigstens Rücksicht auf mich. Ich muß morgen früh pünktlich und ausgeschlafen in der Apotheke stehen.«

»Schatz, es tut mir leid, wenn ich dich gestört habe. Ich bin wegen Karoline so unruhig. Das Kind ist jetzt schon zwei Wochen fort und hat noch kein Lebenszeichen von sich gegeben. Sie hat weder angerufen, noch geschrieben. Ich bin so wütend, daß ich am liebsten selbst in dieses Waldkogel fahren würde.«

»Agathe! Nein! Pascal wird Karoline besuchen. So haben wir es vereinbart.«

»Weißt du, wann er fahren wird?«

»Nein! Du kannst ihn ja morgen anrufen und ihn fragen. Jetzt schlafe, Agathe! Wenn du nicht schlafen kannst, dann brühe dir einen Baldriantee auf.«

Berthold drehte sich auf die andere Seite und versuchte wieder einzuschlafen.

Als Stunden später der Wecker läutete, war seine Frau schon auf. Neben seinem Frühstücksteller lag eine E-Mail. Sie war von Pascal. Darin teilte er mit, daß er nach Waldkogel fahren werde.

»Siehst du, Berthold, Pascal ist auch unruhig! Hast du gelesen, was er geschrieben hat? Der Junge konnte auch keine Ruhe finden und ist heute nacht noch losgefahren. Mit Karoline muß etwas nicht stimmen. Ich spüre das – und Pascal muß das auch spüren.«

»Agathe! Nun höre auf! Was soll diese Gefühlsduselei! Laß mich in Ruhe frühstücken. Karoline macht Urlaub. Darauf haben wir uns verständigt. Irgendwie kann ich auch verstehen, daß sie mal Abstand braucht.«

»Wie soll ich das jetzt verstehen, Berthold?«

»Agathe! Dramatisiere nicht jedes Wort von mir. Das Kind war einfach urlaubsreif, sonst nichts. Bei Pascal ist sie in besten Händen. Laß die Sache laufen! Er wird das schon machen! Sie lieben sich doch!«

Agathe Bergmann seufzte nun, schwieg aber dann.

Zur gleichen Zeit steuerte Pas-

cal Hubschmidt seinen Sportwagen durch Waldkogel. Die Autobahn war in der Nacht wenig befahren gewesen. Er war sehr zügig vorangekommen. Es waren nur noch wenige Kilometer bis Waldkogel. Er wußte nicht, wo Karoline sich einquartiert hatte. Er erinnerte sich nur, daß sie damals in einem Wirtshaus mit Pension ein Zimmer hatten. An den Namen konnte er sich nicht mehr erinnern, irgend etwas mit »B«.

Am Ortanfang von Waldkogel kam Pascal ein Traktor entgegen. Pascal hielt an und winkte. Der Traktor hielt.

»Guten Morgen!«

»Grüß Gott!« sagte der Bauer. »Haben Sie sich verfahren? Die Straße hier ist eine Sackgasse. Nach Waldkogel kommt nix mehr, nur noch die schönen Berge.«

»Verfahren habe ich mich nicht. Waldkogel, das ist richtig. Da will ich hin. Ich suche ein Wirtshaus mit einer Pension. Da bin ich früher einmal gewesen. Leider habe ich den Namen vergessen. Es muß etwas mit ›B‹ sein, wie Baumann oder…«

»Des kann dann nur ›Beim Baumberger‹ gewesen sein. Des ist immer geradeaus. Ganz am Ende ist des, auf der rechten Seite. Immer schön auf der Hauptstraße bleiben, dann können Sie’s net verfehlen.«

»Danke! Sie haben mir sehr geholfen.«

Der Bauer betrachtete Pascal Hubschmidt. Er trug einen leichten eleganten Sommeranzug mit einem Seidenhemd darunter.

»Des ist aber nix für Sie! Fragen S’ besser im Hotel nach. Da steigen Leut’ wie Sie ab. Des Hotel heißt ›Zum Ochsen‹ und ist in der Ortsmitte, dort wo die Kirch’ und des Rathaus sind.«

Dann ließ der Bauer den Traktor wieder an. Er tippte an seinen Filzhut und fuhr weiter. Pascal schaute ihm nach. Erst jetzt fiel ihm auf, daß er sich für einen Besuch in den Bergen falsch gekleidet hatte. Nun ja, so lange werde ich nicht bleiben. Ich habe ja auch nicht vor, wandern zu gehen. Ich will nur mit Karoline reden. Dann fahren wir gemeinsam zurück. Pascal stieg in sein Auto.

Wenige Minuten später hielt er vor dem Wirtshaus mit der Pension. Er las das große Schild:

»Beim Baumberger! Das ist es!« murmelte Pascal Hubschmidt vor sich hin. Eine Gruppe verließ das Wirtshaus. Im Vorbeigehen grüßten sie ihn. Es waren junge Leute, die offensichtlich zu einer Bergwanderung aufbrachen.

Pascal griff nach seiner Reisetasche. Er stieg die Stufen hinauf und trat durch die offene Tür in die Wirtsstube.

»Guten Morgen!« grüßte er laut und deutlich.

»Grüß Gott!« sagte Xaver, der die Tische vom Frühstücksgeschirr abräumte.

»Was darf’s sein? Ein Frühstück nach Bauernart mit Eiern und Speck?«

»Das ist mir zu fett! Schwarzer Kaffee, zwei Eier im Glas, Toast und etwas Margarine.«

Meta Baumberger hörte es in der Küche.

»Schon wieder so ein Heini!« murmelte sie vor sich hin.

Sie gab zwei Eier ins Wasser. Durch die offene Tür zur Wirtsstube hörte sie, wie der Fremde mit Xaver redete.

»Ich suche meine zukünftige Verlobte. Sie heißt Karoline Bergmann. Sie ist vielleicht hier abgestiegen?«

Meta hörte es und rannte in die Wirtsstube.

»Dann bist du der Pascal! Du bist doch letztes Jahr ein paar Tage mit der Karoline hier gewesen. Ich erinnere mich noch genau! Dann willst die Karoline besuchen. Mei, des tut mir jetzt aber leid! Des Madl hat net gesagt, daß du kommst.«

»Es sollte eine Überraschung sein!« warf Pascal ein. »Klingt, als sei Karoline nicht da!«

»Naa! Die ist net da! Die ist auf einer längeren Bergwanderung. Weißt, die wandert von Schutzhütte zu Schutzhütte.«

Meta sah Pascal die Enttäuschung an.

»Schade! Wann wird sie wieder zurück sein?«

»Mei, woher soll ich des wissen?«

Xaver sagte nichts. Er holte für Pascal einen Kaffee.

»Gibt es keine Möglichkeit, daß ich Karoline finden kann? Sie muß doch irgendwie erreichbar sein.«

»In den Bergen jemanden zu finden, des ist wie eine Stecknadel im Heuhaufen suchen!« lachte Meta Baumberger.

»Sie meldet sich nicht! Ich habe versucht, sie anzurufen. Sie beantwortet auch keine SMS.«

»Dann wird des Handy kaputt sein oder sie will net. Des ist überhaupt heute ein wahres Kreuz mit denen Handys. So segensreich sie auf der einen Seite sind, so sind sie auf der anderen Seite auch ein Teufelszeug. Jeder meint, der andere müßte immer und überall erreichbar sein«, bemerkte Meta abfällig.

Pascal überhörte es. Meta zuckte mit den Schultern.

»Da mußt eben einige Tage hier bleiben und warten. Schicke ihr so eine SMS und schreibe, daß du hier auf sie wartest. Sie wird sich dann sicher melden. Aber, bis sie hier ist, des kann einige Tage dauern. Die Karoline wollte eine echte Hochge-

birgstour machen. Wer weiß, wo sie ist! Da sie schon einige Tage fort ist, wird sie auch Tage brauchen, bis sie wieder zurück ist.«

Pascal seufzte.

»So schlimm kann des doch für dich net sein. Hier in Waldkogel ist es doch so schön! Wirst schon sehen!«

Meta ging in die Küche zurück und richtete das Frühstück für Pascal. Toastbrot gab es nicht. Statt dessen legte sie ihm einige Scheiben selbstgebackenes Roggenbrot auf den Teller.

Etwas später nahm Xaver seine Meta beiseite.

»Warum hast dem Pascal nicht gesagt, daß die Karoline oben auf der Berghütte ist?«

»Psst! Net so laut, Xaver! Des Madl ist mit dem Pascal net glücklich. Der soll schön warten. Wenn die Karoline ihn sehen will, dann wird sie schon runterkommen. Des muß die Karoline selbst entscheiden. Ich werde Toni anrufen.«

»Ja, da magst recht haben, Meta! So oder so! Ich hoffe, die Karoline wird glücklich. Des Madl ist ein ganz liebes Geschöpf.«

»Ja, des ist sie, Xaver! Des wird schon. Ihr Herz hat sie zu uns in die Berge geführt. Des war schon mal gut. Noch besser ist allerdings, daß sie endlich einen Blick auf die wahre Liebe erhaschen konnte.«

»Der Gustl und die Karoline,

die würden gut zusammenpassen, meinst net auch, Meta?«

»Ja, des denke ich auch. Jetzt liegt es einzig und allein bei der Karoline. Öffnet sie weiter ihr Herz? Folgt sie dem, was ihr Herz ihr flüstert? Nur so wird sie glücklich werden.«

»Die Anna ist ja auch ihrem Herzen gefolgt. Die Karoline hat da ein gutes Vorbild. Besser könnte es nicht sein!«

»Ja, besser könnte es nicht sein!«

Paul Hubschmidt war mit dem Frühstück fertig. Xaver Baumberger zeigte ihm das Zimmer. Paul nahm eine kalte Dusche. Er war die Nacht durchgefahren und müde. Er tippte noch eine SMS an Karoline. Dann legte er sich hin. Er schlief sofort ein.

*

Die Berghütte war von weitem zu sehen. Gustl hielt sein Fernglas vor die Augen. Er schaute lange durch und beobachtete das Treiben auf der Terrasse der Berghütte. Es war ein wunderschöner Morgen, ideales Wetter für Bergwanderungen und Klettertouren. Gustl sah, daß sich die Hüttengäste mit dem Frühstück beeilten. Danach brachen sie in kleinen oder größeren Gruppen auf. Toni und Anna eilten hin und her, brachten Kaffee und Frühstück oder räumten die Tische ab.

»He! Was machst du da?« riß eine Kinderstimme Gustl aus seinen Gedanken.

Er ließ das Fernglas sinken und schaute die beiden Kinder an, die ihn neugierig betrachteten.

»Seid ihr für Bergwanderungen nicht noch etwas zu klein?« fragte Gustl.

»Was ist denn des für ein dummer Spruch?« gab der Junge zurück. »Wir gehen in die Schule!«

Gustl Straubinger rieb sich verlegen das Kinn.

»Stimmt! Dann müßt ihr die Bichler Kinder sein…«

»Ja! Ich bin der Sebastian, gerufen werde ich Basti. Des ist meine kleine Schwester. Sie heißt Franziska, gerufen wird sie Franzi.«

»Wer bist du?« fragte Franzi.

»Ich bin der Gustav Straubinger vom Straubinger Hof. Ihr könnt Gustl zu mir sagen.«

»Warum gehst du net weiter bis zur Berghütte? Warum rastest hier und beguckst alles durch das Fernglas? Bist du ein Spion?«

Gustl lachte herzlich.

»Naa, ein Spion bin ich net. Wie kommst du darauf?«

»Das habe ich im Fernsehen gesehen, unten bei den Baumberger Großeltern. Die Spione schauen durch Ferngläser und beobachten Leute.«

»Ja, des stimmt schon! Also, wenn ihr mir versprechen tut, daß ihr nix verraten werdet, dann erzähle ich euch, wen ich suche.«

Die Kinder nickten.

»Also, ich suche ein Madl. Vielleicht ist sie auf der Berghütte.«

»Ah! Hast dich verliebt?« fragte Sebastian direkt.

»Mei, des Madl gefällt mir! Aber ich weiß net, wie sie heißt. Sie ist blond und fährt ein rotes Auto, einen Sportwagen. Der steht bei euren Großeltern, den Baumbergers, in der Scheune.«

»Du meinst die Karoline! Ja, die ist auf der Berghütte!«

Gustls Herz klopfte. Karoline, Karoline flüsterte es mit jedem Schlag.

»Die ist bei der Anna in der Küche und hilft Frühstück machen! Da wirst du sie finden. Wir müssen jetzt gehen. Es ist noch eine schöne Strecke bis zur Oberländer Alm. Der Großvater Xaver wartet dort mit dem Auto und bringt uns zur Schu-

le. Grüß Gott, Gustl!« sagte Sebasti-

an.

Er nahm seine Schwester Franziska bei der Hand und zog sie fort.

Franziska war etwas ärgerlich.

