Читать книгу Toni der Hüttenwirt Paket 2 – Heimatroman - Friederike von Buchner - Страница 6
ОглавлениеDer Marktplatz von Waldkogel lag in der Morgensonne. Bürgermeister Fritz Fellbacher stand auf den Stufen der Rathaustreppe. Die Hände tief in den Hosentaschen seiner grünen Lodenhose vergraben, schaute er sich um. Toni fuhr mit seinem Geländewagen vorbei, hupte und winkte ihm zu. Im Rückspiegel sah Toni, daß Fellbacher ihm nicht nachwinkte. Das wunderte Toni. Bürgermeister Fritz Fellbacher war ein freundlicher Mann.
Toni hielt an. Er parkte und stieg aus.
Bürgermeister Fellbacher stand immer noch regungslos auf der Rathaustreppe. Antonius Baumberger, von allen seit seiner Kindheit Toni gerufen, ging auf Fellbacher zu.
»Grüß Gott!« sagte er laut.
Bürgermeister Fellbacher erschrak.
»Grüß Gott, Toni! Wo kommst du denn her?«
Toni lachte.
»Mei, Fellbacher! Du bist lustig! Ich bin eben hier mit dem Auto vorbeigefahren. Ich habe gehupt. Aber du hast net reagiert.«
»Bin in Gedanken gewesen, Toni! Des mußt mir nachsehen! Du weißt, daß des net meine Art ist, die Leut’ zu übersehen und zu überhören.«
»Des weiß ich doch, Fellbacher! Des muß ja wirklich etwas sehr Wichtiges sein, das dich so beschäftigen tut. Hast einen Kummer? Ärgert dich die obere Verwaltungsbehörde in Kirchwalden wieder?«
Toni wußte, daß sich Fellbacher oft mit der Verwaltungsbehörde anlegte. Fritz Fellbacher war ein Bürgermeister, der praktisch dachte. Er konnte und wollte einfach nicht einsehen, daß er irgendwelche Verwaltungsvorschriften hinnehmen sollte. Besonders, wenn es um das Wohl einzelner Bürger ging, dann konnte Fritz Fellbacher der Verwaltung schon Ärger machen. Weil er sich für jeden in Waldkogel so einsetzte, wurde er von allen geschätzt.
»Na, red schon, Fellbacher! Was drückt dich?«
»Hast einen Augenblick Zeit, Toni? Kannst mit mir reinkommen oder mußt gleich weiter?«
»Du hast immer Zeit für uns, also nehme ich mir auch die Zeit für dich! Nun red’ schon, was ist los?«
Die beiden gingen in Fellbachers Amtsstube. Fritz Fellbacher schenkte erst einmal einen Schnaps ein.
»Es geht um den Marktplatz! Die Nachbargemeinden, die machen auf ihren Marktplätzen einmal in der Woche Markt. Des zieht viele Leute an. Des ist bei einigen schon richtig zu einem Tourismusmagnet geworden. Die verkaufen da net nur Obst, Gemüse, Brot, Butter, Sahne… und so was. Auch Kunsthandwerk wird angeboten. Was mich dabei ärgert ist, daß des net alles aus den Orten ist. Die kaufen des im großen Stil ein. Des Zeug wird net in Handarbeit gefertigt, sondern ist Fabrikware. In meinen Augen ist des eine Schande. Des ist wahrer Etikettenschwindel. Es ärgert mich. Außerdem bekommen die sogar dafür noch Fördergelder aus der Staatskasse.«
»Ja, ich habe auch schon davon gehört. Was willst dagegen machen, Fellbacher? Willst jetzt auch so einen Wochenmarkt veranstalten?«
»Genau, darum geht es mir! Deshalb habe ich – also die Gemeinde Waldkogel – einen Antrag gestellt.«
»Des war ein gute Idee, Fellbacher! Was denen zusteht, steht den Waldkogelern schon längst zu.«
Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Bürgermeisters.
»Ja! Das waren auch meine Gedanken!«
Bürgermeister Fellbacher schlug mit der Hand auf den Tisch.
»Aber nix ist! Abgelehnt! Ja, abgelehnt haben sie es! Sie wollen noch nicht einmal die Erlaubnis erteilen, daß wir hier auch ohne Förderung so einen Markt machen.«
»Mei, des ist ja vielleicht ein Ding!« staunte Toni. »Mit welcher Begründung?«
Bürgermeister Fritz Fellbacher holte das Schreiben aus einer Mappe auf seinem Schreibtisch. Er reichte es Toni, damit sich dieser selbst davon überzeugen konnte.
Toni las.
»Mei, des ist ja wirklich eine Unverschämtheit! Zu behaupten, nur traditionelle Märkte bekämen Unterstützung!«
Bürgermeister Fellbacher nahm das Schriftstück wieder an sich.
»Nach den Buchstaben der gesetzlichen Verordnungen mag des ja zutreffen. Im Gegensatz zu einigen anderen Orten haben wir hier in Waldkogel seit einigen Jahrzehnten keinen regelmäßigen Markt mehr gemacht. Wir machen unsere Feste: Kirchweih, Schützenfest, Holzhackerfest, Feuerwehrfest, Sommerfeste der Vereine und was sonst noch so ansteht. Fast jeden Monat ist doch etwas. Aber das fällt alles net unter diese Verordnung. Die meisten Höfe, die verkaufen ihre Waren über ihre Hofläden. Deshalb hat des aufgehört mit dem Markt.«
»Des stimmt schon! Doch es müßte sich doch etwas machen lassen und wenn es nur einmal im Monat ist, Fellbacher!«
»Darüber habe ich auch nachgedacht. Mir fehlt nur noch die richtige Idee!«
Die Gemeindesekretärin brachte Kaffee. Die nächste Stunde saßen Toni und Bürgermeister Fritz Fellbacher zusammen. Sie überlegten.
»Dann gründen wir eine neue Tradition! Jeden ersten Sonntag ist Sonntagsmarkt. Er beginnt nach dem Mittagessen und dauert, bis die Sonne untergeht. Am Schluß gibt es ein großes Feuer hinten beim Sportplatz und Tanz.«
»Toni, des ist eine gute Idee! Ich garantiere, daß nur einheimische Produkte angeboten werden. Für Kunst ist auch gesorgt. Wir haben einige Künstler hier. Dazu machen wir noch einen Floh- und Krempelmarkt. Es gibt auch Essen und Trinken. Auf dem Schulhof veranstalten wir Spiele für Kinder. Wenn wir des ein paar Jahre machen, dann hat des auch Tradition und muß gefördert werden. Wir brauchen nur noch einen Namen dafür oder ein Motto. Weißt, Toni, es muß was Griffiges sein! Der Werbespruch muß zu Waldkogel passen. Waldkogeler Sonntagsmarkt… des ist mir net genug.«
Sie überlegten beide.
»Weißt, Toni, ich stelle mir des so vor wie auf einem richtigen Familienfest. Wie ich vorhin draußen gestanden bin, da dachte ich, daß man den Marktplatz schön schmücken könnte, mit viel Tannengrüngirlanden. Entlang der Hauptstraße und in einigen Seitenstraßen wird direkt auf den Höfen etwas gemacht. So wie bei einer richtigen Familienfeier. Da kann gegrillt oder Kuchen angeboten werden. Aber des Ganze muß familiär bleiben. Es darf net so kommerziell werden. Deshalb kostet des auch nix!«
Toni sah den Bürgermeister erstaunt an.
»Die Leute, die zahlen freiwillig, was ihnen des Essen und Trinken und alles wert ist. Ich habe darüber einen Zeitungsartikel gelesen. Man glaubt es kaum, doch es kann funktionieren. Weißt, früher war des ja auch so! In weniger guten Zeiten da ist auch gefeiert worden. Und des net so knapp! Jeder, der kam, der hat etwas mitgebracht oder etwas in die Haushaltskasse geworfen.«
»Des ist eine ganz verrückte Idee, Fellbacher!«
Toni überlegte.
»Weißt, Fellbacher, des könnte man ja mal ausprobieren. Allerdings denke ich mir, daß dich des bei den Leut’ ein bissel Überzeugungsarbeit kosten wird. Doch da habe ich auch schon eine Idee. Wir gründen einen übergeordneten Verein zur Traditionspflege, und die Gemeinde Waldkogel ist da Mitglied und hat den Vorsitz. Jeder kann Mitglied werden, jeder Waldkogeler und auch die anderen Vereine. So ein Verein zur Förderung der Tradition und des ursprünglichen Lebens auf dem Land, in den Bergen und der Gemeinschaft überhaupt. Was meinst dazu, Fellbacher?«
»Des ist eine ganz famose Idee! Des Geld, was eingenommen wird, damit kann man etwas fördern. Weißt, Toni, ich habe da in den alten Geschichtsbüchern gewälzt heute nacht. Ich hab’ net schlafen können. Und dann bin ich ins Rathaus gegangen. So etwas hat es schon einmal gegeben. Net genauso, aber ähnlich. Des Geld für unsere schönen Glocken auf dem Turm unserer Kirche, des ist so ähnlich zusammengekommen. Geld hatten die Bauern net. Glocken wollten sie alle haben. So haben sie einen Teil der Ernte für den guten Zweck in der Stadt verkauft. Bald war des Geld für die Glocken zusammen. Die Leut’ haben ihnen oft sogar ein paar Heller mehr gegeben, weil des für die Glocken war. So steht es in der alten Chronik.«
»Des habe ich net gewußt, Fellbacher!«
»Aber einen Aufhänger, den brauche ich schon, wegen der Tradition, verstehst?«
Toni rieb sich das Kinn.
»Glocken haben wir schon! Fellbacher, des ist schwierig! Des einzige, was mir einfallen tut, des wäre so eine Art Heimatmuseum. Weißt, einen alten Bauernhof, auf dem noch so gewirtschaftet und gelebt wird wie früher.«
»Mei, des ist eine gute Idee, Toni! Doch es gibt hier keinen richtig alten Hof mehr, keinen Bauernhof ohne Strom und fließendem Wasser und Kanalisation.«
»Dann müßte die Gemeinde eben irgendwo einen kaufen und hier wieder aufbauen. Ein Platz auf Gemeindegrund wird sich bestimmt finden lassen. Des ist auch für Kinder interessant. Die aus der Stadt, die haben keine Vorstellung vom Landleben, wie das früher gewesen ist.«
»Net nur die von der Stadt!« sagte Fritz Fellbacher. »Toni, des ist eine großartige Idee! Museumsdörfer gibt es viele, aber keines hier in der Nähe – und Waldkogel beginnt damit. Jeder in unserem schönen Waldkogel hilft mit. Durch diese Sonntagsfeste einmal im Monat kommt des Geld zusammen.«
»Des ist es doch, Fellbacher! Das Motto für unser Waldkogeler Sonntagsfest!«
»Toni, du hast es! Des bered’ ich gleich mal mit dem Zandler. Dann habe ich im Gemeinderat die nötige Unterstützung.«
Bürgermeister Fellbacher rief seine Gemeindesekretärin herein. Er beauftragte sie, für den Abend eine Gemeinderatssondersitzung einzuberufen.
Bürgermeister Fellbacher rieb sich vergnügt die Hände.
»Des wird Aufsehen erregen! Die werden Augen machen. So etwas können die anderen Gemeinden net auf die Beine stellen! Wir sind hier zwar modern in Waldkogel, aber wir achten und ehren die Tradition und bewahren sie.«
Toni stand auf.
»Dann wünsche ich dir viel Erfolg, Fellbacher! Wenn du Hilfe brauchst, dann laß es mich wissen. Ich denke, daß des wirklich eine wunderbare Idee ist.«
Bürgermeister Fellbacher begleitete Toni bis hinaus auf die Straße. Dann stieg er in sein Auto und fuhr hinauf auf die Oberländer Alm.
Fritz Fellbacher besuchte Pfarrer Zandler. Konnte er ihn für den Plan gewinnen, dann war die Sache so gut wie beschlossen.
*
Bürgermeister Fritz Fellbacher mußte im Gemeinderat von Waldkogel keine große Überzeugungsarbeit leisten. Alle waren von der Idee begeistert, einen Museumsbauernhof zu errichten. Das Ganze mit regelmäßigen Sonntagsfesten zu finanzieren, überzeugte alle. Sie waren davon überzeugt, daß schon allein aus Neugierde viele Besucher kämen, denn ein Fest, bei dem es keine festen Preise gab, das wäre doch was Neues.
Bürgermeister Fritz Fellbacher ging in den nächsten Tagen von Hof zu Hof und sprach mit jedem. Die meisten stimmten sofort zu. Nur ganz wenige äußerten erst einmal Bedenken. Zum Schluß waren alle begeistert und drängten, den Termin für das erste »Waldkogeler Sonntagsfest« zu beschließen.
Die Zeitung in Kirchwalden schrieb fast täglich darüber. Sie brachte Reportagen der einzelnen Höfe, die sich beteiligten. Der alte Alois bestand darauf, daß ihm Sebastian und Franziska jeden Tag eine Tageszeitung mit hinauf auf die Berghütte brachten, wenn sie aus der Schule kamen.
»Toni, diese Zeitungsschreiberlinge, die haben keine Ahnung, wie des damals auf den Höfen war. Da haben die alle noch net gelebt. Des sind reine Erfindungen. Also, die sollte man alle mal einladen und mindestens eine Woche auf unserem Museumshof arbeiten lassen, damit sie wissen, worüber sie schreiben«, wetterte der alte Alois.
Toni lachte.
»Mei, Alois! Sei net so hart! Die können doch nix dafür. Sie wissen des net besser. Freu’ dich, daß sie so freundlich schreiben. Net jeder hat
so ein gesegnetes Alter wie du! Net jeder kann sich leibhaftig dran erinnern, wie des war, als es noch keine Elektrizität im Tal gegeben hatte, wie es war, als alles von Hand gemacht wurde.«
»Toni, des weiß ich! Aber aufregen tut es mich trotzdem. Die Zeitung schlägt vor, daß im Museumshaus über Sommer Leut’ wohnen sollten, die des Leben so spielen. Des hat ja Kreise gezogen, daß mir richtig bange wird, Toni!«
»Weshalb?«
»Na! Die Schauspielschule in der Landeshauptstadt will den Museumshof im nächsten Jahr – wenn der dann fertig ist – abwechselnd von jungen Schauspielschülern und Schülerinnen bewirtschaften und bewohnen lassen. So ein Schwachsinn! Die sind viel zu jung und haben keine Ahnung, wie des so ist mit dem Leben auf einem Hof.«
Toni schmunzelte.
»Nun beruhige dich, Alois! Es dauert noch eine ganze Weile, bis des alles soweit ist. Erst wird jetzt mal mit den Waldkogeler Sonntagsfesten begonnen. Dann kommt Geld zusammen. Der Fellbacher schaut sich nach einem geeigneten Hof um. Dann dauert es noch lange, bis der hier in Waldkogel wieder aufgebaut ist und bewirtschaftet werden kann.«
»Toni, des weiß ich doch! Es wird nicht leicht sein, dafür geeignete Leute zu finden, auch wenn es viele gibt, die keine Arbeit haben. So ein Leben wie auf einem Hof in alter Zeit ist
net einfach. Da sind Qualitäten gefragt.«
»Alois, das weiß ich doch! Der Fellbacher wird des schon machen. Es sind bereits schon Bewerbungen bei ihm eingegangen. So früh schon, Alois! Da wird man schon geeignete Leute finden. Am schönsten wäre es, wenn sich jemand aus Waldkogel bereit erklären würde, den Hof zu führen. Aber des hat alles Zeit, Alois! Noch ist kein Geld da, noch kein Hof gefunden, noch net zerlegt und wieder aufgebaut. Des dauert, Alois!«
Der alte Alois faltete die Zeitung zusammen.
»Einfach wird des net werden! So schön, wie sich des auch manche vorstellen. Des war ein hartes Leben damals, für den Bauer und noch mehr für die Bäuerin«, betonte der alte Alois noch einmal.
Er wollte eben immer das letzte Wort haben.
Toni hätte sich gerne noch weiter mit dem alten Alois unterhalten, aber es kamen Wanderer den Berg herauf.
Es war eine größere gemischte Gruppe. Toni begrüßte sie freundlich. Er hatte den Eindruck, daß es Tagesausflügler waren.
»Also, dann setzt euch!«
»Des machen wir! Und für alle erst mal ein Bier. Dieser Aufstieg macht durstig.«
Toni nickte und zählte durch. Er ging in die Berghütte und zapfte Bier. Als er ein wenig später herauskam, saßen alle zusammen, bis auf eine junge Frau. Diese saß am anderen Ende der Terrasse. Toni wunderte sich. Er stellte die Bierkrüge auf die Holztische.
»Des Madl dort, des gehört net zu euch?«
»Nein!« klang es vielstimmig.
»Nein, leider net! Ist ein fesches Dirndl!« grinste ein junger Mann.
»Mußt sie net so mit den Augen auffressen, des wird nix mit der! Hast es ja unterwegs schon probiert. Aber des Madl ist sehr einsilbig. Ich denke, es ist besser, wenn du die Finger von der läßt!« riet ihm sein Tischnachbar.
Toni schmunzelte. Er nahm den letzten Bierkrug und ging zu der jungen Frau. Sie trug eine Sonnenbrille. Ihr schulterlanges Haar trug sie offen. Kurze Locken fielen ihr in die Stirn.
»Magst auch ein Bier? Ich hab’ gedacht, du gehörst zu den Tageswanderern da drüben.«
»Nein, danke! Tut mir leid, daß bei Ihnen dieser Eindruck entstanden ist. Wir sind nur zufällig auf dem Bergpfad hier herauf zusammengetroffen. Ich bin auch keine Tagesausflüglerin. Ich bleibe länger in den Bergen. Haben Sie eine freie Kammer, eine Einzelkammer?«
Toni rieb sich das Kinn.
»Des wird schwierig werden. Aber ich spreche mal mit meiner Anna. Da wird sich bestimmt was machen lassen. Was willst trinken? Einen Tee? Ein Glas schöne frische Milch? Klares Bergwasser?«
»Gibt es auch Kaffee? Einen richtig starken Kaffee mit viel Milch und Zucker, können Sie mir den bringen?«
»Des kann ich gern! Aber des mit dem ›Sie‹, des kannst lassen. Ich bin der Toni, der Hüttenwirt hier. Dann gibt es noch die Anna, des ist meine Frau. Dort drüben am Tisch, des ist der alte Alois. Dem hat früher die Berghütte gehört. Wir sind hier eine richtige Familie. In den Bergen sagt man unter Bergkameraden immer ›Du‹.«
Toni konnte ihren erstaunten Blick hinter der Sonnenbrille nur ahnen. Ein Lächeln umspielte ihren Mund.
»Gut! Wenn das hier in den Bergen so ist, dann ist es so. Dann bin ich die Tina!«
»Gut, Tina! Du bekommst einen starken Kaffee von mir!«
Toni ging hinein. Er sprach mit Anna. Sie fand eine Lösung, daß für Tina ein Kammer frei wurde.
»So, Tina, hier ist dein Kaffee! Und eine Kammer haben wir für dich auch. Wie lange willst du denn bleiben?«
Tina seufzte.
»Ich hatte vor, hier meinen Jahresurlaub zu verbringen. Ich gestehe, ich bin zum ersten Mal in den Bergen. Ich wollte vier Wochen bleiben. Doch in meinem Leben hat sich etwas geändert. Deshalb bleibe ich nur zwei Wochen. Ganz entschieden habe ich mich noch nicht.«
Tina nahm die Sonnenbrille ab. Toni sah in zwei schöne braune Augen. Doch der Blick war nicht glücklich, sondern traurig.
»Ich sage dir aber rechtzeitig, wie lange ich bleibe. Ich muß eine Entscheidung treffen. Doch das werde ich heute bestimmt noch nicht. Dazu bin ich viel zu müde. Ich habe heute nacht kaum geschlafen und dann noch der Aufstieg.«
»Es eilt net! Der Kaffee, der muntert dich ein bissel auf! Magst net auch was essen?«
Tina schüttelte den Kopf.
»Danke! Aber ich bekomme keinen Bissen herunter.«
Sie nippte an dem Kaffee.
»Schmeckt gut!«
Langsam trank sie schluckweise die Tasse aus. Toni sah ihr dabei zu.
»Magst noch einen Kaffee?«
Sie nickte und setzte ihre Sonnenbrille wieder auf.
Toni holte Tina einen zweiten Becher Kaffee.
»Wir haben die Kammer unten freigemacht! Soll ich dir schon mal deinen Rucksack hineinbringen?« fragte Toni.
»Danke, aber das mache ich später selbst!«
Toni spürte, daß es besser war, wenn er Tina jetzt allein ließ. Er ging zu Anna hinein.
»Des Madl draußen hat einen Kummer! Des spüre ich, Anna! Die schaut ganz und gar net glücklich aus. Ganz blaß ist des Madl! Und zur schönen Aussicht hat sie auch nix gesagt. Des beeindruckt sie net. Die nimmt des gar net wahr, Anna!«
»Vielleicht ist sie wirklich nur müde?«
»Möglich! Aber wenn man müde ist, dann hat man müde Augen. Sie hat aber traurige Augen. Des ist ein Unterschied. Außerdem hat sie angedeutet, daß sie über etwas nachdenken muß. Etwas hat ihre Urlaubspläne durcheinander gebracht.«
Anna lächelte Toni an.
»Schlimm kann es nicht sein, sonst hätte sie den weiten Weg herauf auf die Berghütte nicht auf sich genommen, Toni.«
»Des stimmt auch wieder!«
»Weißt, Toni, wenn sie ihren ganzen Jahresurlaub genommen hat, dann bedeutet das doch, daß sie schon lange keinen Urlaub mehr hatte. Sie wird einfach urlaubsreif sein, wie man sagt. Dazu die Anreise, der Aufstieg hier herauf und die klare Bergluft, das kann schon anstrengen. Auch der plötzliche Wechsel von einem stressigen Berufsalltag zur Urlaubsmuse muß erst einmal verkraftet werden.«
Toni nahm seine Anna in den Arm.
»Bist schon eine tolle Frau, Anna. An was du alles denkst! Recht hast du! Warten wir’s ab! Ich kenne niemanden, der nicht am ersten Abend in den Bergen dem Zauber der Bergwelt erlegen ist.«
Toni gab Anna einen Kuß.
»Toni, wenn ich hier mit dem Kartoffelschälen fertig bin, dann zeige ich ihr die Kammer. Vielleicht hat sie sich gerade von ihrem Freund getrennt und redet deshalb eher mit mir als mit dir.«
»Ja, des ist gut möglich! Ich wollte ihr den Rucksack reintragen, aber sie wollt’ des net.«
Das Gespräch zwischen Toni und Anna wurde unterbrochen. Der alte Alois kam herein.
»Toni, da kommt schon wieder eine Gruppe Bergwanderer herauf. Es wird richtig voll heute!«
»Ja, Alois! Das wird es! Unsere Berghütte wird immer beliebter. Es spricht sich unter Bergfreunden herum, wie schön es hier oben ist.«
»Des ist net alles! Schön war es schon immer, Toni. Es tut sich auch rumsprechen, wie gut du und die Anna die Berghütte führen tut. Ja, ja, des muß ich auch sagen. Ihr beide macht des wirklich gut. Besonders die Anna, die ja net aus den Bergen stammt, die ist zur richtigen Berglerin geworden.«
»Soll des ein Lob sein, Alois?« fragte Toni augenzwinkernd.
»Red’ net so ein Schmarrn, Toni! Du weißt, daß des ein ganz besonderes Lob ist! Ich wollte es nur noch mal deutlich gesagt haben. Bessere Nachfolger für meine geliebte Berghütte hätte ich net finden können.«
»Danke, Alois! Des hast du lieb gesagt!« lächelte Anna ihm zu. »Aber du hilfst uns ja immer noch! Ohne dich würden wir das nicht so schaffen. Wir sind sehr glücklich, daß du hier bei uns lebst, auch wenn du unten in Waldkogel noch dein Häuschen hast. Ohne dich würde es uns nur halb so viel Freude machen.«
Der alte Alois strahlte.
»Na, ganz so viel kann ich nimmer machen. Ich bin eben nimmer so jung. Aber Freude macht es mir noch, wenn ich was tun kann. Dann komme ich mir net unnütz vor.«
»Schmarrn, Alois! Du bist net unnütz, und des weißt du auch. Du bist hier der Großvater und die gute Seele der Berghütte.«
Der alte Alois grinste. Ihm wurde es warm ums Herz. Er schätzte und liebte Toni und Anna, wie auch die Kinder Sebastian und Franziska, als gehörten sie alle zu seiner Familie. Besonders die beiden Kinder, die Toni und Anna als Ersatzeltern aufgenommen hatten, waren dem alten Alois wie eigene Enkelkinder ans Herz gewachsen.
In der nächsten halben Stunde hatten Toni und Anna viel zu tun. Die Terrasse der Berghütte war jetzt fast bis auf den letzten Platz besetzt. Alle wollten etwas trinken. Die meisten bestellten auch eine herzhafte Brotzeit. Toni eilte zwischen Küche und Terrasse hin und her.
Dabei sah er, daß sich Tina auf einen Liegestuhl gelegt hatte. Schlief sie? Toni holte eine Wolldecke und deckte sie zu. Dabei sah er die Tränenspuren in ihrem Gesicht.
Da hat mich mein Gefühl doch nicht getrogen, dachte Toni. Des Madl hat einen Kummer.
*
Toni parkte seinen Geländewagen auf dem Hof neben dem Haus seiner Eltern. Durch die offenen Fenster der Wirtsstube drang Lärm. Es war kurz nach Mittag.
Antonius Baumberger, seit seiner frühsten Kindheit nur Toni gerufen, entschloß sich, die Hintertür zu nehmen. Augenblicke später betrat er die Küche des Wirtshauses Baumberger mit der kleinen Pension. Seine Mutter, Meta Baumberger, saß am Küchentisch und trank einen Kaffee.
