Читать книгу Toni der Hüttenwirt Paket 2 – Heimatroman - Friederike von Buchner - Страница 16

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Die ersten Frühaufsteher betraten den Wirtsraum der Berghütte.

»Grüß Gott!« rief ihnen Toni zu, »Gut geschlafen?«

Während Toni die Hüttengäste bediente, hörte er sie schwärmen. Toni schmunzelte. Es war immer dasselbe, wenn Städter zum ersten Mal in die Berge kamen. Sie erklärten, sich noch nie so gut gefühlt zu haben, wie nach der ersten Nacht auf der Berghütte.

»Ja, unsere klare Luft und die Ruhe, die tun dem Körper und der Seele gut. Da fällt jede Hektik ab. Streß hat da keine Chance. Da wird jeder binnen eines Tages zu einem neuen Menschen. Es ist eben wie im Paradies hier oben in den Bergen.«

»Oben im ›Paradiesgarten‹ ist es noch schöner!« rief die kleine Franziska im Vorbeigehen.

Toni warf dem kleinen Mädchen einen Blick zu. Er mochte es nicht, wenn jemand den »Paradiesgarten« erwähnte. Diese besondere Stelle in Gottes schöner Natur, wollte Toni vor dem Massentourismus schützen. Der »Paradiesgarten« lag ganz oben in den Bergen zwischen drei steil abfallenden Felshängen und war nach Süden hin offen. Normalerweise war die Vegetation in dieser Höhe eher dürftig. Doch im ›Paradiesgarten‹ grünte und blühte es wirklich wie im Paradies. Es wuchsen dort Pflanzen, die sonst in dieser Höhe nicht zu finden waren. Jeder, der einmal dort oben war, fand, daß das Gras grüner war und die Blumen bunter. Dazu kam eine fast heilige Stille, die je-

des Herz erfaßte. An keinem anderen Ort in den Bergen ist man der Schöpfung so nah, sagte Toni im-mer.

Die kleine Franziska saß am Kü-chentisch und trank Kakao und aß Müsli. Toni und Anna versorgten die Hüttengäste.

»Bist mir jetzt böse, Toni?« fragte Franziska leise.

Toni stellte das Tablett ab und setzte sich für einen Augenblick zu Franziska an den Tisch. Er streichelte ihr über das blonde Haar.

»Naa, mein Liebes! Des bin ich net! Ich weiß, wie sehr dir der ›Paradiesgarten‹ auch gefällt. Doch wenn viele Wanderer dort hinaufgehen, dann ist es bald aus mit der paradiesischen Ruhe und Schönheit. Deshalb ist es gut, ein bisserl ein Geheimnis daraus zu machen. Meinst net auch?«

Die kleine Franziska nickte eifrig.

Toni sah, daß Franziska neben dem Schulranzen noch ihren kleinen Rucksack stehen hatte.

»Willst du bei den Baumberger Großeltern übernachten?«

Anna, Tonis Frau, stand am Herd. Sie wandte sich um.

»Ach, Toni, das habe ich ganz vergessen dir zu sagen in der Hektik gestern abend. Die Kinder übernachten im Forsthaus.«

In diesem Augenblick kam auch Franziskas älterer Bruder in die Küche der Berghütte. Er grüßte.

»Bist heute spät dran, Basti! Bist nicht aus den Federn gekommen, wie? Hast du wieder so lange gelesen?«

»Der Alois hat mir ein Bergsteiger-Buch gegeben. Mei, war des spannend! Da konnte ich doch net aufhören! Des mußt verstehen, Toni!«

Toni schmunzelte. Er erinnerte sich, wie er als Bub heimlich mit einer Taschenlampe unter der Bettdecke gelesen hatte.

»Des verstehe ich schon! Mußt aber net übertreiben, Basti! Ich habe früher auch nachts gelesen. Aber ich konnte länger schlafen. Ich hatte keinen so weiten Schulweg wie ihr.«

»Das macht nichts! Der Schulweg ist net schlimm. Lieber ein längerer Schulweg, als im Kinderheim zu wohnen«, schoß es aus der kleinen Franziska hervor.

Toni und Anna warfen sich Blicke zu. Es war wieder so ein Augenblick, in dem sie spürten, wie tief die Verwundung der zarten Kinderseelen war.

»Nie und nimmer hätten wir euch in ein Kinderheim gelassen«, sagte Anna fröhlich. »Was würden wir denn hier ohne euch anfangen? Langweilen würden wir uns!«

»Dann tust du dich langweilen, wenn wir bei unseren Freunden im Forsthaus übernachten?«

»So hat es die Anna nicht gemeint, Franzi. Es gehört dazu, daß man schon mal bei Schulfreunden übernachtet.«

»Dürfen wir den Paul und seine Schwester Ulla nicht auch mal einladen, hier auf der Berghütte zu übernachten?« fragte Franziska.

»Mei, des wäre zünftig!« begeisterte sich Sebastian sofort.

»Dann ladet die beiden zum

Wochenende ein! Wie wäre es damit?«

Sebastian war begeistert. Sofort schlug er vor, daß er doch mit seinem Freund Paul biwakieren könnte. Sie würden neben der Berghütte ein Biwakzelt aufbauen und dort Bergsteiger spielen, die in den Bergen übernachteten.

Die kleine Franziska schüttelte den Kopf. »Ich mache da net mit! Des ist mir viel zu kalt. Ich schlafe mit Ulla in meinem Zimmer!«

»Des kannst machen! Für Madls ist des auch nix!«

»Schmarrn, Basti! Wie kannst du so etwas sagen? Als gäbe es keine Bergsteigerinnen!« tadelte ihn Toni.

Franziska lächelte Toni an.

»Mußt mit dem Basti net schimpfen. Die Ulla und ich lassen ihn und Paul auch nicht mit uns spielen, wenn wir Sachen spielen, die nur Mädchen Spaß machen.«

Toni und Anna unterdrückten beide ein Schmunzeln.

»Und was spielt ihr, Franzi?«

»Ach, wir spielen Modeschau mit unseren Puppen.«

»Die Franzi hat keine Kleider für sich eingepackt. Der ganze Rucksack ist voller Puppenzeug!« prustete Sebastian los.

Toni unterbrach den sich anbahnenden Geschwisterzwist.

»Was spielst du mit dem Paul?«

Sebastian strahlte.

»Wir spielen Förster! Pauls Vater hat dem Paul versprochen, daß er ganz alleine in den Wald gehen darf und Bäume markieren, die zu viele Äste haben oder schief gewachsen sind – weißt, des ist für den Wettstreit der Holzhacker. Es werden fünfzehn Bäume benötigt.«

»Stimmt! Bald ist es ja wieder soweit!«

Die Kinder aßen zu Ende. Dann schulterten sie ihre Ranzen und nahmen die kleinen Rucksäcke. Toni spannte Bello, den jungen Neufundländerrüden, vor den leichten Alu-miniumwagen. Schließlich machten sie sich auf den Weg hinunter zur Oberländer Alm. Toni ging mit Bello voraus, die Kinder folgten.

Unterwegs fragte die kleine Franziska, warum das schiefe Bäume sein müßten.

»Weißt, Franzi, schiefe, verkrüppelte Bäume, die haben auch meistens viele Äste. Astansätze sind schwerer zu sägen und zu hacken. Das ist eben eine Erschwernis für den Holzhackerwettbewerb.«

»Hast du früher auch daran teilgenommen, Toni?«

»Sicher, Basti! Ich habe sogar zweimal gewonnen! Es war in zwei Jahren hintereinander.«

»Dann hast mit der Anna getanzt!« bemerkte Franzi.

Toni lachte. Er erinnerte sich.

»Naa! Da kannte ich die Anna noch net! Das war einige Jahre davor.«

Toni lachte. Er erzählte den beiden, daß er in einem Jahr viel mit Thea getanzt habe und im anderen Jahr war es die Dorle gewesen.

»Aber du hast weder die eine noch die andere geheiratet! Warum, Toni?«

Toni lachte laut.

»Warum willst des so genau wissen?«

»Ja, weil des doch so ist, daß der Sieger dann ein Madl wählt – und meistens tun sie dann heiraten, oder?«

»Weißt, für den Ball braucht der Sieger schon ein Madl. Des wird so erwartet. Es ist schon richtig, daß des Madl und der Bursche oft zusammenkommen, aber des ist net immer so! Weißt, die müssen sich auch wirklich lieben. Aber darüber mußt du dir noch keine Gedanken machen, Basti. Dazu hast noch ein bisserl Zeit.«

»Aber ich übe schon! Ich tue fleißig Holzhacken!«

»Ja, das machst schon! Wirst bestimmt gewinnen, wenn es soweit ist.«

Franziska zog Toni an der Jacke.

»Toni, wenn es Bergsteigerinnen und Wanderinnen gibt. Warum gibt es keine Holzhackerinnen?«

Toni war von Franzis Frage völlig überrascht. Er schaute das kleine Mädchen an. Er rieb sich das Kinn.

»Franzi, des ist eine sehr gute Frage. Aber die kann ich dir net so gut beantworten. Da mußt du einmal die Anna fragen. Ich bin mir sicher, daß die Anna dir es besser erklären kann.«

So zog sich Toni aus der Affäre. Er war froh, daß sie inzwischen die Oberländer Alm erreicht hatten.

Tonis Vater, Xaver Baumberger, wartete schon mit dem Auto. Er hatte Gemüse und Obst aus dem Garten auf die Oberländer Alm gebracht und nahm die angenommenen Enkelkinder mit hinunter nach Waldkogel in die Schule. Toni lud alles auf das Aluminiumwägelchen und in seinen Rucksack. Er nahm auch noch Milch, Butter, Käse und Sahne mit zurück auf die Berghütte.

Auf dem Rückweg dachte Toni an seine Anna. Sie hatte damals Bello trainiert. Ohne den treuen Vierbeiner wäre das Leben auf der Berghütte viel mühsamer. Es gab keine Straße. Nur über den schmalen Pfad von der Oberländer Alm hinauf, war die Berghütte zu erreichen. Alles, was gebraucht wurde, mußte hinaufgeschafft werden. Nur das Bier kam per Hubschrauber. Leonhard Gasser, Leiter der Bergwacht in Kirchwalden, brachte die vollen Bierfässer regelmäßig während der Übungsflüge auf die Berghütte und nahm die leeren Fässer mit zurück.

*

Die Unterholzerbäuerin hatte den Frühstückstisch gedeckt. Sie öffnete das Küchenfenster und rief über den großen Hof:

»Otto! Gundi! Seid ihr fertig? Kommt ihr?«

»Ja!«

Ottokar Unterholzer, der von allen Otto gerufen wurde, stellte die Milchkannen an die Straße und wusch sich die Hände am Brunnen. Die junge Gundi kam aus dem Hühnerstall. Sie trug einen Korb mit frischen Eiern.

Sie setzten sich zu Tisch.

»Ich hoffe, der Julian wird bald fertig. Daß des so lange dauert mit der Verschönerung von dem Wohnzimmer, des habe ich mir nicht gedacht«, stöhnte die Bäuerin. »Der nimmt sich viel Zeit!«

»Ärgere dich net! Es wird auch besonders schön, was der Julian macht. Wir können froh sein, daß er des kann. Die alten Traditionen sterben aus. Solche Wandmalereien, die brauchen eben ihre Zeit. Du hast des so haben wollen, Irene. Jetzt mußt du es auch ertragen. Außerdem wird er net nach Stunden bezahlt. Wir zahlen ihm eine Pauschale pro Zimmer!«

Die Bäuerin warf ihrem Mann einen Blick zu.

»Des mußt mir net sagen, Otto. Ich weiß des«, betonte Irene noch einmal. »Es kommt mir nur so vor, als hätte der noch ganz andere Interessen.«

»So? Welche? Denkst, er will hier was mitgehen lassen? Mei, des denke ich net. Der Julian ist eine ehrliche Haut!«

»Otto, so ein Schmarrn! So meine ich des net! Er macht unserer Gundi schöne Augen. Wenn sie in der Küche ist, dann tut er net die Wände bemalen. Dann steht er im Türrahmen und redet mit dem Madl.«

Ottokar Unterholzer warf seiner Tochter einen Blick zu. Ihre Wangen färbten sich leicht.

»Oh, was sehe ich da, Madl? Dir ist also des Interesse von dem Julian Perner net entgangen. Willst was dazu sagen?«

Gundi Unterholzer lächelte verlegen.

»Ja, Vater, wenn du es genau wissen willst! Er macht mir ein bisserl den Hof. Des habe ich schon bemerkt.«

Der Bauer lächelte.

»Ist ja auch kein Wunder, Gundi. Bist ja ein fesches Madl und genau in dem Alter, des richtig zum Heiraten ist. Ich dachte, du schaust gar net nach den Burschen.«

»Vater! Wie kannst du so etwas sagen? Es war nur noch nicht der Richtige dabei!«

»Dann denkst du, der Julian könnte der Richtige sein?«

Gundi zuckte mit den Schultern. Sie überlegte, zuckte erneut mit den Schultern und schüttelte den Kopf.

»Schlecht ist er net. Interessieren tut er sich auch für mich. Ich gebe auch zu, daß ich ihn gerne sehe. Aber richtig entschieden habe ich mich noch net. Es ist auch ein bisserl schwierig, wenn er hier am Arbeiten ist. Tüchtig ist er schon. Die Meisterprüfung als Raumausstatter hat er auch gemacht. Er wird demnächst in des Geschäft von seinem Vater einsteigen. Sie wollen es noch einige Jahre zusammen führen, bevor der Julian es ganz übernehmen tut.«

»So, so! Des ist ja interessant. Dann hast du dir den Burschen doch schon einmal näher angeschaut, Gundi?«

»Wir haben uns nur so allgemein unterhalten, Vater! Nix weiter! Du sollst des net überbewerten.«

Der Bauer betrachtete seine Tochter.

»Wenn dir der Julian gefällt, dann mußt ihm schon ein Signal geben. Sonst malt er weiter in Zeitlupe die Ofenwand in der Stube aus.«

»Ja, Gundi, des mußt du! Wenn ein Bursche einem Madl schöne Augen macht, dann wartet er auf einen kleinen Wink. Er will wissen, wie er dem Madl gefällt und ob sich sein Werben lohnt.«

Gundi schüttelte heftig den Kopf.

»Mutter, so einfach ist es nicht. Jedenfalls nicht für mich. Der Julian, der macht schon als Bursche was her. Ich meine damit, er schaut gut aus. So gesehen tut er mich schon beeindrucken. Aber um zu wissen, daß er in die nähere Auswahl kommt, da müßte ich ihn schon näher kennenlernen. Dafür hat sich bis jetzt noch keine Gelegenheit ergeben.«

»Mei, Madl, bist du so phantasielos? Dann mußt du eben eine Gelegenheit herbeiführen!« sagte ihr Vater.

Gundi errötete wieder.

Die Eltern wechselten das Thema. Es gab noch viel zu bereden. Unter anderem mußten noch Papiere aufs Amt nach Kirchwalden gebracht werden. Der Unterholzer Hof stand wegen seinen besonderen Malereien unter Denkmalschutz. Jede Veränderung mußte nicht nur angezeigt, sondern auch genehmigt werden.

Ottokar Unterholzer holte nach dem Frühstück die Unterlagen und breitete sie auf dem Küchentisch aus. Darunter waren viele Fotos.

»Des ist alles ganz gut geworden. Schaut euch des an! Vorher – nachher! Man gewöhnt sich so schnell an die schöne Außenfassade, daß man nimmer daran denkt, wie es vorher war.«

Seine Frau stimmte ihm zu.

»Es dauerte auch eine lange Zeit, bis alles fertig war. Aber jetzt geht mir langsam die Geduld aus.«

Irene seufzte.

»Des wird nur alle dreißig bis vierzig Jahre notwendig, daß die Malereien erneuert werden müssen. Mein Großvater hat sie einmal restaurieren lassen, dann mein Vater und jetzt bin ich dabei. Jetzt hast Ruhe, Irene! Die nächste Restaurierung, des ist dann die Aufgabe von der Gundi. Wenn die Wände um den gemauerten Ofen fertig sind, dann gibt es nix mehr hier zu tun. Ich schätze, in spätestens zwei Wochen wird der Julian fertig sein.«

Die Bäuerin stöhnte.

»Noch zwei Wochen diesen Farbgeruch, des ist wie eine Ewigkeit! Die gute Stube ist net benutzbar. Alle Möbel sind mit Bettlaken zugehängt und auf den Dielen liegen Zeitungen. Ich kann es nimmer sehen.«

Der Bauer schmunzelte. Zum Trost tätschelte er seiner Frau die Hand.

Dann rieb er sich das Kinn.

»Ja, ja! Dann ist auf dem Hof alles fertig! Ich habe mir aber überlegt, daß ich auch die Malereien an der Almhütte erneuern lasse. Dort gibt es nur an der Giebelwand Malereien.«

Der Bauer stand auf und holte seinen Kalender.

»In den nächsten vier Wochen ist die Almhütte nicht vermietet. Bezahlt haben die Leute. Des war auch nur richtig so. Na ja, Pech für sie, wenn sie den Urlaub net antreten können. Da dachte ich mir, wir lassen den Julian die Malerei dort auch erneuern. Dann sind wir fertig mit allem.«

Seine Frau stimmte ihm zu.

»Gundi, wäre des net eine Aufgabe für dich? Du triffst dich mit dem Julian auf der Hütte. Er kann sich dann alles ansehen und mir einen Kostenvoranschlag machen.«

Gundi mußte lachen.

»Mei, Vater! Das hast du dir ja fein ausgedacht!«

»Des kannst ganz sehen, wie du willst. Aber der Hof wird dir einmal gehören, dann kannst jetzt schon einmal anfangen, dich auch um solche Sachen zu kümmern.«

»Gut, ich gehe mit dem jungen Perner auf die Hütte. Aber, daß ich den Hof übernehme, das ist noch nicht raus. Darüber haben wir doch schon so oft gesprochen.«

Ottokar Unterholzer und seine Frau wechselten Blicke. Sie wollten das Thema an diesem Morgen nicht wieder bereden. Der Bauer packte die Unterlagen, die für das Amt bestimmt waren, in einen großen braunen Umschlag.

»Wenn du demnächst nach Kirchwalden zum Einkaufen fährst, dann kannst du sie mitnehmen, Irene!«

Die Bäuerin nickte.

Draußen auf dem Hof hielt der kleine Transporter. Auf den geschlossenen Seitenteilen stand:

Perner und Sohn

Meisterbetrieb

für Raumausstattung

Waldkogel

»Soll ich mit dem Julian reden oder willst du ihn ansprechen, Gundi? Ich denke, es ist besser, wenn du das machst. Schließlich mußt du doch einen Termin mit ihm vereinbaren!«

»Ich mache das! Aber ihr müßt dabeisein!«

»Grüß Gott!« grüßte Julian freundlich, als er in die Küche kam.

Alle wechselten ein paar freundliche Worte.

»Julian, wie lange brauchst du noch? Bist net bald fertig?« fragte die Bäuerin.

»Des wird schon. Ich bin schon bei den Feinheiten. Des wird eben alles im alten Stil gemacht. Diese Farben, die brauchen eben lange, bis sie ganz trocken sind und ich weitermalen kann. Aber ich denke, daß ich in zwei Tagen fertig werde.«

Die Unterholzerbäuerin seufzte glücklich.

»Das ist gut, Julian! Der Vater möchte, daß du dir danach unsere Almhütte anschauen tust. Die Giebelwand ist aus Stein und hat ebenfalls Malereien auf weißem Grund. Die müssen auch erneuert werden. Es trifft sich gut, daß wir im Augenblick keine Gäste haben. Wenn du fertig bist, dann sollst du dir das ansehen. Vielleicht kannst du dann gleich droben weitermachen.«

»Mei, so schnell geht des net, Gundi! Ich muß da schon ein bisserl planen.«

»Hast du noch andere Baustellen?«

»Darum geht es net. Aber ich muß prüfen, was des für Farben sind und ob der Untergrund noch tragfähig ist. Vielleicht sind Vorarbeiten zu machen oder ich muß mich um die besonderen Farben kümmern. Des muß alles geplant werden, verstehst, Gundi?«

»Des ist zu verstehen«, warf der Bauer ein.

Gundi tat, als würde sie überlegen. Dann schaute sie Julian an.

»Ich gehe heute mittag ohnehin rauf. Da muß mal gelüftet und staubgewischt werden. Ich weiß nicht, ob du gegen Abend Zeit und Lust hast, mich zu besuchen. Dann könntest du dir alles anschauen.«

Gundi sah, daß Julians Augen vor Freude kurz aufblitzten.

»Des könnte ich einrichten!«

»Gut, dann sind wir uns einig!« sagte Gundi knapp und sah Julian dabei nicht an.

Ihr Herz klopfte. Sie war bemüht, sich aber nichts anmerken zu las-sen.

»Ist dir des so recht, Vater?«

»Ja, ja! Je schneller die Hütte restauriert wird, desto schneller kann ich des mit der Behörde in Kirchwalden abwickeln.«

Der Bauer nahm seinen Hut und ging hinaus. Gundi wandte sich ab und ging zum Spülstein. Julian stand noch für einen Augenblick im Raum. Die Aussicht, noch heute mit Gundi auf der Hütte zu sein, ließ sein Herz auch schneller klopfen. Er räusperte sich.

»Dann werde ich mal weitermachen!« sagte er leise und ging in die gute Stube.

Gundi und ihre Mutter warfen ihm Blicke hinterher.

»Madl, du gefällst ihm! Der ist ganz aus dem Häuschen vor Erwartung!«

Gundi wurde tiefrot.

»Ich mag ihn gut leiden«, sagte Gundi leise.

Sie hielt es auf dem Hof nicht mehr aus. Daß Julian im Wohnzimmer des Unterholzer Hofes so vor sich hinarbeitete, machte sie ganz nervös. Es knistert irgendwie zwischen uns, dachte Gundi. Aber er soll nicht denken, daß ich ihm nachlaufe. Das will ich net. Ich will ihn erst mal noch näher kennenlernen.

Die nächsten Stunden wurden für Gundi fast unerträglich. Am liebsten wäre sie jede Viertelstunde in die Stube gegangen und hätte nach dem Fortschritt der Malerarbeiten geschaut. Daß dies nicht ihr einziges Interesse war, wurde Gundi immer klarer.

So entschloß sie sich, noch vor dem Mittagessen hinauf auf die Almhütte zu wandern. So eine schöne Wanderung tut mir gut. Da wird mein Kopf frei, überlegte Gundi. Sie ging auf ihr Zimmer und zog sich um. Als sie wieder herunterkam, hatte sie ihr Sommerdirndl gegen enganliegende Kniebundhosen aus feinem hellen Rehleder getauscht. Dazu trug sie rote Socken, die sie über den braunen Wanderschuhen so aufgekrempelt hatte, daß ihre Waden sichtbar waren. Mit der roten Blümchenbluse und der kurzen Lederweste sah Gundi allerliebst aus.

»Fesch schaust aus, Madl! Richtig fesch! Da werden die Burschen Augen machen, wenn du die Straße entlanggehst, Gundi!« neckte sie ihr Vater. Er war aber auch stolz auf seine schöne Tochter.

Irene Unterholzer packte ihrer Tochter eine große Brotzeit ein.

»Mutter, des ist viel zuviel! Wer soll das alles essen?«

»Vielleicht willst du über Nacht bleiben?«

»Warum sollte ich das machen? Mutter, was denkst du? Ich bin vor Einbruch der Dunkelheit zurück!«

Gundi schaute ihre Mutter ärgerlich an. Doch die Unterholzerbäuerin erkannte, daß die Empörung nur gespielt war. Sie sagte nichts, legte den Arm um ihr Madl und ging mit bis zur Haustür.

»Irgendwann, Gundi! Irgendwann kommt für ein Madl einmal der Augenblick der Entscheidung. Wann? Des weiß niemand vorher, weder du noch ich! Des wirst du aber in deinem Herzen spüren. Dann wirst du schon wissen, was zu tun ist. Ich habe es damals auch gewußt. Dein Vater und ich, wir wollen nur, daß du glücklich wirst. Nun geh! Ich wünsche dir einen schönen Tag und wenn’s so sein soll, dann auch eine schöne Nacht unter dem Sternenhimmel!«

»Mutter!« sagte Gundi streng und ging davon.

*

Gundi wanderte die Hauptstraße entlang. Beim Marktplatz hielt der Bus. Viele Leute stiegen aus. Alle trugen Rucksäcke und hatten rote Hals-tücher daran gebunden.

Das wird wieder ein Verein sein, der die Berge unsicher macht. Gundi besah sich die Leute näher. Außer den neuen Rucksäcken war die Gruppe für die Berge schlecht ausgerüstet. Sie trugen die falschen Schuhe und sahen aus, als wollten sie zum Strand und nicht in die Berge. Gundi mußte schmunzeln. Als sie den gleichen Weg in die Berge einschlugen, den Gundi nehmen wollte, hielt sie Abstand. Die Gruppe war sehr laut. Gundi störte normalerweise Lärm nicht, aber an diesem Tag war es ihr zu viel. Ihr gingen so viele Gedanken durch den Kopf. Sie sehnte sich nach der Ruhe und der Stille der Berge.

