Читать книгу Toni der Hüttenwirt Paket 2 – Heimatroman - Friederike von Buchner - Страница 22

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Toni kam zurück auf die Berghütte. Er hatte Basti und Franzi hinunter zur Oberländer Alm gebracht und von dort frische Lebensmittel auf die Berghütte geholt. Bello, der junge Neufundländer, trug die Packtaschen. Toni räumte sie aus und legte die Sachen auf den Küchentisch. Anna, seine liebe Frau, spülte das Frühstücksgeschirr der Hüttengäste.

»Viele sind schon aufgebrochen, Anna! Es ist ziemlich leer heute.«

»Ja, das ist es, Toni. Das liegt an diesem schönen Wetter und daß wir nur Gruppen zum Übernachten hatten. Die sind schon alle gemeinsam wandern. Ich habe nichts dagegen, wenn es einmal morgens ein bisserl ruhiger ist.«

»Des stimmt!«

Anna lächelte ihrem Mann zu.

»Was erzählt dein Vater?«

»Net viel! Du weißt doch, daß er am Morgen auch net viel Zeit hat. Er wartete schon auf der Oberländer Alm. Die Kinder sind gleich ins Auto gestiegen. Er hat mir nur einen Reklamezettel gegeben. Die hat die Tourismuszentrale verteilen lassen. Da ist auch ein Bild der Berghütte drin. Schau mal!«

Anna trocknete sich die Hände ab. Sie setzte sich an den Tisch und sah sich die vier Seiten des farbigen Faltblatts an. Auf der Vorderseite waren Fotos aus der gesamten Region. Die beiden Innenseiten und die Rückseite enthielten Angebote. Das Ganze stand unter dem Motto:

Warum in die Ferne schweifen? Die Berge sind so nah!

Damit warb die Tourismuszentrale für den heimischen Urlaub.

»Schön gemacht!« lobte Anna. »Das Bild von der Berghütte ist zwar nicht neu, aber Hauptsache, es trägt zur Bekanntheit bei.«

Der alte Alois kann in die Küche.

»Mei, des ist ja noch ein Foto aus der Zeit, in der ich der Hüttenwirt war. Diese Einfaltspinsel!« schimpfte er. »Haben die denn kein anderes Bild? Toni, wenn du des nächste Mal nach Kirchwalden kommst, dann mußt du denen ein neueres Bild von der Berghütte bringen.«

Toni schmunzelte.

»Reg dich net auf, Alois! Die haben neuere Fotos. Vielleicht haben sie dieses Foto ausgewählt, weil es eine Schwarzweißaufnahme ist und deshalb besonders romantisch ausschaut.«

Der alte Alois schüttelte den Kopf. Er gab erst Ruhe, als ihm Toni versprach, bei nächster Gelegenheit beim Tourismusbüro in Kirchwalden vorbeizugehen

Toni ging an die Arbeit. Es galt, bis zum Mittag den Wirtsraum zu reinigen und den Hüttenboden. Die Terrasse der Berghütte mußte gesäubert und Holz gehackt werden, wie jeden Tag. Anna trocknete Geschirr ab. Der alte Alois saß bei ihr in der Küche und erzählte Geschichten aus alten Zeiten. Anna hörte ihm gern dabei zu.

*

Rosel Tremmler schleppte einen schweren Koffer die Stufen des Mehrfamilienhauses hinauf.

»Sie heben sich ja einen Bruch, junge Frau! Haben Sie denn niemanden, der Ihnen hilft?«

Rosel stellte den Koffer auf einem Treppenabsatz ab und sank auf die Stufen.

»Guten Tag! Ich heiße Rosel Tremmler. Ich ziehe oben in die Dachgeschoßwohnung«, keuchte sie.

»Ach? Ich dachte, die wird von einem jungen Mann bewohnt«, bemerkte die ältere Dame neugierig.

»Ja, von Stefan! Das ist mein Bräutigam! Er wohnt schon zwei Monate hier. Wir werden in vier Wochen heiraten.«

»Wie schön! Meine Glückwünsche. Trotzdem ist es nicht richtig, daß sie sich allein so abschleppen müssen. Warum hilft er Ihnen nicht?«

»Er ist auf Dienstreise. Er kommt erst heute abend wieder. Ich will ihn überraschen und schon alles einrichten. Zum Glück ist das der letzte Koffer mit meinen Sachen. Es liegt an meiner Ungeschicklichkeit. Ich dachte, ich mache es besonders schlau, wenn ich alles in Koffer verpacke. Die kann ich besser tragen als Kisten. Im Prinzip war das auch gut. Aber einige Koffer sind sehr groß, und ich habe zuviel hineingepackt. Nun ja, das schaffe ich schon! Dann ist nur noch Bunny im Auto, das ist mein Hase, genauer gesagt mein Kaninchen. Er zieht auch hier ein!«

Rosel lächelte der Dame zu und schleppte den Koffer die letzten Stufen hinauf.

Der Koffer war schnell ausgepackt und die Sachen auf dem Regal verstaut. Rosel schwärmte für die Langohren. Nicht nur, daß sie seit ihrer Kindheit immer einen Hasen oder ein Zwergkaninchen hatte, nein, sie sammelte auch Hasenfiguren aus Porzellan und Holz, Stofftiere und Bilder mit Hasenmotiven.

Rosel trug den Koffer in den Keller. Auf dem Rückweg brachte sie den Kaninchenstall in die Wohnung. Bunny bekam einen Platz im Wohnzimmer, gleich neben der Terrassentür.

»Da fühlst du dich wohl, mein Lieber! Hier kannst du schön auf die Dachterrasse hinaus.«

Die junge Frau öffnete den Käfig. Bunny, das graue Kaninchen mit dem weißen Fleck auf der Nase hoppelte sofort auf die Terrasse. Rosel säuberte den Käfig. Dann machte sie sich eine Tasse Kaffee und setzte sich auf die Terrasse.

»Hier gefällt es dir! Hier ist es schön. Hier muß ich dich nicht immer in den Stall tun, wenn ich fortgehe. Du hast einen schönen Platz, auf dem du nach Herzenslust hoppeln kannst. Ich werde dir noch eine Hasenfrau besorgen. Dann bist du nicht mehr so alleine. Ich habe meinen Stefan – und du bekommst eine Hasenfrau!«

Rosel war glücklich. Sie schaute auf die Uhr. Es war früher Nachmittag. Noch genug Zeit, bis Stefan kam. Sie wollte ihn mit einem schönen Abendessen mit Kerzen auf der Terrasse überraschen. Dazu mußte sie noch einkaufen gehen.

Während Rosel ihren Kaffee trank, träumte sie von ihrem wunderbaren zukünftigen Leben mit Stefan.

»Um Gottes willen! Was soll das? Rosi! Rosi, bist du da?« riß eine Stimme Rosi unsanft aus ihren Träumen.

Rosi erschrak und sprang aus dem Liegestuhl auf. Sie rannte ins Wohnzimmer.

»Stefan, du bist schon da? Ich habe dich erst heute abend erwartet. Jetzt bist du überrascht, wie?« strahlte sie ihn an. »Ich habe schon all meine Sachen hergebracht und eingeräumt. Es ist alles fertig!«

Sie ging auf ihn zu und drückte und küßte ihn. Dabei spürte sie deutlich, wie angespannt er war.

»Was ist? Freust du dich denn nicht? Alles ist fertig, und ich wollte dich mit einem schönen Abendessen überraschen. Egal! Ich freue mich, daß du da bist.«

Stefan schob Rosel zur Seite.

»Was ist das für Zeug, Rosi?«

»Stefan, das ist meine Hasensammlung! Das weißt du doch. Sieht gut aus, meinst du nicht auch?«

»Das ganze Zeug kommt hier weg! Das schaut ja aus wie in einem Kinderzimmer. Ich mache mich vor meinen Freunden doch nicht lächerlich. Räume das sofort ab! Die Sachen kommen in den Keller. Die bleiben nicht in der Wohnung!«

Rosel wurde blaß. So hatte sie Stefan noch nicht reden gehört. Seine Stimm klang hart, unerbittlich.

Dann fiel Stefans Blick auf die Dachterrasse. Dort hoppelte Bunny herum.

»Sag bloß, du hast das Vieh auch mitgenommen?«

»Sicher!«

Stefan seufzte. Er bereute seine Heftigkeit und ging auf Rosel zu.

»Es war nie die Rede davon, daß du Bunny mitbringst und die ganzen Hasensachen. Das kannst du doch alles bei deinen Eltern lassen – und dieses Untier auch.«

»Das sind meine Sachen. Du hast gesagt, daß ich alles mitnehmen kann.«

»Sicher, aber doch nicht diesen Kram! Das ist doch kindisch!«

»Das ist überhaupt nicht kindisch! Andere haben einen Hund, Fische, eine Katze – ich habe Bunny. Er bleibt!«

Rosel schaltete auf stur.

»Nein! Ich will kein Haustier. Da hat man keine Unabhängigkeit. Man ist gebunden. Außerdem, ausgerechnet ein Kaninchen. Also, das kommt nicht in Frage! Pack es in den Käfig und dann zurück damit zu deinen Eltern. Da lasse ich nicht mit mir handeln.«

»Nein!«

»Doch! Nun sei nicht so störrisch, Rosi! Es ist doch nur ein graues Kaninchen!«

Rosel wurde wütend.

»Was soll das heißen? Nur ein graues Kaninchen? Könnte es bleiben, wenn es schwarz oder weiß wäre? Würde es dir besser gefallen?«

»Mein Entschluß hat nichts mit der Farbe zu tun.«

»Du hast nicht gesagt, daß du Bunny nicht hier haben willst.«

»Ich hielt es für selbstverständlich, daß du das Vieh nicht hierher bringst!«

»So? Wie kommst du darauf? Wie kannst du das einfach annehmen?«

Stefan holte Luft.

»Rosel, ich gebe nicht nach! In diesem Punkt nicht. Ich habe schon so viele Zugeständnisse gemacht in bezug auf die Wohnung und Einrichtung. Aber es gibt hier keine Duldung für das Hoppelvieh!«

Rosel kämpfte mit den Tränen.

»Du liebst mich nicht!«

»Nun werde nicht unfair! Was hat meine Ansicht über Langohren mit Liebe zu tun? Ich sehe, ich kann mit dir nicht vernünftig darüber reden. Dann hören wir am besten auf zu diskutieren. Ich gehe jetzt zu einem Freund. Bis ich zurückkomme, kannst du diese Hasenausstellung entfernen und Bunny zu deinen Eltern zurückbringen.«

Rosel schrie ihm ins Gesicht:

»Wenn du das von mir verlangst, dann gehe ich auch!«

»Was soll diese Drohung? Ach, du bist heute nicht bei Sinnen. Am besten ich lasse dich alleine!«

Stefan drehte sich um und verließ die Wohnung.

Rosel ging auf die Terrasse. Sie nahm ihr Kaninchen in den Arm und drückte es fest an sich. Die Tränen tropften auf sein Fell.

»Hast du das gehört, Bunny? Er will dich nicht! Ich soll dich fortgeben. Du bist ihm lästig. Dabei bist du so ein braver und lieber kleiner Hasenmann.«

Sie trug Bunny in die Küche und gab ihm einen Leckerbissen. Bunny hoppelte fröhlich in der Küche umher. Rosel wischte ihre Tränen mit dem Handrücken ab.

Die Wohnungstür ging auf. Rosels Herz machte einen Sprung. Stefan kommt zurück. Er bereut es, daß er so ungehalten war. Sie drehte sich nicht um. Er sollte ihre Tränenspuren nicht sehen.

»Ich habe etwas vergessen!« rief er ihr vom Flur aus zu.

Rosel hörte, wie er in seinem kleinen Arbeitszimmer nach etwas suchte. Er kam zurück und schloß die Tür.

Dann sah er Bunny in der Küche.

»Jetzt ist das Vieh auch schon in der Küche. Was soll das? Sperr es sofort in den Käfig!«

»Nein! Bunny, bleibt! Es ist auch meine Wohnung.«

Stefan wurde vor Wut rot im Gesicht.

»Ja, es ist auch deine Wohnung. Du bestimmst alles. Du wolltest die Wohnung unbedingt haben wegen der Terrasse. Jetzt weiß ich auch warum. Nur damit dieses Untier Platz hat! Aber da bleibe ich hart. Der Hase kommt fort!«

»Das ist kein Hase, sondern ein Kaninchen!« brüllte Rosel. »Und ein Untier ist er auch nicht. Ich mag ihn! Er bleibt. Du hast nie davon gesprochen, daß ich ihn nicht mitbringen darf.«

»Das hielt ich nicht für wesentlich! Ich ging davon aus, daß für uns ein neues Leben beginnt. Ich habe auch viel bei meinen Eltern gelassen.«

»Da ist etwas ganz anderes. Dabei handelt es sich nicht um Lebewesen. Das war alles alter Krempel.«

Stefan brauste auf:

»Und was ist mit dem Kitsch im Wohnzimmerregal? Das ist mehr als Krempel, das ist Plunder, diese scheußlichen Porzellanhasen, Stoffhäschen, Hasennippes in jeder Größe und Art. Gräßlich! Der Anblick jagt mir einen Schauer über den Rücken.«

Rosel starrte ihn an. Sie kannte Stefan plötzlich nicht mehr. So hatte sie ihn noch nie erlebt.

Sie machte einen erneuten Versuch.

»Stefan! Wenn du Ärger im Beruf hast, wenn du gestreßt bist, dann kannst du mir das sagen. Ich habe Verständnis für dich!«

»Nein, ich habe keinen Ärger! Aber wenn du es genau wissen willst, diese Hasen… dieses Hasenzeug, das macht mir Streß. Das ist nicht meine Welt. Wie sieht das aus! Schau doch selbst: Moderne Glas- und Edelstahlregale und dann dieser Kitsch. Außerdem macht so ein Untier nur Gestank, Dreck und Arbeit. Nein, da lasse ich nicht mit mir handeln, nicht in diesem Punkt, Rosi.«

Rosel starrte ihn an. Sie schluckte. Er meint es ernst. Wie kann er sich plötzlich so gebärden? Er sagte doch die ganze Zeit nichts?

»Stefan!« Rosel machte einen letzten Versuch. »Stefan, du bist so oft bei mir daheim gewesen. Wir kennen uns zwei volle Jahre. Wir wollen heiraten. Nie hast du etwas gesagt, daß du Bunny nicht magst, daß dich meine Hasensammlung stört.«

»Ich habe darüber hinweggesehen. Ich dachte, das seien alles Relikte aus deiner Kleinmädchenzeit. Du hast nie gesagt, daß du das ganze Zeug und diesen haarenden Hoppelmann mitnehmen willst.«

Jetzt war es endgültig zu viel für Rosel. Sie holte tief Luft. Voller Verzweiflung brach es aus ihr hervor:

»Wenn Bunny gehen muß und du kein Verständnis für meine Sammlung hast, dann können wir die Hochzeit abblasen und uns gleich trennen!« brüllte sie ihn an.

»Ach, mach doch, was du willst! Du mußt wissen, was dir wichtiger ist, das Langohr oder ich. Gut, daß du das noch vor der Hochzeit bemerkst. Rosel, komme zu Vernunft. Daran kann unsere Beziehung doch nicht scheitern?«

»Sollte sie zumindest nicht!«

»Also! Ich fahre jetzt zu meinem Freund. Bis ich komme, ist diese Haseninvasion verschwunden und wir verlieren dann auch kein Wort mehr darüber.«

Stefan ging auf Rosel zu und wollte sie in den Arm nehmen. Sie wich ihm aus.

»Dann sei zickig, wenn es dir Freude macht. Meinen Standpunkt habe ich dir jedenfalls gesagt.«

Stefan drehte sich um und lief hinaus. Die Wohnungstür fiel hart ins Schloß.

Rosel sank auf einen Küchenstuhl. Sie barg den Kopf in den Armen auf dem Küchentisch und weinte. Irgendwann spürte sie Bunny neben ihren Füßen. Sie nahm ihn auf den Schoß.

Während sie die nächste Stunde ihr Kaninchen liebkoste, dachte sie über Stefan nach.

Wie kann er mir das antun?

Weiß er denn nicht, wie tierlieb ich bin?

Weiß er nicht, wie sehr ich Tiere mag?

Bunny bellt nicht. Bunny miaut nicht, zerkratzt keine Tapeten. Bunny sitzt friedlich in seinem Stall und wartet, bis ich von der Arbeit komme und mit ihm spiele.

Rosel war klar, daß sie ihren Traum von einer Hasenfrau, wie sie immer liebevoll sagte, vergessen konnte. Es ging nicht darum, noch ein Kaninchen anzuschaffen. Es ging um Hoppelmänner überhaupt.

Rosel sah Stefan kritisch. Sie überdachte die Zeit, in der sie zusammen waren. Ja, es war richtig. Stefan hatte sich nie für Bunny oder mein Hobby, dem Sammeln von Hasen in jeder Form und Art interessiert. Alle meine Freundinnen, Kolleginnen und Kollegen schenkten mir zum Geburtstag immer wieder ein neues Hasenteil.

»Oh, Gott!« stöhnte Rosel laut. »Wenn Stefan erst meine Aussteuer sieht, dann rastet er völlig aus. Handtücher mit Hasen! Topflappen mit Hasenmotiven. Geschirr mit Hasenmustern!«

Voll Hingabe streichelte sie Bunny.

»Es scheint fast, als wäre ich kurz davor, einen Riesenfehler zu machen. Was meinst du dazu, Bunny?«

Kaum hatte Rosel die Worte ausgesprochen, war ihr klar, daß Stefan nicht der Mann war, mit dem sie ihr Leben verbringen wollte. Sie dachte darüber nach, prüfte und wog ab. Plötzlich fielen ihr viele Augenblicke ein, in denen sie schon viel früher hätte erkennen müssen, daß Stefan keine Liebe zu Tieren besaß.

»So einen Mann will ich nicht! Nicht wahr, du auch nicht, Bunny? Da wird es besser sein, wenn wir unsere Sachen packen und gehen.«

Rosel setzte Bunny in den Kaninchenstall und stellte den Käfig schon einmal vor die Wohnungstür. Dann packte sie die Hasensammlung sorgfälltig ein. Sie packte ihre Reisetasche. Alles häufte sie im Treppenhaus auf. Dann holte sie sich in Stefans Arbeitszimmer ein Blatt Papier. Dabei fiel ihr Blick in den Papierkorb neben dem Schreibtisch. Rosel angelte sich den Prospekt heraus und las: »Waldkogel! Warum in die Ferne schweifen? Die Berge sind so nah! Unterkünfte auf Bauernhöfen, Ferienwohnungen, Pensionen in verschiednen Kategorien. Familien und Haustiere willkommen!«

Rosel steckte die Broschüre in die Hosentasche. Dann schrieb sie Stefan einige Zeilen und legte sie ihm auf den Küchentisch.

Hallo Stefan!

Es ist gut für uns beide, daß ich noch rechtzeitig bemerkt habe, daß wir nicht zueinander passen. Anbei findest du den Wohnungsschlüssel. Bunny und meine Hasensammlung habe ich bereits aus der – nun nur deiner – Wohnung entfernt. Ich werde bis nach dem geplanten Hochzeitstermin Urlaub machen.

Im Klartext:

Die Hochzeit findet nicht statt!

Ich werde meine Verwandten und Freunde informieren. Die gemeinsam angeschafften neuen Möbel kannst du behalten. Meine Sachen packe in die leeren Koffer. Sie stehen im Keller. Ich werde sie zu einem späteren Zeitpunkt von einer Spedition abholen lassen.

Ich kann keinen Mann heiraten, der meine Tierliebe nicht teilt oder zumindest toleriert. Ich wünsche dir, daß du jemand findest, der besser zu dir paßt – und keine Hasen hat, kein Viehzeug, keine Untiere.

Rosel

»Das war es!« sagte Rosel leise vor sich hin.

»Doch wie sagte meine alte Großtante immer? Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende.«

Rosel ging noch einmal durch alle Zimmer. Dann nahm sie ihre Handtasche vom Glastisch im Flur und trat ins Treppenhaus. Es fiel ihr dann doch schwer, die Tür zu schließen.

»Ach, Bunny! Wie heißt es auch? Es kommt immer etwas Besseres nach.«

Rosel trug zuerst Bunny in ihr Auto, dann holte sie die Reisetasche und die Tüten mit der Hasensammlung. Sie war froh, der alten Dame nicht im Treppenhaus zu begegnen. Schnell fuhr Rosel ab. Sie steuerte die nächste Tankstelle an, tankte und kaufte sich eine Straßenkarte. Dann sah sie nach, welchen Weg sie nach Waldkogel nehmen mußte.

»Dann wollen wir, Bunny! Hier steht es schriftlich: Tiere sind willkommen!«

Bevor sie den Weg nach Waldkogel einschlug, schickte sie ihren Eltern und ihrer Schwester eine SMS.

Sie lautete:

Meine Lieben!

Ich werde Stefan nicht heiraten! Bis nach der Hochzeit fahre ich in Urlaub. Versucht nicht, mich zu finden. Ich bin froh, mich zu diesem Entschluß durchgerungen zu haben. Bitte sagt in meinem Namen bei allen Eingeladenen die Hochzeit ab. Danke! Ich melde mich dann in einigen Wochen. Meine Sachen bei Stefan lasse ich von einer Spedition abholen.

Ich umarme Euch alle! Rosi

PS: Bunny nehme ich mit in Urlaub

Rosel stellte ihr Handy nicht nur aus, sie nahm die Handykarte heraus und legte die Einzelteile in das Handschuhfach ihres Autos.

»So, Bunny! Auf in ein neues Leben! Auf nach Waldkogel!«

Rosel startete den Motor und fuhr ab.

*

Die Sonne stand tief über den Bergen, als Rosel Tremmler in Waldkogel ankam. Sie hielt erst einmal auf dem Marktplatz an und sah sich um. Sie lehnte sich an ihr Auto und studierte den Prospekt.

»Grüß Gott, Madl! Willkommen in Waldkogel. Ich seh’, du studierst den neuen Werbezettel der Tourismuszentrale. Dann hat er schon eine Urlauberin mehr gebracht.«

Rosel sah auf und betrachtete den Mann, der im grünen Lodenanzug vor ihr stand. Jetzt nahm er den Hut mit dem Gamsbart ab.

»Ich darf mich vorstellen, ich bin der Fritz Fellbacher, der Bürgermeister von dem wunderschönen Waldkogel.«

Dabei breitete er die Arme aus, als wollte er ganz Waldkogel umarmen.

»Ah! Guten Abend – oder sagt man hier immer ›Grüß Gott‹?«

»Also, wenn du schnell Freunde gewinnen willst, dann sagst ›Grüß Gott‹.«

»Freunde, das ist gut! Die habe ich nötig! Vielleicht können Sie mir weiterhelfen? Sie sind doch Bürgermeister und wissen alles!«

Fritz Fellbacher lachte herzlich.

»Alles wissen? Des kann ich nur hoffen. Aber was willst denn wissen?«

»Ich suche für mindestens sechs Wochen eine Bleibe. Es soll ein ganz einfaches Zimmer sein, Kochgelegenheit wäre gut.«

»So lange? Mei, da können wir uns ja geehrt fühlen, daß du gleich deinen ganzen Jahresurlaub in Waldkogel verbringen willst. Das muß ich morgen doch gleich im Gemeinderat erzählen. Weißt, Madl, die Mitglieder im Gemeinderat, die haben oft etwas auszusetzen. Den Werbezettel, den wollten sie nicht, weil die Gemeinde etwas dazuzahlen mußte. Aber ich hab’ mich durchgesetzt. Und schau, jetzt bist du da, Madl, und willst gleich sechs Wochen bleiben.«

Bürgermeister Fellbacher rieb sich das Kinn.

»Des wird nicht einfach sein, ohne Anmeldung, ohne Reservierung oder Vorbestellung ein Quartier für dich zu bekommen. Die meisten Ferienwohnungen werden wochenweise vermietet und sind schon Monate im voraus ausgebucht. Laß mich mal überlegen.«

Rosel ging um das Auto herum und öffnete die Hecktür. Sie deutete auf den Hasenkäfig und sagt mit scharfem Unterton in der Stimme.

»Kaninchen müssen erlaubt sein! Ich trenne mich nicht von Bunny!«

»Madl! Des verlangt niemand von dir! Auf dem Werbezettel steht es auch drauf. Wir sind sehr tierlieb in Waldkogel. Des ist direkt ein Markenzeichen von Waldkogel!«

»Entschuldigen Sie bitte, Herr Bürgermeister! Aber ich habe gerade heute schlechte – sehr schlechte – die allerschlechtesten Erfahrungen gemacht. Da kennt man jemanden zwei Jahre und plötzlich entdeckt man, daß er alles, was hoppelt und lange Ohren hat – überhaupt jedes Viehzeug – ablehnt!« platzte Rosel heraus und errötete.

Fritz Fellbacher war ein guter Menschenkenner.

»Des klingt nach einem Streit mit einem Freund!«

Rosels Augen füllten sich mit Tränen.