»Mußt net immer sagen ›meine kleine Schwester‹, Basti!«

»Wie soll ich dann sagen? Bist doch meine kleine Schwester!«

»Ich bin deine Schwester! Des genügt!«

Franziska entzog ihrem Bruder die Hand und eilte voraus.

»Ja, ich denk’ net immer dran, Franzi! Ich versprech’ dir, daß ich mich bessern will!«

Franziska drehte sich nur kurz nach ihrem Bruder um. Sie warf ihm einen Blick zu, der soviel besagte wie, das will ich erst mal sehen.

Gustl wartete noch eine Weile. Erst als fast alle Hüttengäste aufgebrochen waren, ging er weiter auf die Berghütte zu. Toni, der sich auf der Terrasse aufhielt, sah Gustl über das Geröllfeld kommen. Er blieb stehen und wartete, bis Gustl kam.

Die beiden Männer schüttelten sich die Hände.

»Grüß dich, Gustl!«

»Grüß dich, Toni!«

»Willst mit reinkommen? Kaffee oder lieber ein Bier?«

»Ich setze mich hier auf die Terrasse. Und ein richtiges Frühstück, des tät mir jetzt schmecken. Ich hab’ noch nix gegessen.«

Gustl stellte seinen Rucksack auf einen Stuhl.

»Warte, Toni! Da hab’ noch ein Geschenk – hauptsächlich für deine Anna. Der Onkel schickt es!«

Gustl holte die dick verpackten Räucherfische aus seinem Rucksack.

Laut bellend sprang Bello hinzu. Den jungen Neufundländerrüden lockte der Duft der geräucherten Fische. Artig setzte er sich hin. Er hob die Pfote und schwänzelte.

Gustl mußte lachen.

»Der weiß, wie er die Leut’ rumkriegt, wie?«

»Ja! Die Kinder haben es ihm beigebracht. Ich hoffe, er verlernt es wieder. Kaum einer der Hüttengäste kann diesem Blick und der Geste widerstehen. So wird er ständig gefüttert. Des ist net gut für ihn.«

Toni schickte Bello ins Körbchen am Kamin. Gustl reichte Toni das Paket mit den Fischen.

»Willst du die net selbst der Anna geben? Gehe ruhig rein in die Küche. Außerdem ist die Anna net alleine«, blinzelte Toni Gustl zu. »Die Karoline ist bei ihr in der Küche«, fügte Toni noch ganz leise hinzu. »Wegen der bist doch nur raufgekommen, oder?«

Gustl errötete.

»Schon! Aber ich kann doch da net einfach so reinstolpern! Am End’ rennt sie dann wieder vor mir davon!«

Toni griff nach dem Fischpaket.

»Dann setz dich, Gustl!«

Toni ging in die Berghütte. Er legte das Fischpaket auf den Tisch.

»Eine Sonderlieferung für meine Frau von der Waterkant. Der alte Straubinger hat die raufgeschickt, Anna!«

»Oh, ich rieche es schon! Frisch geräucherte Fische! Toni, mach du alleine weiter!«

Anna holte sich sofort einen Teller. Sie packte die Fische aus und begann auf der Stelle zu essen. Sie schloß bei jedem Bissen die Augen.

»Wie schmecken sie, Anna?«

»Sie schmecken gut! Und sie schmecken nach meiner alten Heimat! Toni, laß mich!«

Toni drückte seiner Anna einen Kuß auf das Haar.

»Dann laß sie dir schmecken!«

Toni wandte sich an Karoline.

»Dann versorgen wir beide den neuen Gast! Er will ein kräftiges Frühstück. Übrigens, Karoline, der hat sich nach dir erkundigt. Er ist blond und hat dein Auto bei meinem Vater durch das offene Scheunentor entdeckt.«

Karoline errötete. Sie schwankte. Anna schrie auf. Toni hielt Karoline fest. Sie schloß einen Augenblick die Augen.

Als sie sie wieder öffnete, hauchte sie verlegen:

»Lacht mich nicht aus! Zu blöd! Aber ich kann nichts dafür!«

»Mußt net verlegen sein, Karoline! Geht’s wieder?«

»Ja! Das schaffe ich schon! Ich wollte ihn ja finden.«

»Dann bring ihm schon mal den Kaffee raus!«

Toni drückte Karoline die Kaffeekanne und einen Becher in die Hand.

Karoline atmete tief durch. Sie ging hinaus auf die Terrasse. Sie vermied, ihm in die Augen zu sehen. Sie trat zum Tisch, stellte den Becher ab und schenkte ein.

»Toni bringt gleich den Rest.«

»Grüß Gott! Du bist doch des Madl mit dem roten Sportwagen, oder?«

»Ja, die bin ich! Woher weißt, daß ich einen roten Sportwagen habe?«

»Weil wir uns schon mal begegnet sind. Des muß der Tag gewesen sein, an dem du nach Waldkogel gekommen bist. Ich hab’ dich bei der Kirche gesehen.«

»Ach ja, ich erinnere mich!«

»Bist so schnell fortgegangen, daß ich mich dir net hab’ vorstellen können. Ich bin der Gustav Straubinger, der Bauer vom Straubinger Hof. Gerufen werde ich Gustl. Würd’ mich freuen, wenn du auch Gustl zu mir sagen würdest. Und wie heißt du?«

»Karoline Bergmann!«

»Karoline, des ist ein schöner Name. In den Bergen hier würden wir des abkürzen und dich ›Karo‹ rufen.«

Karoline mußte ihn jetzt ansehen. Sie schaute in seine blauen Augen. Ihr Herz klopfte wild. Sie errötete. Welch eine wunderbare dunkle Stimme er hat, so weich und warm. Wie er »Karo« ausspricht, das klingt so lieb.«

»Kann ich Karo zu dir sagen? Ich denke, das paßt hier besser zu dir in den Bergen.«

Er betrachtete Karoline in ihrem Dirndl.

»Du findest, Karoline paßt nicht zu mir?«

»Doch, des tut es auch! Aber die Karoline, die paßt mehr in den Sportwagen. Damit will ich dich aber net beleidigen!«

Toni kam mit einem Tablett.

»So, hier ist ein Extrafrühstück! Die Anna kommt auch gleich. Die sitzt in der Küche und futtert schon den ersten Räucherfisch. Da mußt dich ein bissel gedulden. Die Anna schwelgt in Erinnerungen.«

»Des verstehe ich doch!«

Toni füllte die beiden weiteren Becher, die er mitgebracht hatte, mit Kaffee.

»Hast was dagegen, wenn ich und die Karoline dir ein bissel Gesellschaft leisten.«

»Naa! Ganz im Gegenteil! Setzt euch!«

Gustl fing an zu essen. Während er aß, erzählte er von seinem heimlichen nächtlichen Kontrollbesuch auf der Straubinger Hochalm. Er sprach von der Aushilfe, die er eingestellt hatte, einen jungen Burschen, der sich zu seinem Studium etwas dazu verdienen wollte. Auf der Staubinger Hochalm war nicht viel zu tun. Dort gab es eine kleine Schafherde, einige Ziegen und ungefähr ein Dutzend Kühe. Auf der Straubinger Hochalm wurde, seit Gustl den Hof übernommen hatte, keine herkömmliche Almwirtschaft betrieben. Er wollte den Hof mehr ökologisch bewirtschaften, und dazu gehörten gesunde, natürlich aufwachsende Tiere. So hatte Gustl entschlossen, die Tiere zwei Jahre sich selbst zu überlassen, in dem Sinn, daß die Kälber alle bei den Muttertieren blieben und die Milch der Kühe nicht für andere Zwecke abgemolken wurde. Das galt auch für die Schafe und die Ziegen. Karoline hörte interessiert zu, wie Gustl erzählte.

»Auf der Hochalm ist nicht viel zu tun. Abends müssen die Stalltüren aufgemacht werden, daß Tiere, die einen Unterstand suchen, reinkönnen. Am nächsten Morgen müssen die Tiere wieder rausgetrieben werden auf die Almwiesen. Dann muß nur der Stall gründlich gereinigt werden.«

Dieser Aufgabe war der Aushilfssenn wohl nicht richtig nachgekommen. Gustl war ärgerlich.

»Ich muß mir wohl jemand anders suchen. Jemand, auf den ich mich verlassen kann. Ich kann nicht jeden Tag zur Kontrolle auf die Hochalm kommen. Mei, des wird schwierig werden, jemanden zu finden! Weißt du niemanden, Toni?«

Toni stand auf. Er ging in die Berghütte und redete mit Anna. Nach einer Weile kamen sie zusammen heraus. In der Zwischenzeit ließ sich Karoline von Gustl noch mehr über die Hochalm erzählen.

Anna und Toni setzten sich dazu.

»Danke für die Räucherfische, Gustl! Sage deinem Onkel ein herzliches Dankeschön! Wenn ich wieder mal unten in Waldkogel bin, dann besuche ich euch auf dem Hof. Ich will mich auch noch persönlich bedanken. Er hat mir wirklich eine große Freude gemacht.«

»Des hat er gern getan, Anna! Wie steht es? Fällt euch jemand ein, der auf der Straubinger Hochalm arbeiten könnte?«

»Muß des ein Bursche sein?« fragte Anna.

»Naa! Net! Des kann auch gut ein Madl sein! Hauptsache zuverlässig!«

»Gut, Gustl! Ich habe da jemanden, den ich fragen will. Allerdings hat das Madl keinerlei Erfahrung mit Almwirtschaft und auch keine vom Vieh.«

»Wenn sie lernwillig ist, dann kann sie binnen Stunden erfassen, auf was es ankommt. Die Arbeit ist net schwer. Sie muß nur gewissenhaft gemacht werden. Es muß der Stall saubergehalten und sich um die Tiere gekümmert werden.«

Anna schaute Karoline an.

Toni schaute Karoline an.

»Ihr meint am Ende doch nicht mich?«

»Wen denn sonst? Ich sehe hier niemand anderes«, schmunzelte To-ni.

Karoline errötete.

Gustl stimmte sofort zu.

»Des wäre prima, Karo!«

»Karo?« wiederholte Toni.

»Ja, ich hab’ der Karoline den Vorschlag gemacht, daß sie sich hier in den Bergen Karo nennen tut. Ich find’, des paßt gut zu ihr.«

Karoline griff in das Gespräch ein.

»Ob Karoline oder Karo, das ist jetzt nicht wichtig! Ich habe keine Ahnung von so etwas! Ich habe zwar gerade ein sehr gutes Abitur gemacht, aber von Kühen, Schafen und Ziegen weiß ich nur, daß sie unterschiedlich aussehen und alle vier Beine haben.«

Gustl schaute Karoline liebevoll an.

»Des genügt mir! Karo, ich bin wirklich in Not. Ich würde mich sehr freuen, wenn du wenigstens einige Tage auf die Straubinger Hochalm gehen würdest. Sicherlich hast du von deinem Urlaub auch nicht mehr so viele Tage übrig. Doch ich hätte dann Zeit, jemanden zu finden. Ich mache mir wirklich Sorge um des Vieh.«

»Ich wäre bestimmt eine Enttäuschung!«

»Naa, des wärst net, Karo! Ich zeige dir alles. Außerdem kannst du mich Tag und Nacht anrufen, wenn du mit etwas net zurechtkommen tust.«

»Nun sag’ schon ja, Karoline!« ermunterte sie Toni. »Des kannst schon. Außerdem wird des eine ganz neue Erfahrung sein. Du liebst doch die Berge und des Landleben. Dann probiere es doch mal aus, wie des so als Sennerin ist. Es wird auch net für lange sein, wie ich den Gustl verstehe. Außerdem hast du Zeit! Du willst doch bis zum Herbst in Waldkogel bleiben!«

»Mei, Karo! Bis zum Herbst? Des ist großartig. Dich schicken mir die Engel!«

Gustl trank einen Schluck Kaffee.

»Also höre mal, Karo! Ich darf doch Karo sagen? Du hast dich dazu noch net geäußert und ich will dich net ärgern.«

Karoline lächelte ihn an.

»Schon gut! Karo klingt gut! Klingt aus mehrfacher Sicht sehr gut! Wie ich das meine, will ich aber jetzt nicht ausführen! Vielleicht später.«

Gustl nickte.

»Also, ich mache dir folgenden Vorschlag! Du kommst eine oder zwei Wochen zu uns auf die Straubinger Hochalm. Nach einer Woche kannst du entscheiden, ob du für den Rest deiner Urlaubszeit bleiben willst. Ich bin dir net bös’, wenn es dir nicht gefällt. Also willst es probieren?«

Karoline schaute unsicher von Anna zu Toni und dann wieder zu Gustl.

»Nun sage schon ja, Karoline!« ermunterte sie Toni.