Die junge Unterholzerin folgte der Gruppe durch den Wald. Als sie die Wiesen erreichten, blieb Gundi stehen. Sie ließ ihren Rucksack von den Schultern gleiten und legte sich ins Gras. Über ihr war nur der blaue Himmel mit einzelnen kleinen weißen Wolken. Sie schloß die Augen und träumte vor sich hin. Der Lärm der ausgelassenen Wandergruppe entfernte sich langsam, bis er nicht mehr zu hören war.

Gundi dachte an Julian. Sie gestand sich ein, daß sie großes Interesse an ihm hatte. Jedenfalls zog sie sein Äußeres an. Julian war groß und breitschultrig. Er hatte tiefschwarzes glänzendes Haar und grüne Augen. Er sieht sehr gut aus, wirklich sehr gut. entschied sie. Er war mehr, viel mehr als nur ein fescher Bursche.

Er scheint kein Madl zu haben, überlegte Gundi. Auf der einen Seite wunderte sie dies ein wenig. Auf der anderen Seite dachte sie sich, daß ein Mann, der so aussah, sich seines Wertes auch bewußt war und sicherlich auch besondere Ansprüche an ein Madl stellte.

Ich gefalle ihm, dachte Gundi. Ja, er mag mich. Er konnte kaum die Augen von mir lassen. Wie er mich immer angesehen hat! Er betrachtete mich von oben bis unten und von vorne und hinten. Jedesmal habe ich seinen Blick in meinem Rücken gespürt. Ob er bemerkt hat, wie sehr er mir auch gefällt? Das fragte sich die junge Gundi Unterholzer. Dabei spürte sie, wie ihr Herz klopfte und ihr das Blut in die Wangen schoß.

So lag Gundi eine ganze Weile im Gras. Das Mittagsläuten der Glocken der schönen Barockkirche hallten als Echo zwischen den Bergen wider. Gundi konnte sich nicht von dem Gedanken losreißen. Sie malte sich aus, wie es wäre, mit Julian Perner vor den Altar zu treten. Er im schönen feinen grünen Lodenanzug, ich werde ein wunderschönes Hochzeitsdirndl tragen mit einem Blumenkranz im Haar. Anschließend fahren wir in einer mit Blumen und Tannengrün geschmückten offenen Kutsche durch Waldkogel, dachte Gundi.

Sie seufzte mit geschlossenen Augen.

Wie gut, daß niemand Gedanken hören oder sehen kann, sagte sie sich. Denn Gundi schämte sich auch ein wenig ihrer Tagträume. Obwohl sie dabei ein warmes Gefühl in ihrem Herzen hatte, war ihr dabei sonderbar zumute, so als würde sie etwas Verbotenes tun.

Es dauerte noch eine Weile, bis sich Gundi eingestand, daß sie sich wohl wirklich etwas in Julian Perner verliebt hatte. Wenn man verliebt ist, dann darf man träumen, entschied sie.

»Guten Tag!« hörte Gundi eine Stimme.

Sie erschrak. Sie riß die Augen auf und sprang auf die Füße. Vor ihr stand ein junger Mann. Er sah die großen verwunderten erschrockenen Augen.

»Entschuldigung! Ich wollte Sie nicht erschrecken! Sie haben mich nicht kommen gehört?«

Die Sonne blendete Gundi etwas. Sie legte zuerst die Hand über die Augen, dann setzte sie ihre Sonnenbrille auf.

»Ich habe mich etwas ausgeruht! Ich bin nicht erschrocken. Ich habe nicht geschlafen. Ich war vielleicht nur mit meinen Gedanken weit fort. Die schöne Landschaft lädt ja auch zum Träumen ein.«

»Das freut mich! Also noch einmal! Guten Tag! Vielleicht können Sie mir weiterhelfen! Ich habe etwas die Orientierung verloren. Wahrscheinlich bin ich schon in Waldkogel falsch abgebogen.«

Gundi musterte den jungen Mann. Er war groß, hatte braune Haare und braune Augen.

»Vielleicht kennen Sie sich hier aus?«

Gundi mußte sich wirklich konzentrieren. Sie schaute ihn an, als wäre er ein Geist, der plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht war. Ihr Herz raste wild. Solche Gefühle hatte Gundi noch nie zuvor verspürt. Es war ihr, als löse sich die Welt um sie herum einfach auf. Da war nur er, der junge Bursche mit den wunderschönen, so sanft blickenden Augen und den braunen Haaren. Es kostete Gundi viel Kraft, sich nichts anmerken zu lassen.

Endlich fand sie die Sprache wieder:

»In den Bergen sagt man nicht Guten Tag sondern Grüß Gott! Sie sind nicht von hier?«

»Sie?«

»Ja! Ich bin aus Waldkogel. Wo wollen Sie hin?«

»Ich suche Tonis Berghütte. Dort habe ich eine Kammer gebucht über das Reisebüro. Aber der Weg scheint in die andere Richtung zu führen. Oder macht er weiter oben noch eine Biegung? Gibt es später eine Abzweigung?«

»Das haben Sie richtig erkannt. Das ist der falsche Weg. Sie sind im Dorf falsch abgebogen, eine Straße zu früh. Sie hätten den Milchpfad nehmen müssen. Der geht ganz am Ende der Hauptstraße links ab.«

»Da muß ich wohl wieder umdrehen! Vielen Dank!«

Gundi lächelte ihn an.

»Sie können auch hier weitergehen und dann rechts am Berghang entlang eine Abkürzung über die Wiesen nehmen. Dann treffen Sie auch auf den Milchpfad. Der Milchpfad führt hinauf auf die Oberländer Alm. Von dort führt ein schmaler Pfad hinauf zur Berghütte. Trauen Sie sich das zu? Ich meine, ob Sie keine Angst haben, quer über die Wiesen zu gehen?«

»Man kann mir ansehen, daß ich in den Bergen wenig Erfahrung habe, wie?«

Gundi ging nicht darauf ein. Sie betrachtete ihn genau. Er sah wirklich wie ein Tourist aus, der zum ersten Mal in die Berge ging. Seine Wanderausrüstung war neu. Besonders die Schuhe waren ohne Kratzer und Schrammen. Dazu trug er einen Kompaß am Gürtel.

»Ich meine, wegen der Kühe. Auf den Wiesen grasen überall Kühe. Manche Städter haben Angst vor Kühen!«

»Tun sie etwas, wenn man an ihnen vorbeigeht?«

Gundi mußte lachen.

»Nein! Außerdem können Sie Abstand halten! Wollen Sie mitkommen? Ich zeige Ihnen dann die Abkürzung.«

»Ja, danke! Das ist sehr freundlich! Ich darf mich auch noch vorstellen! Mein Name ist Urs Wildbacher!«

»Wildbacher? Wildbacher – vom Wildbacher Hof in Marktwasen?«

»Sie kennen meine Verwandten? Es sind zwar weitentfernte Verwandte, aber irgendwie bin ich schon mit dem Wildbacher Hof verwandt. Und wie ist Ihr werter Name?«

»Mein werter Name?« Gundi mußte laut kichern. »Entschuldigung! Aber das klingt zu komisch! ›Werter Name‹, so redet hier niemand. Machen wir es kurz. Ich heiße Gundi Unterholzer. Kannst aber gern Gundi zu mir sagen, wenn du hier Verwandte hast, dann bist du ja auch irgendwie aus dem Tal, auch wenn es nur noch wenige Prozent sind, die du in dir trägst.«

Ein Lächeln huschte dem jungen Mann über das Gesicht.

»Gut, dann bin ich aber der Urs für dich!«

»Einverstanden! Wollen wir gehen?«

»Gern!«

Gundi wollte nach ihrem Rucksack greifen, doch Urs kam ihr zuvor und half ihr beim Aufziehen. Wie charmant, dachte Gundi. Hinter ihrer Sonnenbrille konnte sie Urs ungeniert betrachten. Er kam ihr vor wie aus einer anderen Welt. Er war ebenfalls groß, aber feingliedrig. Schon an seinen Händen konnte Gundi sehen, daß er bestimmt nichts mit Landwirtschaft zu tun hatte. In Gundi stieg eine Neugierde auf.

Was macht er?

Warum ist er nicht bei seinen Verwandten in Marktwasen?

Warum will er auf die Berghütte?

Was sucht er hier?

Fragen, Fragen, Fragen, auf die Gundi keine Antwort wußte. Sie überlegte, ob sie ihn ausfragen sollte. Doch eine Scheu hielt sie zurück. Urs sah Gundi öfters an. Er stellte auch keine Fragen. Er war keiner von den Burschen, die redeten und redeten. Er hatte eine stille, ja, eine fast vornehme Art von Zurückhaltung. Für Gundis Geschmack war er fast ein wenig zu scheu. Oder liegt es daran, daß er auf eine sonderbare Art und Weise so ganz anders war, als alle Burschen, die sie in Waldkogel und Umgebung kannte? Gundi war im Augenblick verwirrt. Sie war so verwirrt, daß sie froh war, endlich die Stelle zu erreichen, an der sie sich von Urs verabschieden konnte.

»Der Milchpfad ist von hier aus ganz leicht zu erreichen. Zuerst immer geradeaus über die Wiesen. Dann kommst du auf einen Wiesenweg. Dort steht ein Marterl aus Holz. Das kannst du nicht übersehen. Dort ist auch eine Abzweigung. Dort mußt du den linken Weg nehmen. Er führt dich zu einer Alm, die am Milchpfad liegt. Danach geht es nur noch bergauf. Du kannst es nicht verfehlen.«

»Danke, Gundi! Du hast mir sehr geholfen! Vielleicht sieht man sich mal wieder!«

»Schon möglich! Die Welt ist klein und überschaubar!« rutschte es Gundi heraus.

Urs lächelte Gundi an.

»Also, vielleicht gehst du auch mal rauf zur Berghütte. Ich will dort länger bleiben.«

»Das glaube ich kaum! Es ist Sommer und wir haben viel zu tun auf dem Hof. Da bleibt wenig Zeit für Wanderungen nur zum Vergnügen. Aber man weiß ja nie, was die Zukunft bringen wird. Ich wünsche dir jedenfalls einen schönen Aufenthalt auf der Berghütte. Grüße mir Anna und Toni und den alten Alois.«

»Das werde ich machen. Dir einen schönen Tag. Wo gehst du hin?«

»Auf unsere Hütte!« schoß es ganz schnell aus Gundi hervor, so als hätte sie auf die Frage gewartet.

Gundi wurde aus einem ihr nicht verständlichen Grund unruhig. Sie nickte Urs zu und eilte davon. Ihr Herz klopfte wild. Ihr war, als müßte sie sofort die Flucht ergreifen. Von diesem Urs ging ein Zauber aus, der sie gefangen nahm.

Es kostete Gundi viel Kraft, sich nicht umzudrehen. Sie spürte, wie Urs ihr nachsah. Gundi nahm die Träger ihres Rucksacks in die Hände und beschleunigte ihre Schritte. Sie eilte davon, als würde Urs sie verfolgen.

*

Gundi erreichte atemlos die Hütte. Sie warf ihren Rucksack ab und zog ihre Weste aus. Dann eilte sie zum Brunnen und schöpfte Wasser mit bloßen Händen. Sie trank mit geschlossenen Augen.

»Pah, des tut gut!«

Ihr war heiß. Gundi zog ihre Wanderschuhe und Socken aus. Sie setzte sich auf den Beckenrand des Wassertroges und stellte ihre Füße ins kalte Naß. Sie kühlte Gesicht, Nacken und Arme mit dem kalten Wasser.

Langsam ging es ihr besser.

Gundi ärgerte sich über sich selbst. Was bin ich für eine Närrin! So durch die schönen Berge zu hetzen, als sei der Teufel höchstpersönlich hinter mir her.

Was ist mit mir los?

Das fragte sich Gundi Unterholzer im stillen.

Sie blieb eine Weile sitzen. Dabei dachte sie an Julian und an diesen Fremden, diesen Urs. Er interessierte sie. Gundi ertappte sich bei dem Gedanken, eine Wanderung auf die Berghütte zu machen. Es könnte ja irgendwie zufällig aussehen, überlegte sie. Einen Grund dafür werde ich schon finden.

Gundi stand auf. Sie ging einige Schritte durch das warme trockene Gras, bis ihre Füße trocken waren. Dann schloß sie die Hütte auf. Barfuß wanderte sie von Raum zu Raum und öffnete Läden und Fenster.

Es roch etwas stickig, gegenüber der wunderbaren Bergluft draußen. Ihr Vater hatte die ehemalige Almhütte zu einem Ferienhaus ausbauen lassen. Es gab einen großen Wohnraum mit Küchenzeile, zwei Kammern, die als Schlafzimmer genutzt werden konnten und einen Raum, der als Bad diente. Fließend Wasser gab es dort nur, wenn man vorher mit der Pumpe Wasser in den Tank auf dem ehemaligen Heuboden der Hütte gepumpt hatte. Es gab kein elektrisches Licht, es gab überhaupt keinen Strom. Die Räume waren mit schönen alten Bauernmöbeln eingerichtet. Es war gerade diese Ursprünglichkeit, die die Gäste schätzten und die Hütte schon Jahre im voraus buchten.

Gundi holte sich eine Tafel Schokolade aus ihrem Rucksack. Sie aß sie auf. Dann machte sie sich an die Hausarbeit. Gundi staubte zuerst die wenigen Möbel ab, dann wischte sie alle Räume mit kaltem Wasser aus.

»Fertig!« sagte Gundi anschließend zu sich selbst und schaute sich zufrieden um.

Sie setzte sich auf die Bank vor der Hütte und legte die Füße hoch. Gundi schaute auf die Uhr. Es war noch Zeit, bis Julian kommen würde, rechnete sie sich aus.

Doch viel Zeit blieb ihr nicht mehr. Es dauerte nur noch eine halbe Stunde, dann kam Julian den Weg entlang.

Er winkte schon von weitem und rief:

»Gundi! Gundi, ich bin’s! Gundi, ich bin da!«

Bis er zur Hütte kam, zog Gundi schnell ihre Socken und ihre Schuhe an. Sie zog die Sonnenbrille aus dem Haar auf ihre Nase herunter.

»Grüß Gott, Julian! Du bist früh! Bist daheim früh fertig geworden?«

»Grüß dich, Gundi! Nein, fertig mit der Malerei bin ich daheim bei euch auf dem Hof noch nicht. Dein Vater meinte aber, ich sollte aufhören und gehen. Weißt, der dachte, daß später das Licht nicht mehr so gut sei. Ich muß die Farben genau bestimmen.«

Gundi nickte nur.

Sie stand auf und entfernte sich von der Hütte. Julian folgte ihr. Er stellte sich neben sie und besah sich die Giebelwand aus einiger Entfernung.

»Die Motive sind sehr schön! Da wurde wohl sogar ein wenig mit Blattgold gearbeitet.«

Gundi schwieg. Sie steckte die Hände in die Hosentaschen und tat recht unbeteiligt. Julian war verunsichert. Er holte seinen Notizblock heraus und machte sich Aufzeichnungen.

»Des sind gute Farben gewesen. Es ist alles noch gut zu erkennen. Oben die große Bemalung auf dem Giebel, unter dem etwas vorgezogenen Dach, stellt die beiden Berge dar, den ›Engelssteig‹ und das ›Höllentor‹. Über den Fenstern und um die Tür ranken sich Girlanden von Blumen. Des sind ausschließlich blühende Bergblumen, wie sie hier auf den Wiesen wachsen. Eine schöne Arbeit, des kann man sagen.«

Gundi nickte wieder.

»Meinst, dein Vater möchte, daß ich wieder mit Blattgold arbeite für des Gipfelkreuz auf dem ›Engelssteig‹? Des ist heute recht ungewöhnlich, aber machbar.«

»Ja, ich denke, das machen wir so!« sagte Gundi knapp. »Wie lange wirst dazu brauchen?«

Julian Perner grinste.

»Des hängt von verschiedenen Faktoren ab.«

»So, und von welchen?«

»Nun, der Weg hier herauf ist weit. Mit dem Auto kommst net ganz bis zur Hütte.«

Gundi wußte, auf was Julian hinauswollte.

»Nun, die Hütte ist leer! Du kannst auch gerne hier wohnen, während du restaurierst.«

»Des ist machbar!« bemerkte Julian trocken.

Er rieb sich das Kinn.

»Aber alleine schaffe ich das nicht. Ein Gerüst, auf dem man in Ruhe arbeiten kann, gibt es nicht. Es geht auch nicht. Es würde viel zu lange dauern, bis das erstellt wäre. Außerdem muß das dann noch abgenommen werden. Weißt, da gibt es Vorschriften wegen der Sturmgefahr in den Bergen.«

Julian warf Gundi einen Blick zu.

»Ich werde mit einer Leiter arbeiten, was streng genommen nicht ganz ungefährlich ist. Leider habe ich im Augenblick niemanden, der mir dabei helfen kann. Einer sollte die Leiter schon halten.«

»Du hast dabei doch nicht an mich gedacht, Julian?«

»Net so direkt!«

»Des kommt net in Frage. Da mußt du dir schon eine Hilfe suchen. Du findest bestimmt jemand.«

Julian drehte sich um und stellte sich genau vor Gundi hin.

»Deine Ablehnung hat aber nicht etwas mit mir persönlich zu tun, oder?«

Gundi gab Julian keine Antwort. Sie ließ ihn stehen und ging zur Bank. Er kam ihr nach.

»Sag mal, bist du eben vor mir fortgelaufen?«

»Kommt es dir so vor?«

»Madl! Gundi!« seufzte Julian.

Er setzte sich neben Gundi auf die Bank.

»Gundi, ich muß mit dir reden! Ich bin jetzt schon ziemlich lange bei euch auf dem Hof tätig. Dir dürfte doch net entgangen sein, daß ich dich gerne sehe.«

»So, meinst du?«

»Gundi! Warum zierst du dich so? Mei, ich habe doch Augen im Kopf.«

Gundi überlegte, was sie jetzt antworten sollte.

»Unangenehm bist du mir nicht. Das kann ich dir schon mal sagen.«

Julian war hoch erfreut. Er legte seinen Arm hinter Gundi auf die Lehne der Holzbank.

»Willst mir jetzt auf die Pelle rücken, Julian?«

»Sag, Madl, bist du immer so kratzbürstig?«

»Ich bin nur vorsichtig!« Gundi wiegte den Kopf hin und her. »Gut, ich gebe es zu, daß du mir mit deiner Nähe nicht unangenehm warst.«

»Das ist ja immerhin schon ein hoffnungsvoller Anfang, Gundi! Dann will ich dir auch gestehen, daß ich mich in dich verliebt habe.«

Gundis Herz klopfte schneller und schneller.

»Heißt das, du hast kein Madl?«

»Doch!«

»Du hast ein Madl und verliebst dich in mich?«

Julian fing laut an zu lachen.

»Mei, Gundi! Bist du herzig! Ich habe mich in dich verliebt und entschieden, daß du mein Madl bist, verstehst?«

»Das kannst du net einfach so beschließen. Was ist mit mir? Ich habe noch nicht gesagt, daß ich dein Madl sein will!«

Julian rückte näher zu Gundi heran.

»Stimmt, ausgesprochen hast du es nicht, aber ich habe es in deinen Augen gelesen.«

Julian griff nach Gundis Sonnenbrille und zog sie ihr von der Nase. Er schaute ihr in die Augen.

»Laß mal sehen, was ich darin lesen kann…«

Julian lächelte Gundi an.

»Du hast wunderschöne braune Augen. Du hast ein ganz liebes Gesicht. Du bist ein ganz liebes Madl, Gundi. Ich mag dich! Ich habe dich gern! Du mich auch?«

Gundi seufzte tief.

»Mei, was ist? Bedeutet das jetzt Ja oder heißt das Nein?«

Statt einer Antwort schmiegte sich Gundi in Julians Arm.

Sie flüsterte leise, ganz leise:

»Halte mich nur einfach fest, Julian! Ganz fest! Es dreht sich alles. Die Berge stehen auf dem Kopf. Ist das die Liebe? Kann man ihr vertrauen? Ich freue mich, daß du mich lieb hast. Es ist wunderbar. Aber ich traue meinen Gefühlen nicht ganz. Muß man sich nicht erst besser kennen, um…«

Julian unterbrach Gundi mitten im Satz. Er schloß sie einfach fest in die Arme und drückte seine Lippen auf ihren Mund. Er küßte sie zuerst zärtlich, dann fester. Im gleichen Maß entgegnete Gundi seine Gefühle mit innigen Küssen.

Die Sonne sank langsam. Sie stand tief über den Bergen. So tief, daß es aussah, als stehe sie wie eine Laterne auf den Bergspitzen. Die Schneefelder und Gletscher leuchteten rosa. Die nackten Felsen erglühten im tiefen Rot, so als wäre Feuer in ihnen.

»Mein Herz glüht auch so rot, Gundi!« flüsterte Julian. »Mein Herz steht in Flammen, Gundi! Meine Gundi! Mein Madl!«

Julian bedeckte Gundis Gesicht mit Küssen. Sie ließ ihn einfach gewähren. Es gefiel ihr, geliebt zu werden.

»Ich liebe dich, Gundi! Ich liebe dich so! Schon am ersten Tag bei euch daheim, wußte ich, daß du es bist. Du bist das Madl, das ich gesucht habe! Jetzt habe ich dich!«

»Ja!« flüsterte Gundi leise.

Julian bemerkte im Überschwang seiner Gefühle nicht, daß Gundi ihn nicht von sich aus küßte. Er war so im Liebestaumel. Er war einfach nur glücklich.

»Wir werden ein feines Paar abgeben, Gundi!«

Gundi schwieg.

»Warum antwortest du nicht, Gundi?«

Gundi löste sich langsam aus Julians enger Umarmung.

»Sage, Julian, bin ich das erste Madl, das du geküßt hast?«

Julian staunte zuerst über Gundis Frage, dann lachte er laut. Sein Lachen klang unsicher.

»Ist das wichtig für dich? Bist du eifersüchtig? Wie lieb von dir!«

Julian nahm Gundis Hand.

»Höre! Ich will ganz ehrlich sein. Du bist net das erste Madl, das ich küsse. Ich bin seit langem auf der Suche gewesen. Was habe ich gesucht! Da verteilt ein Bursche schon einmal Küsse. Aber das ist alles vorbei! Das ist Schnee vom letzten Jahr! Jetzt zählst nur du! Bei dir bin ich mir absolut sicher, daß du das Madl bist, das ich will, das ich liebe!«

Sie schauten sich in die Augen.

»Julian! Ich muß dir etwas gestehen! Für mich war es mein erster Kuß!«

»Mei, was du net sagst?«

»Nun – schau nicht so erstaunt!«

»Und, wie war es?«

»Schön war es, Julian! Sehr schön!«

»Mei, da freue ich mich, daß du so glücklich bist, Gundi!«

»Wie geht es jetzt weiter?«

»Mei, Gundi, hast du es aber eilig! Wie soll es weitergehen? Ich stelle dich meinen Eltern vor und du mich den deinen. Dann verloben wir uns und heiraten! Oh, Gundi! Du kannst nicht ermessen, wie glücklich ich bin.«

Gundi schaute Julian zärtlich an.

»Julian, auf eine gewisse Art bin ich auch glücklich. Doch du hast einen Vorteil. Du hast Vergleichsmöglichkeiten. Du hast vorher schon geküßt, ich nicht. Diese Liebe ist gekommen wie ein Blitz aus heiterem Himmel.«

»Dann hat’s richtig eingeschlagen, Gundi, wie?«

Gundi stand auf. Sie stellte sich vor Julian hin und nahm seinen Kopf in beide Hände.

»Julian! Julian! Julian! Höre mir zu! Ich gebe zu, daß ich mein Herz an dich verloren habe. Doch das muß ich erst überdenken. Schau, ich muß für mich unbedingt sicher sein, daß du der Mann für mein ganzes Leben sein kannst – sein wirst. Es dreht sich alles in meinem Kopf. Es geht um mich! Ja, ich mag dich! Ja, ich kann auch sagen, daß ich dich gern habe, dich liebe! Doch ich bin mir meinetwegen noch nicht sicher. Was ist, wenn ich mich irre? Du hast Erfahrung – ich nicht. Ich habe mich einfach treiben lassen, dachte, irgendwann kommt schon die Liebe.«

»Nun ist sie da!«

»Sicher! Aber ist es auch die wirkliche, die einzige, die ganz große Liebe?«

Gundi setzte sich wieder neben Julian. Sie atmete tief durch.

»Julian, deine Küsse waren wunderschön. Sie waren wie süße Früchte, von denen ich nie gekostet habe. Bitte, laß es dir genug sein, daß ich dir sage, daß es sehr schön war. Ich bin auch glücklich. Doch wir wollen nichts überstürzen. Wir wollen wirklich herausfinden, ob wir zusammen durch das Leben gehen wollen. Wir müssen das jetzt, heute an unserem ersten Beisammensein, nicht entscheiden. Laß uns Zeit!«

»Ich brauche keine Zeit, Gundi! Ich bin mir sicher! Absolut sicher!«

»Aber ich brauche Zeit!«

Gundi streichelte Julians Wange. Sie sah in seine traurigen Augen.

»Ich kann dir nur immer und immer wieder sagen: Ich liebe dich, Gundi!«

»Ach, liebster Julian! Ich kann dir nur sagen, die Küsse schmecken so süß. Drum prüfe, wer sich ewig bindet, Julian! Du kannst von mir diese Entscheidung jetzt noch nicht verlangen.«

Julian Perner schaute Gundi in die Augen.