»Grüß dich, Mutter!«
»Grüß Gott, Toni! Ich hab’ mich eben mal hinsetzen müssen. Die paar Minuten Pause muß ich jetzt haben. Die Wirtsstube ist voll: ein ganzer Reisebus voll Leut’. Es ist ein Kegelverein, der heut’ seinen Jahresausflug macht. Mei, haben die gefuttert!«
»Ja, dein Essen ist ja auch schon besonders. So etwas Feines bekommen s’ sonst nirgends. Des ist eben richtige Hausmannskost.«
»Hast auch Hunger, Toni?«
»Naa! Danke, Mutter! Ich habe mich in Kirchwalden mit dem Leo getroffen. Wir haben eine Kleinigkeit gegessen!«
Toni schaute sich um. Er warf einen Blick in die Wirtsstube. Er grüßte seinen Vater, der hinter dem Tresen stand und Bier zapfte.
»Wo sind denn die Kinder?« fragte Toni.
Sebastian und Franziska gingen nach der Schule zu den Baumberger Großeltern Mittagessen. Meistens fuhr sie Xaver Baumberger hinauf zur Oberländer Alm. Von dort aus wanderten sie dann hinauf auf die Berghütte. An diesem Tag war Toni in Kirchwalden gewesen, um Behördengänge zu erledigen. Er wollte die Kinder jetzt selbst mitnehmen.
»Die habe ich zu den Bollers geschickt. Die bringen das Mittagessen hin. Die Veronika ist krank. Der Franz kann doch net selbst kochen. Der Arme, der weiß nimmer, wo ihm der Kopf steht. Es ist Hochsaison. Da hat er viel zu tun. Was sage ich? Beide hatten schon viel zu tun, aber jetzt ist es noch mehr. Da hat er für die nächsten zwei Wochen Mittagessen bei uns bestellt. Er wollte es holen. Aber wahrscheinlich war noch Kundschaft im Laden. Da hab’ ich die Franzi und den Basti mit dem Essen hingeschickt.«
Meta Baumberger warf einen Blick zur Uhr.
»Des ist jetzt aber schon eine Weile her. Eigentlich müßten die Kinder schon längst zurück sein!« bemerkte sie besorgt.
»Ach, die kommen schon! Ich trinke auch einen Kaffee mit, Mutter!«
Toni holte sich selbst einen Becher süßen Kaffee.
»An was ist die Veronika Boller erkrankt?«
»Ach, sie hatte eine Sommergrippe. Der Martin wollte, daß sie mit dem Fieber einige Tage im Bett bleibt. Aber des hat die Veronika net gemacht. Es war eben zu viel Arbeit da. Der Franz hat ihr in Kirchwalden in der Apotheke Medikamente besorgt. Die hat sie dann genommen. Die doppelte Dosis. Einige Tage ist des auch gutgegangen. Doch dann war es zuviel für sie. Jetzt liegt sie im Bett. Der Doktor schaut zweimal am Tage nach ihr. Sie hat’s wirklich schwer erwischt. Da wäre es wirklich besser gewesen, wenn sie gleich zu Anfang, sich mehr Ruhe gegönnt hätte. Der Martin soll richtig bös’ geworden sein über so viel Unvernunft. Er drohte, sie ins Krankenhaus nach Kirchwalden einzuweisen, wenn sie net im Bett bleibt.«
Doktor Martin Engler, der bei allen beliebte und geschätzte Arzt in Waldkogel, war ein enger Freund von Toni. Martin war an sich die Ruhe in Person. Wenn Martin ärgerlich wurde, dann ist es ernst, dachte Toni. Toni hörte seiner Mutter weiter zu.
Meta Baumberger war voller Mitleid für den armen Franz, der jetzt alles alleine machen mußte, sich um die kranke Frau kümmern, den Laden und den Haushalt.
»Nun übertreibst du aber, Mutter«, schmunzelte Toni. »Die Veronika muß des Bett hüten. Davon geht die Welt nicht unter. Der Franz übertreibt auch gerne.«
»Mag sein, Toni! Aber einfach ist des mit den Kunden net. Die Bollers verkaufen auch Trachtensachen. Der Franz mag net den Madln helfen, die Mieder zu schnüren. Des traut er sich net, besonders, wenn er die Madln hier aus Waldkogel kennt. Des mit der Dirndlanprobe, des hat immer die Veronika gemacht.«
»Dann muß sich der Franz um eine Aushilfe kümmern. Aber vielleicht ist er nur zu geizig.«
»Toni, wie kannst du so etwas sagen?«
»Du weißt das selbst, Mutter! Ich kenne die beiden gut! Die arbeiten sich lieber zu Tode, als daß sie sich eine Verkäuferin für ihren Laden nehmen.«
»Des denke ich net, Toni! Sie haben sogar ein Schild ins Schaufenster gehängt. Doch leider vergebens! Es hat sich noch niemand gemeldet. Es ist eben Hochsaison in Waldkogel. Jedes Madl, des keine feste Arbeit hat, wird daheim auf dem Hof gebraucht. Fast jeder Hof vermietet Fremdenzimmer. Die Touristinnen, die vorbeikommen, die machen hier Urlaub. Die sind nicht nach Waldkogel gekommen, um sich eine Arbeit zu suchen.«
»Des stimmt auch wieder, Mutter! Trotzdem sollte es doch möglich sein, dem Franz Boller zu helfen. Du, Mutter, red du doch mal mit deiner Freundin, mit der Helene Träutlein. Ihr trefft euch doch beim Kaffeekränzchen im Pfarrhaus. Die Helene und der Pfarrer Zandler könnten des doch organisieren, daß an jedem Tag jemand beim Franz im Laden ist. Es muß ja vielleicht auch net für den ganzen Tag sein. Ein paar Stunden genügen vielleicht.«
Meta Baumberger winkte mit der Hand ab.
»Des kannst vergessen, Toni. Die Helene hat es schon versucht. Aber die Veronika, die hat es sich auf die eine oder andere Art mit allen verdorben. Richtig bös’ ist niemand mit ihr. Aber jetzt einspringen und eine helfende Hand reichen, des will auch niemand. Die Veronika, die ist manchmal ein bissel hochnäsig und überheblich. Keiner kann es ihr recht machen. Sie meint des net bös, aber schon immer hat sie an allem etwas auszusetzen gehabt. Des wird nur Streit geben, sagen alle. Die Veronika ist eben ein bissel eigensinnig. Aber so war sie schon immer, schon in der Schule war sie so.«
»Des ist doch jetzt ein Blödsinn, Mutter. Die Veronika liegt im Bett, und nur der Franz ist im Laden. Wenn man es ihr net sagt, dann muß sie es noch net einmal erfahren, daß der Franz Hilfe hat. Da muß er eben den Mund halten. Was die Veronika net weiß, darüber kann sie auch net meckern.«
»Dann soll der Franz seine Veronika hintergehen, Toni? Des find’ ich net richtig!«
»Mutter! Ich sehe des net so eng! Wenn der Franz eine Aushilfe hätte, dann könnte sich die Veronika richtig auskurieren. Er kann erst jemand einstellen und es ihr dann sagen. Sie wird froh sein, wenn der Franz nimmer alles allein machen muß. Die beiden verstehen sich doch gut. Wenn die Veronika sich gleich ins Bett gelegt hätte, statt sich mit Medizin aufzuputschen, dann wäre sie erst gar net so krank geworden. Ich kann den Martin verstehen, daß er laut geworden ist.«
»Des stimmt schon, Toni! Aber der Franz bekommt keine Aushilfe. Ich habe dir doch die Sach’ schon erläutert. Aber geschehen muß etwas. Ich werde mit der Helene noch einmal reden. Vielleicht kann der Pfarrer Zandler vermitteln. Wir haben uns bisher doch immer gegenseitig geholfen, wenn Not am Mann war.«
Sebastian und Franziska kamen.
»Schau, Toni! Ich habe eine schöne Haarspange geschenkt bekommen von Herrn Boller!«
Toni bewunderte die Spange, die die kleine Franzi im Haar trug. Sebastian griff in die Hosentasche.
»Schau! Des hab’ ich bekommen, als Trägerlohn, hat der Boller gesagt!«
Es war ein Aufkleber. Darauf war der Marktplatz von Waldkogel zu sehen und im Hintergrund die beiden Hausberge, der »Engelssteig« und das »Höllentor«.
»Wo tust du ihn drauf kleben?« fragte Meta Baumberger.
»Ich habe mir ein Heft angelegt, da schreibe ich immer rein, wenn ich wandern war. So ein Wandertagebuch! Da kommt der Aufkleber auf die erste Seite!«
Toni lächelte. Er stand auf.
»Kinder, wir müssen gehen! Seid ihr bereit?«
Sie nickten und verabschiedeten sich von Tonis Eltern, dem Großvater Xaver und der Großmutter Meta, wie die beiden Bichler Kinder Tonis Eltern nannten.
Mit Tonis Geländewagen erreichten sie binnen weniger Minuten die Oberländer Alm. Toni und die Kinder winkten Wenzel und Hilda, dem alten Sennerehepaar, zu. Die drei wollten gleich weitergehen.
»Net so schnell! Kommt mal her!« rief Wenzel laut. »Da gibt’s was! Wir haben einen besonderen Gast!«
In diesem Augenblick führte Hildegard Oberländer, die von allen Hilda genannt wurde, eine Eselin hinter der Almhütte hervor. Die Eselin war aber nicht alleine. Noch etwas unsicher auf seinen dünnen Beinchen trottete ein junges Fohlen neben seiner Mutter her.
»Wie süß! Mei, ist des lieb!« schrie Franzi.
Das Mädchen warf seinen Rucksack ab und stürmte auf die Eselin zu.
»Vorsicht, Franzi! Net so stürmisch! Die Mutter verteidigt ihr Fohlen!« warnte Wenzel.
Doch Franziska tat das Richtige. Toni lächelte. Die Franzi kommt eben von einem Hof, des sieht man, dachte er.
Franziska trat erst zur Eselin und sprach mit ihr. Franzi streichelte das Muttertier. Erst danach wandte sich Franziska dem Fohlen zu.
»Des ist ein Bub!« bemerkte Sebastian. »Hat der schon einen Namen?«
»Naa! Vielleicht fällt dir einer ein, Basti«, ermunterte ihn Wenzel.
»Wem gehört die Eselin? Wo kommt die so plötzlich her?«
Toni war sehr verwundert.
»Die ist vom Roßbacher Hof, denke ich. Sonst hat niemand Esel in Waldkogel. Die ist ausgerissen. Der Wenzel hat sie am Rand der unteren Weide beim Gebüsch gefunden. Ganz elend ist sie da gelegen. Des Fohlen, des wollte net rauskommen. Da hat der Wenzel etwas nachgeholfen. Jetzt sind des Muttertier und des Fohlen wohlauf.«
»Habt ihr dem Poldi schon Nachricht gegeben?«
»Naa, Toni! Vielleicht kannst du auf dem Roßbacher Hof anrufen. Du hast doch ein Handy!«
»Des mache ich, sobald ich oben auf der Berghütte bin! Da hab’ ich die Telefonnummer vom Poldi!«
Toni betrachtete die Bichler Kinder, wie sie liebevoll das junge Fohlen streichelten. Es fiel ihm schwer, die beiden zum Aufbruch zu ermahnen. Toni stellte seinen Rucksack auf die Erde. Er setzte sich auf die Bank vor der Almhütte. Hilda Oberländer nahm neben ihm Platz.
»Können die beiden hierbleiben bis zum späten Nachmittag?« flüsterte Toni leise.
Hilda nickte ihm zu.
»Anna und ich tun alles für die beiden. Doch eine Berghütte ist nun einmal kein Bauernhof. Wir haben Bello und Max. Aber ein Hund und ein kleiner Kater sind nicht genug, denke ich oft. Ich hoffe, die beiden vermissen die Tiere net all zu sehr.«
Toni seufzte.
Hildegard Oberländer legte kurz ihre Hand auf Tonis Hand. Ganz leise sagte sie:
»Ich versteh’, was du sagen willst, Toni. Doch da machst du dir unnötig Sorgen. Sie beiden sind ja auch oft bei uns auf der Alm. Schau mal, wenn Franzi und Basti net bei euch wären, dann lebten sie im Waisenhaus. Dort gibt es nix! Keinen Hund! Keine Katze! Und eine Alm mit Kühen wäre auch net in der Nähe! Du darfst dir net so viel Gedanken machen, Toni! Schau, die beiden sehen glücklich aus. Du und die Anna, ihr seid gute Eltern, auch wenn ihr net die leiblichen seid. Des hat unser Herrgott schon gut eingerichtet, daß ihr alle zusammengekommen seid. Jetzt machst, daß raufkommst zu deiner Anna. Ich schicke dir die Kinder rauf, wenn heute abend des Angelusläuten erklingt.«
Toni verabschiedete sich von den Kindern. Sie jubelten, weil sie bis zum Abend auf der Oberländer Alm bleiben durften.
*
Es war später Vormittag. Die Hüttengäste waren zu ihren Bergwanderungen und Hochgebirgstouren aufgebrochen. Toni, Anna und der alte Alois setzten sich auf die Bergterrasse und genossen die wohlverdiente kurze Vormittagspause, die sie sich jeden Morgen gönnten.
Toni schaute über das Tal. Weit unten lag Waldkogel. Der Bergsee, etwas außerhalb des Ortes, funkelte golden in der Sonne.
»Mei, ist das schön hier! Schon als Kind habe ich mir gewünscht, ich könnte immer hier oben sein!«
Toni legte seinen Arm um Anna und drückte sie fest an sich. Er gab ihr einen Kuß.
»Und es ist alles noch besser gekommen. als ich mir das je erträumt habe. Ich habe dich gefunden! Wir haben uns gefunden, liebste Anna! Meine tüchtige und fesche Hüttenwirtin! Des hab’ ich mir damals net gedacht, als ich ein Bub war!«
Der alte Alois grinste.
»Da bist ja auch noch ein bissel zu jung gewesen, um an ein Madl zu denken. Ich bin dem Himmel dankbar, daß es so gekommen ist. Ich freue mich, daß du mit deiner Anna so glücklich bist. Ich bin auch glücklich hier bei euch. Ja, ja, des bin ich! Glücklich und zufrieden! Des kann net jeder sagen!«
»Des stimmt, Alois! Denkst du an jemand bestimmten?«
»Ja! Des tue ich!«
Der alte Alois trank einen Schluck Kaffee.
»Ich beobachte die Tina jetzt schon eine ganze Woche. Des Madl ist so still. Es lacht kaum. Es spricht kaum mit den anderen Hüttengästen. Es schließt sich auch niemandem an. Alle sind wandern. Verschiedene haben die Tina gestern abend gefragt, ob sie sich ihnen anschließen wolle. Aber die Tina hat abgelehnt. Höflich, aber bestimmt! Des wundert mich doch ein bissel. Des Madl ist net sehr gesellig.«
»Vielleicht hat sie eine Enttäuschung hinter sich. Geht deshalb den Burschen aus dem Weg. Die Tina ist richtig hübsch!« warf Anna ein.
»Des stimmt! Die Tina ist ein richtig fesches Madl. Die Burschen können die Augen net von ihr lassen, wenn sie hier ist. Sie zieht alle Blicke auf sich wie ein Magnet.«
Der alte Alois schüttelte den Kopf.
»Und etwas geheimnisvoll ist des Madl schon«, ergänzte er.
Anna rührte ihren Kaffee um.
»Die Tina hat besonders schöne braune Augen. Aber sie blicken etwas traurig, denke ich! Was meinst du, Toni?« fragte Anna.
»Des ist mir auch schon aufgefallen. Außerdem habe ich dir doch erzählt, daß sie ein paar stille Tränen verdrückt hat, gleich am ersten Tag, als sie vor einer Woche herkam.«
»Toni, ich werde mal mit ihr sprechen!«
»Das ist gut, Anna! Mach das! Mir wird es allmählich unheimlich mit dem Madl. Es redet nix! Es will net angesprochen werden. Schließt sich keiner Gruppe an. Läuft alleine in den Bergen rum. Es ist doch schöner, mit jemanden gemeinsam die Schönheit der Berge zu erleben und zu teilen. So einen Gast hatten wir noch nie!«
»Es kann aber auch sein, daß wir uns unnötige Gedanken machen, Toni! Vielleicht hat die Tina einen sehr anstrengenden, einen sehr stressigen Beruf, einen Beruf, bei dem sie viel reden muß und ständig mit vielen Leuten zusammen ist. Vielleicht ist sie wirklich auch nur erschöpft und will ihre Ruhe haben. Aber ich werde das herausfinden.«
»Tu das, Anna! Jedenfalls scheint sie mir net sonderlich glücklich zu sein. Es ist schon sehr ungewöhnlich, wenn niemand bei der Aussicht hier und der Atmosphäre nicht mit glücklich leuchtenden Augen umhergeht.«
Anna und Toni tranken ihren Kaffee aus und gingen wieder an die Arbeit. Der alte Alois blieb noch sitzen. Er genoß diese ruhigeren Augenblicke auf der Berghütte besonders.
*
Am späten Nachmittag kam Tina von ihrer Wanderung zurück. Sie grüßte im Vorbeigehen Anna durch die offene Küchentür. Anna rief sie zu sich.
»Nun, wo bist du heute gewesen, Tina?«
»Ich bin ein Stück den Weg raufgegangen in Richtung ›Paradiesgarten‹. Der alte Alois hat mir den Tipp gegeben. Es war schön. Es waren dort keine anderen Wanderer! Ich habe Murmeltiere beobachtet.«
»Ja, da gibt es viele!«
Anna schälte weiter die Kartoffeln. Zum Abendessen gab es jeden Tag frische Rösti.
Anna sah Tina nicht an, als sie fragte:
»Bist du gern alleine?«
Tina seufzte.
»Im Augenblick ja! Ich muß nachdenken!«
»Nachdenken oder grübeln?«
Anna lächelte Tina an. Ein verlegenes Lächeln huschte über deren Gesicht.
»Du scheinst eine gute Menschenkennerin zu sein, Anna!«
»Das kommt fast automatisch hier auf der Berghütte. Bei dem Kommen und Gehen, da lernt man viele Menschen kennen. Zwar lieben sie alle die Berge, aber jeder auf eine andere Art. Da gibt es die Draufgänger…« Anna lachte. »Im Augenblick haben wir etliche Draufgänger hier. Wenn die von ihren Gipfeltouren erzählen, dann könnte man denken, sie hätten nicht den ›Engelssteig‹ bestiegen, sondern einen Gipfel im Himalaja.«
»Ja, das stimmt!« lachte Tina jetzt auch.
»Du bist zum ersten Mal in den Bergen?«
»Ja und das mehr oder weniger zufällig!«
Anna schaute überrascht.
»Magst du einen Kaffee? Setz dich, wenn du magst. Dann können wir ein wenig plaudern. Ich bin nämlich auch in den Bergen gelandet, ohne daß ich jemals die Absicht hatte, die Berge zu betreten. Ich habe mich so gewehrt. Aber meine Freundin Susanne, sie wird Sue gerufen, ließ mir keine Wahl. Sie hatte mich überlistet. Ich bin ihr jeden Tag dankbar dafür. Ich habe hier mein Glück und die Liebe gefunden.«
Anna legte das Kartoffelmesser zur Seite und schenkte Tina einen süßen Milchkaffee ein. Tina setzte sich.
»Schön, daß du so glücklich bist, Anna! Mit dem Glück ist es bei mir im Augenblick nicht zum Besten bestellt.«
»Klingt, als hättest du Kummer?«
Anna schälte weiter Kartoffeln.
»Kummer? Wirklichen Kummer habe ich nicht. Sorgen habe ich! Habe viel Pech gehabt!«
Anna schaute Tina freundlich an.
»Tina, Pech gibt es nicht! Das habe ich gelernt. Es gibt gelegentlich Ereignisse, die nicht so ablaufen, wie wir Menschen es erwartet haben. Da muß man einfach Vertrauen in das Leben und – wenn du willst – in die himmlischen Mächte haben, daß es so besser war. Ich will dich mit meinen Worten nicht tadeln. Ganz im Gegenteil! Ich will dir Mut machen.«
»Ich habe dich schon verstanden, Anna!«
Tina lächelte und nippte an ihrem Kaffee.
»Tina, du sagtest vorhin, du wärst zufällig in den Bergen?«
»Ja! Ich bekam die Reise geschenkt!«
»Dann ist es doch kein Zufall!«
»Doch! Wenn es eine Reise ans Meer gewesen wäre, dann wäre ich jetzt am Meer.«
»Wie kam es dazu?«
Tina holte tief Luft. Anna flößte ihr Vertrauen ein.
»Da muß ich weiter ausholen. Aber ich will dich nicht mit meiner Geschichte langweilen. Außerdem ist sie wirklich nicht berauschend.«
»Ich höre dir gerne zu. Kartoffeln zu schälen ist nicht sehr unterhaltend.«
Tina nahm all ihren Mut zusammen. Nach und nach erfuhr Anna mehr über Tina. Am Anfang erzählte Tina nur stockend. Doch dann sprudelte alles aus ihr heraus, was ihr auf der Seele lag.
Tina, war die Abkürzung von Faustina. Diesen etwas altmodisch klingenden Namen verdankte Tina ihrer Großtante, einer Schwester ihrer Großmutter.
»Faustina heißt übersetzt die ›Glückliche‹. Aber wenn ich mich so ansehe, dann denke ich, daß der Name ein völliger Fehlgriff war. Das Glück geht immer an mir vorbei. Vielleicht denkt es, daß ich es nicht benötige, weil ich diesen Namen trage«, sagte Tina mit Bitternis in der Stimme.
Nach und nach erzählte Tina Anna aus ihrem Leben.
Tina war die Älteste von vier Geschwistern. Nach einem schweren Verkehrsunfall konnten ihre Eltern nur eingeschränkt arbeiten. Tina war damals sechzehn Jahre alt und ging noch zur Schule. Sie brach die Schule ab und fing an, in einer Fabrik zu arbeiten. Den Schichtdienst konnte sie gut mit den übernommenen häuslichen Pflichten vereinbaren. Die Eltern waren oft in Kur oder im Krankenhaus. So waren die nächsten Jahre vergangen. Als Tina zwanzig war, schloß die Fabrik. Sie suchte sich eine Arbeit als Verkäuferin. Doch auch diese Arbeitstelle war nicht von Dauer. Das Geschäft wurde verkauft und ein Teil des Personals entlassen.
»Ich war bei denen, die zuletzt angefangen hatten, also gehörte ich zu der Gruppe, die zuerst gehen mußte!«
Anna nickte und hörte weiter zu. Danach fand Tina erst einmal keine feste Arbeit. Sie jobbte als Bedienung, ging putzen und führte Hunde aus.
»Das Problem ist, daß ich nichts gelernt habe. Ohne einen richtigen Beruf hast du kaum Chancen. Also sagte ich mir, dann bemühe ich mich jetzt darum, etwas zu lernen. Aber bald mußte ich einsehen, daß das nicht so einfach war. Ich war fast zehn Jahre älter als die anderen Bewerber und Bewerberinnen.«
Zur Überbrückung nahm Tina jede Arbeit an, die ihr eine gewerbliche Arbeitsvermittlung anbot.
»Doch die macht jetzt auch zu! Wenn mein Jahresurlaub vorbei ist, dann ist sie schon zu! Mein Gehalt bekomme ich noch. Ich habe bei vielen Firmen gearbeitet, aber keine will feste Kräfte einstellen. Ich war völlig verzweifelt. Ich wollte den Urlaub bei der Großtante verbringen. Aber die ersten Tage habe ich nur gejammert. Ich muß die Tante ganz schön genervt haben, die liebe Tante. Freitag abend bin ich bei ihr angekommen. Am Montag schenkte sie mir die Reise nach Waldkogel und den Aufenthalt auf der Berghütte. Sie hat alles über ein Tourismusbüro gebucht. Meine Tante hätte nie mehr ein Wort mit mir gesprochen, wenn ich die Reise nicht angenommen hätte. Sie kann sehr eigen sein. Vielleicht verstehst du mich jetzt! Es ist wunderschön hier bei euch auf der Berghütte. Die Landschaft ist ein Traum. Mir gefällt es wirklich sehr, sehr gut, Anna! Aber ich muß immer daran denken, daß ich ohne eine Arbeit bin, wenn mein Urlaub zu Ende ist. Ich muß Bewerbungen schreiben, mich vorstellen. Meine Tante sagte, das sollte ich erst mal sein lassen. So traurig wie ich jetzt wäre, würde das doch nicht klappen. Ich sollte erst einmal Kräfte sammeln und wieder Freude am Leben finden. Doch so einfach ist das nicht!«
Anna war voller Mitleid.
»Du würdest auch in einem Trachten- und Andenkenladen arbeiten? Vielleicht gibt es eine Möglichkeit. Es ist allerdings nur ein Aushilfsjob! Nicht für lange! Doch vielleicht wird ja mehr daraus.«
»Das ist mir gleich, Anna! Richtig freuen an meinem schönen Aufenthalt hier in den Bergen kann ich mich nicht. Mein Selbstbewußtsein ist im Keller. Ich fühle mich als Versager. Ich frage mich, warum mir niemand eine Arbeit geben will. Ich habe mir immer Mühe gegeben, bestimmt!«
»Tina, das glaube ich dir!«
Anna stand auf und rief nach Toni. Er kam sofort.