»Madl! Ich wollte dich net verletzen. Dir scheint ja jemand wirklich wehgetan zu haben.«

»Entschuldigen Sie, daß ich Ihnen etwas vorheule. Aber ich bin so unglücklich. Deshalb will ich auch so lange in Waldkogel bleiben. So lange, bis der Termin, an dem ich den Stefan geheiratet hätte, vorbei ist. Ich bin abgehauen. Ich will ihn nimmer! Er hat mir ein Ultimatum gestellt! Er will Bunny nicht, und gegen meine Hasensammlung hat er auch etwas.«

»Des ist ja wirklich die Höhe! Was du net sagst?« Bürgermeister Fellbacher mußte sich große Mühe geben, nicht zu schmunzeln. »Vielleicht überlegt er es sich ja noch einmal?« versuchte er die junge Frau zu trösten.

»Es ist aus und vorbei! Ich will ihn nicht mehr!«

Rosel trocknete sich die Tränen ab. Es war ihr jetzt peinlich, daß sie sich hatte so gehenlassen.

»Was müssen Sie von mir denken? Ich bin sonst so keine Heulsuse!«

»Mußt dich net schämen. Wenn einem so ein Kummer auf der Seele liegt, dann sprudeln schon einmal die Tränen. Aber ich habe da eine Idee. Wir haben hier in Waldkogel eine junge Tierärztin. Sie lebt mit ihrer Familie in einem schönen alten großen Haus. Sie hat sicher Platz für dich und nimmt dich bis morgen auf. Da bist du mit deinem Hoppelmann bestimmt willkommen. Es ist nicht weit. Die Hauptstraße weiter und nach zweihundert Meter ist es das linke Haus. Kannst vorfahren. Ich komme hin und stelle dich vor. Wie heißt du?«

Bürgermeister Fellbacher war zum Du übergegangen, wie es von den meisten in Waldkogel gehalten wurde.

»Mein Name ist Rosel Tremmler! Gerufen werde ich Rosi!«

»Des ist ein schöner Name, der paßt in die Berge! Also dann bis gleich. Kannst des Haus net verfehlen. Tierärztin Beate Brand steht dran.«

Rosi bot dem Bürgermeister an, mit ihr im Auto zu fahren. Das machte er dann auch.

Wenige Augenblicke später hielten sie vor der Praxis.

Rosel sah, daß eine junge sportliche Frau auf dem großen Hof ihren Geländewagen säuberte. Der Bürgermeister stieg aus und ging auf die junge Frau zu. Sie drehte das Wasser ab und gab ihm die Hand. Sie redeten miteinander. Es dauerte eine Weile. Dann kam der Bürgermeister zu Rosi ans Auto zurück.

»Die Beate würde dich gerne aufnehmen. Das ist kein Problem. Aber sie kennt jemanden, der dir auch etwas für länger geben kann. Des ist ein kleines Häusl in Richtung Forsthaus. Das hat vor Jahren ein altes Rentnerehepaar gekauft und zu ihrem Ferienhaus gemacht. Da gibt es eine kleine Dachwohnung. Jetzt sind sie fast das ganze Jahr hier. Zum ersten Mal in diesem Jahr kommen ihre Kinder und Enkel in den Ferien nicht. Die Beate war heute dort. Sie mußte einen Hausbesuch machen. Die Katze hatte sich verletzt. Sie mußte sie sogar mit in die Praxis nehmen. Die Beate hat ein wenig Sorge, daß sie des Tierchen net retten kann. Weißt, die beiden alten Leute sind sehr tierlieb. Wenn du wandern gehst, dann könnten sie sich um deinen Hasen kümmern. Du wärst da gut aufgehoben.«

»Klingt gut! Danke, Herr Bürgermeister!«

Beate kam über die Straße. Sie streckte Rosi die Hand entgegen.

»Grüß Gott, Rosi! Ich bin die Beate! Ich habe schon von deinem Problem gehört. Komme doch einen Augenblick mit herein. Ich rufe bei den Schöllers an. Dann bringe ich dich hin.«

»Dann ist ja alles geregelt. Danke, Beate! Vergelt’s Gott!«

»Gern geschehen, Bürgermeister!«

Bürgermeister Fellbacher verabschiedete sich und wünschte Rosi einen schönen Aufenthalt. Er riet ihr, bald mal hinauf auf die Berghütte zu gehen, von dort habe man fast so eine schöne Aussicht wie von den Berggipfeln.

Doktor Beate Brand nahm Rosi mit ins Haus. Es war selbstverständlich, daß Rosi ihr Kaninchen auf dem Arm mitnahm.

»Das ist ja wirklich ein besonderes Prachtexemplar, dein Bunny!«

»Ja, er ist etwas ganz Besonderes. Aber denken das nicht alle Tierfreunde von ihren Tieren?«

»Doch, Rosi! Das denken sie! Das ist eben Tierliebe. Nur leider geht die Tierliebe oft in die falsche Richtung. Dann werden die Tiere krank, weil sie mit Sachen gefüttert werden, die ihnen nicht bekommen.«

»Ich weiß! Wenn ich in der Tierbedarfshandlung daheim Heu für Bunny kaufte und sah, welchen – entschuldige bitte – welchen Schrott es für Kaninchen gibt… Von rosaroten Leckerli müssen sie ja Bauchschmerzen bekommen. Ich habe sogar Pralinen für Hasen gesehen.«

»Ich weiß. Ich weiß!« seufzte die Tierärztin. »Da kämpfe ich dagegen an.«

»Mein Bunny bekommt nur artgerechtes Futter: Heu und Gemüse. Hier auf dem Land werde ich ihm Kräuter auf der Wiese pflücken. Das wird ihm guttun. Ich will auch Heu beim Bauer holen. Das ist bestimmt viel besser als in der Tierhandlung das abgepackte Zeug.«

»Der letzte Hof vor dem Waldweg, an dem die Schöllers ihr kleines Haus haben, ist der Unterbühler Hof. Dort kannst du fragen. Das ist ein Bio-Hof. Ich hole dort für meine Tiere das Heu und kaufe ein. Sage dem Niklas einen schönen Gruß von mir.«

»Ist das der Bauer?«

Beate lachte.

»Ja! Er heißt mit vollem Vornamen Nikolaus. Aber wir kürzen hier die Namen oft ab. Gerufen wird er ›Niklas‹! Frage auch mal, ob er dir den Hof zeigt. Sie pflegen und hegen ihr Vieh wirklich gut. Da wird dir als Tierliebhaberin das Herz aufgehen.«

Sie standen im Wohnzimmer der Tierärztin. Beate bot Rosi einen Sessel an.

»Deinen Bunny kannst du auf den Boden setzen. Laß ihn ruhig rumhoppeln. Nach der langen Reise im Auto tut ihm das gut.«

Beate brachte Tee und belegte Brote.

»Bitte greife zu, Rosi! Mei, habe ich einen Hunger. Ich bin kaum zum Essen gekommen. Dann mußte ich auch noch mein Auto waschen, bevor es dunkel wurde. Ich muß es morgen früh nach Kirchwalden zur Inspektion bringen.«

Beate biß in ein Brot.

»Ich habe seit dem Frühstück auch nichts mehr gegessen. Vielen Dank für die Einladung.«

»Du hast Kummer, wie? Fellbacher machte da so eine kleine Andeutung?«

»Ja! Ich habe mich heute von meinem Bräutigam getrennt. Wir wollten in vier Wochen heiraten. Deshalb habe ich etwas nahe am Wasser gebaut. Ich befinde mich auf der Flucht. Ich will mich erst nach dem Hochzeitstermin wieder bei meiner Familie melden. Alle finden Stefan so toll, so wunderbar. Aber ich will ihn nicht – nicht mehr!«

»Das ist deine Entscheidung! Ich bin neugierig! Warum hast du ihm den Laufpaß gegeben?«

Rosi war froh, mit jemanden in ihrem Alter darüber reden zu können. Zudem war Beate eine aufmerksame Zuhörerin. Sie verstand Rosi.

»Du meinst, ihr kommt nicht wieder zusammen? Denkst du nicht, daß er dich sucht?«

Rosi schüttelte heftig den Kopf.

»Und wenn? Es bringt nichts! Auf dem Weg hierher ist mir noch einmal klar geworden, daß wir zu verschieden sind.«

»Aber es heißt doch: Gegensätze ziehen sich an!«

»Stimmt, Beate. Aber Stefan hat kein Herz. Er ist nicht tierlieb. Er hat ein Herz aus Glas und Edelstahl, wie seine Einrichtung. Ihm fehlt so etwas wie… ich will es Güte, Herzenswärme nennen. Verstehst du?«

»Theoretisch! Ich kann wenig dazu sagen, weil ich ihn nicht kenne. Aber ich glaube dir gerne, daß du einen Mann nicht heiraten magst, der keine Tierliebe kennt. Das könnte ich auch nicht.«

Sie aßen weiter. Rosi erzählte ausführlich von Stefan. Dabei wurde ihr immer klarer, daß sie sich eigentlich die ganze Zeit so verhalten hatte, daß es zu keinen Konflikten kommen konnte. Das war auch der Einfluß ihrer Eltern, die in Stefan eine sehr gute Partie für ihre Tochter sahen.

»Ich kann also keine Rückendeckung erwarten. Verstehst du?«

»Ja! Aber wir selbständigen Frauen – brauchen wir Rückendeckung? Wir sind doch stark, oder?«

»Ja, Beate, das sind wir! Hast du einen….«

»Du meinst einen Burschen? So sagt man hier in den Bergen. Nein! Noch nicht den Richtigen gefunden. Da bleibe ich besser alleine. Entweder es passiert, daß ich ihn treffe oder nicht. Einen Kompromiß würde ich nie eingehen.«

Beate trank einen Schluck Tee.

»Nicht, daß du denkst, ich sei nicht schon einmal verliebt gewesen. Oh Gott! Ich war schon mehrmals verliebt. Aber immer war es ich, die Schluß gemacht hatte. Da war jedes mal sehr schlimm. Obwohl die Trennung von mir ausging, tat es weh. Ich litt wie ein wundes Tier.«

»Oh, Beate! Genauso ist es! Eigentlich müßte ich doch glücklich sein, daß ich den Irrtum bemerkt habe. Das war ich auch für eine kurze Zeit. Aber irgendwie vermisse ich Stefan doch. Da ist so eine Leere.«

»Das verstehe ich gut! Es wird auch eine Weile dauern, das sage ich dir aus Erfahrung. Aber dann bist du immun gegen ihn. Ich kann mich heute mit meinen Ex-Freunden treffen, ohne daß es weh tut.«

»Du siehst sie noch?«

»Ja! Die beiden sind ebenfalls Tierärzte. Man triff sich auf Kongressen und Tagungen. Das Leben ist ein Dorf! Wie heißt es so schön? Man sieht sich im Leben immer zweimal!«

»Bewahre! Ich will Stefan nie wiedersehen! Nie wieder!«

Das Telefon läutete. Beate stand auf.

»Das werden die Schöllers sein. Ich habe ihnen wegen dir auf den Anrufbeantworter gesprochen.«

Die Tierärztin nahm den Hörer ab.

»Tierarztpraxis Beate Brand!«

Rosi beobachtete, wie Beate telefonierte.

»Ja, Frau Schöller, wir kommen dann gleich vorbei. Vorher schaue ich noch einmal nach Ihrer Katze. Vorhin schlief sie noch tief und fest nach der Narkose. Bis gleich!

»So, das waren die Schöllers! Reizende Leute! Sie erwarten dich! Wir schauen jetzt noch schnell nach ihrer kranken Katze. Dann fahre ich mit dem Wagen voraus und lotse dich hin. Willst du mit in den ›Krankenstall‹ kommen, wie ich die Station nenne? Bunny kannst du hier hoppeln lassen. Wir machen die Tür zu. Er wird nichts anstellen.«

Rosi begleitete Beate über den Hof. Dort lagen die Räumlichkeiten, in denen die kranken Tiere untergebracht waren, die länger in der Obhut der Tierärztin bleiben mußten. Sie sahen nach der Katze. Sie schlief noch fest. Der Verband war nicht verrutscht und nicht durchgeblutet. Sie atmete gleichmäßig und tief.

»Was war mit ihr?«

»Sie hat eine Bauchverletzung! Es war schlimm. Vielleicht ist sie angefahren worden. Das glaube ich kaum. Ich denke eher, daß sie ein Hund erwischt hat. Die meisten Hofhunde sind Katzen gewöhnt und tun auch einer fremden Katze nichts. Aber die freilaufenden Hunde der Touristen können schon gefährlich werden. Meistens sind die Katzen schneller. Wie es war? Das weiß keiner. Das arme Tier schleppte sich noch heim. Dann brach es zusammen. Die Schöllers riefen mich gleich an.«

Sie gingen leise hinaus. Dann holten sie Bunny.

Beate begleitete Rosi zu den Schöllers.

Die Schöllers waren ganz reizende Leute. Rosi waren sie sofort sympathisch.

Die kleine Dachwohnung war genau das, was sie suchte, ein großer Raum, eine kleine Küchenzeile und eine Dusche. Über den Preis wurden sie sich schnell einig.

»Danke, Beate, daß du mich hergebracht hast und du mir die schöne Bleibe vermittelt hast.«

»Das ist nicht der Rede wert. Das habe ich gern getan. Warte, ich helfe dir noch deine Sachen hereintragen.«

»Danke, ich habe nur den Käfig mit Bunny und etwas Heu für ihn. Das reicht bis morgen. Dann gehe ich zum Unterbühler Hof. Die Plastiktüten lasse ich im Auto. Außer der kleinen Reisetasche habe ich kein Gepäck. Ich habe viel zu wenig Anziehsachen eingepackt. Ich war in Wut und so grenzenlos enttäuscht, daß ich nur fort wollte. Ich werde mir wohl noch etwas zum Anziehen kaufen müssen.«

»Ich kann dir auch was geben! Ich habe so viele Sachen, die ich kaum anziehe. Wenn ich zu den Bauern muß, dann sind Gummistiefel, grobe Hosen und ein weiter Pulli am besten. Komme doch morgen gegen Abend vorbei – natürlich nur, wenn du willst.«

»Mal sehen!« zögerte Rosi.

»Auch wenn du jemanden zum Reden brauchst, bin ich für dich da! Wir Frauen müssen doch zusammenhalten. Außerdem hat dich der Fell-bacher mir anvertraut.«

Rosi mußte lachen.

»Ja, das kann ich mir gut vorstellen. Er war sehr besorgt, als ich so plötzlich in Tränen ausgebrochen bin.«

»Fritz Fellbacher ist eine Seele von Bürgermeister. Er will alle glücklich machen. Deshalb herrscht auch solche Harmonie in Waldkogel. Du wirst das schon noch feststellen. Es ist wirklich schön hier. Du bist zum ersten Mal hier?«

»Ja!«

»Dann wünsche ich dir eine gute Nacht, Rosi! Sie wird einsam sein. Aber du hast ja deinen Bunny!«

Sie schüttelten sich die Hände. Bea-te wendete ihren Geländewagen und fuhr ab. Rosi brachte Bunny mit dem Stall hinauf in das Dachzimmer. Dann holte sie ihre kleine Reisetasche.

*

Als Rosels Eltern am späten Nachmittag von der Arbeit kamen, fanden sie Rosis Schwester aufgeregt im Wohnzimmer.

»Na endlich! Ich versuche euch seit Stunden zu erreichen! Wozu gibt es Handys! Legt euch endlich mal solche Dinger zu!«

Margit Tremmler, die Maggy gerufen wurde, hielt ihren Eltern ihr Handy hin.

»Hier! Eine Nachricht von Rosi! Die muß den Verstand verloren haben! Lest selbst!«

»Lies vor! Du weißt doch, daß wir das Handy nicht bedienen können.«

»Gut! Aber setzt euch erst einmal hin! Das wird euch die Beine unter dem Körper wegziehen.«

»Nun, so schlimm wird es schon nicht werden!« schmunzelte der Vater.

Er kannte die dramatische Ader seiner jüngsten Tochter und sah es gelassen. Dann las Maggy vor. Jetzt mußte er sich doch setzen.

»Siehst du! Wußte ich es doch! Das ist doch der absolute Hammer! Rosi muß den Verstand verloren haben! Die muß krank sein!«

Die Mutter fand zuerst die Sprache wieder.

»So etwas nennt man Torschlußpanik! Das kann vorkommen. Wenn ich da an mich denke, oh, oh, oh! Die letzten Wochen vor der Hochzeit mit deinem Vater, da ging ich auch durch ein Wechselbad der Gefühle. So eine Heirat ist ein großer Schritt. Ich nehme das nicht so ernst. Wir tun erst einmal nichts! Rosi liebt Stefan. Sie sind ein wunderbares Paar. Es war die letzten Wochen etwas viel für Rosi. Da waren die letzten Prüfungen an der Universität, die Wohnungssuche, der Möbelkauf, die Hochzeitsvorbereitungen. Das war zuviel. Da liegen die Nerven schon einmal blank! Vielleicht hat Rosi es sich schon wieder anders überlegt. Hat sich Stefan schon gemeldet?«

»Nein! Keine Mail, keine SMS, keine Nachricht auf dem Anrufbeantworter!« berichtete Maggy.

»Dann wird es nicht so schlimm sein! Was sich liebt, das neckt sich! So heißt es! Wir warten erst einmal ab!«

Jetzt war es Maggy, die sich hinsetzen mußte. Sie verstand ihre Mutter nicht. Als auch ihr Vater seiner Frau noch zustimmte, war Maggy fassungslos.

»Wie könnt ihr so ruhig sein? Wir müssen versuchen, Rosi zu finden! Die kann doch nicht einfach alles absagen! Das geht doch nicht!«

»Wann hat sie die SMS geschickt?«

»Das war am frühen Nachmittag, Vater!«

Er warf einen Blick auf die Uhr. Das war fünf Stunden her. Wenn sich Stefan bisher nicht gemeldet hat, dann ist die Sache nicht ernst, dachte er. Thomas Tremmler hielt viel von Stefan. Er schätzte seine ruhige Art und Geduld. Stefan wußte immer, was er wollte und wie er es erreichen konnte. Einen besseren Mann konnte Rosi nicht finden. Stefan würde es schon richten, dachte Thomas. Sicherlich haben sich die beiden inzwischen schon wieder versöhnt, dachte er.

Er versuchte seine jüngere Tochter zu beruhigen. Thomas mußte seine ganze Autorität in die Waagschale werfen, um Maggy davon abzuhalten, sofort in die gemeinsame Wohnung von Stefam und Rosi zu fahren.

»In Ehestreitigkeiten mischt man sich nicht ein, Maggy!«

»Das sind keine Ehestreitigkeiten, Vater! Wenn wir nichts tun, dann platzt am Ende wirklich die Hochzeit!«

»Es ist aber das Leben deiner Schwester! Sie ist alt genug. Sie muß wissen, was sie tut.«

Maggy schüttelte den Kopf.

»Vater! Mutter! Rosi kann sehr impulsiv sein. Sie wird sich die ganze Zukunft verbauen. Später wird es ihr leid tun! Der arme Stefan! Das muß ganz schrecklich für ihn sein. Von seiner Braut sitzengelassen zu werden, das ist so ziemlich das Schlimmste, was man jemandem zufügen kann. Er wird zum Gespött seiner Freunde werden. Der arme Stefan!«

Thomas und seine Frau Ute warfen sich kurz einen Blick zu. Ihnen schoß beiden ein Gedanke durch den Kopf. Konnte es sein, daß Maggy sich mehr um Stefan sorgte, als um ihre Schwester? Sie sprachen es aber nicht aus.

Die nächsten Stunden im Hause Tremmler waren schwierig. Maggy ging nervös im Wohnzimmer auf und ab. Die Eltern bemühten sich, Ruhe zu bewahren. Sie aßen zu Abend und schauten sich einen Film im Fernsehen an. Der Inhalt rollte einfach an ihnen vorbei, denn jeder mußte immer wieder an Rosi und Stefan denken. Je später es wurde, desto unruhiger wurden sie. Sie gaben es aber nicht zu.

»Das hat sich wieder gegeben, Ute! Eine Versöhnung nach einem Streit ist doch am schönsten, oder?«

Ute Tremmler schmunzelte.

Dann läutete es an der Tür Sturm.

»Das werden Rosi und Stefan sein!«

Maggy sprang auf und raste zur Tür. Es war Stefan.

Er war weiß wie eine frischgekalkte Wand. In der Hand schwenkte er einen Zettel.

»Ist Rosi hier?« stieß er fast tonlos hervor.

»Nein! Komm rein, Stefan!« rief Thomas aus dem Wohnzimmer.

Während sich Stefan setzte und Ute und Maggy Rosis Zettel zu lesen gab, schenkte Thomas Stefan einen doppelten Cognac ein.

»Austrinken!«

»Ich muß noch Auto fahren!«

»Dann bleibst du über Nacht hier, oder du nimmst ein Taxi!«

Stefan trank aus. Langsam kehrte wieder Farbe in sein Gesicht zurück.

»Der Zettel und der Wohnungsschlüssel lagen auf dem Küchentisch!«

Nach und nach erzählte Stefan von der Auseinandersetzung, die er und Rosi am frühen Nachmittag hatten. Dabei sparte er nicht mit Selbstkritik. Thomas Tremmler hörte genau zu. Stefan bedauerte nicht seine Einstellung, daß er die Hasensammlung und Bunny ablehnte. Er bedauerte nur, daß er so undiplomatisch gewesen war.

»Ich war ungeschickt. Ich hätte anders vorgehen müssen. Ich war im Streß und fand da vielleicht nicht die richtigen Worte. Außerdem war ich völlig überrascht über diesen ganzen Hasenzirkus. Da habe ich eben die Nerven verloren.«

Er schaute in die Runde.

»Ich hoffte, Rosi sei hier!«

»Nein, das ist sie nicht. Sie hat Maggy eine SMS geschrieben.«

Auf das Stichwort ihres Vaters reichte Maggy Stefan ihr Handy. Er rief die Nachricht auf und las sie.

»Was meint ihr? Das kann doch nicht ihr Ernst sein? Könnt ihr euch nicht vorstellen, wo sie hin ist?«

»Hast du bei ihren Freundinnen schon angerufen?«

Stefan schüttelte den Kopf.

»Wie würde das aussehen? Kannst du das vielleicht für mich machen, Maggy?«

»Nun wartet doch einmal! Vielleicht sieht morgen schon wieder alles anders aus«, versuchte Thomas zu beschwichtigen.

Seine Frau stimmte ihm zu.

Die vier saßen noch bis lange nach Mitternacht zusammen und redeten und redeten. Als Eltern wußten sie, wie sehr Rosi seit ihrer Kindheit für alles schwärmte, was zwei lange Löffel hatte. Sie war vier Jahre, als sie das erste Zwergkaninchen bekam. So wie andere Mädchen Pferde liebten, so hing Rosi an Kaninchen und Hasen. Das änderte sich auch nicht, als sie erwachsen wurde. Sicherlich hatten die Tremmlers mitbekommen, daß Stefan diese Leidenschaft von Rosi nicht teilte. Daß dies zu einem unüberbrückbaren Problem zwischen den beiden führen würde, daran hatten sie nie gedacht. Sie hatten es aber vermieden, Kritik an Stefans Verhalten zu üben oder Rosi darauf aufmerksam zu machen.

Sie drehten sich mit ihren Vermutungen, wo Rosi sein könnte, im Kreis. Schließlich gingen sie schlafen.

Stefan stellte sich den Wecker und fuhr sehr früh zurück in die Wohnung, in der Hoffnung, daß Rosi inzwischen wieder da sei. Er stellte sich auf dem Weg vor, sie sitze im Treppenhaus vor der Tür. Doch Rosi war nicht zurückgekommen.

Stefan rief bei seinem Vater an, bei dem er arbeitete, und bat ihn um einige freie Tage. Er verschwieg das Verschwinden seiner Braut. Stefan schämte sich. So saß er den folgenden Tag in der Wohnung, starrte das Telefon an und wartete. Immer wenn es klingelte, war es nur Maggy, die besorgt anrief.

*

Rosi lag im Bett, sie war hellwach. Der Mond schien durch das offene Dachfenster in die kleine Dachwohnung. Rosi dachte unentwegt an Stefan. Sie vermißte ihn so sehr. Tränen rollten über ihre Wangen. Das Kopfkissen war schon ganz naß. Rosi weinte aus Enttäuschung. Es waren Tränen einer tiefen seelischen Verletztheit. Ihre Tierliebe gehörte zu ihrem Leben dazu.

Wie konnte Stefan dies so ablehnen?

Wie konnte er das von ihr verlangen?

Rosi überlegte und überlegte. In Gedanken ging sie Tag für Tag durch, seit sie Stefan kennengelernt hatte. Bunny war einmal krank gewesen. Sie war sehr in Sorge gewesen, aber Stefan berührte es damals wenig. Das wurde Rosi jetzt klar. Bei der Aufregung hatte sie nicht wahrgenommen, daß Stefan sie nicht zum Tierarzt begleitete. Er hatte es ihr nicht einmal angeboten, sie zu begleiten. Immerhin wäre es auch möglich gewesen, daß Bunny hätte unheilbar krank sein können. Damals war Maggy mit zum Tierarzt gekommen.

Wie konnte ich das einfach so hinnehmen?

Warum ist mir das damals nicht aufgefallen?

Wenn Stefans Computer kaputt ist, dann gehe ich mit ihm ins Geschäft. Ich stehe brav dabei und höre mir geduldig den technischen Kauderwelsch an. Ich nehme Anteil, sitze Stunden neben ihm, wenn Programmfehler auftreten und diskutiere mit ihm über die Fehlermöglichkeiten. Dabei ist das nur ein lebloses Ding, ein Gegenstand! So dachte Rosi und ärgerte sich.

