Читать книгу Toni der Hüttenwirt Paket 2 – Heimatroman - Friederike von Buchner - Страница 14
ОглавлениеToni hatte die Kinder Franziska und Sebastian vor der Schule abgesetzt.
»Seid brav und tut schön lernen!«
»Toni, des mußt du uns net jeden Tag sagen!« schmollte die kleine Franziska.
Toni schmunzelte. Er streichelte Franziska über ihr blondes Haar.
»Ich weiß doch, daß du eine richtige Musterschülerin bist. Gut, Franzi, ich versuche dran zu denken. Was soll ich statt dessen sagen?«
Die kleine Franziska zuckte mit den Schultern.
»Ich weiß net! Vielleicht kannst sagen: ›viel Freude beim Lernen‹ oder so etwas Ähnliches…«
»Ich lasse mir etwas einfallen, Franzi.«
Die beiden Geschwister gingen ins Schulgebäude. Toni sah ihnen nach. Er stieg in den Geländewagen und fuhr zu seinen Eltern.
»Grüß Gott, Mutter! Grüß dich, Vater! Ist so leer heute. Was ist los? Schlafen die Pensionsgäste noch?«
Xaver Baumberger, Tonis Vater, schüttelte den Kopf.
»Naa, die sind heut’ schon alle fort. Mei, des sind extreme Frühaufsteher. Die haben alle um sechs Uhr schon gefrühstückt. Dann sind sie zu einer Wanderung aufgebrochen. Na ja, war schon ein bissel früh. Aber was soll’s. Der Gast ist König!«
Das Wirtshaus und die Pension waren immer gut besucht und ausgelastet. Das lag eben an der familiären Art, wie Tonis Eltern die Gäste verwöhnten. Fast alle Pensionsgäste waren Stammgäste, die jedes Jahr wiederkamen. Oft waren sie schon in zweiter oder sogar dritter Generation Gast bei den Baumbergers. Es war fast so, als kämen Freunde zu Besuch.
»Weißt, wir haben bis nächste Woche eine Gruppe aus dem Flachland. Die wollen jede Minute ausnutzen und in die Berge gehen.«
»Mei, des kann man doch verstehen. Die Berge sind schön. Dazu kommt, daß unsere Berge hier um Waldkogel besonders schön sind.«
»Des stimmt schon, Toni, wenn man von dem Unglücksberg, dem ›Höllentor‹ mal absieht.«
Toni nickte. Er ging mit seinen Eltern in die Küche, die neben dem Schankraum lag. Sie setzen sich. Meta und Xaver, Tonis Eltern, fanden jetzt erst Zeit, selbst zu frühstücken. Toni trank eine Tasse Kaffee.
»Was gibt es sonst so Neues?« fragte Toni.
Sein Vater lachte. Er erzählte, daß irgend jemand auf die Idee gekommen sei, Kuhrennen zu veranstalten.
»Ganz Waldkogel redet davon!«
»Vater, des ist ein Schmarrn! Wem ist so etwas eingefallen? Kühe sind dazu da, gutes Fleisch und beste Milch zu geben.«
Sein Vater stimmte ihm zu. Doch er war der Idee nicht abgeneigt. Xaver Baumberger war der Meinung, daß man mit einer solchen Attraktion im Herbst weitere Besucher nach Waldkogel locken konnte. Wenn die Ferienzeit vorbei war, dann gab es im Herbst schon mal freie Quartiere in Waldkogel, bis der Winter mit seinem Schnee die Gäste wieder anlockte. Zwar gab es keine so große Pisten, mit Schleppliften, wie in verschiedenen Nachbarorten. Darin waren sich alle Waldkogeler einig. Sie wollten ihr schönes Tal nicht verschandeln lassen, wie sie es nannten. Sie setzten mehr auf Skilanglauf. Dazu steckte der Bürgermeister Fritz Fellbacher im Winter selbst die Loipen ab und überwachte die Anlegung.