»Anna, was gibt’s?«
»Sag mal, Toni, weißt du, ob die Bollers noch eine Aushilfsverkäuferin suchen?«
»Soviel ich weiß, ja! Die Diagnose bei der Veronika hat jetzt doch ergeben, daß sie eine verschleppte Lungenentzündung hat und dazu kam noch eine schwere Bronchitis. Sie muß sich noch länger schonen, auch wenn sie wieder gesund ist. Der Franz wird darauf achten. Er macht sich große Vorwürfe, daß er die Veronika hat gewähren lassen. Aber du kennst sie ja, ohne ihren Laden ist sie nur ein halber Mensch. Warum willst des wissen, Anna?«
»Die Tina ist arbeitslos! Deshalb kann sie sich auch über den schönen Aufenthalt hier nicht so richtig freuen. Da dachte ich mir, vielleicht…«
»Anna! Des ist eine gute Idee!« unterbrach Toni seine Frau. »Einen Augenblick!«
Toni ging zum alten Alois und bat ihn, für kurze Zeit die Arbeit hinter dem Tresen zu übernehmen. Dann kam er in die Küche zurück. Anna erzählte ihrem Mann in kurzen Worten, was sie von Tina erfahren hatte.
»Also, ich kann mir vorstellen, daß der Franz Boller begeistert sein wird. Vor allen Dingen, weil du schon einmal im Verkauf gearbeitet hast.«
»In einem Geschäft für Trachtenmoden und Andenken habe ich noch nicht gearbeitet. Es war ein Laden für Getränke!«
»Da mache dir mal keine Sorgen, Tina! Wenn du willst, dann kannst du gleich morgen früh mit mir runter nach Waldkogel kommen. Ich bringe die Kinder in die Schule. Anschließend gehen wir beide dann zum Franz Boller.«
»Vielleicht sollte ich erst einen Lebenslauf schreiben und mir von daheim meine Unterlagen… Zeugnisse und so… schicken lassen.«
Tinas Stimme klang unsicher.
»Naa, des ist net nötig! Ich bringe dich hin. Dann wirst schon sehen. Die Bollers suchen eine Aushilfe. Ich weiß nicht, ob sie nur stundenweise oder tageweise jemand wollen. Aber des wirst morgen schon sehen.«
Toni betrachtete Tina genau. Anna sah ihren Mann an.
»Was denkst du, Toni?«
»Die Tina sollte ein Dirndl tragen!«
»Ich habe kein Dirndl! Ich besitze überhaupt keine Kleidung, wie sie hier in den Bergen getragen wird.«
Tina lächelte.
»Ich denke, daß sie mich alle deswegen so anstarren!«
Jetzt mußten Anna und Toni herzlich lachen.
»Mei, Madl! Sicher ist es ungewöhnlich, wenn jemand Pullover mit Fischen drauf anhat und einen Anorak mit lauter Ankern drauf. Des ist eher etwas für die See. Aber deshalb schauen dich die Burschen nicht an. Du gefällst ihnen, Tina! Hast das noch nicht bemerkt? Du bist ein richtig fesches Madl, wie man hier sagt!«
Tina schaute Toni und Anna abwechselnd an. Sie war überrascht.
Toni und Anna mußten erneut herzhaft lachen.
»Tina, entschuldige! Aber du schaust wirklich sehr verwundert drein! Ich glaube, dir ist des wirklich noch net aufgefallen, wie?«
Tina schluckte. Sie schüttelte den Kopf. Sie errötete.
Anna nahm Tina nach dem Gespräch unter ihre Fittiche. Die beiden Frauen gingen zusammen ins Schlafzimmer. Anna öffnete ihren Kleiderschrank. Tina probierte einige Dirndl an. Sie war viel zierlicher als Anna. So paßten ihr die Dirndl nicht sonderlich gut.
»Das geht so nicht, Tina! Das machen wir anders. Du hast doch diese einfarbige blaue Hose!«
Tina holte die Hose aus ihrer Kammer und zog sie an. Anna lieh Tina eine Trachtenbluse aus und eine Weste.
»Wenn die etwas lockerer sitzt, ist es nicht so schlimm. Die langen Ärmel kannst du etwas umkrempeln. Ich werde mit Franz Boller sprechen. Er kann dir für deine Tätigkeit etwas Passendes geben.«
»Ein Kittel genügt mir!« sagte Tina sofort.
Anna schloß Tina in die Arme.
»Ach, Tina, du bist so ein lieber und bescheidener Mensch! Ich wünsche dir viel, viel Glück und Erfolg!«
»Danke! Toni und du, ihr könnt sicher sein, daß ich mich bemühe. Ich meine, ich tue alles, nicht, daß ihr Ärger mit Bollers bekommt, weil ihr mich empfohlen habt.«
»Das werden wir sicherlich nicht, Tina! Jetzt mache dir keine Gedanken. Freue dich auf den morgigen Tag.«
»Ich werde früh schlafen gehen, damit ich ausgeruht bin! Aber wahrscheinlich werde ich vor lauter Aufregung nicht schlafen. Weißt du, wenn Herr und Frau Boller mit mir zufrieden sind, dann werden sie mich vielleicht weiterempfehlen.«
»Sieht du, jetzt schöpfst du wieder Hoffnung! Laß uns wieder rausgehen! Ich muß mich um meine Rösti kümmern.«
Sie gingen beide hinaus. Tina bestand darauf, Anna in der Küche zu helfen. Dabei stellte sie Anna viele Fragen. Sie wollte genau wissen, was im Trachten, und Andenkenladen alles verkauft wurde. So verging der Abend.
Es war dann doch schon gegen Mitternacht, als Tina sich schlafen legte. Sie war müde und schlief gleich ein. Sie schlief tief und träumte von den Bergen.
*
Am nächsten Tag brachte nicht Toni Tina zu den Bollers, sondern Anna. Darauf hatten sich Anna und Toni verständigt.
Zuerst setzte Anna Sebastian und Franziska vor der Schule ab. Währenddessen wartete Tina vor dem Laden der Bollers und schaute sich die Schaufensterauslagen an. Noch war der Laden geschlossen.
Gerade als Anna mit dem Auto hielt, öffnete Herr Boller die Tür.
»Grüß Gott, Anna!«
»Grüß dich, Boller! Wie geht es deiner Veronika?«
»Der geht es besser! Aber der Martin hat gedroht, daß er sie doch noch ins Krankenhaus tut, wenn sie keine Ruhe gibt und liegen bleibt. Willst du sie besuchen?«
»Vielleicht später! Zuerst möchte ich etwas anderes mit dir bereden!«
Anna deutete auf das Schild im Schaufenster:
Aushilfe gesucht!
»Also ich hätte da jemand für euch! Ist sogar jemand mit Erfahrung im Verkauf. Allerdings auf dem Getränkesektor!«
»Mei, Anna, des wär’ wunderbar! Verkauf ist Verkauf, sag’ ich immer! Außerdem verkaufen wir auch Obstler. Wer ist es denn?«
»Laß uns reingehen, Boller!«
Sie gingen in den Laden. Anna griff Tinas Hand. Anna spürte, wie sie leicht zitterte und vor Aufregung feuchtkalte Hände hatte.
»Also, ich habe dir das Madl gleich mitgebracht, Boller! Des ist die Tina Seidler!«
Franz Boller musterte die junge Frau.
»Mei, so ein fesches Madl! Da wird der Umsatz noch mal steigen!«
Anna lachte.
»Franz Boller! Laß das deine Veronika nicht hören!« Anna drohte Boller mit dem Finger.
Dieser reichte Tina die Hand.
»Grüß Gott! Ich bin Franz Boller! Die meisten reden mich mit Boller an! Wirst schon lernen, daß die Leut’ hier in der Bergen manchmal sehr direkt sind. Des meinen wir aber net bös! Was ich mit meiner Bemerkung sagen wollte, ich freue mich, daß die Anna dich bringt. Ich weiß manchmal nimmer, wo mir der Kopf steht. Besonders dann, wenn die Busse kommen. Dann strömen – fast überfallartig – die Touristen hier rein. Also, wenn
du willst, dann kannst gleich bleiben!«
Draußen hielt ein Bus.
»Jetzt kannst du des gleich erleben! Aber binnen zwanzig Minuten ist alles vorbei. Aber nur so lange, bis dann der nächste Bus kommt.«
»Also, ich bleibe gern! Was soll ich machen? Ich werde mich bemühen. Sicherlich muß ich die Sachen erst einmal suchen.«
Franz Boller rieb sich das Kinn.
»Weißt was, Madl! Du stellst dich hierher hinter die Kasse! Alle Waren sind ausgezeichnet. Ich kümmere mich um speziellere Dinge. Du kannst noch die Postkarten und Wanderkarten und des Zeug in der Glastheke verkaufen.«
Es blieb nicht viel Zeit. Die ersten Touristen betraten den Laden. Tina stand mit hochroten Wangen hinter der Theke und verkaufte Postkarten, Kalender, Anstecknadeln, Taschenmesser, kleine Wandteller mit Motiven von Waldkogel und den Bergen. Herr Boller bediente währenddessen andere Kunden, die Kopftücher, Schultertücher und Hüte kaufen wollten. Anna hielt sich im Hintergrund. Sie wollte durch ihre Anwesenheit Tina etwas Sicherheit geben.
Endlich war der erste Ansturm des Tages vorbei.
»Mei, Madl! Des hast richtig gut gemacht! Du scheinst ein richtiger Glücksgriff zu sein!«
Boller führte Tina durch den Laden.
»Meine Frau, die hat sich um die Trachtenmode für Damen gekümmert. Wenn du des auch so machen könntest, dann wäre des eine prima Sache. Hinten im Lager sind weitere Dirndl.«
Franz Boller zeigte Tina das Lager.
Dann sprachen sie über Arbeitszeiten und Vergütung. Tina sollte bis vierzehn Uhr bleiben. Der Laden öffnete um acht Uhr am Morgen. Die meiste Arbeit war morgens, wenn die Touristen ankamen. Außerdem gingen die Bäuerinnen auch am Morgen einkaufen. In einen Nebenraum verkauften die Bollers viele Sachen für den Haushalt. Dafür waren die Waldkogelerinnen dankbar, mußten sie dafür doch nicht nach Kirchwalden.
Anna verabschiedete sich von Tina. Sie versprach, daß ihr Schwiegervater, Xaver Baumberger, Tina um vierzehn Uhr abholen würde. Das war die Zeit, zu welcher er die Kinder auf die Oberländer Alm fuhr. Tina gefiel das sehr. So konnte sie doch weiterhin auf der Berghütte wohnen bleiben. Sie würde morgens mit den Kindern herunter nach Waldkogel gehen. Mittags hatten sie den gemeinsamen Weg hinauf. Nur am Samstag nicht, samstags mußten Franziska und Sebastian nicht zur Schule.
»Danke, Anna!« flüsterte Tina ihr beim Abschied ins Ohr.
»Schon gut! Und toi – toi – toi!«
Anna lächelte Tina aufmunternd zu und verließ den Laden.
Franz Boller holte das Schild aus dem Schaufenster.
»So, des wird jetzt nimmer gebraucht!«
»Hoffentlich sind Sie mit mir zufrieden.«
»Mei, Madl! Schau mich net so ängstlich an. Des wird schon! Wenn du etwas nicht weißt, nicht findest, dann tust fragen! Wirst sehen, die Waldkogeler sind nett. Ein bissel neugierig werden s’ schon sein. Aber bös’ meinen sie es nicht. Und die Fremden, die haben es eilig. Die reden net so viel! Jetzt gehe ich kurz in die Wohnung und erzähle meiner Veronika die gute Nachricht. Du schaffst des, den Augenblick alleine zu sein. Schau dich um! Seh’ dir auch dahinten die Schubladen an. Da sind lauter Sachen drin, die man zusammen mit den Dirndl anbieten tut, Kniestrümpfe, seidene Umschlagtücher mit Fransen, Kropfketten und anderer Schmuck, der eben gut zu einem Dirndl passen tut.«
Damit ließ Franz Boller Tina mitten im Laden stehen und eilte davon.
*
Draußen hielt ein großer tannengrüner Geländewagen. Er sah neu aus und glänzte in der Morgensonne. Ein junger Mann stieg aus. Tina beobachtete ihn unauffällig durch die Schaufensterscheibe. Sein hellblondes gelocktes Haar leuchtete in der Sonne. Er stand mit dem Rücken zum Schaufenster. Ein älterer Herr trat hinzu. Die beiden sprachen lange. Dabei liefen sie öfter um das Auto herum. Tina machte sich ihren Reim darauf. Männer und Autos, das Kapitel kannte sie von ihren Brüdern und deren Freunden.
Obwohl Tina sich sehr auf ihre neue Arbeit konzentrieren mußte, warf sie öfter einen Blick hinaus. Franz Boller beobachtete sie.
»Des ist ein schönes Auto, findest net auch, Tina?«
»Ja! So einen Wagen habe ich noch nie gesehen! Meine Brüder würde das sehr interessieren.«
»Ganz schön etwas kosten tut der bestimmt auch! Nun ja, der Roßbacher Poldi, der kann sich des leisten.«
Tina sagte nichts dazu. Sie wandte sich wieder der Arbeit zu. Sie hatte angefangen, die Inhalte der Schubladen zu ordnen. Dafür war sie bereits von Franz Boller gelobt worden.
»Weißt, wer der Poldi Roßbacher ist?« drang die Stimme ihres Chefs an ihr Ohr.
Tina schüttelte den Kopf.
»Ich bin doch fremd hier! Außer Anna, Toni, den alten Alois und die Bichler Kinder kenne ich niemanden.«
»Des stimmt nimmer ganz! Jetzt kennst mich auch! In einer Woche kennst du jede Bäuerin von jedem Hof. Da gehe ich jede Wette ein.«
Dann begann Franz Boller zu erzählen:
»Der Poldi Roßbacher, des ist der junge Bursche mit dem blonden Lockenkopf, der draußen steht. Der andere, des ist unser Bürgermeister, der Fritz Fellbacher. Der Poldi, der wird bald dreißig und ist der begehrteste Bursche weit und breit. Aber des kannst dir vielleicht denken. Des ist ein fescher Bursche, findest net auch? Dir als Madl muß des doch gleich auffallen, oder?«
Tina hörte nur zu. Sie sagte nichts.
»Der Roßbacher Hof, der ist schon besonders. Mehrmals hat der Hof schon die Auszeichnung ›Schönster Hof der Region‹ gewonnen. Und groß ist der Hof auch. Er ist noch ein richtiger Vollerwerbshof. Schuldenfrei soll er auch sein, was man sich so hinter vorgehaltener Hand erzählt. Die Mutter vom Poldi, die Rosel Roßbacher, die regiert mit fester Hand. Auf ihren Buben läßt sie nix kommen. Des Madl, des den Poldi mal bekommt, des setzt sich ins gemachte Nest, wie man hier sagt. Aber bisher hat sich der Poldi noch net entschieden. Auf dem letzten Schützenfest hat er fast mit jedem ledigen Madl getanzt, aber mit jedem nur einmal. Als sich nach Mitternacht die Pärchen in die Dunkelheit verzogen haben, soll der Poldi allein nach Hause gefahren sein. Ja, der Poldi, der ist sehr wählerisch, sagt man. Des Madl, des der Poldi zur Jungbäuerin auf dem Hof macht, des muß net nur ihm gefallen. Seiner Mutter muß des Madl auch gefallen. Die Roßbacherbäuerin, die stellt hohe Anforderungen, wird erzählt.«
Tina hörte nur zu, so wie sie sonst zuhörte, wenn im Radio ein Hörspiel lief. Das ist richtiges Dorfgerede, dachte sie. Nun, so lange ich hier bin, muß ich mir das anhören. Sie fuhr mit ihrer Arbeit fort.
Während sie die Dirndl nach Farben sortierte, beobachtete Franz Boller sie genau. Des Madl hat Talent, dachte er.
»Grüß dich, Boller!« schallte es durch den Laden.
»Mei, der Poldi! Grüß Gott! Ich hab’ dich draußen schon gesehen. Hast einen neuen Geländewagen? Schön ist er. Ist was Besonderes, wie?«
»Ja, das ist er! Doch ich würde es mir jetzt zweimal überlegen ob ich ihn kaufe.«
»Warum? Bist net zufrieden damit?«
»Doch, zufrieden bin ich schon. Der brummt bei uns die steilen Hänge hoch, als wäre er eine Gemse. Deshalb hab’ ich ihn gekauft.«
»Was stört dich dann dran?«
»Das Aufheben, das drum gemacht wird. Fast jeder spricht mich an. Des ist doch nur ein Auto!«
»Des stimmt! Des ist ein Auto, Poldi! Aber was für ein Vehikel! Mei, des ist ein Traum auf vier Räder.«
»Komm, hör auf, Boller!«
»Gut, wie du willst! Also, was darf es sein?«
»Ich suche ein Geschenk für die Mutter. Die Mutter hat Geburtstag und einen runden Geburtstag dazu.«
»Richtig, deine Mutter muß fünfzig werden! Dann macht ihr bestimmt eine schöne Feier, wie?«
»Naa, die Mutter will net. Sie will den Tag allein mit mir verbringen. Deshalb habe ich mir ausgedacht, daß ich mit ihr ausgehe, vielleicht ins Theater. Also, ich will ihr ein schönes, etwas festliches Dirndl schenken. Hast so etwas? Die Größe von meiner Mutter, die weißt bestimmt. Sie kauft ja alle Sachen bei dir.«
»Da haben wir ganz herrliche Dirndl. Soll es in der Farbe eher dunkel oder hell sein?«
»Dunkel auf keinen Fall! Die Mutter ist doch keine alte Frau, und Trauer trägt sie auch nicht. Außerdem sieht sie toll aus, finde ich. Niemand sieht ihr ihr Alter an.«
»Des stimmt! Und bei der zierlichen Figur, die sie hat – wie ein junges Madl!«
Tina hatte im hinteren Teil des Ladens alles gehört. Sie ging zum Schrank mit den Festtagsdirndl und holte drei heraus. Ein mittelblaues, ein tannengrünes und ein Dirndl in altrosa.
»Schau, die Tina hat schon die schönsten herausgesucht. Darf ich dir Tina vorstellen, Poldi. Die Tina ist unsere Aushilfe. Die Anna Baumberger hat sie uns gebracht. Jetzt kann meine Veronika richtig gesund werden. Und kannst ja selbst sehen, wie tüchtig Tina ist.«
Poldi streckte Tina nun die Hand hin.
»Grüß Gott, Tina! Ich bin der Roßbacher Poldi. Kannst Poldi zu mir sagen.«
Tina streckte wie in Trance ihre Hand aus. Sie sah ihn nur an. Er hatte wunderschöne blaue Augen. Sein lockiges blondes Haar fiel ihm in die Stirn. Er lachte Tina an, und seine Wangengrübchen unterstrichen sein fröhliches Aussehen. Tina errötete. Sie drehte sich um. Schluckte! Ihr Hals war wie zugeschnürt. Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Sie spürte seinen Blick in ihrem Rücken.
Franz Boller sah, daß Poldi die Augen nicht von Tina lassen konnte. Er kannte Poldi gut. Schon als junger Bub war er mit der Roßbacherin zum Einkaufen gekommen.
Tina brachte kein Wort heraus. Mit den Händen befühlte sie den Stoff.
Sie war froh, als der junge Roßbacher etwas sagte:
»Mei, die sind alle schön! Wer die Wahl hat, hat die Qual! Welches gefällt dir am besten, Tina?«
Tina riß sich zusammen.
»Leider kenne ich Ihre Mutter nicht, Herr Roßbacher. Welche Haarfarbe hat Ihre Mutter und welche Augenfarbe?«
»Blond ist die Mutter, so blond wie ich! Und blaugrüne Augen hat sie, aber mehr grün als blau!«
»Dann würde das blaue Dirndl oder das grüne gut passen. Was sind denn die Lieblingsfarben Ihrer Mutter?«
Poldi Roßbacher steckte die Hände in die Taschen seiner Lederhose. Er schaute Tina direkt in die Augen.
»Madl! Nix da, mit Herr Roßbacher! Ich bin der Poldi! Also jetzt machen wir eine Sprachübung! Jetzt sagst ganz artig ›Poldi‹! Los!«
Tina errötete erneut.
»Poldi!« flüsterte sie leise.
»Des war schon gut! Also weiter! Was sind die Lieblingsfarben deiner Mutter, Poldi?«
Tina wiederholte den Satz.
»Siehst du, des war doch net schlimm, oder?«
»Nein!«
»Gut! Dann will ich dir die Frage jetzt beantworten. Des weiß ich net so genau. Die Mutter liebt es bunt und fröhlich!«
Tina nickte.
»Dann könnte sie zu dem grünen Dirndl ein schönes buntes Seidentuch umlegen. Augenblick, bitte!«
Tina holte ein großes buntes Umschlagtuch und drapierte es um den Kleiderbügel herum.
»Ja, des schaut gut aus! Gibt es auch ein passendes Seidentuch zu dem altrosa Dirndl? Des gefällt mir auch.«
Tina nickte.
Sie holte einige Tücher und zeigte sie Poldi.
»Des Helle gefällt mir gut.«
Er ging einen Schritt zurück und besah sich die Dirndl.
»Also, sie sind beide schön!«
Er griff nach dem Bügel und hielt das grüne Dirndl vor Tina hin.
»Die Mutter hat ungefähr deine Statur. Kommt des hin, Boller?«
»Ja, die Tina hat wohl die gleiche Größe! Soll sie die Dirndl mal anziehen, dann kannst du dir ein besseres Bild machen.«
»Mei, Boller, des ist eine gute Idee! Aber die passenden Kropfketten und feinen Strümpfe und Schuhe, die sollen auch noch dazu. Wenn der Mutter die Schuhe net passen, dann kann sie sie ja umtauschen.«
»Sicher!« antwortete Boller.
Dann bat er Tina, die beiden Dirndl anzuziehen. Franz Boller konnte nicht die ganze Zeit dabei bleiben, weil draußen ein Bus hielt und der Laden sich kurz darauf mit Kunden füllte. Er mußte nach vorne gehen.
»Die Tina macht es schon, Poldi!«
Poldi Roßbacher nickte. Er setzte sich auf einen Stuhl und wartete geduldig, bis Tina im dunkelgrünen Dirndl aus der Kabine kam.
»Mmm! Des gefällt mir gut! Ich denke, der Mutter gefällt es auch. Jetzt das andere!«
Tina zog das altrosafarbene Dirndl an.
Diesmal sagte Poldi nichts. Er schaute Tina nur an. Dann zeichnete er mit der Hand einen kleinen Kreis in die Luft. Das bedeutete soviel, wie umdrehen.
Tina drehte sich langsam im Kreis.
»Danke, Tina! Jetzt kann ich mir ein Bild machen!« sagte Poldi.
Er stand auf und ging nach vorne. Franz Boller kassierte gerade den letzten Kunden der großen Reisegruppe.
Tina hörte in der Kabine, wie Poldi laut sagte:
»Ich nehme beide Dirndl! Des grüne Dirndl und des in Altrosa. Bitte, tue mir beide nett verpacken.«
»Mei, Poldi! Da wird sich deine Mutter aber freuen! Wann hat sie denn Geburtstag?«
»Bald!« sagte Poldi. »Wann genau, wird net verraten. Die Mutter will das nicht.«
Tina brachte die beiden Dirndl nach vorne. Sie verpackte die Kleider und das Zubehör in zwei große Kartons, die mit hellem Seidenpapier ausgeschlagen waren. Poldi zahlte. Franz brachte Poldi zum Auto.
»Wie lange bleibt die Tina, Boller?«
»Bis die Veronika wieder gesund ist.«
Poldi lächelte. Er verabschiedete sich und bat Franz, seiner Frau von ihm Genesungswünsche zu übermitteln. Dann fuhr er davon.
Franz Boller ging strahlend auf Tina Seidler zu.
»Mei, Madl, weißt du, daß du eben unsere beiden teuersten Dirndl verkauft hast? Und des hast du ohne große Überredungskunst gemacht! So etwas hab’ ich noch net erlebt. Mei, da wird meine Veronika staunen, wenn ich ihr des erzähle.«
Tina lächelte scheu.
»Dafür, daß du noch nie Dirndl verkauft hast, war des ein richtiger Geniestreich. Vielleicht war des genau richtig, daß du so wenige Worte gemacht hast.«
»Ich konnte nicht viel sagen, weil ich noch viel zu wenig über Dirndl weiß.«
»Stimmt, du bist ja an der Ostsee daheim. Da tragen die Madln keine Dirndl. Aber die Trachtenbluse und die Weste, die könnten auch hier aus den Bergen sein.«
Tina lachte.
»Die Bluse und die Weste gehören Anna Baumberger. Sie hat sie mir ausgeliehen. Toni meinte, damit würde ich besser hier in den Laden passen. Ich habe nur Sachen mit Fischen und Ankern als Muster. Anna wollte mir ein Dirndl leihen. Aber Anna ist größer als ich. Das Dirndl war zu lang. Da gab sie mir die Bluse und die Weste.«
»Ah! So ist des!«
Franz Boller rieb sich das Kinn.
»Des können wir ändern! Komm mal mit!«
Franz Boller ging mit Tina ins Lager. Dort holte er einen Karton vom Schrank. Er öffnete ihn.
»Weißt, Tina, auch bei Dirndln gibt es jedes Jahr eine neue Kollektion, ganz wie bei anderen Kleidern. Die Dirndl-Fabriken wollen auch Geld verdienen und lassen sich immer etwas Neues einfallen. Die Dirndl hier, die haben wir net mehr verkaufen können. Wir haben sie dreimal im Preis heruntergesetzt. Aber wir sind sie net losgeworden. Der Stoff ist vielleicht zu hell, zu empfindlich. Außerdem wollen die Madln hier alle Dirndl mit Mieder und Bluse. Die hier, des sind einteilige Dirndl. Die sind ziemlich hochgeschlossen. Vielleicht hat es daran gelegen. Ich denke mir aber, daß du ganz fesch darin aussehen würdest.«
Franz Boller holte ein Dirndl hervor.