Dann war da noch die Art, mit der Stefan zum ersten Mal seine tiefe Ablehnung gegenüber ihrem Hobby, ihrer Tierleidenschaft zum Ausdruck gebracht hatte. Es war, als hätte sich die Ablehnung der ganzen Zeit ihres Zusammenseins aufgestaut und wäre auf einen Schlag aus ihm herausgebrochen. Vor ihrem geistigen Auge sah Rosi Stefans Gesicht vor sich. Darin spiegelte sich eine wirklich tiefe, eine sehr tiefe Ablehnung gegen das, was Rosi so viel bedeutete. Die Ablehnung war so unüberwindlich, daß ein ruhiges Gespräch nicht möglich war.

Rosi wurde von einem erneuten Weinkrampf geschüttelt. Die Enttäuschung, sich so in einem Menschen geirrt zu haben, schmerzte sehr. Fairerweise gestand Rosi sich ein, daß es auch zum Teil ihr eigenes Verschulden war. Sie hatte die kleinen Anzeichen übersehen.

Draußen fingen schon die Vögel an zu zwitschern, als Rosi langsam ruhiger wurde.

Sie stellte sich selbst die alles entscheidende erste Frage:

Hätte ich mich so in Stefan verliebt, wenn ich seine Ablehnung gegen Bunny und meine Hasenleidenschaft von Anbeginn an so deutlich bemerkt hätte?

Diese Frage beantwortete sich Rosi mit einem ganz klaren Nein.

Sie ging zur nächsten Frage über:

Kann ich Stefan lieben, der verlangt, daß ich etwas aufgebe, woran mein Herz so hängt?

Nein!

Dabei dachte Rosi auch daran, daß es für Kinder wichtig war, Kontakt zu Tieren zu haben. Sie betrachtete dies als einen wichtigen Teil der Erziehung. Es erübrigte sich darüber nachzudenken, wie Stefan dazu stand. Es war zu offensichtlich.

Liebt mich Stefan, so wie ich bin?

Auch diese Frage beantwortete sich Rosel mit einem Nein. Denn für ihre Hasen und alles, was damit zusammenhing, zeigte Stefan nicht nur kein Verständnis, sondern krasseste Ablehnung.

Stefans Minuskonto wuchs und wuchs.

»Es war ein Irrtum! Ich habe mich geirrt!« flüsterte Rosi vor sich hin. »Ich kann ihm keinen Vorwurf machen! Ich hätte es früher bemerken müssen, nicht erst vier Wochen vor der Hochzeit. Aber besser jetzt als später.«

So versuchte sich Rosi zu trösten. Der Schmerz in ihrem Innern brannte wie Feuer. Sie fühlte sich so alleine. Sie war enttäuscht. Diese Enttäuschung vermischte sich mit der Wut über die eigene Dummheit.

Wie konnte ich ihn nur so durch die rosarote Brille sehen?

Bei allem Schmerz, den Rosel empfand, blieb sie trotzdem fair. Es war meine Blindheit, dachte sie. Im Grunde kann ich Stefan keinen Vorwurf machen, obwohl ich mir auch mehr Toleranz gewünscht hätte.

Rosi sah noch einmal nach ihrem Kaninchen und schlief schließlich erschöpft ein.

Rosi schlief nicht lange. Die ungewohnten Geräusche, die durch das offene Fenster drangen, weckten sie früh. Sie schaute hinaus. Einige Traktoren mit Anhänger fuhren den Waldweg entlang. Rosi erinnerte sich. Der Weg führte zum Forsthaus.

Sie ging unter die Dusche. Sie warf einen Blick in den Spiegel. Sie sah schlimm aus. Die nächste halbe Stunde kühlte Rosi ihr Gesicht mit kaltem Wasser. Dann schminkte sie sich sorgfältig, um die letzten Tränenspuren zu überdecken.

Sie ging hinunter. Herr und Frau Schöller saßen im kleinen Garten hinter dem Haus. Sie frühstückten und luden Rosi ein, da sie sicherlich noch keine Lebensmittel hatte. Rosi nahm dankbar an. Der starke Kaffee tat ihr gut. Dann machte sie sich auf zum Unterbühler Hof.

*

Auf dem Unterbühler Hof waren Vater und Sohn mit der Morgenarbeit im Stall fertig. Sie gingen hinein, setzten sich an den großen Küchentisch in der Wohnküche und frühstücken. Die Sonne schien durch die Sprossenfenster und warf ein Muster auf die glänzenden Holzdielen. Die Bäuerin schenkte Kaffee ein. Sie aßen.

Nikolas Unterbühler warf einen Blick durch das Fenster.

»Kennst du das Madl da draußen, Joschka?«

Joseph Unterbühler stand auf und ging zum Fenster.

»Naa, Vater! Des Madl kenne ich nicht. Ich sehe des zum ersten Mal. Kennst du sie?«

»Naa! Sie ist ein fesches Madl!«

Ortrud, die Bäuerin, die Trudi gerufen wurde, warf auch einen Blick durch das Fenster.

»Des Madl ist net aus Waldkogel.«

»Vielleicht ist sie aus Marktwasen«, bemerkt der Bauer.

»Des denke ich net. Des kann ich dem Madl ansehen. Des ist fremd. Schau, wie die angezogen ist. Das ist ein Stadtkind, das sehe ich gleich«, sagte die Bäuerin.

»Geh’ mal raus und frage sie, wen oder was sie sucht. Vielleicht hat sie sich verlaufen, Joschka! Schaut ein bisserl verloren aus, des Stadtmadl.«

»Ja, Vater, ich gehe ja schon.«

Joseph, der Joschka gerufen wurde, ging hinaus auf den Hof.

»Grüß Gott!«

»Guten Morgen oder wie man hier sagt, wenn man Freunde gewinnen will, Grüß Gott. Den Rat gab mir der Bürgermeister.«

Rosi lächelte freundlich.

»Ah, dann schickt dich der Fellbacher?«

»Nein! Aber ich soll dem Niklas Grüße ausrichten von Frau Doktor Brand, der Tierärztin.«

»Ah, von der Beate!«

Sie schauten sich an und musterten sich. Es entstand eine kleine Pause. Joschka vergrub seine Hände in den Arbeitshosen, die er bei der Stallarbeit trug.

»Ist des alles? Ist des der Grund für den Besuch?«

Rosi räusperte sich. Der Anblick dieses Mannes brachte sie irgendwie aus der Fassung. Sie errötete und stotterte:

»Ich… also… es ist wegen des Heus!«

Nimm dich zusammen! Du blamierst dich, ermahnte sich Rosi im stillen.

Joschka räusperte sich.

»Also, will die Beate Heu?« versuchte er zu erraten.

Rosi schüttelte den Kopf.

»Das Heu ist für Bunny!«

»Bunny? Ist des ein Hase?«

»Ja! Bunny ist mein Kaninchen«, strahlte Rosi.

Rosi gelang, ihr klopfendes Herz zu beruhigen. So war es ihr möglich, wieder zusammenhängende Sätze zu sprechen.

»Ich habe mein Kaninchen mit in Urlaub genommen. Beate sagt, hier auf dem Unterbühler Hof gibt es das beste Heu. Ich soll mich an Niklas wenden. Das ist doch der Bauer, stimmt es?«

»Ja, der Niklas ist der Bauer! Der ist aber jetzt nicht zu sprechen«, antwortete Joschka.

Er wollte Rosi noch etwas hinhalten. Die junge Frau gefiel ihm.

»Wann ist er zu sprechen?«

»Später! Willst warten oder noch mal vorbeikommen?« Mit dieser Frage zielte Joschka darauf ab, zu erfahren, wo Rosi in Waldkogel Quartier bezogen hatte. »Wenn du es weit hast, dann kannst du gerne warten. Es dauert nicht lange. Das liegt ganz bei dir. Hast du es weit?«

»Nein, ich habe die kleine Dachwohnung bei den Schöllers gemietet.«

»Dann hast du es net weit. Da kannst du über die Wiesen gehen, dann hast du’s noch näher zum Hof.«

»Ist das nicht verboten? Kann man hier einfach über die Wiesen laufen?«

Der junge Unterbühler starrte Rosi ungläubig an. Er konnte es kaum fassen, was sie da eben gesagt hatte.

»Warum sollte man des net können?«

»Ich dachte, es wäre verboten, so wie in der Stadt: Betreten des Rasens verboten.«

Er brach in Gelächter aus. Er schüttelte sich vor Lachen. Hinter den Vorhängen beobachteten ihn seine Eltern.

»Entschuldige! Des Lachen ist mir jetzt peinlich. Aber ich hab’ mir soeben vorgestellt, auf unseren Wies’n würden Schilder stehen mit so einer Aufschrift. Mei, Madl! Wir sind hier in Waldkogel. Wir sind hier in den schönen Bergen, in Gottes freier Natur. Hier kannst du überall rumlaufen, wenn du dich auskennst, keine Angst vor Kühen auf der Weide hast und dir es auch nichts ausmacht, mal in einen Kuhfladen zu treten. Dieses Risiko besteht allerdings.«

Dabei schaute Joschka auf die leichten offenen Sommerschuhe, die Rosi an ihren Füßen trug. Rosi sah es. Sie konterte geschickt.

»Ich gehe nie mit Schuhen über eine Wiese, wenn sich die Gelegenheit ergibt. Ich gehe immer barfuß.«

»Eins zu Null für dich! Also, noch einmal retour! Du willst Heu für dein Kaninchen. Wieviel?«

»So ein Bündel, dachte ich mir. Ich kaufe in der Stadt immer drei Kilo, das ist ziemlich viel. Heu ist leicht, hat viel Volumen, auch wenn es gepreßt ist.

»Wir haben nur loses Heu auf dem Heuboden. Aber das kriegen wir schon hin. Du kannst einen Sack Heu bekommen.«

»Danke! Dann muß ich doch nicht auf den Niklas warten?«

»Doch! Naa, net unbedingt. Aber der hat nix dagegen. Wir geben sonst nur Heu an die Beate ab. Aber wenn dich die Beate schickt und der Fell-bacher, dann ist das in Ordnung – denke ich mir. Brauchst sonst noch etwas für dein Bunny?«

»Die Wiesen hier rundum, gehören die alle zu diesem Hof?«

»Ja, seit alters her! Seit vielen, vielen Generationen! Der Unterbühler Hof ist so alt, daß die Anfänge zurückgehen bis zu der Zeit, als des Tal zum ersten Mal besiedelt wurde. Dokumente gibt’s darüber net. Aber wir haben bei Aushubarbeiten für den neuen Stall Funde gemacht. Die sind jetzt teilweise sogar im Heimatmuseum in Kirchwalden. Was ist mit den Wies’n?«

»Ich würde gern einige frische Kräuter pflücken, wenn ich schon darüber gehen darf. Die sind gesund für Kaninchen. Ich bezahle auch dafür.«

»Madl, sag’, bist deppert? Wer zahlt denn für Unkraut auf der Wiese? Nimm dir soviel, wie du brauchst!«

»Danke! Muß ich da nicht erst auch den Niklas fragen?«

»Do… doch! Naa! Nimm dir! Und ich bringe dir später einen Sack Heu rüber zu den Schöllers. Bist damit einverstanden?«

»Nur, wenn es keine Umstände macht.«

»Mei, Madl! Noch mal! Wir sind hier in Waldkogel. Da werden keine Spielchen gemacht. Wenn man jemandem anbietet, etwas zu bringen, dann tut man des gern. Dann sind des keine Umstände. Also soll ich oder soll ich dir net des Heu bringen?«

»Doch, das wäre praktisch! Vielen Dank.«

»Na gut! Nach wem soll ich fragen? Also, wie heißt du?«

»Rosel Tremmler!«

»Also Rosi!«

»Woher weißt du, daß ich Rosi gerufen werde?«

Joschka lachte erneut.

»Mei, Madl, bist du herzig. Schau, ich heiße Joseph und werde Joschka gerufen. Kannst auch Joschka zu mir sagen und mich duzen. Der Nikolaus, mein Vater, wird Niklas gerufen. Die Bäuerin, meine Mutter, die heißt Ortraud und jeder nennt sie Trudi. Verstehst?«

Rosi errötete.

»Ja!« sagte sie leise.

Sie wäre am liebsten in den Boden versunken. Das kommt nur daher, daß er mich so nervös macht. Ich stelle mich an wie der erste Mensch. Rosi räusperte sich.

»Ja, dann wäre alles geregelt! Also muß ich nicht auf den Bauern warten, so sagt man hier doch, oder?«

»Du lernst schnell! Naa, mußt auf meinen Vater net warten. Ich rede mit ihm und bringe dir das Heu. Ich mähe mit der Sense auch frisches Gras, Klee und Kräuter auf der Wiese und bringe sie dir mit. Allerdings kann ich dir net die genaue Uhrzeit sagen. Wenn du nicht daheim bist, dann gebe ich die Sachen den Schöllers.«

»Danke! Und Grüße an den Bauern, deinen Vater! Grüße auch deine Mutter!«

Rosi blickte sich um. Sie schaute am Hausgiebel des großen Hofes hinauf mit seinen schönen Bemalungen auf weißem Grund, dem weit vorgezogenen Dach, den Balkonen mit den Blumenkästen, in denen Hängegeranien blühten.

»Das ist ein wunderschöner Hof! Wie aus einem Märchenbuch!«

Joschka hörte es und freute sich.

Eigentlich war alles gesagt. Es fiel Rosi schwer, sich loszureißen. Sie fühlte sich von diesem Mann irgendwie angezogen.

Ach, benimm dich nicht so albern, Rosi. So ermahnte sie sich. Das kommt bestimmt nur daher, weil mein ganzes Gefühlsleben ein einziges Durcheinander ist.

»Ich gehe dann! Bis bald! Und nochmals danke! Das Heu bezahle ich auch!«

»Des mit der Bezahlung, des regeln wir, wenn ich komme.«

»Ja genau!«

Rosi nahm all ihre Kraft zusammen. Sie drehte sich um und ging schnell davon, fast rannte sie. Joschka stand auf dem Hof, die Hände in den Taschen, ein Lächeln auf dem Gesicht, und sah ihr nach. Dann ging er langsam und nachdenklich ins Haus.

*

Joschka ging zurück in die Küche und setzte sich. Er trank einen Schluck Kaffee und biß in das Brot. Sein Blick war abwesend. Die Eltern warfen sich Blicke zu.

»Was hast du draußen so gelacht? Was gab’s denn mit dem Madl?« fragte der Vater.

»Gell, des Madl ist eine Fremde, richtig?« fügte Joschkas Mutter hinzu.

Die Fragen drangen wie aus ganz weiter Ferne an Joschkas Ohr. Die Eltern schauten sich an. Sie verstanden sich auch wortlos. Ihnen wurde in dem Augenblick klar, daß die junge fremde Frau einen nachhaltigen Eindruck auf ihren Buben hinterlassen hatte.

»Mei, Joschka! Wo bist du mit deinen Gedanken? Deine Mutter hat dich etwas gefragt!« ermahnte ihn sein Vater.

»Ja, was?«

»Bub, was ist mit dem Madl? Warum hast du so gelacht?«

Joschka schmunzelte. Doch es war nicht verächtlich, sondern voller Warmherzigkeit.

»Des Madl wird Rosi gerufen. Sie wohnt drüben bei den Schöllers. Hat wohl Verbindungen zur Beate und dem Fellbacher. Sie will Heu und frische Kräuter von der Wiese. Sie hat ihr Kaninchen mit in Urlaub genommen.«

Die Eltern warfen sich verwunderte Blicke zu. Joschka sah es. Ohne, daß er es bemerkte, ergriff er sofort Partei für Rosi.

»Mei, des ist doch verantwortungsvoll. Andere setzen ihre Tiere aus oder geben sie in Pflege, wenn sie sich im Urlaub vergnügen wollen. So etwas macht die Rosi net. Die scheint außerdem eine wirklich verantwortungsvolle Tierhalterin zu sein. Sie weiß, was ihrem Vieh gut tut. Und sie läuft gern barfuß über Wies’n!«

»Sag bloß, daß ihr euch darüber unterhalten habt? Mei, da seid ihr ja schon gut bekannt, daß du des von dem Madl weißt«, bemerkte Joschkas Vater verwundert.

»Des hat sich so ergeben!«

Joschka aß weiter und sagte wie beiläufig:

»Ich bring ihr später einen Sack Heu rüber zu den Schöllers. Dann hab’ ich mir gedacht, ich mache ihr mit der Sense auch ein bisserl frisches Grünfutter auf der Wiese.«

»Du gibst dir ja viel Müh’ mit dem Madl!« stellte Joschkas Mutter fest.

Joschka verstand genau, wie seine Mutter das meinte.

»Des ist keine Mühe! Ich will ihre Tierliebe ein bisserl belohnen. Net jeder ist so verantwortungsvoll, daß er sogar seine Freizeit mit einem Tier verbringt.«

Trudi und ihr Mann schauten sich an.

»Sag mal, Bub! Kann es sein, daß dir des Stadtmadl gefällt?«

»Also, übel ist des Madl net! Die hat schon etwas. Des gebe ich unumwunden zu. Sie bewundert auch unseren schönen Hof. Ich habe des genau gespürt, wie sie des gesagt hat. Des war kein oberflächliches Gerede, des ist ganz tief aus dem Herzen gekommen. Dabei haben ihre Augen direkt liebevoll geschaut.«

Joschka biß ins Brot und kaute. Seine Eltern warteten ungeduldig und warfen sich immer wieder Blicke zu.

»Ja, die Rosi hat gesagt, unser Hof sehe aus wie aus einem Märchenbuch! Hat sie des net schön gesagt?«

»Doch! Aber weiß sie auch, was es bedeutet, auf so einem Hof zu leben und zu arbeiten?«

»Des werde ich herausfinden, Vater!«

Nikolaus Unterbühler ließ den Kaffeebecher sinken. Er schaute seinen Buben an. Es war offensichtlich, daß Joschka ein Auge auf diese junge Frau aus der Stadt geworfen hatte. Nun ja, eigentlich war es an der Zeit, daß sich sein Sohn nach einer Jungbäuerin umsah. Aber gleich ein Madl aus der Stadt? Auf der anderen Seite müßte man froh sein, wenn Joschka überhaupt eine Frau findet. Das wird heute immer schwieriger. Die jungen Frauen haben andere Vorstellungen vom Leben. In einen Hof einheiraten, das bedeutet bis ans Lebensende Tag für Tag und Nacht für Nacht ohne Pause, ohne freien Tag, sich um das Vieh zu kümmern, Verantwortung zu tragen.

Aus diesem Grund gab es viele junge Burschen in Waldkogel, die vergeblich um Madls geworben hatten.

»Dann hast ein Auge auf des Madl geworfen, Bub?«

»Sie ist jedenfalls fesch und scheint auch sehr tierlieb zu sein. Wer tierlieb ist, der ist meistens auch kinderlieb. So denke ich.«

»Des heißt, du machst dir Gedanken, wie es weitergeht mit dem Hof?«

»Ja, Vater! Gedanken mache ich mir schon lange. Du weißt, daß des net einfach ist. Ich will mich auch net voreiligen Hoffnungen hingeben, versteht? Dazu weiß ich zu wenig von dem Madl.«

»Des ist sehr vernünftig, Bub! Tierliebe, des kann auch ganz romantische Vorstellungen über die Landwirtschaft mit sich bringen. Ich will net in Abrede stellen, daß sie unseren Hof schön findet. Aber der Alltag einer Bäuerin, des hat nix mit Märchen zu tun. Der ist gewiß net immer märchenhaft, Joschka!«

»Des mußt mir net sagen, Mutter! Unser Leben ist net märchenhaft. Aber ich bin mit Leib und Seele Bauer und suche ein Madl, des auch so denkt. Ich möchte nichts anderes sein und arbeiten. Es ist heut’ nimmer so, wie es früher war. Auf der einen Seite ist die Arbeit auf einem Hof leichter durch die vielen Geräte, auf der anderen Seite ist es schwerer zu existieren. Des ist bekannt. So ist es auf jeden Fall net leicht, des richtige Madl zu finden. Ihr wißt doch, welche Erfahrungen ich gemacht habe.«

Sie nickten.

»Also, tut mir net alles vermiesen. Ich gebe zu, daß mich die Rosi interessiert. Es sind eben ein paar Pluspunkte für sie, daß sie ihr Kaninchen mit in Urlaub genommen hat. Bei so einem Hoppler ist es doch noch einfacher als bei einem Hund. Einen Kaninchenstall kann man auch mal bei Freunden, Geschwistern, Eltern, bei irgend jemanden unterstellen, bis man aus dem Urlaub zurück ist. Aber naa, sie hat ihren Bunny, so heißt er, mit in Urlaub genommen. Des tut mir sagen, daß sie zu der Verantwortung, die sie für des Tier übernommen hat, auch steht.«

Joschkas Vater nickte.

»Ja, da muß ich dir zustimmen, ohne irgendwelche Abstriche. Ja ja, des sind Pluspunkte. Des gebe ich zu.«

»Siehst du, Vater! So denke ich auch. Alles andere steht noch in den Sternen. Bewertet die Sache net über! Aber ich weiß um die Verantwortung für den Hof, und es wäre eine Schande, wenn ich nicht jeder Gelegenheit nachgehen würde.«

Trudi schenkte sich Kaffee nach und bemerkte:

»Die Beate will die nächsten Tage kommen und nach den jungen Lämmern sehen. Dann laßt ihr Mannsbilder mich mal mit ihr alleine. Da will ich sie sein bisserl ausfragen über diese Rosi. Versteht ihr?«

»Mutter!« Joschka warf seiner Mutter einen tadelnden Blick zu. »Mutter, des ist meine Angelegenheit. Laß mich des angehen.«

»Da spricht nix dagegen! Aber ich will wissen, was des für ein Madl ist. Vielleicht ist sie ja schon vergeben? Die ist recht schön mit ihren mittelblonden Locken. Da bist du bestimmt net der einzige Bursch, dem sie auffällt, Joschka!«

»Mutter, des sind doch alles nur Vermutungen! Noch ist nix passiert!«

Trudi schüttelte heftig den Kopf.

»Naa, des stimmt net! Ich habe dich beobachtet, Joschka. Ich bin deine Mutter! Ich kenne dich genau, jede Geste von dir. Dir ist der Anblick von dem Madl schon ins Herz gegangen. Willst des vielleicht abstreiten?«

Joschka errötete. Um seiner Mutter nicht sofort antworten zu müssen, biß er ins Brot. Er kaute bewußt ganz langsam und überlegte sich jedes Wort.

»Mutter! Vater! Ich weiß, daß ihr euch Gedanken macht. Aber die perfekte Jungbäuerin, wer weiß, ob es die gibt? In erster Linie muß des Madl mir gefallen. Ich muß mit ihr leben. Befürchtet ihr, daß ich auf äußeren Schein reinfalle? Ich dachte, ihr kennt mich besser. Ich werde versuchen, mit ihr anzubändeln. Dann werde ich sehen, was daraus wird und wie sie ist.«

»Sie ist net von hier aus der Gegend! Da mußt vorsichtig sein, Bub. Ich will net, daß du enttäuscht wirst. Bei einem Madl aus Waldkogel, aus Marktwasen oder aus Kirchwalden, da wüßte man, wo es herkommt. Es wäre vertraut mit dem Leben auf dem Lande und in den Bergen.«

»Ich kenne deine Vorurteile gegen Zugereiste, Mutter! Aber es gibt viele gute Bespiele, die dagegen sprechen. Mutter, denke nur an den Toni und seine Frau oder andere junge Burschen hier in Waldkogel, die ein Madl von außerhalb haben. Des ist doch heute nimmer so wie früher. Es kommt doch nur darauf an, daß die jungen Leute sich lieben und harmonieren. Außerdem ist des, was wir hier reden, alles nur blanke Theorie, wenn du das auf dieses Madl beziehen tust, Mutter.«

Joschka schmunzelte.

»Was grinst so, Bub?«

»Mutter, ich kenne dich auch gut! Mir kannst nix vormachen. Dich hat die Rosi auf den ersten Blick doch auch neugierig gemacht, sonst würdest net so ein Aufhebens machen um sie, oder?«

Trudi wurde verlegen.

»Ja, schon, Bub. Ich hab’ des Madl ja nur hier vom Küchenfenster aus gesehen. Aber es scheint nett zu sein, hat eine liebe Ausstrahlung. Scheint ein ganz freundliches Wesen zu haben. Und was du über sie erzählt hast, des ist schon recht ungewöhnlich. Ich bin als deine Mutter nur besorgt, will net, daß du wieder eine Enttäuschung erlebst. Du weißt, daß dein Vater und ich nichts sehnlicher für dich wünschen als ein Madl, des dich glücklich macht und des auch froh und glücklich auf unserem Hof wird. Wenn du das Madl also kennenlernen willst, dann wünsche ich dir alles Gute. Doch halte deine Gefühle im Zaum. Erwarte net so viel. Wenn ich des Leuchten in deinen Augen sehe, dann wird mir ein bisserl angst. Deshalb wollte ich mit der

Beate reden.«

»Ich versteh’ deine mütterliche Sorge. Aber des will ich net, daß du dich erkundigst. Also ich bitte dich, halte dich zurück. Tust mir des versprechen?«

Joschkas Vater schaltete sich ein.

»Bub! Joschka, des ist deine Sache! Ich gebe dir mein Wort, daß wir uns da raushalten. Egal, wen du uns bringst, uns ist jedes Madl willkommen, wenn es dich glücklich macht.«

Der Bauer schlug leicht mit der flachen Hand auf den Küchentisch.