»Gut! Ich will es probieren! Aber garantieren kann ich für nichts. Ich weise ausdrücklich darauf hin: Ich habe keinerlei Erfahrung mit Kühen, Schafen und Ziegen. Es ist ein ziemliches Risiko, mir die Tiere anzuvertrauen.«

»Wem ich mein Vieh anvertraue, des mußt schon mir überlassen, Karo. Hand drauf!«

Karoline zögerte.

»Ah! Des hab’ ich ganz vergessen! Ich bezahle dich dafür!«

Gustl nannte einen Betrag.

»Schlägst jetzt ein?«

Karoline schaute Gustl in die Augen. Sie schüttelte den Kopf. Enttäuscht zog Gustl seine Hand zurück.

»Gustl! Ich habe mir deinen Vorschlag angehört. Höre jetzt meinen!«

»Des ist fair!« bemerkte Gustl knapp.

Toni, Anna und Gustl schauten Karoline voller Erwartung an. Der alte Alois kam zum Tisch und setzte sich neben Karoline.

»Nun red’ schon, Madl!« ermunterte sie der alte Alois.

Karoline holte tief Luft.

»Nun gut! Ich komme mit dir auf die Hochalm. Ich schaue mir alles an. Du sagst mir, was zu tun ist und dann erst stimme ich zu oder nicht!«

Der alte Alois schlug mit der Hand auf die Tischplatte.

»Gustl, dagegen kannst nix einwenden!«

»Ja, das ist fair und verantwortungsvoll! Das gefällt mir.«

Gustl lächelte Karoline an.

»Danke, daß du es versuchen willst, ich meine, mit mir zu gehen. Wann wollen wir los?«

»Die Karoline wollte heute eigentlich eine Bergwanderung machen«, erzählte Toni, »Vielleicht

gehst mit ihr, Gustl. Dann kannst ihr unterwegs noch mehr von der Hochalm erzählen. Ihr könnt die Route so legen, daß ihr heute abend bei der Hochalm ankommen tut.«

»Des ist eine gute Idee, Toni! Bist einverstanden, Karo?«

Karo nickte.

Die junge Frau stand auf. Sie ging in ihre Kammer. Gustl schaute ihr mit leuchtenden Augen nach.

Es dauerte nicht lange, dann kam Karoline. Sie hatte sich umgezogen und das knöchellange Baumwolldirndl mit der hellen, fast hochgeschlossenen Bluse gegen Kniebundhosen, Hemdbluse und Lodenjanker ausgetauscht.

»Fesch schaust aus, Karo! Steht dir gut! Doch in dem Dirndl hast mir noch besser gefallen.«

Karoline errötete. Sie sagte nichts. Sie ging in die Küche der Berghütte und richtete Brote und Getränke für unterwegs. Anna half ihr dabei.

»Und wie fühlst du dich, Karoline?« fragte Anna. »Bist du so glücklich, wie du aussiehst?«

»Kann man es mir ansehen? Wie peinlich!«

»Das muß dir doch nicht peinlich sein!«

Anna lachte. Sie dachte an ihre Freundin Sue in Frankfurt. Diese hatte es damals Anna auch angesehen, daß sie verliebt war. Das Glück und die Liebe im Herzen spiegeln sich nach außen, dachte Anna. So viel Glücklichsein kann man nicht verbergen.

»Anna, ich gestehe es! Ich bin froh, ihm begegnet zu sein! Das wollte ich doch! Nun ist es geschehen. Doch ein wenig Angst ist auch dabei. Ich bin nicht davon überzeugt, daß es so eine gute Idee ist, ihm auf der Hochalm des Straubinger Hofes zu helfen.«

»Doch, das ist eine sehr gute Idee, Karoline! Übrigens, wie Gustl ›Karo‹ ausspricht, das klingt so liebevoll. Es erinnert mich daran, wie Toni mich zum ersten Mal Anna nannte. Ach, ich wünsche dir von Herzen, daß du glücklich wirst.«

»Ja, das hoffe ich auch!«

Karoline schaute Anna ernst an.

»Übrigens, falls Pascal oder sonst jemand nach mir fragt – bitte – bitte gebt niemanden die Adresse der Hochalm. Ich will… ich muß erst sehen.«

Anna schmunzelte.

»Ich verstehe dich, Karoline. Laß dich einfach von deinem Herz leiten. Ich weiß, wie schwer diese Entscheidung für dich werden kann. Dein Herz wird dir den Weg zeigen.«

Karoline verstaute den Proviant in einer Umhängetasche. Ihr Rucksack war voll. Sie benötigte ja Anziehsachen zum Wechseln auf der Hochalm. Deshalb hatte sie alles eingepackt.

Sie gingen hinaus. Anna überreichte Gustl einen Beutel mit weiterem Proviant.

»Hier ist noch etwas für unterwegs. Ich weiß nicht, wieviel du dabei hast.«

Gustl Straubinger bedankte sich.

Gustl und Karoline verabschiedeten sich und gingen los.

*

Gustl hatte vorgeschlagen, zuerst hinunter zur Oberländer Alm zu wandern. Von dort aus ein Stück den Fußweg in Richtung Waldkogel zu nehmen, vor dem Wäldchen dann rechts auf den anderen Wanderweg abzubiegen, der oberhalb von Waldkogel am Hang entlang führte, in Richtung Marktwasen. Die Straubinger Hochalm war die letzte Alm vor Marktwasen, dem Nachbarort von Waldkogel.

Auf dem Weg hinunter zur Oberländer Alm sprachen sie kaum etwas. Gustl versuchte auch immer wieder ein Gespräch mit Karo anzufangen. Doch ihre Antworten waren kurz. Sie stellte von sich aus keine Fragen. So wanderten sie lange hintereinander oder nebeneinanderher.

Sie kamen an einer Bank vorbei.

»Wollen wir eine Rast machen, Karo?«

»Gern!«

Sie setzten sich, packten die Brotzeit aus und fingen an zu essen. Dann nahm Gustl das Fernglas und schaute durch.

»Was gibt es Schönes zu sehen?«

Gustl ließ das Glas sinken und reichte es ihr. Er deutete mit dem Finger in die Ferne.

»Drüben am Hang, der letzte Hof! Das ist der Straubinger Hof! Mein Hof jetzt! Willst du mal schauen?«

Statt einer Antwort griff Karoline nach dem Fernglas. Sie hielt es vor die Augen, stellte es scharf.

»Ein wunderschöner Hof! Wirklich wunderschön! Er sieht so freundlich aus! So, als würden glückliche Menschen darin wohnen.«

»Wir sind auch glücklich! Das sind meine Tante Traudel, mein Onkel Willi und ich! Tante und Onkel leben auf dem Altenteil oder wie wir hier in den Bergen sagen im Austragshäuserl. Das bedauere ich sehr. Ich hoffe, sie irgendwann doch überreden zu können, zu mir zu ziehen.«

Karoline verstand nicht, was damit gemeint war: Austragshäuserl, Altenteil. Gustl erklärte es ihr. Dabei erzählte er von seinem Leben. Sein Vater war der älteste Sohn auf dem Straubinger Hof gewesen. Der Sitte nach hätte er den Hof übernehmen und das Erbe antreten sollen. Dann wäre sein Onkel Wilhelm Straubinger ausgezahlt worden. Doch Gustls Vater hatte zu Gunsten seines jüngeren Bruders auf den Hof verzichtet.

»Meine Großeltern legten meinem Vater keine Steine in den Weg. Er ist der Liebe gefolgt nach Kirchwalden.«

Karoline hörte aufmerksam zu, was Gustl weiter berichtete. Seine Großeltern mütterlicherseits hatten in Kirchwalden einen Laden für Haushaltswaren und Wäsche. Gustls Mutter arbeitete dort, sie wollte auch nach ihrer Heirat die Eltern weiter unterstützen.

»Wenn mein Vater den Straubinger Hof übernommen hätte, hätte meine Mutter jeden Tag nach Kirchwalden fahren müssen.«

Gustl schilderte auch, was es für einen Hof bedeuten kann, wenn die Bäuerin tagsüber nicht da war.

»Mein Großvater sah darin eine Gefahr für die junge Ehe. Außerdem gefiel meinem Großvater die junge tüchtige Frau, in die sich mein Vater verliebt hatte. Mein Großvater hieß übrigens auch Gustav. Ich bin nach ihm benannt.«

Also hatte der jüngere Bruder Wilhelm, genannt Willi, den Straubinger Hof übernommen. Gustls Vater stieg mit seinem Erbe in das Geschäft seiner Schwiegereltern ein.

»Meine Eltern sind sehr glücklich! Einer meiner Brüder wird den Laden später übernehmen. Ich wollte es nie. Mich zog es immer mehr nach Waldkogel. Auf dem Straubinger Hof war ich glücklich. Ich verbrachte die Ferien in Waldkogel und den Bergen, später jeden freien Tag, während des Studiums. Viele können das nicht verstehen, daß ich einer bequemen Arbeit als Wissenschaftler in der Forschung die Arbeit auf einem Hof vorziehe.«

»Was hast du studiert?«

»Biologie! Ich habe im letzten Jahr Examen gemacht, danach ein Praktikum beim Staat. Im Frühjahr fragten mich Tante Traudel und Onkel Willi, ob ich den Hof möchte.«

»Da hast du Ja gesagt!«

»Ja!«

»Das verstehe ich!«

»Wirklich?«

»Ja! Es ist doch ein Traum, das im Leben machen zu können, was man wirklich will! Es ist die Erfüllung!«

»Das hast du schön gesagt, Karo! Wunderschön!«

Gustl schaute Karoline in die Augen.

»Warum schaust du jetzt ein bissel traurig aus?«

Karoline seufzte.

»Weil ich auch ein…« Karoline lächelte. »Mit deinen Worten, weil ich ein bissel traurig bin. Ich würde auch lieber etwas anderes tun, als was man von mir erwartet. Leider habe ich keine so verständnisvollen Eltern wie dein Vater. Das ist ein Dilemma!«

Gustl konnte sich nicht mehr zurückhalten. Daß Karoline so traurig blickte, ging ihm sehr nah.

»Du bist net allein, Karo! Wenn du magst, dann kannst du mir alles anvertrauen. Ich bin gern für dich da. Wenn ich dir irgendwie helfen kann, dann tue ich es gern!«

Er legte den Arm hinter Karoline auf die Lehne der Sitzbank. Behutsam glitt sein Arm um Karolines Schultern.

»Ach, Gustl!« seufzte sie.

Karoline legte ihren Kopf an seine Schulter und schloß die Augen. Gustl hielt sie ganz fest. Er wagte sich nicht zu bewegen. Er wagte kaum zu atmen. Sein Herz klopfte wild und heftig. Karoline kuschelte sich an ihn.

»Halte mich nur ein wenig fest, Gustl! Darfst aber nicht denken, daß ich mich jedem an den Hals werfe.«

»Ich verstehe das nicht so! Brauchst wohl ein bissel Schutz, wie ein kleines Lamm oder ein kleines Zicklein, wenn es stürmisch ist. Scheint sehr stürmisch zu sein!«

»O ja, Gustl! Es ist dunkel und unheimlich und so stürmisch, daß es bedrohlich ist.«

»Als ich noch ein kleiner Bub war, hab’ ich mich auch ein bissel vor dem Unwetter hier in den Bergen gefürchtet. Dann hat mir meine Tante eine Geschichte erzählt. Soll ich dir auch eine Geschichte erzählen?«

»Ja! Erzähle mir vom Straubinger Hof.«

Gustl lächelte glücklich. Er erzählte ausführlich vom Straubinger Hof und seiner Arbeit. Er liebte Tiere und war mit Leib und Seele ein Bauer. Dabei ging es ihm nicht nur um Profit, er wollte auch rücksichtsvoll gegenüber der Natur und jeder Kreatur handeln. Ehrfurcht vor Gottes Schöpfung hörte Karo aus jedem Wort heraus. Sie stellte Fragen über die Viehhaltung und Ernährung. Gustl erzählte über den Anbau von alten Getreidesorten, die schon fast in Vergessenheit geraten waren. Er hatte Laufenten gekauft, die die Gemüsebeete von den lästigen Nacktschnecken freihielten.

»Weißt, die fressen nur diese Schnecken. Die Pflanzen rühren sie net an.«

Gustl erzählte und erzählte. Karoline hörte zu und Gustls Leben auf dem Straubinger Hof verstand sie immer besser.

»Und was machst du so? Bist bestimmt ein Madl aus einem reichen Elternhaus. Des denke ich mir, bei dem teuren Sportwagen!«

Karoline richtete sich auf. Sie schaute Gustl in die Augen.

»Dafür kann ich nichts! Ich habe mir das Auto nicht ausgesucht«, sagte sie. »Am liebsten hätte ich es stehen gelassen. Aber wie sollte ich sonst schnell in die Berge kommen?«

»Klingt logisch! Du hättest mit dem Zug fahren können und dann mit dem Bus!«

»Stimmt! Das nächste Mal werde ich das auch!«

»Ich könnte dich auch abholen!«

»Das würdest du tun?«

»Ja, das würde ich machen!«

Es knisterte zwischen ihnen. Karoline schaute Gustl in die Augen. Sie sah darin seine Liebe zu ihr. Ich liebe dich doch auch, dachte Karoline. Aber ich habe noch so viel zu regeln in meinem Leben. Ich bin so glücklich, daß ich dich gefunden habe.