»Des müßte passen. Die flachen Schuhe, die du trägst, die passen auch dazu. Des kannst für deine Arbeit hier anziehen. Und des auch, und des, und des! Dann hast etwas zum Wechseln.«
Tina verstand nicht gleich. Boller erklärte ihr, daß er ihr die Dirndl als Arbeitkleidung gab. Tina war damit einverstanden und zog gleich ein hellgelbes Dirndl an. Der Baumwollstoff war in sich gemustert. Das Rot der Schürze wiederholte sich im feinen Spitzenrand am Ausschnitt, den Ärmeln und der Knopfleiste. Als Tina damit aus der Umkleidekabine kam, klatschte Franz Boller in die Hände.
»Siehst großartig aus, Madl! Jetzt schaust aus wie ein echtes Madl aus Waldkogel – wie ein Madl aus den Bergen. Wie gefällst du dir?«
Tina betrachtete sich im Spiegel.
»Noch etwas ungewohnt, aber gut. Ich fühle mich nicht mehr so fremd.«
»Des ist gut!«
Wie Franz Boller gesagt hatte, war viel zu tun. Die Bäuerinnen kamen zum Einkauf, und es hielten noch mehrere Reisebusse mit Touristen auf dem Marktplatz. Tina war glücklich, aber auch erschöpft von ihrem ersten Tag. Es war alles so neu für sie.
Sie war froh, als Xaver Baumberger sie abholte. Franzi und Basti saßen im Auto.
»Mei, Tina! Fesch schaust aus in dem Dirndl! Bist jetzt eine richtige Berglerin«, bemerkte Basti.
Toni, Anna und vor allem der alte Alois machten Tina Komplimente über ihr Aussehen, als sie auf der Berghütte ankam.
»Und wie war es sonst so?« fragte Anna.
Während Anna den Hefeteig knetete, saß Tina bei ihr in der Küche und erzählte von ihrem ersten Tag als Verkäuferin. Sie sprach auch von Poldi Roßbacher, der gleich zwei Dirndl gekauft hatte.
»Anna, ich habe Blut und Wasser geschwitzt. Der Poldi hat mich angeschaut, als wollte er mich kaufen und nicht die Dirndl.«
Anna schmunzelte.
»Du wirst ihm gefallen haben!«
»Es war so peinlich, Anna! So peinlich! Ich brachte kein Wort heraus. Dabei war er der erste Kunde in Sachen Dirndl. Franz Boller stand am Anfang dabei. Es war grausam, ich wäre am liebsten in den Erdboden versunken. Ich brachte kein Wort heraus. Ich spürte nur, wie ich immer wieder rot wurde. Es waren seine Augen. Hast du Poldis Augen gesehen, Anna? Er hat so große blaue Augen, blau wie das Meer. Und diese lockigen Haare? Oh, Anna, er erschien mir wie ein… jedenfalls sehr unwirklich.«
Anna konnte ein Grinsen nicht unterdrücken.
»Was grinst du, Anna?«
»Kann es sein, daß er dir gefällt?«
»Was für eine Frage, Anna? Also, ich kann mir keine junge Frau vorstellen, der Poldi nicht gefällt. Er sieht aus wie ein Typ aus einem Magazin. Aber eine Macke muß er haben, sonst wäre er verheiratet.«
Anna war über Tinas Bemerkung erstaunt. Sie hörte Tina zu, was er über Poldi erzählte. Franz Boller schien Tina über alles informiert zu haben, ihr jeden Dorfklatsch erzählt zu haben.
»Ob er eine Macke hat, das weiß ich nicht, Tina. Ich habe meinen Toni. Da muß ich mich nicht um Poldi kümmern. Ich weiß nur, daß er der begehrteste Bursche weit und breit ist. Wo er auftaucht, versuchen alle ledigen Madln ihn zu umgarnen. Aber Poldi hat sich bisher noch nicht festgelegt. Warum, das kann ich dir auch nicht sagen. Vielleicht stimmt es, was dir Boller erzählt hat. Schließlich weiß er mehr, als wir hier oben auf der Berghütte erfahren. Die Rosel Roßbacher, Poldis Mutter, ist schon eine besondere Frau. Wenn du mehr über sie wissen willst, dann mußt du den alten Alois befragen. Der kann dir bestimmt mehr sagen. Alois ist draußen auf der Terrasse.«
»Ach, das ist nicht nötig, Anna!«
Anna lächelte still in sich hinein. Vielleicht noch nicht, dachte Anna. Aber das kommt noch, bestimmt, dachte Anna. Tina hat sich in Poldi verliebt, auch wenn sie es noch nicht weiß oder es sich nicht eingestehen will. Anna schaute Tina an. Sie sah, daß die Trauer in ihren Augen, der sorgenvolle Blick, verschwunden war. Tinas Augen leuchteten und strahlten. Die Ursache konnte nicht nur der Aushilfsjob im Trachten- und Andenkenladen Boller sein. Da stand mehr dahinter. Es war Liebe! Die Liebe hatte nach Tinas Herz gegriffen.
Tina bemerkte nicht, wie aufmerksam Anna sie musterte. Sie stand verträumt in der Küche der Berghütte. Ihr Blick war aus dem Fenster gerichtet. Doch in Wirklichkeit schaute Tina nicht in die schöne Berglandschaft. Sie dachte an Poldi Roßbacher, den Erben des Roßbacher Hofes.
Tina stand lange da. Anna fuhr fort, ihre Apfelkuchen zu backen. Irgendwann seufzte Tina tief. Dann wandte sie sich um und ging in ihre Kammer.
»Mei, was ist denn mit der Tina los?« fragte Toni. »Die lächelt, als hätte sie die Engel vom ›Engelssteig‹ gesehen.«
»Wenn ein Engel davon Poldi Roßbacher ist, dann hat sie einen Engel gesehen.«
Toni schmunzelte. Anna schmunzelte.
»Die Tina und der Poldi, die würden ein schönes Paar abgeben, denke ich.«
»Das denke ich auch, Toni. Doch noch ist es zu früh, etwas zu sagen. Die Tina weiß selbst noch nicht, daß die Liebe von ihrem Herzen Besitz genommen hat.«
»Vielleicht wird die Tina glücklich! Mei, des wünsche ich ihr. Sie ist ein feines Madl, die Tina.«
Toni und Anna sprachen nicht weiter darüber. Dazu war es noch zu früh, und außerdem hatten sie keine Zeit. Es gab viel zu tun.
*
Der schöne Roßbacher Hof lag im Mondlicht. Zarter Blütenduft wehte durch die offenen Fenster des Wohnzimmers. Poldi Roßbacher saß beim Kamin und las in einem Buch. Seine Mutter Rosel saß dabei und stickte. Es war still im Raum. Nur das Ticken der schönen alten Standuhr in der Ecke war zu hören. Ab und zu warf Poldi einen Blick darauf. Es ging auf Mitternacht zu.
Kurz bevor die Standuhr mit zwölf hellen Schlägen und vier dunklen Schlägen den neuen Tag ankündigte, stand Poldi auf und verließ das Zimmer. Er kam mit zwei riesigen Kartons zurück. Seine Mutter lächelte und tat, als bemerke sie es nicht.
Dann war es soweit: Die Uhr schlug Zwölf. Poldi trat vor seine Mutter. Rosel Roßbacher legte das Stickzeug zur Seite. Sie stand auf und schaute ihren Buben an. Dabei mußte die zierliche Frau sich etwas strecken.
Poldi nahm seine Mutter in die Arme. Er drückte sie fest und gab ihr einen Kuß auf die Wange.
»Mutter! Herzlichen Glückwunsch zu deinem Geburtstag! Ich wünsche dir Gesundheit und ein langes glückliches Leben. Mögen dich die Engel vom ›Engelssteig‹ immer beschützen!«
»Danke, Poldi! Danke!«
Poldi führte seine Mutter zum großen Eichentisch.
»Hier habe ich etwas für dich!«
Er schob ihr einen Karton zu. Sie öffnete ihn.
»Poldi, du bist ja narrisch! Was für ein Geschenk! Wie schön! Das ist genau das Dirndl, das ich mir auch ausgesucht hätte. Und dieses bunte Schultertuch dazu. Poldi, du hast wirklich einen guten Geschmack. Du weißt, was Frauen gefällt.«
Die Roßbacherin streichelte ihrem Bub die Wange.
»Poldi, eigentlich habe ich mir gewünscht, daß du bis zu meinem fünfzigsten Geburtstag ein Madl auf den Hof bringst. Aber des soll kein Vorwurf sein. Jedenfalls ist des ein ganz wunderbares Geschenk.«
»Ich dachte mir, wie fahren zusammen nach Kirchwalden und sehen
uns in der Volksbühne den Bauernschwank an. Des Stück soll gut
sein.«
»Des machen wir, Bub! Und vorher oder nachher gehen wir schön essen! Es ist doch wirklich ein besonderer Tag.«
Poldis Mutter breitete das Dirndl auf dem Tisch aus.
»Poldi! Daß du so einen guten Geschmack hast, das habe ich nicht angenommen. Und eine wunderbare Qualität ist das. Das Dirndl kann ich später noch meiner Enkelin vererben, wenn ich welche habe. Aber des wird schon.«
»Da ist noch ein Paket!«
Rosel Roßbacher sah ihren Buben an. Sie öffnete. Sie staunte über das altrosa Dirndl.
»Gleich zwei Dirndl? Wunderschön ist das auch! Doch das grüne gefällt mir besser! Das ziehe ich an, wenn wir ausgehen. Das paßt gut zu meinen Haaren!«
Sie sah ihren Sohn an.
»Bist jetzt enttäuscht, daß mir des altrosa Dirndl net genauso gut gefällt?«
»Naa, Mutter! Du mußt des auch net nehmen. Ich habe dafür vielleicht auch noch eine andere Verwendung…«
Rosel Roßbacher sah das Leuchten in den Augen ihres Sohnes. Sie tat aber, als bemerkte sie es nicht.
»So? Welchen denn? Man kann mit einem Dirndl doch nix anderes machen, als es anziehen?«
»Des stimmt!«
Poldi öffnete die Flasche Wein, die auf dem niedrigen Tisch beim Kamin stand, und schenkte die Gläser voll. Sie prosteten sich zu.
»Poldi, du hast doch etwas auf dem Herzen. Das kann ich dir ansehen. Schon als Bub hattest du diesen Blick, wenn du mir etwas sagen wolltest. Wir hatten doch nie Geheimnisse voreinander. Auch wenn es mein Geburtstag ist, mußt net Rücksicht nehmen. Bist den ganzen Tag schon so sonderbar gewesen.«
Poldi Roßbacher setzte sich.
»Mutter! Des ist ein bissel kompliziert. Ich weiß nicht recht, wie ich vorgehen soll. Des ist alles so plötzlich gekommen. Also, sie hat ganz – wirklich ganz große braune Augen. Die blicken so sanft. Sie ist von der Statur nicht kräftig, sondern zart.«
Rosel Roßbachers Herz schlug schneller. Sie begriff sofort, daß es sich dabei um ein Madl handeln mußte. Typisch Poldi, dachte sie. Wie schwer tut er sich, mal wieder über eine Angelegenheit zu reden, die ihn so bewegt.
»Poldi, du sprichst nicht von einer Kuh?« forderte sie ihn humorvoll heraus.
»Von einer Kuh? Wie kommst du jetzt darauf?«
»Nun, Kühe haben große braune Augen!«
Poldi errötete.
»Naa, Mutter! Ich red’ von einem Madl! Du kennst sie net. Sie ist net aus Waldkogel. Sie arbeitet als Aushilfe bei den Bollers. Sie hat braunes schulterlanges Haar und deine Figur. Sie hat mich beim Kauf beraten. Der Franz ist auf die Idee gekommen, daß sie die beiden Dirndl anprobieren und mir vorführen soll. Des grüne habe ich dann sofort gekauft – für dich. Es war auch ihre Idee mit dem bunten Schultertuch. Aber als ich die Tina – so heißt des Madl – in dem anderen Dirndl gesehen habe, da mußte ich des Dirndl auch kaufen. Des Madl sah so fesch darin aus!«
Poldis Mutter schmunzelte.
»Poldi! Sag’! Kann es sein, daß du dich endlich verliebt hast? Poldi, des wäre des schönste Geburtstagsgeschenk, das du mir machen könntest!«
Poldi wurde nervös. Er trank einen Schluck Wein.
»Ja, Mutter! Es schaut so aus, daß ich immer an die Tina denken muß. Ich kann nix anderes mehr denken. Sie ist so herzig. So ganz anders als alle anderen Madln. Ich mußte sie nur einmal ansehen, und dann habe ich es gespürt. Darin…« Poldi legte seine Hand auf seine Brust. »Darin habe ich es gespürt. Des muß wohl Liebe sein, was meinst?«
Rosel Roßbacher stand auf. Sie lachte laut. Sie setzte sich neben Poldi auf die Sessellehne.
»Bub! Mein lieber Bub! Also, wie ich des so sehe, dann hast dich wirklich – endlich – endlich richtig verliebt! Und weil du des Madl net hast kaufen können, dann hast einstweilen schon mal des Dirndl gekauft. Des Dirndl in Altrosa!«
»Ja, Mutter! So kann man des sagen!«
Die Roßbacherbäuerin fuhr ihrem Bub mit der Hand über den Kopf, wie sie es gemacht hatte, als er noch klein war.
»Soso! Dann ist des die andere Verwendung, die du für des altrosa-farbene Dirndl hast!«
»Ja, Mutter! Des kannst so sagen! Nur, was soll ich jetzt machen? Weißt, die Tina, die ist kein Madl, so wie die anderen. Die ist still und etwas scheu. Ich kann ihr doch nicht einfach des Dirndl schicken – oder?«
Rosel mußte lachen.
»Wenn man verliebt ist, kann man alles machen. Bub, du mußt wirklich sehr verliebt sein, daß du plötzlich so verunsichert bist. Bis jetzt hast doch gewußt, wie du mit den Madln umgehen mußt.«
»Des mit der Tina ist etwas ganz anderes. Die anderen, die sind mir nachgelaufen. Sie sahen in mir nur eine Art Preisbullen, den sie einfangen wollten.«
»Aha! Jetzt möchtest du gern eingefangen werden.«
»Ja, Mutter! Und ich muß mir schnell etwas einfallen lassen. Die Tina ist nur Aushilfe. Wer weiß, wie lange sie bleibt!«
Poldi fuhr sich mit beiden Händen durch das Haar. Seine Mutter setzte sich wieder in den Sessel gegenüber. Sie betrachtete ihren Buben mit Freude.
»Poldi, des wird schon! Daß du dich verliebt hast, das ist das schönste Geburtstagsgeschenk. Jetzt hast du mit mir gesprochen. Jetzt ist es raus. Jetzt tust mal eine Nacht drüber schlafen. Dann wird dir schon einfallen, was du machen kannst. Ich werde auch einmal darüber nachdenken, wenn du nix dagegen hast?«
»Naa, Mutter! Weißt, ich will nix falsch machen.«
»Denkst du denn, daß du der Tina auch gefällst? Ich meine, ob du annimmst, sie hat sich ehrlich in dich verliebt?«
»Ich denke schon. Sie war sehr verlegen. Ich denke nicht, daß sie in mir nur den Preisbullen sieht wie die anderen Madln.«
»Dann mußt du um sie werben, Bub! Daß der Bursche um des Madl werben muß, des ist heute so. Früher, vor hundert Jahren, war des einfacher. Da konnte man den Hochzeiter zu dem Madl hinschicken und Erkundigung einholen. Des war in vieler Weise gut, in anderer Weise finde ich, ist es heute viel besser. Wirst schon einen Weg finden, Poldi. Bis jetzt hat jeder Bursche einen Weg zum Herzen seines Madls gefunden.«
Rosel Roßbacher stand auf. Sie ging zum Tisch und betrachtete das altrosa Dirndl.
»Zu den braunen Haaren wird des altrosafarbene Dirndl gut aussehen«, sagte sie leise.
Sie tranken ihre Gläser aus. Poldi sagte seiner Mutter gute Nacht und ging auf sein Zimmer. Rosel Roßbacher räumte noch die Gläser in die Küche. Dann trug sie die beiden Dirndl hinauf in die erste Etage. Ihr Dirndl hängte sie an ihren Kleiderschrank. Das altrosafarbene brachte sie in das Gästezimmer und hängte es dort in den leeren Schrank. Mit einem Schmunzeln schloß sie die Schranktür. Dann ging sie schlafen.
Sie fand die nächsten Stunden keinen Schlaf. Sie überdachte ihr Leben. Fünfzig Jahre! Es waren teilweise harte Jahre gewesen, aber auch glückliche Jahre. Das größte Glück war ihr Poldi, ihr einziges Kind.
*
Am nächsten Morgen schnitten Mutter und Sohn das Thema Tina nicht mehr an. Beim Frühstück besprachen sie die Tagesarbeit. Abends wollten sie nach Kirchwalden ins Theater. Trotzdem mußte alle Arbeit auf dem Hof gemacht werden. Außerdem wollte Poldi auf die Hochalm, um dort die Arbeit des Senners zu kontrollieren. Tierärztin Beate Brand wollte am Nachmittag kommen und nach der Eselin und ihrem Nachwuchs schauen. Das Jungtier sollte die ersten Impfungen bekommen.
Rosel Roßbacher wartete, bis Poldi mit seinem Geländewagen vom Hof gefahren war, dann nahm sie ihren Jeep und fuhr zum Einkaufen.
Rosel parkte ihr Auto direkt vor Bollers Laden.
»Grüß Gott, Rosel!« strahlte sie Franz Boller an. »Wie geht es dir? Der Poldi hat erzählt, daß du die Tage Geburtstag hast. Darf man gratulieren?«
»So, hat er das gesagt?« schmunzelte Rosel und wich der Frage aus.
Franz hätte gern gefragt, wie ihr die Dirndl gefallen haben. Aber er wagte es dann doch nicht. Vielleicht wußte sie noch nichts von den Geschenken.
»Was darf es sein?« fragte er.
»Ich will mich ein bissel umsehen. Ich brauche so dies und das.«
Dabei ließ Rosel Roßbacher ihre Augen durch den Laden wandern. In diesem Augenblick kam Tina aus dem Lager. Sie trug verschiedene Kleidungsstücke über dem Arm.
»Bist du mit den Preisschildern fertig, Tina?« rief Boller.
»Ja, mit dem ersten Karton bin ich fertig. Ich will sie jetzt in die Regale einräumen. Dann mache ich weiter.«
»Hast du eine Aushilfe, Franz? Des ist gut! Dann kann sich deine Veronika auskurieren. Wie geht es ihr?«
»Danke! Es wird schon besser!«
Franz Boller rief Tina herbei.
»Des ist die Tina Seidler, ein tüchtiges Madl.«
»Guten Tag!« flüsterte Tina leise.
»Das ist die Rosel Roßbacher, die Bäuerin vom Roßbacher Hof. Eine sehr gute Kundin!«
»Schön, Sie kennenzulernen, Frau Roßbacher!«
Tina lächelte freundlich.
»Soll dir die Tina etwas zeigen, Rosel? Wir haben neue Ware bekommen.«
»Schaden kann’s nicht!«
Tina begleitete die Roßbacherbäuerin in den hinteren Teil des Ladens.
»Gefällt es dir hier, Tina? Bist nicht von hier, wie? Ich höre es an der Sprache!«
»Ja, es gefällt mir. Sie hören richtig. Ich wohne an der Ostsee.«
»Mei, da ist es ganz flach. Wie gefallen dir die Berge?«
»Es ist sehr schön hier!«
Tina wollte sich nicht in ein privates Gespräch verwickeln lassen. Sie fragte:
»Was darf ich Ihnen zeigen, Frau Roßbacher?«
Die Bäuerin beantwortete die Frage nicht. Statt dessen sagte sie:
»Wenn ich dich so betrachte, dann kann ich mir nicht vorstellen, daß du nicht aus den Bergen bist. Schaust in dem Dirndl aus wie ein Madl aus Waldkogel.«
»Das Dirndl hat mir Herr Boller gegeben! Es ist sehr bequem, und ich fühle mich auch wohl darin. Ich freue mich, wenn es Ihnen gefällt. Wir haben noch ähnliche Dirndl am Lager. Sie sind auch sehr preiswert. Alle reduziert. Sie sind wirklich wunderschön. Also, wenn ich könnte, würde ich sie alle kaufen.«
Rosel Roßbacher schmunzelte. Es kam ihr eine Idee.
»Bleibst du länger in Waldkogel, wenn es dir hier so gefällt?«
»Das hängt nicht von mir ab. Ich helfe hier nur aus, solange Frau Boller erkrankt ist. Danach sehe ich weiter.«
»Klingt, als würdest du gern bleiben?«
»Ich habe mir abgewöhnt, große Pläne zu machen. Man muß in der heutigen Zeit flexibel sein. Dort wo ich Arbeit finde, gehe ich hin oder bleibe auch in Waldkogel, wenn es sich ergeben sollte. Aber daran denke ich jetzt noch nicht.«
Tina strich unsicher mit den Händen über ihre Schürze.
»Was darf ich Ihnen zeigen?«
»Franz, mich interessieren die Dirndl, die du im Lager hast. Solche, wie die Tina eines trägt«, rief Rosel Roßbacher durch den Laden.
Franz Boller kam sofort herbeigeeilt. Er gab Tina Anweisung, mit der Bäuerin ins Lager zu gehen.
Tina kannte sich inzwischen sehr gut im Lager aus. Sie zeigte der Bäuerin zuerst die Dirndl, dann Röcke und Blusen, Pullover, Hosen und ärmellose Westen.
»Sie sind alle wunderschön und sehr preiswert. Da ist nichts dran, sie sind nur aus dem vorigen Jahr, also aus einer älteren Kollektion. Doch es ist wunderbare Qualität.«
Die Roßbacherin schmunzelte.
»Weißt, Madl, ich will die Sachen nicht für mich. Wir bekommen demnächst Besuch von einem jungen Madl auf unseren Hof. Ich denke, es soll sich wohl fühlen. Da will ich ihm eine Freude machen. Ich denke, daß es das Lebensgefühl erhöht, wenn es auf unserem Hof auch ländliche Sachen trägt. Du hast mich auf die Idee gebracht, als du vorhin sagtest, wie wohl du dich in dem Dirndl fühlst. Vielleicht wird es unserem Besuch auch gefallen?«
»Schaden kann es nicht. Was möchten Sie denn?«
»Ach, Tina, weißt, des ist das Problem. Ich bin selbst kein junges Madl mehr und hab’ ein bissel Sorge, ich könnte etwas Falsches auswählen. Willst du mir nicht helfen?«
»Gern, Frau Roßbacher! Kunden zu beraten ist meine Aufgabe.«
»Des ist fein! Dann machen wir
das so! Du sagst mir, was dir am besten gefällt und ich überlege, ob es
zu dem Madl paßt, das zu uns kommt.«
»Und die Größe… Die müßte ich schon wissen?«
»Mei, des kann ich dir net genau sagen. Aber des, was dir paßt, des wird dem Madl auch schon passen, denke ich!«
Tina runzelte für einen Augenblick die Stirn. Die Rosel Roßbacher lachte.
»Des mag dir komisch vorkommen, Tina! Aber ich kenne des Madl net näher. Ich hab’ es nur einmal kurz gesehen und mit ihr gesprochen. Weißt, ich hab’ einen Bub! Der Poldi, der tut des Madl einladen, denke ich. Er hat sich wohl in des Madl… wie soll ich sagen, ohne dem Poldi vorzugreifen? Er sieht des Madl gern. Aber es ist ein Stadt-madl. Es wird es vielleicht ein bissel schwer haben hier so als Zugereiste, verstehst?« flüsterte Rosel Roßbacher leise. »Sprich bitte aber net mit dem Boller drüber und mit sonst auch niemandem. Du verstehst?«
»Sie können sich auf mich verlassen, Frau Roßbacher!«
Mit Eifer stellte Tina eine vollständige Kollektion zusammen, Dirndl, Röcke, Blusen, Hosen, Westen, Pullover, Jacken und Zubehör. Bald türmte sich auf dem großen Tisch im Lager ein ganzer Berg Kleidungsstücke. Tina war sich unsicher.
»Sie wollen das alles kaufen?«
»Ja, Tina, das will ich! Ich weiß doch, was meinem Buben gefällt. Er ist nicht so für das moderne Zeug. Er ist ein bissel traditionell.«
Tina errötete.
»Ist was, Madl? Du hast ja einen ganz roten Kopf!«
»Nein, nein! Nein! Ich bin nur so in Eifer, weil Sie so viel kaufen wollen. Das gab es noch nie!« log Tina.
Tina war dem Schicksal dankbar, daß in diesem Augenblick Franz Boller ins Lager kam.
»Na, hast etwas gefunden, Rosel?«
»Ja! Des alles, was auf dem Tisch liegt!«
»Mei, wirklich? Des ist aber net aus der neusten Kollektion. Draußen haben wir schönere Sachen. Allerdings sind diese alle reduziert…«
»Franz! Halt ein! Ums Geld geht es net! Des kannst dir vielleicht denken. Die Tina hier hat gesagt, daß sie sich wohl fühlt in dem Dirndl, das sie trägt. Die Sachen sind nicht für mich. Sie sind ein Geschenk. Ich denke, daß alles so richtig ist. Rechne des zusammen und bringe es mir persönlich noch vor dem Mittag auf den Roßbacher Hof.«
Franz rieb sich das Kinn. Er wagte nicht zu widersprechen.
»Gut! Bis zum Mittag sollst die Sachen haben!«
Dann gab er Tina Anweisung, alles aufzulisten und zu verpacken. Er ging mit der Kundin zurück in den Laden.
Tina mußte sich für einen Augenblick setzen. Ihr schwindelte. Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Das war also Poldis Mutter, die reiche Roßbacherin. Und Poldi hatte ein Auge auf eine junge Frau aus der Stadt geworfen. Sie muß Poldis Mutter wohl sehr willkommen sein, tat sie doch alles, daß die junge Frau schnell in Waldkogel als eine der ihren akzeptiert wurde.
Wie sehr muß diese Mutter ihren Sohn lieben, daß sie so an alles denkt, überlegte Tina.