»So! Jetzt ist Schluß mit der Spekulation! Jetzt gehen wir wieder an die Arbeit. Ich schaue nach den Schafen, und du bringst der Rosi des Heu und die Kräuter rüber zu den Schöllers. Kannst dir Zeit lassen!«

Joschka lächelte. Sie standen auf und gingen hinaus.

*

Aufgewühlt vom Besuch auf dem Unterbühler Hof schlug Rosi den Weg ins Dorf ein. Sie wollte noch Lebensmittel einkaufen. In Gedanken zählte sie auf: Zucker, Salz, Kaffee, Dosenmilch, Butter, Marmelade, Reis, Nudeln, Kartoffeln und und und. Sie erinnerte sich, daß Beate erzählte, der Unterbühler Hof sei ein Bio-Hof. Da kann ich bestimmt einiges einkaufen, überlegte sie. Wenn Joschka das Heu bringt, werde ich ihn fragen, was sie alles auf dem Hof verkaufen. Sie ging weiter und sah sich um. Sie betrachtete die schönen Bauernhäuser. Am Marktplatz steuerte sie zielstrebig die Schaufenster des Trachten- und Andenkenladens Boller an. Rosi betrachtete die Auslagen.

Dann trat sie einen Schritt zurück, daß sie in den glänzenden Schaufensterscheiben ihr eigenes Spiegelbild betrachten konnte. Plötzlich verspürte Rosi Lust, ihr Aussehen zu verändern. Sie mußte schmunzeln. Frauen verspüren in Lebenskrisen oft Lust, ihr Äußeres einer Radikalkur zu unterziehen. Sie lassen sich die Haare abschneiden oder färben. Daran mußte Rosi jetzt denken. Ein Gedanke, über den sie in der Vergangenheit immer nur den Kopf geschüttelt hatte. Doch jetzt war alles anders. Sie wollte ein neues Leben beginnen. Die Trennung von Stefan war vollzogen – auch wenn es noch sehr schmerzte. Rosel Tremmlers Entscheidung, nicht seine Frau zu werden, war gefallen.

Etwas zum Anziehen brauche ich ohnedies. Sicherlich will mir Beate aushelfen. Doch der Gedanke, sich völlig neu einzukleiden, ihr Äußeres zu verändern, reizte Rosi sehr. Ja, diese Möglichkeit war irgendwie tröstlich. Ich schlage in meinem Leben ein neues Kapitel auf. Ich will mindestens sechs Wochen in Waldkogel bleiben. Ich könnte mich in ein Bauernmädchen verwandeln, in ein Madl, wie man hier sagt, überlegte Rosi.

Rosi überschlug ihre Finanzen. Sie hatte genug Ersparnisse. Der Gedanke, sich ganz zu verwandeln, nahm immer mehr Gestalt an. Er tröstete Rosi irgendwie. Es war, als könnte sie mit einem neuen Äußeren die Vergangenheit abstreifen wie ein altes Kleidungsstück. Kurz entschlossen betrat sie den Laden.

»Grüß Gott!« sagte sie laut und deutlich.

»Grüß Gott! Was darf es sein?« fragte Franz Boller.

Rosi schaute sich um.

»Ich brauche Beratung! Gibt es hier nur Sie oder haben Sie auch eine Verkäuferin?«

Franz Boller, dem zusammen mit seiner Frau Veronika der Laden gehörte, war von der Frage sehr überrascht.

Nun ja, bei den Touristen darf man sich über nichts wundern, dachte er. Er lächelte Rosi an und rief nach seiner Frau.

»Veronika, kannst du mal bitte kommen! Des junge Madl will eine Beratung – aber nur von dir!«

Veronika Boller, eine Frau mittleren Alters, kam aus dem Hinterzimmer.

»Grüß Gott, Madl! Was kann ich tun?«

Jetzt war es Rosi doch peinlich.

»Ich wollte den Herrn nicht beleidigen!«

Veronika, die im Nebenzimmer alles mit angehört hatte, lächelte.

»Ein Frau kann eine Frau immer noch besser beraten als ein Mann, weil sie sich besser in die Seele hineinversetzen kann.«

»Ja, das stimmt! So meine ich das auch! Wissen Sie, ich habe Ihre schönen Auslagen angesehen. Ich will mich ganz neu einkleiden. Ich habe einen neuen Lebensabschnitt angefangen. Da will ich alles neu, alles anders machen. Ich habe keine Ahnung von Trachtenmoden, aber ich fühle, daß ich es mal mit einem Dirndl probieren sollte.«

Rosi faßte sofort Vertrauen zu Veronika Boller.

»Ich will sechs Wochen in Waldkogel bleiben und würde mich für diese Zeit gern in ein echtes Trachtenmädchen verwandeln.«

»Also, quasi der Urlaub total!«

»Genau so!«

»Des ist net schwer! Sie haben eine gute Figur! Allerdings sehen Sie ein bisserl mitgenommen und blaß aus. Vielleicht ein paar kräftige Farben?«

Statt einer Antwort traten Rosi die Tränen in die Augen.

»Ja, Madl, was ist? Ich habe doch nichts Falsches gesagt? Bist doch net krank?«

Veronika Boller gab ihrem Mann ein Zeichen, daß er den Laden verlassen sollte. Dann ging sie auf die junge Frau zu. Rosi war auf einen Stuhl gesunken und saß dort wie ein Häufchen Elend. Veronika war voller Mitleid.

»Also, dann stelle ich mich mal vor! Ich bin die Veronika Boller. Kannst aber Veronika zu mir sagen! Hast du ein Taschentuch?«

Rosi schüttelte den Kopf.

Veronika griff kurz entschlossen ins Regal und reichte Rosi ein kleines rotes Tuch mit weißen Punkten, wie es an Burschen verkauft wurde, die Schnupftabak benutzen.

»Wie heißt du, Madl?«

»Rosi!«

Rosis kurz aufflackerndes Selbstbewußtsein war wieder verflogen.

»Lachen Sie nicht über mich. Ich schäme mich, daß ich so die Fassung verliere. Aber ich habe mich gestern erst von meinem Bräutigam getrennt.«

»Mei, Madl! Des muß dir schrecklich weh tun! Doch du wirst schon deine Gründe gehabt haben. Wann wolltet ihr denn heiraten?«

»In vier Wochen! Die Wohnung war schon eingerichtet, die Hochzeitsgäste eingeladen und das Brautkleid habe ich mir schon ausgesucht. Ich habe es abbestellt. Das habe ich als erstes gemacht.«

»Dann muß es dir ernst sein! Hat er dich so enttäuscht?«

Rosi nickte eifrig.

»Er will mein Kaninchen nicht! Des klingt albern – nicht? Aber ich habe Bunny schon so lange, ich kann es doch nicht einfach fortgeben. Er hat auch kein Verständnis, daß ich Hasen sammle. Er hat nie etwas gesagt, bis gestern. Gestern hatte ich meine persönlichen Sachen in die neue Wohnung gebracht!«

»Du magst Hasen? Da habe ich etwas für dich!«

Veronika Boller ging zum Blusenständer und kam mit einer weißen Trachtenbluse zurück. Sie hatte entlang der verdeckten Knopfleiste und an den Bündchen und dem Kragen bunte Stickereien in Form von kleinen Hasen. Rosi warf einen Blick darauf.

»Ist die schön!« strahlte sie und lächelte schon wieder etwas.

»Ich habe mir auch so eine genommen. Die Bluse kannst du zu Hosen tragen oder zu einem Dirndl als Dirndlbluse. Komme mal mit!«

Gehorsam folgte Rosi Veronika weiter nach hinten im Laden in die Damenabteilung. Veronika zeigte Rosi ein Dirndl. Rock und Mieder waren aus grüner, etwas gröberer Baumwolle mit einer gelben Paspelierung. Die Schürze war in einem dunkleren Grün.

»Gehe in die Umkleidekabine und probiere es an! Du wirst sehen, wie gut es ausschaut. Zu deinem mittelblondem Haar ist das genau die richtige Farbe.«

Rosi probierte die Sachen an.

»Mei, Madl! Wie fesch du aussiehst! Wie ein richtiges Madl aus den Bergen.«

»Es fehlen noch Schuhe und Strümpfe.«

Veronika erkundigte sich nach Rosis Schuhgröße und brachte ihr eine Auswahl von Trachtenschuhen. Rosi wählte ein robustes Paar aus. Die könnte sie auch auf längeren Wanderungen anziehen.

Rosi betrachtete sich immer und immer wieder im wandhohen Spiegel.

»Es ist kaum zu glauben, daß ich das wirklich bin!« flüsterte sie.

Veronika Boller legte Rosi noch eine Kropfkette um. An dem schwarzen Samtband hing ein Kreuz. Damit aber noch nicht genug. Die Ladeninhaberin brachte ein großes rotes Umschlagtuch aus reiner, ganz feiner dünner Schafwolle und drapierte es um Rosis Schultern.

»Das bin ich nicht!« hauchte Rosi.

Veronika mußte lachen.

»Doch, Madl! Des bist du! Ich sage dir jetzt etwas, und des rede ich net nur so daher! Weißt, zu uns kommen viele Touristinnen, die sich ein Dirndl kaufen. Wenn die des anziehen, dann schauen sie alle irgendwie verkleidet aus. Bei dir ist des anders, ganz anders. Schau dich im Spiegel an, dann kannst du es selbst sehen. Du gehörst in ein Dirndl! Des paßt zu dir. Du schaust jetzt völlig anders aus.«

Rosi drehte sich vor dem Spiegel. Sie ging einige Schritte auf und ab. Sie zog das Schultertuch enger und lockerte es dann wieder.

»Das nehme ich! Ich fühle mich richtig gut darin! Es ist…? Wie soll ich sagen? Es ist mir nicht fremd. Ich fühle mich einfach gut!«

Rosi schaute sich im Laden um. Sie suchte sich noch einige Sachen aus. Kniebundhosen zum Wandern, weitere Blusen, eine Weste, eine Jacke aus Loden mit Hirschhornknöpfen und Socken. Rosi kaufte einen Wanderrucksack. Auf der Ladentheke häuften sich immer mehr Kleidungsstücke. Nach den einzelnen Anproben schlüpfte Rosi immer wieder in das Dirndl.

»Veronika! Ich denke, du hast recht. Ich fange an, Dirndl zu lieben. Ich brauche noch mindestens ein weiteres. Ich muß abwechseln können.«

Dann gestand Rosi, daß sie mit nur wenigen Kleidungsstücken Hals über Kopf die Wohnung verlassen hatte.

»Ja, dann brauchst du wirklich noch mindestens ein weiteres zum Wechseln. Wir haben auch einige Sonderangebote. Ich will ehrlich zu dir sein. Des sind echte Ladenhüter, alles kleine Größen, die dir passen würden.«

»Warum will die niemand?«

»Weil des Arbeitsdirndl sind. Sie bestehen aus einem durchgehenden Kleid, mit einer Knopfleiste vorne. Sind dunkelblau, grau, schwarz oder dunkelrot. Sie sind wirklich schön. Die Madln hier, die kaufen sie net, weil sie ihnen zu hochgeschlossen sind. Es sind Arbeitsdirndl, so wie sie früher in Mode waren. Wenn du willst, dann zeige ich sie dir?«

Rosi nickte.

Veronika holte von einem der Schränke einen Karton herunter. Rosi genügte ein Blick.

»Die sind wunderschön. Was sollen die kosten? Ich nehme zwei davon, das dunkelrote und das dunkelgraue. Die passen gut zusammen in den Farben und ich kann die Schürzen austauschen.«

»Madl, du hast es erfaßt.«

Veronika machte Rosi einen guten Preis.

Rosi probierte die Dirndl und behielt das dunkelgraue Dirndl mit der roten Schürze an.

»Das ist nicht so auffallend wie das edle grüne Baumwolldirndl. Das Grüne mit der schöne Bluse, das wird mein Sonntagsdirndl.«

Veronika packte Rosi alles zusammen. Sie gab der jungen Frau auch noch einen Rabatt. Während des ganzen Verkaufs fragte Veronika Rosi nach ihrem Kummer aus. Stück für Stück erfuhr sie die Details.

»Wirst einen anderen finden, Rosi! Und so fesch, wie du jetzt ausschaust, werden die Burschen sich alle nach dir umdrehen.«

Rosi lachte. Nach diesem Großeinkauf fühlte sie sich gut.

»Ich will keinen! Ich habe erst einmal genug!«

»Mei, Madl! Sag’ des net. Wenn die Liebe kommt, dann kannst nix machen!«

Rosi mußte in diesem Augenblick an Joschka denken. Rosi fühlte, wie ihr bei dem Gedanken an ihn das Blut in die Wangen schoß. Sie schaute unter sich und wühlte in der Handtasche nach ihrer Kreditkarte.

Die Ladentür ging auf. Eine junge Frau betrat das Geschäft.

»Grüß Gott, Anna! Welch ein seltener Besuch!«

»Grüß Gott, Veronika! Ich komme während der Hochsaison selten von der Berghütte herunter.«

»Des kann ich verstehen. Suchst du etwas Bestimmtes?«

»Ja! Ich suche ein paar Lederhosen für den Sebastian. Er braucht ein paar neue. Die alten hat er mit Farbe verschmiert. Er wollte Toni und mich überraschen. Er hat heimlich die Rückseite vom Schuppen angestrichen und dabei ist es passiert. Zum Spielen kann er sie noch anziehen. Aber für die Schule sind sie nix mehr. Hast du eine in seiner Größe?«

»Naa, Anna! Aber die Lieferung muß morgen oder übermorgen kommen!«

»Gut! Dann sage ich meiner Schwiegermutter Bescheid. Die Meta wird sie dann bei dir abholen. Danke, Veronika!«

»Geht es jetzt wieder rauf auf die Berghütte, oder bleibst du heute unten in Waldkogel?«

»Ich will noch zum Forsthaus, die Lydia besuchen. Des Förstermadl, die kleine Ulla, ist mit unserer Franziska befreundet. Die Ulla ist seit einigen Tagen krank. Die Franzi macht sich große Sorgen. Die Franzi leidet seit dem Unfalltod ihrer Eltern wohl doch noch unter versteckten Verlust-ängsten. Sie hat Angst um die Ulla. Ich habe Franzi versprochen, die Ulla zu besuchen. Franzi und ihr Bruder Sebastian kommen nach der Schule ins Forsthaus. Wir gehen dann gemeinsam rauf auf die Berghütte. Ich hoffe, ich kann Franzis Bedenken und Ängste aus der Welt schaffen.«

»Was hat denn die Ulla?«

»Sie ist ein Wildfang und ist vom Hochsitz gesprungen. Sie hat sich den Fuß verstaucht und eine böse Entzündung im Knie des anderen Beines. Der Martin hat ihr zwei Wochen Bettruhe verordnet.«

Anna lachte.

»Toni meint schon, es gäbe nur zwei Möglichkeiten: Entweder wir holen die Ulla rauf auf die Berghütte oder quartieren die Franziska bei den Hofers im Forsthaus ein. Die Franzi und die Ulla, die hängen zusammen wie Schwestern.«

»Dann rede doch mit der Lydia! Vielleicht kann die Franzi wirklich derweilen im Forsthaus bleiben.«

»Sicherlich! Aber dann will der Sebastian auch bleiben. Er ist eng mit dem Paul, Ullas älterem Bruder, befreundet. Vier Kinder? Das ist vielleicht sogar der Lydia etwas viel.«

»Na, dann rede mal mit ihr! Übrigens, des Madl hier ist die Rosi! Sie wohnt bei den Schöllers im kleinen Haus. Des liegt doch auf deinem Weg.«

»Da kann ich sie gerne mitnehmen! Hast ja viele Tüten.«

Anna schmunzelte. Sie erinnerte sich an ihren Großeinkauf, als sie damals nach Waldkogel gekommen war. Sie gab Rosi die Hand und stellte sich vor. Die beiden waren sich auf Anhieb sympathisch.

»Das Angebot lehne ich nicht ab. Mein Auto steht bei den Schöllers. Eigentlich wollte ich nur einige Kleinigkeiten einkaufen, zu Fuß.«

»Solche Situationen kenne ich. Aber an diesen ungeplanten Spontan-einkäufen hat man die größte Freude. Übrigens, das Dirndl steht dir gut!«

»Danke!«

Anna und Rosi verabschiedeten sich von Veronika. Anna half Rosi beim Tragen und fuhr sie zu den Schöllers.

Bevor Anna Rosi aussteigen ließ, griff sie in das Handschuhfach und hielt ihr den Werbezettel hin.

»Hier! Das ist unsere Berghütte! Besuche mich doch einmal. Ich würde mich freuen.«

»Ja, das mache ich! Es war genau diese Werbung, die mich nach Waldkogel geführt hat. Ich komme bestimmt einmal. Danke fürs Mitnehmen, Anna!«

»Gern geschehen! Ich wünsche dir noch einen schönen Urlaub!«

»Ja, diese Wünsche kann ich gebrauchen! Mein Start war nicht so glücklich.«

»Ach, es passiert jedem, daß er mal mit dem falschen Fuß aufsteht. Das wird wieder«, bemerkte Anna ahnungslos.

»Bei mir ist es schon ernster, Anna! Aber ich will jetzt nicht darüber reden. Danke für deine guten Wünsche!«

»Hör’ mal! Wenn du Kummer hast, dann gehe in die Berge. Setze dich ganz alleine irgendwohin und schaue hinauf zum ›Engelssteig‹. Höre auf dein Herz. Es wird ganz ruhig werden, und die großen Sorgen schrumpfen zusammen. Das kannst du wirklich glauben. Die Ruhe der Berge, die verändert alles und gibt dir die Antwort auf allen Kummer in deinem Herz.«

Rosi sagte nichts dazu. Sie lächelte Anna nur zu. Sie ergriff ihre vielen Tüten und stieg aus.

*

Rosi ging durch den Vorgarten. Frau Schöller kam aus dem hinteren Gartenteil gelaufen.

»Rosi! Madl! Dich erkennt man ja nicht wieder!«

Frau Schöller rief nach ihrem Mann. Er kam angelaufen und nahm Rosi einen Teil der Tüten ab.

»Mei, schaust du fesch aus! Wenn das der Joschka sieht, wird er Augen machen! Schaust aus wie ein Madl aus Waldkogel, wie eine fesche Jungbäuerin! Mei, welch ein Anblick! Da macht Joschkas Herz ein Riesenhüpfer!«

Rosi blieb wie angewurzelt stehen. Die Schöllers mußten lachen.

»Nun hab’ dich net so, Madl! Mußt net erschrecken! Der Joschka ist kein Hallodri! Er war hier und hat Heu für deinen Bunny gebracht und eine Portion Grünfutter. Er ist lange geblieben.«

»Ja, das ist er!« bestätigte Frau Schöller mit Nachdruck die Worte ihres Mannes.

Rosi strebte dem nächsten Gartenstuhl zu. Sie mußte sich setzen. Während Rosi mit großen Augen Frau Schöller anschaute, hörte sie ihr zu. Dabei wurde sie immer wieder rot.

»Der Joschka hat lange, lange auf dich gewartet. Immer wieder wollte er gehen. Doch dann blieb er noch und noch und noch. Fast hättest du ihn noch angetroffen. Er ist erst vor fünf Minuten gegangen. Wenn du ihm nachgehen willst? Er hat den Weg über die Wiesen genommen.«

Rosi brachte keinen Ton heraus. Sie schüttelte nur heftig den Kopf.

»Also, wir glauben, du hast beim Joschka einen wirklich bleibenden Eindruck hinterlassen. Nun ja, bist ja auch eine hübsche junge Frau.«

Frau Schöller schlug in die Hände.

»Und in diesem Dirndl siehst du aus wie ein echtes Madl aus Waldkogel, net wie ein Fremde.«

Rosi war es sehr peinlich. Ich muß glühen, dachte sie und befühlte ihre Wangen. Sie waren ganz heiß. Dankbar nahm sie das große Glas kaltes Wasser, das ihr Herr Schöller reichte. Sie trank es in einem Zug aus.

»Rosi, mußt dich net schämen! Es muß dir net peinlich sein, daß der Joschka… Ich meine, bist auch ein fesches Madl. Da bleibt so etwas nicht aus.«

Rosi fand ihre Sprache wieder.

»Was kostet das Heu? Hat der junge Bauer vom Unterbühler Hof etwas gesagt?« fragte Rosi, die sich scheute den Namen Joschka auszusprechen.

Die Schöllers schauten sich an.

»Den Preis hat er nicht genannt. Er wird wohl noch einmal kommen.«

Rosi errötete erneut. Frau Schöller erlöste Rosi. Sie griff nach den Tüten.

»Komm, Rosi! Ich helfe dir, die Sachen raufzubringen. Du wirst auch Kleiderbügel brauchen. Ich glaube, es sind keine im Schrank.«

Rosi nahm die restlichen Tüten und folgte Frau Schöller.

Rosi nahm die Kleiderbügel entgegen und schloß die Tür. Sie war froh alleine zu sein. Schnell stand Rosis Entschluß fest. Sie wollte so schnell wie möglich in die Berge. Wenn ich mich beeile, dann treffe ich Anna im Forsthaus. Ich kann mit ihr hinauf zur Berghütte. Das war Rosis Überlegung. Flink packte sie die Sachen aus. Sie wählte einige der neuen Kleidungsstücke und verstaute sie im Rucksack. Dann kniete sie sich neben Bunny auf den Boden.

»Bunny, jetzt geht es in die Berge! Du kommst mit!«

Rosi schulterte den Rucksack und ergriff Bunnys Stall. Zum Glück war er nicht groß.

So bepackt stieg sie die Treppe herunter. Fast wäre sie die letzten Stufen heruntergefallen. Denn unten an der Treppe stand Joschka.

»Grüß dich, Rosi! Willst schon wieder fort?«

Klang da ein tiefes Bedauern mit in seiner Stimme?

»Fort? Ja! Nein! Ja!«

Joschka lachte.

»Was willst sagen, Madl?«

»Was kostet das Heu? Wo kommst du so schnell her?«

Joschka schmunzelte. Er nahm ihr den Käfig ab.

»Das sind zwei Fragen auf einmal! Aber ich habe zuerst gefragt! Also? Willst fort ? Soll ich das Heu wieder mitnehmen? Brauchst des nimmer?«

»Ich gehe mit Anna auf die Berghütte!« stieß Rosi hervor. »Jetzt bist du an der Reihe.«

»Ich bin auf dem halben Weg umgekehrt. Ich dachte, es wird Mittag. Da wirst du wohl kommen! Und schau! Da bist du! Schaust fesch aus in den Kniebundhosen.«

Rosi errötete.

»Was kostet das Heu? Ich brauche es noch! Ich will nur einige Tage auf die Berghütte.«

Joschka grinste. Er rieb sich das Kinn.

»Also, des Heu! Des hat einen besonderen Preis. Das habe ich mit meinem Vater auch so beredet. Du bekommst das Heu kostenlos und das Grünfutter dazu, wenn du mit mir einen schönen Spaziergang machst. Ich wollte dich heute abend abholen. Was machen wir jetzt? Jetzt muß ich wohl warten, bis du von der Berghütte zurückkommst, wie?«

Rosi wurde dunkelrot im Gesicht.

»Ich redete von Geld – von Euros!«

»Ich habe dich zu einem Spaziergang eingeladen. Ich verspreche feierlich, dich nicht zu beißen«, witzelte Joschka.

Rosi schaute in seine großen Augen. Welch ehrliche Augen er hat! Sein Blick ist so ganz anders als der von Stefan, verglich Rosi.

»Rosi, gib dir einen Ruck und geh’ mit dem Joschka spazieren. Auf die Berghütte kannst du immer noch«, rief ihr Herr Schöller zu.

»Ja, mach das! Schau, er hat fast den ganzen Vormittag auf dich gewartet. Es wäre wirklich unhöflich, wenn du ihn vertrösten würdest.«

Gegen ihre Gefühle im Herzen, die sie zu Joschka zogen, und das gute Zureden von Herrn Schöller war Rosi machtlos.

»Gut! Wann und wo?«

»Ich kann dich abholen, wie es sich für einen Burschen gehört!«

»Du bist aber nicht mein Bursche!« stieß Rosi hervor, dabei erzählte ihm ihr Blick etwas von einem ganz anderen Gefühl.

»Noch net! Aber ich gebe die Hoffnung net auf! Mußt mich erst mal kennenlernen! Also, dann mach du einen Vorschlag!«

»Ich kenne nur den Marktplatz! Wir könnten uns da treffen?«

Joschka grinste, und die Schöllers warfen sich Blicke zu. Rosi verstand nichts.

»Paßt dir der Treffpunkt nicht?«

»Oh, doch! Der paßt mir sehr gut! Des ist famos!«

»Um achtzehn Uhr, Joschka?« lächelte ihn Rosi an.

»Ein halbes Stündchen später wäre mir lieber. Wir essen daheim, wenn um achtzehn Uhr des Angelusläuten erklingt.«

»Gut!«

»Servus, Rosi! Bis heute abend!«

»Auf Wiedersehen, Joschka!«

Joschka drehte sich um. Er blinzelte den Schöllers zu und ging fort.

Herr Schöller trug Bunny in den Garten. Rosi folgte.