Karoline seufzte.

»Wollen wir weitergehen?« fragte sie leise.

Gustl verstand, daß sie auswich. Er wollte sie auch nicht bedrängen.

»Gut, wenn du magst!«

Sie packten ihre Sachen ein und wanderten weiter den breiten Weg entlang. Doch jetzt hielten sie sich dabei an den Händen.

Es wurde ein wunderschöner Tag. Sie wanderten im weiten Bogen oberhalb von Waldkogel am Hang entlang. Mal säumten Almwiesen den Weg, dann schlängelte er sich durch dichten Tannenwald. Sie beobachteten Eichhörnchen und Salamander. Gustl zeigte Karoline einen wilden Bienenstock. Er ließ sie Wildkräuter kosten und erzählte ihr, was man alles damit machen konnte.

Am frühen Abend erreichten sie die Straubinger Hochalm. Gustl bat Karoline, bei der Kuhweide zu warten. Er ging auf die Suche nach dem Aushilfssenn. Es dauert nicht lange, dann verließ der Senn mit dem Rucksack auf dem Rücken die große Almhütte, die einem kleinen Chalet ähnelte. Wortlos, den Kopf gesenkt, ging er an Karoline vorbei in Richtung Marktwasen.

Gustl winkte Karoline herbei. Er stand an der Tür der Almhütte und hielt sie auf.

»Willkommen auf der Straubinger Hochalm! Komm rein. Es ist etwas unordentlich. Bitte entschuldige!«

»Du hast ihn rausgeworfen?«

»Ja! Nicht wegen der Unordnung hier! Da kann ich noch drüber weg­sehen. Aber er kam seinen eigentlichen Aufgaben nicht nach.«

Gustl nahm Karoline den Rucksack ab. Sie stand mitten im Raum und sah sich um. Es war ein großer Raum, größer als der Wirtsraum der Berghütte. Es gab einen Kamin und schöne alte Bauernmöbel. In einer Ecke war die Küche eingerichtet. An der Stirnwand standen zwei Kammertüren offen.

»Du kannst dir eine aussuchen!«

Gustl warf einen Blick durch beide Türen.

»Wir müssen auch dort erst sauber machen. Er hat wohl Freunde von sich eingeladen und dort schlafen lassen. Dagegen ist nichts zu sagen, nur die Unordnung stört mich.«

»Das haben wir gleich!« sagte Karoline.

Sie zog ihren Lodenjanker aus und packte an. Sie zog die beiden großen Betten ab, rollte die Flickenteppiche vor den Betten in beiden Kammern zusammen. Sie trug sie hinaus, schüttelte sie aus und hängte sie zum Lüften über ein Gatter. Kissen und Decken hängte sie unter das breite vorgezogene Dach. Gustl sammelte die leeren Flaschen und den Abfall ein. Dann spülten sie zusammen das Geschirr. Karoline spülte und Gustl trocknete ab. Anschließend säuberten sie zusammen die Kammern, legten die Flickenteppiche wieder hin und bezogen die Betten.

»Schaut schon wieder richtig gemütlich aus«, freute sich Gustl. »Jetzt werde ich in den Stall gehen!«

»Da komme ich mit!«

Die nächste Stunde waren sie damit beschäftigt, den Mist aus dem Stall zu fahren und auf den Misthaufen zu häufen. Dann trug Gustl Eimer für Eimer Wasser aus dem Brunnen herbei, der vom nahem Gebirgsbach gespeist wurde. Er goß das Wasser auf den steinernen Fußboden. Karoline kehrte den restlichen Schmutz mit dem Wasser hinaus.

Als alles sauber war, kletterte Gustl auf den Heuboden und warf Stroh und Heu herunter. Karoline tat sich sehr schwer mit dem Verteilen. Mistgabel und Besen hatten bereits Spuren an ihren Händen hinterlassen. Tapfer biß sie die Zähne zusammen und machte weiter.

Endlich waren sie fertig.

»Es ist nicht jeden Tag so viel Arbeit, Karo! Den Stall so gründlich zu säubern, das muß nicht jeden Tag sein. Wann es nötig ist, das wirst du schon selbst bemerken. Laß uns nach dem Vieh sehen!«

Gustl ging voraus und Karoline folgte ihm.

Einige der Tiere standen schon in der Nähe des Stalles.

»Schau, die wollen rein! Die sind alle trächtig! Viele denken, Tiere seien dumm! Das stimmt nicht. Des Vieh weiß schon, daß die Lämmer und Kälbchen im Stall geschützter sind als draußen.«

»Du meinst, die können… also die…«

Karoline schaute Gustl mit großen Augen an. Ihr fehlten die passenden Worte.

»Ja, des kann schon passieren, daß du morgens in den Stall kommst und dann ein Kälbchen vorfindest, ein kleines Lämmchen oder ein Zicklein, das auf seinen dünnen Beinchen steht.«

»Ja, brauchen die keine Hilfe, wenn die niederkommen?«

Gustl schmunzelte.

»Ist schon gut, wenn jemand dabei ist. Aber die Natur hat es so eingerichtet, daß es auch ohne menschliche Hilfe geht. Wenn ich früher auf der Hochalm war, dann bin ich um Mitternacht noch mal in den Stall. Wenn alles ruhig war, legte ich mich schlafen. Es kam dann schon vor, daß ein stolzes Muttertier mir morgens seinen Nachwuchs zeigte. Mußt keine Angst haben!«

Karoline war die Sache doch etwas unheimlich. Sie nahm sich aber zusammen. Gustl sollte nicht den Eindruck gewinnen, sie scheue sich vor der Verantwortung.

Gustl lockte die Schafe und Ziegen mit Pfeifen und Schnalzgeräuschen in den Stall. Dann folgten die Kühe.

»Sind das alle?« fragte Karoline.

»Nur die hier kommen in den Stall. Sie werden etwas vor dem Zeitpunkt, an dem sie werfen, von den anderen Tieren getrennt. Die andern sind weiter unten auf der Weide.«

Sie verließen den Stall und gingen zum Brunnen. Gustl wusch seine Hände. Dann war Karoline an der Reihe.

»Mei, Madl! Wie sehen denn deine Händ’ aus! Des ist ja schlimm! Warum hast du nix gesagt! Deine ganzen Handflächen sind voller Blasen, die schon alle aufgegangen sind. Des ist ja schlimm. Komm mit!«

Gustl packe Karoline bei den Schultern und führte sie hinein. Er drückte sie in einen der Sessel vor den Kamin. Dann holte er Verbandsmaterial und eine große Dose mit einer fettigen Paste. Er verband Karoline die Hände.

»Was ist das für ein Zeug? Es kühlt und die Schmerzen lassen sofort nach!«

»Des ist eine Kräutermischung von der Ella Waldner, gemischt mit Melkfett! Hast schon etwas von der Ella gehört?«

»Ja! Ich bin der Ella auch schon mal begegnet. Sie ist eine liebe alte Frau. Es tut mir so leid, daß man Kräuterhexe zu ihr sagt.«

Gustl lachte.

»Des ist mehr ein Kompliment, als daß des ein Schimpfwort ist. Ich bringe dir Arbeitshandschuhe mit, wenn ich das nächste Mal komme. Morgen früh werden deine Hände schon besser sein. So, jetzt ruhst dich aus! Hast Hunger?«

Gustl wartete nicht ab, bis Karoline antwortete. Er packte die Reste der Brotzeit aus. Anna hatte viel eingepackt. Dann setzte er Wasser auf für frischen Tee.

Kurze Zeit später saßen sie auf der Bank vor der großen prächtigen Almhütte und aßen. Über den Bergen war die Sonne versunken. Langsam schluckte der Nachthimmel den letzten Rest von Helligkeit am westlichen Horizont. Der Mond stand groß und silbern über dem Tal. Die Sterne funkelten.

»Wie schön der Himmel ist!« flüsterte Karoline leise.

»Ja, das ist er! Zu zweit ist er noch schöner, als wenn man ihn alleine anschauen tut. Übrigens, ich muß dir etwas gestehen, Karo. Ich habe tagelang nach dir und deinem Auto gesucht. Dann habe ich es beim Baumberger entdeckt.«

Karolines Herz klopfte wild, während sie ihm weiter zuhörte.

»Der Baumberger gab mir den Rat, mal wieder eine Wanderung auf die Berghütte zu machen. Ich hoffte, dich dort zu finden. Ich habe dich dort gefunden.«

Karo legte den Kopf an seine Schulter.

»Ich muß dir auch etwas gestehen. Auch ich habe einige Tage nach dir Ausschau gehalten. Ich wollte dich wiedersehen. Ich ärgerte mich, daß ich so vor dir davongelaufen bin.«

»Ja, des bist! Du bist gerannt, als hättest den Leibhaftigen gesehen! So bist du in die Kirche gerannt!«

»Nein, ich dachte nicht, daß ich einen Teufel gesehen habe, sondern einen Engel. Ich war so überwältigt, daß ich es keine Sekunde länger ausgehalten habe. Es kam alles so überraschend. So plötzlich! Es war so total anders, als ich es kannte.«

»Kannte? Was meinst damit?«

»Ach etwas, was nicht zu meinem Leben in Waldkogel gehört.«

Gustl legte den Arm um Karoline.

»Madl, aus dir werde ich net schlau. Dich scheint ein großes Geheimnis zu umgeben, etwas, was dich bedrückt.«

Karoline schaute im Mondlicht in Gustls Augen.

»Laß mir noch etwas Zeit. Ich bin in die Berge gekommen, um über Verschiedenes nachzudenken. Ich muß mich entscheiden zwischen der Pflicht und…«

»Und was?«

»Und dem, was mir mein Herz sagt!«

»Was sagt dir dein Herz?«

»Das sagt mir schon, was ich machen soll. Doch da ist auch noch die Pflicht, genauer: die Verpflichtungen. Die sind in meinem Kopf.«

»Kann ich dir irgendwie helfen? Ich will, daß du glücklich bist!«

»Vielleicht?«

Karoline überlegte. Gustl ließ ihr Zeit. Er hielt sie in seinen Armen und spürte ihre Wärme neben sich. Gern hätte er sie geküßt. Doch er wagte es nicht.

Es verging viel Zeit. Dann drehte Karoline den Kopf zu ihm.

»Ja, das gibt etwas, was du tun könntest. Es ist sehr wichtig für mich. Mein Herz sagt es mir. Ich muß es ausprobieren. Vielleicht kann ich dann den Unterschied feststellen.«

»Mei, Madl! Mei, Karo, des hört sich sehr kompliziert an. Was soll ich machen?«

Karolines Herz klopfte. Sie schloß die Augen und flüsterte ganz leise: »Kannst du mich küssen?«

»Mei, Karo! Nix lieber als des!«

Dann spürte Karo seine Lippen auf den ihren. Seine Küsse erzählten von tiefer Liebe, von inniger Hingabe bis in alle Ewigkeit. Sie sprachen die wirkliche Sprache der Liebe, einer selbstlosen Liebe, die nur ein Ziel kannte, sie glücklich zu machen.

Karoline erwiderte seine Küsse mit der gleichen Leidenschaft und Tiefe.

Sie küßten sich lange. Es waren zärtliche romantische Küsse. Sie tauschten Küsse voller unbändiger Leidenschaft. Sie tauschten Küsse, in denen sich ihre Herzen versprachen.

Gustl nahm Karolines Kopf zwischen seine Hände.

»Du bist mein Madl, ja?«

Karoline streichelte zärtlich und tröstend Gustls Wange.

»Lieber Gustl! Deine Küsse sagen mir, daß du mich willst. Das ist ganz wunderbar. Doch erinnere dich! Ich bat dich, mich zu küssen, weil ich einen Unterschied herausfinden wollte.«

»Was soll das heißen?«

»Daß du nicht der einzige Bursche bist, von dem ich geküßt wurde. Damals dachte ich, es sei Liebe. Dann habe ich dir vor der Kirche in die Augen gesehen und dachte, es muß noch eine andere Liebe geben. Es war ein Traum. Es war eine Hoffnung. Jetzt nach deinem Kuß bin ich mir sicher, daß meine Ahnung richtig war.«

»Heißt das jetzt, daß du mein Madl sein willst? Bist du jetzt mein Madl?«

»Gustl, ich komme aus einem wohlhabenden Elternhaus – wohlhabend, aber etwas gefühlskalt. Wir haben eine Haushälterin. Sie ist eine liebe Frau. Sie hatte mir den Rat gegeben, in die Berge zu fahren, weil ich nicht so glücklich war. Das ist eine lange Geschichte. Darüber will ich jetzt nicht sprechen. Nur so viel: Sie sagte einmal zu mir, Karoline, man kann etwas nicht zweimal verteilen. Ich will es so sagen: Ich habe entdeckt, daß es jenseits der Liebe, die ich kannte, noch eine andere Liebe gibt. Eine Liebe, die du mir in deinen Küssen und Blicken gezeigt hast. Ich lese in deinen Augen, was du sagen willst. Ich will dir nicht weh tun, Gustl. Du bist so ein wunderbarer Mensch. Ich bin dem Himmel dankbar, daß ich dich getroffen habe. Doch es wäre Unrecht, dir Hoffnungen zu machen, ohne daß ich vorher mit meinem Leben, mit meiner Vergangenheit, ganz abgeschlossen habe. Bitte! Gib mir Zeit! Der Tag heute war so wunderschön. Ich bleibe gern auf der Straubinger Alm. Es ist wunderschön hier. Es ist das Paradies. Es ist der schönste Ort auf Erden für mich. Ich laufe dir nicht fort.«

Gustl drückte ihr einen Kuß auf das blonde Haar.