Gleichzeitig versuchte sie mit der Enttäuschung fertig zu werden, daß Poldi wohl sein Herz bereits verschenkt hatte.
Wie konnte ich auch so dumm sein!
Wie konnte ich mir einbilden, er hätte ein Auge auf mich geworfen!
Wer bin ich schon? Eine ungelernte Gelegenheitsarbeiterin, die der Zufall hierher verschlagen hat.
So dachte Tina und nahm all ihre Kraft zusammen. Sie versuchte, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Das war sehr schwer. Immer und immer wieder mußte sie an Poldi Roßbacher denken. Sie sah seine blonden Locken vor sich, seine großen blauen Augen, sein Lachen.
Ich muß ihn mir aus dem Kopf schlagen! Diesen Satz sagte sich Tina immer wieder. Nicht an ihn denken. Ich muß ihn vergessen. Er war nur ein Kunde, der zwei Dirndl kaufte, eines für seine Mutter und das andere war dann wohl für sein Madl. So überlegte Tina.
Ein Traum war für sie zu Ende, bevor er richtig begonnen hatte. Tina seufzte. Aber es war schön zu träumen. Ich werde mich immer an ihn erinnern. Ein Leben lang werde ich mich an ihn erinnern, an den Mann, dem ich heimlich mein Herz geschenkt habe. So ist das also, dachte Tina, wenn man liebt. Ja, ich habe mich in ihn verliebt. Auch wenn nichts daraus wird, werden konnte, so will ich mir doch die Erinnerung daran bewahren – wie die Erinnerung an einen Prinzen aus dem Märchen. Zu träumen, wie es sein würde, wie es gewesen wäre, wenn… ja, wenn, das kann mir niemand nehmen.
»Bist fertig, Tina?« riß sie Franz Boller aus ihren Gedanken.
Tina erschrak.
»Ja, Herr Boller!«
»Dann kannst die Kartons zum Auto bringen. Es steht hinterm Haus im Hof. Ich fahre sie sofort zum Roßbacher Hof. Inzwischen kannst du den Laden alleine machen. Des schaffst du, so tüchtig wie du bist, Tina! Du bist schon außergewöhnlich tüchtig.«
Tina freute sich über das Lob.
»Willst nicht in Waldkogel bleiben? Ich habe mit meiner Frau gesprochen. Wir würden dich gerne einstellen, natürlich als Vollzeitkraft.«
Franz Boller erwartete, daß Tina ihn jetzt vor lauter Freude anstrahlte. Statt dessen schaute sie ihn ziemlich ernst an. Franz Boller war verunsichert.
»Was ist, Tina? Gefällt es dir nicht bei uns?«
»Doch! Ich bleibe auch gerne, bis Ihre Frau wieder gesund ist. Aber nicht länger! Ich möchte nicht in Waldkogel bleiben!«
»Warum? Ich hab’ gedacht, dir gefällt es hier so gut.«
»Es ist auch schön. Aber ich bin doch eher der Stadtmensch.«
»Mei, Madl! Des verstehe jetzt wer will! Was stört dich hier? Was ist hier anders als in der Stadt?«
Tina schaute einen Augenblick auf den Boden.
»Ich will ehrlich sein! Mir gefällt nicht, daß man von jedem Kunden alles weiß, also von den Leuten hier in Waldkogel. Ich habe es lieber anonymer.«
»Ich kann dich gar net umstimmen?«
»Nein! Vielen Dank für das Angebot! Wenn Sie mir etwas Gutes tun wollen, dann möchte ich Sie um ein Zeugnis bitten. Vielleicht schon bald? Dann kann ich mich damit schon anderswo bewerben.«
»Des mache ich gern! Ich bedauere sehr, daß du nicht bleiben willst, wirklich sehr!«
»Ich bedauere es auch sehr! Aber ich würde hier in Waldkogel nicht glücklich werden. Das hat nichts mit Ihnen oder der Arbeit hier zu tun.«
So schnell gab Franz Boller nicht auf.
»Vielleicht überlegst du es dir noch? Die Leute reden hier viel. Aber bös’ meinen sie es nicht. Waldkogel ist schon ein besonderer Ort. Die Leut’ halten hier zusammen wie in einer großen Familie. Klar gibt es da auch mal Streitigkeiten, und einer ärgert sich über den anderen. Aber am Ende kommt alles wieder ins Lot. Die Leute hier, die tragen ihr Herz auf der Zunge. Sind sie glücklich, reden sie. Ist ihnen eine Laus über die Leber gekrochen, dann reden sie auch. Bös’ meinen sie es nicht. Bös’ können sie in ihren Herzen gar net sein. Weißt, früher – das war noch so, als ich ein junger Bub war – früher, da hat man sich am Brunnen drüben vor der Kirche getroffen und geredet, über Gott und die Welt. Heute kommen die Leut’ hier in den Laden und reden. Des muß dich net stören. Es ist auch unterhaltsam, Tina.«
»Ich bin nicht von hier und habe herausgefunden, daß ich das nicht möchte.«
Franz Boller schüttelte den Kopf. Er mußte wieder nach vorne. Es kamen Kunden. Außerdem wollte er noch den Kassenzettel ausfüllen, anhand der Liste, die Tina gemacht hatte.
Tina brachte die Waren zum Auto. Dann kam sie in den Laden zurück.
»So, dann will ich zum Roßbacher Hof fahren!« sagte Franz Boller zu Tina.
Diese nickte.
»Sag mal, Tina! Hat die Roßbacherbäuerin etwas zu dir gesagt, was dich geärgert hat? Ich weiß, daß sie eine besondere Frau ist. Sie ist hart und kann sehr unnachgiebig sein. Sie hat im Leben immer ihren Kopf durchgesetzt. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund. Ich weiß, daß mit ihr nicht gut Kirschen essen sein kann. Also, wenn die etwas gesagt hat, dann nimm dir das nicht so zu Herzen, Tina!«
»Wir haben nur über die Kleidungsstücke gesprochen«, flunkerte Tina, ohne Boller dabei anzuschauen.
Er räusperte sich.
»Nun, dann werde ich mal fahren. So einen Umsatz, den soll man pünktlich ausliefern. Des ist ein ganzer normaler Monatsumsatz. Des hast wirklich gut gemacht, Tina!«
Franz Boller ging hinaus. Kurz drauf hörte Tina den Motor aufheulen und sah ihn davonfahren.
Tina war froh, daß draußen auf dem Marktplatz ein Bus mit Tagestouristen hielt. Sie strömten in den Laden. Tina hatte viel Arbeit. Sie konnte nicht mehr an Poldi denken, so abgelenkt war sie.
*
Xaver Baumberger holte Tina mit dem Auto ab. Still saß sie im Auto. Auch auf dem Fußweg hinauf zur Berghütte sprach sie wenig mit den Kindern.
»Hast was, Tina?« fragte Basti.
»Warum fragst du?«
»Mei, weil du so anders bist heute!«
»Ach, Basti, ich bin nur müde. Es war viel zu tun. Ich habe etwas Kopfschmerzen. Das vergeht aber.«
Sie gingen weiter. Als die Berghütte in Sichtweite kam, lief Sebastian vor. Er stürmte in die Küche.
»Anna! Hast du Kopfschmerztabletten?«
»Erst einmal grüß Gott!« sagte Anna geduldig und lächelte Sebastian an.
»Ja, Anna! Grüß Gott! Entschuldige! Hast Kopfwehpillen?«
»Hast du Kopfschmerzen?«
Anna befühlte Sebastians Stirn.
»Mei, für mich doch net! Die sind für die Tina! Die ist sehr sonderbar. Die hört gar net richtig zu, wenn man was erzählt. Sie hat Kopfschmerzen, hat sie gesagt.«
»Dann wird es so sein! Ich schaue gleich mal nach! Du bringst jetzt zuerst deine Schulsachen in dein Zimmer. Dann ziehst dich um. Ich kümmere mich um Tina! Wo ist Franzi?«
»Hier bin ich, Anna!«
Franziska kam in die Küche. Sie holte ihr Heft heraus und hielt es Anna hin.
»Schau, die Lehrerin hat etwas drunter geschrieben!«
Anna las es. Sie streichelte Franziska über das Haar.
»Das ist ein schönes Lob. Das hast du gut gemacht, Franzi!«
Toni kam herein. Auch er lobte Franzi.
»Kannst du dich um die Kinder kümmern, Toni? Ich muß mal nach der Tina schauen. Der Sebastian sagt, sie habe Kopfschmerzen.«
Anna klopfte an die Tür.
»Herein!« rief Tina.
Anna trat ein.
»Du hast Kopfschmerzen? Willst du eine Tablette?«
»So schlimm sind sie nicht! Danke! Ich lege mich etwas hin.«
Anna betrachtet Tina.
»Schaust net glücklich aus, Tina!«
Tina seufzte tief.
»Ja, will ich nicht leugnen. Ich fühle mich auch nicht sonderlich glücklich! Faustina, die Glückliche, ist mal wieder nicht glücklich. Ich will aber nicht drüber reden.«
Anna respektierte Tinas Wunsch. Sie ließ sie alleine.
Es war schon später Nachmittag, als Tina aus der Kammer kam.
»Geht es dir besser?« fragte Sebastian sofort.
»Ja, Basti! Viel besser!«
Tina setzte sich auf die Terrasse. Sie schaut hinauf zum Gipfel des »Engelssteigs«.
Der alte Alois trat hinzu.
»Des war jetzt aber ein Blick, als würdest du die Engel tadeln. Hast sehr verächtlich geschaut.«
Der alte Alois setzte sich zu Tina an den Tisch.
»Man sagt doch hier, daß die Engel die Wünsche der Menschen hinauf in den Himmel bringen, direkt vom Gipfel hinauf. Nun, ich habe herausgefunden, daß dies nur für Einheimische gilt.«
Der alte Alois schaute Tina überrascht an.
»Des ist mir aber jetzt neu! Seit wann machen die Engel einen Unterschied zwischen Bergler und Nichtbergler?«
Tina schaute Alois fest in die Augen.
»Erfahrung!«
Der alte Alois grinste.
»So – so – so? Erfahrung? Was du nicht sagst, Tina!«
Tina schwieg.
»Hast wohl einen schweren Tag gehabt, wie?«
Tina nickte.
»Mmm! Willst drüber reden, Tina? Reden hilft!«
»Reden, das ist es, Alois! Die Kunden reden, reden, reden! Jeder redet über jeden! Ich fühle mich, als helfe ich bei einer Zeitung aus und nicht in einem Geschäft für Trachten, Andenken und Haushaltswaren.«
Der alte Alois lachte.
»Des ist vielleicht ein bissel gewöhnungsbedürftig, aber bös’ meint es niemand.«
»Das weiß ich. Aber ich will mich nicht mit ihnen unterhalten. Ich will nicht wissen, für wen all die schönen Sachen gekauft werden. Das ganze Lager hat sie leergekauft.«
»Wer?«
»Die Roßbacherbäuerin! Dann hat sie es sich alles vom Boller auf den Hof liefern lassen. Es war so viel, daß der Boller gesagt hat, es sei so viel wie sonst ein ganzer Umsatz im Monat.«
»Mei, des war dann wirklich viel! Was will sie mit so vielen Sachen? Was hat die Rosel gekauft?«
Tina zählte alles auf. Sie verschwieg aber, daß die Sachen nicht für Rosel Roßbacher persönlich waren.
»Soso! Nun, die Rosel muß in diesen Tagen Geburtstag haben. Vielleicht will sie sich für den neuen Lebensabschnitt neu einkleiden. Die Rosel hat im Leben schon immer gemacht, was sie wollte. Sie weiß immer, was sie will und setzt es auch durch.«
Tina verstand nicht genau, was der alte Alois damit meinte. Also fing er an zu erzählen. Tina hörte sehr interessiert zu.
Rosel Roßbacher war die einzige Tochter des alten Roßbacherbauern. Dieser war mit Alois in die Schule gegangen. Rosels Mutter starb früh, da war Rosel noch ein Schulkind. Ihr Vater heiratete nicht mehr. Im Laufe der Jahre wuchs Rosel in die Rolle der Hausfrau hinein. Sie war ein hübsches junges Madl. Ihr Vater hoffte, daß sie bald einen Burschen auf den Hof bringen würde. An Verehrern fehlte es ihr nicht. Sie verliebte sich in Hansi Grandler, den Hoferben des Nachbarhofes. Sie verlobten sich, als Rosel neunzehn Jahre alt war und wollten bald darauf heiraten. Es war kurz vor der Hochzeit, als Rosel eines Tages einen Zettel auf ihrer Fensterbank fand. Darauf stand, daß ihr Hansi es heftig mit anderen Madln treibe. Es war niemals herausgekommen, wer Rosel die Nachricht dort hingelegt hatte. Rosel, die gewohnt war zu handeln, handelte. Ohne jemand etwas zu erzählen, stellte sie in der kommenden Nacht Hansi nach. Statt bei ihr zu fensterln, traf er sich mit einigen Sennerinnen im Heustadl der Grandler Alm.
»Der muß sich dort aufgespielt haben wie der Hahn auf dem Hof«, umschrieb es der alte Alois.
Rosel beobachtete das Treiben bis in die frühen Morgenstunden. Sie ging dann nach Hause. Am nächsten Morgen nahm sie ihr Brautdirndl und ihre Brautkrone und trug sie zum Marktplatz. Dort zündete sie beides an.
»Ganz Waldkogel lief zusammen! Sie standen ratlos dabei. Sie betrachteten die junge Roßbacherin, wie sie dabeistand, bis die Flammen alles verzehrt hatten. Rosel vergoß keine Träne. Sie sagte nur, die Hochzeit finde nicht statt. Einen Gockel, der zu fremden Hennen gehe, würde sie net heiraten.«
Die darauffolgenden Tage waren für Hansi bitter. Jeder in Waldkogel schätzte Rosel, die so früh ihre Mutter verloren hatte und danach die Rolle der Bäuerin übernommen hatte. Überall, wo Hansi auftauchte, wurde er verspottet. Die anderen jungen Burschen riefen ihm »Kikeriki« nach.
»Sicher wird nix gesagt, wenn sich die jungen Burschen vor der Hochzeit die Hörner abstoßen. Doch wenn sie mit dem Madl ihres Herzens verlobt sind, des Aufgebot bestellt, der Hochzeitstermin feststeht, dann wird Treue erwartet. Jeder hatte Mitleid mit Rosel!«
»Was geschah dann weiter?« fragte Tina.
Sie lauschte Alois’ Worten.
Hansi war fortgegangen, erzählte Alois. Bis zum heutigen Tag war er nicht zurückgekommen. Den Grandler Hof übernahm sein jüngerer Bruder. Bald darauf konnte Rosel nicht mehr verbergen, daß Hansis Fensterln nicht ohne Folgen geblieben war. Sie war schwanger und bekam Poldi. Rosel schämte sich deswegen nicht. Sie stand immer zu ihrem Buben. Die Erbfolge auf dem Roßbacher Hof war damit gesichert. Das war Rosel wichtig. Der alte Roßbacher hielt zu seiner Tochter und zu seinem Enkel. Leider wurde er nicht sehr alt. Rosel übernahm den Hof. Sie baute an, baute auf, vergrößerte und vergrößerte. Alles, was sie anpackte, gelang ihr. Sie war fleißig und ehrgeizig. Sie wollte es allen zeigen.
»Das hat sie geschafft! Mehrmals wurde der Roßbacher Hof ausgezeichnet.«
Rosel Roßbacher gab ihrem Buben eine gute Erziehung. Sie ließ ihn studieren. Es fehlte Poldi an nichts.
»Es ist schon eine besondere Verbindung, die die beiden haben. Sie kümmern sich wenig um andere, leben ziemlich zurückgezogen auf dem Hof. Sie laden kaum jemand aus dem Dorf ein. Rosel weiß von dem Neid, der ihr oft entgegenschlägt, weil sie es als alleinstehende Mutter geschafft hatte. Poldi ist ein begehrter Bursche unter den Madln. Als Erbe des Roßbacher Hofes hat des Madl ausgesorgt, des er nimmt. Arm ist der Poldi net. Schwer arbeiten muß die Jungbäuerin auch net. Die Rosel arbeitet auch selbst nicht mehr schwer. Sie bezahlt gut. Es arbeiten viele Leute auf dem Hof. Der Roßbacher Hof, des ist ein richtiges mittelständisches Unternehmen.«
»Das glaube ich, daß die Roßbacherbäuerin selbst nicht mehr viel arbeiten muß, Alois. Sie hat sehr gepflegte Hände. Nicht so wie viele andere Bäuerinnen, die in den Laden kommen.«
»Des hast richtig erkannt, Tina. Sie verteilt die Arbeit und tut überwachen, genau wie der Poldi auch. Aber streng ist sie. Mei, des kann sie auch sein. Sie soll ihre Leute wirklich gut bezahlen. Für gute Arbeit soll es eine gute Bezahlung geben. Des ist ihr Motto. Wer aber bummelt und sich drückt, der hat schlechte Karten. So diszipliniert die Rosel selbst ist, so viel verlangt sie von jedem. Was sie sagt, des ist Gesetz auf dem Roßbacher Hof. So war es jedenfalls früher. Wie es heute ist, des weiß ich net genau. Ich denke, daß es immer noch so ist. Wahrscheinlich teilt sie sich die Aufgaben mit dem Poldi.«
Alois schaute Tina an.
»Willst noch etwas wissen?«
Tina dachte einen Augenblick nach.
»Also, wenn ich dich richtig verstanden habe, dann ist mit der Rosel Roßbacher nicht gut Kirschen essen. Sie ist – sie kann ein rechter Dickschädel sein – so sagt man hier doch zu einem willensstarken Menschen, oder?«
»Dickschädel ist unbelehrbar! Bei der Rosel ist das ganz anders. Sie weiß nur, was sie will. Dann geht sie ihren Weg. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: entweder sich unterzuordnen oder sie zu meiden.«
»Gibt es da keine Konflikte mit Poldi?«
»Wie meinst des?«
»Nun, nehmen wir mal an, der Poldi hat ein Madl, des der Mutter net gefällt. Was würde geschehen?«
»Der Poldi, der weiß genau wie seine Mutter, was er will. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Der wird seiner Mutter nie ein Madl vorstellen, des ihr net gefällt. Bis jetzt hat der Poldi noch kein Madl. Er könnte, aber er hat keines. Es wird langsam Zeit. Der Poldi ist jetzt dreißig, höchste Zeit, daß er sich entscheidet.«
»Vielleicht haben die Madln seiner Mutter net gefallen?«
»Des ist gut möglich! So anspruchsvoll wie die Rosel ist.«
Alois schaute Tina an.
»Du hast den Poldi schon mal gesehen?«
»Hat die Anna etwas erzählt?«
Der alte Alois lächelte.
»Sie hat eine Andeutung gemacht. Dir habe der Poldi gefallen. Des kann ich verstehen. Welchem Madl gefällt der Poldi net?«
»Mmm! Er ist sehr beeindrukkend!«
»Hast dich ein bissel in den Poldi verliebt, Tina?«
Tina wich Alois’ Frage aus.
»Er hat mir für einen Augenblick schon den Kopf verdreht, Alois. Aber nur für einen Augenblick!«
Tina sagte es zwar mit Nachdruck. Doch Alois war davon nicht so überzeugt. Er war ein alter Mann, der im Leben viel erlebt und gesehen hatte. Er war auf seine Art weise. So wußte er, wann es sinnvoll war, etwas zu sagen und wann es sinnvoll war, zu schweigen. Jetzt schwieg Alois.
Er stand auf und ließ Tina alleine.
*
Es war der Sonntag nach Rosels Geburtstag. Rosel und Poldi saßen beim Frühstück.
»Hast inzwischen schon etwas unternommen? Hast die Tina mal angesprochen, Poldi?«
»Ich bin noch am Überlegen! Vielleicht wandere ich heute rauf zur Berghütte. Im Laden bei den Bollers will ich sie net ansprechen. Anschließend ist es auch schlecht. Der Xaver Baumberger holt sie jeden Tag ab und nimmt sie mit, wenn er die Bichler Kinder rauf auf die Oberländer Alm bringt.«
Poldi trank einen Schluck Kaffee.
»Deshalb will ich heute rauf auf die Berghütte. Da findet sich sicherlich eine Gelegenheit, um mit Tina zu sprechen.«
»Das ist eine gute Idee, Poldi! Dann kannst du die Einladungen mitnehmen.«
»Welche Einladungen?« staunte Poldi.
»Ich habe mich entschlossen, doch meinen runden Geburtstag zu feiern. Richtig groß zu feiern.«
»So? Davon hast mir noch nichts gesagt, Mutter!«
»Das wollte ich hiermit tun! Ich habe mich heute nacht erst dazu entschlossen. Deshalb bin ich heute morgen so früh aufgewesen. Die Einladungen sind fertig. Ich habe sie am Computer entworfen und schon alle ausgedruckt.«
Rosel Roßbacher stand auf. Sie ging ins Büro und kam kurz darauf mit einer Einladung zurück. In Schreibschrift stand auf einem Briefbogen mit dem Wappen des Roßbacher Hofes:
Liebe Freunde und Nachbarn!
Vor wenigen Tagen feierte ich im engsten Familienkreis meinen fünfzigsten Geburtstag.
Jetzt möchte ich mit Euch feiern.
Ich lade Euch alle herzlich ein zu einer großen Feier auf dem Roßbacher Hof. Ich freue mich auf Euer Kommen.
Rosel Roßbacher
»Mutter, da steht kein Datum und keine Uhrzeit drauf!«
»Richtig! Die füge ich auf einem zweiten Blatt bei. Das können sie dann zurückschicken, wenn sie zusagen. Wir müssen ja schließlich wissen, wer kommt. Du nimmt drei Einladungen mit auf die Berghütte, eine für den Alois, eine für Toni und Anna mit den Kindern und eine für Tina Seidler.«
»Meinst, sie kommt?«
»Das liegt ganz bei dir, Poldi! Ich erwarte, daß du sie dazu überreden kannst. Ich bin bei den Bollers einkaufen gewesen. Ich habe mir die Tina angeschaut. Bub, die Tina ist wirklich ein herziges Madl. Sie gefällt mir.«
»Das freut mich, Mutter!«
Poldi lächelte seine Mutter an.
»Dann will ich mal mein Glück versuchen.«
Rasch aß Poldi zu Ende. Dann schwang er sich in seinen Geländewagen und fuhr hinauf zur Oberländer Alm.
Er parkte auf der Wiese hinter der Almhütte. Es standen schon viele Autos da.
»Grüß dich, Poldi! Willst auch rauf auf die Berghütte! Da wird’s heute voll sein! Ich glaub’, der Toni schenkt Freibier aus. Mei, sind die Leut’ gerannt heute.«
Poldi lachte.
»Grüß dich, Wenzel! Grüß Gott, Hilda! Der Toni wird kein Freibier ausschenken. Aber es stehen viele Autos hier, des stimmt. Es sind auch viele Autokennzeichen aus Waldkogel dabei.«
»Ein paar Burschen aus deinem Jahrgang sind auch dabei! Ich glaube, die sind alle hinter der Tina her«, grinste Wenzel.
»So? Tina? Wer ist Tina?« fragte Poldi mit einem Unschuldsblick.
»Mei, hast net von dem feschen Madl gehört, des jetzt bei dem Franz Boller arbeitet? Die Tina ist wirklich ein fesches Madl. Sie wohnt beim Toni auf der Berghütte.«
»Was du net sagst, Wenzel. Ein fesches Madl beim Toni?«
»Doch! Du, des wirst selbst schon sehen, wie fesch die Tina ist. Na ja, da kann ich verstehen, daß unter den ledigen Burschen ein regelrechter Wettbewerb ausgebrochen ist. Weißt, Poldi, des ist doch so, der Toni, der hat seine Anna von der Waterkant, der Nordsee – im weiteren Sinn, meine ich. Hamburg liegt an der Elbe, aber die Nordsee ist nimmer weit. Der Toni ist mit seiner lieben Anna sehr glücklich. Flachlandindianerin nennt er sie liebevoll. Die Anna, die ist schon eine tüchtige Hüttenwirtin. Jetzt denken eben einige Burschen, sie könnten mit der Tina auch so einen guten Fang machen. Weil die Tina auch von der Küste kommt. Von der Ostsee stammt sie, verstehst?«
Der alte Wenzel wartete nicht ab, bis Poldi etwas sagte, er sprach gleich weiter:
»Du, Poldi, die Burschen sind ganz narrisch nach dem Madl. Vier sind gestern abend noch aufgestiegen und bis jetzt noch nicht wieder zurück. Die sind über Nacht oben geblieben. Schade, daß ich schon so alt bin. Sonst wäre ich auch raufgewandert. Des Balzen hätte ich mir nicht entgehen lassen. Des muß interessant sein, des zu beobachten. Und du willst deswegen nicht rauf?«
»Die Mutter schickt mich! Sie hatte Geburtstag. Wir haben alleine gefeiert. Abends sind wir in Waldkogel gewesen im Theater. Der Schwank war schön. Nun hat sich die Mutter entschlossen, doch eine Feier zu machen. Der Alois war mit dem Roßbacher Großvater befreundet. Ich bringe die Einladung hinauf. Toni, Anna und die Kinder sind auch eingeladen. Die
sind ja alle zusammen wie eine Familie.«
»Alle werden nicht kommen. Sie können die Berghütte nicht schließen, nur weil deine Mutter feiert. Jemand muß oben bleiben!«
»Ja, des ist zu bedenken. Aber das werden Toni und Anna entscheiden müssen. Ich gehe dann! Grüß dich, Wenzel! Grüß dich, Hilda!«
Poldi machte sich auf den Weg. Er rannte fast den ganzen Weg hinauf. Sein Herz schlug bis zum Hals. Er dachte nur an Tina. Was bin ich für ein Narr, sagte er sich. Wie kann ich mir nur einbilden, nur mir wäre Tina aufgefallen? Ich Rindvieh! Ich Hornochse! So schalt er sich.