»Gundi, gibt es da jemanden, mit dem du mich vergleichen tust?«

»Ich kann dich mit niemanden vergleichen, Julian. Ich hatte noch nie einen Burschen. Das sagte ich dir doch. Ich nehme die Sache sehr ernst.«

»Liebst du mich, Gundi?«

»Ja, Julian! Ich denke, ich liebe dich! Ich habe noch nie geliebt. Ich hoffe, daß diese Gefühle Liebe sind, wirklich Liebe. Das will ich prüfen. Es geht nicht um die Liebe zu dir. Es geht darum, daß ich mir ganz sicher bin! Du bist ein wahrer Draufgänger, Julian! Du küßt mich und schon willst du mich heiraten! So schnell bin ich nicht. Ich muß mir sicher sein – für mich – sicher sein, daß ich diesen Schritt niemals bereuen wer-

de.«

Julian stand auf.

»Ja, dann gehe ich wohl jetzt besser! Vielleicht bin ich wirklich zu stürmisch gewesen, Gundi. Aber ich bin nun einmal ein Draufgänger. Ich setze mir ein Ziel, dann lasse ich nicht nach, bis ich es erreicht habe. Wenn ich mir sicher bin, dann stürme ich los. Dann kämpfe ich. Dann gibt es für mich kein Nachdenken mehr. Ich habe mich entschieden, fertig! Niemand kann wissen, was in Wochen, Monaten, Jahren ist. Man lebt doch im hier und jetzt, oder? Es wird auch nicht besser, wenn man zu viel grübelt und nachdenkt. Ich habe dich gesehen und gewußt, du bist des Madl, das ich gesucht habe und das ich haben will.«

Gundi schlang die Arme um Julians Hals.

»Denke nicht, daß ich das nicht zu schätzen weiß. Ich bin geschmeichelt. Das ist ein wunderbares Kompliment, Julian! Ich beneide dich, daß du so sicher bist. Ich muß erst noch einmal ein bisserl in mich hineinhören, bei all meinen Gefühlen, die ich sicherlich für dich habe.«

Julian seufzte.

»Dann tue das! Vielleicht bin ich auch falsch vorgegangen. Ich habe dich sicher überrumpelt. Aber das ist nun mal meine Art, meine Natur. Außerdem quillt mein Herz über, aus lauter Liebe zu dir.«

Julian küßte Gundi zärtlich und voller Hingabe. Sie erwiderte seine Küsse vorsichtig. Dann standen sie sich noch eine Weile gegenüber und schauten sich stumm in die Augen.

»Gehen wir zusammen runter nach Waldkogel?«

»Nein! Gehe du vor! Du kannst mir einen Gefallen tun. Gehe bei meinen Eltern vorbei und sage ihnen, ich komme später, wenn ich komme. Ich gehe noch bei Ute vorbei. Sie ist drüben auf der Nachbaralm. Vielleicht bleibe ich auch bei ihr über Nacht. Aber dann rufe ich daheim an. Ute hat ein Handy. Ich habe meines daheim vergessen.«

»Du kannst mein Handy benutzen«, bot Julian sofort an.

Gundi schüttelte den Kopf.

»Nein, das halte ich nicht für so gut. Gehe bitte persönlich vorbei. Wir sehen uns dann morgen bei uns daheim auf dem Hof.«

»Gute Nacht, Gundi!«

»Gute Nacht, Julian!«

Julian ging den Weg hinunter. Er drehte sich oft um und winkte Gundi zu. Sie winkte zurück.

*

Gundi ging in die Hütte. Sie schloß in den Kammern die Läden und Fenster, anschließend heizte sie den Ofen in dem großen Raum an, der zugleich als Küche und Wohnraum diente. Sie packte ihren Rucksack aus und nahm das Abendbrot ein. Es war spät geworden. Die Sonne war jetzt über den Bergen nur noch als schmale Sichel zu sehen.

Nach dem Essen spülte Gundi das Messer, das Holzbrett und den Becher ab. Sie griff sich eine Wolldecke und legte sie sich um die Schultern. Eigentlich war es nicht so kalt. Trotzdem fröstelte Gundi. Waren es die aufregenden Ereignisse, die sie frieren ließen? War es die Aufregung nach dem ersten Kuß? War es Julians Liebesgeständnis? Gundi wußte es nicht. Sie fühlte sich nur gedrängt und unsicher.

Wo sind die Gefühle, von denen ich geträumt habe? Habe ich zu viel erwartet? Ist Julian doch nicht der Richtige? Warum liebe ich ihn und habe trotzdem Bedenken? Was ist das, was mich davor warnt, mich zu binden? Ist das Lampenfieber?

Gundi stellte sich Fragen. Sie konnte darauf aber keine Antwort finden. Oder wußte sie die Antwort sehr wohl und wollte sie nur nicht wahrhaben?

Gundi Unterholzer setzte sich auf die Bank vor der Hüte. Die Sterne funkelten jetzt am nächtlichen Dunkel des Himmels. Mittendrin stand groß und hell der Vollmond. Gundi seufzte.

Sie war einsam. Am Mittag hatte sie noch von einer gemeinsamen Nacht unterm Sternenhimmel geträumt. Doch als diese Möglichkeit zum Greifen nah war, hatte sie Julian fortgeschickt.

Warum habe ich das getan? fragte sich Gundi. Ein Wort von mir und Julian wäre geblieben. Aber ich wollte es nicht, ganz im Gegenteil. Eine innere Stimme hatte sie gewarnt, es nicht zu tun – und Gundi war dieser Stimme gefolgt.

Das junge Madl malte sich aus, wie Julian ihre Eltern aufsuchte und ihre Nachricht überbringen würde. Ja, so war es besser. Sie sollten sicher sein, daß sie nicht die Nacht mit Julian verbrachte, weder unter dem Sternenhimmel, noch sonst irgendwo.

Gundi zog die Wolldecke enger um die Schultern. So saß sie noch eine Weile. Dann packte sie zusammen und schloß auch im großen Wohnraum die Fensterläden. Sie schulterte ihren Rucksack, verschloß die Tür und ging davon.

In dieser mondhellen Nacht war der Weg hinüber zur Nachbaralm nicht schwer. Außerdem kannte Gundi den Weg mit geschlossenen Augen. Wie oft war sie ihn als Kind gegangen, um ihre Freundin Ute zu besuchen.

Ute saß vor der Almhütte und hatte eine kleine Katze im Arm. Auf dem Tisch stand eine Spirituslampe, die schwaches Licht von sich gab.

»Grüß Gott, Gundi! Ich habe dich schon früher erwartet. Deine Eltern haben angerufen und dich angekündigt.«

»Grüß dich, Ute! Ich wollte eigentlich auch früher kommen. Aber dann hing ich doch solange meinen Gedanken nach. Da habe ich die Zeit vergessen. Tut mir leid, daß du so lange auf mich warten mußtest. Das wird eine kurze Nacht für dich werden.«

»Ach, dafür sind wir morgen früh zu zweit. Da können wir etwas länger schlafen«, lächelte Ute. »Nun, erzähle mal!«

»Können wir reingehen? Ich friere!«

»Sicherlich! Aber so kühl ist es heute nacht nicht!«

Ute stand auf. Sie trug die kleine Katze hinein und legte sie in einen Korb, ganz in der Nähe des Ofens.

»Die habe ich gefunden! Sie erscheint mir halb verhungert zu sein und muß erst lernen, feste Nahrung zu sich zu nehmen. Hoffentlich bringe ich sie durch!«

»Ich kann das Kätzchen morgen früh mit hinunter nach Waldkogel nehmen und bei der Tierärztin vorbeischauen. Frau Dr. Brand kann sie sich mal ansehen!«

Ute fand, daß das eine gute Idee war. Ute kochte schönen warmen Tee und stellte Kuchen auf den Tisch, der von Mittags noch übrig war.

»Nun, erzähle endlich, Gundi!«

»Ute, bist du schon einmal verliebt gewesen? Wie ist das? Woran kann man feststellen, ob es der Richtige ist? Spürt man das beim Küssen? Du hast doch schon mehr Erfahrung als ich.«

Ute lachte.

»Nur weil ich schon ein paar Burschen hatte, muß das nicht heißen, daß ich eine gute Ratgeberin bin. Ich dachte jedes Mal, das ist der Richtige. Doch dann stellte sich heraus, daß ich mich geirrt hatte. Ich kann dir von meinen Irrtümern erzählen und von meiner großen Hoffnung, eines schönen Tages doch noch dem Mann fürs Leben zu begegnen. Ich weiß nicht, ob dir das hilft. Warum fragst du mich? Hast du dich verliebt?«

Gundi trank einen Schluck Tee.

»Möglich! Für einen Tag dachte ich es! Ich war mir absolut sicher, daß er es ist, mein Bursche. Ich träumte davon, mit ihm zum Traualtar zu schreiten. Doch dann kam alles anders. Ich bin ganz durcheinander. Er sagt, er liebt mich. Er will mich seinen Eltern vorstellen und ich soll ihn meinen Eltern vorstellen. Er hat mich geküßt.«

»Wie war es beim Küssen?«

»Es war wunderbar, wie er mich festhielt und küßte. Es war noch viel schöner, als ich es mir erträumt hatte.«

»Wer ist es? Sag’ es mir!«

»Julian Perner!«

»Nein!« rief Ute erstaunt aus.

»Doch!«

»Was für ein Mann! Ich an deiner Stelle würde ihn sofort zum Fellbacher schleppen. Er müßte uns sofort standesamtlich trauen, ganz egal welcher Tag und welche Uhrzeit es ist. Schließlich ist er Bürgermeister und redet ständig von Bürgernähe. Da würde ich ihn beim Wort nehmen, daß ich Julian das Jawort geben könnte.«

»Ute! Du schwärmst ja richtig von Julian! Warum hast du mir nie etwas erzählt?«

»Ach, der will nichts von mir wissen. Dem bin ich zu unscheinbar. Er ist ein Draufgänger, der steht auf solchen Madl, wie du eins bist – nicht auf so graue Mäuse, wie mich. Mußt nicht denken, ich sei eifersüchtig.«

»Ich weiß schon, daß Julian sehr fesch ist, wenn nicht sogar der feschste Bursche in ganz Waldkogel und Umgebung. Ich dachte, ich werde Kirchenglocken läuten, Posaunen blasen und die himmlischen Heerscharen singen hören, wenn er mich küßt. Doch so war es nicht. Sicherlich war es schön. Das kann ich nicht leugnen. Aber ich habe mehr erwartet. Ach, Ute, wie soll ich es dir erklären?«

Ute wunderte sich, daß es nicht so gewesen sein sollte.

»Aber er gefällt dir doch, Gundi – oder?«

»Sicher gefällt er mir! Aber die Schmetterlinge in meinem Bauch tanzten nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Es war mehr ein vorsichtiger Reigen.«

Gundi seufzte tief.

»Auf der einen Seite bin ich mir sicher! Andererseits habe ich Angst, daß ich irgendwann einem Burschen begegnen könnte, dessen Anblick allein schon die Welt für mich stillstehen läßt. Das soll es auch geben. Es macht einfach ›Bum – Peng – bum‹ und nichts ist so, wie es war. Verstehst du? Wenn ich Julian nehme, was mache ich dann mit dem anderen?«

Ute stand auf. Sie holte die Kanne mit dem Tee vom Ofen und schenkte nach. Die beiden jungen Frauen gaben Honig dazu und rührten um.

Ute schaute Gundi nicht an, als sie leise fragte:

»Sag mal, kann es sein, daß du dich in zwei Burschen verliebt hast?«

»Wenn ich das wüßte, dann wäre ich schlauer!«

»Aha!« sagte Ute laut. »Dann gibt es also noch einen?«

Gundi schüttelte heftig den Kopf. Sie wehrte sich sehr gegen Utes Verdacht. Sie bezweifelte, daß es möglich sein konnte, so schnell den Kopf zu verlieren.

»Er hat mich doch nur nach dem Weg gefragt. Er ist eine Zufallsbekanntschaft. Ich kenne ihn nicht. Ich werde ihn auch nicht wiedersehen. Er dient nur als Anschauungsobjekt. Ich weiß nur, daß ich auf der Wiese lag und an Julian dachte. Ich träumte so schön vor mich hin. Dann kam er vorbei und ich konnte nur noch mit Mühe an Julian denken. Ist das nicht schlimm? Kann man sich so schnell verlieben? Kann man die Liebe so schnell vergessen? Julian ist wunderbar. Ich liebe ihn auch. Aber was ist, wenn mir später wieder so ein Wanderer begegnet, bei dessen Anblick die Welt stillsteht? Wie kann man sich sicher sein? Absolut sicher, daß die Wahl, die man trifft, die richtige Wahl ist? Kannst du mir das sagen, Ute?«

Ute schüttelte den Kopf. Sie konnte Gundi keinen Rat geben. Ute hatte sich schon öfter verliebt. Jedesmal spürte sie die Schmetterlinge im Bauch. Jedesmal glaubte sie, auf Wolken zu schweben. Das ging auch immer so eine Weile.

»Doch dann habe ich einfach festgestellt, daß er mein Herz nicht ganz ausfüllt. Da darf darin kein Platz mehr sein für einen anderen. So denke ich das mir, jedenfalls nach meinen Erfahrungen.«

Ute erklärte Gundi ausführlich, zu welchen Schlußfolgerungen sie nach ihren Liebeserfahrungen gekommen war. Sie dachte sich es so: Das Herz müßte völlig ausgefüllt sein mit Liebe zu einem Burschen.

»Doch wie sollte es sonst sein? Das frage ich dich, Gundi? Wenn ich einen Burschen liebe und noch Platz in meinem Herzen habe für einen anderen, dann stimmt etwas nicht, oder?«

»Aber ich kann nicht sagen, daß ich Julian nicht liebe. Ich träumte von ihm. Ich fühlte diese Schmetterlinge im Bauch. Ich will ihn auch nicht aufgeben. Das würde mir auch das Herz brechen. Julian versichert mir, daß er mich liebt. Daß ich die Richtige bin. Ich habe ihn danach gefragt. Er hatte schon Liebschaften. Ich bin nicht das erste Madl, das er geküßt hat. Für mich ist er aber der erste Bursche.«

»Und ein anderer ist dir über den Weg gelaufen…«

»Warum muß das zusammen passieren?« fragte sich Gundi.

»Darauf kann ich dir keine Antwort geben, Gundi! Kein Mensch auf Erden kann dir darauf eine Antwort geben. Vielleicht haben die Engel auf dem ›Engelssteig‹ eine Erklärung, ich nicht, Gundi!«

»Ich danke dir, daß du mir zugehört hast! Bist eine wahre Freundin.«

Ute lächelte Gundi an. Gemeinsam erinnerten sie sich an Utes Nächte voller Liebeskummer und Zweifel. Wie oft war Ute hin- und hergerissen zwischen zwei Gefühlen. Damals hatte Gundi die Freundin nicht so ganz verstanden. Heute war das anders.

»Was willst du jetzt machen?« fragte Ute.

»Ich weiß nicht! Erst einmal abwarten. Mich heimlich mit Julian treffen. Prüfen, ob meine Liebe zu ihm wirklich mein ganzes Herz ausfüllt. Was sollte ich sonst tun?«

»Das ist ein Weg, es herauszufinden. Der andere Weg ist, daß du versucht, diesen Urs zu finden. Besuche Toni und Anna auf der Berghütte. Wenn er dort ist und du ihn siehst, wirst du erfahren, was dein Herz dir zuflüstert. Entweder klopft es oder es bleibt stumm.«

Gundi faßte sich an die Brust.

»Es rast, wenn ich nur an Urs denke.«

»Das ist wirklich bedenklich, Gundi. Du solltest ihn auf keinen Fall vergessen. Wenn du nichts tust, dann bereust du es dein ganzes Leben lang. Vielleicht magst du ihn nicht, wenn du ihn dir näher anschaust. Das ist auch möglich, oder? Auf jeden Fall solltest du dir Klarheit verschaffen.«

Ute ließ Gundi Zeit zum Nachdenken. Währenddessen machte Ute eine Runde um die Almhütte. Es war alles ruhig. Ute beneidete Gundi darum, daß sie von Julian geliebt wurde. Aber trotzdem hatte sie großes Mitleid mit der Freundin. Es war Gundis Leben. Sie mußte sich entscheiden. Vielleicht paßten Gundi und Julian auch gar nicht so gut zusammen. Julian war lebhaft. Er war ein richtiger Draufgänger. Er wollte immer und überall der Erste und der Beste sein. Er war Wortführer und redete und redete. Gundi dagegen war ruhig. Sie wollte schon früher in der Schule nicht auffallen. Gundi war immer die Klassenbeste. Aber sie prahlte nicht damit. Sie hielt sich immer eher im Hintergrund. Sie liebte es nicht, in der ersten Reihe zu stehen. Wenn Gegensätze sich anziehen, wie man sagt, dann sind Gundi und Julian wirklich das perfekte Paar, überlegte Ute. Doch würde Gundi auf die Dauer glücklich sein können an der Seite von Julian? Das fragte sich Ute.

Sie ging wieder hinein.

Gundi gähnte.

»Ich komme jetzt zu keinem Entschluß, zu keiner Entscheidung. Vielleicht soll man wirklich erst einmal darüber schlafen.«

»Richtig! Uns bleiben nur noch vier Stunden! Dir rate ich, zwei Nächte drüber zu schlafen, Gundi! Vielleicht verbringst du die nächste Nacht oben auf der Berghütte?«

Gundi zuckte mit den Schultern.

»Auch das entscheide ich morgen!«

Ute zeigte Gundi, wo sie schlafen konnte. Müde und erschöpft schlief Gundi gleich ein. Sie träumte nicht nur von Julian, sondern auch von Urs. Sie wälzte sich im Traum unruhig im Bett hin und her.

Deshalb ließ sie Ute am nächsten Morgen schlafen. Leise stand sie auf und machte die Morgenarbeit alleine.

*

Erst das Mittagsläuten der Glokken der schönen Barockkirche von Waldkogel holte Gundi aus ihren Träumen. Sie rekelte sich im Bett und streckte sich. Langsam kam sie zu sich. Sie blinzelte und schaute auf ihre Armbanduhr.

»Oh, Gott! Schon so spät!« entfuhr es ihr laut.

Mit einem Sprung stand sie vor dem Bett. Ute drückte die angelehnte Tür auf. Lächelnd stand die Freundin im Türrahmen.

»Guten Morgen, oder besser, guten Tag!«

»Wie kannst du mich so lange schlafen lasse, Ute? Erst raube ich dir deine wohlverdiente Nachtruhe und dann verschlafe ich auch noch. Warum hast du mich nicht geweckt?«

»Dafür hatte ich schon meine Gründe! Außerdem – begrüßt man so eine liebe Freundin?«

Gundi fuhr sich durch die Haare.

»Oh, Ute! Es tut mir leid! Entschuldige!«

»Schon gut! Hast du gut geschlafen und etwas Schönes geträumt?«

Gundi zuckte mit den Schultern.

»Ich fühle mich zerschlagen. Ich kann mich an keinen Traum erinnern. Also hatte ich zumindest keine Alpträume. Daran erinnere ich mich meistens.«

»Jetzt nimmst du erst einmal eine Dusche. Dann fühlst du dich besser! Derweil koche ich dir einen schönen Kaffee.«

Ein wenig später saßen Gundi und Ute vor der Almhütte und aßen. Ute nahm mit Gundi ein zweites Frühstück ein.

»Du mußt müde sein, Ute?«

»Nein! Mache dir da mal keine Sorgen. Hier auf der Alm ist nicht viel zu tun. Es ist ja keine richtige Almwirtschaft. Da habe ich es fein getroffen in diesem Jahr. Der Onkel, dem die Alm gehört, will auf Ziegenwirtschaft umstellen. Deshalb hat er im Frühjahr eine kleine Ziegenherde gekauft. Die dürfen sich jetzt einige Jahre vermehren. Sie müssen nur beaufsichtigt werden. Alle weiblichen Tiere sind tragend. Ich schätze, es dauert noch einige Tage, bis die ersten Zicklein geboren werden. Ansonsten versorge ich nur die Hühner, die der Onkel hier oben hält. Es ist eine besonders robuste Rasse, die die Temperaturschwankungen so hoch oben in den Bergen gut verträgt. Ich muß sie nur früh morgens aus dem Stall lassen und abends die Tür verriegeln. Ach, und die Eier einsammeln. Ansonsten kann ich es mir gutgehen lassen.«

»Dann hast du viel freie Zeit! Einmal davon abgesehen, daß du hier sein mußt.«

»Ja, so ist es! Wenn ich fort könnte, würde ich mit dir auf die Berghütte gehen und mir diesen Urs ansehen. Er muß wirklich ein fescher Bursche sein.«

»Ute!« Gundi warf ihrer Freundin einen tadelnden Blick zu. »Ute! Ich habe noch nicht entschieden, daß ich gehe!«

Ute schmunzelte.

»Stimmt! Du nicht! Aber ich!«

»Naa, naa! Ich laufe diesem Urs doch nicht nach.«

»Schmarrn! Du läufst ihm nicht nach! Du besuchst Anna und Toni!«

»Naa! Dafür gibt es keinen Grund!«

»Irrtum, meine Liebe! Irrtum! Du wirst die Eier auf die Berghütte bringen!« grinste Ute und biß in ein Brot.

Ute kaute genüßlich und ließ sich Zeit.

»Ja, wie sich das so trifft! Ich denke, diese besonderen Eier sind genau richtig für die Berghütte. Auf der Oberländer Alm gibt es keine Hühner. Ich dachte mir, daß sich Anna freuen wird, den Hüttengäste besondere Eier zu servieren.«

»Dann war das also deine Idee? Wie kannst du! Ute!«

Ute lachte nur.

»Schaue nicht so entsetzt. Ich schwöre, daß ich kein Wort über den Urs Wildbacher verloren habe. Ich habe nur angerufen und gefragt, ob sie mal diese guten Eier probieren wollten. Toni war am Telefon. Er war davon ganz angetan. Also, kurz zusammengefaßt: Die Eier müssen rauf auf die Berghütte. Das ist nun einmal eine Tatsache. Du hast jetzt zwei Möglichkeiten, meine liebe Gundi. Du bringst die Eier hinauf – tust so, als sei dies ganz selbstverständlich – oder du kneifst. Dann brauchst du aber auch niemals mehr nur ein einziges Wort mit mir zu reden.«

»Damit willst du mir drohen? Das hast du früher in der Schule schon nicht durchgehalten, Ute.«

Die beiden jungen Frauen lachten herzlich.

»Eigentlich müßtest du mir dankbar sein. Eier auf die Berghütte zu liefern ist völlig unverfänglich. Es sieht net so aus, als würdest du diesem Urs nachlaufen. Du gehst am späten Nachmittag los. Dann bist du bis zur Dämmerung auf der Berghütte.«

»So lange brauche ich nicht. Ich muß ja noch zurück.«

Ute schmunzelte und schüttelte den Kopf.

»Nein, das mußt du nicht! Du wirst heute abend daheim nicht erwartet.«

Gundi machte große Augen.

»Was willst du damit sagen, Ute?«

»Schaue nicht so. Dein Vater hat angerufen. Es ist alles geregelt. Du wirst heute abend nicht auf dem Hof erwartet.«

»Sag mal, wie kommst du dazu, dich so in mein Leben einzumischen?«

»Weil ich dich kenne und du oft eine kleine Entscheidungshilfe brauchst. Dazu ist eine Freundin doch da, oder? Jedenfalls kann es sein, daß du mit diesem Urs ins Gespräch kommst. Dann mußt du nur noch lauschen, was dir dein Herz zuflüstert. So einfach ist es! Jedenfalls wollte ich nicht die Gelegenheit verpassen, dir etwas Schützenhilfe zu geben. Es liegt jetzt ganz bei dir, was daraus wird. Jedenfalls kannst du dich von dem Vorwurf freisprechen, daß du ihm nachlaufen würdest. Das tust du nicht. Du bringst die Eier auf die Berghütte!«

»Du bist ein raffiniertes Biest, Ute! Aber ich verzeihe dir!« Gun-

di seufzte tief. »Von alleine wäre

ich doch nicht gegangen«, gestand sie.

»Das wußte ich!«

»Was haben meine Eltern gesagt?«

»Nichts! Sie wünschen dir eine schöne Zeit. Deine Mutter meinte, du würdest dem Julian aus dem Weg gehen. Sie fragte mich, ob ich etwas wüßte.«

»Und? Und? Was hast du gesagt?«

»Daß ich nichts wüßte. Ich habe mich dumm gestellt. Aber deine Mutter ist ganz schön neugierig, das muß ich schon sagen.«

Gundi seufzte.

»Mutter ist schon lieb! Aber mit ihr kann ich nicht so reden wie mit dir.«

»Das ist normal. Mit Müttern kann man nie so reden wie mit Freundinnen. Was ist? Gehst du jetzt?«

»Ja!« seufzte Gundi. »Wieviel Eier sind es denn?«

Ute grinste.

»Einige Dutzend! Eine Testlieferung! Eine feste Uhrzeit habe ich auch nicht zugesagt. Es kommt also nicht auf die Minute an. Anna und Toni wollen die Eier für Morgen.«

Gundi und Ute waren fertig mit Essen. Sie räumten den Tisch ab. Dann saßen die beiden Freundinnen vor der Almhütte und schauten der kleinen Herde Bergziegen zu, die auf der Wiese stand.