»Ich habe hier gefunden, was ich gesucht habe. Jetzt muß ich entscheiden, ob ich es für immer behalten will, richtig?«

»Richtig, Karo! Ich vertraue dir! Ich bin sicher, daß du es behalten willst. Du hast gefunden, nach dem du gesucht hast. Jetzt mußt du dich selbst noch finden. Du scheinst immer noch ein bissel verloren zu sein. Ich bin für dich da!«

»Oh, Gustl! Wie schön du das gesagt hast! Das ist es! Ich muß mich selbst finden!«

»Ich werde dir dabei helfen!«

»Wie?«

Gustl nahm Karoline in die Arme. Er küßte sie innig und zärtlich. Doch seine Küsse waren zugleich voller tiefer Leidenschaft. Karoline spürte, daß es die wahre Liebe war. So hatte sie Pascal nie geküßt. Welch ein Unterschied, dachte Karoline.

Die nächsten Stunden vergingen im Rausch der Zärtlichkeiten unter dem nächtlichen Sternenhimmel.

Als die Glockenschläge von Waldkogel her erklangen und zwei Uhr verkündeten, erschraken beide.

»Karo, ich muß gehen! Tante Traudel und Onkel Willi werden sich Sorgen machen. Ich versprach, bis zum Abend zurück zu sein.«

»Du bist ein wunderbarer Mensch, Gustl! So voller Verantwortung und Sorge um jeden.«

»Geh’ du jetzt schlafen! Du kannst morgen früh ausschlafen. Ich mache die Stalltüren auf und schaue auch noch einmal nach dem Vieh. Es wird morgen früh selbst den Weg herausfinden.«

Gustl schaute Karoline tief in die Augen.

»Soll ich morgen – ich meine heute – abend wiederkommen?«

»Ja! Ich freue mich darauf!«

»Das ist schön! Soll ich dir etwas mitbringen aus Waldkogel? Hast du einen besonderen Wunsch, den ich dir erfüllen kann?«

Karoline streichelte Gustls Wange. Sie überlegte.

»Ja, ich habe einen großen Wunsch! Du könntest bei den Baumbergers vorbeigehen und mein Auto holen. Der Schlüssel liegt im Handschuhfach. Du könntest mein Auto nach Kirchwalden zu einem Gebrauchtwagenhändler bringen. Verkaufe es bitte!«

Gustl schaute Karoline überrascht an.

»Wirklich, Madl? Bist dir sicher?«

»Ja! Schau mal, ob der Autohändler ein Auto hat, das sich besser für die Berge eignet, einen Wagen, mit dem ich den Milchpfad hinauffahren kann, ohne einen Achsenbruch zu riskieren oder einen anderen Schaden. Du würdest mir damit eine große Freude machen.«

Gustl küßte sie.

»Gut! Alles, was du willst!«

Es dauerte dann doch noch eine Weile, bis Gustl ging. Es wurde ein längerer Abschied.

*

Gustls Jeep stand hinter der Almhütte der Oberländer Alm. Es war ein ziemlicher Weg von der Straubinger Hochalm bis zur Oberländer Alm. Gustl entschloß sich, heim auf den Hof zu gehen. Er wollte sein Auto später holen. Onkel Willi könnte ihn mit dem Traktor hinauffahren.

Es war schon hell, als Gustl den Hof erreichte. Sein Onkel war schon auf und ging über den Hof.

»Grüß Gott, Gustl! Bub, wo kommst du jetzt her und zu Fuß? Ist dein Auto kaputt?«

»Grüß dich, Onkel! Naa, mein Auto ist net kaputt. Des steht auf der Oberländer Alm. Ich komme von unserer Hochalm.«

»Du wolltest doch auf die Berghütte, oder?«

»Da war ich auch! Doch dann sind wir wandern gegangen und auf unsere Hochalm. Übrigens, den Senn, diesen Burschen, hab’ ich entlassen. Mußt dir um des Vieh aber keine Sorgen machen. Ich habe schon wieder jemanden gefunden. Eine Sennerin!«

»So! Eine Sennerin?«

»Ja! Eine fesche Sennerin! Die bleibt bis zum Herbst. Es kann aber sein, daß sie net bis zum Herbst auf der Hochalm bleibt. Ich denke mir, daß es auch nicht schlecht wäre, wenn sie den Hof kennenlernen würde.«

Wilhelm Straubinger grinste. Er verstand die Botschaft, die ihm sein Neffe sagen wollte.

»Nun, Bub! Es ist dein Hof! Aber ein bissel neugierig auf diese Sennerin bin ich schon und deine Tante auch. Willst uns nix Näheres erzählen?«

»Jetzt nicht! Ich muß jetzt frühstücken. Dann muß ich zum Xaver. Ich muß da den roten Sportwagen holen und in die Stadt bringen zum Gebrauchtwagenhändler.«

Gustls Tante kam aus dem Stall. Sie hatte alles gehört. Sie stellte sich dazu und schmunzelte.

»Warum willst du den Sportwagen verkaufen? Des kannst net machen! Der gehört dir doch net.«

»Des geht schon in Ordnung! So ein Sportwagen ist unpraktisch in den Bergen. Ich will versuchen, einen Jeep oder einen Geländewagen zu bekommen.«

»Willi, des klingt doch vernünftig! Was soll des Madl auf der Hochalm mit einem Sportwagen? Die Sennerin ist doch des Madl mit dem Sportwagen, oder?«

Gustl staunte. Der alte Bauer warf seiner Frau einen Blick zu.

»Gustl, deine Tante hat die Meta Baumberger besucht. Die hat schon mit dem Toni telefoniert. Wir wissen, daß ihr beide zur Hochalm wolltet. Also, wir brauchen dich hier auf dem Hof net so dringend. Wenn du auch einige Tage auf der Hochalm bleiben willst, dann kannst des gern machen.«

Gustl errötete und rieb sich das Kinn. Tag und Nacht zusammen mit Karoline auf der Hochalm, das gefiel ihm sehr. Er versuchte sich seine Gefühle nicht anmerken zu lassen, was ihm nur unzulänglich gelang. Die Freude und das Verliebtsein war Gustl deutlich anzusehen.

»So? Des wäre vielleicht schon eine Möglichkeit, über die es sich lohnt nachzudenken. Aber erst muß ich des rote Auto verkaufen.«

»Jetzt tust erst mal frühstücken!« entschied seine Tante Traudel energisch.

Willi und Traudel gingen hinein und Gustl folgte ihnen. Er setzte sich an den Tisch. Er gähnte.

»Schaust recht glücklich aus, Bub! Schaust aber auch müde aus. Hast jetzt schon zwei Nächte nimmer geschlafen. Wir haben dich nachts wegfahren hören. Hast dir zwar Mühe gegeben leise zu sein, wir haben es aber trotzdem gehört.«

Gustl schmunzelte. Während er frühstückte, erzählte er seiner Tante und seinem Onkel von dem Besuch auf der Hochalm.

»Des ist net schön! Des hast richtig gemacht, daß du den Burschen fortgejagt hast. Denkst, des Madl schafft des? Sie ist doch ein Stadt-madl!«

»Die kann zupacken!«

Gustl erzählte von der gemeinsamen Stallarbeit und den Blasen an Karolines Händen.

»Des wundert mich nicht. Des Madl ist schon richtig. Die Meta Baumberger spricht nur gut über die Karoline«, sagte Traudel.

Onkel und Tante bestanden darauf, daß sich Gustl schlafen legte. Wilhelm Straubinger und seine Frau boten an, sich um das rote Auto zu kümmern.

»Ich habe der Karo versprochen, daß ich des mache.«

»Des kannst du net machen, Gustl. Du kennst den Autohändler net so gut wie ich. Du hast von der Karoline keine Vollmacht. Laß mich des machen!«

Gustl stimmte zu. Nach dem Essen ging er schlafen. Seine Tante und sein Onkel fuhren zu Meta und Xaver.

*

Pascal Hubschmidt hatte lange geschlafen. Als er aufwachte, starrte er zuerst auf sein Handy.

»Noch immer kein Lebenszeichen von Karoline!« seufzte er.

Er dachte nach. Seine anfängliche Geduld und sein Verständnis für Karolines Verhalten war schon längst in Ungeduld und Verärgerung umgeschlagen. Ganz allmählich wurde Pascal zornig.

Er ging unter die Dusche. Danach zog er sich an und ging hinunter in den Wirtsraum.

»Grüß Gott! Hast gut geschlafen, Pascal? Des Frühstück ist gleich fertig«, rief ihm Meta Baumberger zu.

»Danke! Kein Frühstück heute! Ich fahre nach Kirchwalden.«

Pascals Stimme klang hart.

»Nanu? So brummig heut’, daß du net mal ein ›Grüß Gott‹ oder ein ›Guten Morgen‹ über die Lippen bringst. Mei, mußt du schlecht geschlafen haben!«

Pascal baute sich vor Meta Baumberger auf.

»Ich habe erst die halbe Nacht wach gelegen, dann als ich endlich einschlief, verfolgten mich Alpträume. Ich träumte, Karoline sei in den Bergen verunglückt und würde irgendwo verletzt liegen. Das kann doch sein, oder?«

Pascal wartete Metas Antwort nicht ab. Er redete gleich weiter.

»Also fahre ich jetzt nach Kirchwalden und rede mit der Bergwacht. Ich melde Karoline als vermißt.«

»Des ist Unsinn! Schmarrn!« rief Xaver Baumberger. »Die Bergwacht hat Besseres zu tun. Der Karoline ist bestimmt nix passiert, jedenfall ist sie mit Sicherheit net abgestürzt – so abgestürzt.«

»Wie soll ich das verstehen?«

»Des war nur so dahergeredet, Pascal. Warte doch noch einige Tage. Die Karoline wird sich schon melden, wenn sie will.«

»Warum soll sie sich nicht melden wollen? Ich habe unzählige Male versucht, sie anzurufen und habe Dutzende von Nachrichten auf ihrem Anrufbeantworter hinterlassen. Ich habe ihr SMS geschickt, fast im Abstand von Minuten. Nichts! Sie meldet sich nicht! Da muß etwas passiert sein.«

»Ich kann dir sagen, was passiert ist. Des Madl will alleine sein. Allein mit den schönen Bergen, will die Karoline Kraft tanken und über ihre Zukunft nachdenken!«

»Das ist alles kein Grund, sich nicht zu melden. Sie könnte mir doch sagen, wann sie kommt. Schließlich bin ich mitten in der Planung unserer gemeinsamen Zukunft. Sie hatte genug Zeit zur Entspannung. Ich habe viel Verständnis, wirklich! Aber jetzt weiß ich nicht mehr weiter. Ich werde die Bergwacht nach ihr suchen lassen.«

Xaver Baumberger trat neben seine Frau.

»Pascal, mach’ dich net lächerlich! Du tust dich aufführen wie ein junger Bulle, den die Jungkuh abweist«, lachte Xaver Baumberger.

»Ich bin tief beunruhigt! Es muß ihr etwas zugestoßen sein. Sie könnte anrufen oder mir eine SMS schicken. Das erwarte ich einfach.«

Xaver Baumberger schaute seine Frau an.

»Mei, Meta, was sind des für Zeiten? Wie ich ein Bub war, da gab es noch keine Handys und nur drei Telefone in ganz Waldkogel: Einen Anschluß im Rathaus, einen in der Polizeistation und der Pfarrer hatte auch ein Telefon. Des ging auch und vielleicht besser. Was meinst, Meta?«

»Ja, ja! Xaver! Des waren noch schöne Zeiten. Da hat’s den Zwang der Kommunikation noch nicht gegeben. Da wurde die Ruhe der Bergwelt noch nicht durch des Bimmeln der Handys gestört. Heute wird verlangt, daß man jede Stunde, jeden Tag, rund um die Uhr erreichbar ist. Wenn man sich net meldet, dann wird gleich des Schlimmste angenommen. Dabei sollte es doch jedem zustehen, sich frei zu entscheiden, ob er reden will oder net. Des ist ein Teufelszeug, diese Handys, Xaver!«

»Naa, Meta! Ich finde diese Dinger gut. Schau mal, wir können den Toni auf der Berghütte erreichen. Das ist doch gut. Was schlecht ist, ist der Zwang, den sich die Leut’ selbst machen.«

Xaver Baumberger schaute Pascal an.