»Doch, des wäre vielleicht eine gute Sache, denke ich mir, Toni!«
»Naa, Vater, naa! Und wo soll des Ganze stattfinden?«
»Man denkt daran, des Spektakel auf der Hauptstraße zu veranstalten.«
»So ein Schwachsinn! Wem ist des eingefallen?«
»Des weiß niemand mehr. Es reden nur alle davon!«
Toni trank einen Schluck Kaffee. Kuhrennen in Waldkogel, naa naa, dachte Toni. Er wußte, daß es Länder gab, in denen es die Tradition gab, einmal im Jahr die jungen Stiere und Bullen durch die Straßen zu hetzen. In anderen Ländern wurden Bullenrennen veranstaltet oder Rodeos. Doch davon wollte Toni nichts wissen. Er schüttelte immer wieder den Kopf.
»Vater! Mutter! Zu was soll des gut sein?«
»Toni, es geht um die Leut’. Es gibt Höfe, denen geht es net so gut wie anderen oder wie uns. Die plagen sich ganz schön rum. Die Kleinbauern haben net so viel Land, daß sie ihre Familien durchbringen können. Außerdem gibt es immer weniger für die Milch – und die Fleischpreise gehen von Jahr zu Jahr auch immer mehr in den Keller.«
Toni wußte Bescheid. Er kannte die Sorgen der Kleinbauern. Sie waren im Gegensatz zu den Nebenerwerbsbauern noch richtige Bauern mit einem Hof, auf dem es alles gab, was zu einem Hof gehörte. Nur leider war es so, daß der Hof die Familie nicht mehr allein ernährte. Deshalb gingen sie nebenbei arbeiten. Diese Bauern hingen an ihrem Stück Erde, an ihrer Heimat. Oft bestanden die Höfe seit vielen Generationen. Sie wollten nicht aufgeben, den Viehbestand verkleinern und Nebenerwerbslandwirte sein. Das war gegen ihre Ehre.
Für Toni war es verständlich, daß Bürgermeister Fritz Fellbacher etwas für sie tun wollte. Soweit Toni seinen Vater verstanden hatte, sollte jeder Bauer, der eine Kuh, einen Jungbullen oder einen Stier anmeldete, dafür etwas Geld bekommen.
»Mei, des sind doch Almosen!« bemerkte Toni.
Auf der anderen Seite kannte er die Einstellung der Kleinbauern ganz gut. Sie hatten auch ihren Stolz. Sie hingen an der Scholle, an ihren Tieren. Sie kämpften dafür, gleich welche Opfer es auch kostete.
Toni trank seinen Kaffee aus.
»Willst schon gehen, Toni?« fragte seine Mutter.
»Ja, ich will noch beim Bürgermeister vorbei.«
Toni ließ seinen Geländewagen bei seinen Eltern auf dem Hof des Wirtshauses und der Pension »Beim Baumberger« stehen und ging zu Fuß die Hauptstraße entlang zum Marktplatz.
Bürgermeister Fritz Fellbacher stand vor dem Rathaus und sprach mit Albert Weisgerber, dem Besitzer des Sägewerks. Toni begrüßte sie. Albert Weisgerber verabschiedete sich bald. Er wollte nach Kirchwalden.
»So, Toni! Jetzt können wir reden. Hast was auf dem Herzen? Komme doch mit rein!«
Bürgermeister Fritz Fellbacher ging voraus. Toni folgte ihm ins Amtszimmer. Sie setzten sich an den großen Tisch.
»Magst einen Kaffee?«
»Naa, ich komme soeben von den Eltern! Mein Bedarf an Kaffee ist gedeckt. Mich treibt die Neugierde her, Fellbacher.«
»So?«
»Ja!«
Toni kam sofort zum Thema.
»Was soll des mit dem…« Toni schmunzelte. »Nun ich will es mal ›Förderprogramm für Kleinbauern‹ nennen. Du planst doch etwas? Kühe durch das Dorf treiben? Auf Kühen reiten? So etwas in der Art.«
»Hältst du des net für eine gute Idee, Toni?«
»Des kann ich noch nicht sagen! Dazu weiß ich zu wenig. Kommt mir wie eine Schnapsidee vor, Fellbacher.«
Fritz Fellbacher machte ein ernstes Gesicht. Er mußte Toni nicht weiter erläutern, wie schlecht es den meisten Kleinbauern erging. Deshalb wollte er versuchen, eine Veranstaltung zu organisieren. Teilnehmen durften nur Rinder von Kleinbauern, die nicht mehr als drei Kühe im Stall haben.