»Es ist so schön hier, Ute! So ruhig! Keine Hektik! Keine Renovierungsarbeiten! Keine Blicke von den Eltern! Die haben mich in den letzten Wochen ständig beobachtet. Es war schon schlimm. Ich denke, daß ihnen der Julian als Schwiegersohn sehr gefallen würde.«

»Geh’ die Sache langsam an, Gundi! Laß nur dein Herz sprechen.«

»Ja, das werde ich tun! Es wird mir schon den richtigen Weg zeigen.«

»Das wird es!«

Die Freundinnen schauten über das Tal hinauf zu den Gipfeln der Berge und freuten sich an Gottes schöner Natur.

»Weißt du, Gundi, mein Onkel sagt oft, daß wir Menschen uns ein Beispiel an der Natur nehmen sollten. Es ist nicht immer schönes Wetter. Es gibt auch Unwetter. Oft bricht so ein Wettersturz ohne große Vorwarnung herein. Dann denkt man, die Welt geht unter. Genauso ist es mit Ereignissen im Leben. Oft werden die Menschen vor plötzliche Entscheidungen gestellt und wissen nicht ein noch aus, sagt mein Onkel. Doch genau wie es nach einem Unwetter wieder aufklart, lösen sich auch im Leben der Menschen die Verstrickungen. Dabei hilft nicht, wenn man einfach den Kopf in den Sand steckt. Man muß handeln. Das Risiko, daß man das Falsche tut, gibt es immer. Aber es ist besser, überhaupt etwas zu tun, als nicht zu handeln.«

»Das stimmt«, bemerkte Gundi leise.

»Deshalb schaue dir diesen Urs noch einmal an. Wenn du es nicht tust, wirst du dich vielleicht irgendwann in deinem Leben fragen, warum du es nicht getan hast. Du stellst dir dann vor, wie dein Leben verlaufen wäre, wenn du Urs gesprochen hättest. Dann wirst du es sehr bereuen, daß du die Gelegenheit verpaßt hast, Gundi.«

»Das stimmt! Vielleicht hat Urs auch nur so dahergeredet, weil er einfach nur freundlich sein wollte, Ute.«

»Das ist auch möglich. Wobei ich das nicht recht glauben kann nach deiner Erzählung. Also gibt es nur einen Weg: Finde es heraus!«

»Ich werde es herausfinden!«

Gundi und Ute verbrachten eine schöne Zeit, bis Gundi am späten Nachmittag aufbrach.

*

Gundi wanderte erst ein Stück in Richtung Waldkogel. Dann schlug sie oberhalb des Ortes den ›Pilgerweg‹ ein. Es war ein Umweg, ein sehr großer Umweg. Doch Gundi hatte diesen geschichtlich so bedeutsamen Weg bewußt gewählt. Während sie langsam, aber gleichmäßig Fuß vor Fuß setzte, dachte sie nach. Seit vielen Jahrhunderten, seit mehr als einem Jahrtausend, wanderten Pilger auf diesen Weg nach Süden in Richtung der heiligen Stadt. Jeder von ihnen trug eine Bürde. Jeder schleppte Kummer im Herzen mit sich. Was immer es auch war, allen war eines gemeinsam: Sie erhofften sich Erlösung von ihrem Herzleid.

Ich könnte glücklich sein, dachte Gundi. Julian Perner hat mir seine Liebe gestanden. Er überschüttete mich mit Zuneigung. Das ist auch alles ganz wunderbar. Doch warum kann ich mich nicht ganz darauf einlassen? Es war alles in Ordnung, bis mir Urs begegnete.

Warum mußte er sich verlaufen?

Warum mußte ich auf der Wiese vor mich hinträumen?

Wenn ich nur einige Minuten vorher aufgebrochen wäre, dann hätten wir uns nie in die Augen gesehen. Oder?

Fragen, Fragen, nichts als Fragen, seufzte Gundi innerlich. Es mußte wohl so sein. Auf die Frage warum, werde ich wohl niemals eine Antwort bekommen.

Trotzdem rätselte Gundi, während sie weiterging.

Vielleicht mußte es so sein?

Vielleicht soll meine Zuneigung zu Julian auf eine Probe gestellt werden?

Vielleicht soll ich wirklich vom Himmel dazu gezwungen werden, mir ernsthafte Gedanken über die Liebe zu machen.

Gundi dachte an Julian. Sie leugnete nicht, daß er ihr gefiel. Sie belog sich nicht selbst. Wenn sie das Gefühl in ihrem Herzen richtig deutete, dann war sie verliebt in Julian Perner.

Doch Gundi war verwirrt. Wenn ich jemanden liebe, in einen gutaussehenden, wirklich feschen Burschen verliebt bin, wenn ich schon vom gemeinsamen Gang zum Traualtar träume, mir mein Brautdirndl vorstelle, wie kann mich dann der Anblick eines anderen Menschen so verwirren?

Bin ich nur verliebt in die Liebe?

Finde ich das Gefühl einfach nur schön, weil es neu ist?

Am meisten beunruhigte Gundi der Gedanke: Wenn du liebst, wenn du wirklich mit ganzem Herzen liebst, dann darf kein Gefühl für einen anderen Burschen darin Platz haben. Dann ist das Herz ganz von dieser einen glühenden Liebe ausgefüllt und nichts kann dich an dieser Liebe zweifeln lassen.

Ich habe Julian geküßt. Seine Küsse waren wunderbar. Der Blick in seine Augen versprachen so viel. Ich konnte darin lesen wie in einem Buch. Und wenn ich ehrlich bin, hat Julian auch mich schon Wochen beobachtet. Er muß sich viele Gedanken gemacht haben. Er hat sich alles genau überlegt. Sicherlich habe ich es bemerkt. Auch ich habe mir Gedanken gemacht. Trotzdem bin ich jetzt nicht hundertprozentig glücklich. Das gestand sich Gundi ein.

Gundi war wirklich nicht glücklich. Sie setzte ihren Weg fort und überlegte, ob es möglicherweise daran lag, daß sie, als sie Urs begegnet war, noch nicht geküßt worden war? Bringt ein Kuß von seinem Liebsten eine Art Schutz, so wie bei einer Impfung?

Das war ein interessanter Gedanke. Er gefiel Gundi. Ganz langsam, wirklich ganz langsam reifte in ihr eine Überlegung. Ich muß mich doch eigentlich nur von diesem Urs Wildbacher küssen lassen. Dann müßte ich doch spüren, ob er mir etwas bedeutet. Wenn Julians Küsse wie eine Impfung waren, dann müssen mich Urs’ Küsse kalt lassen. Doch ist das Julian gegenüber fair? Das fragte sich Gundi. Im nächsten Augenblick überlegte sie, daß Julian ihr gegenüber im Vorteil war. Er war schon richtig verliebt gewesen und hatte auch andere Frauen geküßt. Gundi rechnete Julian die Ehrlichkeit hoch an. Müßte er ihr gegenüber nicht dann auch nachsichtig sein? Er hat Maßstäbe für die Liebe. Ich nicht. Was kann daran schlimm oder schlecht sein, wenn ich es probiere? Nur dann kann ich es wirklich herausfinden.

Ja, so ist es! Wenn ich Urs’ Lippen berühre, dann muß ich es wissen. Ich werde es spüren, tief in meinem Herzen. Es müßte einen Unterschied geben zwischen den Küssen von Julian Perner und denen von Urs Wildbacher.

Wie stellt man das an? Ich muß ihn irgendwie verführen! Was ist, wenn er mich nicht küssen will? Was mache ich dann? Überhaupt, was wird er von mir denken? Auf der anderen Seite bleibt mir doch keine Wahl.

Gundi lächelte still vor sich hin. Sie dachte an das Sprichwort:

›Wer die Wahl hat, hat die Qual!‹

Gundi seufzte tief und ging weiter. Die Sonne über den Bergen neigte sich dem Abend zu. Der Himmel war blau. Adler kreisten hoch in der Luft. Mit weit ausgebreiteten Schwingen ließen sie sich von Luft und Wind tragen. Am Berghang auf der anderen Talseite hasteten Gemsen den Fels hinauf. Alles hat seinen Platz in der Schöpfung. Da werde ich meinen Platz auch finden, hoffte Gundi.

Sie ging weiter. Unterwegs kam sie an Schutzhütten vorbei. Sie waren voller Wanderer, die nichts unversucht ließen, das junge fesche Madl einzuladen. Aber Gundi blieb standhaft, lächelte, grüßte und ging weiter.

Endlich erreichte Gundi die Abzweigung. Rechts bog der schmale Pfad ab. Er führte über die markante Stelle, die die Waldkogeler nur das ›Erkerchen‹ nannten, zur Berghütte. Gundi wußte, daß in Waldkogel alle erzählten, Liebespaare kämen sich dort besonders schnell nah. Auch Gundis Eltern hatten sich beim ›Erkerchen‹ das erste Mal geküßt. Das wußte Gundi von ihrer Mutter. Ihre Großmutter und ihr Großvater hatten sich dort ebenfalls getroffen, wie viele Liebespaare seit langer, langer Zeit.

Vielleicht genügt es auch, wenn ich mich alleine hierhersetze und an Julian denke und an Urs. Vielleicht kommt dann schon etwas Klarheit in mein Herz. Gundi blieb einen Augenblick stehen. Dann dachte sie an die Eier. Pflichtbewußt, wie Gundi war, entschied sie sich, zuerst die Eier bei Toni und Anna abzuliefern. So setzte sie ihren Weg fort.

Schon von weitem sah Gundi, daß die Terrasse vor der Berghütte voller Gäste war. Einige lagerten sogar auf dem Geröllfeld in der schönen Abendsonne, die jetzt schon sehr tief stand. Die Gipfel der Berge leuchteten im Schein der untergehenden Sonne rosa bis glutrot. Es war eine Farbenpracht, die jeden Betrachter ergriff und Ehrfurcht hervorrief. Das bemerkte Gundi auch, als sie zur Berghütte kam. Obwohl es sehr voll war, war es leise. Es sprach kaum jemand. Und wenn, dann wurde nur geflüstert, um die Erhabenheit des Augenblicks nicht zu stören.

Gundi stieg die Stufen zur Terrasse hinauf. Sie betrat die Berghütte. Der alte Alois saß am Kamin. Er sprach leise mit Hüttengästen, die sich um ihn geschart hatten. Bello, der junge Neufundländerrüde, lag vor dem Kamin, seinem Lieblingsplatz. Neben ihm hockten Sebastian und Franziska. Auch sie hingen an Alois’ Lippen.

Toni stand hinter dem Tresen und zapfte Bier. Durch die offene Tür dahinter konnte Gundi Anna sehen, wie sie in der Küche hantierte.

»Grüß Gott, Toni!«

»Grüß Gott, Gundi! Mei, fein, daß du schon da bist! Gib die Eier bitte gleich der Anna! Mei, ist des heute ein Hochbetrieb. Ich habe schon die Ute angerufen und gefragt, wann du kommst. Wir sind wirklich knapp. Alle – viel mehr als sonst – wollen Eier mit Speck!«

Gundi ging in die Küche der Berghütte. Trotz der vielen Arbeit sah Anna fröhlich und glücklich aus.

»Grüß Gott, Anna! Hier sind die Eier! Ich hoffe, sie reichen.«

»Grüß dich, Gundi! Ich habe noch Eier. Aber es brauche immer eine große Reserve. Hier oben kann ich nicht schnell in den Supermarkt fahren und einkaufen gehen. Das ist nicht möglich!«

»Du hast viel Arbeit? Kann ich dir etwas helfen?«

»Das ist lieb! Aber ich habe alles im Griff! Danke! Das ist nicht nötig!«

Behende huschte Anna zwischen Tisch und Herd hin und her. Plötzlich hielt Anna inne. Sie musterte Gundi, die immer noch in der Küche stand.

»Was ist, Gundi? Warum schaust du mich so an? Bin ich irgendwo schmutzig?«

Anna fuhr sich mit den Händen durch das Gesicht.

»Nein, nein! Das ist es ja gerade! Du hast so viel Arbeit und du strahlst und schaust einfach wunderbar aus.«

»Danke für das Kompliment! Ich bin so wie immer.«

»Nein, du siehst wunderbar aus. So wirklich glücklich schaust du aus. Dabei rennst du hin und her.«

Anna lächelte.

»Es ist ein wunderbarer Tag. Wir haben heute besonders liebe Hüttengäste, alles richtige Bergwanderer und Bergsteiger, die Ehrfurcht vor der schönen Natur haben. Viele waren schon zum alten Alois gekommen, als der noch die Berghütte bewirtschaftete. Jedenfalls macht uns, Toni und mir, die Arbeit heute besondere Freude. Toni ist glücklich. Wir haben Hüttengäste, mit denen Toni als Bub gewandert war, es sind richtige Bergkameraden. Toni ist so glücklich und ich bin glücklich, daß Toni so froh ist, Gundi. Wenn man im Herzen glücklich ist, dann strahlt das nach außen. Dann leuchtet man wie eine Laterne in der Dunkelheit.«

»Dann bist du sehr glücklich mit Toni?«

»Ja, ich bin sehr glücklich. Warum fragst du?«

Gundi seufzte tief.

»Weil ich im Augenblick auf der Suche nach dem Glück und der Liebe bin. Es mag für dich seltsam klingen, aber ich bin auf der Suche nach der absoluten Gewißheit, daß ich den Richtigen liebe.«

Anna lachte.

»Das kann dir niemand sagen, Gundi! Sicherlich wirst du heute nicht mehr runter nach Waldkogel wollen. Du kannst bei uns im Wohnzimmer schlafen. Später, wenn die Sonne untergegangen ist und alle gegessen haben, dann habe ich etwas Zeit. Wenn du magst, dann setzen wir uns zusammen und reden ein bisserl, so wie es eben nur Frauen tun, willst du?«

Gundi zögerte.

»Was ist?« fragte Anna und schob die große Bratpfanne auf die Feuerstelle.

»Ich frage mich, ob es etwas bringt, wenn ich alleine eine Weile zum ›Erkerchen‹ gehe und nachdenke. Dort sollen sich schon viele über ihre Gefühle klargeworden sein. Allerdings waren sie zu zweit. Ich bin alleine. Vielleicht kommt mein aufgewühltes Herz dort zur Ruhe.«

»Das ist eine gute Idee! Dort liegt eine Stablampe! Hast du Proviant? Tee? Schokolade? Das ist das mindeste.«

Anna wartete nicht lange ab. Sie packte eine Thermoskanne und etwas Proviant in einen Stoffbeutel, dazu die große Stablampe.

»Geh ruhig, Gundi! Die Ruhe und Abgeschiedenheit werden dir guttun! Ich wünsche dir eine schöne Zeit. Außerdem bist du nie alleine. Die Engel vom ›Engelssteig‹ sind immer bei dir!«

Gundi lächelte Anna an. Sie nahm die Sachen und ging davon.

*

Gundi erreichte das ›Erkerchen‹. Sie setzte sich auf die Bank. Einige Wanderer kamen vorbei. Sie blieben eine Weile am Geländer stehen und schauten in die Weite. Gundi war froh, als sie weitergingen. Die jungen Wanderer versuchten mehrmals, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Aber Gundi antwortete nur knapp. Sie kramte in ihrem Rucksack, zeigte mit Absicht kein Interesse an einem Gespräch. Gundi verspürte kein Bedürfnis nach Gesellschaft von jungen Burschen. Sie vermied sogar jeden Blickkontakt. Das tat sie bewußt. Wenn ich Urs nicht in die Augen gesehen hätte, wäre das vielleicht alles nicht geschehen, überlegte sie.

Gleichzeitig sehnte sie sich nach diesen wunderschönen, großen rehbraunen Augen, die so sanft blickten. Gundi knabberte an einem Keks. Sie blickte in die Weite. Sie stand auf und trat an das Geländer.

Die Aussicht vom ›Erkerchen‹ ist wirklich grandios, dachte sie. Vor ihr breitete sich tief unten das Tal aus. Inmitten grüner Wiesen lag idyllisch Waldkogel. Der goldene Wetterhahn auf der Turmspitze leuchtete in der Sonne. Gundi ließ die Augen den Hang hinaufgleiten mit dem dichten Tannenwald. Oberhalb beobachtete sie Gemsen, die die Felsen hinaufkletterten. Sie waren sehr ausgelassen. Dieser Anblick trug Heiterkeit und Fröhlichkeit in Gundis Herz. Ja, die Natur, sie gibt auf alles eine Antwort und zeigt einen Weg.

Nach einer Weile beschloß Gundi, den Dingen einfach ihren Lauf zu lassen. Es bringt nichts, wenn ich darüber grübele. Gundi mußte sogar schmunzeln. Ist es nicht oft im Leben so, daß einem zwei Dinge gefallen, zwei verschiedene Dirndl, zwei Paar Schuhe? Auch dann fällt einem die Entscheidung schwer. Wie komme ich in einem solchen Fall zu einer Entscheidung? Das überlegte Gundi. Es ist immer eine Entscheidung des Gefühls. In welchem Dirndl fühle ich mich besser? In welche Schuhe schlüpfe ich und fühle, das sind sie?

Gundi war klar, daß die Entscheidung zwischen zwei Burschen nicht so einfach zu treffen war, wie beim Kauf von Dirndln oder Schuhen. Notfalls konnte sie sich dafür entscheiden, beide zu erwerben, beide Kleider und beide Paar Schuhe. Ich kann beide Burschen auf Dauer nicht haben, das war Gundi klar. Irgendwann muß ich mich entscheiden. Entweder nehme ich Julian oder Urs. Julian kenne ich etwas besser als Urs. Aber beim Blick in Urs’ Augen war es wohl Liebe auf den ersten Blick, wenn es Liebe auf den ersten Blick gibt. Gundi hatte bisher immer an dieser Aussage gezweifelt.

Was sagte schon ein einziger Blick aus?

War das wirklich möglich?

Konnte jemand nach einem einzigen Blick wissen, ob der andere oder die andere der oder diejenige war, die das eigene Herz im stillen suchte?

Gundi träumte und sie fühlte dabei ein warmes Gefühl in ihrem Herzen. Es muß schon etwas daran sein, wenn alle davon sprechen. Jeder Mensch begegnet vielen anderen Menschen und schaut in die Augen. Einige Menschen sind sympathisch und andere unsympathisch.

Doch dann passiert es!

Es genügt wohl der winzige Bruchteil eines Augenaufschlages und die Herzen stellen eine Verbindung her. Mit Urs ist es mir so ergangen. Mit Urs ist es so gewesen. Es hatte mich völlig unvorbereitet getroffen. Es war einfach geschehen. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel! Das muß ich anerkennen. Bei Julian war es nicht so. Gut, er gefiel mir. Ich habe ihn wochenlang jeden Werktag gesehen. Doch es war nicht, als käme eine Urgewalt über mich.

Bedeutet das, daß Urs meine große Liebe ist?

Heißt das, daß ich mich für ihn entscheiden soll?

Was ist dann mit Julian?

Er hat mir seine Liebe gestanden. Er will mich als sein Madl haben. Er macht Zukunftspläne, genau wie ich davon geträumt habe. Ich habe ihm noch nicht zugesagt – nein, das habe ich nicht. Ich hätte es wohl, wenn ich Urs nicht begegnet wäre.

Gundi überlegte. Es war klar, daß sie erst mit Julian sprechen wollte, wenn sie sich ihrer Gefühle völlig sicher war.

»Hallo! So sieht man sich wieder! Welch ein Zufall! Das ist schon das zweite Mal. Wenn wir uns zum dritten Mal treffen, dann gibt es eine Tafel Schokolade. So sagt man doch?«

Gundi wandte sich schnell um. Sie starrte ihn an. Vor ihr stand Urs. Er lächelte sie an.

»Guten Tag! Nun fast kann man sagen ›Guten Abend‹!«

»Oder du sagst einfach ›Grüß Gott‹! Das ist neutral und paßt immer!«

»Stimmt! Also Gundi! Ein herzliches ›Grüß Gott‹!«

»Grüß Gott, Urs!«

Gundi schaute ihm in die Augen und fühlte, wie ihr Herz klopfte.

»Was machst du hier?«

Urs lachte laut.

»Ich war etwas wandern! Verlaufen habe ich mich diesmal nicht! Und du?«

Gundi spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoß. Schnell wandte sie sich ab und ging zur Bank.

»Ich war auf der Berghütte! Doch dort war ziemlich viel Betrieb.«

»Ah! Dann darf ich hoffen, daß du mich besuchen wolltest?«

Gundi errötete tief. Urs tat, als bemerkte er es nicht.

»Ich… ich… ich habe nur die Eier gebracht. Meine Freundin Ute kann die Alm nicht verlassen, weil die Bergziegen bald niederkommen. Da habe ich an ihrer Stelle die Eier ausgeliefert.«

»Das ist ein Grund, wenn auch nicht der Grund, auf den ich gehofft hatte. Egal, aber irgendwie haben wir uns doch getroffen. Wollen wir uns setzen?«

Sie setzten sich nebeneinander auf die Bank. Urs holte aus seinem Rucksack eine Tafel Schokolade und brach sie in zwei Teile.

»Hier, bitte! Eigentlich sagt man, daß es Schokolade erst beim dritten Mal gibt, aber wir machen eine Ausnahme. Ich freue mich jedenfalls sehr, daß ich dich getroffen habe.«

»Dann bist du mir nicht gefolgt? Nachgelaufen?«

»Nein! Hättest du dir das gewünscht?«

Gundi errötete wieder.

»So etwas fragt man ein Madl nicht, Urs!«

Urs atmete tief durch. Er schüttelte den Kopf.

»Da bin ich mir nicht ganz sicher. Aber egal! Ich freue mich jedenfalls riesig, daß ich dich getroffen habe. Das kann kein Zufall sein! Das muß Fügung sein. Oder noch besser: Führung, Teil eines höheren Planes.«

Urs biß in die halbe Tafel Schokolade.

»Ich gestehe dir jedenfalls«, fuhr er fort, »daß ich mir sehr gewünscht habe, dich wiederzusehen, Gundi. Ist das schlimm?«

»Was soll daran schlimm sein? Daß du es dir gewünscht hast oder du mich wiedersehen willst?«

»Im Zweifelsfall beides! Doch das kannst nur du entscheiden. Nun, bekomme ich eine Antwort?«

»Nein!«

»Nein – keine Antwort? Oder ›Nein‹ nicht schlimm?«

Sie lachten. Dabei schauten sie sich kurz an. Gundi traf wieder ein Blitz mitten ins Herz.

»Beides!«

»Das ist schön, daß du das sagst. Das freut mich wirklich sehr. Ich mußte nämlich immer und immer wieder an dich denken, seit wir uns begegnet sind. Du bist mir nicht mehr aus dem Sinn gegangen. Stört es dich, wenn ich dir gestehe, daß ich heute nacht sogar von dir geträumt habe?«

»Was soll mich daran stören?«

»Dann freust du dich?«

Gundi warf Urs einen Seitenblick zu.

»Urs, niemand kann etwas für seine Träume. Aber ich fasse es als Kompliment auf. Leider kann ich dir nicht sagen, daß ich von dir geträumt habe. Aber ich mußte oft an unsere zufällige Begegnung denken.«

»Das ist schön! Ich dachte auch oft daran! Du gingst mir nicht aus dem Sinn, Gundi.«

Gundi errötete erneut.

»Ja… und jetzt haben wir uns schon wieder getroffen.«

»Ja, das haben wir. Ich freue mich so darüber. Ich habe mir Gedanken gemacht, wie ich dich wiederfinden könnte. Ich gestehe dir, ich wollte dich unbedingt wiedersehen.«

Gundi schenkte Urs ein zauberhaftes Lächeln.

»Ich freue mich auch sehr, daß wir uns getroffen haben«, flüsterte Gundi leise.

Urs legte seinen Arm hinter Gundi auf die Lehne der Bank. Er erzählte, welche Überlegungen er angestellt hatte, wie er sie finden könnte. Da gab es verschiedene Möglichkeiten. Eine davon war, von Hof zu Hof zu gehen und überall zu fragen. Oder beim Bürgermeister, beim Pfarrer oder in der Schule nach einer Gundi zu fragen.

»Ich dachte mir, daß es nicht so viele junge Frauen oder Madln, wie man hier in den Bergen sagt, in Waldkogel gibt.«

Gundi gab zu bedenken, daß Urs dabei im Vorteil gewesen sei, da Waldkogel nicht groß war.

»Ich bin jedenfalls sehr, sehr, sehr glücklich, daß ich dich gefunden habe, Gundi! Du gefällst mir einfach!«

Urs sah Gundi von der Seite aus an. Er nahm all seinen Mut zusammen und sagte leise.

»Gundi, ich habe mich in dich verliebt!«

Gundi hörte es. Ihr Herz klopfte wild. Sie spürte jeden Herzschlag. Sie schluckte. Sie griff sich an die Brust.

Langsam wandte sie ihr Gesicht Urs zu.

»Urs, du gefällst mir auch! Ich mußte auch immer und immer wieder an dich denken!«

Gundi lächelt Urs an. Verlegen senkte sie die Lider.

»Urs, ich bin nicht nur wegen der Eier auf die Berghütte gekommen. Die Lieferung der Eier – das war nur ein Vorwand. Meine Freundin Ute hat das eingefädelt. Ich hatte nicht den Mut, einfach nach dir auf der Berghütte zu suchen.«

»Dann hast du deiner Freundin von mir erzählt?«

»Ja! Du bist mir nicht aus dem Sinn gegangen. Ich mußte mit jemanden darüber sprechen. Ich war sehr verwirrt. Nichts ist mehr so, wie es war, seit..«

Gundi sprach den Satz nicht zu Ende.