»Du gehörst auch dazu! Dich ärgert doch nur, daß die Karoline sich net meldet. Wenn es keine Handys geben würde, dann würdest du einfach warten. Statt dessen machst du jetzt so einen Aufstand und willst sogar die Bergwacht alarmieren! Des ist wirklich Schwachsinn. So ein Schmarren! Hast schon mal dran gedacht, daß die Karoline sich vielleicht gerade bei dir net melden will?«

»Was soll das? Wieso sollte sie das nicht wollen?«

Meta legte beruhigend die Hand auf den Unterarm ihres Mannes.

»Xaver, laß sein! Des geht dich und mich nix an. Des ist die Sach’ von der Karoline und dem Pascal. Komm, Xaver, machen wir weiter. Es gibt noch viel Arbeit.«

»Des stimmt, Meta!«

Die beiden lächelten Pascal zu und ließen ihn stehen. Sie gingen in die Küche.

Pascal rieb sich die Stirn. Dann drehte er sich um und ging hinaus zu seinem Auto. Kurz darauf hörten Meta und Xaver, wie er davonbrauste.

Meta wischte sich die Hände an der Küchenschürze ab.

»Ich denke, es ist besser, wenn ich den Toni und die Anna anrufe. Der Toni ist mit dem Leo von der Bergwacht gut befreundet. Der Toni muß den Leo anrufen und den Besuch von Pascal ankündigen. Am Ende gelingt es Pascal noch, die ganze Bergwacht mit Hubschraubern und Rettungstrupps zu aktivieren. Des ist unverantwortlich! Die haben Besseres zu tun.«

Meta Baumberger griff zum Telefon und rief Toni an. Er meldete sich von der Oberländer Alm. Er hielt sich dort auf, weil er jemanden den Bergpfad hinunterbegleitet hatte, der sich den Fuß verletzt hatte.

Toni hatte ihm den Rucksack getragen und der alte Alois dem Wanderer seine alten Krücken geliehen, die noch im Schuppen standen.

Toni erklärte sich sofort bereit, Leonhard Gasser anzurufen, den Leiter der Bergwacht in Kirchwalden. Darüber hinaus wollte Toni zur Straubinger Hochalm fahren und mit Karoline sprechen. Meta und Xa-

ver fanden, daß das eine gute Idee war.

Mit dem Auto dauerte es nur eine Viertelstunde, bis Toni die Straubinger Hochalm erreichte. Er hupte und hielt. Karoline kam aus der Almhütte. Sie trug das schöne bunte Baumwolldirndl, das ihr Anna geliehen hatte.

Toni ging auf sie zu.

»Schaust gut aus, Karoline! Fesch! Wie eine richtige Jungbäuerin.«

»Grüß Gott, Toni! Sag bitte auch Karo zu mir. Die Karoline, die ist net hier. Hier ist nur die Karo!«

»Gut! Dann ein herzliches Grüß Gott, liebe Karo! Wie geht es dir? Hast dich schon ein bissel reingefunden in die Arbeit?«

»Ja! Setz dich! Willst einen Tee? Wasser?«

»Wasser wäre gut!«

Toni setzte sich auf die Bank unter dem vorgezogenen Dach der großen Almhütte. Karoline brachte einen Krug mit frischem Brunnenwasser und zwei Becher. Unter dem Arm trug sie ein Buch.

»Schau, Toni! Das habe ich gefunden. Der Bursche, der vor mir hier war, hat es liegen gelassen. Da steht viel drin über Viehhaltung. Ich habe es schon fast ganz ausgelesen, jedenfalls die Kapitel über Kühe, Ziegen und Schafe. Ich habe auch schon die Klauen der Schafe kontrolliert. Nachher will ich die Kühe bürsten. Das ist gut gegen die Fliegeneier und die sich daraus entwickelnden Larven. Ich will doch haben, daß das Vieh gesund bleibt.«

»Mei, Karoline! Entschuldige! Karo, des scheint dir wirkliche Freude zu machen.«

»Ja, das tut es! Die Schafe haben sich nicht gewehrt. Sie verstanden gleich, daß ich es nur gut mit ihnen gemeint habe.«

»Ich sehe dir an, wieviel Freude es dir macht!«

»Ja, das tut es! Gustl will am Abend wiederkommen. Dann will ich einiges mit ihm bereden. Ich habe mir die Fragen aufgeschrieben, damit ich sie nicht vergesse.«

Toni betrachtete Karoline. Das Glück leuchtete ihr aus den Augen. Er überlegte, wie er ihr von Pascal erzählen sollte. Er vermutete, daß Karoline jetzt über alles reden wollte, nur nicht über ihr altes Leben, über Pascal.

Toni trank einen Schluck Wasser.

»Schmeckt gut!«

»Ja, finde ich auch! Es schmeckt aber anders als das Wasser aus dem Gebirgsbach oben bei euch auf der Berghütte.«

»Des stimmt! Des hast du richtig erkannt. Es ist auch eine andere Quelle.«

Toni seufzte.

»Karo, es hat einen Grund, daß ich dich besuche. Sicherlich hätte ich die Tage mal vorbeigeschaut. Aber bestimmt net gleich heute, wenn mich meine Mutter net angerufen hätte. Pascal ist in Waldkogel. Er hat sich bei meinen Eltern einquartiert. Er sucht dich! Wir haben nicht verraten, wo du bist. Das hatten wir dir versprochen und das halten wir auch.«

Ein Schatten legte sich über Karolines Gesicht.

»Ich weiß! Er versucht mich über Handy zu erreichen. Er schickt mir fast halbstündlich eine SMS. Ich habe sie noch nicht gelesen.«

»Karo, du solltest dich bei ihm melden! Mußt dich ja nicht mit ihm treffen. Kannst ja sagen, daß du irgendwo in den Bergen bist und einige Tagesmärsche benötigst bis nach Waldkogel. Doch melde dich bitte bei ihm.«

»Macht Pascal deinen Eltern Ärger?«

»Ärger? Naa, so kann man net dazu sagen. Er steigert sich nur in etwas hinein, weil du dich nicht meldest. Er ist der Meinung, du bist im Gebirge abgestürzt und liegst irgendwo verwundet in einer Schlucht. In diesem Augenblick ist er auf dem Weg zur Bergwacht nach Kirchwalden. Er will dort eine Vermißtenmeldung nach dir aufgeben.«

»Der ist verrückt!« rutschte es Karoline heraus. »So ein Narr!«

»Keine Sorge! Ich habe einen sehr guten Freund bei der Bergwacht. Er ist der Leiter der Bergwacht in Kirchwalden. Ich habe schon mit ihm telefoniert. Er wird nicht ausrücken.«

»Danke, Toni! Es ist mir peinlich, daß ich solche Umstände mache.«

»Du kannst doch nichts dafür. Du hast einen Zettel hinterlassen, daß du in den Bergen Urlaub machst. Du konntest doch nicht wissen, daß er dir hinterher reist.«

»Ich hätte es mir denken können, Toni. Wahrscheinlich stecken auch meine Eltern dahinter. Er soll mich sicher zurückholen. Aber ich gehe nicht mit. Ich bin keine Ware, die man einfach abtransportieren kann. Ich bin mit ihm nicht verlobt, noch verheiratet. Und selbst dann kann ich mich aufhalten, wo ich will. Ich bin erwachsen und frei.«

Toni schaute Karoline an. In ihren Augen war ein Funkeln.

»Klingt, als hättest du eine Entscheidung getroffen…«

»Ja, Toni! Die habe ich! Ich habe Gustl gebeten, in Kirchwalden meinen Sportwagen zu verkaufen und mir statt dessen einen kleinen Jeep oder Geländewagen zu besorgen. Es bleibt dann immer noch eine Menge Geld übrig. Der Sportwagen war neu. Auf dem Tacho sind noch nicht einmal tausend Kilometer. Ich habe ihn erst letzte Woche bekommen, bin nur etwas in der Stadt herumgefahren und dann die Strecke hierher. Gustl wird sicher einen guten Preis erzielen. Der Rest des Geldes wird mir einen Start in Waldkogel verschaffen. Ich will, ich werde hier bleiben. Ich werde im Herbst nicht studieren. Was weiter wird, daß steht in den Sternen.«

Karoline lächelte glücklich.

»Gustl und ich haben heute nacht in die Sterne gesehen. Es war ein wunderschöner Himmel. Es war eine laue Nacht. Wir saßen fast bis zum Morgen hier und redeten.«

Karoline seufzte glücklich.

»Ich habe heute nacht noch mehr über die Liebe erfahren. Ich kann jetzt den Vergleich ziehen zwischen Liebe, so, wie es mit Pascal ist und Liebe…«

»… wie es mit Gustl ist!« ergänzte Toni.

»Ja!« flüsterte Karoline leise.

Toni lächelte sie an.

»Dann wünsche ich dir von Herzen, daß dir diese Liebe ein glückliches und erfülltes Leben beschert.«

Er stand auf. Sie gingen nebeneinander her bis zu Tonis Auto.

»Danke für deinen Besuch! Ich werde mich bei Pascal melden. Ich wußte, daß ich es tun muß. Ich werde mich gleich mit ihm in Verbindung setzen. Grüße mir Anna, Sebastian und Franziska herzlich und auch den alten Alois.«

»Das werde ich! Grüße du Gustl!«

Karoline winkte, als Toni davonfuhr.

Dann ging sie hinein und holte ihr Handy aus dem Rucksack. Sie schaltete es ein. Sie schrieb Pascal eine SMS.

Lieber Pascal!

Toni, Metas und Xaver Baumbergers Sohn, informierten mich, daß du mich suchst. Ich bin auf der Straubinger Hochalm. Ich habe hier eine Stelle als Sennerin angenommen. Mir geht es gut. Wenn du willst, schaue vorbei. Es führt ein breiter Feldweg herauf.

Grüße Karoline

Karoline schickte die Nachricht ab. Erleichtert atmete sie auf. Der erste Schritt war getan.

Danach rief sie Gustl an. Sie bat ihn mit dem abendlichen Besuch zu warten, bis sie ihn anrufen würde. Sie bekäme wahrscheinlich Besuch von daheim und wollte – nein, müßte etwas regeln.

»Das gelingt mir besser, wenn du nicht in der Nähe bist, Gustl!«

»Ich vertraue dir, Karo! Ich soll dich auch von Tante Traudel und Onkel Willi grüßen. Sie freuen sich schon darauf, dich kennenzulernen. Ich habe ihnen von dir erzählt.«

Gustl machte eine kleine Pause. Dann sagte er:

»Ich habe ihnen auch erzählt, daß wir uns geküßt haben. Ich hoffe, daß dich das nicht stört.«

Karoline lachte.

»Nein! Nein! Grüße sie auch zurück! Sage ihnen, ich freue mich auch, deine Familie kennenzulernen. Bis später dann, Gustl.«

Karoline legte auf. Sie schaltete ihr Handy ab und packte es wieder in ihren Rucksack. Sie wollte nicht mit Pascal telefonieren. Sie wollte von Angesicht zu Angesicht mit ihm reden. Sie war sich sicher, daß er kommen würde.

*

Pascal ging unruhig im Flur der Bergwacht auf und ab. Man hatte ihm versprochen, daß er gleich persönlich mit Leonhard Gasser sprechen könne. Das war jetzt schon fünf Minuten her. Ungeduldig schaute Pascal auf die Uhr.

Die Tür ging auf.

»Grüß Gott! Ich bin der Leiter der Bergwacht! Kommen S’ rein! Setzen S’ sich!«

»Guten Tag! Danke! Ich suche Karoline Bergmann, zwanzig Jahre alt. Sie wollte ihren Urlaub in Waldkogel verbringen. Dort ist sie auch angekommen. Sie brach dann letzte Woche wohl zu einer Bergwanderung auf. Bis jetzt gibt es kein Lebenszeichen von ihr. Ich kann sie auch nicht über Handy erreichen. Sie meldet sich nicht. Ich bin in äußerster Sorge. Ich will sie als vermißt melden. Leiten Sie eine Suche ein, sofort!«

Leo lächelte Pascal an.

»In welchem Verhältnis stehen Sie zu diesem Madl?«

»Sie ist meine Braut! Wir wollen uns verloben! Heiraten! Wir sind seit Jahren fest zusammen.«

»Mei, Mann! So etwas kommt öfters vor, daß die Braut kalte Füße bekommt.«

Pascal holte Luft. Er wollte diese unverschämte Bemerkung nicht unwidersprochen lassen. In diesem Augenblick gab Pascals Handy Signal, daß eine SMS angekommen war.