Er verstand die Beweggründe. Schließlich gab es in Waldkogel noch viele Höfe, auf denen der Hoferbe eine Frau suchte. Poldi war klar, daß die Anregung bestimmt von den Müttern ausging. Sie kauften alle beim Franz Boller ein. Sie mußten alle Tina, die schöne, die liebliche, die wunderbare, die einmalige Tina gesehen haben. Also haben sie ihre Söhne dorthin geschickt, überlegte er.
Jetzt erinnerte er sich. Es war schon auffällig, wie viele Burschen in Waldkogel in dieser Woche neue Lederhosen trugen. Die müssen alle bei Bollers eingekauft haben.
Fast atemlos erreichte Poldi die Berghütte. Obwohl es schon später Vormittag war, waren nur wenige Hüttengäste anwesend. Poldi schaute sich auf der Terrasse um. Er sah keine bekannten Gesichter. Dann betrat er die Berghütte. Auch im Wirtsraum der Berghütte sah er niemanden, den er kannte. Zunächst war er erleichtert.
»Grüß Gott, Poldi!«
»Grüß Gott, Toni!«
Die beiden Männer schüttelten sich die Hand.
»Sag mal, Toni, warum ist’s so leer? Also drunten beim Wenzel und der Hilda hinter der Almhütte, da kannst die Autos bald stapeln. Ich dachte, hier ist kein Stehplatz mehr frei. Ich dachte, ich treffe ein paar aus meinem Jahrgang. Der Wenzel hat mir erzählt, es wären einige hier?«
Toni schmunzelte.
Er bat Poldi in die Küche.
»Wir müssen uns hier unterhalten! Die Anna und ich haben viel Arbeit.«
Anna stand am Herd und rührte in einem großen Topf. Der alte Alois saß am Tisch und schnitt Speck in kleine Würfel. Er grüßte Poldi.
»Bist ein fescher Bursch geworden, Poldi! Ich habe dich schon lange nimmer gesehen. Wie geht es deiner Mutter?«
»Danke gut, Alois! Sie hat mich raufgeschickt, um dir etwas zu geben, persönlich. Ja, persönlich, weil du doch mit dem Großvater eng befreundet warst. Für euch habe ich auch etwas!«
Poldi griff in die Innentasche seines Lodenjankers aus feinstem Tuch mit echten Hirschhornknöpfen und Seidenfutter. Er nahm drei Briefumschläge heraus. Einen gab er Alois, den anderen Toni.
Sie lasen.
»Poldi! Deine Mutter feiert! Des ist des erste Mal, daß sie einladen tut. Des ist ja fast ein kleines Wunder. Also, sag’ ihr, daß ich komme!«
»Des ist schön, Alois. Das wird die Mutter sicher freuen. Sie hat mir aufgetragen, erst wieder runterzukommen, wenn ich von euch allen die Zusage habe. Wie steht es mit euch?«
Toni rieb sich das Kinn.
»Wer soll die Berghütte bewirtschaften, wenn wir alle fort sind?«
Toni dachte laut nach.
Sebastian, der dabei stand, wußte sofort die Antwort.
»Des kann die Tina machen, die hilft dir doch schon oft abends in der Küche, Anna.«
Noch bevor Toni und Anna oder der alte Alois etwas dazu sagen konnten, platzte Poldi heraus:
»Naa! Die Tina wird des bestimmt net machen! Die Mutter will des net! Sie hat die Tina auch eingeladen. Hier, des ist die Einladung für die Tina! Darauf legte die Mutter großen Wert.«
»Will sie dich mit der Tina verheiraten?« lachte Sebastian.
»Basti! Was soll das? Gehe in dein Zimmer!« sagte Toni streng. »Sei net so vorlaut.«
»Net so streng mit dem Buben, Toni! Er hat es bestimmt nicht so gemeint. Außerdem, wie sagt der Volksmund: Betrunkene und Kinder sagen die Wahrheit. Der Wenzel hat mir erzählt, es sei ein regelrechter Wettbewerb ausgebrochen um die Tina. Stimmt des?«
Der alte Alois grinste.
»Mei, des kannst laut sagen, Poldi! Des hättest gestern abend beim Hüttenabend erleben sollen. Wir haben Musik gemacht und die Tina, die mußte mit allen tanzen. Des arme Madl ist net zum Sitzen gekommen.«
Toni, Anna und der alte Alois sahen, wie sich Poldis Gesichtsfarbe änderte.
»Und? Und dann?«
Der alte Alois schüttelte den Kopf.
»An Verehrern fehlt es der Tina nicht, aber die hat sich alle vom Hals gehalten. Zur Enttäuschung der Burschen ist sie ganz früh in ihre Kammer und hat den Bello mitgenommen.«
»Als Wachhund!«
»Richtig, Poldi! Als Wachhund!«
Poldi Roßbacher sah sich um.
»Den Bello sehe ich nicht…«
»Der bewacht die Tina!« warf Sebastian dazwischen.
Poldi drehte den Briefumschlag mit Tinas Einladung verlegen in den Händen. Toni sah, daß Poldi noch etwas auf dem Herzen hatte. Er schickte Sebastian hinaus. Ein Gast hatte gerufen.
Poldi drehte sich um. Er griff nach der offenen Küchentür und schloß sie.
»Toni! Anna! Alois! Also, ich bitte euch! Regelt das irgendwie, daß des klappt, daß die Tina zum Fest kommt! Es liegt mir sehr viel daran! Bitte!«
Die drei sahen sich an und schmunzelten.
»Wir werden unser Bestes tun, Poldi! Aber Zwang können wir nicht ausüben, des mußt schon verstehen«, schmunzelte Toni.
Poldi zog sich einen Stuhl heran und setzte sich. Der alte Alois holte Poldi einen Enzian.
»Scheint dich erwischt zu haben, Poldi?«
»Mmm! Scheint so!«
Poldi trank das Glas leer.
»Wo ist die Tina? Ist sie hier?« fragte Poldi. »Ich will mit ihr reden. Ihr die Einladung übergeben.«
»Die Tina ist nicht hier!« sagte Toni.
Toni, Anna und der alte Alois warfen sich Blicke zu. Dann erklärte Toni:
»Die Burschen gestern abend versuchten immer wieder die Tina zu einer gemeinsamen Wandertour zu überreden. Aber sie wollte nicht. Sie waren wirklich sehr aufdringlich. Da haben wir uns einen Trick einfallen lassen. Die Tina blieb auf ihrem Zimmer, bis sie alle fort waren. Den Burschen haben wir weisgemacht, daß die Tina noch vor Sonnenaufgang alleine aufgebrochen ist. Wohin? Da haben wir so getan, als wüßten wir es nicht. Wir sagten, wir vermuteten, sie wollte hinauf in den ›Paradiesgarten‹. Jetzt versuchen sie alle, Tina unterwegs einzuholen. Die Tina ist aber hier ganz in der Nähe. Sie will nur ihre Ruh’ haben. Die Burschen waren wirklich aufdringlich gestern abend.«
»Wo ist sie?«
Toni schüttelte den Kopf.
»Laß es sein, Poldi! Ich gebe der Tina den Brief. Wir werden alles versuchen, daß sie kommt. Und wenn sie hierbleibt, dann muß deine Mutter eben alleine feiern. Du kannst ja derweil herauf auf die Berghütte kommen…«
»Mei, des ist gar keine schlechte Idee! Aber es wäre mir schon lieber, wenn die Tina zu uns auf den Hof käme.«
Anna berührte Tonis Hand.
»Toni, ich hab’s! Wir sagen der Tina nicht, daß sie eingeladen als Gast ist. Poldis Mutter hat viel Arbeit mit den Vorbereitungen. Da könnte Tina ihr doch helfen, als Aushilfe, wie bei den Bollers. Tina kann eine Nacht bei deinen Eltern in der Pension schlafen. Dann kann sie morgens schon früh auf dem Roßbacher Hof sein. Wenn ich sie darum bitte, dann macht Tina das. Ich regele das schon!«
»Danke, Anna! Ja, da kann ich nur hoffen!«
Poldi verabschiedete sich. Er nahm aber nicht den Weg, der von der Berghütte hinunter zur Oberländer Alm führte. Er ging den Bergpfad hinauf, der zum »Erkerchen« führte und später auf den »Pilgerpfad« mündete. Dieser Weg hinunter nach Waldkogel war ein Umweg. Aber das kam Poldi gerade recht. Er wollte alleine sein und nachdenken.
*
Poldi sah schon von weitem, daß eine Gruppe Wanderer die Aussicht vom »Erkerchen« aus genoß. Er wollte vorbeigehen. Da fiel ihm eine junge Frau auf, die etwas abseits der Gruppe stand. Poldi blieb stehen. Er betrachtete die junge Frau genauer. Er sah sie nur im Profil.
Poldi ging auf sie zu und stellte sich neben sie.
»Grüß dich, Tina!«
Tina fuhr zusammen. Sie errötete.
Poldi lächelte sie an.
»Hab’ ich dich erschreckt? Des wollte ich net. Des ist bestimmt nicht meine Absicht gewesen.«
»Poldi?« sagte Tina leise mit einem sehr verwunderten Unterton in der Stimme.
»Mei, Madl! Schau net so! Ich bin es wirklich. Ich bin kein Geist. Keine Luftspiegelung, wie es sie selten in den Bergen gibt.«
Tina hielt sich mit beiden Händen am Geländer fest. Sie schaute Poldi nicht an.
»Was machst du hier?«
Poldi lächelte sie an.
»Ich habe eine Wanderung gemacht. Bin auf der Berghütte gewesen.«
»Haben dir Toni und Anna verraten, daß ich hier bin?« fragte Tina dazwischen.
»Naa! Keine Sorge. Sie sagten nur, du seist ganz in der Nähe. Jetzt finde ich dich hier. Des ist ein schöner Zufall. Ist der Bello auch hier? Ich sehe ihn nicht.«
»Bello ist dort! Der Mann hat eine Hündin. Die scheint dem Bello zu gefallen. Schau, er weicht nicht von ihrer Seite.«
»Das ist auch eine besonders schöne Hündin. Die Jagdhündin hat ein schönes braunes Fell.«
»Ja, das hat sie!«
Tina ging zu Bello und nahm ihn an die Leine.
»Das ist aber nicht nett, Tina! Laß ihm doch die Freude«, sagte Poldi.
Tina schwieg. Sie setzte sich auf die Bank, ganz rechts außen. Sie legte einen Arm auf die Armlehne. Sie forderte Bello auf, neben ihr auf der Bank Platz zu machen. Bello ließ sich das nicht zweimal sagen. Er ließ sich nieder und legte seinen großen Kopf auf Tinas Schoß. Tina kraulte ihm das Fell.
Das hat sie mit Absicht gemacht, dachte Poldi. Sie will nicht, daß ich ihr zu nah komme. Aber leiden kann sie mich schon, sonst wäre sie nicht rot geworden. Sonst wäre Tina nicht so verlegen, überlegte Poldi.
Die Wandergruppe brach auf. Poldi wartete, bis sie außer Hörweite waren. Dann fragte er:
»Hast etwas dagegen, wenn ich mich einen Augenblick zu dir setze?«
Tina zuckte mit den Schultern. Doch sie schubste Bello nicht von der Sitzbank. So blieb Poldi nichts anderes übrig, als sich ans äußerste andere Ende der Bank zu setzen.
»Gehst oft hierher?« fragte er.
»Ja! Meistens bin ich hier alleine. Auf der Berghütte sind sehr viele Leute. Das ist ja auch gut so für Toni und Anna. Aber mir ist es oft zuviel. Sicherlich könnte ich in der Kammer bleiben. Aber das wäre doch schade. Die Berge sind so wunderschön. Diese Aussicht! Der sanfte Wind! Der Duft nach Gras und Tannen! Das ist für dich vielleicht nichts Besonderes. Aber ich kenne nur das Meer. Dort riecht es nach Salz und Schlick. Es weht ständig ein starker Wind. Meistens ist er recht kühl. Das Meer am Abend ist schön, wenn sich die Wellenkämme im Abendrot rosa färben. Aber die Berge hier, das ist eine ganz andere Schönheit. Sie ist nicht schöner als das Meer. Ich will nicht vergleichen, was schöner ist. Es ist anders. Für mich ist das eine neue Erfahrung. Ich beobachte gern die Adler, wenn sie hoch oben kreisen. Sie strahlen so eine wunderbare Ruhe aus. Die Möwen sind sehr lebhaft und kreischen. Bist du schon einmal am Meer gewesen, Poldi?«
»Naa! Ich war noch nie am Meer. Ich habe noch nie Urlaub gemacht. Selbst während des Studiums bin ich jedes Wochenende heimgefahren. Ich wollte der Mutter helfen. Es ist nicht leicht für sie gewesen.«
Poldi schwieg eine Weile. Tina schwieg und kraulte Bello dann weiter.
»Die Mutter war bei Bollers einkaufen, hat sie mir erzählt. Sie kennt dich, Tina. Sie findet dich sehr nett.«
»Danke! Ich finde deine Mutter auch sehr freundlich. Hatte sie jetzt schon Geburtstag?«
»Ja!«
»Sie schaut sehr jung aus für ihr Alter. Sie wirkt eher wie eine ältere Schwester von dir, nicht wie deine Mutter.«
»Ja, des stimmt. Man sieht ihr die fünfzig Jahre nicht an.«
»Die beiden Dirndl haben ihr gefallen?« fragte Tina.
»Ja, das eine hat ihr sehr gut gefallen, das grüne Dirndl mit dem bunten Schultertuch. Sie war sehr überrascht über meine gute Wahl. Das hat sie mir nicht zugetraut. Ich gestand ihr, daß du mich beraten hast.«
Als könnte Poldi Tinas Gedanken lesen, sagte er:
»Jetzt denkst du an das rosa Dirndl, stimmt’s?«
Tina schaute ihn kurz an und lächelte.
»Die Farbe steht Mutter nicht so gut. Das habe ich mir schon gedacht, als du es mir im Laden gezeigt hast. Zu dir hat es gepaßt. Es sah perfekt aus.«
»Ich habe das Kleid nur vorgeführt!«
»Das weiß ich, aber ich muß dir jetzt etwas gestehen, Tina! Ich habe das Dirndl nicht für meine Mutter gekauft. Ich kaufte es in der Absicht, daß du darin mit mir ausgehst. Wie wäre es damit?«
Tina schaute Poldi mit großen Augen an.
»Was…was… was heißt das?«
»Das war eine Einladung. Hast du das nicht verstanden?«
Tina streichelte Bello den Rücken.
»Glaubst du, du kannst mich verführen, mit dir auszugehen, wenn du mir das Dirndl… gibst? Poldi, ich bin nicht verführbar. Nicht für ein Dirndl und auch nicht durch etwas anderes. Vielleicht kannst du es bei Bollers zurückgeben. Soll ich mit Franz Boller sprechen? Ich kann sagen, daß es deiner Mutter nicht gefallen hat.«
»Mei, Tina! Schau! Ich muß immer und immer wieder an dich denken, seit wir uns in Bollers Laden begegnet sind. Geht es dir nicht auch so?«
Tina antwortete nicht.
»Du sagst nichts! Das bedeutet ›ja‹?«
»Sagen wir ›jein‹. Ich denke nach der Arbeit oft noch an meine Kunden, und du bist mein erster Kunde gewesen. So denke ich an dich!«
»Nicht mehr?«
Tina schwieg erneut.
»Also leugnen tust du es nicht. Das freut mich! Tina, ich möchte dich gern näher kennenlernen. Du gefällst mir. Nimm doch bitte das Dirndl als Geschenk.«
»Ein solches Geschenk bringt Verpflichtungen mit sich. Ein solches Andenken an die Zeit in Waldkogel möchte ich nicht.«
»Klingt, als wolltest du wieder fort.«
»Das will ich auch, Poldi. Schau, ich habe hier nur Urlaub gemacht. Dann hat es sich ergeben, daß ich bei Bollers im Laden aushelfen konnte. Auf diese Weise bin ich schon länger geblieben als ich vorhatte. Veronikas Genesung schritt doch langsamer voran, als alle angenommen haben.«
»Du konntest deinen Urlaub einfach so verlängern?«
Tina schüttelte den Kopf. Sie erzählte Poldi, daß sie zu ihrer alten Arbeitsstelle nicht mehr zurückkehren konnte, weil es diese nicht mehr gibt.
»Dann bist eigentlich arbeitslos gewesen!«
»Richtig! Deshalb wollte ich erst nur zwei Wochen bleiben. Weil ich auch Zeit brauche, mir Arbeit zu suchen. Dann hat sich die Chance bei Bollers ergeben.«
»Die können dich nicht behalten, wie? Oder sie wollen dich nicht anstellen?«
Tina lächelte.
»Doch, das würden sie schon. Ich will nicht. Ich habe eingesehen, daß es nicht gut für mich wäre, länger in Waldkogel zu bleiben.«
Poldi rieb sich das Kinn. Er brachte die Einzelheiten aus Tinas Erzählung nicht zusammen. Es kam ihm vor, als stehe er vor einem großen Haufen
Puzzlestücken, die nicht zusammen gehörten. Da war Tinas ehrliche Begeisterung für die Berge. Trotzdem wollte sie nicht bleiben, auch nicht noch eine Weile. Sie war arbeitslos. Bollers boten ihr einen Arbeitsplatz. Doch Tina wollte ihn nicht. Sie wollte nicht einmal ein Andenken an Waldkogel mitnehmen. Zugegeben, vielleicht war das Geschenk etwas groß. Ich stelle mich auch wirklich ungeschickt an, überlegte Poldi. Warum sage ich ihr nicht einfach, daß ich mich in sie verliebt habe? Auf der anderen Seite geht Tina deutlich auf Abstand zu mir. Sie plaziert nicht ohne Grund Bello zwischen uns, überlegte er.
Poldi stand auf. Er trat vor Tina hin. Er schaute ihr in die Augen.
Tina wollte seinem Blick ausweichen. Sie schaffte es nicht. Welch wunderschöne Augen er hat. Sie sind blau wie das Meer, dachte sie. Tina spürte, wie ihr Herz klopfte.
»Tina! Höre mir mal zu! Ich möchte dir so viel sagen. Aber dazu möchte ich dir etwas näher sein… Nicht, wenn Bello neben dir hockt. Tina, du gefällst mir sehr! Du hast mir vom ersten Blick an gefallen. Ich kann mir net denken, daß du des net bemerkt hast. Daß ich dir auch gefalle, des kannst net leugnen.«
Tina öffnete den Mund. Sie wollte etwas sagen.
»Naa, Tina! Jetzt hörst mir zu! Es gibt nur zwei Möglichkeiten. Entweder du gibst uns eine Chance, daß wir uns näher kennenlernen. Dann können wir uns entscheiden… so oder so! Oder du verläßt Waldkogel! Dann wirst du dich ein Leben lang fragen: War es richtig? Schau, ich will dir das Dirndl nicht aus Berechnung geben. Ich habe dich nur darin gesehen und den Wunsch gehabt, es dir zu schenken. Was ist dabei, jemandem etwas zu schenken? Es macht mir Freude zu sehen, wie du dich freust. Ich meine es ehrlich! Ich will dich nicht mit großen Gefühlen überfallen. Ich bin vielleicht nicht so, wie andere Burschen sind. Ich bin nicht gut im Verführen. Ich gehe sehr vorsichtig mit den Gefühlen anderer Menschen um. Das hängt damit zusammen, daß ich keinen Vater habe. Sicherlich weißt du, daß meine Mutter nie geheiratet hat.«
»Der alte Alois hat mir die Geschichte erzählt!«
»Gut! Dann weißt du alles. Dann muß ich sie dir nicht erzählen. Tina, die Madln laufen mir nach. Sie fliegen auf mich wie die Motten zu einer Lichtquelle. Ich kann nichts dafür. Vielleicht denken sie, daß ich so bin wie mein Vater, der wohl ein schändliches Doppelleben führte und kein Madl zurückweisen konnte. Tina, so bin ich nicht. Das wollte ich dir sagen. Also, um alles, was ich dich bitte, ist, daß wir einmal zusammen ausgehen. Wir könnten zusammen nach Kirchwalden fahren. Wir könnten tanzen gehen. Wir könnten essen gehen. Wir könnten dann reden. Ich will, daß du mich kennenlernst. Ich will, daß du dir ein eigenes Bild von mir machst. Ich will nicht, daß du glaubst, was über mich erzählt wird.«
»Was denkst du denn, was über dich erzählt wird?«
»Nun, daß ich ein großes Auto fahre, der reiche Erbe bin, daß ich mich nicht binden will, weil ich zur Hälfte der Sohn meines Vaters bin. Selbst über Untreue würden viele Madln beim Bankkonto des Roßbacher Hofes hinwegsehen. Aber ich will, daß man mir glaubt, ich bin treu.«
Poldi atmete durch.
»Tina, wenn du in einem Blumenladen gearbeitet hättest, dann hätte ich einen Eimer Rosen gekauft, bezahlt und sie dir geschenkt. Ich habe dich gesehen und mir gewünscht, dich jeden Tag zu sehen. Dann sah ich dich im rosa Dirndl. Also will ich dir das Dirndl geben. In Gedanken sah ich dich an meiner Seite auf dem Roßbacher Hof im schönen Dirndl. Ich träumte davon, mit dir auszugehen. Mei, Tina, nun sage doch etwas! Ich spüre, ich weiß doch, daß ich dir nicht einerlei bin.«
»Poldi, du bist mir nicht einerlei. Es wäre gelogen, wenn ich es leugnen würde.«
Poldi strahlte.
»Dann kann ich hoffen? Wann paßt es dir, daß wir uns sehen?«
Tina schüttelte den Kopf.
»Es soll vorkommen, daß sich zwei Menschen mögen und es doch besser ist, sie kommen nicht zusammen.«
»Mei, Tina! Was soll des jetzt heißen?«
»Das soll heißen, daß ich weiß – nein – besser, daß ich gelernt habe, daß man nicht nur den Burschen ansehen muß, wie man hier in den Bergen sagt. Jeder Bursche hat auch eine Familie. In deinem Fall ist es deine Mutter! Sie weiß immer genau, was sie will. Sie handelt danach. Ich denke nicht, daß ich ein Madl bin, wie sie es sich vorstellt. Das schließe ich aus Andeutungen deiner Mutter, als sie bei mir im Laden war.«
Poldi legte die Stirn in Falten.
»Tina, des kann net sein. Ich habe mit der Mutter über dich gesprochen. Sie weiß auch, daß ich dir des Dirndl gern geben würde. Sie freut sich, daß ich mich endlich fest für ein Madl interessiere. Tina, das muß ein Irrtum sein.«
»Poldi, ich habe mich nicht geirrt.«
Poldi schüttelte den Kopf. Er schaute Tina ernst an.
»Tina! Das muß sich doch klären lassen. Kann ich dir wenigstens einen Vorschlag machen?«
»Sich weigern, einen Vorschlag anzuhören, wäre sehr unhöflich. Also, wie lautet dein Vorschlag?«
Poldi räusperte sich. Dann gab er Bello einen Klaps und jagte ihn von der Bank herunter. Das geschah so schnell, daß Tina nicht reagieren konnte. Poldi setzt sich neben Tina.
Er erläuterte ihr seinen Plan. Tina würde noch mindestens eine Woche bei den Bollers arbeiten, vielleicht auch zwei. Es war doch sehr anstrengend und zeitraubend, jeden Tag von der Berghütte ins Tal nach Waldkogel und zurück zu wandern.
»Sebastian und Franziska machen das auch!« warf Tina ein.
Doch der junge Roßbacher überhörte diesen Einwand bewußt. Er schlug vor, daß Tina die nächste Zeit auf dem Roßbacher Hof wohnen sollte.
»Wir haben ein riesiges Bauernhaus. Es ist für Mutter und mich eigentlich viel zu groß. Du wirst es sehen.«
Poldi wollte, daß sich Tina auf diese Weise selbst ein Bild machen konnte. Gästezimmer gab es genug. Morgens könnte sie wie gehabt in Bollers Trachten- und Andenkenladen arbeiten. Mittags und abends könnte sie die Zeit mit ihm und seiner Mutter verbringen und den Hof kennenlernen.
»Du kannst dir dann selbst ein Bild machen, Tina! Du wirst erkennen, daß es deinerseits ein Irrtum war. Ich könnte es dir ja noch tausendmal erklären. Du würdest mir nicht glauben. Deshalb möchte ich, daß du meinen Vorschlag annimmst. Ich bin da genauso wie meine Mutter. Sie redet nicht viel. Sie handelt. Also, nimmst du meinen Vorschlag an?«
Tina stand auf. Sie kniete sich neben Bello, der es sich auf dem Boden bequem gemacht hatte. Sie griff nach der Leine, stand auf und schaute Poldi an.
»Ich werde ernsthaft über deinen Vorschlag nachdenken.«
»Wann bekomme ich eine Antwort?«
»Das wirst du sehen, wenn ich da bin… oder ich komme nicht.«
Tina wandte sich an Bello.
»Wir gehen zurück, Bello! Komm!«
Tina drehte sich noch einmal um. Sie schaute Poldi an. Sie lächelte.
»Poldi, es war ein fairer Vorschlag! Wirklich fair! Laß mich darüber nachdenken! Vielleicht solltest du jetzt auch heimgehen und mit deiner Mutter sprechen, daß du mich eingeladen hast, ein Weile euer Gast zu sein. Sage ihr bitte nichts von meinen Äußerungen, sonst kann ich die Wahrheit nicht herausfinden.«
»Gut! Auch wenn es mir schwerfällt. Ich verspreche es dir. Normalerweise bereden Mutter und ich alles! Doch ich komme deinem Wunsch nach!«
»Danke, Poldi!«
Sie lächelten sich zu. Poldi ging auf Tina zu. Er griff nach ihrer freien Hand. In der anderen hielt Tina Bellos Hundeleine. Poldi hielt Tinas Hand ganz fest. So standen sie sich stumm gegenüber und sahen sich in die Augen. Ihre Herzen schlugen. Ihre Blicke sagten so viel, was ihre Lippen noch verschwiegen.