»Ich habe einen schönen Gemüseeintopf gekocht, Rosi! Ich nehme an, daß du noch keine Lebensmittel gekauft hast. Iß mit uns!«

Rosi ließ sich überreden. Sie setzte sich an den Tisch unter dem Gartenschirm. Mechanisch löffelte sie die Suppe. Ihre Gedanken kreisten um Joschka. An Stefan dachte sie in diesem Augenblick nicht mehr.

*

Bürgermeister Fritz Fellbacher verließ an diesem Tag später das Rathaus. Die Ausarbeitung des Berichtes war mühevoller gewesen, als er angenommen hatte. Als er die wenigen Stufen der Rathaustreppe hinunterschritt, fiel sein Blick auf die gegen-überliegende Straßenseite. Dort ging eine junge Frau unruhig auf und ab. Der Bürgermeister beobachtete sie. Jetzt setzte sich die junge Frau auf den Brunnenrand des Brunnens vor der Barockkirche und spielte mit einer Hand im Wasser. Fellbacher kam die junge Frau bekannt vor, aber er wußte sie nicht einzuordnen. Er überquerte die Straße.

»Guten Abend, Herr Bürgermeister!«

»Ja, Grüß Gott! Des ist ja die Rosi! Jetzt erkenne ich dich, wo ich deine Stimme höre!«

Der Bürgermeister gab ihr die Hand und musterte sie von oben bis unten.

»Mei, Madl! Kein Wunder, daß ich dich net gleich erkannt habe. Mei, wie fesch du aussiehst! Des Dirndl steht dir, als hättest nie etwas anderes getragen!«

Rosi errötete.

»Mußt net verlegen werden. Des ist ein ehrliches Kompliment gewesen.«

»Danke für die netten Worte!«

»Des waren net nur nette Worte. Wenn ich dich so ansehe, dann überlege ich mir, was ich tun könnte, um dich dauerhaft in Waldkogel zu halten. Wir haben immer einen Bedarf an feschen Madln. Als Bürgermeister muß ich sehen, daß Waldkogel wachsen tut und damit eine selbständige Gemeinde bleibt. Da freue ich mich über jeden Neubürger und jede Neubürgerin.«

Bürgermeister Fellbacher betrachtete Rosi mit Wohlwollen.

»Was machst hier, Madl?«

Rosi errötete. Sie schaute auf die Uhr.

»Ich… ich… also, eigentlich bin ich viel zu früh. Ich habe eine Verabredung!«

»So, eine Verabredung? Laß mich raten.«

Bürgermeister Fellbacher blinzelte Rosel Tremmler zu.

»Ist es vielleicht ein strammer Bursche, auf den du wartest?«

Rosi wurde dunkelrot im Gesicht und senkte den Blick.

»Ah, dann habe ich wohl ins Schwarze getroffen. Verlegen wollte ich dich net machen. Madl, mußt dich net schämen, wenn du dein Herz an einen Burschen verloren hast.«

»Ich habe mein Herz nicht verloren! Es ist ein rein geschäftlicher Termin. Ich habe auf dem Unterbühler Hof nach Heu und Wiesenkräutern für mein Kaninchen gefragt. Die lassen mich nicht bezahlen! Der Sohn vom Bauern«, Rosi konnte den Namen Joschka immer noch nicht aussprechen, »und sogar der Bauer selbst wollen, daß ich statt dessen einen Spaziergang mit dem jungen Unterbühler mache. Sagen wir eine Art Fremdenführung! Eigentlich sollte ich dafür bezahlen – für die Führung. Aber mit dem jungen Unterbühler läßt es sich schlecht verhandeln.«

Bürgermeister Fellbacher lachte.

»Da mußt du dir keine Sorgen machen. Der Joschka ist kein Hallodri. Der ist ein anständiger Bursche. Ja, dann wünsche ich dir einen schönen Abend.«

»Danke, Herr Fellbacher!«

Fellbacher sah, wie Joschka die Hauptstraße entlang kam und ging schnell fort. Er wollte Rosi nicht noch mehr in Verlegenheit bringen.

»Grüß Gott, Rosi! Des ist doch eben der Fellbacher gewesen, oder?«

»Ja! Er sagte mir nur guten Abend!«

Joschka musterte Rosi von oben bis unten.

»Schaust gut aus in dem roten Dirndl mit der grauen Schürze. Des gefällt mir!«

»Danke! Dein Bürgermeister hat mir auch schon ein Kompliment gemacht«, bemerkte Rosi leise.

»Aufi, dann gehen wir jetzt. Hast du einen besonderen Wunsch? Was willst du zuerst sehen in Waldkogel? Was soll ich dir zeigen?«

»Ich kenne nichts in Waldkogel außer der Hauptstraße, die Schöllers, die Tierarztpraxis von Beate, den Trachtenladen und den Bürgermeister. Was gibt es hier?«

»Zum Beispiel den Bergsee! Aber den heben wir uns für ein anderes Mal auf.«

Rosis Herz fing an zu klopfen. Sie tat, als hätte sie Joschkas letzten Satz nicht gehört.

»Dann komm, gehen wir!«

Joschka und Rosi gingen nebeneinander die Hauptstraße entlang. Dann bogen sie in eine Seitenstraße ein, die schließlich auf einen Weg mündete, der sich durch die Wiesen und Felder den Berghang hinaufzog.

Jeden, dem sie begegneten, grüßte Joschka laut und wechselte einige Worte. Dabei stellte er jedesmal Rosi vor.

»Des ist die Rosi! Ich zeige ihr ein bisserl unser schönes Waldkogel!«

Rosi fiel auf, wie neugierig sie danach von allen angesehen wurde.

Joschka führte Rosi zu einem breiten Weg, der oberhalb von Waldkogel am Hang entlang führte. Dort standen Bänke. Sie setzten sich.

»Schau, was für ein schöner Anblick! Wie schön Waldkogel da unten im Tal liegt.«

»Ja, es schaut wunderbar aus. Und mittendrin die Kirche mit dem schönen Turm!«

»Dann gefällt es dir hier?«

Rosi warf Joschka einen flüchtigen Blick zu.

»Ja, es gefällt mir hier! Ich bin noch nicht lange hier, doch ich denke, es war eine gute Wahl, mich für Waldkogel zu entscheiden. Dabei war es eher ein Zufall.«

»Ich bin dem Zufall dankbar, sonst hätten wir uns nie kennengelernt.«

»Ja, das stimmt!«

»Warum ist des zufällig gewesen, daß du hierher gekommen bist?«

Rosi dachte einen Augenblick nach. Sie hatte mit Veronika Boller über ihre Vergangenheit gesprochen. Sicherlich würde es kein Geheimnis bleiben, überlegte Rosi. Es war eine harte Entscheidung für die junge Frau, mit Joschka zu reden. Doch sie hielt es für das Beste nach Abwägen aller Gründe, die dafür und dagegen sprachen, zu Joschka offen zu sein.

»Ich habe gestern ein ganz neues Leben angefangen. Da fiel mein Blick auf die Broschüre von Waldkogel. Stefan hatte sie in den Papierkorb geworfen. Ich fischte sie heraus. Da steht drin, daß Tiere willkommen sind. Ich suchte einen Ort für mich und Bunny!«

»Wer ist Stefan? Dein Bruder?«

»Ich habe keinen Bruder, nur eine jüngere Schwester!«

Es fiel Rosi schwer, über Stefan zu sprechen. So sagte sie nur knapp.

»Stefan war mein Verlobter! Ich habe mich von ihm getrennt. Endgültig! Ich fand, daß es ein Irrtum war. Wir passen nicht zusammen. Zu mehr möchte ich mich nicht äußern. Das Kapitel ist abgeschlossen. Es war schmerzlich aber notwendig.«

Rosi malte mit ihren Schuhspitzen kleine Kreise in den Sand des Weges.

»Ja, das verstehe ich! Ich stand auch schon vor einer solchen Entscheidung. Das will ich dir nur kurz sagen. Auch wenn man sich selbst entschließt, das Verhältnis zu beenden – tut es doch weh. Da kämpft der Verstand gegen das Herz.«

Rosi drehte den Kopf in Joschkas Richtung und schaute ihm in die Augen.

»Ja, genauso ist es! Doch vorbei ist vorbei!«

Joschka blickte sie ernst an.

»Eine Frage? Willst deshalb länger in Waldkogel bleiben?«

»Ja! Ich will, daß daheim Gras über die Sache gewachsen ist. Ich habe alleine die Entscheidung getroffen, und ich möchte mich dem Druck der Familie nicht aussetzen. In vier Wochen hätte ich geheiratet. Ich habe mich entschlossen, mindestens sechs Wochen zu bleiben. «

»Das verstehe ich! Ich bin damals einige Wochen in die Berge geflohen! Wollte mit niemanden drüber reden. Dabei sind die Eltern sehr verständnisvoll. Da mußte ich nichts befürchten. Aber ich wollte eben alleine sein.«

»Das verstehe ich gut! Ich habe Anna kennengelernt. Sie sagte, bei Kummer sei es gut, in die Berge zu gehen und sich ganz alleine irgendwo hinzusetzen und auf sein Herz zu lauschen. Sie sagte, das hilft immer.«

»Des kann ich nur bestätigen! Die Berge, die geben Ruhe und Geborgenheit. Dann wolltest du deshalb heute mittag mit der Anna rauf auf die Berghütte?«

»Ja! Doch dich wollte ich auch nicht enttäuschen. Ich habe ja Zeit. Ich kann auch noch an einem anderen Tag gehen. Vielleicht schon morgen?«

Der junge Bauer spielte mit dem Grannen des Gamsbartes auf seinem Hut.

»Tragen hier alle Männer solche Hüte?«

»Im Prinzip schon. Aber es gibt Unterschiede.« Joschka lachte. »Nun, heute sind die Unterschiede nimmer so groß.«

»Erklärst du es mir? Du weißt, ich bin nicht aus der Gegend.«

Joschka reichte ihr seinen Hut.

»Hier, kannst ihn anfassen! Der Hut ist ein Geschenk meines Vaters. Ein schöner Hut mit einem solchen großen Gamsbart, der kann Tausende kosten. Jeder muß einzeln angefertigt werden. Wenn früher die Höfe von einer Generation auf die andere übergeben wurden, dann trug der junge Bauer zum Zeichen des Generationswechsel ab dem darauffolgenden Sonntag einen solchen Hut mit so einem mächtigen Gamsbart. Daran sah jeder, daß die Übergabe erfolgt war und der Junge jetzt das Sagen hatte und nimmer die Alten.«

»Dann gehört dir der Unterbühler Hof und nicht deinem Vater und deiner Mutter?«

Joschka zögerte mit der Antwort.

»Nein! Net ganz! Trotzdem hat mir mein Vater den Hut anfertigen lassen – als äußeres Zeichen. Bei uns auf dem Unterbühler Hof ist des so geregelt. Der Vater hat mich zum Teilhaber gemacht. An dem Tag, an dem ich heirate, wird mir ein weiterer Teil überschrieben, dann gehören mir zwei Drittel. An dem Tag der Taufe von meinem ersten Kind, da überschreibt er mir noch ein Stück, dann gehört mir der Hof ganz. Die Eltern können sich dann beruhigt auf das Altenteil zurückziehen. Des nennen wir bei uns Austragshäusl, weil sie erst dann wieder hinausgehen, wenn sie auf den Friedhof getragen werden. Die Alten kommen net in ein Altersheim, jedenfalls war des auf dem Unterbühler Hof noch nie der Fall. Auf anderen Höfen soll das vorkommen.«

»Das ist schön, daß ihr das so handhabt. Warum ist das nicht überall so?«

»Wenn es Streit und Ärger gibt! Wenn es Unfrieden auf den Hof bringt, dann ist es besser, die Alten wohnen im Heim. Sonst gibt es jeden Tag Ärger, und das ist auch für die Kinder nicht gut. Weißt, es gibt immer Alte, die halten sich net daran, wie alles geregelt ist.«

Rosi hörte interessiert zu.

»Wie ist es denn geregelt?«

»Des ist einfach zu sagen! Wenn die Alten ins Austragshäusl gehen, dann helfen sie nur noch, wenn sie wollen oder wenn richtig Not am Mann ist. Sie genießen ihren Lebensabend. Sie spielen mit den Enkeln und erzählen ihnen Geschichten. Das ist wichtig. Aber es kann auch sein, daß sie des net machen und den ganzen Tag nur kritisieren. Den einen paßt des Madl net, das der Hoferbe geheiratet hat, oder sie lassen den eingeheirateten Burschen jeden Tag spüren, daß er nix recht macht. Des ist dann schlimm für alle.«

»Ja! Das kann ich mir gut vorstellen.«

»Ich habe da Idealvorstellungen, wie alles laufen soll. Meine Eltern wollen auch, daß ich langsam in die Verantwortung reinwachse. Dann habe ich es später leichter.«

»Das ist schön! Kommst du nie in Konflikt mit deinem Vater?«

»Auseinandersetzungen bleiben nicht aus! Aber im Streitfall überläßt er mir die Entscheidung. Nicht immer war meine Entscheidung richtig! Einige Male ging es daneben. Doch gemeinsam haben wir es geschafft. Ich bekam auch keine Vorwürfe von meinem Vater oder meiner Mutter zu hören. Sie sagen, jeder Mensch hat auch das Recht, Erfahrungen und Fehler zu machen. Derjenige, dem der Fehler unterlaufen tut, der trägt schon schwer genug daran. Da muß man nicht noch Öl ins Feuer gießen, wie man so schön sagt im Volksmund.«

»Deine Eltern sind weise!«

»Wenn du das nächste Mal auf den Hof kommst, stelle ich sie dir vor – wenn du Freude daran hast, sie kennenzulernen?«

»Doch das kann etwas dauern. Ich will zuerst einige Tage zu Anna auf die Berghütte.«

Joschka schaute Rosi an.

»Du willst Bunny mitnehmen? Das ist sehr beschwerlich. Dort oben gibt es kein Gras. Vor der Berghütte dehnt sich ein Geröllfeld aus. Da fühlt sich dein Bunny bestimmt nicht glücklich. Darf ich dir einen Vorschlag machen?« Ohne Rosis Antwort abzuwarten, sagte Joschka: »Ich nehme deinen Bunny in Pflege! Du kannst sicher sein, daß er es gut bei mir hat.«

»Das wäre eine Idee!« sagte Rosi leise.

»Mußt dir wirklich keine Gedanken um Bunny machen! Ich würde sehr gut für ihn sorgen.«

Rosi mußte einen Augenblick überlegen.

»Gut, dann bin ich einverstanden! Danke für deinen Vorschlag. Kann ich dann Bunny morgen früh bringen?«

»Ja, das kannst du! Ich kann ihn auch heute abend schon holen. Dann verlierst du morgen früh keine Zeit.«

Rosi blinzelte Joschka an. Die Abendsonne schien ihr ins Gesicht.

Sie überlegte.

»Die Entscheidung liegt bei dir! Du mußt wissen, ob du ihn mir anvertrauen willst?«

»Joschka!« Rosi sprach seinen Namen zum ersten Mal aus. »Ich vertraue dir.«

»Danke! Ich werde dich nicht enttäuschen! Nicht in bezug auf die Betreuung von deinem Bunny und auch nicht in irgendeiner anderen Art. Des mußt mir glauben!«

Sie sahen sich an. Rosi errötete, und auch Joschkas Wangen färbten sich rot. Ihre Herzen klopften. Doch keiner der beiden konnte oder wollte jetzt schon einen weiteren Schritt tun.

»Ja, dann sollten wir zurückgehen! Ich bringe dich zu den Schöllers und nehme Bunny mit. Sollte er keine ruhige Nacht haben, dann gebe ich dir gleich morgen früh Nachricht!«

»Das ist ein guter Vorschlag! Kaninchen können sehr sensibel sein. Es war alles etwas turbulent für Bunny. Erst der Umzug von daheim in Stefans Wohnung, dann die Fahrt nach Waldkogel, danach der Aufenthalt bei den Schöllers und jetzt kommt Bunny zu dir.«

»Keine Sorge! Außerdem kommt morgen Beate und schaut nach unseren Lämmern. Sie kann dann auch nach Bunny sehen.«

»Ja, das wäre fein. Dann gehen wir! Hier, dein Hut!«

Sie gingen langsam nebeneinander her. Dabei kam es einige Male vor, daß sich ihre Hände berührten. Aber keiner der beiden verfügte über den Mut, die Hand des anderen zu ergreifen. Dabei waren sich ihre Herzen schon nah.

Die Sonne stand schon sehr tief, als sie zu den Schöllers kamen. Die beiden waren nicht zu sehen. Rosi ging hinauf in ihr Zimmer und holte den Hasenstall mit Bunny. Es wurde ein längerer Abschied, nicht nur, weil Rosi Joschka immer und immer noch etwas über Bunny sagen wollte. Joschka erzählte auch von den Tieren, die er schon als Kind ganz alleine versorgen durfte, dazu gehörten auch Hasen.

»Tat es dir nicht weh, als sie getötet wurden und das Fell über die Ohren gezogen bekamen?«

»Mein erster Hase war grau, wie Bunny! Er starb an Altersschwäche!«

Rosi lächelte Joschka an.

»Glaube nicht, ich weiß nicht, daß Viehhaltung auf einem Hof zum Erwerb gehört.«

Joschka seufzte.

»Das ist nun einmal so. Aber das gilt bei uns auf dem Unterbühler Hof nicht für alle Tiere. Wir haben Kühe, Ziegen, Schafe, Schweine, Hühner, Gänse und Hasen. Einige davon, die werden niemals beim Schlachter landen. Zu denen habe ich ein besonderes Verhältnis. Die werden erst erlöst, wenn sie alt sind und leiden.«

»Das ist schön! Dann nochmals vielen Dank, Joschka!«

»Gute Nacht, Rosi!«

Er streckte ihr seine Hand hin. Rosi ergriff sie. Sie fühlte sich groß und fest an und war doch gleichzeitig so sanft. Sie hielten sich einen Augenblick länger an den Händen und schauten sich in die Augen. Joschka lächelte Rosi an. Sie sah die Zuneigung in seinen Augen. Ihr Herz klopfte. Langsam zog sie ihre Hand zurück.

»Gute Nacht, Joschka!«

Immer noch schaute er sie an.

Dann flüsterte er leise:

»Dein Bunny kommt nicht in den Hasenstall. Ich nehme ihn heute abend mit zu mir in mein Zimmer!«

Rosi brachte bei so viel Verständnis kein Wort heraus. Sie nickte nur. Sie drehte sich um und winkte ihm an der Haustür noch einmal zu. Dann ging sie hinein.

Joschka wartete noch einen Augenblick. Durch die Scheiben in der Haustür konnte er sehen, wie das Licht im Treppenhaus erlosch. Dann sah er Licht unter dem Dach. Rosi kam noch einmal zum Fenster und winkte ihm zu. Joschka nahm seinen Hut vom Kopf und schwenkte ihn in der Luft. Dann schlug er den Weg über die Wiesen ein, der ihn auf dem kürzesten Weg zum Unterbühler Hof brachte.

*

Stefan war nur noch ein Schatten seiner selbst. Er bereute seine Unbeherrschtheit zutiefst. Dazu mußte er sich die Vorwürfe seiner Eltern und Freunde anhören. Sie fanden alle, daß er sein Glück mit Füßen getreten hatte, obwohl sie Rosis Reaktion auch für sehr übertrieben hielten. Doch das half Stefan nicht weiter.

Bei jedem Geräusch im Treppenhaus raste er zur Wohnungstür, immer in der Hoffnung, Rosi käme zurück. Doch es war jedesmal vergeblich, und Stefan versank nur noch mehr in seinem Kummer. So vergingen die Tage.

Eines Abends, es war am vierten Tag nach Rosis Verschwinden, stand ihre Schwester Maggy vor seiner Tür. Sie grüßte nur kurz und stürmte dann in die Wohnung.

»O Gott, wie sieht es denn hier aus!«

Stefan entschuldigte sich nicht für die Unordnung in der Küche und den anderen Räumen. Er selbst sah unrasiert aus. Die dunklen Ringe unter seinen Augen waren ein Zeichen der schlaflosen Nächte.

»Was ist? Hast du etwas von Rosi gehört?« fragte Stefan mit gebrochener Stimme.

»Von Rosi direkt nicht. Aber ich habe hier etwas, was dich vielleicht interessieren könnte! Ich habe mich auch schon erkundigt und habe intensive Nachforschungen angestellt!«

Maggy holte aus ihrer Handtasche einen amtlich aussehenden Briefumschlag.

»Hier! Rosi ist geblitzt worden! Es war schon Rot, als sie über die Kreuzung in Kirchwalden fuhr!«

Maggy reichte Stefan die Unterlagen. Während er den Bußgeldbescheid las und sich das Bild ansah, ging Maggy in die Küche. Sie zog ihre Jacke aus und fing an, Ordnung zu machen. Stefan kam ihr nach und lehnte sich gegen den Rahmen der Küchentür.

»Dann muß sie in der Gegend von Kirchwalden sein! Sie war jedenfalls am ersten Tag dort, am Tag ihres Verschwindens!«

»Richtig! Denken kannst du also noch, Stefan. Hör zu! Ich habe die Stelle da angerufen und ihnen eine wirklich tränendrückende Geschichte erzählt – von dir – von dem Kaninchen und so weiter – von deiner Reue und von der großen Verzweiflung. Jedenfalls hat es gewirkt.«

Maggy trat neben Stefan.

»Diese Straße führt nach Waldkogel. Das ist ein kleines Dorf am Ende einer Landstraße. Verstehst du?«

Stefan schaute Maggy mit großen Augen an. Seine Gedanken sprudelten nur so.

»Das könnte bedeuten, daß Rosi in Waldkogel übernachtet hat. Immerhin war es früher Abend, als sie geblitzt wurde.«

»Bingo! Das dachte ich auch.«

»Ich werde sofort alle Hotels und Pensionen anrufen!«

»Das habe ich schon erledigt! Leider ohne Erfolg!«

»Vielleicht ist sie unter falschem Namen…«

»Schwachsinn! Jeder muß sich ausweisen, der ein Zimmer belegt. Außerdem wäre sie aufgefallen. Sie hat Bunny dabei! Ich habe inzwischen mit all ihren Freundinnen gesprochen. Sie war bei niemanden. Sie hat bei keiner Bunny abgegeben – das hätte mich auch gewundert.«

»Ja, wo kann sie denn sonst noch sein?«

»Ich habe das Touristenzentrum in Kirchwalden angerufen. Fast auf jedem Bauernhof gibt es Fremdenzimmer und Ferienwohnungen. Die nehmen die Anmeldungen oft nicht so genau.«

»Dann muß ich sofort nach Waldkogel! Ich muß sie suchen.«

Maggy schüttelte den Kopf.

»Sicher müßt ihr euch aussprechen. Aber ich denke, es sieht schlecht aus, wenn du nach ihr suchst. Ein Mann, der eine junge Frau sucht? Also ich weiß nicht? Ob man dir Auskunft gibt? Vielleicht hat Rosi die Leute gewarnt, die Bauern, bei denen sie wohnt.«

»Was soll ich machen, Maggy?«

»Ich werde am Wochenende nach Waldkogel fahren. Du kannst mitkommen. Aber nur bis Kirchwalden. Dort nimmst du dir ein Zimmer und wartest brav. Ich schwöre dir, sobald ich etwas herausgefunden habe, rufe ich dich an. Ich bin ihre Schwester, das kann ich nachweisen. Mir gibt man bestimmt Auskunft.«

»Bis zum Wochenende, das sind noch zwei volle Tage! Maggy, ich halte das kaum noch aus!«

Maggy grinste.

»Ja ja, mein Lieber! Das hättest du dir vorher überlegen müssen.«

»Klingt hart!«

»Es ist so, Stefan! Machen wir uns nichts vor. Du hast Rosi auch etwas hinters Licht geführt. Du hast ihr nie gesagt, daß du Kaninchen und Hasen nicht magst. Du hast Rosi völlig im dunklen gelassen, daß du ihre Leidenschaft nicht teilst, ja – daß du sie sogar absolut lächerlich findest.«

»Das habe ich ja schon eingesehen! Ich bin ja auch bereit, gewisse Zugeständnisse zu machen. Du kennst Rosi besser als ich. Meinst du, sie verzeiht mir? Denkst du, daß wir uns einigen können? Unsere Hochzeit steht bevor?«

»Die Hochzeit kannst du vergessen! Alles schon abgesagt!«

»Aber warum denn? Vielleicht wird alles doch noch gut? Streit gibt es doch immer mal wieder, oder?«

Die resolute Maggy stemmte die Arme in die Seite.

Sie schaute Stefan in die Augen und sagte:

»Das war kein Streit! Das war viel, viel, viel mehr! Ich persönlich glaube, euch trennen Welten! Aber ich will dich nicht ganz entmutigen! Versuche dein Glück! Doch ich halte mich da heraus. Ich helfe dir, Rosi zu finden. Doch dann mußt du selbst sehen, wie du mit ihr zurechtkommst.«

»Das ist lieb von dir! Können wir nicht sofort los?«

»Nein! Ich habe morgen und übermorgen Termine. Außerdem besteht ja immer noch Hoffnung, daß sie wiederkommt.«

Maggy holte Luft.