»Wenn ich mal so überschlage, wenn jeder mitmacht, dann kommen schon ein paar Dutzend Kühe zusammen.«
Bürgermeister Fritz Fellbacher erläuterte Toni, wie es gedacht war. Es könnte verschiedene Kategorien geben, je nach Alter, Rasse oder Farbe der Kühe. Es könnte Kuhwettreiten geben, Kuhwettlauf. Jeder, der an der Straße steht, müßte zahlen. Aus dem Topf bekäme dann jeder Kleinbauer einen Batzen. Natürlich sollten die Zuschauer auch Wetten abschließen können, welche Kuh als erste durch das Ziel geht. Dann wollte der Bürgermeister auf dem Sportplatz noch ein Kuhrodeo veranstalten, bei dem jeder versuchen könnte, auf einer Kuh zu reiten. Da sollte es nicht darum gehen, sich möglich lange auf der Kuh zu halten, sondern die Kuh mußte um die Hindernisse herumgeritten werden.
Toni rieb sich das Kinn.
»Hast des mal mit unserer Viehdoktorin beredet, Fellbacher?«
»Mit der Beate Brand habe ich noch nicht gesprochen. Mit der Doktorin habe ich heute nachmittag einen Termin. Sie hat im Augenblick viel zu tun. Sie ist fast den ganzen Tag auf dem Gestüt. Dort gibt es einige Stuten, die alle kurz vor dem Abfohlen stehen.«
Bürgermeister Fritz Fellbacher holte die Flasche Obstler und schenkte sich und Toni ein. Die Männer prosteten sich zu. Sie tranken.
»Toni, ganz im Vertrauen gesagt, bin ich persönlich von der Idee auch net sonderlich angetan. Aber was soll ich machen? Des hat sich nun mal so ergeben. Bei der letzten Gemeinderatssitzung hat des der Franz Huber auf die Tagesordnung gesetzt. Da mußte ich mich der Sache annehmen und zumindest prüfen, verstehst?«
»Ja! Aber wenn ich den Namen Franz Huber schon höre, da schwillt mir der Kamm. Der hat doch keinen eigenen Grips. Und um seine Mitmenschen und Nachbarn tut der sich schon gar net sorgen. Der macht doch nur, was ihm sein Bazi, der Ruppert Schwarzer, sagen tut. Wir wissen doch beide, daß von dieser Seite bisher nix Gutes gekommen ist. Alles, was der Huber Franz bisher im Gemeinderat durchdrücken wollte, hatte einen Pferdefuß, einen Pferdefuß, wie der Teufel ihn hat. Der Teufel war in diesen Fällen der Ruppert Schwarzer und sonst niemand.«
»Des geht mir auch durch den Kopf, Toni! Ich bin schon richtig ins Grübeln gekommen. Des kannst mir glauben, Toni! So viel Menschenfreundlichkeit beim Huber, des macht mich sehr, wirklich sehr mißtrauisch. Aber was soll ich machen?«
Toni überlegte einen Augenblick. Er schmunzelte.
»Da ist ein bissel Bauernschläue gefragt. Einer könnte vor dir mit der Beate reden, sie ein bissel instruieren. Vielleicht hat sie als Viehdoktorin ja Einwände, die nicht von der Hand zu weisen sind.«
»Des wäre eine Möglichkeit. Wenn des Tierschutzgesetz des hier bei uns net zuläßt, dann kann ich nix machen.«
Die beiden Männer grinsten sich an.
»Damit ist den Kleinbauern aber noch net geholfen. Ich würde schon gern etwas für sie tun. Des Elend und den alltäglichen Kampf ums Überleben ihrer Höfe, des geht mir schon nahe, Toni. Weißt, oft geht es dabei gar net mal um Unsummen. Ich weiß von vielen, daß sie wegen geringer Summen in Schwierigkeiten kommen und net termingerecht bezahlen können, sei es Strom oder Telefon oder Krankenkasse. Des ist schon ein Elend. Außerdem weißt du doch, wie des ist bei den Banken. Selbst für einen Euro wollen die heute eine Sicherheit. Da dachte ich mir, daß so ein kleines Zubrot net schlecht wäre.«
Toni rieb sich das Kinn.