Urs griff mit seiner Hand unter Gundis Kinn. Er hob ihren Kopf an. Bei seiner Berührung durchströmte Gundi ein wonniger Schauer.

»Was ist nicht mehr so, wie es einmal war? Sage es mir!«

Gundi schaute Urs in die Augen.

»Alles! Alles ist anders! Nichts ist mehr so wie es vorher war. Mein Leben war geordnet. Ich wußte, was ich wollte. Ich hatte klare Vorstellungen, wie mein Leben aussehen sollte. Doch das war plötzlich alles nebensächlich. Ich sehe nur noch Fragezeichen.«

Urs kam mit seinen Lippen näher.

»Es gibt Fragen, die lassen sich nicht beantworten, jedenfalls nicht mit Worten.«

Urs’ Lippen näherten sich. Gundis Herz klopfte. Sie schloß die Augen. Sie fühlte, wie Urs sie in den Arm nahm. Dann spürte sie seine weichen Lippen auf den ihren. Er küßte sie nur ganz sacht. Doch dieser behutsame Kuß besagte so viel. Er war von solcher unendlicher Hingabe und Zuneigung.

Dann nahm Urs Gundis Hand.

»Gundi! Gundi, ich liebe dich!«

Gundi blickte in Urs’ Augen und sagte leise.

»Urs, auch ich habe sehr, sehr, sehr starke Gefühle für dich! Ich habe das nicht für möglich gehalten, daß man einem Burschen nur ein einziges Mal in die Augen schauen und solche Gefühle im Herzen haben kann. Ich habe so etwas noch nie erlebt.«

Urs las in Gundis Augen, wie in einem Buch. Er sah darin ihre große Liebe zu ihm. Er sah aber auch die Angst.

»Dich bedrückt etwas, liebste Gundi?«

Urs drückte Gundi ganz fest an sich. Sie legte ihren Kopf an seine Schulter.

»Etwas beunruhigt dich! Willst du es mir nicht sagen?«

Gundi schüttelte den Kopf.

»Dann muß ich raten. Vielleicht hast du Angst, weil ich nicht von hier bin? Vielleicht denkst du, ich suche nur eine Urlaubsliebe? Vielleicht denkst du, ich will mir nur mit dir die Zeit vertreiben?«

»Das denke ich nicht!« flüsterte Gundi leise.

Urs hielt sie ganz fest. Er spürte, wie Gundi leise zitterte.

»Friert es dich? Es wird langsam schon kühl. Die Sonne ist am untergehen.«

»Nein, mit ist nicht kalt.«

Verlegen spielte Gundi mit dem Schokoladenpapier.

»Vielleicht habe ich Angst vor meinen eigenen Gefühlen, Angst, mich ganz auf das einzulassen, was ich fühle.«

»Was fühlst du?«

Gundi seufzte.

»Ich fühle Schmetterlinge im Bauch! Ich habe ein warmes Gefühl in meinem Herzen. Aber…«

»Ja, aber…?«

»Ach, das ist so schwer zu erklären!« seufzte Gundi.

»Soll man sich nicht alles sagen, wenn man sich liebt?«

»Doch! Ach, wenn man dem anderen vielleicht weh tut?«

Urs sah Gundi mit großen ängstlichen Augen an.

»Gundi, du bist dir nicht sicher, was meine Liebe betrifft? Ist es so?«

»Ich weiß nicht! Ich dachte, es wäre alles klar in meinem Leben. Es war auch alles klar und wunderbar – bis du aufgetaucht bist.«

»Ah, ich verstehe!«

»Du verstehst?«

»Ja!« seufzte Urs. »Soll ich raten?«

»Bitte, wenn du willst?«

»Du bist verliebt in einen anderen Burschen, stimmt es?«

»Wie kommst du darauf?«

»Das denke ich mir, nach allem, was du so gesagt hast. Dann habe ich einen Konkurrenten. Nun gut. Ich war auch wohl sehr töricht, anzunehmen, daß eine junge Frau, wie du es bist, so ein wunderbares und hübsches Madl, keinen Burschen hat.«

Urs wollte seinen Arm wegziehen. Aber Gundi ließ das nicht zu.

»Weißt du, Urs! Das ist kompliziert. Die Gefühle für dich sind da! Aber ich hatte auch Gefühle für Julian – so heißt er –, bevor ich dir begegnet bin. Doch dann sind wir beide zusammengetroffen und mein Weltbild geriet ins Wanken. Wie kann man sich wirklich sicher sein, daß man den Richtigen liebt?«

»Diese Frage kann ich dir nur aus meiner ganz eigenen Sicht beantworten. Ich verlasse mich da auf mein Herz. Ich habe dich gesehen und sofort gespürt: Du bist es!«

Gundi kuschelte sich an Urs.

»Ich lag auf der Wiese und dachte an Julian, als du mich angesprochen hattest. Ich gab mich Tagträumen hin. Ich dachte, mein ganzes Herz ist voll von Liebe zu ihm. Da ist kein Platz für jemand anderen, kein Platz für dich! Doch dann kam alles so, wie es kam. Du hast mein Herz ebenso in Besitz genommen wie Julian.«

Urs räusperte sich.

»Nun, Gundi! Ich kann dir nur sagen: Ich liebe dich! Ich liebe dich wirklich! Tief in meinem Herzen weiß ich, daß du es bist, nach der ich gesucht habe. Jetzt habe ich dich gefunden. Ich liebe, liebe, liebe dich! Ich bin mir sicher, wir gehören zusammen. Das mußt du doch auch spüren?«

Urs nahm Gundi fest in den Arm und bedeckte ihr Gesicht mit zärtlichen Küssen. In diesem Augenblick existierte Julian für Gundi nicht mehr. Es gab nur Urs.

Dann fanden sich ihre Lippen zu leidenschaftlichen Küssen. Ihre Herzen sprachen miteinander und sie gestanden sich ihre Liebe.

»Du mußt dich entscheiden, Gundi! Er – dieser Julian – oder ich? Ich liebe dich! Ich will dich!«

Gundi sah Urs in die Augen. Sie sah seine Liebe. Sie sehnte sich nach ihm. Doch sie konnte und wollte sich jetzt nicht entscheiden.

»Halte mich fest, Urs! Halte mich ganz fest!« flüsterte Gundi leise.

Urs drückte Gundi fest an sich.

Die Sonne ging langsam hinter den Bergen unter. Von Osten her schob sich die Nacht über Tal und Berge. Am wolkenlosen Nachthimmel glitzerten die Sterne. Mittendrin stand der silberne Mond. Lange, sehr lange saßen Gundi und Urs eng umschlungen zusammen.

»Was mußt du über mich denken, Urs? Du mußt mich für einen schlechten Menschen halten. Ich küsse dich! Ich lasse mich von dir in den Armen halten. Gleichzeitig erzähle ich dir von Julian!«

Urs lachte leise. Er strich Gundi über das dunkle Haar.

»Ich denke nicht! Ich fühle nur! Ich lausche auf mein Herz.«

Er drückte ihr einen Kuß auf das Haar.

»Gundi, ich will dich! Nur dich! Ich werde um dich werben! Ich werde um dich kämpfen! Mir ist klar, daß dieser Julian es sicherlich auch tun wird. Ich weiß auch, daß nur du es entscheiden kannst. Entscheide dich, Gundi. Entscheide dich bald!«

»Ich will es versuchen! Warum ist die Liebe nur so kompliziert?«

Gundi lachte laut.

»Das ist sie nicht! Das kommt dir nur so vor! Ich bin sicher, daß es unmöglich ist, zwei Burschen zu lieben, wirklich zu lieben. Höre auf dein Herz!«

Gundi wand sich aus seinen Armen. Sie stand auf. Sie schulterte ihren Rucksack.

»Willst du gehen?«

»Ja! Aber ich gehe alleine!«

»Alleine? Das ist Unsinn, Gundi! Es ist besser, wir kehren zusammen zur Berghütte zurück.«

Gundi schüttelte heftig den Kopf.

»Urs, ich komme nicht mit zur Berghütte. Du findest den Weg auch alleine. Es ist ja eine sehr schöne mondhelle Nacht. Wenn du dich dicht am Felsen hältst, dann kommst du sicher an. Ich gehe den Weg zurück.«

»Das ist viel zu gefährlich, Gundi!«

»Vergiß nicht, ich bin hier in den Bergen aufgewachsen. Mußt um mich nicht besorgt sein!«

»Wann sehen wir uns wieder?« fragte Urs. Es lagen Verzweiflung und Angst in seiner Stimme.

Er will mich. Er liebt mich. Er lebt nur für mich, dachte Gundi und schaute ihn zärtlich an. Sie streichelte seine Wange.

»Ich rufe dich auf der Berghütte an!«

»Wirklich?«

»Versprochen!«

Gundi trat dicht an Urs heran. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und drückte ihm einen Kuß auf seine Lippen. Urs hielt Gundi fest und küßte sie zärtlich und doch voller Leidenschaft.

Dann wandte sich Gundi ab und ging davon. Urs setzte sich wieder auf die Bank. Er sah hinauf zu den Sternen und träumte von Gundi, seinem Madl, das er so liebte. Ich muß sie davon überzeugen, daß ich – nur ich – der Richtige für sie bin. Doch wie?

Darüber dachte Urs lange nach.

*

Es war nach Mitternacht, als Gundi Unterholzer daheim auf dem Hof ankam. Der Hofhund begrüßte sie mit freudigem Gebell.

»Pst! Bist still!« flüsterte Gundi leise und ließ den Hund von der Kette.

Der Schäferhund drehte eine Runde auf dem großen Hof und folgte Gundi dann ins Haus. Gundi holte sich aus der Speisekammer etwas zu essen. Sie war hungrig. Der Hund saß neben ihr in der Küche und wartete, bis ihm Gundi dann und wann einen Bissen zuschob.

Gundis Eltern kamen die Treppe herunter.

»Da haben wir doch richtig gehört. Du bist es, Gundi! Der Hund hat so freudig gebellt. Da wußten wir, es kann kein Fremder sein.«

Gundi nickte ihrem Vater zu und gab dem Hund ein Stück Wurst.

Otto und Irene Unterholzer setzten sich zu ihrer Tochter an den Tisch. Sie musterten sie.

»Wie war es auf der Berghütte?« fragte die Bäuerin ihre Tochter.

»Wie soll es gewesen sein? Ich habe die Eier hinaufgebracht. Dann hab’ ich mich noch ein bisserl unterhalten und dann bin wieder zurück.«

»Des ist unsinnig gewesen, Gundi! Nachts alleine heimzugehen, des gehört sich net und gefährlich ist es dazu auch!«

»Ja, Mutter! Doch es ist meine Sache!«

Die Eltern warfen sich Blicke zu. Sie kannten ihre Tochter gut. Sie sahen ihr an, daß sie etwas zu verbergen hatte.

»Und wie war es mit dem Julian?«

»Wie soll es gewesen sein? Er hat sich alles angesehen und will sich jetzt überlegen, wie er die Restaurierung am Besten vornimmt. Er wird auch Blattgold verarbeiten. Alles wird so gemacht, wie es einmal war.«

»Das ist ja schön! Wann will er damit anfangen?«

»Das konnte er nicht genau sagen. Er will sich noch einen Helfer suchen – wegen der Höhe des Giebels. Ein Gerüst kann man schlecht stellen, sagt er. Hat er das nicht erzählt?«

»Doch!« antwortete Gundis Mutter.

»Was fragst du dann?« bemerkte Gundi mit ärgerlichem Unterton in der Stimme.

»Mei, Madl! Was bist so unwirsch? Welche Laus ist dir über die Leber gelaufen?«

»Keine, über die ich reden möchte!«

Doch ihre Mutter tat, als hätte sie das nicht gehört.

»Und wie ist es mit dem Julian gelaufen?«

Gundi blickte kurz auf.

»Was soll da gelaufen sein?«

Die Eltern schmunzelten.

»Gundi«, bemerkte Otto Unterholzer, »der Julian schien sehr vergnügt. Ihr habt euch wohl ausgesprochen, wie? Jedenfalls hat des der Julian angedeutet.«

»So, angedeutet hat er das?«

Irene Unterholzer sah ihre Tochter streng an.

»Gundi! Mir kannst nix vormachen! Da stimmt doch etwas nicht. Du bist richtig ungehalten. Man wird sich doch als Eltern noch dafür interessieren dürfen, oder?«

Gundi stöhnte.

»Ja! Das verstehe ich! Aber ich kann net darüber reden, jedenfalls net so, wie ihr es erwartet. Ja, gut! Der Julian hat mir gesagt, daß er mich mag. Er will mich. Geküßt haben wir uns auch. Der Julian ist schon ein fescher Bursche. Ich mag ihn auch. Aber ich habe ihm net zugesagt, wenn ihr des meinen tut.« Gundi zuckte mit den Schultern. »Ich bin mir nicht ganz sicher! Das ist schwer zu erklären.«

Die Eltern schauten sich überrascht an.

»Was soll des heißen? Wir dachten, du bist auch in den Julian verliebt? Wir waren sicher, daß du ihn gern sehen tust.«

»Ja, das stimmt alles! Aber ihr müßt mich verstehen. Schließlich war ich da zum ersten Mal verliebt!«

»War ich da zum ersten Mal verliebt…?« wiederholte ihr Vater. »Das verstehe ich nicht. Kannst du mir erklären, was unser Madl damit sagen will, Irene? Klingt, als wäre die Gundi jetzt zum zweiten Mal verliebt. Ja mei, Madl, sag’ – ist des

so?«

»Ja, genauso, Vater! Ich habe in den Bergen jemanden kennengelernt. Er heißt Urs und ich mag ihn… auch«, fügte Gundi noch leise hinzu.

Die Eltern machten große Augen. Der Bauer holte sich die Schnapsflasche und trank ein Glas.

»Jetzt einmal langsam! Des geht mir alles ein bisserl schnell und durcheinander. Gundi! Du magst den Julian! Den Eindruck hat uns der Julian jedenfalls vermittelt. Aber der Julian ist nicht der Einzige. Es gibt noch jemanden, richtig?«

»Ja, Vater! Er heißt Urs. Ich mag ihn auch. Ich lieb ihn genauso wie den Julian. Jetzt muß ich mich entscheiden. Aber vielleicht wäre es am Klügsten, ich würde keinen von beiden erhören. Dann wäre das Problem gelöst. Es hieße dann nicht: Julian oder Urs, sondern weder Julian noch Urs.«

Der Unterholzerbauer rieb sich das Kinn. Er schenkte sich noch einmal einen Schnaps ein. Er trank. Er schaute auf die Uhr.

»Es ist sehr spät. Du hast deine Mutter und mich geweckt. Möglich, daß wir in unserer Schlaftrunkenheit des net alles richtig verstanden haben.«

»Ich habe euch net geweckt. Ich bin auch müde und wollte bestimmt nicht heute nacht mit euch reden. Es war der Hund, der euch geweckt hat.«

»Sei es, wie es sei! Der Julian kommt morgen früh. Ich will jetzt Klarheit haben, Gundi.«

»Klarheit willst haben? Ich habe selbst keine Klarheit«, sagte Gundi.

Gundis Mutter blinzelte ihrem Mann zu. Das bedeutete soviel wie, laß mich mit dem Madl reden.

»Also, Gundi! Du liebst den Julian!«

Gundi nickte.

»Wenn ich dich aber richtig verstanden habe, dann liebst du den Urs auch.«

Gundi nickte wieder.

»Wissen die Burschen voneinander?«

»Naa! Dem Urs habe ich von dem Julian erzählt.«

»Dann kennst du den Urs schon länger?« warf Gundis Vater ein.

»Naa, dann wär des net so gekommen – oder vielleicht doch? Ich weiß überhaupt nix mehr! Nur daß ich beide mag, den Julian und den Urs.«

Die Eltern schwiegen. Sie schauten sich an. Gundis Mutter faßte noch einmal zusammen.

»Du hast den Urs jetzt erst in den Bergen kennengelernt. Des ist also mehr eine flüchtige Bekanntschaft. Denkst du nicht auch? Mei, da mußt du dir keinen Kummer machen, Gundi. Es kann doch schon mal vorkommen, daß ein fesches Mannsbild versucht, einem Madl den Kopf zu verdrehen.«

»Genau, des kommt auf der freien Wildbahn schon einmal vor, Gundi. Aber wenn du dein Herz dem Julian geschenkt hast, dann legt sich deine Aufregung wieder. Du weißt, zu wem du gehörst. Das ist wichtig und nur das zählt.«

Gundi stützte die Ellenbogen auf dem Tisch und legte den Kopf in die Hände.

»Vater! Mutter! Darum geht es doch! Wie kann ich mir sicher sein, daß der Julian der Richtige ist? Wenn es umgekehrt wäre, wenn ich den Urs zuerst kennengelernt und liebengelernt hätte, dann wäre er es und nicht Julian. Es kann doch nicht an der Reihenfolge liegen, oder?«

Gundi stand auf. Sie trank ein Glas Wasser.

»Wir gehen jetzt alle wieder schlafen! Wenn du ausgeschlafen hast, dann sieht alles ganz anders aus, Gundi! Morgen früh, wenn du den Julian siehst, dann wirst du bereuen, was du heute nacht gedacht und gesagt hast. Wir vergessen alles! Gute Nacht, Gundi!«

»Gute Nacht, Vater!«

Otto Unterholzer ging zur Tür. Er drehte sich um und schaute seine Frau an.

»Kommst auch?«

»Bald! Gehe schon mal vor!«

Irene Unterholzer wartete, bis ihr Mann die Treppe hinaufgegangen war. Dann nahm sie ihre große Tochter in den Arm.

»So, Madl! Jetzt sagst du mir, was mit dir los ist. Du schaust so unglücklich aus, daß es mir in der Seele weh tut, dich anzuschauen.«

Gundi atmete tief durch.

»Ich habe mich eben in zwei Burschen verliebt! In den Julian und in den Urs! Ist so etwas möglich, Mutter?«

»Naa! Des gibt es nicht! Jedenfalls kann ich mir des net vorstellen. Du liebst den Julian doch. Dann ist des mit dem Urs nur ein harmloser Flirt und nix von Bedeutung. Mei, vielleicht schaut er gut aus, ist charmant. Vergiß ihn einfach! Ich mache dir einen Vorschlag. Du und Julian, ihr macht euch morgen einen schönen Tag. Ihr fahrt zusammen nach Kirchwalden. Wie wäre es damit?«

»Naa!«

Gundi schüttelte den Kopf. Sie zog wieder ihre Jacke an. Sie packte aus der Speisekammer einige Vorräte in ihren Rucksack.

»Was soll des jetzt werden?« fragte ihre Mutter erstaunt.

»Mutter! Ich verziehe mich einige Tage auf unsere Alm. Wenn es mir zu langweilig wird, dann laufe ich rüber zu Ute. Wenn du willst, kannst du Julian sagen, er kann mich dort besuchen.«

Irene Unterholzer sah ein, daß es sinnlos sein würde, Gundi ihr Vorhaben auszureden. So ging sie mit Gundi zur Haustür.

»Paß gut auf dich auf, Gundi!«

»Ja, Mutter! Das werde ich! Ich will nur alleine sein und nachdenken!«

Dann ging Gundi davon. Sie ärgerte sich über sich selbst. Es war eine schlechte Idee gewesen, nachts nach Hause zu gehen. Die Eltern waren müde, ich bin müde. Wie soll man da miteinander reden können?

Gundi war enttäuscht. Sie hatte sich, besonders von ihrer Mutter, etwas mehr Verständnis erwartet.

*

Gundi wanderte nicht zur Unterholzer Alm. Sie ging zu ihrer Freundin Ute. Es stimmt schon, mit Freundinnen konnte man offen über viele Dinge reden, über die man mit niemand anderem reden konnte. Da war sich Gundi jetzt sicher.

Die Tür zur Almhütte war nicht abgeschlossen. Auf leisen Sohlen schlich Gundi hinein und machte Licht. Sie kochte sich einen Tee. Obwohl sie leise war, mußte sie Ute in ihrer Kammer doch gehört haben. Sie kam heraus.

»Grüß dich, Gundi!«

Der Freundin genügte ein Blick und sie wußte, wie verwirrt Gundi war. Ute schloß die Freundin in die Arme.

»Und? Hast du Urs getroffen?«

»Ja! Und geküßt! Und ganz lange hatte er seine Arme um mich gelegt!«

»Und?«

»O ja! Er ist wunderbar!«

»Dann ist es ja entschieden! Urs macht das Rennen! Er ist der Hauptgewinn!«

Die beiden jungen Frauen lachten. Gundi zuckte aber mit den Schultern.

»Ich weiß nicht! Jedenfalls habe ich Urs von Julian erzählt!«

»Sapperment, bist du mutig!« staunte Ute. »Donnerkeil! Wirklich und wahrhaftig? Was hat er gesagt?«

»Er liebt mich noch immer! Er will um mich kämpfen. Ich muß mich entscheiden.«

»Du kannst auch die beiden aufeinander loshetzen. Du nimmst dann den Sieger!«

»Hast du sonst noch eine tolle Idee?« stöhnte Gundi. »Ich wollte einfach nur mit offenen Karten spielen. Urs war zauberhaft!«

Sie tranken einen Schluck Tee.

»Dann müßtest du aber Julian gegenüber auch fair sein. Erzählst du ihm von Urs?«

Gundi dachte einen Augenblick nach.

»Daran habe ich noch nicht gedacht. Muß ich das? Soll ich das? Ist das wirklich notwendig?«

Ute schüttelte den Kopf.

»Du machst es sehr kompliziert. Was bringt es dir, wenn die beiden voneinander wissen? Am Ende prügeln sie sich vielleicht wirklich. Daß ich das vorhin sagte, war mehr als Scherz gemeint. Du mußt dich entscheiden! Jetzt erzähle einmal. Wie war es, als du ihn geküßt hast?«

»Gut!«

»Nur gut?«

»Nein! Es war anders. Die Küsse waren anders, als die Küsse von Julian.«

»Logisch – es war ja auch nicht Julian! Das meine ich nicht und das weißt du genau! Hast du Schmetterlinge gespürt? Läuteten alle Glocken der Welt? War es Tag und Nacht zugleich? War dir, als fielen Frühling, Sommer, Herbst und Winter auf einen Tag? Nun rede schon, Gundi!«

Gundi rollte verträumt die Augen.

»Es war wunderbar! Urs ist nicht so stürmisch wie Julian. Er ist behutsam, feinfühlig, ungeheuer zärtlich. Julian dagegen ist richtig stürmisch, draufgängerisch, leidenschaftlich. Urs umarmt behutsam. Julian reißt mich in seine Arme. Julian will alles sofort regeln. Urs gestand mir, daß er von mir geträumt hatte.«

Ute schenkte Tee nach.

»Also jetzt kann ich mir gut den Unterschied vorstellen. Du willst eigentlich beide Burschen.«

»Oh, ja! Das wäre schön!«

»Gundi, wach auf! Sag mal, bist du jetzt von Sinnen? Mei, ich bin auch schon verliebt gewesen. Ich gestehe aber, gleichzeitig so heftig in zwei Burschen verliebt zu sein, war mir net möglich. Also, was machst du jetzt?«

»Ich warte ab! Vielleicht ergibt sich ein Wunder.«

»Du hoffst auf das Wunder, daß du dich nicht zwischen Urs und Julian entscheiden mußt?«

»Ja, vielleicht! Sieh mal, Ute! Die Liebe hat einen Fehler gemacht. Sie hat mir zwei Burschen geschickt. Das ist ein Fehler. Warum sollte ich mich jetzt entscheiden? Ich behalte einfach beide – jedenfalls die nächsten Wochen. Ich weiß nicht, wie lange Urs hierbleibt. Ich werde ihn fragen. Unbegrenzt Urlaub wird er nicht haben.«

»Ich kann dir nicht folgen, Gundi. Das ist doch ein Schmarrn. Bei Urs mag das ja noch klargehen. Er ist nicht von hier. Er kommt her und verliebt sich in dich. Für ihn ist es verständlich, daß du in festen Händen bist. Aber Julian? Das wird nicht einfach werden. Was soll er denken? Daß du dir von jedem Wanderer den Kopf verdrehen läßt? Was ist, wenn er dir dann den Laufpaß gibt? Dann bist du ihn los.«

Gundi dachte einen Augenblick nach.

»Das ist risikoreich, sehr risiko-reich, das gebe ich zu. Aber so kann ich auch herausfinden, ob Julian wirklich Verständnis für mich hat. Ute, wie steht es mit der Gleichberechtigung? Julian hat mir erzählt, daß ich nicht seine erste Liebe bin. Deshalb kann er sich so sicher sein. Ich habe keine Vergleichsmöglichkeiten. Deshalb verlange ich von Julian, daß er mir die Chance dazu gibt.«

»Gundi, Gundi! Wohin soll das führen? Ich würde Julian nichts erzählen! Was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß! Außerdem ist es doch immer noch so, daß man Burschen Erfahrung zubilligt. Von Madln erwartet man…«

»Ich weiß, was du sagen willst, Ute!« gähnte Gundi. »Ich bin auch müde. Schau, draußen wird es schon hell! Ich gehe jetzt! Wenn du willst, kannst du am Nachmittag mal vorbeikommen. Ich kann nicht mehr denken! Es war alles etwas viel! Vor drei Tagen war ich noch völlig ungeküßt und jetzt habe ich zwei Burschen. Das ist anstrengend!«

Die beiden lachten. Ute zog ihre Arbeitskleidung an. Es wurde draußen hell. Ute wollte sich nicht mehr hinlegen. Sie brachte Gundi hinaus und ging dann gleich in den Stall, um nach den Ziegen zu schauen.