»Übrigens! Die Eltern wissen nicht, daß ich hier bin. Sie denken, ich sei mit einer Freundin ins Kino. Sie sind ziemlich sauer auf dich! Sie haben mir strengstens untersagt, mich da einzumischen.«

»Danke, Maggy, daß du trotzdem gekommen bist.«

Es kostete Maggy dann doch noch viel Überredungskunst, Stefan davon abzuhalten, sofort nach Waldkogel zu fahren. Stefan und Maggy redeten die halbe Nacht. Stefan war so erschöpft, daß er auf der Couch liegenblieb und nach den durchwachten, durchgegrübelten und durchlittenen Nächten einschlief. Maggy deckte ihn zu. Sie legte ihm einen Zettel auf den Tisch und verließ die Wohnung auf leisen Sohlen.

*

Joschka hielt sein Versprechen. Er rief am frühen Morgen bei den Schöllers an und sprach mit Rosi. Bunny war munter. Rosi freute sich und machte sich beruhigt auf den Weg zur Oberländer Alm.

Rosi parkte ihr Auto hinter der Almhütte von Wenzel und Hilda Oberländer.

»Ich möchte einige Tage hinauf auf die Berghütte. Kann ich mein Auto hier solange stehen lassen?«

»Des kannst machen, Madl! Des kommt net fort und dran kommt auch nix!« sagte Wenzel freundlich.

Rosi bedankte sich und schlug sofort den Bergpfad ein, der hinaufführte. Das Gras war noch feucht vom Tau. Die Sonne ließ die Tautropfen wie Perlen glitzern. Rosi konnte sich nicht mehr erinnern, wann sie so etwas zum letzten Mal gesehen hatte. Sie blieb oft stehen und schaute über das Tal und hinauf zu den Bergen. Der Weg war weit, und Rosi war froh, daß sie Bunny in seinem Hasenstall nicht mitgenommen hatte. Sie legte mehrmals eine Pause ein und aß die Tafel Schokolade, die ihr Frau Schöller geschenkt hatte. Der Tee, in der von Frau Schöller geliehenen Thermoskanne, schmeckte gut und stillte den Durst.

Wie schön es hier ist, dachte Rosi. Wie winzig Waldkogel von hier oben aussieht. Die Häuer sind ganz klein. Alles ist irgendwie unbedeutend. Nur die Berge, die sind groß und mächtig und so erhaben. Ja, es ist wirklich so, wie Anna es beschrieb. Die Berge, die haben Ausstrahlung. Sie lassen einen ruhig werden. Man nimmt sich selbst nicht mehr so wichtig. Wie winzig ist der Mensch inmitten dieser Natur! Wie unbedeutend! Hier wird mir die eigene Vergänglichkeit bewußt. Alles ist vergänglich, nur die Berge bleiben. Sie gibt es seit Millionen von Jahren. Sie waren immer da und werden immer da sein, wenn vieles andere längst vergangen ist. Wie kurz ist die Zeitspanne eines Lebens gegenüber dieser Zeitspanne der Existenz der Berge. Rosi erfaßte, was es bedeutet, wenn die Menschen, die in den Berge wohnen, sagen, die Berge sind ewig.

Wenn Rosi noch irgendwo in ihrem Herzen Zweifel hatte, daß die Trennung von Stefan richtig war, dann schmolzen sie langsam weiter dahin. Die Spanne eines Menschenlebens ist so kurz, daß man sich sorgfältig überlegen muß, wie man sie verbringt, dachte Rosi. Sie wußte nicht, wie es weitergehen würde. Sie war mit ihrem Studium fertig. Ursprünglich sollte sie als Dolmetscherin im Unternehmen ihres Schwiegervaters arbeiten. Dort hatte sie bei einem Praktikum Stefan kennengelernt. Während des nächsten Ferienjobs waren sie sich näher gekommen. Danach hatte Rosi neben dem Studium dort regelmäßig gearbeitet.

»Das ist jetzt auch Schnee von gestern!« flüsterte Rosi leise vor sich hin.

Sie sah hinauf auf die schneebedeckten Gipfel der Berge.

*

Rosi ging weiter und erreichte die Berghütte. Die meisten Hüttengäste waren schon zu ihren Bergwanderungen aufgebrochen. Anna war in der Küche, und Toni räumte die Tische ab.

Rosi trat an den Tresen:

»Anna! Hallo!« rief sie durch die offene Küchentür.

Anna kam sofort heraus.

»Grüß Gott, Rosi! Schön, daß du heraufgekommen bist!«

Anna musterte Rosi kritisch.

»Schaust auch ein bisserl besser aus als gestern morgen! Du hast einen schönen Glanz in deinen Augen!«

Dann rief Anna nach Toni, ihrem Mann. Sie stellte Rosi vor.

»Grüß Gott, Rosi! Anna hat mir schon von dir erzählt. Du hast ja gestern einen Großeinkauf bei der Veronika Boller gemacht. Das war ja sehr mutig!«

Toni lachte und reichte Rosi die Hand.

»Weißt, wir haben Erfahrung mit jungen Madln, die sich in Trachtenmoden verlieben. Die sind nicht weit davon entfernt, sich auch in die Berge zu verlieben. Sie würden gerne hierbleiben. Meistens kommt dann ein Bursche und hält sie fest.«

»Toni! Was redest du da!«

»Ja, stimmt des denn net?«

»Sicherlich, Toni! Aber deswegen mußt du das doch nicht so laut und deutlich sagen. Du fällst direkt mit der Tür ins Haus.«

»Was wahr ist, muß wahr bleiben! Außerdem denke ich, daß die Rosi genau weiß, wovon ich rede. Das ganze Dorf redet drüber, was für ein fesches Paar die beiden sind. Als ich heute morgen die Kinder in die Schule gebracht habe und danach bei meinen Eltern war, wußten sie es auch schon. Gestern abend ist sogar am Stammtisch darüber geredet worden. Allen gefällt die Rosi. Fellbacher sagte wörtlich, des Madl ist eine Bereicherung für Waldkogel, genau wie du damals, Anna!«

»Was ist geredet worden über mich?« fragte Rosi mit großen Augen.

Anna sah das ängstliche Flackern in Rosis Augen.

»Toni, du gehst jetzt an die Arbeit! Ich zeige der Rosi jetzt ihre Kammer. Dann trinke ich mit ihr einen Kaffee.«

So geschah es auch. Anna führte Rosi in eine Kammer.

»Hast Glück, die ist heute morgen frei geworden!«

Kurze Zeit später saßen die beiden jungen Frauen auf der Terrasse der Berghütte.

»Nun, sage schon, Anna! Was wird über mich geredet?«

Anna rührte in ihrem Kaffee.

»Sie redeten über dich und Joschka! Ihr seid gestern abend durch das Dorf gegangen. Ihr habt euch zwar nicht bei den Händen gehalten, aber der Joschka soll dich ja jedem vorgestellt haben.«

»Ja, das hat er. Übrigens, die Leute waren alle sehr freundlich.«

Anna trank einen Schluck Kaffee. Sie schmunzelte.

»Ich möchte denjenigen oder diejenige sehen, die nicht freundlich zu der künftigen Jungbäuerin des Unterbühler Hofes ist. Der Niklas würde denen schon einige deutliche Worte sagen!«

Rosi wurde dunkelrot im Gesicht. Ihr Herz klopfte bis zum Hals.

»Wie können die das sagen? Wie kommen die Leute darauf? Ich war doch nur mit Joschka spazieren, und er hat Nachbarn begrüßt. Ist es da nicht selbstverständlich, daß er mich vorstellt? Das tat er doch nur aus Höflichkeit. Wenn wir, du und ich, zusammen die Hauptstraße entlanggegangen wären, hättest du mich dann nicht vorgestellt, wenn du jemanden getroffen hättest?«

»Doch, sicherlich! Aber das ist etwas ganz anderes.«

»Wieso? Anna, erkläre es mir!«

Anna holte für Rosi ein großes Stück Apfelkuchen mit Schlagsahne. Dann schenkte sie Kaffee nach.

»Liebe Rosi! Es scheint, daß du etwas Nachhilfe brauchst. Wenn hier in Waldkogel ein Bursche mit einem Madl abends durch das Dorf geht, dann ist das so wie eine Bekanntmachung, daß die beiden zusammengehören. Das ist ein öffentliches Bekenntnis, wir sind ein Paar! Schaut her!«

Rosi bekam große Augen.

»Oh Gott, das habe ich nicht gewußt! Deshalb hat Joschka so gegrinst, als ich ihm vorschlug, wir treffen uns beim Marktplatz an der Kirche! Jetzt wird mir das klar!«

Anna konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken.

»Ich hatte doch von diesem Brauch keine Ahnung! Warum hat Joschka mich nicht aufgeklärt? Wenn nicht er, dann hätten die Schöllers etwas sagen können! Mich so in eine Falle laufen lassen! Dabei wollte ich es besonders gut machen und nicht von Joschka bei den Schöllers abgeholt werden. Weil ich dachte, das könnte – daraus könnte man Schlüsse ziehen.«

Rosi befühlte ihre hochroten Wangen.

»Oh! Welche Blamage! Ich bin eine Närrin! Wie konnte ich nur so in die Falle gehen?«

Anna lachte.

»Wenn du dir nichts aus Joschka machst, dann redest du mit ihm. Dann solltest du vermeiden, ihn wiederzusehen.«

»Unmöglich! Ich habe Bunny, das ist mein Kaninchen, bei ihm in Pflege gegeben. Ich muß ihn zumindest noch einmal sehen! Ich werde am besten gleich umkehren, Bunny abholden und Waldkogel auf der Stelle verlassen. Doch wohin?«

Rosi wollte aufspringen. Anna hielt sie fest.

»Nun einmal schön langsam. Vor deinen Gefühlen kannst du nicht davonlaufen. Und wenn du bis an das Ende der Welt gehen würdest, dein Herz würde in Waldkogel bleiben. Dir gefällt Joschka doch, oder?«

Rosi schluckte.

»Anna, bevor ich dir diese Frage beantworte, mußt du meine Geschichte kennen. Ich bin vor meiner eigenen Hochzeit davongelaufen. Ich habe mit Bunny und einer kleinen Reisetasche die Wohnung meines Verlobten verlassen. Es sollte unser gemeinsames Heim sein. Es war Zufall, daß ich hierher gekommen bin.«

»Nun will ich dir etwas sagen! Jeder in Waldkogel kennt deine Geschichte. Die Veronika hat sie ihrem Mann erzählt und auch sonst geplaudert.«

»Wie peinlich!« stöhnte Rosi.

»Dir muß das nicht peinlich sein! Du hast viele Freunde dadurch gewonnen. Ich bin auch auf deiner Seite, auch wenn ich die Geschichte aus dritter oder vierter Hand habe.«

Rosi erzählte Anna von Stefan. Es tat Rosi gut, auch mit Anna über ihre Gefühle zu reden. Anna hörte ihr geduldig zu und nickte immer wieder zustimmend.

»Da bin ich einfach auf und davon! Noch vom Auto aus habe ich in dem Brautmodeladen angerufen und mein Hochzeitskleid abbestellt. Zum Glück war es noch nicht geändert. Es sollte etwas gekürzt werden. Sie waren sehr verständnisvoll und haben mir den vollen Preis erstattet. Sie werden ihn auf mein Konto überweisen. Sie waren so verständnisvoll.«

Rosi trank einen Schluck Kaffee.

»Ich bin eigentlich darüber weg«, gab Rosi vor. »Als ich wirklich gründlich nachgedacht hatte, kam ich zu dem Ergebnis, daß es wirklich so besser ist. Wir passen nicht wirklich zusammen. Da ist Joschka ganz anders. Er nimmt sich so fürsorglich meines Kaninchens an. Er hat Verständnis. Ich denke, daß Joschka auch schon enttäuscht wurde. Er machte so eine Andeutung.«

»Ja, das ist er! Er ist schon zweimal enttäuscht worden. Jedesmal ging die Trennung von Joschka aus. Das war schlimm. Aber er sagte, es bliebe ihm keine andere Wahl. Außerdem ist die Verlobungszeit eine Zeit des gegenseitigen Prüfens. Wenn zwei Menschen feststellen, daß sie nicht zusammenpassen, dann sollen sie es auch lassen.«

»Danke, Anna! Deine Worte sind mir ein großer Trost. Die tun wirklich gut. Weißt du, ich denke, das mit Bunny war nur der äußere Anlaß. Er brachte mich zum Nachdenken. Mein Leben war vorgezeichnet, zuerst Elternhaus und Schulzeit, dann Studium und danach gleich Heirat. Alle sprachen nur gut über Stefan. Dabei übersah ich, daß er doch der Falsche für mich ist.«

Rosi seufzte.

Anna verstand sie.

»Mein Weg in die Berge, das war auch ein großer Schritt. Aber als ich auf mein Herz hörte, dann wußte ich, wohin ich gehörte. Ich hörte auf sonst nichts. Oh, Rosi, was war mir bange! Meine Eltern sind bei einem Unfall in den Bergen umgekommen. Ich wuchs bei meinen Großeltern auf. In der Gegenwart meiner Großmutter durfte man das Wort ›Berge‹ nicht einmal gebrauchen. Wie sollte ich ihr und meinen Verwandten klarmachen, daß ich mich in einen Mann aus den Bergen verliebt hatte und ihn heiraten wollte? Noch schlimmer! Ich wollte mit ihm hier diese Berghütte betreiben. Für ihn ließ ich alles zurück, eine Karriere, eine große, schicke Wohnung und einen Mann, der aus den besten Kreisen kam und den ich wohl geheiratet hätte, wäre mir mein Toni, mein lieber Toni, nicht begegnet.«

»Du siehst glücklich aus, Anna!«

»Ja, Rosi, ich bin glücklich mit Toni. Wir haben keine eigenen Kinder. Doch wir bekamen vom Himmel ein Geschenk. Sebastian und Franziska leben bei uns. Sie sind wie unsere Kinder. Ihre Eltern kamen bei einem Bergrutsch am ›Höllentor‹ ums Leben.«

Anna zeigte mit dem Finger auf den Berg.

»Dort drüben! Das ist das ›Höllentor‹! Heute hängen auch wieder dunkle Wolken über dem Gipfel. Den Leuten in der ganzen Gegend ist der Berg unheimlich. Seit alters her erzählen sie sich, daß der Teufel dort ein Tor zur Hölle habe. Wenn er herauskommt, geschehe ein Unglück.«

»Hört sich schrecklich an. Der Berg sieht auch etwas bedrohlich aus.«

Anna zeigte in eine andere Richtung.

»Das ist der Berg der Hoffnungen! Da ist der ›Engelssteig‹. Dazu gibt es auch Geschichten. Von seinem Gipfel aus sollen die Engel über eine Leiter direkt in den Himmel aufsteigen. So bringen sie die Gebete, Wünsche und Hoffnungen der Menschen zum Herrgott, seinem Sohn, der Mutter Gottes Maria und allen Heiligen. Schau, Rosi, wie schön das Gipfelkreuz in der Sonne leuchtet!«

»Ja, es schaut wunderbar aus.«

Rosi blickte lange hinauf zum Gipfel.

»Anna, muß man auf den Gipfel hinauf, um den Engeln seine Hoffnungen zu geben?« fragte Rosi leise und fast ehrfurchtsvoll.

»Nein, Rosi! Das mußt du nicht.«

»Das ist gut. Ich bin nämlich keine Bergsteigerin. Das erleichtert die Sache. Weißt du, ich weiß nämlich nicht, wie das Leben weitergehen soll, wenn die sechs Wochen um sind, die ich fortbleiben will. Ich brauche eine eigene Wohnung! Eine Arbeitsstelle!«

»Du suchst nach Geborgenheit für dich und dein Kaninchen!«

»Ja, Anna, so ist es!«

Anna lächelte Rosi an.

»Diesen Platz wirst du schon finden. Höre auf dein Herz! Das hast du bisher auch getan, sonst wärst du noch bei Stefan! Und was Joschka betrifft, da kannst du dir sicher sein, daß du ihm gefällst. Er kannte die Bedeutung eines gemeinsamen Spaziergangs durch das Dorf, auch wenn ihr noch nicht Hand in Hand gegangen seid. Joschka ist kein Bursche, der leichtfertig ist. Er will sicher auch nicht ins Gerede kommen, nach all den Enttäuschungen, die er erlebt hat. Er meint es ernst, Rosi! Jetzt ist es an dir, den ersten Schritt zu tun. Dein Bunny ist ja schon bei ihm. Du hast Zeit. In sechs Wochen bist du vielleicht weiter. Es war sicherlich kein Zufall, daß du hier nach Waldkogel gefunden hast. Bleibe einige Tage bei uns auf der Berghütte. Mache Wanderungen! Gehe zum ›Erkerchen‹, das ist eine besonders schöne Stelle mit einer wunderbaren Aussicht. Weiter oben gibt es einen Platz, von dem nur Einheimische wissen. Es ist eine kleine Wiese mit Blumen und einer Quelle. Sie liegt ganz hoch oben in den Bergen, windgeschützt zwischen Berghängen. Es ist fast ein Wunder, daß es da oben so grünt und blüht. Deshalb sagen die Einheimischen auch ›Paradiesgarten‹. Dort ist man dem Himmel ganz nah, Rosi! Gehe alleine dahin, denke über Joschka nach. Oder gehe mit ihm zusammen hin, ganz wie du willst. Habe keine Angst! Sicherlich kann man sich irren. Doch man muß es auch schaffen, einen neuen Anfang zu machen. Du mußt wieder Vertrauen in deine Gefühle finden, Rosi!«

Rosi schaute Anna lange an.

»Stimmt! Du hast es erkannt. Ich schäme mich, daß ich mich in Stefan so geirrt habe. Dabei muß ich fair bleiben. Als Freund, als Kumpel ist er bestimmt gut, aber er ist für mich kein Mann zum Heiraten.«

»Gut! Das waren klare Worte! Jetzt mußt du herausfinden, wie es mit Joschka ist. Er ist, allgemein gesprochen, sicher ein Mann für das Leben. Du mußt wissen, ob er der Mann ist, der dir Geborgenheit gibt und dem du dich anvertrauen willst.«

Rosi trank einen Schluck Kaffee.

»Danke für das Gespräch, Anna, und die offenen Worte. Ich werde einige Tage in den Bergen bleiben und auf mein Herz lauschen. Dann werde ich sehen.«

Anna brachte Rosi noch einen Kaffee. Sie ließ die junge Frau alleine. Rosi saß auf der Terrasse der Berghütte und schaute in die Weite. Immer wieder wanderte ihr Blick hinauf zu dem Gipfel des ›Engelssteigs‹.

Rosi war nicht in der Lage, ihre innersten Gedanken in Worte zu fassen. Aber sie schickte ihre Wünsche, Sehnsüchte, all ihre Fragen, aber auch die Ängste und Hoffnungen hinauf zum Gipfel. Sie wollte Geborgenheit. Rosi sehnte sich danach, so angenommen zu werden, wie sie war.

Im Laufe der nächsten Stunden wurde Rosi innerlich ganz ruhig. Sie träumte mit offenen Augen. Es waren schöne Träume. Sie malte sich aus, wie es sein würde, an der Seite von Joschka auf dem Unterbühler Hof zu leben.

Der ganze Tag verging. Rosi verbrachte ihn auf der Terrasse. Anna und Toni servierten das Mittagessen und Abendessen. Als die Nacht sich ankündigte und es dunkel wurde, zogen sich die anderen Hüttengäste in die Berghütte zurück. Rosi holte ihre warme Jacke und ließ sich von Toni noch eine Decke geben.

»Willst nicht mit reinkommen an den Kamin?« fragte Toni.

»Danke, nein! Ich lausche den Bergen. Da ist ein Gefühl – nein, da wächst ein Gefühl in meinem Herzen. Ich will alleine sein.«

Toni legte Rosi für einen Augenblick die Hand auf die Schulter. Er verstand sie. So ließ er sie alleine. Er kam nur in Abständen heraus und brachte ihr heißen Tee, den er wortlos auf den Tisch stellte.

Bis weit nach Mitternacht saß Rosi unter dem nächtlichen Sternenhimmel in den Bergen. Zu ihren Füßen lag Bello, der junge Neufundländerhund von Toni und Anna. Er bewachte Rosi. Es war, als spürte er die Suche und die Unruhe in Rosis Herz. Es war ein innerer Kampf zwischen Verstand und Herz. Der Mond stand am Himmel inmitten der Sterne. Dann und wann schob sich eine kleine Wolke davor. Der Klang der Uhr auf dem Kirchturm der schönen Barockkirche von Waldkogel unterbrach die Stille von weitem.

Als Rosi endlich in ihre Kammer ging, war ihr Herz ruhig. Alle Ängste waren verschwunden. Hoffnung und Zuversicht waren eingezogen. Rosis letzter Gedanke vor dem Einschlafen galt den Engeln auf dem ›Engelssteig‹.

*

Rosi schlief am nächsten Tag lange. Es war schon späterer Vormittag, als sie die Terrasse der Berghütte betrat. Toni und Anna machten ihre Kaffeepause. Toni stand sofort auf.

»Guten Morgen, Rosi! Gut schaust aus! Wie hast du geschlafen?«

»Guten Morgen zusammen! Ich habe gut geschlafen – tief – sehr tief. An Träume kann ich mich nicht erinnern, leider. Aber ich vermute, es waren schöne Träume, denn ich fühle mich wunderbar.«

Rosi breitete die Arme aus.

»Ich könnte die ganzen Berge umarmen.«

»Da hast wenig davon, da ist der Joschka ein besseres Objekt«, warf der alte Alois ein, der bei Toni und Anna am Tisch saß.

Rosi mußte lachen. Sie sagte dazu aber nichts. Toni stand auf.

»Komm, setz dich zu uns! Ich hole dir des Frühstück, Rosi!«

Rosi setzte sich neben den alten Alois.

»Das ist wirklich ein wunderschöner Platz, Anna. Es ist hier oben noch schöner als unten in Waldkogel. Dabei macht es für mich schon einen großen Unterschied aus zu dem Stadtleben, das ich bisher nur kannte.«

Der alte Alois sah Rosi an.

»Bist wohl eher ein Landmadl, als ein Stadtmadl, wie?«

Rosi schmunzelte.

»Das weiß ich nicht. Aber ich versuche es herauszufinden. Jedenfalls fühle ich mich hier in Waldkogel so, wie ich mich noch nie gefühlt habe. Daß ihr mich nur richtig versteht. Das hat nichts mit einem Urlaubsgefühl zu tun. Ich war schon oft in Urlaub, irgendwo. Im Urlaub fühlt sich jeder anders als daheim. Aber hier – merkwürdig –, hier überkommt mich eine seltsame Ruhe und eine Kraft – eine Zuversicht. Ich fühle mich frei, und doch spüre ich eine Verbundenheit mit den Bergen, dem Tal. Klingt absonderlich, wie?«

Anna lächelte und schüttelte den Kopf.

»Ich kann das gut nachvollziehen. Mir ist es einmal ähnlich ergangen. Ich verspürte ein Gefühl in meinem Inneren, das ich zuvor nicht kannte. Es war so ein gutes Gefühl. Ich wußte nur, daß ich alles versuchen wollte, es festzuhalten.«

»Ja, so ist es! Ich habe schon nach dieser kurzen Zeit keine Sehnsucht nach dem, wie ich vorher gelebt habe. Das erscheint mir alles so weit fort, wie in einer anderen Welt.«

Toni brachte Rosis Frühstück. Es gab Brot, Butter von der Oberländer Alm, Käse, Wurst und Kaffee. Rosi ließ es sich schmecken.

»Willst wandern gehen?« fragte Toni.

Rosi schüttelte den Kopf.

»Das hebe ich mir auf für später! Ich muß runter ins Tal.« Rosi lächelte verlegen. »Mir ist da heute nacht ein Gedanke gekommen. Ich muß ganz neu anfangen, eine Wohnung suchen, eine Arbeit suchen. Ich bin frei. Wenn mich das Schicksal schon hierher gebracht hat, ist das vielleicht ein Wink, daß ich es genauso gut hier probieren kann. Hier gelingt es mir auch leichter, einen neuen Anfang zu machen. Meine Eltern, meine Schwester, Freunde – alle sind nicht hier. Ich kann mein Leben neu beginnen. Das will ich.«

Anna, Toni und der alte Alois nickten und hörten weiter zu.

»Ich denke, ein Versuch ist es wert. Ich will mir eine Zeitung holen und nach Stellen schauen. In Kirchwalden will ich mich auch umsehen. Ich habe Bürgermeister Fellbacher kennengelernt. Er scheint mir ein sehr umtriebiger Bürgermeister zu sein.«

»Ja, des ist er bestimmt«, warf Toni ein.

»Ich denke, ich sollte auch mit ihm reden. Vielleicht hat er eine Idee. Sicherlich kennt er viele Leute.«

»Ja, des ist eine gute Idee! Was hast du studiert, Rosi?«

»Sprachen, und ich kann gut dolmetschen.«

»Mei, dann frage doch mal in der Tourismuszentrale nach.«

»Toni!« Anna legte ihren Arm auf den Arm ihres Mannes. »Toni, kannst du dich noch erinnern? Der Leo erzählte doch, daß die Zentrale der Bergwacht jemanden mit Sprachkenntnissen sucht.«

»Richtig, Anna! Das ist aber schon einige Wochen her, daß Leo das erzählt hat.«

Toni erzählte Rosi ausführlich von seinem Freund Leonhard Gasser, dem Leiter der Bergwacht in Kirchwalden. Leo, wie er gerufen wurde, klagte immer über diese Papierflut, die sich auf seinem Schreibtisch häufte. Vieles dabei muß jetzt in verschiedenen Sprachen geschrieben werden, weil die Geretteten die Berichte für ihre Heimatländer benötigten.