»Ich weiß genau, was du meinst, Fellbacher. Aber dafür muß es doch eine Lösung geben! Ich tue mal mit meiner Anna reden. Sie war ja Bankerin, vielleicht hat sie eine Idee. Und wenn es dir recht ist, dann fahre ich rüber zum Gestüt und plaudere ein paar Worte mit der Doktorin. Du verstehst, Fellbacher?«
»Ich verstehe! Ich danke dir, Toni! Vielleicht fällt uns allen gemeinsam eine Lösung ein. Ich wäre schon sehr froh darüber! Sehr froh! Es ist schon schlimm, wenn man net helfen kann.«
Toni sah Fellbacher in die Augen.
»Denkst du dabei an jemand Bestimmten?«
»Ja, im Augenblick hat der Franz Krumbach Schwierigkeiten. Um den Krumbacher Hof ist es net gut bestellt. Der Franz hat die ganze Zeit noch jeden Tag ein paar Stunden im Sägewerk gearbeitet. Aber er ist völlig erschöpft und ständig übermüdet. Mei, des ist ja auch verständlich. Macht morgens die Arbeit auf dem Hof! Dann geht er von neun Uhr bis um fünf Uhr ins Sägewerk. Anschließend macht er wieder den Hof, die Wiesen und die Felder. Die meiste Arbeit auf den Wiesen und Feldern erledigt er am Samstag und Sonntag. Er arbeitetet dann oft bis Mitternacht. Ich habe ihn selbst schon im Licht der Scheinwerfer seines Traktors bis spät arbeiten gesehen. Der Albert Weisgerber hat ihn entlassen müssen. Des hat er mir eben gerade erzählt. Der Krumbacher ist bei der Arbeit fast eingeschlafen. Des kann gefährlich werden im Sägewerk. Da kann etwas passieren. Er hat ihm zwar versprochen, daß er ihn im Herbst und Winter wieder nehmen tut. Dann ist die Feldarbeit auch vorbei. Aber der Franz ist verzweifelt. Der Albert hat mir erzählt, der Franz hätte Tränen in den Augen gehabt, als er gegangen ist.«
»Mei, wenn es einem Mann die Tränen in die Augen treibt, dann muß es schlimm sein«, seufzte Toni. »Das ist wirklich net einfach zu verkraften. Für mich bedeutet des, daß der Franz Krumbacher auch körperlich geschwächt ist. Nun, das ist kein Wunder bei dem Arbeitspensum. Aber wie gesagt, ich rede mit meiner Anna drüber, vielleicht hat die eine Idee!«
Bürgermeister Fellbacher brachte Toni hinaus. Toni fuhr sofort zum Gestüt. Fritz Fellbacher suchte den Krumbacher Hof auf.
*
Es war Nachmittag. Dieter Wasmayr verließ das Büro des Schlachthofes in Kirchwalden. Dort hatte er über die Abnahme von Schlachtvieh verhandelt. Im Hinausgehen warf er der jungen Büroangestellten Ina ein freundliches Lächeln zu. Ina gab das Lächeln zurück und schaute auf ihre Armbanduhr.
Dieter fuhr mit seinem Geländewagen vom Hof des Schlachthauses. Er fuhr nicht heim. Er lenkte seinen Wagen in die Berge hinauf. Auf einem Grillplatz hoch über Kirchwalden hielt er an. Er setzte sich auf die Bank und schaute in die Weite. Es war klares Wetter. Unten im Tal lag Kirchwalden. Dahinter konnte er in der klaren Luft die Gipfel der Berge seines Heimatortes Waldkogel erkennen.