*

Ute saß vor der Hütte und streichelte die kleine Katze. Durch ihre gute Pflege war sie schon viel kräftiger geworden.

»Bist ein Prachtexemplar! Bist so anhänglich! Das gefällt mir!« flüsterte Ute dem kleinen Tierchen zu und drückte es an sich. Die kleine Katze schnurrte.

Ute blickte auf, als sie Schritte hörte.

»Grüß Gott, Ute!«

»Mei, der Julian Perner! Grüß Gott! Bist auf dem Weg zur Unterholzer Almhütte? Ist schon komisch! Man tut immer noch Almhütte sagen, dabei ist es ein Ferienhäusl.«

Julian lachte. »Des stimmt! Der Unterholzerbauer nutzt die Alm nimmer. Er läßt die Wiesen brach liegen oder hat sie verpachtet. Mit Landwirtschaft ist eben nimmer so viel Geld zu verdienen. Was machst du hier, Ute?«

»Des siehst doch! Ich spiele mit einer kleinen Katze.«

Sie lachten.

»Naa, was machst sonst? Kühe sind ja keine da!«

»Stimmt! Nur die paar Bergziegen und ein rundes Dutzend von den speziellen Hühnern. Der Onkel macht ein Experiment. Ich muß ein bisserl aufpassen. Die Bergziegen sind alle tragend. Bald wird es losgehen. Das sitze ich rum und warte und vertreibe mir die Zeit. Und du willst jetzt die Giebelwand der Hütte bemalen?«

»Hat dir die Gundi davon erzählt?«

»Ja, des hat sie! Hast jemand gefunden, der dir hilft? Der die dir Leiter hält?«

»Ich dachte mir, ich rede noch einmal mit der Gundi. Des wäre wirklich schön, wenn sie einige Tage bliebe und mir helfen würde. Ihre Elten haben nix dagegen. Ganz im Gegenteil, des kann ich so sagen«, strahlte Julian. »Weißt, die Gundi und ich, wir haben Pläne. Hat sie dir davon auch erzählt?«

»Meinst weil wir Freundinnen sind?« blinzelte Ute Julian an, während ihr die Sonne ins Gesicht schien.

»Komm, nun rede schon, Ute!«

»Ja, die Gundi hat einiges erzählt! Des ist unter Madln net viel anders als unter Burschen. Wir erzählen uns auch von unseren neusten Eroberungen.« Ute lächelte. »Ich habe im Augenblick keinen Burschen. Ich wollte die Gundi schon überreden, daß sie dich mir abgibt. Jedenfalls hätte sie dann eine Sorge weniger. Was ist, Julian? Würdest du mich nehmen?«

Julian Perner rieb sich die Stirn. Er schaute Ute an. Julian wußte nicht, was er sagen sollte. Er überdachte Utes Worte noch einmal, wurde daraus aber nicht ganz schlau.

Er setzte sich neben Ute auf die Bank.

»Die Gundi hat Sorgen, sagst du? Davon hat sie mir nix erzählt. Ja, was hat sie denn für Sorgen?«

Julian fuhr sich mit der Hand durch das Haar.

»Wenn ich es recht bedenke, dann kann des gut möglich sein. Weißt, Ute, mit dir kann ich ja reden. Du weißt sicherlich, daß ich die Gundi gerne heiraten will. Aber des Madl hat sich Bedenkzeit genommen. Ein bisserl enttäuscht war ich schon. Ich hatte mir eben immer vorgestellt, daß des Madl, des ich einmal fragen tue – daß des Madl gleich ja sagen tut. Vielleicht liegt es daran, daß die Gundi Kummer hat. Ist es so, Ute?«

Sie wechselten Blicke.

»Julian, des ist alles die Angelegenheit von der Gundi. Es bringt nix, wenn ich mich da einmischen tue.«

»Damit hast du zweifellos net ganz unrecht, Ute. Aber auf der anderen Seite ist die Gundi deine Freundin, und ich bin vernarrt in des Madl. Vielleicht können wir uns zusammentun und die Sorgen und den Kummer irgendwie lösen. Dann machst du deine Freundin glücklich und ich mein Madl. Die Gundi wird dann ja wohl nimmer viel zu bedenken haben, meinst net auch? Sicherlich gibt sie mir dann doch ihr Jawort.«

Ute schüttelte den Kopf.

»Julian, vergiß bitte, was ich gesagt habe. Manchmal rede ich zuerst und denke danach. Mit der Gundi ist alles in Ordnung.«

»Naa! Naa! Des kannst mir nimmer weismachen, Ute. Was soll des heißen, daß sie mich dir abgeben könnte?«

Ute schwieg. Es kostete Julian viel Geduld und Mühe, sie zum Reden zu bringen.

»Oh, Julian! Des ist mir jetzt aber peinlich! Willst mein dummes Gerede nicht lieber vergessen? Ich war nur ein bissel eifersüchtig auf des Glück von der Gundi. Wir Madln sind manchmal ein bisserl zickig. Außerdem bin ich neidisch. Die Gundi hat eben bei den Burschen mehr Glück als ich.«

Ute stöhnte.

»Mei, wie oft war ich schon verliebt. Aber immer ist nix daraus geworden. Da hat die Gundi eben doppelt mehr Glück.«

»Willst du mir damit vielleicht sagen, daß die Gundi auch schon verliebt gewesen ist und noch…« Julian kamen die Worte schwer über die Lippen, »und noch… ich meine, kann es sein, daß… daß es da noch andere Burschen gibt?«

Ute schwieg.

»Des kann net sein! Die Gundi hat mir erzählt, daß sie vor mir noch niemals geküßt hat. Du willst Streit zwischen uns bringen, Ute, zwischen mir und Gundi? Bist ganz schön raffiniert! Bist wahrlich eifersüchtig! Des hätte ich jetzt nicht von dir gedacht, Ute.«

»Bin ich net!«

»Bist doch!« behauptete Julian beharrlich. »Des finde ich net schön von dir, Ute!«

Er stand auf und wandte sich zum Gehen. Ute griff nach seiner Hand und hielt sie fest.

»Julian, ich weiß, daß du von mir nix wissen willst. Du hast nie gesehen, wie ich dir schöne Augen gemacht habe. Egal! Das ist Schnee vom letzten Winter! Mir würde es nur nahe gehen,wenn du unglücklich werden würdest. Aber denke doch einmal selbst nach. Die Gundi ist so fesch. Gegenüber ihr bin ich eine graue Maus. Denkst du wirklich, du bist der einzige, dem die Gundi gefällt?«

Julian starrte Ute an. Er sah ihr genau in die Augen. Des Madl lügt net, dachte er. Er setzte sich wieder hin.

»Ich glaube, ich begreife langsam, was du mir sagen willst. Meinst, die Gundi spielt nur mit mir?«

»Naa, das tut sie gewiß nicht. Ich wollte dir nur sanft sagen, daß du viel Geduld haben und um sie werben mußt.« Ute seufzte tief. »Mußt die Gundi schon sehr umwerben! Die Gundi ist ein fesches Madl. Sie hat die Auswahl, so will ich es sagen!«

»Daß die Gundi kein unscheinbares Blümchen ist, das kann jeder sehen.«

Julian fuhr sich mit den Händen durch das Haar.

»So, so ist des also! Ich danke dir, daß du mir des erzählt hast, Ute!«

»Nix da! Ich habe gar nix erzählt. So war des nicht. Ich habe dir höchstens ein paar Denkansätze gegeben.«

Julian Perner stöhnte.

»Mir ist so, als sei ich aus großer Höhe runtergestürzt. Verstehst, was ich sagen will?«

»Ja! Bist dir deiner Sache sehr sicher gewesen, wie?«

»Dumme Frage! Wie sicher soll ein Bursch denn noch sein, wenn er ein Madl zu seiner Braut machen will? Mei, ich will heiraten!«

Ute streichelte weiter die kleine Katze.

»Du willst heiraten, gut! Doch dazu brauchst eine Braut. Du hast dich in die Gundi verliebt, auch gut. Du gefällst der Gundi auch. Das weiß ich genau!«

»Mmm, das ist ja schon mal ein ganz kleiner Trost. Aber ich bin wohl nicht der einzige, der ihr gefällt, wie?«

»Des halte ich für möglich! Doch mehr kann ich dir nicht erzählen.«

»Kannst net? Oder willst net, Ute?«

»Suche dir die Antwort aus, Julian. Im übrigen verlaß’ ich mich auf deine Diskretion. Ich will keinen Zoff mit der Gundi. Sie ist meine beste Freundin.«

»Darauf hast du mein Ehrenwort!«

Sie saßen eine Weile nebeneinander und schwiegen. Ute spielte weiter mit der Katze. Julian vergrub seine Hände in den Taschen seiner Lederhose und schaute in die Weite.

»Am Wochenende ist Holzhackerfest, Julian. Machst mit?« riß Ute Julian aus seinen Gedanken über Gundi.

»Stimmt! Des habe ich ganz vergessen.« Julian schmunzelte: »Ich habe eben nur noch an die Gundi gedacht und an sonst nichts mehr. Da verliert man den Überblick. Alles andere wird unwichtig. Das nennt man dann wohl Liebe.«

»Ja, so sagt man!« sagte Ute leise vor sich hin.

Sie schaute Julian an.

»Julian, du mußt dir des von der Gundi net bieten lassen. Die Gundi, die war schon immer net sehr entschlußfreudig. Ich erinnere mich da an viele Gelegenheiten, bei denen die Gundi die Entscheidung immer und immer wieder hinausgeschoben hat. Weißt, das ist auch für eine Freundschaft unter Madln net einfach. Ich konnte damit aber ganz gut umgehen. Ich habe dann einfach eine Entscheidung getroffen. Ich konnte mich nie des Eindrucks erwehren, daß Gundi darüber sehr froh war. Auch wenn sie anfangs mit mir geschimpft hatte.«

»Aha! Aha! Du meinst, ich sollte der Gundi ein Ultimatum stellen?«

Ute grinste.

»Warum nicht? Wenn es dir nicht zu risikoreich ist.«

Julian stand auf. Er ging einige Schritte auf und ab.

»Ich bin mir ihrer Liebe sicher. Auch wenn es da, wie du vermutest, noch andere Burschen gibt. Ich glaube nicht daran. Vielleicht ist des alles nur Gerede? Vielleicht will sich die Gundi damit wichtig machen.«

»Wie kommst du darauf?«

»Weißt, Ute, unter Burschen wird auch viel geschwätzt. Jeder gibt mal an, wie unwiderstehlich er für die Madln ist. Keiner will zurückstehen. Man gilt net als Mann, wenn man die Frauen net gleich reihenweise verführt, verstehst?«

»Die Anna, die Frau vom Toni, würde das mit ›Seemannsgarn‹ bezeichnen. Meinst des so? Je größer die Geschichten, desto weniger ist dahinter, oder?«

»Ja, so oder so ähnlich ist des schon. Nun, da muß ich etwas ändern. Ich werde am Holzhackerwettbewerb teilnehmen. Jeder, der daran teilnimmt, kann sich ein Madl für den Tanz aussuchen, der Sieger auf jeden Fall. Dann nehme ich mir meine Gundi und küsse sie vor allen. Dann kann sie wohl die Liebe nicht mehr leugnen. Ich frage sie dann in aller Öffentlichkeit, ob sie mich heiraten will!«

»Bist ganz schön mutig, Julian! Bist ganz schön forsch!«

»Wer net wagt, der net gewinnt! So heißt es doch. Jedenfalls weiß dann jeder, daß die Gundi mein Madl ist.«

»Naa! Jeder weiß dann, daß du gern hättest, daß die Gundi dein Madl wird!«

»Des sind jetzt Spitzfindigkeiten von dir, Ute!«

»Des kannst werten, wie du willst. Auf jeden Fall stimme ich dir darin zu, daß du der Gundi ein bisserl Druck machen sollst.«

Julian betrachtete Ute eingehend.

»Bist ein Pfundskerl, Ute! Danke! Ich denke, daß man mit dir Pferde stehlen kann, wenn es darauf ankommt.«

»Danke, Julian! Des hast schön gesagt!«

Ute lächelte Julian an.

»Auf jeden Fall wünsche ich dir, daß du beim Wettbewerb gewinnst! Alles Weitere wirst du dann schon sehen.«

»Ja, das werde ich!«

Julian stand auf. Er versicherte Ute noch einmal, daß das Gespräch unter ihnen bleiben würde.

»Wenn du jemanden zum Reden brauchst, dann kannst immer herkommen, Julian!«

Julian schaute Ute fest in die Augen.

»Sag mal, flirtest du jetzt mit mir? Kann des sein, daß du dem Burschen deiner besten Freundin versuchst, schöne Augen zu machen?«

»Des kannst du sehen, wie du willst! Ich gebe gern zu, daß du mir schon immer gefallen hast. Und noch bist du auf der freien Wildbahn. Du bist mit der Gundi weder verlobt noch sonst etwas. Noch ist alles offen, so wie ich das sehe. Und davon bringt mich niemand ab!«

Ute setzte die kleine Katze auf den Boden, was diese mit einem lauten Miauen quittierte. Es gefiel ihr nicht. Ute stand auf.

»Julian, ich denke es ist besser, wenn du jetzt gehst!

»Ja, mag sein! Grüß dich, Ute!«

»Grüß dich, Julian!«

Julian ging davon. Er lief über die Wiesen in Richtung der Unterholzer Almhütte. Ute sah ihm nach.

*

Gundi saß vor der Hütte in der Sonne und las in einem Buch.

»Gundi!« rief Julian von weitem.

Er fing an zu laufen.

Bei Gundi angekommen, ergriff er sie in der Taille und hob sie hoch. Er drehte sich mit ihr im Kreis.

»Julian, laß mich los! Mir wird schwindlig!« rief Gundi lachend. »Was bist so übermütig!«

Julian stellte Gundi auf den Boden. Er zog sie an sich und küßte sie. Gundi ließ es geschehen und erwiderte seine Küsse. Sie schloß die Augen und gab sich ganz dem Gefühl hin.

»Mei, Gundi! Was machst du mich glücklich! Bist auch glücklich?«

»Ja, das bin ich!«

»Und wie steht es mit uns beiden?«

»Julian, was bist du so schnell! Wäre es nicht gescheiter, wenn wir uns erst noch viel besser kennenlernen würden? Ich kann mir nicht vorstellen, daß du dir ganz sicher sein kannst. Du kennst mich doch noch nicht so gut. Andere Paare gehen auch länger miteinander, bis sie sich verloben. Ich will keine Fehler machen, Julian. Heiraten ist eine sehr, sehr ernste Angelegenheit!«

»Mei, das weiß ich! Aber ich will dich! Ich liebe dich! Ich denke, du liebst mich auch, oder?«

Gundi beantwortete seine Frage nicht mit einem Ja. Sie sagte statt dessen:

»Dumme Frage! Hätte ich dich sonst so geküßt?«

Julian nahm Gundi wieder in die Arme und küßte sie.

»Was willst du hier? Willst schon mit der Malerei anfangen?«

»Du lenkst ab, Gundi? Freust du dich denn nicht, daß ich da bin? Ich wollte dich besuchen. Deine Eltern haben mir gesagt, daß du hier bist. Da dachte ich mir, ich verbinde das Angenehme mit dem Nützlichen. Übrigens, ich denke, es ist am besten, wenn ich mich hier einquartiere. Dann bin ich mit den Arbeiten schneller fertig. Du kannst ruhig auch bleiben. Deine Eltern, die wissen davon. Sie meinen, wenn du mir helfen tust, dann lernen wir uns schnell noch besser kennen.«

»Da habt ihr euch das ja fein ausgemalt. Mich fragt wohl keiner, wie?«

»Wer viel fragt, der irrt viel!«

»Du hast auf alles eine Antwort, wie?«

»Ja! Also, wie steht es?«

»Julian! Das muß ich mir erst überlegen! Ich will nicht ins Gerede kommen. Das heißt nicht, daß du nicht bleiben kannst. Ich kann ja bei der Ute schlafen.«

Julian schaute Gundi in die Augen.

»Klingt net so gut! Gundi, warum tust schon wieder ausweichen? Gundi, ich liebe dich! Mei, Madl! Ich liebe dich! Das habe ich auch deinen Eltern gesagt. Ich stehe zu dir!«

»Ich stehe aber nicht zu mir! Das geht mir alles viel zu schnell!«

»Und mir zu langsam!«

Julian holte tief Luft.

»Also, Gundi! Jetzt sage ich dir etwas. Am Wochenende ist des ›Holzhackerfest‹. Da tanzen die Burschen mit ihren Madln.«

»Richtig! So war es bisher immer!«

»Also! Bis dahin will ich eine Antwort von dir, Gundi! Ich muß wissen, woran ich bin!«

Gundi seufzte tief. Mit großen Augen schaute sie ihn an.

»Gut! Bis dorthin sollst du meine Antwort haben! Aber ich stelle auch Bedingungen. Du bleibst nicht hier!«

»Mei, Gundi! Bist du vielleicht kompliziert! Dann dauert des aber länger, bis ich mit der Malerei fertig bin, wenn ich jeden Tag rauf und wieder runter muß.«

»Und wenn? Aber wenn dir der Weg zu weit ist, dann kannst du dich ja bei der Ute einquartieren.«

»Mei, was für ein Vorschlag? Ja, hast denn keine Angst? Bist net eifersüchtig?«

Gundi lachte.

»Auf Ute? Naa! Ich weiß, daß du ihr gefällst. Aber du machst dir nix aus ihr. Warum sollte ich also eifersüchtig sein?«

Julian rieb sich das Kinn. Er wußte nicht mehr, was er sagen sollte. So nahm er Gundi einfach in den Arm und küßte sie.

»Gut! Dann laufe ich rüber zu Ute und frage sie! Am Ende ist es ihr nicht recht?« sagte Julian.

»Das mache ich! Inzwischen kannst du schon mal anfangen! Übrigens, hinter der Hütte steht ein alter hoher Heuwagen. Wenn du den hier vor den Giebel ziehst und zwei Leitern draufstellst mit einer Diele quer darüber, dann kommst gut bis oben hin und brauchst niemanden zum Halten. Das ist wie ein Gerüst.«

»Du denkst an alles, wie?«

Gundi gab Julian keine Antwort. Sie lächelte ihm zu. Dann warf sie ihre Stickjacke um und rannte über die Wiesen davon.

*

Als Gundi bei Ute ankam, hatte diese Besuch. Ihr Onkel war auf die Almhütte gekommen.

»Grüß dich, Gundi!«

»Grüß Gott, Bauer!« strahlte Gundi. »Mei, freue ich mich, dich zu sehen, Bauer!«

Er lachte und strich sich verlegen über seinen Schnurrbart.

»Des hat ein so junges und hübsches Madl schon lang nimmer zu mir gesagt. Das hat doch bestimmt einen Grund, wie?«

»Ja, Bauer! Ich habe eine Bitte an dich! Der Toni und die Anna brauchen auf der Berghütte noch viele Eier.«

Ute bekam große Augen. Sie staunte, sagte aber nichts dazu.

»Ja, ich habe schon gehört, daß du die Geschmacksproben raufgebracht hast. Ich danke dir schön dafür, Gundi.«

»Gern gemacht, Bauer! Ich habe heute mit der Anna schon telefoniert. Sie fragt an, ob ich noch welche raufbringen kann.«

»Ja, hast denn Zeit?«

»Ich denke schon!«

Ute mischte sich sofort ein. Sie schüttelte den Kopf.

»Das lohnt nicht! So viele Eier haben wir noch nicht wieder. Wenn Toni und Anna regelmäßig mehr Eier haben wollen, dann brauchen wir mehr Hühner.«

Ute eilte in die Almhütte. Sie kam mit dem Korb zurück. Es waren wirklich nicht viele Eier. Ute sah die Enttäuschung in Gundis Augen. Der Bauer, ihr Onkel, sah, daß es dabei noch um etwas anderes gehen mußte, von dem er nichts wußte. Die beiden jungen Frauen gaben sich nämlich Zeichen. Er tat, als bemerkte er es nicht.

»Ich gehe noch mal nach den Ziegen schauen. Es beunruhigt mich ein bisserl, daß des so lange dauert mit den Zicklein. Nach meiner Meinung sind die überfällig.«

»Ach, Onkel, mache dir keine Sorgen! Aber wenn du willst, kannst du die Tierdoktorin raufschicken. Vielleicht brauchen Bergziegen ein bisserl länger als andere Ziegen?«

»Des ist gut möglich, Ute!«

Der Bauer ging zur Wiese.

Ute nahm Gundi zur Seite.

»Was ist? Der Julian ist bei dir, stimmt’s?«

»Ja! Er tut mich ganz schön bedrängen. Er will sogar auf der Hütte übernachten. Das will ich aber nicht. Ich habe ihm den Vorschlag gemacht, daß er hier bei dir schlafen kann. Kannst du ihn auf dem Heuboden nächtigen lassen, Ute?«

»Sicher!« Ute grinste. »Du willst rauf zur Berghütte, zu deinem Urs?«

»Ja! Der Julian will, daß ich mich bis zum Fest entscheide. Ich muß Urs sehen, unbedingt. Außerdem will ich ihn überreden, daß er auch am Wettbewerb teilnimmt.«

»Meinst, der kann Holz hacken?« kicherte Ute.

»Warum soll er das nicht können? Das kann doch jeder, oder?«

Ute schüttelte den Kopf.

»Nur echte stramme Burschen nehmen daran teil. Des Wettsägen der Stämme und des Holzhacken verlangt schon Geschicklichkeit und Übung! Doch darum geht es jetzt nicht. Sag’, hat die Anna wirklich angerufen?«

»Schmarrn! Mir ist gerade keine andere Ausrede eingefallen.«

»Bist ganz schön durcheinander, wie?«

»Mei, Ute, des kannst laut sagen. Der Julian küßt mehr, als er redet! Und mit den Eltern scheint er auch einig zu sein! Ute, was soll ich nur machen?«

»Was sagt dir dein Herz?«

Gundi sah verzweifelt aus. Ute bekam richtig Mitleid mit der Freundin.

»Wenn ich bei Julian bin, denke ich an Urs! Es sind eben zwei Burschen in meinem Herzen! Ich bin ganz wirr im Kopf. Jetzt will der Julian auch noch mit der Malerei anfangen. Ute, ich brauche Zeit, mich zu entscheiden. Jetzt drängt der Julian auch noch! Wenn er mich liebt, dann müßte er doch mehr auf meine Wünsche eingehen, oder?«

Ute versuchte Gundi verständlich zu machen, daß Julian eben total vernarrt in sie sei. Gundi fand Julian auch nicht übel. Aber da war doch auch noch Urs.

»Was soll ich nur machen, Ute?« flüsterte Gundi.

»Jetzt machst erst mal nix! Heute abend schickst du mir den Julian rüber. Dann bist alleine und kannst nachdenken. Wenn du willst, dann brichst du morgen früh zur Berghütte auf, bevor Julian kommt. Ich halte ihn solange auf.«

Ute sah Gundi ernst an.

»Du mußt dich wirklich entscheiden, Gundi!«

Das wußte Gundi. Das mußte ihr die Freundin nicht sagen. Gundi umarmte Ute.

»Ich finde das so ungerecht. Ich habe zwei Burschen. Du hast keinen, Ute.«

Utes Onkel kam auf die beiden zu. Sie schwiegen. Gundi verabschiedete sich schnell und eilte über die Wiese davon.

*

Als Gundi zur Almhütte kam, malte Julian bereits an der Giebelwand.

»Sieht gut aus!« sagte sie knapp. »Du kannst bei Ute auf dem Heuboden nächtigen!«

Dann ging sie hinein. Nach einer Weile kam sie heraus. Sie trug ihren Rucksack.

»Wo willst hin?« rief ihr Julian zu.

»Ich mache eine Wanderung!«

»Willst du mich alleine lassen?«

»Oh, Julian! Ich muß nachdenken! Du willst doch eine Antwort, oder? Ich kann nicht nachdenken, wenn du in meiner Nähe bist.«

Julian schüttelte nur den Kopf. Er sagte nichts und malte weiter. Mit einer besonderen Kreide malte er die Konturen vor. Später würde er sie übermalen.

Ute ging quer über die Wiesen. Sie schlug sich dann durch den dichten Tannenwald. Sie wählte fast die Luftlinie bis zum Milchpfad. Dort nahm sie ein Fuhrwerk mit hinauf bis zur Oberländer Alm. Das Fuhrwerk holte die Käseleiber von der Oberländer Alm ab.

Gundi hielt sich nicht auf. Sie grüßte Wenzel und Hilda Oberländer nur kurz im Vorbeigehen. Schnell eilte sie den schmalen Pfad hinauf, der sie zur Berghütte führte.

Franziska und Sebastian spielten mit Bello, dem jungen Neufundländer, auf dem Geröllfeld vor der Berghütte. Sie warfen abwechselnd einen roten Ball und Bello brachte ihn zurück.