Pascal las die Nachricht.

»Hat sich des Madl jetzt gemeldet?«

Pascal errötete.

»Ja! Sie arbeitet als Sennerin auf einer Hochalm. So etwas Verrücktes!«

»So, meinen S’, des wäre ein narrisches Tun, die Arbeit auf einer Hochalm?«

»Können Sie mir sagen, wie ich auf dem schnellsten Weg zur Straubinger Hochalm komme.«

Leo zeigte Pascal an der Wandkarte, wie er fahren mußte. Er wünschte ihm alles Gute und begleitete ihn hinaus.

»Mei, war der überdreht!« flüsterte Leo vor sich hin, als er wieder im Büro war.

*

Pascal fuhr zurück in Richtung Waldkogel und nach der Gemarkungsgrenze den Feldweg hinauf, der auf die Almen führte. Er mußte sich unterwegs bei einigen Almen durchfragen. Dann endlich hielt er vor der Almhütte der Straubinger Hochalm.

»Karoline!« rief er laut. »Ich bin es! Pascal! Wo bist du?«

Karoline schaute kurz um die Hausecke.

»Grüß Gott, Pascal! Ich bin im Stall!«

Pascal Hubschmidt dachte zuerst, einen Geist gesehen zu haben. Er benötigte einige Sekunden, um sich bewußt zu machen, daß er eben wirklich Karoline gesehen hatte. Kopfschüttelnd ging er um die große Almhütte herum und schaute durch die offene Stalltür. Seine Augen mußten sich erst an die Lichtverhältnisse gewöhnen.

Sprachlos betrachtete er Karoline. Sie stand mitten im Stall und machte den Boden sauber. Es roch nach Mist und Dung. Karoline schüttete einen Eimer Wasser mitten auf den Boden und kehrte danach die Brühe Richtung Ausgang.

»Was machst du da?« fragte Pascal mit einer fast tonlosen Stimme.

»Das siehst du doch! Ich reinige den Stall. So gründlich muß man ihn nicht jeden Tag sauber machen. Aber es ist besser für die Gesundheit der Tiere, besonders für die kleinen Lämmer, Kälber und Zicklein.«

»Ich denke im Augenblick zuerst an deine Gesundheit, Karoline! Du trägst keine Handschuhe, keinen Mundschutz, keine Schutzkleidung. Das ist gefährlich! All diese Keime, Bakterien und Viren!«

Karoline lachte laut.

»Es ist erwiesen, daß Kinder auf dem Land weniger Allergien haben als Stadtkinder. Mist und Dung sind etwas Natürliches. Außerdem wird der Stall täglich gesäubert.«

Karoline kam Pascal mit dem Besen sehr nah. Er wich zurück. Wortlos schaute er zu, wie Karoline die letzten Meter des Stalles bis zur Tür säuberte. Dann stieg sie hinauf auf den Heuboden und warf durch die Luke Stroh und Heu herunter. Pascal stand dabei und sah zu. Es kam ihm vor, als sei er im falschen Film. Karoline verteilte das Heu und das Stroh.

Dabei redete sie und redete:

»Hier stehen die Kühe mit den Kälbern und die trächtigen Kühe. Dort sind die Ziegen untergebracht und hier die Schafe.«

Mit leuchtenden Augen schaute Karoline Pascal an.

»Riecht du es? Duftet es nicht wunderbar nach Natur?«

Pascal war unfähig zu antworten. Karoline ging auf ihn zu. Pascal wich aus.

»Komme mir bitte nicht zu nah! Du bist schmutzig!«

Karoline schüttelte den Kopf. Wortlos ging sie an ihm vorbei. Das habe ich gut gemacht, dachte sie. Sie war sich sicher gewesen, daß Pascal in der nächsten Stunde nach der Nachricht kommen würde. Und weil Bilder bekanntlich mehr sagen als tausend Worte, hatte sie sich entschlossen, ihm im Stall zu begegnen. Die Wirkung war genauso eingetreten, wie sie es erwartet hatte.

Karoline ging zum Brunnen und wusch sich. Sie zog die Gummistiefel aus und schlüpfte in ihre derben Wanderschuhe.

»Gefalle ich dir so jetzt besser?«

Pascal beantwortete die Frage nicht.

»Was ist? Willst du mich jetzt nicht richtig begrüßen? Kein Kuß? Stinke ich dir zu sehr nach Stall?«

Pascal ging auf Karoline zu und nahm sie in den Arm. Er küßte sie auf den Mund. Karoline schloß die Augen und lauschte auf ihr Herz. Dann schob sie ihn sanft von sich fort.

»Setz dich, Pascal! Willst du etwas trinken? Wasser? Tee? Kaffee?«

»Nein! Ich will vor allen Dingen, daß du mit diesem Schauspiel aufhörst. Ich gebe zu, daß es sehr echt aussieht. Aber das ist doch nicht ganz dein Stil, Karoline. Packe deine Sachen! Wir fahren ab. Wir können noch in einem Luxushotel einen Zwischenstop machen. Dann kannst du ein schönes Schaumbad nehmen, zum Friseur gehen, dir die Nägel machen lassen. Ich lade dich ein zu einem Abendessen bei Kerzenschein! Es gibt viel zu bereden. Du wirst staunen.«

Pascals Gerede rauschte an Karolines Ohren vorbei. Es ist sehr echt, dachte Karoline. Es ist die Erfüllung. Es ist das, was ich gesucht habe. Etwas was mich ausfüllt, glücklich macht. Wie kann ich ihm nur begreiflich machen, daß es keine Maskerade ist?

Sie ging hinein und brachte zwei Becher mit kaltem Kräutertee.

»Pascal, ich habe eine Frage. Was hast du eben empfunden bei dem Kuß? Mal abgesehen davon, daß du Angst hattest, ich könnte mit dem Dirndl, mit dem ich im Stall war, deinen Anzug beschmutzen?«

»Wie meinst du das?«

»Du sollst beschreiben, was du gefühlt, empfunden hast? War es, als verschmelzen alle Gefühle? War es, als bliebe dein Herz stehen, vor Glück? War es, als wäre der Kuß der Eintritt zum Paradies? War es, als würden dir vor Glück und Liebe fast die Sinne schwinden? War es, daß du eine Liebe empfunden hast, für die du alles aufgeben würdest?«

Verwundert schaute Pascal Karoline an.

»Was soll das, Karoline? Erwartest du, daß ich alles aufgebe und mit dir ein Leben auf der Alm führe? Du mußt irgendwie krank sein. Vielleicht kommt das von der Höhe. Was soll diese ganze Fragerei?«

Karoline schaute Pascal ernst an.

»Pascal, wir lieben uns nicht so, wie es sein sollte für ein Paar, das ein Leben lang zusammenbleiben will!«

»Was soll das jetzt? Sicher lieben wir uns! Wir kennen uns so lange!«

»Stimmt! Wir kennen uns schon, seit wir Kinder waren. Das ist es, Pascal! Ich habe sicherlich liebevolle Gefühle für dich! Du bist ein wunderbarer Mensch. Ich liebe dich aber nicht so, wie ein Madl einen Burschen – so sagt man hier in den Bergen – lieben soll, den es heiratet. Diese wirkliche Liebe, die ist anders, so ganz, ganz anders.«

Pascal schaute Karoline an.

»Ich gebe zu, daß wir uns nicht gerade heiß lieben! Aber das ist doch nicht so wichtig. Uns verbindet eine andere Art Liebe. Wir werden eine wunderbare Zukunft haben, gerade weil es so ist. Dieses überschwengliche romantische Getue, das bringt nichts. Der Himmel hängt voller Geigen! Alles ist rosarot und himmelblau. Irgendwann ist es vorbei und dann? Was ist dann? Bei uns ist es besser. Nun höre damit auf. Packe deine Sachen! Wir können bei dem Bauern vorbeifahren und du kannst dich verabschieden. Er wird schon einen Ersatz finden.«

Karoline lächelte.

»Du mußt mich nicht zum Straubinger Hof fahren. Ich finde den Weg dorthin auch alleine und zu Fuß. Höre mir jetzt gut zu, Pascal, und unterbreche mich nicht.«

Er nickte.

»Pascal ich liebe dich nicht so, wie ich den Mann, den ich heiraten werde, lieben möchte. Ich habe nur liebevolle Gefühle für dich, wie für einen Bruder vielleicht. So weh ich dir damit auch tue, Pascal. Es wäre nicht gut für uns beide. Ich habe mich entschieden! Ich habe mein Auto verkauft – verkaufen lassen. Ich werde nicht zurückkehren. Ich werde in Waldkogel bleiben. Ich werde mit Sicherheit nicht Pharmazie studieren und die Apotheke übernehmen. Du kannst gern bei meinem Vater einsteigen. Du kannst ihm später die Apotheke auch abkaufen. Das überlasse ich dir und Vater. Wenn er sie erhalten will, kann er es auch tun. Ich werde eines Tages heiraten und Kinder haben. Vielleicht gibt es in der nächsten Generation jemanden, der Freude daran hat. Ich habe keine Freude damit. Pascal, ich gebe dich frei. Lebe dein Leben! Werde so glücklich, wie du nur werden kannst. Ich werde mein Leben leben, von dem ich jetzt schon weiß, daß es mich glücklich machen wird.«

Pascal schaute Karoline an. Er war blaß geworden.

»Ist das das endgültige Aus?«

»Was denkst du? Sei ehrlich zu dir! Sei ganz ehrlich zu dir, Pascal! Hast du dich immer wohlgefühlt? War dir diese Planung und Bestimmung nicht auch zu eng? Du hast dich nicht gewehrt! Warum? Das weißt nur du. Ich breche aus! Raus aus dem goldenen Käfig, raus in die freie Natur, raus in die Berge! Die Sonne ist golden über den Bergen. Dieses Gold gefällt mir besser. Pascal, ich will dir nicht weh tun, denn ich spüre immer noch diese liebevolle Verbundenheit mit dir. Ich wünsche mir, daß unsere Freundschaft weiterbesteht.«

Pascal atmete tief durch. Nervös spielte er mit seiner Brille. Er schaute Karoline in die Augen.

Dann sagte er ganz langsam:

»Du bist eine sehr mutige Frau, Karoline! Ich bewundere dich! Du hast den Mut, der mir fehlte. Ja, es stimmt. Es ist nicht die große Liebe zwischen uns. Ja, es stimmt. Wir sind in die Rolle gedrängt worden. Ich hatte alle Bedenken zur Seite geschoben, wollte alle Erwartungen erfüllen und es jedem recht machen.«

Karoline trat ganz nah an Pascal heran. Sie schaute ihm in die Augen, streichelte seine Wange.

»Ich weiß, mein lieber Pascal! Ich weiß! Höre auf dein Herz, nicht auf den Verstand. Eines Tages wirst du jemanden finden und die große Liebe spüren.«

»Hast du jemanden gefunden?«

Karoline lächelte Pascal an.

»Ich wünsche dir, daß du glücklich wirst, Karoline.«

»Karo! Hier in den Bergen werde ich Karo gerufen.«

»Das paßt! Dann werde glücklich, Karo! Danke für deinen Mut. Du hast uns beide vor einer Dummheit bewahrt.«

»Es war die Liebe, die mich getroffen hat.«

Karoline trat einen Schritt zurück. Sie schaute in die Weite über das Tal, hinauf zu den Gipfeln der Berge.

»Ich werde den Eltern einen Brief schreiben. Ich kann nicht mit ihnen reden. Sie hören nie zu. Sie werden mich nicht verstehen. Doch darauf kann ich keine Rücksicht nehmen. Ich folge der Liebe. Ich höre auf mein Herz.«

»Ich werde dich verteidigen, Karoline! Nein, Karo! Dein Mut ist ein wunderbares Geschenk. Ich werde dir immer dafür dankbar sein. Aus uns wird kein Paar, aber wir werden immer Freunde bleiben!«

Karoline und Pascal gingen aufeinander zu. Sie nahmen sich in die Arme und drückten sich, wie es wahre innig verbundene Freunde tun.

»Dann werde ich jetzt gehen«, sagte Pascal.

»Wenn du einen Augenblick warten kannst, dann könntest du mich runter nach Waldkogel mitnehmen. Ich will noch einkaufen gehen. Ich will mir einige Anziehsachen für die Berge kaufen.«

»Ich nehme dich gern mit!«

Staunend sah Pascal zu, wie Karoline die Kühe, Ziegen und Schafe anlockte. Sie folgten willig. Sie lockte sie in den Stall und verschloß die Tür. Sie räumte den Tisch ab und sperrte die Almhütte zu.

»Du bist hier wirklich glücklich, Karoline. Das kann ich dir ansehen. Karo hat das gefunden, was dir als Karoline versagt blieb.«

»Ich hoffe, noch mehr zu bekommen!« blinzelte sie Pascal zu.