Dieter war glücklich. Seit Monaten traf er sich regelmäßig mit Ina. Noch waren ihre Treffen ein Geheimnis. Ina wünschte es so. Sie wollte an ihrem Arbeitsplatz im Schlachthof nicht ins Gerede kommen. Sie war ein sehr stilles junges Madl. Es hatte Dieter viel Mühe gekostet, bis sie sich zum ersten Mal mit ihm verabredet hatte. Im Anfang dachte er, daß Inas Herz vielleicht vergeben sei. Ina war sehr hübsch. Sie war zierlich, hatte blonde Haare und blaue Augen. Sie trug immer Dirndl. Das war Dieter sofort aufgefallen. Darin unterschied sie sich von ihren Kolleginnen.
Mittlerweile traf sich Dieter mit Ina jede Woche, wenn er zum Einkaufen nach Kirchwalden kam. Dieter seufzte glücklich, wenn er an Ina dachte. Sie füllte sein ganzes Herz aus. Ungeduldig schaute er auf die Uhr. Jede Minute, die er auf Ina wartete, kam ihm wie eine Ewigkeit vor.
Endlich näherte sich ein Auto. Schon am Geräusch erkannte Dieter Inas kleines altes Auto.
»Madl, da bist endlich! Grüß dich, Ina!«
Glücklich zog sie Dieter in seine Arme.
»Grüß dich, Dieter! Es ging net schneller! Der Chef wollte noch eine Abrechungsstatistik haben. Eigentlich hätte das auch bis morgen früh Zeit gehabt. Solche Sachen verlangt er nur an den Tagen, wenn du da gewesen bist. Vielleicht hat er etwas bemerkt?«
»Und wenn schon?«
»Du weißt doch, daß er auch versucht, mich einzuladen. Es ist wirklich schlimm. Ich überlege mir schon, ob ich kündigen soll.«
Dieter nahm Ina in die Arme und küßte sie.
»Madl! Das haben wir doch schon alles beredet. Du bleibst und im nächsten Frühjahr verloben wir uns und im Sommer tun wir heiraten. Dann hörst du endgültig auf zu arbeiten! Dann bist du die Jungbäuerin vom Wasmayr Hof, meine Bäuerin! Dann mußt du dich nimmer mit der fremden Büroarbeit abmühen.«
Dieter küßte Ina auf ihr blondes Haar.
»Ich habe dir doch gesagt, daß ich bald das Erbe meines Onkels überschrieben bekomme. Dann gehört mir die Hälfte des Hofes. Das wird im Herbst sein, nach der Ernte. Dann stelle ich dich meinen Eltern vor. Ich bin sicher, daß du ihnen gefallen wirst. Wenn du magst, können wir uns auch schon an Weihnachten verloben.«
Ina legte den Kopf an Dieters Schulter. Er hielt sie in seinem Arm.
»Ach, daß das Leben so kompliziert sein muß!«
Dieter lachte.
»Das Leben ist nicht kompliziert, Ina! Du mußt immer nur daran denken, daß ich dich liebe! Ich liebe dich, ich liebe dich so sehr, so sehr, daß ich kein Risiko eingehen will.«
»Ich liebe dich, Dieter, und ich vertraue dir auch.« Ina seufzte tief. »Ich sorge mich nur, daß deine Familie mich nicht mag.«
»Da mußt du dir keine Sorgen machen. Außerdem bist du wirklich ein Madl, wie es sich alle Eltern für ihren Buben wünschen. Du bist fesch, lieb, bescheiden, fleißig, anständig und gewissenhaft.«
Dieter nahm seine Ina fest in die Arme. Er schaute ihr tief in die Augen.
»Schau mich an, Ina! Was siehst du in meinen Augen? Siehst du, daß ich dich liebe? Siehst du, daß ich nur Augen für dich habe?«
»Ja, Dieter, liebster Dieter! Ich sehe es!«
Ihre Lippen fanden sich zu innigen Küssen.
Bis die Sonne tief über den Bergen stand, saßen sie auf der Bank und tauschten Küsse und Liebkosungen. Sie flüsterten sich Zärtlichkeiten ins Ohr.