»Hallo, Gundi!« rief ihr Franzi zu. »Bist ja schon wieder da!«

Gundi lächelte Franziska zu und ging weiter. Ihre Augen suchten die Terrasse der Berghütte ab. Sie suchte Urs.

Dann sah sie ihn. Er saß mit einigen anderen jungen Burschen zusammen. Gundis Herz fing an zu klopfen. Als würde Urs ihr Kommen spüren, schaute er auf. Er sah sie, sprang auf und lief ihr entgegen.

Urs blieb vor Gundi stehen. Er griff ihre Hand und schaute ihr zärtlich und voller Hingabe in die Augen.

»Gundi! Wie wunderbar! Ich habe so auf deinen Anruf gewartet! Jetzt bist du selbst gekommen. Ich freue mich so!«

»Ach ja! Ich wollte ja anrufen! Daran habe ich nicht mehr gedacht. Doch nun bin ich hier!«

Urs drückte ihre Hand. Dann neigte er sein Gesicht zu ihr und küßte sie zärtlich auf die Wange. Gundi erwiderte seinen Kuß.

»Bringst du wieder Eier?«

Sie mußten beide lachen.

»So schnell legen die wenigen Hühner nicht so viele Eier, daß es sich lohnt. Da mußte ich eben so heraufkommen!«

»Ich freue mich so! Ich freue mich so sehr«, wiederholte Urs.

Seine Augen strahlten. Gundi fühlte, wie ihr Herz klopfte.

Hand in Hand gingen sie zur Berghütte. Toni und Anna begrüßten Gundi. Urs und Gundi setzten sich nicht auf die Terrasse. Im Inneren der Berghütte waren noch Plätze am Kamin frei.

»Ich muß mit dir reden, Urs!«

Urs sah sie erwartungsvoll an. Er hörte zu.

»Am Wochenende ist in Waldkogel ein Fest. Es hat seinen Ursprung in einer alten Tradition. Seit alters her messen die jungen Burschen ihre Kräfte im Baumstammsägen und Holzhacken. Am Samstagnachmittag ist der Wettbewerb. Das Ganze findet auf dem Sportplatz statt. Danach ist Tanz. Kannst du da mitmachen?«

Urs sah Gundi lange an. Er schmunzelte.

»Du wirst dich mit mir blamieren! Ich habe noch nie einen Baumstamm zersägt und Holzhacken kenne ich auch nur vom Hörensagen. Nun gut! Wenn ich in einer Schutzhütte übernachtet habe, dann habe ich mir schon mal Feuerholz gehackt. Aber das war mehr schlecht als recht! Ich arbeite in einem Büro. Ich kenne mich mit Technik aus. Da trainiert man andere Fertigkeiten.«

Urs seufzte.

»Aber trotzdem, wenn du willst, dann kann ich wohl nicht ablehnen.«

»Nein, das kannst du nicht.«

Urs ergriff wieder Gundis Hand. Er schaute ihr in die Augen.

»Sag mir ehrlich! Nimmt dieser Julian auch daran teil?«

Gundis Herz klopfte. Sie brachte kein Wort heraus. Sie nickte nur.

Urs schmunzelte.

»Gut! Wann muß ich dort sein?«

Gundi erklärte ihm alles. Urs hörte aufmerksam zu.

Toni trat hinzu. Die beiden bestellten sich etwas zu essen und zu trinken.

Während sie gemeinsam aus einer Pfanne die Bratkartoffeln mit den Wurstscheiben aßen, schauten sie sich immer wieder verliebt in die Augen. Ihre Herzen klopften. Sie sprachen kaum etwas. Sie freuten sich, daß sie zusammen waren. Sie lächelten sich an und prosteten sich zu.

Anna blieb kurz bei ihnen stehen.

»Bleibst hier, Gundi?«

»Das würde ich gerne! Aber ich muß zurück, auch wenn ich mit Sicherheit in die Dunkelheit komme.«

»Ich bringe dich hinunter nach Waldkogel«, bot sich Urs sofort an.

»Das ist lieb von dir, Urs! Danke! Aber es genügt, wenn du mit mir bis zur Oberländer Alm gehst. Du mußt wieder zurück. Toni hat hinter der Berghütte viel Holz liegen. Da kannst du üben!«

»Was soll er üben?« fragte Toni.

Er stellte sich neben Anna und legte den Arm um sie.

»Ich habe Urs überredet, am Holzhackerwettstreit teilzunehmen!« verkündetete Gundi.

»Mei, da hast du dich aber auf etwas eingelassen, Urs!« bemerkte Toni.

Urs lachte herzlich.

»Richtig! Besonders, wenn man bedenkt, daß ich völlig ungeübt bin. Doch was tut man nicht alles für das Madl seines Herzens!«

»Siehst, Anna! Da habe ich doch richtig vermutet. Die beiden passen doch gut zusammen.«

»Du hast wieder einmal den richtigen Riecher gehabt, Toni!« lachte Anna.

Gundi errötete und schaute unter sich. Urs schmunzelte. Er rieb sich das Ohrläppchen.

»Also, ich würde die Gundi schon nehmen. Aber sie hat sich noch nicht ganz entschieden. Wahrscheinlich will sie, daß ich ihr beweise, daß ich nicht nur ein Bürohengst bin, sondern auch ein Bursche, der richtig zupacken kann. Dafür könntest du mich etwas trainieren!«

Toni lachte.

»Wenn du willst, kannst du gleich anfangen! Schau, der Korb am Kamin ist leer! Nimm ihn und gehe hinter die Berghütte. Da findest du einen Holzklotz und ein Beil. Ich habe jetzt wenig Zeit, es dir zu zeigen. Aber ich schicke dir den Sebastian. Der Bub ist wirklich gut!«

Toni drehte sich um. Er ging auf die Terrasse und rief nach dem Buben. Sebastian kam sofort. Er war begeistert.

»Leider kann ich noch net mitmachen! Aber später werde ich bestimmt gewinnen«, sagte Sebastian im Brustton der Überzeugung, wie sich nur Kinder äußern können.

Urs wandte sich an Gundi.

»Sieht aus, als müßtest du alleine zurückgehen.«

»Mir ist es wichtig, daß du eine gute Figur machst!« flüsterte Gundi.

Sie hauchte Urs einen Kuß auf die Wange. Dann verabschiedete sie sich und nahm ihren Rucksack.

»Wann sehen wir uns wieder?« fragte Urs.

Gundi las die Liebe in seinen Augen.

»Spätestens am Samstag! Ich hole dich mit dem Auto auf der Oberländer Alm ab. Sagen wir kurz nach dem Mittagsläuten.«

Urs war einverstanden. Er begleitete Gundi noch über das Geröllfeld.

»Ich liebe dich, Gundi!« flüsterte er ihr leise zu.

Dann nahm er sie zärtlich in seine Arme und küßte sie. Gundis Herz klopfte. Das wunderbare Gefühl der Liebe, der einzigen und wahren Liebe, durchströmte ihren Körper.

»Ich liebe dich!« flüsterte Gundi und ging davon.

Urs sah ihr nach, bis er sie nicht mehr sah.

Die Stunde bis zur Dunkelheit verbrachte Urs hinter der Berghütte. Sebastian und seine kleine Schwester standen dabei und beobachteten, wie er sich abmühte. Immer und immer wieder stoppte ihn Sebastian.

»Es kommt net allein auf die Kraft an, Urs. Da ist auch Technik dabei!«

Sebastian zeigte es Urs immer und immer wieder. Nach zwei Stunden konnte es Urs schon ganz gut. Doch Sebastian war der Meinung, daß er noch nicht richtig zielen würde.

Toni kam und zeigte es Urs auch noch einmal.

»Du machst des nicht schlecht. Für den Hausgebrauch ist des gut. Doch beim Wettstreit, da gibt es Regeln. Da geht es nicht nur darum, daß du schnell bist, Urs. Die Stücke müssen auch schön gleichmäßig sein. Jedes Holzstück soll dreimal gehackt werden, damit gleichmäßige Stücke entstehen. Sie sollen alle ungefähr gleich groß sein.«

Urs mühte sich ab. Er hackte und hackte. Zuerst zog er sein Hemd aus. Ihm war warm. Dann entledigte er sich seines T-Shirts. Sein Rücken war feucht. Die Haare klebten am Kopf.

Erst als es zu dunkel war, hörte er auf. Er ging in seine Kammer, wusch sich und zog sich frische Kleider an.

Er betrachtete seine Hände. Die Innenseiten waren voller Blasen. Sie waren zum Teil schon offen und brannten. Urs wickelte sich zwei Taschentücher um die Handteller.

»Was hast du da? Ist das eine neue Mode?« versuchten ihn einige Burschen im Wirtsraum der Berghütte zu ärgern.

»Ich habe ein paar Blasen. Ich will nicht, daß sie sich entzünden. Sonst kann ich am Samstag das Beil und die Säge nicht halten. Meinem Madl zuliebe will ich am Holzhackerwettbewerb teilnehmen.«

Anna hatte es gehört. Sie kam sofort an und schaute sich Urs’ Handflächen an.

»Das schaut schlimm aus, Urs. Da muß sofort etwas gemacht werden. Sonst kannst du am Samstag bestimmt keine Axt und keine Säge halten.«

Anna nahm Urs mit in die Küche der Berghütte.

»Setz dich!« sagte Anna.

Sie ging davon und kam bald mit Verbandszeug und einem großen Schraubglas wieder.

»Ich mache dir jetzt zwei schöne Salbenverbände!«

Ohne daß Urs fragte, erzählte Anna von der wunderbaren Kräuterpaste, die die alte Ella Waldner machte. Ella Waldner war eine alte Frau, die alleine in einem kleinen Haus mit einem Garten auf einer Lichtung im Wald wohnte. Sie pflanzte Kräuter in ihrem Garten an. Andere Kräuter sammelte sie im Wald. Keiner in Waldkogel kannte die Rezeptur der Pasten, Tinkturen und Tees, die die Ella herstellte. Weil die Zusammensetzung auch Ellas Geheimnis war, wurde sie auch Kräuterhexe genannt. Jeder in Waldkogel hatte etwas von Ellas Wundermedizin daheim. Sie wurde angewendet und half gleichermaßen Mensch und Tier.

»Oh, das kühlt angenehm!« staunte Urs.

»Bis morgen ist es besser! Du mußt ja noch üben!«

Anna schaute Urs an.

»Du liebst die Gundi sehr?«

»Ja, ich will ihr Herz gewinnen! Ihr Herz für mich allein gewinnen! Aber da gibt es wohl noch einen anderen Burschen, Anna! Er heißt Julian!«

»Julian? Das kann doch nur der Julian Perner sein! Den Namen Julian gibt es nur einmal in Waldkogel.«

Anna verband Urs die zweite Hand.

»Aber Gundi muß doch wissen, wen sie liebt – dich oder Julian. Es ist doch das Madl, das sich entscheiden muß. Ich denke, sie will dich, Urs.«

»Wie kommst du darauf? Weißt du etwas?«

Anna schüttelte den Kopf.

»Weil sie will, daß du am Wettstreit teilnehmen tust. Eigentlich nehmen daran keine Fremden teil, also Burschen von außerhalb. Das gab es noch nie. Aber es scheint ja so, als würde Gundi dich anmelden. Also hat sie Interesse an dir. Sie will, daß dich alle sehen.«

»Julian nimmt auch teil!« sagte Urs leise.

»Julian nimmt jedes Jahr teil. Teilnehmen können nur unverheiratete Burschen.«

Urs nickte. Gundi hatte ihm alles erklärt.

Nachdem Anna mit dem Verband an den Händen fertig war, bat sie Urs sein Hemd auszuziehen. Sie rieb ihm Rücken und Arme mit Kräutertinktur ein.

»Das verhindert, daß du morgen einen Muskelkater hast.«

»Scheint ja ein richtiges Teufelszeug zu sein!«

»Pst! Laß diese Bemerkung bitte nicht Toni oder den alten Alois hören. Das darfst du nicht sagen. Da werden sie ärgerlich. Sie lassen über die alte Ella Waldner nichts kommen. Einige sagen, daß sie die Rezepte vom Teufel habe. Der hätte sie ihr mitgebracht, als er einmal aus dem ›Höllentor‹ rausgekommen sei.«

Urs nickte. Er kannte die vielen Geschichten vom ›Höllentor‹ und dem ›Engelssteig‹. Sein Großvater, der aus dem Tal stammte und in Markwasen auf dem Wildbacher Hof aufgewachsen war, hatte sie Urs erzählt.

»Ich kenne die Geschichten, Anna! Sag, glaubst du daran? Oder sind das alles Ammenmärchen?«

Anna schmunzelte.

»Das, mein lieber Urs, das muß jeder für sich selbst entscheiden. Aber es gibt hier in Waldkogel wohl niemanden, der wirklich daran zweifelt.«

Urs war bekannt, daß alle Angst vor dem ›Höllentor‹ hatten, jenem Berg, dessen Gipfel so oft in dunkle Wolken gehüllt waren. Dort soll ein Eingang zur Hölle sein. Wenn der Satan herauskommt, gibt es ein schweres Unwetter oder es geschieht ein Leid. Dann können nur noch die Engel auf dem ›Engelssteig‹ helfen.

»So, Urs! Das läßt du jetzt drauf bis morgen früh! Dann mache ich dir einen neuen Verband.«

»Danke, Anna!«

Urs stand auf. Er ging zum Kamin. Daneben hatte er sein Bierglas abgestellt. Das hob er auf und setzte sich in der Dunkelheit auf die Terrasse der Berghütte.

Er schaute hinauf zu den Sternen. Der Mond stand groß und hell über dem Gipfel des ›Engelssteigs‹, einem der Schicksalsberge von Waldkogel. In der Stille der Nacht erinnerte sich Urs an die Geschichten, die ihm sein Großvater erzählt hatte. Damals waren es Abenteuergeschichten. So empfand es Urs. Mit Hingabe hatte er den Worten seines Großvaters gelauscht. Später, als Urs älter geworden war, hatte er gedacht, daß der Großvater viele der Geschichten einfach erfunden hatte. Doch der alte Alois hatte ihn eines Besseren belehrt. In jeder Erzählung steckte ein Kern an Wahrheit. Sein Großvater war ein großartiger Geschichtenerzähler und schmückte aus, fügte hinzu. Doch kam es darauf an?

Urs lächelte vor sich hin. Die Berge, mit den ihnen zugeordneten Geschichten, standen für das Gute und das Böse, das Schöne und das Häßliche. Alles im Leben hat zwei Seiten. Nichts ist nur schön und nur häßlich. Es kommt immer auf den Blickwinkel an. Auch wenn man vor lauter Unwägbarkeiten die Schönheit aus dem Auge verloren hat, soll man niemals vergessen, daß es sie gibt. Auch wenn man vor etwas Angst hat, soll man daran glauben, daß alles gut wird, dachte Urs. Niemals darf man die Hoffnung aufgeben, niemals! Das hatte ihn sein Großvater gelehrt.

»Zur Erinnerung daran, daß sie die Hoffnung niemals vergessen und fest daran glauben, auch wenn ein Unwetter über das Tal hereinbricht, sehen die Bauern in Waldkogel hinauf zum Engelssteig. Sie schicken ihre Ängste, Wünsche, Sehnsüchte hinauf und bitten die Engel, sie vom Gipfel in den Himmel mitzunehmen, wenn sie aufsteigen. Weißt, das mit den Engeln, das ist eine feine Sache. Mit denen kannst über Sachen reden, die du mit keinem Menschen bereden kannst«, hörte Urs in Erinnerung seinen Großvater sagen.

Urs atmete durch.

Er schaute hinauf zum ›Engelssteig‹ und redete mit den Engeln. Er erzählte ihnen von Gundi. Er sprach von seiner tiefen Liebe zu ihr. Er beschrieb das Bild einer gemeinsamen Zukunft mit Gundi, das er seit dem ersten Augenblick, als er Gundi gesehen hatte, in seinem Herz verspürte.

Wie hatte sich Urs geärgert, daß er sich verlaufen hatte! Doch dann war ihm Gundi begegnet und sein unfreiwilliger Umweg bekam einen Sinn. Ja, noch mehr, es war der richtige Weg – der Weg, den ihm die Liebe gezeigt hatte.

Ich trage Gundi in meinem Herzen. Ich bin mir sicher, daß sie mich auch in ihrem Herzen trägt. Alles wird gut werden, dachte Urs. Es ist die Liebe, die unsere Wege kreuzen ließ.

Urs saß noch lange vor der Berghütte.

Toni und Anna waren schon schlafen gegangen, als Urs in seine Kammer ging.

*

Nachdem sie von der Berghütte zurückgekommen war, fand sie auf dem Tisch einen Zettel. Julian hatte ihn geschrieben.

Darauf stand:

Liebe Gundi!

Schade, daß du so lange unterwegs bist. Jetzt kann ich nicht länger warten. Ute wird wohl auch schlafen gehen wollen. Ich gehe jetzt hinüber zu ihr. Ich hoffe, daß du schöne Stunden in den Bergen verbracht hast und zu einer Entscheidung gekommen bist. Gundi, ich denke, es ist besser, wenn ich die Arbeiten hier an der Almhütte bis nach dem Holzhackerwettbewerb und deiner Entscheidung unterbreche. Ich werde morgen hinunter nach Waldkogel gehen. Wir sehen uns dann am Samstagnachmittag auf dem Festplatz.

Dein Julian

Gundi zündete den Ofen im Wohnraum an. Sie stellte eine Kanne mit Wasser darauf und kochte sich einen Tee. Während sie den Tee trank und Brot mit Käse aß, betrachtete sie Julians Nachricht immer und immer wieder.

»Ja, Julian, das ist nicht so mit uns gelaufen, wie du dir das ausgedacht hattest. Da ist nix mit fensterln«, flüsterte Gundi leise vor sich hin.

»Das allein müßte dir doch sagen, daß ich nicht soweit bin. Sicher liebe ich dich! Aber ich liebe dich nicht so, daß ich mich darauf jetzt einlassen würde.«

Gundi räumte den Tisch ab. Sie spülte den Teller, das Messer und den Becher und wischte den Tisch ab. Dann setzte sie sich auf die Bank vor der Unterholzer Almhütte. Sie hüllte sich in ein dickes warmes Schultertuch.

Gundi lehnte den Kopf an die Hauswand und schaute hinauf zu den Sternen. Was jetzt Urs wohl macht? Ob er schon schläft? Ob er an mich denkt? Wenn er schon schläft, träumt er dann von mir? Gundi erinnerte sich an das wunderbare Gefühl, wenn Urs sie umarmte, wenn er nur in ihrer Nähe war.

Urs strahlte etwas aus, was sie bei Julian vermißte oder bei Julian nicht verspürte. Das wurde Gundi bewußt. Es war eine tiefe Stille in ihrem Herzen, eine Stille, die so voller Schönheit war, wie sie Worte nicht beschreiben konnten. Da war Klarheit, Reinheit, Vertrauen, eine Übereinstimmung. Da war einfach eine Seelenverwandtschaft. Urs versteht mich, auch wenn ich nichts sage. Er ist so feinfühlig. Da ist etwas, was ich vorher noch nie gespürt hatte.

Gundi schaute hinauf in die Sterne. Sie lauschte in die Unendlichkeit der Schöpfung. Langsam, ganz langsam kam Ruhe in ihr aufgewühltes und suchendes Herz. Im ersten Augenblick, als sie den Unterschied zwischen der Liebe zu Urs und der Liebe zu Julian erkannte, war sie noch unsicher. Doch je mehr sie darüber nachdachte, desto klarer wurde es. Ja, so mußte es sein. Wenn ich Liebe zu Julian gespürt habe, dann war das weder gelogen noch Selbstbetrug. Wenn mich die Liebe zu Urs hingezogen hat, dann war das auch richtig. Es gibt ihn wirklich, diesen Unterschied. Ich weiß jetzt auch, warum mein Herz für beide geschlagen hat.

Jetzt muß ich es ihnen nur erklären, dachte Gundi. Sie überlegte und überlegte. Sie legte sich die Worte zurecht. In Gedanken schrieb sie zwei Briefe, in denen sie alles erklärte. Ja, so war es am besten!

Die Uhr auf den Kirchturm der schönen Barockkirche in Waldkogel schlug. Es war zwei Uhr in der Nacht. Ute lächelte vor sich hin. Wie schnell doch die Stunden vergangen sind, dachte sie. Dabei kamen sie mir nur wie Minuten vor. Sie ging in die Hütte, schloß von innen ab und legte sich schlafen.

*

Die beiden Tage bis zum Samstag verbrachte Gundi alleine auf der Almhütte. Sie besuchte Ute nicht, obwohl sie einige Male in Versuchung war. Etwas hielt sie davon ab. Sicherlich war Ute Gundis beste Freundin. Aber darin lag auch ein Problem. Bisher hatte Gundi fast alle Geheimnisse ihres jungen Lebens der Freundin anvertraut. Doch jetzt wollte sie nicht mit ihr reden. Gundi war sich sicher, die Entscheidung getroffen zu haben. Ute war in der Lage, Gundi zu verführen, es ihr zu erzählen. Doch das wollte Gundi nicht. Vielleicht hatte Gundi Angst, daß Ute sie umstimmen könnte.

So vergingen die beiden Tage. Gundi las. Sie pflückte Blumen, sammelte Kräuter und hängte sie zum Trocknen auf den Dachboden. Stunden saß sie vor der Almhütte und malte sich ihr zukünftiges Leben aus. Dabei gab es vieles, was sie sich nicht vorstellen konnte. Aber sie war zuversichtlich, daß alles gut werden würde. Die Liebe in ihrem Herzen gab ihr Kraft und Stärke.

Ich liebe ihn und er liebt mich. Es wird schon werden, auch wenn vieles noch unklar ist. Aber ist es so nicht immer? Wer kann schon alles vorherplanen und wissen? Es ist doch so, daß man immer nur für den Augenblick und die nächstliegende Zukunft planen kann. Das Leben bringt Überraschungen mit sich, erinnerte sich Gundi aus dem Leben ihrer Eltern. Der Mensch denkt und Gott lenkt, so lautete ein Spruch, den Gundi bei einer alten Tante gelesen hatte. Dort hing er eingerahmt an der Wand über der Eckbank. Die Liebe lenkt, dachte Gundi. Sie ist der Weg durch das Leben, das Geländer entlang des Abgrunds. Die Liebe ist wie ein unsichtbares Seil der Seilschaft zweier Herzen. Sie ist ein Seil, fest verknotet, unlösbar. Ein Seil, das nicht reißbar ist. Ein Seil, das sich ohne Anfang und ohne Ende um zwei Herzen legt und sie verbindet. Diese Verbundenheit hält allen Stürmen stand und wappnet gegen alle Widrigkeiten, die das Leben vielleicht bereit hält.

Gundi war so glücklich. Sie hatte erkannt, mit wem sie dieses Seil verband.

Am Samstagmorgen ging Gundi heim. Ihre Eltern waren im Stall beschäftigt.

»Grüß Gott, Mutter! Grüß Gott, Vater!«

Gundi blieb verlegen in der offenen Stalltür stehen.

»Grüß dich, Gundi! Schön, daß du wieder da bist!«

Ihre Eltern musterten sie.

»Schaust gut aus, Madl! Jedenfalls viel besser als neulich. Die Tage auf der Almhütte müssen dir gutgetan haben«, lächelte ihr ihr Vater zu.

»Ja, das haben sie! Ich war aber nicht nur auf der Almhütte, ich war auch kurz oben auf der Berghütte.«

»So? Was hast du dort gemacht?«

»Das erzähle ich euch später! Jetzt habe ich dazu keine Zeit. Geht ihr auch zur Festwiese?«

»Wie kannst du fragen, Gundi? Des soll in diesem Jahr ja ganz besonders sein, denke ich mir so – oder?«

Gundis Eltern schmunzelten und warfen sich Blicke zu. Gundi errötete.

»Ja, das denke ich auch! Vor Überraschungen ist man nie sicher!«

Gundi schaute ihre Eltern ernst an. Ihr Vater lehnte sich auf die Heugabel. Ihre Mutter stellte einen Eimer ab.

»Hör’ mal, Gundi! Wir wissen nicht, was du da auf der Almhütte oder auf der Berghütte getrieben hast. Du sollst aber wissen, daß der Julian uns einige Male besucht hat. Er hat dir wohl einen Termin gesetzt, wie?«

Gundi atmete durch.

»Es wäre besser gewesen, er hätte den Mund gehalten!« brach es aus Gundi hervor. »Dann wollte er sich wohl bei euch Rückendeckung holen, wie?«

»Der Julian ist net übel, Madl!«

»Vater! Willst du mich jetzt in die Enge treiben? Ich sage nichts! Sicher ist der Julian ein fescher Bursche. Ich habe auch nix gegen ihn einzuwenden. Aber ich lasse mich nicht drängen! Es ist meine Entscheidung! Ich suche mir meinen Burschen aus. Wann und wie und wo und wen, das entscheide ich, wenn mir danach ist – und es eilt net. So sehe ich des! Ist des jetzt genug?«

»Klingt, als wolltest du ihn nicht!«

»Auch mit dieser Bemerkung kannst du mich net aus der Reserve locken, Vater! Ich habe alles gesagt, was ich zu sagen hatte. Basta!«

Gundi seufzte.