»Europa wächst zusammen, und die Sprachen sind gleichberechtigt!« kommentierte Toni. »Ich habe für Sprachenprobleme meine Anna.«

Toni legte den Arm um Anna.

»Rufe doch Leo einmal an, Toni, und frage, wie es mit der Stelle ist!«

»Der Leo wollte ohnehin heute das Bier herauffliegen. Es ist besser, wenn ich warte, bis er kommt. Willst nicht auch warten, Rosi? Der Leo kommt am Nachmittag!«

Rosi schüttelte den Kopf. Sie wollte unbedingt hinunter ins Tal. Toni könnte bei den Schöllers anrufen und dort eine Nachricht hinterlassen, wenn er sie dort nicht antraf.

Rosi trank ihre Kaffeetasse aus.

»Es war ganz wunderbar hier bei euch! Ich komme spätestens am nächsten Wochenende wieder. Bis dorthin habe ich mein Leben wohl etwas geordnet.«

Toni, Anna und der alte Alois verstanden dies. Sie wünschten Rosi viel Glück und Erfolg.

Bald war Rosi auf dem Weg hinunter zur Oberländer Alm, wo auch ihr kleines Auto parkte.

*

Rosi fuhr direkt zum Unterbühler Hof. Ihr Herz klopfte, als sie das Auto auf dem Hof des schönen Anwesens parkte. Sie schaute sich um und überlegte, wo sie Joschka finden könnte.

Die Haustür stand offen. Eine Frau trat heraus.

Rosi sah sofort die Ähnlichkeit mit Joschka.

»Grüß Gott! Ich vermute, Sie sind Frau Unterbühler?«

»Ja, die bin ich! Ein herzliches Grüß Gott, Madl!«

Rosi räusperte sich und griff sich unbewußt an den Hals.

»Können Sie mir bitte sagen, wo ich Ihren Sohn, den Joschka, finde? Mein Name ist Rosel Tremmler. Joschka war so nett, mein Kaninchen in Pflege zu nehmen.«

Ein Lächeln huschte über das Gesicht der Bäuerin. Sie reichte Rosi die Hand.

»Willkommen auf dem Unterbühler Hof. Joschka ist hinten auf der Wiese. Er dachte, daß du länger auf der Berghütte bleibst.«

»Wissen Sie, das war auch mein ursprünglicher Plan, Frau Unterbühler. Aber ich habe es mir anders überlegt.«

»Hat es dir net gefallen?«

»Doch, doch!« beeilte sich Rosi zu bekräftigen. »Es hat mir sehr gefallen und in Waldkogel ist es wunderbar. Ich denke daran, noch länger zu bleiben.«

»Des ist sicher eine gute Entscheidung. Waldkogel ist ein schöner Flecken unter Gottes herrlichem Himmel. Da läßt es sich gut leben! Dann komme mit mir, Rosi! Ich bringe dich zum Joschka!«

»Ich möchte Ihnen aber keine Mühe machen, Frau Unterbühler!«

Die Bäuerin blieb stehen. Sie musterte Rosi und lächelte sie dann an.

»Jetzt läßt du des mal schön bleiben mit den Höflichkeitsfloskeln. Sag Trudi zu mir und du oder wenn du des net willst, dann wenigstens Bäuerin. Des geschraubte ›Sie‹, des muß in der Stadt so sein, bei uns net. Bei uns hier ist das anders!«

Rosi errötete. Sie folgte der Bäuerin.

Auf der Wiese hinter der großen Scheune war Joschka mit einem Mann dabei, Maschendraht um ein großes Gatter zu spannen.

»Joschka, schau, wen ich dir da bringe.«

Joschka ließ die Rolle mit dem Maschendrahtzaun fallen.

»Rosi? Mei, warum bist du schon wieder hier?«

»Das klingt, als seist du enttäuscht, mich zu sehen.«

»Mei, Rosi! Wie kannst so etwas annehmen? Ich freue mich narrisch dich zu sehen! Deinem Bunny geht es gut. Schau, der Käfig steht drüben im Schatten.«

Stolz zeigte Joschka auf sein Werk.

»Das gibt ein Freigehege für dein Kaninchen. Oben drauf kommt auch noch Maschendraht, damit der kleine Kerl gegen Angriffe von Falken, Adlern oder auch Habichten gesichert ist, verstehst?«

Rosi staunte.

»Du machst dir so viel Arbeit, Joschka! Vielen Dank! Das ist wirklich großartig. So gut hatte es Bunny noch nie! Ich würde ihn auch noch gern einige Tage hier auf dem Hof lassen. Ich habe mir eine Menge vorgenommen: Arbeitssuche, Wohnungssuche…«

Joschkas Augen strahlten.

»Mei! Heißt des, du willst in Waldkogel bleiben?«

Rosi seufzte.

»Ich muß und will ganz neu anfangen. Mir gefällt es hier. So will ich versuchen, hier Wurzeln zu schlagen.«

Der Mann, auf der anderen Seite des Gatters, trat hinzu. Joschka stellte ihn als seinen Vater vor. Der Bauer gab Rosi die Hand.

»Des ist ein guter Entschluß, Madl! Wenn du Fragen hast oder Hilfe brauchst, dann kann ich mir vorstellen, daß dir der Joschka gerne hilft. Mich und meine liebe Trudi kannst auch immer fragen.«

»Danke, Herr Unterbühler!«

»Sage einfach Bauer zu mir oder nur Niklas, wie alle hier sagen.«

»Ja!«

Rosi war verlegen. Diese Herzlichkeit traf sie mitten ins Herz.

»Das mit dem Freigehege, das ist ein gute Sache. Was ist noch zu tun? Ich kann gerne mit anpacken!«

Die ganze Familie Unterbühler schaute sich kurz an.

»Habe ich etwas Falsches gesagt? Ich wollte mich nicht einmischen!« Rosis Stimme klang verunsichert.

Trudi fand als erste die Sprache wieder.

»Naa, Madl, naa! Aber solche Arbeiten, die machen hier die Mannsbilder. Da lassen wir Frauen die Finger davon.«

»Ich möchte mich aber irgendwie erkenntlich zeigen.«

»Du kannst mir drinnen etwas Gesellschaft leisten, Rosi, wenn du magst. Ich bin am Mittagessen kochen.«

»Gern, Bäuerin!«

Joschka und sein Vater sahen den beiden Frauen nach. Sie schauten sich nur kurz an. Sie verstanden sich auch ohne Worte.

Daß Trudi Rosi gleich mit in ihre Küche nahm, das war ein gutes Zeichen.

»So, Rosi! Des ist die Küche des Unterbühler Hofs. Wir haben auch ein Wohnzimmer und ein großes Eßzimmer. Aber des benutzen wir fast nie oder nur an hohen Feiertagen. Unser Leben, des spielt sich hier ab. Setz dich!«

»Was duftet hier so gut?«

»Das ist der Rinderbraten! Es gibt Kartoffelklöße, Braten und Salat. Weißt, ich mache oft Rinderbraten. Den kann man auch gut kalt essen, in feine Scheiben geschnitten. Der Niklas und der Joschka, die mögen das.«

»Jeder hat so seine Vorlieben!«

»Ja, des stimmt. Was tust du gern essen? Magst Pizza und leichte Kost?«

Ah, sie will mich ausfragen, dachte Rosi.

»Pizza und leichte Kost sind nicht zu verachten. Aber ich stehe mehr auf Hausmannskost, kräftige Eintöpfe, Rotkraut, Sauerkraut, Bratwurst, Kartoffelklöße, selbst gemachte Nudeln und Hefekuchen.«

Trudi sah nach der Uhr. Sie schaltete das Kochwasser für die Klöße ein.

»So, wenn es kocht, dann kann ich die Bällchen rein tun. Des paßt dann in der Zeit genau.«

»Kann ich irgend etwas helfen?«

»Gern! Schau, die Tür dort! Des ist die Küchenkammer. An der Türinnenseite hängen Schürzen. Hol’ dir eine!«

Rosi band sich die Schürze um und trat zu der Bäuerin an den Herd.

»Hast du den Salat schon geputzt?«

»Nein! Ich will Tomaten aus dem Garten holen. Des kannst machen – wenn du magst – und auch ein paar frische Kräuter.«

Die Unterbühler Bäuerin drückte Rosi einen kleinen Korb in die Hand, in dem ein Messer lag.

Rosi eilte durch die Hintertür in den Küchengarten. Sie schnitt Tomaten und brachte auch Kräuter mit zurück. Rosi machte den Salat. Dabei beobachtete Joschkas Mutter die Geschicklichkeit der jungen Frau.

Pünktlich zum Mittagsläuten betraten Joschka und sein Vater die Küche. Der Tisch war gedeckt. Rosi bekam einen Platz auf der Eckbank. Der Bauer sprach das Tischgebet. Dann aßen sie.

»So, du willst länger in Waldkogel bleiben, Rosi. Das ist schön. Dann werden wir dich ja öfters sehen. Nun ja – du wohnst auch nicht weit. Es ist ja nur ein Katzensprung bis zu den Schöllers.«

»Niklas! Die Rosi kann bei den Schöllers net bleiben. Sie muß sich eine andere Unterkunft suchen. Ich habe Frau Schöller gesprochen, als sie schon ganz früh hier war, um ihre Eier zu holen. Ihre Kinder und Enkel kommen jetzt in den Ferien doch. Deshalb braucht sie wohl des Dachzimmer.«

»Oh, davon wußte ich nichts! Wie auch? Ich bin gleich hierher! Ich werde sicherlich etwas anderes finden. Jedenfalls freue ich mich für die Schöllers. Sie waren etwas traurig, daß sie den Sommer alleine sein würden.«

»Des klingt, als würde dir Familie etwas bedeuten, Rosi?« bemerkte der Bauer.

»Ich will es mal so sagen: Familie bedeutet mir viel! Aber es muß auch die richtige Familie sein. Ich habe da genaue Vorstellungen.«

»So? Welche?«

»Niklas, jetzt gib aber Ruh’«, tadelte Trudi ihren Mann. »Des klingt ja wie ein Verhör.«

»Man wird doch noch fragen dürfen!«

Rosi lächelte. Sie wurde aber rot dabei.

»Schon gut! Ich gebe gern Auskunft. Außerdem weiß ich von Anna, daß über mich in ganz Waldkogel geredet wird. Ich war so leichtsinnig – nein – anders gesagt, ich habe beim Einkauf bei der Veronika die Nerven verloren und ihr mein Herz ausgeschüttet. Aber ich stehe dazu. Also reden wir offen! Ja, ich habe mich von meinem Verlobten getrennt. Es tat weh! Ich bin fortgerannt. Doch es war die richtige Entscheidung. Wir hatten sicherlich nicht die gemeinsame Auffassung von Ehe, Familie, gegenseitiger Achtung und dem, was dazu gehört, wie es sein sollte. Jetzt mache ich einen neuen Anfang.«

»Du bist mutig gewesen, Rosi! Net viele werfen vier Wochen vor der Hochzeit alles über den Haufen«, bemerkte Niklas.

»Mutig? Danke, für das Kompliment. Ich habe in dem Augenblick nicht daran gedacht, daß es mutig ist. Ich hatte keinen Plan. Erst wollte ich zu einer Freundin, dann fand ich den Werbezettel über Waldkogel im Papierkorb. Jetzt bin ich hier! Mir gefällt es hier!«

»Das ist schön!« sagte die Bäuerin leise. Sie lächelte Rosi an. »Rosi, wir wissen, daß über dich geredet wird. Wir wissen auch, daß du deine Zelte bei den Schöllers abbrechen mußt. Wir haben heute morgen schon darüber gesprochen. Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll… Aber wir haben da eine Idee!«

»Sage es einfach, Bäuerin! Ich bin dafür, daß ein jeder offen und ehrlich seine Meinung sagen sollte. Das kann man doch so tun, daß man den anderen nicht verletzt, so wie es Stefan getan hat.«

Alle stimmten Rosi zu.

Die Bäuerin wechselte mit ihrem Mann und ihrem Sohn Blicke.

Dann sagte sie:

»Rosi! Wir haben noch nie vermietet! Doch der Hof ist so groß. Der Großvater hatte fünf Brüder und sechs Schwestern. Zur Familie gehörten noch von Niklas unverheiratete Tanten und Onkel. Alle lebten hier auf dem Unterbühler Hof. Nun, heute sind die Familien viel kleiner. Was wir damit sagen wollen ist, daß wir viel Platz haben. Richtig Fremdenzimmer vermieten, des wollen wir nicht. Aber da dein kleiner Bunny schon hier ist, wäre es doch praktisch, wenn du dich auch hier einquartieren würdest. Also, wenn du magst, dann bist du uns herzlich willkommen.«

»Wirklich?« Rosi bekam große Augen.

Sie spürte, wie ihr Herz klopfte. Sie warf Joschka einen Seitenblick zu. Sie sah, wie nervös er war.

»Praktisch wäre es schon!« sagte Rosi leise vor sich hin.

Ihr Gesicht färbte sich rot. Vor lauter Aufregung schoß ihr das Blut in die Wangen. Sie räusperte sich.

»Wie gesagt, es wäre sehr praktisch, da Bunny schon hier ist und ihr ihm so ein schönes Freigehege gebaut habt. Doch es gibt etwas, was ich auch bedenken muß.«

Rosi schaute Joschka in die Augen.

»Joschka, die Leute hier halten uns für ein Paar, weil du mit mir durch das Dorf gegangen bist. Ich möchte vermeiden, daß du ins Gerede kommst. Ich wußte nichts von dem Brauch. Warum hast du mir nicht gesagt, daß das so ausgelegt werden könnte?«

»Dann ist dir des peinlich, Rosi? Willst nimmer mit mir gesehen werden?«

Rosi schaute unter sich auf ihren Teller. Es dauerte eine Weile, bis sie sich gesammelt hatte.

»Joschka! Es war mir nicht peinlich! Es ist mir auch nicht peinlich. Wie es zwischen uns steht, das geht niemanden etwas an. Das ist nur eine Angelegenheit zwischen dir und mir.«

»So sehe ich das auch, Rosi! Ich habe vor meinen Eltern keine Geheimnisse. Deshalb kann ich hier offen reden. Du gefällst mir! Du hast mir vom ersten Augenblick an gefallen. Ich hoffe, das ist gegenseitig?«

Rosis Herz klopfte bis zum Hals. Sie schluckte. Dann nahm sie all ihre Kraft zusammen und schaute Joschka in die Augen. Sie las darin seine Liebe zu ihr.

»Joschka! Wenn es hier in deiner Familie keine Geheimnisse gibt, dann will ich ebenso offen sein.

Ja, du bist auch in meinen Gedanken! Ich trage dein Bild mit mir herum, da drinnen.« Rosi legte ihre Hand auf ihre Brust. »Doch ich will erst mein Leben regeln, alles muß seine Ordnung haben. Mein Gefühl sagt mir schon, daß wir zusammenpassen. Doch mir geht das alles zu schnell. Laß uns nichts überstürzen! Ich nehme das Angebot gerne an, bei euch ein Zimmer zu nehmen. Wir werden viel zusammen sein und uns näher kennenlernen. Dann sehen wir weiter.«

Rosi trank einen Schluck Saft.

»Joschka! Ich will nur einmal heiraten. Dann soll es für immer sein. Es ist die wichtigste Entscheidung im Leben einer Frau. Stefan kannte ich zwei Jahre. Doch ich hatte mich geirrt. Dich kenne ich erst wenige Tage. Ja, du gefällst mir! Ja, du bist der, um den meine Gedanken kreisen. Doch laß uns Zeit! Zeit, um über die gemeinsame Zukunft zu reden. Zeit, um über Kinder, Haus und Hof zu reden. Ich weiß nicht, wie das Leben auf einem Hof ist. Ich will weder dich, noch deine Eltern enttäuschen, besonders deine Eltern, die mich so liebevoll aufnehmen.«

»Dagegen kannst nix sagen, Bub!« bemerkte Joschkas Vater. »Die Rosi zeigt Verantwortung. Sie behält bei aller Hingezogenheit zu dir einen klaren Kopf. Des gefällt mir. Du hast ihr schon gezeigt, daß sie dir gefällt, als du mit ihr spazierengegangen bist. Uns gefällt des Madl auch. Joschka, schau’ deine Mutter an. Sieh, wie sie die Rosi anstrahlt. Ich bin sicher, daß sich die beiden gut verstehen werden. Ich mache dir einen Vorschlag. Die Rosi zieht hier ein. Dann gibst du ihr Zeit, die Zeit, die sich die Rosi auch hat nehmen wollen. Also die sechs Wochen. Dann hat des Madl auch mehr Klarheit in ihrem Herzen.«

»Gut! Vielleicht kommt die Rosi ja vorher auf mich zu und gibt mir ein Zeichen, daß ich ihr meine Liebe gestehen darf und Hand in Hand mit ihr durchs Dorf gehen kann. Bist du damit einverstanden, Rosi?«

»Ja, Joschka! Danke! Ich danke euch allen!«

»Bub, dann ist alles gesagt. Dann wollen wir wieder an die Arbeit gehen!«

»Ja, Vater!«

Joschka und Niklas standen auf. Joschka warf Rosi noch einen sehnsuchtsvollen Blick voller Liebe zu. Rosi lächelte warmherzig zurück. Dann gingen die beiden hinaus.

Rosi stand auch auf.

»Laß mich dir helfen, das Geschirr zu spülen, Bäuerin!«

»Des mache ich schon alleine! Jetzt schaust, daß du bei den Schöllers deine Sachen holst. Aber vorher kommst mal her!«

Dann schloß die Trudi Rosi in ihre Arme.

»Du gefällst mir gut, Rosi! Bist ehrlich! Kannst auch hart zu dir selbst sein. Ein Leben auf einem Hof kann hart sein, sehr hart sein. Du bist dafür gewappnet. Ich hoffe, daß aus meinem Buben und dir ein schönes Paar wird. Sollte es nicht so sein, dann wollen wir Freundinnen sein.«

»Das ist ein guter Pakt, Trudi! Danke! Du bist eine wunderbare Frau. Ihr seid eine liebe Familie. Wenn ich vielleicht eines Tages dazu gehöre, dann werde ich sicher glücklich werden. Doch es ist noch keine Woche her, daß ich mein Brautkleid abbestellt habe.«

Die Bäuerin streichelte Rosi über die Wange.

»Mein Madl! Da verstehe ich dich vielleicht besser als die Mannsbilder. Wenn du mit mir über etwas reden möchtest, dann habe ich immer Zeit für dich und ein offenes Ohr.«

»Danke, Trudi!«

Rosi zögerte einen Augenblick. Dann sagte sie leise:

»Es gibt schon etwas, worum ich dich bitten möchte.«

»Ja?«

»Du mußt mich ein bisserl einführen in die Arbeiten auf einem Hof. Ich komme aus der Stadt. Meine Eltern haben nur einen kleinen Blumengarten. Wenn das mit mir und Joschka… du verstehst schon. Ich will meine Rolle auch ausfüllen können.«

»Wenn es dich beruhigen tut, dann nehme ich dich ein bisserl an die Hand. Aber ich bin sicher, daß du es schaffst. Das sagt mir meine Menschenkenntnis. Was du nicht weißt, des kannst lernen. Schau, die Anna, die ist Bankerin gewesen. Jetzt ist sie eine tüchtige Hüttenwirtin an Tonis Seite.

Des kommt alles von alleine. Entscheidend im Leben ist immer, daß man eine Arbeit machen will. Dann liebt man diese Arbeit, und ist sie auch noch so schwer. Man wächst rein und es geht einem dann gut von der Hand.«

Trudi nahm Rosi bei der Hand und nötigte sie, sich noch einmal zu setzen.

»Weil wir beiden Weiber gerade so schön reden, dann will ich dir gleich was sagen.«

Trudi lächelte Rosi an.

»Weißt, ich habe als Bäuerin hier auch ein bisserl Bammel – schon immer gehabt –, schon seit unser Bub groß ist.«

Rosi sah Trudi mit großen Augen an. Sie verstand nicht, auf was die Unterbühlerbäuerin hinaus wollte.

»Rosi, ich rede von der Angst, wie des wird, wenn es dann nach der Heirat eine Jungbäuerin auf dem Hof gibt. Es gibt Höfe, da funktioniert des überhaupt net zwischen den Weibern. Aber bei dir, da ist mir net Angst. Wir werden uns gut verstehen – wenn – naa, du weißt schon. Kannst sicher sein, daß ich net die böse und eifersüchtige Schwiegermutter sein werde. Ganz im Gegenteil! Ich hatte ja nur einen Buben. Wie gern hätte ich auch ein Madl gehabt! Doch es hat net sollen sein. Jetzt – also, ich denke – ich will dir net vorgreifen – ich will dir nur sagen, daß ich mich freue, dich hier zu haben und noch mehr freuen werde, wenn du zur Familie gehörst. Ich verspreche dir, wir zwei, ja, wir zwei Weiber, wir werden es uns schön machen. Verstehst, was ich dir sagen will?«

Rosi nickte Trudi zu und lächelte sie warmherzig an.

»Dann werde ich meine Sachen holen. Ich fahre auch gleich auf dem Bürgermeisteramt vorbei und rede mit Fellbacher.«

Rosi mußte herzlich lachen. Sie erzählte Trudi von Fellbachers Bemerkung, daß er sie schon in Gedanken als neue Mitbürgerin registriert hatte.

Dann ging Rosi hinaus, stieg in ihr Auto und fuhr zu den Schöllers.

*

Die Angelegenheit mit den Schöllers war schnell geregelt. Rosi packte ihre Sachen. Frau Schöller lieh ihr einen Koffer. Darin packte Rosi die Sachen, die sie im Trachten- und Andenkenladen Boller gekauft hatte. Das Ehepaar Schöller wünschte ihr alles Gute. Dann fuhr Rosi zum Bürgermeister.

Die Tür vom Vorzimmer zu seiner Amtsstube stand offen. Fritz Fellbacher winkte sie herein.

»Komm ruhig herein, Rosi! Mein Vorzimmermadl hat Urlaub. Da muß ich alleine zurechtkommen. Setze dich! Magst einen Kaffee? Er ist ein bisserl dünn geworden. Sogar den Kaffee muß ich selbst machen. Aber des lerne ich schon noch. Doch zu allererst: Was kann ich für dich tun?«

Während der Bürgermeister eine Tasse und einen Löffel holte, sagte Rosi:

»Ich will mich hier in Waldkogel anmelden! Mir gefällt es hier, und ich will hier bleiben!«

Bürgermeister Fellbacher stellte die Kaffeetasse ab und rieb sich die Hände.

»Des habe ich geahnt, daß du hierbleibst! Du wirst des net bereuen. Waldkogel ist ein schöner Ort, ein wunderschöner Flecken Erde. Dann wollen wir des sofort amtlich machen! Mei, des ist eine Freude!«

Fellbacher durchwühlte alle Schubladen des Schreibtischs im Vorzimmer, bis er die Formulare gefunden hatte.

»So, dann will ich mal sehen! Was muß da eingetragen werden?«

Rosi holte ihren Personalausweis aus der Handtasche und legte ihn dem Bürgermeister Fellbacher auf den Schreibtisch. Er zog seine Brille auf und füllte die Zeilen auf dem Formblatt aus.

»So! Neue Anschrift! Dann hast du dich jetzt dauerhaft bei den Schöllers eingemietet?«

Rosi errötete und schüttelte den Kopf. Fellbacher schaute über den Rand seiner Brille.

»Ich habe eine neue Bleibe gefunden auf einem Hof. Ich will es so sagen: Es wird ein wenig wie in einer Wohngemeinschaft sein, in den nächsten Wochen. Dannach wird man weitersehen. Ich bitte Sie, daraus keine voreiligen Schlüsse zu ziehen.«

»Aha! Gut versprochen! Ich ziehe keine voreiligen Schlüsse. Aber raten darf ich? Des ist der Unterbühler Hof! Richtig?«

»Richtig!«

Bürgermeister Fritz Fellbacher schmunzelte. Er blickte mehrmals von dem Blatt auf, während er die Adresse eintrug. Er sagte aber nichts.

»So, jetzt mußt du hier nur noch unterschreiben! Dann bist du eine Bürgerin von Waldkogel!«

Rosi unterschrieb. Fellbacher schüttelte ihr die Hand.

»Des war eine gute Wahl! Wirst sehen, daß du hier glücklich wirst. Wir haben auch so ein kleines Begrüßungsheft für jeden, der neu hierherzieht. Doch weiß der Geier, wo des Madl des versteckt hat! Wenn ich die Broschüre finde, dann bringe ich sie gleich vorbei.« Fellbacher stöhnte.

»Normalerweise habe ich eine Urlaubsvertretung. Doch die kann auch net. Des ist eine junge Mutter und ihr Kindl ist krank geworden.«

Fellbacher schaute Rosi an.

»Mei, des wäre doch eine Idee! Madl, kennst du dich mit Computern aus? Für mich sind des Höllenmaschinen! Hast schon mal im Büro gearbeitet? Vielleicht könntest du mir aushelfen, bis die andere Aushilfe kommt oder bis mein Vorzimmer-madl aus dem Urlaub wieder da ist? Wenn du halbe Tage kommst, dann würde mir das schon helfen.«

»Büroarbeiten habe ich schon während des Studiums gemacht. Vor Computern habe ich keine Angst. Ich kann auch den ganzen Tag.«

Fellbacher rieb sich die Hände.