Tina entzog Poldi sanft ihre Hand. Sie drehte sich um und ging fort. Poldi sah ihr nach, bis sie aus seinem Blick verschwunden war.
Dann setzte er sich auf die Bank. Er lehnte sich zurück und schaute in die Ferne. Die Sonne stand jetzt hoch am Himmel. Es war Mittag. Von Wandkogel herauf erklang das Mittagsläuten der Glocken auf dem Kirchturm der schönen Barockkirche.
Poldi träumte, wie er mit Tina an seiner Seite im Brautkleid durch den Mittelgang zum Altar schritt. Er träumte davon, daß sie jeden Mittag beim Mittagsläuten mit am Tisch auf dem Roßbacher Hof saß. Er träumte davon, daß sich im Laufe der Jahre immer mehr Esser am Tisch einfinden würden, ihre geliebten Kinder. Poldi träumte, wie schön das Leben mit Tina sein würde.
Poldi hob seine Augen hinauf zum Gipfel des »Engelssteigs«.
»Hört mal da oben! Des war schon eine gute Leistung von euch, mir die Tina von der Ostsee herunterzubringen. Aber damit ist eure Aufgabe noch net ganz fertig. Des Madl muß bleiben! Bleiben in Waldkogel! Einziehen auf dem Roßbacher Hof. Bleiben als mein Madl! Ich will net undankbar sein. Doch ihr müßt schon noch etwas tun. Als Dank dafür rede ich mit der Tina. Unser erstes Madl, dem geben wir den Namen Angelina«, flüsterte Poldi ganz leise und voller Hingabe.
Dann stand er auf und machte sich auf den Heimweg.
*
Toni, Anna und der alte Alois wunderten sich, daß Tina mit Bello an der Leine zurückkam.
»Warum hast du ihn angeleint? War er net folgsam?«
Tina hatte nicht mehr daran gedacht, Bello die Leine abzunehmen. Sie war in Gedanken ganz bei Poldi gewesen. Er hatte so viel zwischen den Worten gesagt. Er hatte ihre Hand gehalten. Sie hatten sich in die Augen geblickt.
Doch darüber wollte Tina jetzt nicht sprechen. So sagte sie:
»Da war eine hübsche braune Jagdhündin beim ›Erkerchen‹, die hat den Bello nicht aus den Augen gelassen. Er saß nur neben ihr.«
»Dann hast du ja interessante Stunden gehabt, Tina!«
Tina lächelte und betrachtete dabei Bello. Innerlich bat sie Bello um Verzeihung, daß sie ihn als Ausrede gebrauchte.
Tina ging erst einmal in ihre Kammer. Sie machte sich frisch und zog sich um. Dann ging sie zu Anna in die Küche.
»Schaust gut aus, Tina! Es ist schön am ›Erkerchen‹, nicht wahr?«
»Ja, aber es ist Sonntag. Es kamen sehr viele Wanderer vorbei. Zum Glück blieben sie nicht lange. Und wie war es hier? Ist nicht so voll, wie ich gedacht hatte.«
»Nein, es ist nicht so voll heute. Dafür wird es am Abend bestimmt sehr voll werden. Es ist herrliches Wetter heute. Es ist nicht zu heiß und auch nicht zu frisch. Kurz, ideales Wanderwetter.«
»Ja, das stimmt. Dann werden die Burschen auch eine schöne Zeit oben im ›Paradiesgarten‹ haben«, kicherte Tina.
Anna lachte.
»Die sind nicht bis ganz raufgegangen! Sie sind auf halber Strecke umgekehrt.«
»Wo sind sie jetzt?« fragte Tina erstaunt.
»Sie haben wohl eingesehen, daß sie bei dir keine Chancen haben.«
Anna warf einen Blick auf die Wanduhr.
»Sie sind vielleicht schon auf der Oberländer Alm angekommen, Tina. Du kannst also ganz beruhigt sein. Heute abend wird dich niemand belästigen.«
Anna richtete zwei Stück Apfelkuchen und zwei Becher Milchkaffee auf einem Tablett her. Toni holte es ab und brachte es hinaus auf die Terrasse.
Anna sah Tina nicht an, als sie sagte:
»Wir hatten Besuch! Stell dir vor, der Poldi Roßbacher war hier. Er überbrachte uns und Alois die Einladung seiner Mutter. Die Rosel Roßbacher feiert jetzt doch groß ihren fünfzigsten Geburtstag. Toni hat schon mit Leo telefoniert. Er ist bei der Bergwacht. Er ist ein wirklich guter Freund. Er vertritt uns hier. Die Einladung auf den Roßbacher Hof, die wollen wir uns nicht entgehen lassen. Übrigens, die Roßbacherin hat viel Arbeit mit dem Vorbereitungen. Ich dachte mir, vielleicht willst du ja am Nachmittag bei ihr aushelfen, nach der Arbeit bei den Bollers.«
»Hast du das mit Poldi beredet?« brachte Tina sofort vor.
»Tina, schätzt du mich so ein?« wich Anna Tinas Frage aus. »Das mußt du ganz alleine entscheiden. Du wirst allerdings dann oft in Poldis Nähe sein. Die Roßbacherin hat den Ruf, daß sie weit überdurchschnittlichen Lohn zahlt. Du könntest dir ein gutes Stück Geld dazu verdienen. Überlege es dir. Es ist nur so eine Idee von mir. Du mußt alleine entscheiden, Tina!«
Tina holte tief Luft.
»Anna, was gibt es da noch zu entscheiden. Poldi hin oder her! Verdienst ist Verdienst. Ich gehe! Wann ist die Feier?«
Anna gab Tina die Einladung zu lesen, die sie und Toni erhalten hatten.
»Gut! Hast du eine Idee, wieviel Personen kommen?«
»Wenn in Waldkogel auf einem Hof ein Fest gefeiert wird, dann kommen alle. Alle echten Waldkogeler sind eingeladen.«
»Das wird viel Arbeit geben!«
»Das wird es! Dann sollte ich bald mit der Roßbacherin sprechen. Am besten bald. Hoffentlich empfindet sie es nicht als aufdringlich, wenn ich mich anbiete, Anna. So wie ich dich verstanden habe, war es bisher nur eine Idee, Anna – deine Idee. Aber ich vertraue dir. Die Arbeit bei den Bollers hast du ja auch gut eingefädelt.«
Anna war über Tinas Sinneswandel doch etwas erstaunt. Sie äußerte sich aber nicht dazu.
»Gut, dann werde ich später die Roßbacherin anrufen und mit ihr reden, wenn es dir recht ist, Tina!«
»Ja! Wenn du meinst, daß du sie heute am Sonntag fragen kannst?«
Anna schaute wieder zur Uhr.
»Ich rufe sie nicht gleich an. Heute abend zur Vesperzeit, da ist sie bestimmt daheim. Beim Angelusläuten am Abend wird am Sonntag pünktlich gegessen. Während der Woche kann es schon mal später werden auf den Höfen. Wenn das Wetter schön ist, dann bleiben die Bauern auf den Feldern, bis es fast dunkel ist.«
»Du mußt es wissen, Anna! Wenn sie einverstanden ist – ich meine grundsätzlich –, dann gehe ich vorbei und wir bereden die Einzelheiten.«
Anna schaute Tina nach, wie sie nach draußen auf die Terrasse ging. Anna schüttelte den Kopf. Toni betrat die Küche und sah es.
»Du schaust sehr verwundert aus, Anna! Gab’s was mit der Tina? Die schaut auch so seltsam aus. Die ist eben an mir vorbeigegangen und hat durch mich hindurchgesehen. Die war gar net wirklich hier in der Wirklichkeit mit ihren Gedanken. Des Madl ist wie in Trance gewesen.«
»Toni, ich habe mit Tina über die Hilfe auf dem Roßbacher Hof geredet, wie ich es vorhatte. Sie war sofort einverstanden. Toni, das ging mir fast zu schnell. Da machen wir uns Gedanken, wie wir die Tina auf den Roßbacher Hof bringen und sie stimmt meinem Vorschlag einfach zu.«
»Hast du ihr erzählt, daß sie auch eingeladen ist?«
»Toni! Liebster Toni! Wo denkst du hin? Kein Wort davon kam über meine Lippen. Ich muß die Roßbacherin später anrufen.«
Toni nahm seine Anna in den Arm.
»Mich wundert es nicht. Die Tina ist doch in den Poldi verliebt. Also, was liegt näher, als die Gelegenheit wahrzunehmen, etwas zu tun, um in seiner Nähe zu sein.«
Toni hielt seine Anna ganz fest und küßte sie.
»Liebste Anna, darf ich dich daran erinnern, daß du gleich die ganze Berghütte finanziert hast – heimlich – um in meiner Nähe zu sein!«
Toni küßte Anna innig.
»Anna! Liebste Anna! Dem alten Alois kam des damals wie ein Wunder vor, daß er über den guten Pfarrer Zandler des Geld bekommen hat, um seine Berghütte von der Gemeinde wieder zu erhalten. Nur so konnte er sie an uns weitergeben, weiterverkaufen – weiterverpachten. Der alte Alois hat sie uns letztlich einfach überlassen, aus Dankbarkeit, daß er hier bei uns seinen Lebensabend verbringen kann.«
»Gebe der Himmel, daß ihm noch viele Jahre bleiben!«
»Ja, Anna! Gebe der Herrgott dem Alois noch viele schöne und glücklich Jahre auf der Berghütte.«
Anna schmiegte sich an Toni.
»Vielleicht hatte die Tina auch einen Plan und mein Vorschlag paßte gut. Was meinst du, Toni?«
»Ist doch net wichtig! Wichtig ist, daß die Tina auf den Roßbacher Hof kommt. Alles andere wird sich dann fügen – so oder so!«
Toni und Anna wurden vom alten Alois unterbrochen.
»Na, ihr Verliebten! Tut schmusen wie ein junges Liebespaar.«
»Alois, wir sind ein glückliches Liebespaar, auch wenn wir verheiratet sind. Wir verlieben uns jeden Tag neu ineinander.«
»Des ist gut! So muß des auch sein! Leider müßt ihr die Schmuserei jetzt unterbrechen. Da kommt eine große Wandergruppe den Berg herauf. Des sind schätzungsweise dreißig Personen.«
»Mei, dann müssen wir ran! Aufi geht’s, geliebte Hüttenwirtin!«
Bevor Toni hinausging und die ankommenden Hüttengäste begrüßte, gab er seiner Anna noch einen Kuß.
*
Als der Klang des Angelusläutens aus dem Tal heraufschallte, nahm Anna das Handy und verschwand im Schlafzimmer. Von dort aus telefonierte sie ungestört mit dem Roßbacher Hof. Zuerst hatte sie Poldi am Hörer. Sie redeten lange. Jetzt verstand Anna, warum Tina so schnell zugesagt hatte.
Dann gab Poldi den Hörer an seine Mutter weiter, die neben ihm gestanden hatte. Es bedurfte nur einer kurzen Absprache. Dann war alles geklärt.
Anna ging zurück in die Küche. Dort unterstützte Tina Toni tatkräftig beim Kochen.
»Tina, ich habe eben mit der Rosel Roßbacher geredet. Sie ist einverstanden, daß du kommst. Sie findet es auch eine gute Idee. Allerdings ist ein Haken dabei.«
»Welcher?« fragte Tina sofort.
»Sie will alles mit dir bereden. Sie fragt, ob es dir möglich ist, noch heute abend auf den Roßbacher Hof zu kommen? Wenn du willst, könntest du auch dort übernachten.«
»Hört sich gut an!« murmelte Tina.
Sie schaute auf die Uhr.
»Wenn ich gleich losgehe, dann schaffe ist es noch bis zur Dunkelheit, auf dem Roßbacher Hof zu sein.«
»Mußt nur bis zur Oberländer Alm, Tina. Die Rosel Roßbacher hat mich gebeten, sie anzurufen, wenn du losgehst. Sie schickt dann jemanden zur Oberländer Alm und läßt dich dort abholen.«
»Dann gehe ich packen! Viel nehme ich erst mal nicht mit. Meine Kammer will ich auch behalten. Ich zahle auch weiterhin dafür. Ich benötige diese Ausweichmöglichkeit, falls es auf dem Roßbacher Hof nicht so läuft. Ihr versteht?«
Toni und Anna schmunzelten. Sie verstanden Tina.
»Magst net noch eine Stärkung zu dir nehmen, bevor du losgehst?« fragte Toni.
»Dafür habe ich keine Zeit mehr! Und ich bin auch viel zu aufgeregt!«
Tina drehte sich auf dem Absatz um und eilte in ihre Kammer. Binnen weniger Minuten packte sie ihre Sachen in den Rucksack. Der Abschied von Toni, Anna und dem alten Alois war kurz. Sie wünschten ihr alles Gute. Dann ging Tina los. Anna rief auf dem Roßbacher Hof an und sagte Rosel Bescheid.
*
»Grüß Gott! Du mußt des Madl sein, des ich hier abholen soll!« sagte der junge Mann. »Die Roßbacherbäuerin schickt mich. Ich bin dort so etwas, was man früher Großknecht nannte. Ich bin der Alwin!«
»Tina!«
Sie gingen zum Auto. Tina stieg ein. Alwin versuchte ein Gespräch mit Tina zu beginnen. Doch er gab es bald auf. Denn Tina ließ ihn deutlich spüren, daß sie keine Unterhaltung wünschte. Sie war innerlich aufgewühlt. Ihr Herz klopfte. Ihre Hände fühlten sich kalt an.
Sie war froh, als sie den Roßbacher Hof erreichten. Er lag etwas außerhalb des Zentrums von Waldkogel am Südhang der Berge.
»So, da sind wir!« sagte Alwin knapp.
»Da drüben ist die Tür! Findest sie alleine?«
Tina nickte. Sie spürte, daß Alwin ärgerlich war, weil sie nicht mit ihm gesprochen hatte. Sie stieg aus dem Auto. Alwin fuhr das Auto in einen Carport weiter hinten auf dem großen Hof.
Tina blieb auf dem Hof stehen und schaute sich um. Der große gepflasterte Hof war an drei Seiten umbaut. Auf einer Seite stand das mächtige Wohnhaus. Die anderen beiden Seiten waren von niedrigeren Gebäuden begrenzt. Tina schaute an dem Haus hinauf. Es war mehrstöckig. An der Giebelseite erstreckten sich Balkone über die ganze Breite. Das Dach war weit vorgezogen. Das Haus vermittelte trotz seiner Mächtigkeit einen einladenden Eindruck. Entlang der Balkone hing ein Blumenkasten neben dem anderen. Darin blühten Geranien. Die bunten Fensterläden mit der Bemalung hoben sich freundlich von dem Weiß der Mauern ab. Über der mächtigen Eingangstür aus dunklem Holz schmückte eine Malerei die Hauswand. Tina trat näher. Die Malerei zeigte eine Berglandschaft. Auf einem Gebirgspfad zog eine Eselherde den Hang hinauf.
Die Tür ging auf. Rosel Roßbacher kam heraus.
»Grüß dich, Tina! Schön, daß du heute schon gekommen bist.«
»Guten Abend, Frau Roßbacher!«
Tina mußte lächeln und verbesserte sich.
»Grüß Gott! So sagt man hier ja in den Bergen!«
»Hauptsache, es kommt von Herzen!«
Die Bäuerin musterte Tina, die ihre Augen wieder auf das Wappen gerichtet hatte.
»Das ist das Wappen des Roßbacher Hofes. Es ist sehr alt. Viele hundert Jahre alt. Ein Vorfahre hat das Recht bekommen, es zu führen und einen niederen Adelstitel dazu. Damals gab es hier kaum Höfe. Der Roßbacher Hof war eine Zwischenstation auf dem Weg in den Süden. Die Leute rasteten hier, übernachteten, wechselten die Pferde oder mieteten sich Esel für ihre Weiterreise. Das ist lange her. Aber eine kleine Eselherde gibt es immer noch. Die halten wir uns aus Tradition. Arbeiten müssen sie nichts mehr. Sie sind hinten auf der Weide. Du wirst sie schon noch sehen. Komm jetzt mit herein.«
Die Roßbacherin ging vor. Tina folgte ihr. Hinter der Eingangstür lag ein riesiger Korridor. Davon gingen weitere Türen ab. Die hinterste Tür war offen. Es war die Küche.
Die Roßbacherin sah Tinas erstaunte Augen.
»Ja, es ist sehr groß. Da muß ich viel laufen. Schon die Vorfahren hatten die Küche hier. Keine der nachfolgenden Generationen hat daran etwas geändert.«
»Ich liebe große Küchen! Ich finde sie praktisch. Früher spielte sich alles Leben in der Küche ab. Unsere Küche daheim war auch groß. Das war auch gut so. Wir waren immer zusammen in der Küche, meine Eltern und meine Geschwister und ich. Bei schlechtem Wetter spielten wir auch in der Küche. Aber sie war viel kleiner als diese.«
Tina trat zu einer großen Truhe und fuhr mit der Hand über die schwarz glänzende Oberfläche.
»Wunderschön!«
Die Rosel strahlte. Sie trat neben Tina und fuhr sanft mit der Hand über das glänzende Holz.
»Diese Truhe liebe ich besonders. Meine Mutter hatte sie mit hierhergebracht. Da war ihre Aussteuer drin, als sie auf dem Roßbacher Hof eingeheiratet hatte. Die Truhe ist sehr alt. Solche Truhen werden von den Müttern an die älteste Tochter weitergegeben. Leider habe ich keine Tochter. Aber vielleicht habe ich eines Tages eine Enkelin. Der Himmel wird’s schon richten!«
Tina wußte nicht, was sie dazu sagen sollte. Sie war verlegen.
»Setz dich, Tina! Ich habe mit dem Abendessen auf dich gewartet. Alleine schmeckt es nicht so gut! Wir essen schön zusammen und bereden alles! Der Poldi ist ins Wirtshaus beim Baumberger, den Eltern vom Toni.«
Tina setzte sich. Rosel Roßbacher setzte sich auch. Sie sprach ein Tischgebet und bekreuzigte sich.
»Laß es dir schmecken! Alles, was wir essen, ist von unserem Hof. Wir haben eine große Schweinezucht und vermarkten Wurst, Speck, Dörrfleisch, Schinken und Fleisch selbst. Wir haben eine Käserei und liefern sogar an Feinschmeckerlokale ins Ausland. Wir backen Biobrot von eigenem Korn und verkaufen es auch. Zum Roßbacher Hof gehören außerdem eine Hühnerfarm, eine Gänsezucht und Obst- und Gemüseanbau. Wir haben ungefähr fünfzig Helfer, die bei uns arbeiten. Mal sind es mehr und mal weniger.«
»Das ist viel Arbeit!« sagte Tina leise und voller Anerkennung.
»Das ist nicht alles. Wir haben auch noch Forstwirtschaft. Der ganze Wald am Südhang gehört zum Hof. Darüber liegen unsere Almen. Da sind jetzt die Milchkühe.«
Tina schaute Rosel Roßbacher mit großen Augen an. Sie hörte nur zu. Während des Essens erläuterte die Bäuerin, wie sie sich das Fest vorstellte.
Es hatte seit ihrer Verlobungsfeier vor dreißig Jahren kein Fest mehr auf ihrem Hof gegeben. Rosel Roßbacher machte keinen Hehl daraus, daß sie die ganzen Jahre für sich gelebt hatte.
»Und gearbeitet!« warf Tina ein.
»Richtig, Madl! Von nichts kommt nichts! Also habe ich angepackt. Es ging immer weiter und weiter. Ich habe das alles für meinen Poldi gemacht. Wenn er schon keinen Vater hatte, dann sollte er wenigstens stolz auf seine Mutter sein, dachte ich mir. Ich hatte Angst, daß man ihn hänseln würde als Kind ohne Vater, als Kind einer Mutter, die den Vater davongejagt hat. Ich wußte, es gab nur einen Schutz dagegen. Der Roßbacher Hof sollte der schönste und größte Hof werden weit und breit.«
»Das haben Sie geschafft!«
»Ja, Madl! Einfach war es nicht! Es war hart – und hart mußte ich auch oft sein. Jetzt habe ich alles erreicht, was ich erreichen wollte. Jetzt will ich mich anderen Aufgaben zuwenden.«
Tina wagte nicht zu fragen, was für Aufgaben das waren. Das brauchte sie auch nicht. Die Bäuerin erzählte weiter.
»Der nächste Hof ist der Grandler Hof. Von dort stammt Poldis Vater. Der Grandler Hof stand zum Verkauf. Ich habe ihn mir zum Geburtstag geschenkt. Das Land werde ich bebauen. Das Gebäude will die Gemeinde Waldkogel kaufen. Es wird dort aber nicht stehen bleiben. Sie werden das Haus zerlegen und auf Gemeindegrund wieder aufbauen, so eine Art lebendiges Heimatmuseum soll es geben. Hast du von dem Projekt schon gehört?«
»Der alte Alois hat mir davon erzählt!«
»Dabei will ich helfen. Das habe ich mit dem Fritz Fellbacher heute nachmittag beredet. Auf meiner Geburtstagsfeier wird es bekanntgegeben, verstehst?«
Tina nickte.
»Deshalb wird auf der Feier alles hergerichtet, wie es anno dazumal war. So habe ich mir das gedacht. Kannst du dir darunter etwas vorstellen?«
Tina schüttelte den Kopf.
»Das wirst du schon lernen!«
Die Roßbacherin prostete Tina zu und trank einen Schluck Bier.
»Also, ich habe mir das mit dir so gedacht! Du sollst hier auf dem Hof meine erste Hilfe sein. Wie sagt man das, wenn du nur mir zu Hand gehst?«
»Assistentin?«
»Ja! Also, ich stelle dich morgen allen vor. Dann wird es keine Schwierigkeiten geben. Eines gebe ich dir noch mit auf den Weg. Die Leute haben zu machen, was du ihnen aufträgst, Tina! Auf schlaue Reden mußt dich nicht einlassen, verstehst! Sie werden für das Arbeiten bezahlt und nicht für das Denken. Nur so bringt man es so weit, wie ich es in den kurzen dreißig Jahren gebracht habe.«
Wie hart sie ist, dachte Tina.
»Sag mal, geht es der Veronika schon wieder besser?«
»Etwas! Sie kommt gelegentlich schon in den Laden. Stundenweise!«
»Das ist gut! Dann besuche ich sie morgen einmal. Vielleicht kannst du mir bis zum Fest den ganzen Tag helfen. Vielleicht finden wir eine andere Möglichkeit, damit der Franz Boller Hilfe hat.«
Tina verstand nicht ganz. Sie wagte aber nicht zu fragen. Rosel Roßbacher war ihr sympathisch. Sie hatte ein freundliches Äußeres und sah noch sehr jung aus. Aber sie machte Tina etwas Angst. Diese Frau weiß genau, was sie will, dachte Tina.
Sie waren mit dem Essen fertig. Die Bäuerin füllte die Spülmaschine. Tina ging ihr dabei zu Hand. Anschließend zeigte ihr die Bäuerin das gesamte Haus und machte mit ihr einen Rundgang über den Hof. Am Schluß besuchte sie mit Tina die kleine Eselherde. Es waren zwei Eselinnen, eine hatte ein Fohlen. Ein Esel wurde in einem abgetrennten Gatter gehalten.
»Sind Esel wirklich so störrisch?« fragte Tina.
Die Bäuerin lachte.
»Jedes Tier und jeder Mensch ist störrisch. Wenn man einer Kreatur Gottes zu viel Last aufbürdet, dann muß man sich net wundern. Das ist bei allen Lebewesen gleich. Dann wehren sie sich, so oder so! Sie verschaffen sich den Freiraum. Ich mache es genauso. Schau, in ein paar Wochen kann ich aus dem Fenster schauen und der Grandler Hof ist nicht mehr da. Ich muß nicht jedesmal an den Hansi Grandler denken, an seine Untreue.«
»Späte Rache?« fragte Tina leise.
»Vielleicht! Auf der anderen Seite habe ich seinem jüngeren Bruder den Hof gut bezahlt. Er ist ja genau genommen Poldis Onkel. Er hat nicht so viel Freude an seinem Buben, wie ich an meinem Poldi. Der Bub wollte den Hof net übernehmen. Das liegt nicht allein an dem Buben. Des Madl, des er geheiratet hat, will keine Bäuerin sein. Es ist nicht einfach, für einen Bauernbub des richtige Madl zu finden.«
Dabei musterte die Roßbacherin Tina.
»Übrigens, Tina! Du schaust gut aus in deiner engen Hose und dem Pullover. Aber für die Arbeit hier auf dem Hof ist des Muster nicht so passend. Des Muster mit den Fischen und Segelschiffen ist ein bissel fehl am Platz, denke ich. Dabei will ich dir nicht zu nah’ treten. Es sieht ein bissel wie eine Verkleidung aus! Komm mit!«
Rosel Roßbacher drehte sich um und ging voraus. Tina folgte ihr.
»Nimm deinen Rucksack mit!« rief sie Tina zu, während sie die Treppe hinaufging.
Rosel Roßbacher führte Tina in ein großes Zimmer. Es war nach Westen ausgerichtet. Die untergehende Abendsonne schien durch die offenen Fenster. Ein großes, extra breites Bett mit Baldachin zog sofort Tinas Blick an. Es war wie alle Möbel aus dunklem Holz.
Die Bäuerin trat vor den großen Kleiderschrank.
Sie öffnete ihn.
»Hier kannst du wohnen, Tina! Und hier sind Sachen zum Anziehen. Die passen dir! Die kennst du ja! Hast sie ja selbst ausgesucht.«
Tina schaute die Frau mit großen Augen an.
»Sie haben die Sachen doch für das Madl ausgesucht, das zu Besuch kommen…« Tinas Stimme versagte.