Dann fuhren sie nach Waldkogel. Pascal setzte Karoline auf dem Marktplatz ab. Er fuhr zu den Baumbergers, holte seine Sachen und fuhr heim.

*

Karoline betrat den Andenken- und Trachtenladen Boller.

»Da hast Glück gehabt, Madl! Wir wollten schließen.«

»Heute abend brauche ich nicht viel. Ich komme in den nächsten Tagen noch einmal. Jetzt möchte ich nur ein schönes Dirndl aus Baumwolle oder Leinen und noch ein paar andere Kleinigkeiten, Umschlagtuch, Kropfkette, Strümpfe und Schuhe.«

Es dauerte nicht lange. Dann hatte Karoline ein Dirndl gefunden. Es war aus dunkelblauem Leinen mit hellerer Schürze. Der Rock war gemustert, das Mieder einfarbig. Die Dirndlbluse hatte lange Ärmel und nur einen kleinen Ausschnitt. Dazu wählte Karoline die passenden Schuhe und Strümpfe und ein großes Umschlagtuch.

»Mei, fesch schaust aus, Madl! Da werden die Burschen Augen machen. Willst bestimmt zum Tanz nach Marktwasen.«

»So, in Marktwasen ist Tanz? Das wußte ich nicht. Doch das ist eine gute Idee!«

Karoline behielt das Dirndl an. Sie kaufte noch eine große Tasche und packte die alten Sachen hinein. Dann spazierte sie zum Straubinger Hof.

Karoline war froh, daß niemand zu sehen war. So hatte sie Zeit, den Hof zu betrachten. Ihre Augen glitten an den Mauern des großen Wohnhauses hinauf. Es hatte zwei Stockwerke und darüber ein Dachgeschoß unter einem weit ausladenden Dach. Das im Laufe der Jahrhunderte schwarz gewordene Holz hob sich gegen die weißen mit Lüftlmalerei verzierten Hauswände ab. Auch die Stallungen und die übrigen Gebäuden waren schneeweiß. Vor den Fenstern und an den Balkonen hingen Blumenkästen mit verschiedenfarbigen Hängegeranien. An den Fenstern hingen Scheibengardinen mit breiter Spitze. Mitten im Hof stand ein überdachter Brunnen. Der ganze Hof war fein gepflastert.

Alles sah so freundlich aus. Karolines Herz schlug schneller. Ich will mich immer an diesen Augenblick erinnern, dachte sie.

Die Haustür des großen Wohnhauses ging auf. Eine Frau mittleren Alters kam heraus, gefolgt von einem großen Berner Sennenhund. Der überholte sie und raste auf Karoline zu.

»Rambo! Net so stürmisch! Rambo, tu die Karo net umwerfen!«

Der Hund sprang an Karoline hoch, legte die Pfoten auf die Schulter und schnüffelte ihr Gesicht ab. Karoline spürte deutlich, wie willkommen sie war. Sie kraulte dem Hund das Fell und streichelte ihn. Dann schob sie ihn vorsichtig fort.

»Rambo! Rambo lauf und hole Gustl! Lauf, Rambo, lauf!« sagte Karoline leise.

Der Hund rannte laut bellend davon.

»Du bist die Karo! Madl, ich bin die Tante Traudel! Herzlich willkommen auf dem Straubinger Hof. Ich hoffe, du bleibst für immer.«

Karoline errötete.

»Wenn der Gustl mich will?«

»Mei, Madl! Wie kannst du daran zweifeln?«

Traudel Straubinger schloß Karo in die Arme.

»Mei, ist des ein schöner Augenblick! Bist ganz so, wie der Gustl dich geschildert hat. Was sag ich? Bist noch besser!«

Karoline war sehr verlegen.

»Wo ist Gustl?« fragte sie und schaute sich um.

Da kam Gustl aus der Scheune, zusammen mit einem älteren Mann. Gustl rannte auf Karoline zu.

»Mei, Madl! Welche Überraschung!«

»Du freust dich? Also, die Tiere auf der Hochalm sind schon alle im Stall. Ich habe sie etwas früher hineingetan. Ich hoffe, das geht in Ordnung?«

»Tante! Hörst! Die Karo ist schon ganz die Jungbäuerin! Eine prächtige Jungbäuerin wirst du sein!«

Gustl hob Karo in die Höhe und drehte sich mit ihr im Kreis. Er lachte dabei.

Plötzlich verfinsterte sich sein Gesicht. Er stellte Karoline auf den Boden.

»Mei, Madl! Was rede ich da? Ich habe dich ja noch nicht gefragt. Willst mein Madl sein?«

»Ja, Gustl!«

Gustl Straubinger nahm Karoline an den Händen und zog sie zu sich heran. Er nahm sie fest in die Arme.

»Karoline, ich liebe dich!«

»Ich liebe dich, Gustl! Nur dich! Ich will gern dein Madl sein!«

Gustl küßte Karoline.

»Karo, des heißt in dem Fall, sage ich wohl besser Karoline! Karoline, willst mich heiraten? Karo, willst meine Bäuerin sein?«

»Ja, Gustl! Das will ich! Ich will das Leben mit dir auf deinem Hof. Ich will, ich will, ich will!«

»Tante! Onkel! Habt ihr des gehört? Karo will, will, will!«

Gustl und Karo nahmen sich ganz fest in die Arme und küßten sich lange.

Erst danach kam Gustl dazu, Karoline seinem Onkel vorzustellen.

Wilhelm Straubinger hatte Tränen in den Augen, als er Karo in seine Arme nahm.

»Bist ein gutes Madl! Wirst unseren Buben glücklich machen! Des sehe ich gleich. Der Gustl ist net unser leiblicher Bub. Aber wir haben ihn genauso lieb. Eure Kinder werden wie unsere Enkelkinder hier auf dem Hof aufwachsen.«

»Nun mal langsam, Willi!« unterbrach Traudel ihren Mann. »Mußt die beiden net unter Druck setzen. Des wird schon.«

Gustl legte den Arm um Karoline.

»Morgen früh fahren wir nach Kirchwalden und kaufen Ringe. Dann bestellen wir das Aufgebot. Ich will dich so bald wie möglich heiraten.«

»Ja, das machen wir! Wir können dann auch mein Auto verkaufen.«

»Karo, ich hab’ dein Auto schon zum Händler gebracht. Mußt nur noch den Verkaufsvertrag unterzeichnen«, sagte Onkel Willi.

»Ja, Onkel Willi und Tante Traudel hatten sich heute morgen um dein Auto gekümmert. Sie wollten, daß ich mich nach zwei durchwachten Nächten nicht hinter das Steuer setze, sondern ein bissel schlafe. Doch besser hätte ich es auch nicht machen können. Sie haben sogar ein Geschenk für dich mitgebracht. Das gleiche hätte ich auch erstanden. Komm mit!«

Gustl nahm Karoline bei der Hand. Er führte sie in die Scheune. Dort zog er eine Abdeckplane zur Seite. Darunter kam ein roter Jeep zum Vorschein.

»Der ist ja toll!« rief Karoline begeistert.

»Den schenken wir dir! Wir sind so glücklich, daß du unseren Gustl so glücklich machst. Gefällt dir die Farbe? Der Wagen hat beim Händler rumgestanden. Die Feuerwehr von Kirchwalden hatte des Auto bestellt. Aber ich habe es ihm abgeschwätzt. Weil dein Sportwagen auch rot ist, dachte ich – hoffte ich, daß er dir gefällt.«

»Und wie er mir gefällt!«

Wilhelm Straubinger griff in die Hosentasche und überreichte Karoline die Autoschlüssel.

Karoline bedankte sich herzlich.

»Gustl! Du mußt einen Haustürschlüssel machen lassen!« befahl Tante Traudel ihrem Neffen.

Dann erklärte sie Karoline:

»Weißt, daß du einen Haustürschlüssel bekommst, des ist wichtig! Die Haustür ist zwar nie abgeschlossen. Der Hof gehört dem Bauer, aber die Bäuerin hat das Sagen. Verstehst, Karo?«

Karoline schmunzelte.

»Oh, Bub! Des wird was geben! Jetzt müssen wir beide uns gegen zwei Weiber wehren«, bemerkte Willi zu seinem Neffen.

»Des schaffen wir schon, Onkel Willi!«

Alle lachten herzlich.

»So, dann geht mal wieder an die Arbeit, ihr zwei! Ich zeige der Karo das Haus. Dann essen wir zusammen in der guten Stube. Es ist heute ja ein Festtag. Aber so wie ihr seid, in den Arbeitshosen, kommt ihr mir net über die Schwelle. Ich hänge euch die Sonntagsanzüge raus!«

Traudel schob ihren Arm unter den von Karoline und führte sie in das große Haus. Sie zeigte ihr alles. Das ganze Haus war voll edler Bauernmöbel. Karoline fühle sich sofort wohl.

Traudel und Karoline deckten dann zusammen den Tisch. Sie arbeiteten Hand in Hand, so als würden sie sich schon lange kennen. Was Karoline nicht wußte, vermittelte ihr Traudel. Sie tat es auf eine liebevolle unaufdringliche Art. Karoline fühlte sich schon jetzt ganz in die Familie Straubinger aufgenommen.

Sie aßen zusammen zu Abend. Es gab kalten Braten und Kartoffelsalat. Dazu tranken sie Bier.

Anschließend spazierten Gustl und Karoline durch Waldkogel. Damit zeigte Gustl, daß Karoline zu ihm gehörte. Traudel und ihr Mann Willi folgten mit Abstand. Alle gemeinsam kehrten sie »Beim Baumberger« ein. Stolz auf seine Schwiegertochternichte, wie Willi Karoline betitelte, hielt er an diesem Abend das ganze Lokal frei.

Am nächsten Morgen fuhren Karoline und Gustl nach Kirchwalden. Sie kauften Ringe und erledigten die Angelegenheit bei dem Autohändler.

»Jetzt habe ich wenigstens ein wenig Geld, wenn ich schon ohne Mitgift auf den Straubinger Hof einheirate«, sagte Karoline.

»Schmarrn, Karo! So etwas will ich nie und nimmer von dir hören! Du hast mir dein Herz geschenkt! Da brauchst du keine Mitgift.«

Gustl nahm mitten auf der Straße in Kirchwalden seine Karo in die Arme und drückte sie und küßte sie.

Gustl besuchte in Kirchwalden seine Eltern und Großeltern. Sie schlossen Karoline in die Arme. So viel Herzlichkeit war für Karoline eine ganz neue und wunderbare Erfahrung. Sie war sehr glücklich.

Am Nachmittag bestellten sie bei Bürgermeister Fritz Fellbacher das Aufgebot. Anschließend gingen sie zu Pfarrer Zandler, um die Einzelheiten für die kirchliche Trauung zu besprechen.

*

Zwei Wochen später heirateten Gustl und Karo. Es wurde eine wunderbare Feier. Pascal kam auch zur Trauung. Gustl und Pascal wurden sofort Freunde. Pascal lernte auf der Hochzeit der beiden eine junge Frau aus Kirchwalden kennen. Die beiden verstanden sich auf Anhieb.

»Es gibt die Liebe auf den ersten Blick, die wahre Liebe«, flüsterte Pascal Karoline zu.

»Dann halte sie fest!« riet sie ihm.

Leider kamen Karolines Eltern nicht zur Hochzeit. Das machte Karoline etwas traurig. Pascal tröstete sie.

»Sie werden es schon noch verstehen, daß du auf dein Herz gehört hast. Sie werden eines Tages sehr stolz auf dich sein!«

Gustl und Karoline waren sehr glücklich. Sie bekamen vier Kinder, drei Jungen und ein Mädchen. Die Zukunft des Straubinger Hofes war gesichert. Onkel Willi und Tante Traudel zogen vom Altenteil ins große Wohnhaus. Wenn alle am Tisch saßen, konnte Karoline ihr Glück selbst nach Jahren noch nicht richtig fassen. Sie hatte eine große glückliche Familie.

Pascal, der bald nach Karoline geheiratet hatte, bemühte sich viele Jahre um die Aussöhnung zwischen ihren Eltern und Karoline. Er war mit seiner Familie oft Gast auf dem Straubinger Hof. Gustl hatte das Altenteil als Gästewohnung ausgebaut. Pascals Kinder und die Kinder von Karoline wurden Freunde.

Eines Tages waren die Kinder von Karoline und Gustl bei Pascal und seiner Frau in den Ferien. Da nahm Pascal sie einfach mit in die Apotheke. Als Agathe ihre Enkelkinder sah, schmolz endlich die Härte in ihrem Herzen.

Endlich versöhnten sie sich wieder mit ihrer Tochter und hießen Gustl als Schwiegersohn willkommen. Jetzt war Karoline völlig zufrieden.

Toni der Hüttenwirt Paket 2 – Heimatroman

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