»Wir sehen uns am Dienstagabend, Ina?«
»Ja! Ich werde da sein! Ich freue mich! Und noch mehr freue ich mich auf die Zeit, wenn wir offen unsere Liebe zeigen können.«
»Wie heißt das Sprichwort? Keine Liebe kann brennen so heiß, als eine Liebe, von der niemand etwas weiß!«
Ina lachte.
»Das Sprichwort meint es aber anders. So ist es bei uns doch nicht. Ich weiß, daß du mich liebst und du weißt, das ich dich liebe. Die Redensart beschreibt, wenn nur einer den anderen liebt und dieser nichts davon weiß.«
»Des stimmt schon, Ina. Ich habe des eben ein bissel abgewandelt. Ich bin so glücklich über unsere Liebe, über unser heimliches stilles Glück. Ich weiß, daß ich viel von dir verlange. Aber der Onkel und mein Vater, die sind…« Dieter lachte laut. »Weißt – mei, ich habe es dir schon so oft erklärt. Die beiden sind net übel. Sie sind nur ein bissel verschroben und haben so ihre Eigenheiten. Das liegt net allein an ihnen. Des lag am Großvater, der so ein seltsames Testament gemacht hatte. Darin hat er festgelegt, daß der Onkel bis zu meinem fünfundzwanzigsten Lebensjahr eine Art Pacht von seinem Bruder, meinem Vater, bekommt. Sollte der Onkel wieder heiraten und selbst Kinder haben, dann würden die zur Hälfte den Hof bekommen.«
»Aber dein Onkel hat keine Kinder!«
»Richtig! Er hat sich von seiner Frau getrennt. Des war vielleicht ein Drama damals! Ich erinnere mich daran mit Schrecken. Der Großvater lebte damals noch. Der alte Wasmayrbauer änderte wohl daraufhin sein Testament. Weißt, der Großvater, der hatte seine eigene Art zu denken und zu handeln. Er war sehr streng. Fehler ließ er nicht durchgehen. Anstand und Rechtschaffenheit und Treue, auf all diese Werte, darauf hat er geachtet. Er wollte nicht einsehen, daß mein Onkel und seine Frau, meine Tante, sich trennten. Die Kinderlosigkeit hat sie auseinandergebracht. Nun, ja!« seufzte Dieter. »Das ist alles lange her und es betrifft mich auch nicht wirklich. Ich bekomme die Hälfte des Hofes. Wenn ich die habe, dann bin ich ein richtiger Bauer, nicht nur einer, der auf dem Hof des Vaters und des Onkels arbeitet.«
Dieter küßte Ina.
»Ich habe dir doch erzählt, daß der Onkel immer versucht hat, auf mein Leben Einfluß zu nehmen. Noch hat er mich ein bissel in der Hand, auch wenn er keinen großen Einfluß auf das Testament des Großvaters nehmen kann. Aber ich will auch kein Risiko eingehen und Aufregung und vielleicht sogar Ärger auf den Hof bringen. Sicher wird sich der Onkel freuen, wenn ich dich ihm vorstellen würde. Aber da ist auch die Geschwisterrivalität zwischen meinem Vater und seinem Bruder. Wenn du dem Onkel gefällst, dann lehnt dich der Vater ab. Der eine sagt hü und der andere hott. Des gibt Unruhe. Also möchte ich abwarten.«
Dieter schaute Ina tief in die Augen.
»Ina, ich liebe dich! Ich will dich zu meiner Bäuerin machen!«
»Das weiß ich, Dieter! Es ist für mich nur alles so kompliziert. Ich verstehe das alles nicht so richtig!«
»Ach, Madl! Weißt, ich halte es einfach für besser, wenn wir es so machen. Hast doch Vertrauen zu mir, oder?«
»Ja, Dieter! Dieter, ich liebe dich! Ich vertraue dir!«
Sie schlossen sich in die Arme und hielten sich ganz fest. Ihre Lippen fanden sich. Die Abschiedsküsse waren heiß und voller inniger Sehnsucht nach mehr.
Sie trennten sich und jeder fuhr heim.
*
Wilfried Wasmayr trank sein Bier aus. Er stand auf und ging zum Tresen. Xaver Baumberger polierte die Gläser. Wilfried legte ihm das Geld hin.