»Des stimmt schon, Tina! Des ist auch alles richtig so, wie es ist. Mehr will ich dazu nicht sagen! Der Rest… das ist etwas, was ihr unter euch ausmachen müßt. Weißt, der Poldi hat mir an meinem Geburtstag von dir erzählt. Das war das schönste Geburtstagsgeschenk, das er mir machen konnte. Nun müßt ihr beide zusehen, wie ihr zurechtkommt!«
Tina, die vor dem Bett stand, mußte sich setzen. Sie schaute Poldis Mutter an.
»Nun schau net so, Madl! Der Poldi wird bald kommen. Ein Zimmer weiter ist des Badezimmer. Jetzt machst du dich schön!«
Die Bäuerin griff nach einem Dirndl.
»Des ist schön! Zieh des an! Des ist schön bunt und sieht fröhlich aus.«
Sie hing den Kleiderbügel an die offene Schranktür und ging hinaus.
Tina raste ins Badezimmer, riß sich die Kleider vom Leib und stellte sich unter die kalte Dusche. Sie mußte irgendwie zu sich kommen. In ihrem Kopf drehte sich alles.
Als sie zu frieren anfing, trocknete sie sich ab und zog sich an. Tina gefiel sich in dem bunten Dirndl mit der hellen Spitze am Ausschnitt und der hellen Schürze.
Sie ging hinunter. Rosel Roßbacher saß im Wohnzimmer und stickte.
»Gut schaust aus, Madl! Fesch schaust aus! Wirst dem Poldi so noch besser gefallen!«
Tina nahm all ihren Mut zusammen.
»Frau Roßbacher! Ich muß Sie jetzt etwas fragen!«
Tina atmete tief ein.
»Waren die Sachen von Anfang an für mich bestimmt?«
Rosel Roßbacher schaute von ihrem Stickzeug auf.
»Tina! Nun höre mir mal gut zu! Weißt, ich hab’ nur meinen Buben. Ich habe die anderen immer beneidet, die auch Madln hatten. Es macht einer Mutter Freude, schöne Dirndl für Madln zu nähen, zu kaufen. Das Leben hat mir keine große Familie gegeben. Nun, es war so wie es war. Ich wollte den Hansi Grandler net. Einen anderen heiraten wollte ich auch net. Ich träumte davon, wie schön es wäre, mit einem Madl einkaufen zu gehen, durch die Läden zu schlendern. Es gibt eben Sachen, die kann eine Mutter mit einem Buben net machen. Dann hat mir der Poldi von dir erzählt. Da bin ich dich gleich anschauen gegangen. Du hast mir gefallen. Du hast des Dirndl so anmutig getragen. Dann hast du mir auch noch gesagt, wie wohl du dich darin fühlst. Da bin ich auf die Idee dieses Großeinkaufs gekommen. Da ging es mir nicht anders als Poldi, als er dich im altrosa Festtagsdirndl gesehen hat. Tina, ich mag dich! Mein Poldi mag dich!«
Von draußen drang das Geräusch eines Automotors herein. Die Bäuerin brach ihre kleine Rede ab. Statt dessen sagte sie:
»Geh durch die Hintertür in den Garten! Ich schicke dir den Poldi! Rasch! Lauf, Madl, lauf!«
*
Tina Seidler rannte durch den großen Garten. Ganz am Ende setzte sie sich auf eine Bank. Sie preßte die Hände gegen ihre Brust, als wollte sie ihr Herz festhalten. Es drehte sich alles in ihrem Kopf.
Welch ein Tag, dachte sie.
Langsam wurde sie ruhiger. Von den Bergen herunter wehte ein lauer Wind. Die Sonne war hinter den Bergen versunken. Es war nur noch ein schmaler Streifen Licht im Westen zu sehen. Der Mond war schon gut zu erkennen. Die Berge hoben sich schwarz dagegen ab.
Es war still, bis auf das leichte Säuseln des Windes in den Zweigen der Obstbäume.
Tina hörte Schritte. Es war Poldi. Er kam auf sie zu. Er stand ganz dicht vor ihr. Er nahm zuerst ihre Hände. Dann zog er sie an sich und legte seine Arme um sie.
»Tina! Madl! Ich mag dich! Tina, ich liebe dich!«
Dann küßte er sie.
Tina erwiderte seinen Kuß.
»Ich liebe dich!«
Sie küßten sich wieder. Es waren keine heißen leidenschaftlichen Küsse. Es waren Küsse voll tiefer Zuneigung und einer unendlichen Liebe. Küsse, die ein Band zwischen ihren Herzen knüpften.
Die Stunden bis zum Morgengrauen saßen sie im Garten und tauschten Zärtlichkeiten voller Hingabe. Dann brachte Poldi Tina bis vor die Zimmertür. Ein letzter zärtlicher Kuß und Tina sagte leise ›Gute Nacht‹. Dann verschwand sie in ihrem Zimmer.
Tina verschlief am nächsten Morgen. Das Mittagsläuten weckte sie aus ihren Träumen. Sie hatte von Poldi geträumt.
»O Gott! Ich habe verschlafen! So ein Mist! Verschlafen gleich am ersten Tag auf dem Roßbacher Hof!«
Tina sprang aus dem Bett, raffte ihre Hose und ihren Pullover. Sie eilte ins Badezimmer. Am Spiegel hing ein Zettel:
Guten Morgen, Tina!
Du hast im Schlaf so glücklich gelächelt. Wir haben Dich schlafen lassen. Mutter hat mit Boller geredet. Du hast die nächsten Tage frei bekommen. Mache Dich recht hübsch! Du wirst allen vorgestellt werden.
Ich liebe Dich! Poldi
Tina atmete tief durch. Auf der einen Seite war sie wütend. Sie fühlte sich irgendwie bevormundet. Auf der anderen Seite mußte Tina anerkennen, daß sie mit viel Liebe und Zuneigung von Poldis Mutter aufgenommen worden war. Tina setzte sich auf den Rand der Badewanne und dachte nach. Sie atmete tief durch.
Nach einer Weile ging sie zurück in ihr Zimmer. Sie öffnete den Schrank und wählte ein hellgelbes Dirndl aus.
Es klopfte an der Tür. Gleich darauf trat die Bäuerin ein.
»Guten Morgen! Fesch schaust aus! Wir wollen Mittagessen! Bist soweit?«
»Guten Morgen! Besser ›Guten Mittag‹! Tut mir leid, daß ich verschlafen habe. Was müssen Sie jetzt von mir denken?«
Rosel Roßbacher lachte.
»Ich hoffe, der Abend war schön… besser gesagt, die Nacht? Kommst jetzt?«
Sie gingen hinunter.
Poldi begrüßte Tina mit einem Kuß.
»Magst warmes Essen oder erst einen Kaffee?« fragte Poldi.
»Kaffee!«
Er holte ihr eine Tasse und schenkte Kaffee ein.
Während des Mittagessens sprachen sie kaum etwas. Poldi schaute Tina oft an und wechselte auch Blicke mit seiner Mutter. Nach der großen Tasse Kaffee aß Tina doch noch etwas Warmes.
»Also, Tina! Ich rufe jetzt die Leut’ zusammen und stelle dich vor!« sagte die Bäuerin knapp.
Tina bekam Herzklopfen. Sie wurde rot. Rosel Roßbacher tat, als sehe sie es nicht. Sie stand auf und ging hinaus. Poldi und Tina folgten ihr.
Neben der Haustür hing eine Glocke. Poldi läutete kurz die Glocke.
»Sieht aus wie eine Schiffsglocke!« bemerkte Tina.
»Das ist eine alte Feuerglocke. Früher hatte jeder Hof so eine Glocke. Wenn zum Beispiel ein Blitz einschlug, dann wurde geläutet. Die Bauern der Nachbarhöfe kamen und halfen beim Löschen. Wir benutzen sie jetzt, um die Leut’ zusammenzurufen«, erklärte Poldi.
Alle kamen herbei.
Poldis Mutter ergriff das Wort:
»Ich habe zwei Dinge zu sagen! Erstens, es wird viel Arbeit geben. Ich gebe am nächsten Wochenende, am Freitag, ein Fest. Ich hatte Geburtstag und wurde fünfzig Jahre.«
Die umstehenden Mitarbeiter auf dem Roßbacher Hof sprachen ihre Glückwünsche aus.
Rosel Roßbacher fuhr fort.
»Danke! Zweitens möchte ich euch Tina Seidler vorstellen! Wenn die Tina etwas sagt, dann wird des gemacht. Es wird nicht diskutiert oder zu mir gelaufen und nachgefragt. Wenn die Tina sagt, das wird so gemacht, dann wird es so gemacht. Genauso, als hätte ich des oder der Poldi gesagt. Ich hoffe, ich habe mich klar ausgedrückt, ja?«
»Des haben S’, Bäuerin!« sagte Alwin, und die anderen nickten.
»Dann ist es gut! Ihr könnt jetzt weitermachen!«
Sie gingen in Gruppen an ihre Arbeit zurück.
»So, das wäre geregelt. Jetzt setzen wir uns zusammen und bereden die Einzelheiten des Festes! Komm mit mir, Tina!«
Sie gingen ins Haus. Poldi ging auch seiner Arbeit nach.
Die nächsten Stunden waren angefüllt mit den ersten Vorbereitungen für das Fest. Rosel gab ganz genaue Anweisungen. Tina machte sich lange Listen. Sie war in Sorge, alles richtig zu machen. Tina erkannte, wie anspruchsvoll Poldis Mutter in allem war.
*
Die Tage vergingen wie im Flug. Alles war genau eingeteilt. Alles unterlag einem bestimmten Zeitplan, einem Rhythmus vom Frühstück bis zum Abendessen.
Die Abende verbrachten Poldi und Tina im Garten oder sie gingen über die Felder spazieren.
Eines Abends saßen sie auf dem Hochsitz am Rand des Waldes.
Poldi legte seinen Arm um Tinas Schulter. Er drückte sie fest an sich und gab ihr einen Kuß.
»Hast du jetzt eingesehen, daß du einem Irrtum unterlegen warst, Tina?«
»Ja, es war ein Irrtum!«
»Gut, dann mußt du dein Versprechen halten. Du mußt mit mir ausgehen! Wie wäre es mit morgen abend? Wir fahren nach Kirchwalden!«
Tina schüttelte den Kopf.
»Poldi, morgen? Das ist der denkbar schlechteste Termin! Am Donnerstagabend, das ist unmöglich! Am Freitag ist das große Fest! Nächste Woche wäre besser! Am Montag?«
Poldi schüttelte den Kopf.
»Nein! Es sollte schon morgen sein! Ich habe sogar schon einen Tisch bestellt! Und Abendessen bei Kerzenlicht!«
Poldi hielt Tina ganz fest.
»Weißt, ich will dich nämlich etwas fragen! Ich dachte mir, wenn du dann ja sagen tust, dann könnten wir es auf dem Fest bekanntgeben!«
Tina schaute Poldi in die Augen. Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Sie wußte schon, was er fragen wollte. Ihr Herz sagte es ihr.
»Poldi! Ich verstehe dich! Ich… ich! Das geht alles so schnell.«
»Wir sind uns doch einig! Aber wenn du meinst, daß des morgen ungünstig ist, dann frage ich dich eben jetzt! Tina! Ich liebe dich! Ich kann mir ein Leben ohne dich nimmer vorstellen! Willst meine Frau werden? Die Verlobungsringe habe ich jetzt nicht dabei. Die liegen in meinem Zimmer. Nimmst mich auch so?«
Tinas Herz klopfte. Das war also der große Augenblick, der Augenblick, dem jede Frau entgegenfieberte. Poldi liebt mich. Ich liebe Poldi! Trotzdem kann ich jetzt nicht einfach ›ja‹ sagen. Ich bin mir doch über das Leben an seiner Seite noch nicht ganz im klaren. Er verdient es, glücklich zu sein. Ich will ihn auch glücklich machen. Tausend Gedanken schossen Tina durch den Kopf.
Sie schmiegte sich an ihn. Sie seufzte.
»Poldi! Das war ein wunderschöner Heiratsantrag!«
»Und? Sagst du ja?«
»Wahrscheinlich!«
»Tina? Wahrscheinlich? Was soll des heißen?«
»Das heißt, ich liebe dich! Ich liebe dich wirklich! Ich möchte nichts lieber, als deine Frau werden. Du hast gesagt, daß ich einige Zeit bei euch wohnen soll. Es waren nur wenige Tage. Ich will dich, sicherlich! Doch ich muß mir noch Gedanken machen, wie das sein wird, wenn ich die Jungbäuerin auf dem Roßbacher Hof sein werde. Das ist auch Verantwortung! Ich habe gern ganz genaue Vorstellungen von allem. Ach, Poldi, liebster Poldi! Gib mir noch etwas Zeit!«
Tina sah Poldi an, daß er enttäuscht war. Er faßte sich aber gleich wieder.
»Wie lange?«
»Bis zum Freitag! Zum Angelusläuten am Abend sollst du meine Antwort haben! Kannst du solange warten?«
»Was soll ich machen, Tina? Ich liebe dich! Wenn du bis Freitag Zeit brauchst, dann warte ich gerne. Willst mit deiner Familie reden? Lade sie doch ein!«
Tina lächelte ihn an und küßte ihn. Poldi spürte in ihrem Kuß, wie sehr sie ihn liebte, und nur das zählte.
*
Der Hof war mit Tannengrün geschmückt. Vor der Scheune stand eine große Plattform. Da würden die Musiker sitzen. Es konnte auch getanzt werden. Es gab ein riesiges kaltes Büfett. Mehrere Schweine drehten sich seit Stunden am Spieß.
»Tina, ich glaube, wir sind fertig! Was meinst du?«
»Ja, das denke ich auch! Es wird ein schönes Fest geben!«
»Ja, das wird es, Tina! Der Alwin kümmert sich um die Schweine. Der Poldi wird noch die Bierfässer anzapfen. Dann können die Gäste kommen. Es ist auch Zeit«, sagte Rosel mit Blick auf die Uhr.
»Dann wollen wir beide uns mal schön anziehen. Ich ziehe das schöne grüne Dirndl an. Und du, Tina? Machst dem Poldi die Freude und trägst des altrosafarbene Dirndl?«
»Ich weiß noch nicht.«
»Sag mal, Tina! Hast du etwas? Bedrückt dich etwas? Bist schon gestern ein bissel sonderbar gewesen.«
»Nein! Ich warte nur auf die Anna! Ich muß unbedingt mit ihr reden! Hoffentlich kommt sie bald.«
Rosel Roßbacher ging zu Alwin und trug ihm auf, Anna sofort hinauf zu Tina zu schicken, sobald sie eintreffen würde.
Tina schloß sich in ihrem Zimmer ein. Sie hatte Poldi bis zum Läuten eine Antwort versprochen. Ich kann ihn nicht noch einmal vertrösten, überlegte Tina. Es waren nur noch zwei Stunden Zeit.
Endlich klopfte es an ihrer Tür.
»Tina, ich bin es – Anna!«
Tina riß die Tür auf und zog Anna herein. Sie fiel ihr um den Hals.
»Anna, Anna! Was bin ich froh, daß du da bist!«
Anna erschrak.
»Tina, was ist geschehen? Glücklich siehst du nicht aus!«
»Anna, Poldi hat mir einen Heiratsantrag gemacht!«
»Glückwunsch!«
»Nein! Noch nicht! Ich habe ihn noch nicht angenommen!«
»Wie bitte? Der Mann deiner Träume macht dir einen Antrag? Der begehrteste Bursche weit und breit bittet dich um deine Hand und du überlegst? Du liebst ihn doch! Es war doch Liebe auf den ersten Blick. Warum, Tina?«
Anna legte den Arm um Tinas Schultern und schob sie zum Bett. Sie setzten sich.
»So, nun sag mir, was du auf dem Herzen hast!«
»Angst!«
Anna schaute Tina überrascht an.
»Angst? Wovor? Sage es mir! Erkläre es mir! Ich verstehe dich nicht!«
»Der Roßbacher Hof ist so wunderbar! Poldi ist wunderbar! Alles könnte herrlich sein! Aber ich habe Angst! Ich bin nicht so tüchtig wie Poldis Mutter. Sie ist eine ganz großartige Frau! Sie hat alles im Griff. Sie macht nie Fehler! Sie ist einfach perfekt! Ich bin nicht perfekt! Ein paar Tage konnte ich mich ganz gut durchmogeln. Aber das schaffe ich nie! Die Jungbäuerin vom Roßbacher Hof zu werden, ist das nicht eine Nummer zu groß für mich. Ich komme mir vor, als würde ich, statt einer Hilfstätigkeit, die Leitung eines Ladens übernehmen. Ich habe Angst, ich schaffe das nicht!«
»Das ist alles?«
»Ja! Deshalb wollte ich dich fragen, wie es bei dir war. Du hast in einer Bank gearbeitet. Du hattest keine Ahnung, wie das mit so einer Berghütte ist. Hattest du keine Angst?«
»Nein! Du mußt auch keine Angst haben! Vertraue einfach nur der Liebe! Poldi liebt dich! Du liebst ihn! Die Rosel hat dich auch in ihr Herz geschlossen. Das weiß mittlerweile jeder in Waldkogel. Rosel kann den Tag kaum noch abwarten, bis du ihre Schwiegertochter bist. Schau mal, der Roßbacher Hof ist groß. Da muß alles funktionieren. Aber die Leute arbeiten gerne bei Rosel und Poldi. Niemand hat Angst vor ihr. Alle erkennen sie an, mögen sie. Sie wird dir helfen, wenn du etwas nicht kannst oder nicht weißt. Hast du schon einmal mit ihr darüber gesprochen?«
»Du meinst, das sollte ich machen?«
»Wenn es dich so beschäftigt. Hast du mit Poldi darüber geredet?«
Tina schüttelte den Kopf.
Anna dachte einen Augenblick nach.
»Gut, dann nehme ich die Sache in die Hand! Willst du Poldi heiraten?«
»Oh, Anna! Ja, ich will!«
»Gut! Das wäre schon einmal geklärt. Dann redest du nach dem Fest mit Rosel.«
»Das geht nicht. Ich habe bis zum Angelusläuten dem Poldi eine Antwort versprochen. Das ist schon in einer Stunde!«
»Dann gib ihm die Antwort!«
Anna stand auf. Sie ging zum Schrank.
»Was ziehst du an?«
»Das altrosafarbene Dirndl! Ein Geschenk von Poldi!«
Anna nahm es aus dem Schrank.
»Das ist ein herrliches Dirndl! Ziehe es an! Mach dich fertig! Ich gebe dir fünfzehn Minuten. Dann schicke ich Rosel herauf. Du redest mit ihr! Sag ihr alles! Rosel ist eine herzensgute Frau. Du wirst in ihren Augen nur noch mehr gewinnen, wenn du ganz offen mit ihr sprichst!«
Tina gab nach. Sie zog sich an.
Sie wartete mit offener Tür auf Poldis Mutter. Ihr Herz klopfte bis zum Hals, als sie ihre Schritte hörte.
»Anna sagte, du wolltest mich sprechen?«
Tina nickte. Sie griff sich an den Hals.
»Ich.. ich… ich wollte dir sagen, daß der Poldi mir gestern einen Heiratsantrag gemacht hat.«
Rosel Roßbacher traten die Tränen in die Augen.
»Tina! Madl!«
Die Bäuerin wollte Tina umarmen.
»Langsam, da ist noch etwas! Bin ich wirklich die Richtige für den Poldi? Ich kann das alles nicht so wie du, Roßbacherin. Ich weiß nicht, ob ich eine gute Jungbäuerin sein werde. Ich habe Angst, daß ich das alles nicht schaffe. Poldi erwartet wohl – das kann ich nur annehmen – daß seine Frau so perfekt ist wie du, Bäuerin. Ich kam mir in den letzten Tagen so ungeschickt vor.«
»Tina! Madl! Habe ich dir Angst gemacht? Das wollte ich nicht! Das war nie meine Absicht! Weißt, als alleinstehende Frau, da mußte ich mir außen eine harte Schale zulegen. Gern tat ich das nicht. Mein Stachelpanzer, wie Poldi als Kind sagte, das ist nur oberflächlich. Ich weiß, daß du eine ganz wunderbare Jungbäuerin sein wirst. Poldi liebt dich! Du liebst ihn! Ich hab’ dich auch gleich in mein Herz geschlossen. Mußt keine Angst haben! Du wirst alles lernen. Ich helfe dir. Quäle dich niemals mehr mit einem stillen Kummer herum, Tina. Das gibt nur Falten. Du kannst immer und über alles mit mir reden. Und noch etwas! Du bist so tüchtig! Alle haben Respekt vor dir! Du bist ein Madl, wie es sich jeder Hof als Jungbäuerin nur wünschen kann. Du kannst richtig zupacken.«
Rosel Roßbacher legte den Arm um Tina.
»Ist dir dein Herz jetzt leichter?«
»Ja, Bäuerin! Dann will ich jetzt zu Poldi! Der wartet auf meine Antwort!«
Rosel Roßbacher nahm Tina bei der Hand. Sie führte Tina in ihr Schlafzimmer und legte ihr eine goldene Kropfkette um. Sie hatte einmal Poldis Großmutter gehört.
Die Tür stand auf. Tina und Rosel hörten Poldi.
»Mutter, wo bist du? Es kommen immer mehr Gäste. Alle fragen nach dir!«
»Hier sind wir!« rief Rosel.
Poldi stand im Türrahmen. Er schaute Tina an.
»Du trägst das Dirndl!«
Seine Augen strahlten.
»Du trägst Großmutters Kropfkette mit den kleinen Eselchen drauf. Das Zeichen der Bäuerin auf dem Roßbacher Hof. Heißt das…? Komm, Tina!«
Poldi griff nach Tinas Hand und zog sie fort. Er zog sie in sein Zimmer. Dort auf dem Nachttisch neben seinem Bett lagen im offenen Kästchen die Ringe.
Sie schauten sich in die Augen.
»Ich will gern deine Frau werden, Poldi! Ich habe gezögert, weil ich etwas Angst hatte vor dieser großen Aufgabe. Doch jetzt ist alles gut! Ich liebe dich, Poldi!«
»Ich liebe dich, Tina!«
Sie steckten sich gegenseitig die Verlobungsringe an die Finger. Dann fanden sich ihre Lippen zu einem langen, langen innigen Kuß.
*
Bis zum Angelusläuten waren alle Gäste eingetroffen. Neben der Haustür des Roßbacher Hofes standen vier lange Tische. Darauf türmten sich die Geschenke für das Geburtstagskind.
Die Roßbacherin stellte sich an den Rand des Tanzbodens. Von hier aus konnte sie alles übersehen. Die Blasmusiker spielten einen Tusch. Das Gemurmel an den Tischen verstummte.
»Ich grüße euch alle. Ich freue mich, daß ihr gekommen seid. Vielen Dank für die vielen und schönen Geschenke. Wenn man so einen runden Geburtstag hat wie ich, dann denkt man über sein Leben nach. Ich bin zufrieden! Es war nicht immer einfach. Aber wir Bergler hier wissen es: Nach jedem Regen folgt Sonnenschein und nach jedem Winter kommt der Frühling. Viele Dinge kann man sich erarbeiten. Doch Schönes und Glückliches kann einem nur geschenkt werden. Mein Bub! Mein lieber Poldi hat mir an meinem Geburtstag eine ganz besondere Freude gemacht. Poldi hat ein Madl. So feiern wir heute nicht nur meinen runden Geburtstag, sondern auch die Verlobung von Poldi und Tina! Tina wird eine wunderbare Jungbäuerin sein. Ich bin glücklich, Tina als Schwiegertochter zu bekommen. Danke, Poldi, für das Geschenk. Danke, Tina, für dein Ja zu Poldi und zum Roßbacher Hof. Mögen die Engel vom ›Engelssteig‹ euren Lebensweg immer beschützen und in stürmischen Tagen für euch im Himmel fürbitten. Dann laßt uns feiern! Üben wir für das nächste große Fest: die Hochzeit der beiden.«
Beifall brauste auf. Einige wischten sich verstohlen die Augenwinkel.
Tina und Poldi traten zu Poldis Mutter. Sie umarmte zuerst Tina.
»Kannst Rosel zu mir sagen, wenn du magst? Oder Mutter? Wie du magst. Ich will eine liebe Schwiegermutter für dich sein und eine ältere Freundin!«
»Das wirst du bestimmt!«
Dann schloß Rosel ihren Buben in die Arme.
»Wartet mit der Trauung nicht zu lange! Du weißt, wie sehr ich mich auf Enkelkinder freue.«
»Wir werden gleich mit dem Bürgermeister Fellbacher und dem Pfarrer reden!«
Dann flüsterte Poldi seiner Mutter ins Ohr.
»Wenn die Tina einverstanden ist, dann fangen wir gleich heute nacht schon mal mit den Vorbereitungen für deine Enkelkinder an.«
Sie lachten.
Dann tanzten Tina und Poldi ihren Ehrentanz.
*
Zwei Wochen später führte Poldi seine Tina zum Altar. Es wurde eine schöne Feier.
Tina fühlte sich als Jungbäuerin schnell sehr wohl auf dem Hof. Das Zusammenspiel zwischen ihr und Rosel war großartig. Poldi witzelte schon, daß die Frauen jetzt ganz die Oberhand hätten.
Eines Tages antwortete Tina ihm darauf:
»Dann mußt du hoffen, daß es ein Bub wird, Poldi. Sonst hast du es bald mit drei Weibern zu tun!«
Poldis Freude über Tinas Schwangerschaft war unbeschreiblich. Er gestand seiner Frau, daß ein Mädchen genauso willkommen war wie ein Bub. Er sagte ihr, daß er sie gerne Angelina nennen würde.
So kam es dann auch. Angelina blieb aber nicht das einzige Kind der beiden.
Sie bekamen in Abständen noch zwei Buben und eine weiteres Mädchen.
Rosel freute sich über die große Familie und ging ganz in ihrer Rolle als Großmutter auf.