»Des ist ja wirklich ein Glücksfall! Denn ich bin so angebunden, weil zu den Öffnungszeiten immer jemand hier sein muß.«

»Also, wenn es so dringend ist, dann bleibe ich sofort!«

»Wirklich! Des ist großartig! Ich habe nämlich Termine! Du mußt nur alles aufschreiben, wenn jemand anruft oder kommt. Ich bin in einer Stunde wieder da. Ich danke dir schön, Rosel!«

»Bürgermeister Fellbacher, ich habe mein Auto im Halteverbot stehen!«

»Ach, des macht nix! Wir haben Parkplätze hinterm Haus. Da kannst du morgen dein Auto hinstellen. Jetzt machen wir des anders!«

Bürgermeister Fellbacher schrieb einen Zettel. Er zeigte ihn Rosi. Auf dem Blatt stand:

Lieber Wolfi!

Wage net, ein Protokoll zu schreiben! Des ist der Wagen der neuen Gemeindesekretärin.

Fellbacher

»Wer ist Wolfi?« Rosi schaute verwundert.

»Des ist der Gewolf Irminger, der macht die Polizeiarbeit hier.«

»Ja, das geht einfach so?« deutete Rosi auf den Zettel.

»Ach, Madl! Wirst des schon alles noch lernen, wie des hier in unserem schönen Waldkogel ist«, schmunzelte der Bürgermeister.

Dann nahm er seinen Hut mit dem Gamsbart und verabschiedete sich. Er hatte einen dringenden Termin im Feuerwehrhaus, um die Sturmschäden des Daches zu besichtigen.

Rosi setzte sich an den Schreibtisch im Vorzimmer und versuchte sich einen Überblick zu verschaffen.

Der Tag nahm seinen Lauf. Es war ruhig. Bürgermeister Fellbacher kam am späten Nachmittag zurück. Dann konnte Rosi zurück zum Unterbühler Hof.

*

Die nächsten Tage vergingen. Rosi lebte sich gut auf dem Unterbühler Hof ein. Tagsüber arbeitete sie im Bürgermeisteramt und abends war sie mit den Unterbühlers zusammen.

Das Wochenende kam. Rosi begleitete die Unterbühlers zum Kirchgang. Alle sahen es. Aber keiner machte eine ungeschickte Bemerkung, bis auf Bürgermeister Fellbacher.

Der flüsterte Rosi leise zu, so daß es niemand hörte.

»Bist ja schon richtig fest drin in der Wohngemeinschaft Unterbühler Hof.«

»Fellbacher! Kein Wort weiter! Sonst mußt du morgen deinen Schreibkram alleine machen«, drohte Rosi.

Es war aber mehr scherzhaft gemeint.

Am Nachmittag saßen die Unterbühler zusammen im Garten hinter dem Haus. Der Tisch war gedeckt. Rosi und Trudi schnitten die Kuchen auf, die sie zusammen am Samstag gebacken hatten.

»Hallo! Hallo, ist da wer?«

»Da sucht uns jemand. Wer mag das sein? Die Stimme kenne ich net!« Niklas wollte nachsehen.

»Laß es, Bauer! Das ist für mich!«

»Wir sind hier hinten, Stefan!« rief Rosi laut.

Sie hatte die Stimme sofort erkannt. Niklas, Trudi und Joschka schauten Rosi an. Sie war blaß geworden.

Ein junger Mann kam durch den Garten.

»Guten Tag!« sagte er verunsichert.

»Guten Tag, Stefan! Das sind Herr und Frau Unterbühler und ihr Sohn, meine Vermieter. Wie hast du mich gefunden? Was willst du hier?«

»Rosi, kann ich dich einen Augenblick unter vier Augen sprechen?«

»Nein!« sagte Rosi mit fester Stimme. »Sage hier, was du zu sagen hast. Die Unterbühler wissen von dir und daß ich die Hochzeit abgesagt habe.«

Stefan war es peinlich. Rosi sah es ihm deutlich an. Er unternahm einen weiteren Versuch.

»Rosi, wir müssen über alles reden. Das ist doch eine Angelegenheit, die nur dich und mich angeht. Also, bitte komm!«

»Nein! Stefan, nein!«

Stefan und Rosi schauten sich in die Augen.

»Rosi, es tut mir alles so leid. Das Ganze war ein großes Mißverständnis. Das mußt du mir glauben. Wir können doch noch einmal über alles reden. Denkst du nicht auch?«

»Nein! Stefan! Nein!«

»Kannst du nur immer ›Nein – Stefan – Nein‹ sagen?«

Rosis Herz klopfte sehr. Es war aber keine Liebe. Sie hörte in sich hinein. Ihr Herz schlug nicht mehr für Stefan.

»Ich habe dir zwei Fragen gestellt! Also noch einmal: Wie kommst du hierher? Wie hast du mich gefunden?«

Stefan erzählte kurz von dem Protokoll und von Maggys Hilfe. Sie war es, die Rosis Auto auf dem Hof stehen sah.

»Maggy meinte, es sei geschickter, wenn ich gleich selbst mit dir rede und sie nicht erst vorschicke.«

»Sage Maggy vielen Dank, daß sie mich gefunden hat. Sie kann mir meine Sachen vorbeibringen, die Kisten, die noch daheim bei den Eltern stehen. Die Sachen, die ich in der Wohnung habe, die lasse ich nächste Woche abholen. Hast du sie schon zusammengepackt?«

Stefan wurde rot.

Verlegen steckte er die Hände in die Hosentaschen seiner eleganten leichten Sommerhose.

»Nein, ich dachte, das hat noch Zeit. Wir können doch über alles reden. Wir vergessen alles und machen einen neuen Anfang!«

»Nein! Stefan, nein! Ich bin froh, daß es so kommen ist. Es hat mich vor einem Fehler bewahrt. Wir passen nicht zusammen. Damit will ich an dir und dem, was dir wichtig ist, keine Kritik üben. Nur – ich habe zum meinem Glück noch bemerkt, daß ich einen anderen Blickwinkel habe.«

»Rosi, ich verstehe dich nicht! Wir waren uns doch einig! Was willst du?«

»Geborgenheit, nicht die Sterilität eines Operationssaales! Erinnerungsstücke und seien sie noch so kitschig, gehören zum Leben dazu. Sie machen ein warmes Gefühl im Bauch, wenn der Blick darauf fällt. Mich stören Tiere auch in der Wohnung nicht. Ich streite nicht ab, daß Tiere auch Schmutz machen können. Aber erstens habe ich Bunny immer sauber gehalten. Und zweitens, hast du dir schon einmal überlegt, daß Kinder in die Windeln machen? Vielleicht würde dich das auch stören? Es würde dich doch bestimmt stören, wenn ihre Spielsachen rumliegen, oder?«

»Jetzt vergleichst du Äpfel mit Birnen, Rosi! So ist das immer bei dir! Du mischst alles zusammen.«

»Ich gebe zu, Bunny ist kein Kind! Aber Äpfel und Birnen, das sind beides Obstsorten. Also! Du willst in einer klinisch reinen Umgebung leben. Da gibt es keine Wärme, keinen Platz für Wärme und Atmosphäre. Bunny sehe ich auch nur als Muster. Durch deine Ablehnung ist mir plötzlich vieles klar geworden. Ich will es dir deutlich sagen: Stefan! Ich will dich nicht!«

Hilflos stand Stefan da und suchte nach Worten.

Der Wind drehte.

»Was riecht hier so?« rutschte es Stefan heraus.

»Das ist der Geruch von Gülle, von Mist. Wahrscheinlich hat ein Nebenerwerbsbauer am Sonntag seine Felder gedüngt. Dich stört das! Das brauchst du mir nicht zu sagen. Für mich gehört dies zur Natur dazu. Also, Stefan! Ich habe alles gesagt, was ich zu sagen habe. Die Möbel, die ich zur Hälfte bezahlt habe, kannst du behalten. Ich buche das unter Lehrgeld ab. Die Hochzeit ist abgesagt. Es war noch früh genug, es sind keine Kosten entstanden. Die Hochzeitsreise schenke ich dir auch. Die kannst du umbuchen und in Urlaub fahren. Ich will nur noch, daß du gehst.«

»Das klingt, als wolltest du mich rauswerfen.«

Stefan machte einen letzten verzweifelten Versuch.

»Was ist, wenn mich deine Vermieter zum Kaffee einladen wollen. Sie sehen ganz nett und verständnisvoll aus. Ich denke, es ist ihr Grund und Boden. Liebe Familie Unterbühler! Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen, daß Sie Zeuge dieser Auseinandersetzung wurden. Ich bin hier Ihr Gast – eigentlich! Es geht um meine Zukunft, um die Zukunft von mir und Rosi. Sie ist nur nervös.«

Joschka stand langsam auf.

»Bei uns in Waldkogel hat man Namen für Burschen wie dich! Erstens bist du ein sturer Besserwisser, ein Saukerl! Dabei ist des eine Beleidigung für jede Sau! Zweitens merkst du wohl gar net, wie lächerlich du dich machst. Du bist dümmer als der dummste Bulle. Der weiß wenigstens, wann die Kuh ihn ablehnt. Dann trollt er sich und sucht sich eine andere.« Joschka grinste. »Und was die andere Sache betrifft. Die Rosi kann, wann immer – und wen auch immer, vom Grundstück weisen. Da hat sie unsere Rückendeckung. Die Rosi hat uns alles erzählt. Wir verstehen sie. Wir sind vielleicht keine so studierten Leut’, wie du einer bist. Aber wir haben Verstand und Herz. Wenn jemand kein Verständnis für Vieh hat und sei es auch nur für so ein kleines Kaninchen, das niemand schadet. So ein Mensch, der hat auch für Leut’ kein Herz. Der kennt keine Wärme, kein Mitgefühl, kein Verständnis. Jetzt machst besser, daß du fortkommst! Dort geht es lang!«

Stefan blieb wie angewurzelt stehen. Er starrte Joschka an.

»Du bist doch nicht mit diesem Bauern zusammen, Rosi?«

»Das geht dich nichts an!«

»Rosi! Was ist nur mit dir los? Maggy und deine Mutter sagten, daß du vielleicht so etwas wie Torschlußpanik hast! Das ist ein Ausnahmezustand! Noch ist es nicht zu spät!«

»Es war schon viel zu spät, Stefan! Wenn mich etwas ärgert, dann ist es die Tatsache, daß ich dich nur durch die rosarote und himmelblaue Brille gesehen habe. Das hat etwas mit Wahrnehmung zu tun. Ich sah nur, was ich sehen wollte und was meine Eltern und meine Schwester sahen. Drum prüfe, wer sich ewig bindet! So heißt es. Ich habe geprüft. Du bist durchgefallen, Stefan! Das kann ich dir nicht zum Vorwurf machen. Ich habe es zu spät bemerkt. Dafür ist es an mir, mich bei dir zu entschuldigen. Sicherlich erkennst du im Augenblick nicht, wie gut das auch für dich ist. Ich kann nur hoffen, daß du es eines Tages erkennen wirst. Jetzt gehe, Stefan! Grüße mir Maggy und meine Eltern. Sage ihnen, ich melde mich bei ihnen. Ich melde mich, wenn ich soweit bin!«

Stefan stand so hilflos da, daß er Rosi schon fast leid tat. Aber sie blieb hart. Sie wandte sich um und setzte sich an den Kaffeetisch. Stefan zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf. Dann drehte er sich um und verließ den Garten des Unterbühler Hofes.

Rosi lehnte sich auf dem Gartensessel zurück und schloß für einen Augenblick die Augen. Es war ihr, als hätte sie soeben einen schlechten Film gesehen.

»Dann wollen wir mit dem Kaffeetrinken anfangen!« sagte Trudi.

Sie schenkte Kaffee ein und gab jedem ein Stück Kuchen und Sahne auf den Teller. Sie aßen. Keiner sagte ein Wort zu Stefans Besuch. Sie aßen. Sie unterhielten sich über allgemeine Themen. Rosi ließ sich von Waldkogel erzählen. Sie lauschte den Geschichten. So vergingen die nächsten Stunden.

Irgendwann kam Rosi doch zum Thema.

»Es hat mich doch etwas mitgenommen. Bitte entschuldigt, daß ihr das alles habt mit anhören müssen. Es ist mir peinlich.«

»Ach, Madl! Es gibt schlimmere Sachen im Leben! Hast dich tapfer geschlagen!« bemerkte Niklas. »Hast keinen Augenblick gewankt oder gezögert. Hast dem Kerl den Marsch geblasen, auch wenn er es net versteht.«

Rosi stand auf.

»Ich gehe ein wenig spazieren!«

»Soll, darf ich dich begleiten?«

»Joschka! Besser nicht. Ich möchte erst eine Weile alleine sein. Ich gehe den Weg am Bergsee entlang, der zum Sägewerk führt. Wenn du willst, kannst du später nachkommen.«

»Paß aber gut auf dich auch, Rosi! Net, daß dir der Stefan irgendwo auflauert.«

Rosi schenkte Joschka einen liebevollen Blick.

»Schön, wie besorgt du bist!« Sie schaute ihm in die Augen. »Gut! Dann komm!«

Trudi und Niklas sahen den beiden nach.

»Siehst, Niklas! Der Bub hat seine Hand unten. Er würde die Rosi so gern an der Hand nehmen. Aber die Rosi, die hält ihr Schultertuch mit beiden Händen fest, als wollte sie es nimmer loslassen!«

»Nun beruhig dich, Trudi! Des wird schon mit den beiden. Immerhin hat die Rosi Joschkas Schutz angenommen.«

Niklas half seiner Trudi das Kaffeegeschirr und den Rest vom Kuchen ins Haus tragen.

Niklas saß in der Küche und schaute Trudi zu, wie sie das Geschirr spülte.

»Bist so schweigsam, Niklas!«

»Mei, des ist eine harte Gedulds-probe mit den beiden, meinst net auch, Trudi?«

»Ja, das ist es! Doch wir müssen warten. Ich habe den Eindruck, daß die Rosi die Sache mit dem Stefan jetzt zu Ende gebracht hat. Jetzt kann sie den nächsten Schritt machen.«

Derweilen gingen Joschka und Rosi stumm nebeneinander her. Joschka fing kein Gespräch an. Er verstand, daß Rosi ihren Gedanken nachhängen wollte. Sie gingen den Weg am Bergsee entlang und setzten sich ans Ufer. Es wehte ein leichter warmer Wind, der die Wasseroberfläche kräuselte. Die Wellenkämme glitzerten in der Sonne.

»Schön ist es hier! So wunderschön!«

»Ja, das ist es! Im Winter ist es auch schön. Wenn es richtig kalt ist, dann kann man auf dem zugefrorenen Teil des Sees Schlittschuhlaufen. Das habe ich als Kind auch immer getan.«

»Du mußt eine glückliche Kindheit gehabt haben, denn du bist ein glücklicher Mensch.«

»Ich habe nur schöne Erinnerungen an meine Kindheit. Ich bin viel draußen gewesen, bei den Tieren.«

»Ich liebe Tiere sehr, aber das weißt du sicher. Ich war schon glücklich mit meinen Kaninchen. Ich überlege, ob ich mir für Bunny eine Gefährtin hole. Das hatte ich vor. Er ist so alleine.«

»Das mußt du mit der Beate reden, Rosi. Mei, jetzt habe ich des völlig vergessen. Was bin ich für ein Idiot! Die Beate hat erzählt, daß sie ein Kaninchen aufgenommen hat. Sie gewährt ihm Asyl. Des Kind, dem des gehört hat, des hat eine Allergie und mußte des Tierchen abgeben. Die

Beate gibt es dir gerne!«

»Oh, das ist gut! Dann gehe ich morgen nach der Arbeit zu ihr!«

Rosi riß einen Grashalm aus.

»So eine Allergie muß schlimm sein. Hoffentlich passiert so etwas meinen Kindern nicht.«

»Du magst Kinder?«

»Ja, sehr. Ich will eine große Familie, wenn es möglich ist. Ich habe nur eine jüngere Schwester, Maggy. Du wirst sie kennenlernen. Sie ist ein richtiger Wirbelwind. Ich hätte gern mehr Geschwister gehabt.«

»Ich bin ein Einzelkind! Ich will auch eine große Familie. Platz auf dem Unterbühler Hof ist genug. Hat dir die Mutter schon alles gezeigt?«

Rosi warf ihm einen Seitenblick zu.

»Ja! Sie hat mich herumgeführt und mir alles gezeigt, bis auf deine Zimmer. Das sollst du selbst machen, sagt sie.«

Joschka lachte.

»Ja, so ist sie! Sie ist sehr fürsorglich. Sie hat ein großes Herz. Sie weiß aber auch, wenn sie sich zurücknehmen muß. Das schätze ich an ihr. Sie hat Angst, daß du – besser ich sage es neutral – daß das Madl, das ich heirate, auf die Dauer die Küche mit ihr teilen muß. Sie sorgt sich, daß sich des Madl net wohl fühlt. Mußt wissen, daß meine Großmutter bis zum Schluß des Sagen in der Küche hatte. Für die Mutter war des oft schlimm.«

Rosi lächelte.

»Deine Mutter sprach bereits mit mir darüber.«

Rosi lächelte Joschka an.

»Also ich für meinen Teil mache mir keine Sorgen. Ich bin jetzt ja schon einige Tage mit ihr zusammen. Es macht Freude, wenn wir abends zusammen kochen oder backen. Ich mag deine Mutter, Joschka, und deinen Vater.«

»Das freut mich! Das freut mich wirklich!«

Rosi schwieg einen kurzen Augenblick.

»Mir gefällt auch die Offenheit, die bei euch herrscht.«

»Ja, soll es nicht immer so sein in einer Familie?«

»Das ist das Ideal!«

»Daß dir das gefällt und du auch keine Geheimnisse hast, hast du heute nachmittag ja gezeigt. Ich meine, als der Stefan kam.«

Rosi seufzte.

»Ja, der Stefan! Das Kapitel ist abgeschlossen. Ich werde meine Sachen abholen lassen. Das wars! Reden wir nicht über ihn!«

»Können wir dann statt dessen über uns reden? Oder ist es für dich noch zu früh?«

Rosi schüttelte den Kopf.

»Nein, es ist nicht zu früh. Es ist Zeit.«

Rosis Stimme klang ruhig und leise. Joschka legte den Arm um Rosi. Langsam sank ihr Kopf an seine Schultern. Sie schauten sich in die Augen.

»Rosi, ich liebe dich!«

»Ich weiß es, liebster Joschka! Und ich liebe dich!«

Langsam wie in Zeitlupe näherten sich ihre Lippen zum ersten Kuß. Es war nur eine behutsame Berührung, doch so voller Hingabe und Zärtlichkeit.

»Ich sehnte mich so nach deinem Kuß, Joschka!«

»Ich weiß, Rosi! Ich habe es in deinen Augen gelesen. Es muß auch schwer für dich gewesen sein. Doch ich verstehe dich! Du wolltest dir ganz sicher sein!«

»Ja, das wollte ich, Joschka! Jetzt bin ich mir sicher! Ganz sicher! Du bist so, wie ich mir den Mann meiner Träume vorgestellt habe.«

»Und ich wohne auf einem schönen Hof, wie aus dem Märchen.«

»Ja, ich liebe auch deine Heimat. Sie gibt mir Geborgenheit und Schutz. Ich fühle mich so wohl unter dem Dach des Unterbühler Hofes.«

»Dann kannst du dir vorstellen, mit mir dort alt zu werden, Rosi?«

»Ja, Joschka, das kann ich mir gut vorstellen. Wenn wir alt sind, dann werden wir abends auf der Bank vor dem Haus sitzen. Unsere Enkelkinder, die Kinder unserer vielen Kinder, werden im Hof spielen.«

»Sie spielen mit Hasen und Kaninchen!«

»Ja, das werden sie!«

Joschka küßte Rosi. Sie erwiderte seinen Kuß.

»Kannst du dir morgen einige Stunden freinehmen, Rosi?«

Rosi schaute Joschka erstaunt an.

»Sicher! Was hast du vor?«

»Ich möchte mit dir nach Kirchwalden fahren und die Ringe aussuchen. Weißt du, ich habe mich die ganze Zeit gefragt, ob ich alleine Ringe kaufen und dich dann damit überraschen soll. Doch ich gab dir mein Wort, daß ich warten würde.«

Rosi streichelte zärtlich Joschkas Wange.

»Ich verstehe, was du damit sagen willst. Ich sehe daraus, daß du dein Wort hältst und daß meine Wünsche für dich keine leeren Worte sind.«

Rosi küßte Joschka. Dannach lachte sie.

»Ich darf Fellbacher nicht erzählen, warum ich frei machen will. Sonst schaut er in seinem Terminkalender bestimmt gleich nach. Ich denke, er grübelt sofort über einen Hochzeitstermin.«

»Ich will auch nicht mehr so lange warten, Rosi!«

»Ganz wie du willst!«

»Wirklich?«

»Joschka, nun glaube es! Sage mir, wann du mich heiraten willst und ich sage ja!«

Joschka nahm seine Rosi fest in den Arm. Er drückte und küßte sie, daß ihr fast die Luft wegblieb.

»Also, ich will dich ganz schnell heiraten! Wie lange brauchst du für die Vorbereitungen?«

Rosi schaute ihm in die Augen.

»Nicht lange! Ich habe ja schon geübt! Alle Einladungslisten sind fertig! Aber ich kaufe mir ein anderes Brautkleid. Meinst du, die Veronika hat auch Hochzeitskleider?«

»Des kann ich dir net sagen. Da mußt du mit meiner Mutter drüber reden. Also, noch einmal: Wie lange?«

»Eine Woche, zwei Wochen? Ja, zwei Wochen! Und wie lange brauchst du? Wollen wir auf eurem Hof feiern?«

»Aber sicher! Mit einem Ochsen am Spieß und Spanferkel und Bier und Tanz und Musik. Ganz Waldkogel wird kommen! Das wird ein riesiges Fest. Dann packen wir es an, Rosi!«

»Gut, dann packen wir es an! Dann sollten wir als erstes mit deinen Eltern reden!«

»Ja, das machen wir! Aber das kommt erst danach! Nicht weil ich vorher etwas anderes tun will, sondern weil es einfach in der Reihenfolge so ist, jedenfalls bei uns. Gewöhnlich ist es so, daß der Bursche dem Madl einen Heiratsantrag macht. Alle freuen sich und feiern Verlobung. Der Bursche und des Madl gehen durch das Dorf. Hand in Hand gehen sie. Alle in Waldkogel können sehen, daß die beiden zusammengehören. Wir machen das anders.«

Joschka sprang auf. Er reichte Rosi die Hand und zog sie hoch.

Sie küßten sich. Dann spazierten sie langsam Hand in Hand zurück zum Unterbühler Hof.

Trudi und Niklas sahen die beiden kommen.

Sie traten vor das Haus und schlossen sie in die Arme.

»Sei uns willkommen auf dem Unterbühler Hof, Rosi!« sagte Joschkas Vater, und seine Mutter fügte hinzu:

»Ich weiß es, ein besseres und lieberes Madl hätte Joschka net finden können.«

»Ich bin sicher, daß ich mit Joschka sehr glücklich werde.«

Niklas und Trudi waren begeistert, als sie hörten, daß die beiden bald heiraten wollten. Niklas bestand auf einer Verlobungsfeier. So gingen sie zu Tonis Eltern ins Wirtshaus. Dort verkündete Niklas jedem, der es hören wollte, daß es bald eine weitere Generation auf dem Unterbühler Hof geben würde.

*

Die nächsten beiden Wochen waren angefüllt mit Vorbereitungen. Rosi war froh, daß ihre Schwester und ihre Eltern kamen. Sie verstanden sich sofort sehr gut mit Joschka und mit seinen Eltern. Sie packten alle mit an.

Irgendwann nahm Maggy Rosi zur Seite.

»Du und Joschka, wenn man euch so sieht – ihr paßt besser zusammen.«

Rosi schmunzelte.

»Hast du immer noch Mitleid mit Stefan, Maggy?«

Maggy wurde rot. Sie gestand ihrer Schwester, daß sie Stefan oft anrief, ihn tröstete. Rosi dachte sich ihren Teil. Sie schwieg aber.

Dann kam der Tag der Hochzeit. Fritz Fellbacher nahm die standesamtliche Trauung vor. Anschließend gingen Joschka und Rosi über die Straße zur Kirche, um sich den Segen Gottes zu holen. Joschka sah fesch aus in seinem Lodenanzug. Rosi trug ein weißes Dirndl aus Brokat, Seide und Spitzen. Einen Schleier wollte sie nicht. Statt dessen trug sie einen Blumenkranz aus Gartenblumen im Haar. Die Blüten waren alle aus dem Garten des Unterbühler Hofes.

Nach der Trauung fuhren Rosi und Joschka in einer Kutsche auf den Unterbühler Hof.

Dahinter reihten sich die Verwandten, Freunde und fast ganz Waldkogel, angeführt von Bürgermeister Fellbacher.

Alle feierten bis tief in die Nacht. Am nächsten Tag verschwanden Rosi und Joschka für zwei Wochen in die Flitterwochen.

Auf Rosis Wunsch verbrachten sie diese auf der Berghütte. Joschka und Rosi gingen wandern. Joschka zeigte Rosi alle Plätze seiner Kindheit in den Bergen. Abends saßen sie alleine unter dem Sternenhimmel beim ›Erkerchen‹ und träumten von dem schönen gemeinsamen Leben, das vor ihnen lag.

Toni der Hüttenwirt Paket 2 – Heimatroman

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