»Ich dusche jetzt und ziehe mich um! Dann muß ich dem Toni und der Anna noch einen Gefallen tun. Die haben einen Hüttengast, der hat sich in den Kopf gesetzt, daß er auch am Holzhackerwettbewerb teilnehmen will. Der Toni hat ihn sogar trainiert.«

Gundis Handy läutete. Sie nahm ab und lauschte.

»Gut, Toni! Dann sehen wir uns später!«

Gundi schaltete ihr Handy aus.

»Hör mal, Gundi! Ich will net, daß du denkst, wir wollten dich mit dem Julian verkuppeln«, sagte Gundis Vater. »Nimm dir die Zeit, die du brauchst! Des Leben ist net endlos. Irgendwann sind deine Mutter und ich nimmer da. Es ist doch nur verständlich, daß wir dich in guten Händen wissen wollen. Eines Tages wirst du auch Kinder haben, denken wir uns. Dann wirst dir auch Gedanken machen, genau wie wir jetzt.«

Gundi nickte.

»Ich verstehe euch schon! Versteht ihr mich auch?«

»Wir wollen, daß du glücklich wirst, Madl! Das ist doch am Allerwichtigsten!«

»Ich werde glücklich! Ich bin glücklich!«

Gundi lächelte ihre Eltern an.

*

Toni und Anna brachten Urs zum Festplatz. Sebastian hatte sie dazu überredet. Er wollte unbedingt dabei sein, wenn Urs antrat.

»Ich bin sein Trainer, Toni! Ich muß dabei sein!« bekundete Basti immer wieder.

Dagegen konnte Toni keine Argumente aufbringen. Der alte Alois bot sich an, während der Abwesenheit Hüttenwirt zu sein wie in alten Zeiten. Außerdem freute er sich, daß Toni und Anna abends tanzen gehen wollten.

Der Sportplatz von Waldkogel war hergerichtet. Viele freiwillige Helfer hatten mitten auf dem Spielfeld eine große Plattform errichtet. Daneben lagerte das Holz. Es waren Baumstämme verschiedener Dicke und Länge. Auf der Plattform standen mehrere Sägeböcke.

Bürgermeister Fritz Fellbacher kletterte auf das Podium. Er hob die Arme. Das Gemurmel verstummte. Die Waldkogeler standen dicht gedrängt.

»Liebe Waldkogeler! Es ist wieder soweit! Nach alter Tradition tragen wir heute den Holzhackerwettbewerb aus. Unter allen Burschen soll der Tüchtigste gewinnen und Holzhackerbub in diesem Jahr sein. Ihr wißt ja alle, wie die Regeln sind. Die muß ich eigentlich net erklären. Trotzdem für die, die es nicht wissen: Zuerst wird in Vierergruppen angetreten. Es gilt, einen Baumstamm zweimal durchzusägen. Wer als erster fertig ist, hat gewonnen! Die anderen drei Burschen scheiden aus. Danach treten immer zwei Sieger gegeneinander an. Einer davon kommt eine Runde weiter, der andere Bursche scheidet aus. Am Schluß sind es dann nur noch zwei. Die müssen sägen und die Holzstücke dann in vier möglich gleichmäßige Teile hacken. Die Schiedsrichter sind die, die es in den letzten Jahren schon gemacht haben. Das sind: Albert Weißgerber, unser allseits geschätzter Sägewerksbesitzer, unser tüchtiger Förster Lorenz Hofer, unser beliebter Pfarrer Heiner Zandler, und meine Wenigkeit. Die Oberaufsicht hat unser Freund und Spender für des Freibier, Graf Tassilo von Teufen-Thurmann, dessen Urahn den Wettstreit einst erfunden hat. Wir werden uns bemühen, nach bestem Wissen und Gewissen zu urteilen und zu beurteilen. Jeder von uns vieren steht neben einem Teilnehmer und hat einen Tannenzweig in der Hand, den er in die Luft hält, wenn der Bursch fertig ist. Tassilo wird dann sagen, wer zuerst den Zweig gehoben hat. Es kann also losgehen!«

Es wurde Beifall geklatscht.

Die ersten vier Burschen traten hinter die Sägeböcke. Tassilo von Teufen-Thurmann gab das Startzeichen. Er blies in ein Jagdhorn. Die Burschen sägten wie wild. Da – Pfarrer Zandler hob seinen Zweig, als der erste Bursche fertig war und der zersägte Stamm vom Bock fiel. So ging es weiter und weiter.

Julian war bei der dritten Vierergruppe. Er ging als Sieger daraus hervor.

Urs war als Fremder bei der letzten Gruppe. Dort ging er als Sieger hervor.

Der Wettbewerb nahm seinen Lauf. Zwischen den einzelnen Durchgängen gab es Pausen. Während die Waldkogeler Blaskapelle einen Marsch spielte, säuberten Helfer die Wettkampfstätte vom Sägemehl. Dann traten die Sieger der einzelnen Gruppen gegeneinander an.

Es gab keine Diskussionen über Gewinner und Verlierer. Der Verlierer gratulierte dem Sieger. Jeder Teilnehmer hatte seine Fans in der Menge, die ihn anfeuerten. Gewann er, brachen sie in lauten Jubel aus. Verlor er, trösteten sie sich mit Freibier.

War es Zufall oder war es Schicksal, daß sich Julian und Urs am Schluß gegenüberstanden?

»Ja, liebe Waldkogeler! Des ist eine Überraschung! Der Julian muß gegen den Urs Wildbacher seinen Titel aus dem letzten Jahr verteidigen«, sagte Bürgermeister Fellbacher. »Julian, nimm des net so leicht. Der Urs ist zwar ein Neuling! Aber ich habe nachgeschlagen: Er ist aus einem guten Stall. Die ganz Alten unter euch, die können sich noch daran erinnern. Die Wildbacher Buben aus Marktwasen haben vor mehr als fünfzig Jahren und länger Jahr für Jahr den Titel geholt. Am besten darin war dem Urs sein Großvater. Damals sind alle froh gewesen, als er sich verliebt hatte und heiratete. Erst dann bekamen auch andere Burschen eine Chance. Heute ist also der Enkel vom Wildbacher Seppel angetreten. Des freut uns. Hat er doch den weiten Weg angetreten, um seinen Urlaub in der schönen Heimat seiner Vorfahren zu verbringen. Ja, ja! Wer aus den Bergen kommt, gleich wohin ihn die Liebe auch führt, er gibt seinen Kindern und Enkeln die Liebe zu den Bergen mit. So ist das mit dem Urs auch. Dann wollen wir mal sehen, ob er gewinnt und ein weiterer Wildbacher den Siegerkranz umgehängt bekommt. Seid ihr soweit?«

Julian nickte und spuckte in die Hände.

Urs nickte. Er griff genau wie Julian nach der Säge.

Das Jagdhorn ertönte. Es ging los. Im letzten Durchgang lagen besonders dicke Baumstämme auf dem Sägebock. Außerdem hatten sie viele Astansätze. Sie waren also sehr schwer zu sägen. Die beiden mühten sich sehr ab. Die Zuschauer waren geteilt.

Die einen riefen: Urs! Wildbacher! Wildbacher! Wildbacher!«

Die andere Gruppe schrie rhythmisch: »Julian – Julian – Julian!«

Beiden rann der Schweiß von der Stirn über das Gesicht und tropfte am Kinn ab. Ihre nackten Oberkörper glänzten in der Sonne.

Julians Säge verkeilte sich in einem Astansatz. Das kostete ihn kostbare Zeit. Julian fluchte laut. Er mußte beide Hände nehmen, um die Säge wieder frei zu bekommen. Das gab Strafpunkte.

Aus diesem Kampf ging Urs als Sieger hervor.

Während die Musiker spielten, räumten die Helfer die Sägeböcke fort und stellten die Utensilien für den Endkampf auf. Sie brachten zwei Holzklötze und zwei Äxte auf die Plattform. Dazu schütteten sie zwei riesige Haufen mit Holzstücken auf.

Julian und Urs trockneten sich derweil ab und tranken etwas. Julian trank Bier. Urs blieb lieber bei Wasser.

Dann ging es los. Es waren jeweils dreißig Holzstücke zu spalten. Julians und auch Urs’ Anhänger zählten laut mit. Bei dieser Disziplin kam es auf Exaktheit an und nicht auf Schnelligkeit. Was aber nicht bedeutete, daß getrödelt werden durfte. Es mußte schon zügig gehen. Urs spürte, wie ihn die Kräfte verließen. Es war hart, härter als er es sich vorgestellt hatte. Außerdem war er solche Arbeit nicht gewöhnt.

Zwischen den einzelnen Hieben suchte er immer und immer wieder Augenkontakt zu Gundi, die ganz vorne in der Menge stand. Neben ihr standen Toni, Anna und Sebastian. Toni hatte die kleine Franziska auf dem Arm, damit sie alles besser sehen konnte. Sebastian feuerte Urs aus Leibeskräften an.

Endlich sauste die Axt zum letzten Mal herab.

Beifall brauste auf, schallte hoch hinaus und kam als Echo zurück.

Urs und auch Julian waren erschöpft. Sie waren beide froh, daß es vorbei war.

Doch noch stand kein Sieger fest. Zuerst mußte das Schiedsgericht das gehackte Holz prüfen. Dazu ließen sich die Herren Schiedsrichter ausgiebig Zeit. Die Spannung wuchs.

Es dauerte länger als in den Jahren zuvor. Die Zuschauer wurden ungeduldig.

»Wie lange dauert es noch?«

»Wird es jetzt bald?«

»Nun macht schon zu!«

»So schwer kann des doch net sein!«

»Julian ist der Sieger!«

»Der Wildbacher Urs hat gewonnen!«

Es wurden immer mehr Stimmen laut. Bürgermeister Fellbacher platzte der Kragen: »Nun haltet des Maul! Wie sollen wir da entscheiden, wenn ihr so brüllt! Wenn ihr jetzt keine Ruh’ gebt, dann drehe ich persönlich des Freibier zu!«

Das zeigte Wirkung.

Die Jury war sich nach einer weiteren Beratung einig. Es war ein Unentschieden. Julian hatte besser Holz gehackt, aber Urs das Sägen gewonnen. Tassilo entschied, es sollte noch einmal gesägt werden. Julian und Urs waren damit einverstanden.

Bürgermeister Fellbacher trat zwischen die beiden.

»Ich kann verstehen, daß ihr müd’ und abgekämpft seid. Aber wir brauchen eine Entscheidung. Doch wir haben uns ein Schmankerl für euch überlegt. Eure Madln dürfen neben euch stehen und des Holz auf dem Sägebock festhalten. Nun ruft sie mal herbei!«

»Gundi!« brüllten beide.

Dann sahen sie sich an. Julian wurde rot.

»Die Gundi ist mein Madl!« brüllte er. »Ich habe ihr einen Antrag gemacht!«

»Die Gundi ist mein Madl! Ich liebe sie und will sie heiraten!«

Julian wollte sich auf Urs stürzen. Urs wich aus. Fellbacher ging dazwischen.

Die Zuschauer trauten ihren Ohren nicht. Das war ja wirklich eine Überraschung und eine unerwartete Dramatik.

»Stop, langsam!« rief Bürgermeister Fellbacher. »Redet ihr vom gleichen Madl? Wie heißt des Madl mit Nachnamen? Wer ist diese Gundi?«

Julian zeigte mit dem Finger auf Gundi Unterholzer. Urs lächelte Gundi zu. Bürgermeister Fellbacher reichte Gundi die Hand und half ihr herauf. Gundi hatte hochrote Wangen. Sie wußte zuerst nicht, wohin sie schauen sollte.

»Gundi! Was will der Kerl? Sag’, daß du mein Madl bist!«

»Julian! Nun mach net so einen Aufstand. Wir können des später klären.«

»Nix da! Des wird jetzt geklärt. Hier und auf der Stelle!«

Die Zuschauer hielten den Atem an.

»Gundi! Du wolltest dich entscheiden! Muß ich dich daran erinnern? Was hast du mit dem Urs? Was willst mit dem? Der ist außerdem net von hier! Also red’ jetzt!«

Gundi suchte Blickkontakte. Sie schaute hilflos in die Runde. Julian wurde immer zorniger.

»Ich will das jetzt geklärt haben! Vorher mache ich nicht weiter!« Julian warf die Säge auf den Boden und stampfte mit dem Fuß auf.

Bürgermeister Fritz Fellbacher schaute hilflos aus. Er zuckte mit den Schultern und fragte die anderen Schiedsrichter:

»Was machen wir jetzt?«

Pfarrer Zandler trat zu Fellbacher.

»Fritz, ich löse dich ab!«

»Danke, Heiner!« Fellbacher wischte sich mit dem Taschentuch die Schweißperlen von der Stirn.

»Also, wir haben zwei Burschen und ein Madl! Also ist ein Madl zuwenig! Wer mit wem was hat, des gehört net hierher. Des macht ihr später unter euch aus – aber mit Anstand!«

Er holte Luft. Er ging am Rand des Podests entlang, bis er vor Ute stand.

»Komm rauf, Ute!«

Ute ließ es sich nicht zweimal sagen. Sie trat neben Gundi. Verunsichert nahmen sich die beiden jungen Frauen bei den Händen.

»Ich werfe jetzt eine Münze. Dann entscheide ich, wer bei wem steht!«

Pfarrer Zandler holte ein Eurostück aus seiner Geldbörse. Er warf einen Blick zum Himmel, schloß kurz die Augen, warf die Münze ein wenig in die Luft, fing sie auf und legte sie auf seinen Handrücken.

Er lächelte.

»Du, Ute, gehst zum Julian und Gundi zum Urs!«

Julian öffnete den Mund. Er wollte etwas sagen.

»Julian, halt jetzt das Maul!« sagte Pfarrer Zandler streng.

Das Wort der Kirche wirkte. Julian hob die Säge auf. Seine Augen funkelten wütend.

»Seid ihr soweit?«

Beide bejahten.

Der Graf blies ins Horn. Die beiden Burschen fingen an zu sägen. Sie legten sich beide ins Zeug. Julian sägte, als hinge sein Leben davon ab. Er gewann.

»Der Holzhackerbub ist Julian Perner!« verkündete der Graf und sprach seine Glückwünsche aus.

Urs ging auf Julian zu.

»Glückwunsch!«

»Mit dir rede ich später!« zischte Julian.

»Freibier!« rief der Graf.

Die Massen strömten zu den Bierfässern, die am Rand des Spielfeldes aufgereiht waren. Julian wollte auch gehen. Pfarrer Zandler hielt ihn zurück.

»Hiergeblieben! Ich will später keine Keilerei! Wir klären das jetzt und hier! Gundi, komm’ her und Urs auch!«

Gundis Herz klopfte vor Aufregung. Sie räusperte sich.

»Julian! Ich will dir etwas sagen! Du mußt mir aber genau zu hören. Es ist sehr kompliziert. Ich habe auch lange gebraucht, bis ich es verstanden habe. Deshalb wollte ich Bedenkzeit. Also! Ich mochte dich wirklich gern. Du hast mir gefallen. Es hat mir gefallen, wie du mich angesehen hast. Es war wunderbar für mich, bewundert zu werden. Ich genoß es, wie du mir nachgesehen hast. Ich liebte es, von einem Burschen geliebt zu werden. Julian, ich hatte mich auch in dich verliebt, so glaubte ich wenigstens. Doch dann habe ich mich in Urs verliebt. Es ist ganz plötzlich und unerwartet geschehen. Ich wollte es nicht. Aber ich war machtlos. Es war einfach Liebe! Ich habe Urs in die Augen gesehen und gewußt: Er ist es! Ich habe ihn nicht gesucht. Er hat mich nicht gesucht. Wir sind uns einfach begegnet, als er sich verlaufen hatte. Das war einfach Fügung! Dann ist es geschehen. Bei keinem von uns war es Absicht. Julian, bitte! Du mußt es begreifen. Es war wie ein Naturereignis. Die Sonne der Liebe ging in unseren Herzen auf. Weder ich noch Urs konnten etwas dagegen tun. Ich versuchte, Urs zu vergessen, nicht an ihn zu denken. Julian, Urs und ich, wir gehören zusammen. Die Liebe hat uns zu einem Paar gemacht. Mit Liebe meine ich die einzig wahre Liebe!«

»Was war das dann mit mir?« unterbrach sie Julian.

»Ich war wohl verliebt in das Verliebtsein! Anders kann ich es nicht erklären. Erinnere dich, Julian! Ich habe dir gesagt, daß es mein erster Kuß war. Du hast mich wirklich zuerst geküßt. Dann habe ich Urs geküßt. Da wußte ich, daß es Liebe ist. Dafür kann ich nichts. Die Liebe hat ihre eigenen Gesetze. Ja, Julian! So ist es! Urs ist der Bursche, dem ich mein Herz schenke. Ich habe ernsthaft geprüft. Er ist es! Julian, aus uns kann kein Paar werden. Vielleicht schaffen wir es, keine Feinde zu sein. Das würde mich freuen. Du wirst ein anderes Madl finden. Es gibt bestimmt jemanden, der dich mag und dich glücklich machen wird.«

Ute stand dabei. Sie wurde tiefrot und sah auf den Boden.

Julian schaute Gundi lange an. Er schaute ihr in die Augen. Sie hielt seinem Blick stand. Julian sah das Strahlen in ihren Augen. Sie ist glücklich, dachte Julian.

»Ja, das war es dann wohl!« sagte Julian leise und seufzte. »Ich habe gewonnen und verloren an einem Tag! Dann wünsche ich dir alles Gutes!«

Julian schaute Urs an.

»Dir auch!«

Urs nickte.

Julian stand etwas verloren auf dem Podium. Er schaute sich um. Sein Blick traf auf den von Ute. Julian musterte Ute, als hätte er sie noch nie gesehen. Ute lächelte.

»Also ich bin frei, Julian! Ein Madl zum Tanzen brauchst du ja heute! Ich habe nichts vor!«

Julian lächelte und reichte Ute die Hand. Ute blinzelte Pfarrer Zandler zu. Dann ging sie mit Julian davon.

Urs nahm Gundi in den Arm und küßte sie.

»Ich liebe dich, Gundi!«

»Ich liebe dich, Urs! Dich habe ich immer geliebt, vom ersten Blick an. Das mußt du mir glauben!«

»Das weiß ich, weil es mir auch so erging. Ich sah dich, sah dir in die Augen und wußte es. Du bist diejenige, nach der ich immer gesucht habe.«

Hand in Hand stiegen sie die wenigen Stufen des Podests hinab.

Anna reichte Urs sein Hemd und seine Jacke.

»Glückwunsch zum zweiten Platz! Des hast du gut gemacht, Urs.«

»Danke, Toni!«

Auch Anna und die kleine Franziska sprachen ihre Glückwünsche aus. Nur Sebastian schwieg. Er stand dabei, gab sich teilnahmslos und vergrub die Hände in den Hosentaschen.

»Was ist mit dir, Basti?« fragte Toni. »Willst du dem Urs nicht gratulieren?«

»Ich gratuliere dir!« brummte Sebastian und schaute Urs dabei nicht an.

»Basti! Sei nicht so arg enttäuscht! Du hast den Urs gut trainiert. Des hast wirklich prima gemacht. Daß der Urs den zweiten Platz erobert hat, des ist schon eine Überraschung. Das hat er nur dir zu verdanken!«

»Schon gut, Toni!«

Jetzt schaltete sich Anna ein.

»Basti, warum bist du so enttäuscht. Keiner hätte gedacht, daß der Urs es so weit nach vorne schafft.«

Urs lächelte.

»Ich kann den Sebastian verstehen! Er hat mich trainiert. Des hat er wirklich gut gemacht. Basti weiß, daß ich hätte gewinnen können, wenn ich gewollt hätte, richtig?«

Sebastian nickte.

Urs knöpfte sein Hemd zu und zog seine Jacke über. Er legte den Arm um Gundi.

»Ich habe am Schluß extra langsamer gemacht, damit Julian gewinnt. Das hast du richtig gesehen, Basti. Sei mir deswegen nicht böse. Ich bin mir sicher, wenn du einmal groß bist, wirst du mich verstehen. Ich wollte dem Julian an einem Tag nicht alles nehmen, das Madl und den Sieg.«

»Das kann ich jetzt schon verstehen, Urs. Ärgern tut’s mich doch ein bisserl.«

Das konnten alle verstehen. Sie trösteten Sebastian, daß er später selbst seine Kräfte messen könnte. Die paar Jahre würden schnell vor-übergehen.

Etwas weiter entfernt erblickte Gundi ihre Eltern. Sie hatten alles beobachtet. Gundi nahm Urs bei der Hand und ging mit ihm zu ihnen.

»Vater! Mutter! Das ist mein Bursche! Das ist Urs Wildbacher! Der Fellbacher hat ja schon einiges über die Familie Wildbacher gesagt und ihr kennt auch Urs’ Verwandte in Marktwasen, zumindest flüchtig.«

»So, so! Du bist also der fesche Bursch, der Gundis Herz erobert hat. Na, dann bist uns willkommen! Wenn die Gundi dich will, dann sagen wir auch willkommen!«

Sie schüttelten sich die Hände.

Gundis Vater schmunzelte.

»Du hast den Julian gewinnen lassen, stimmt’s? Ich habe dich genau beobachtet. Gib es zu!«

»Ja! Des hab’ ich!«

Der Unterholzerbauer legte Urs seine Hand auf die Schulter.

»Bist ein guter Bursch! Hast Größe! Des gefällt mir! Wollen wir ein Bier zusammen trinken gehen? Es gibt ja Freibier!«

Gundi schmiegte sich an Urs’ Arm.

»Ich will lieber heim und dir unseren Hof zeigen! Wir können daheim anstoßen!«

Gundis Eltern lächelten. Zu viert machten sich sie auf den Heimweg.

Gundi und ihre Eltern zeigten Urs den Hof. Sie sprachen auch über die Zukunft. Da waren sie sich schnell einig. Urs würde nach Waldkogel ziehen und sich in der Gegend eine Arbeit suchen. Nach Feierabend wollte er auf dem Hof mithelfen.

»Daß du zupacken kannst, des hast ja schon gezeigt!« erkannte Gundis Vater an.

Gundi, ihre Eltern und Urs saßen bis spät in die Nacht zusammen und feierten im kleinen Kreis die Verlobung der beiden Verliebten.

Urs verbrachte mit Gundi den Rest seines Urlaubs in der Unterholzer Almhütte. Sie waren sehr glücklich. Eines Morgens wurden sie von seltsamen Geräuschen geweckt. Sie standen auf und gingen hinaus.

»Julian, was willst du hier?« rief Gundi erstaunt aus.

Julian lachte.

»Nun, schau nicht so erstaunt, Gundi! Ich will die Malerei fertigstellen. Oder soll ich des jetzt nicht mehr?«

»Doch! Aber wir sind auch hier, der Urs und ich!«

»Das stört mich nicht! Ich mache meine Arbeit und geh abends zur Ute!«

»So, so!« schmunzelte Gundi.

Sie dachte sich ihren Teil. Wahrscheinlich suchte Julian einen Grund, um öfter mit Ute zusammenzutreffen. Inzwischen waren die beiden zum Dorfgespräch geworden. Sie hatten am Abend des Wettbewerbs ausgelassen getanzt und sich wohl auch blendend verstanden.

»Julian, mußt morgens nicht so früh mit der Arbeit beginnen. Das stört uns. Vielleicht kannst du dir vorstellen, daß die Nächte ein bisserl kurz sind.«

»Des wird bei euch genauso sein wie bei mir und der Ute, denke ich mir!« grinste Julian.

Gundi verstand und freute sich für Ute. War ihre heimliche Liebe doch in Erfüllung gegangen, auch wenn der gute Pfarrer etwas nachgeholfen hatte.

*

Nachdem Urs’ Urlaub zu Ende war, nahm er Gundi mit heim und stellte sie seiner Familie vor. Allen gefiel die junge Frau. Besonders der Großvater war begeistert. Ihm traten die Tränen in die Augen, als er hörte, daß sein Enkel in die alte Heimat ziehen würde.

»Großvater, wir haben einen sehr großen Hof! Da ist immer ein Plätzchen für dich«, sagte Gundi.

Der alte Mann schloß Gundi wortlos in die Arme. Wie muß er die ganzen Jahre Heimweh nach den Bergen gehabt haben! Er war der Liebe gefolgt. Sicherlich war er glücklich geworden, aber noch glücklicher wäre er in der Heimat gewesen.

Bald darauf feierten Urs und Gundi Hochzeit. Die standesamtliche Trauung fand bei Urs daheim statt. Eine Woche später gab Pfarrer Heiner Zandler den beiden den kirchlichen Segen in der schönen Barockkirche von Waldkogel. Gundi schritt in dem Brautkleid zum Altar, von dem sie damals auf der Wiese geträumt hatte. Alles war so, wie sie es sich vorgestellt hatte, nur daß es Urs war, ihre große und einzige Liebe, und nicht Julian.

Julian und Ute waren unter den Hochzeitsgästen.

»Urs mußte einen Umweg gehen, um Gundi zu finden. Ich mußte Gundi nachlaufen, um zu dir zu finden, Ute«, sagte Julian eines Tages zu Ute.

»Ja, die Liebe läßt Umwege gehen oder Menschen in Sackgassen abbiegen. Aber das ist alles nicht schlimm. Hauptsache, die Herzen finden zusammen, Julian! So wie bei uns!«

»Ja, Ute, so wie bei uns!«

Julian und Ute heirateten auch bald und wurden sehr glücklich.

Toni der Hüttenwirt Paket 2 – Heimatroman

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