»Der Rest ist für dich!«
»Danke, Wilfried! Bist großzügig, wie immer! Du kannst es dir auch leisten.«
Wilfried Wasmayr schmunzelte. Er nahm Xaver die Bemerkung nicht übel.
»Weißt, Xaver, Geld ist net alles! Ich würde gern was davon abgeben, wenn ich wüßte, wie es später einmal mit dem Hof weitergehen würde. Da sind du und deine Meta schon zu beneiden. Eure Kinder sind verheiratet und glücklich. Eure Tochter hat euch zwei Enkelkinder geschenkt. Toni und Anna sind glücklich mit den Bichler Kindern, wenn man auch nimmer Bichler Kinder sagen soll.«
Die beiden Männer schauten sich an.
»Weißt, Wilfried, der Sebastian und die Franziska sind wirkliche Geschenke des Himmels. Die beiden sind so lieb. Wir sind alle so glücklich mit ihnen, als wären sie des eigene Fleisch und Blut von der Anna und dem Toni. Ich finde, es war eine gute Idee, die unser lieber Herr Pfarrer Zandler hatte. Die Anregung, daß alle jetzt von den Baumberger Kindern reden sollen, ist eine wirklich gute Eselsbrücke. Die kleine Franziska war immer etwas traurig, wenn sie gefragt wurde, warum sie und ihr Bruder mit Familiennamen Bichler und nicht Baumberger heißen. Da wurde sie jedesmal an den schlimmen Unfalltod ihrer Eltern erinnert. Die Kinder hatten und haben es nicht leicht. Sie tragen schwer an ihrem Schicksal. Zu dem kommt, daß sie in die Pubertät kommen. Da sind sie besonders empfindlich. Jeder weiß, daß es rechtlich nicht richtig ist. Aber wenn diese kleine Eselsbrücke der Franziska hilft, dann ist nix dagegen zu sagen. Toni und Anna sind auch sehr glücklich mit den beiden Kindern. Sie haben ja keine eigenen. Der Herrgott alleine weiß, ob sie jemals eigenen Nachwuchs bekommen werden. So gehen sie ganz in der Aufgabe als Ersatzeltern auf.«
»Warum adoptieren sie die beiden net einfach?«
»Des würden sie schon machen. Aber auf die beiden wartet noch ihr Erbe, der schöne Bichler Hof. Es wäre nicht recht, wenn Toni und Anna sie adoptieren würden. Dann wäre der Bichler Hof eines Tages nimmer der Bichler Hof. Der Sebastian soll den Namen ruhig weiter tragen. Des ist sicher auch im Sinne der verstorbenen Eltern. Wäre es dir recht, wenn die Geschichte des Wasmayr Hofes zu Ende ging?«
»Naa! Hof ist zwar Hof, aber es ist immer auch alles mit einem Namen verknüpft. Doch wer weiß, was noch kommt? Mein Bub, der ist kein bissel hinter den Madln her. Der Dieter ist ein ganz Stiller. Fleißig ist er. Gewissenhaft ist er. Manchmal wünsche ich mir, er wäre ein bissel lebhafter und lebenslustiger. Wie soll des weitergehen, wenn er net bald ein Madl heimbringt? Meine liebe Gudrun und ich, wir werden auch immer älter. Wir würden gern unsere Enkelkinder aufwachsen sehen. Doch der Bub läßt sich Zeit – viel Zeit! Manchmal habe ich meine Zweifel, ob er sich jemals bindet.«
Wilfried Wasmayr sah unglücklich und sehr bedrückt aus. Xaver Baumberger lud ihn zum Schnaps ein. Sie prosteten sich zu.
»Auf eine glückliche Zukunft des Wasmayr Hofs! Darauf, daß viele weitere Generationen dort aufwachsen werden!«
»Danke, Xaver! Aber eine weitere, darüber wäre ich schon froh.«
Sie tranken.
Xaver Baumberger brachte Wilfried zur Tür. Er war der letzte Gast gewesen. Xaver schloß hinter ihm ab. Er seufzte. Ja, so ist es, dachte Xaver. So hat jeder sein Päckchen zu tragen, auch der reiche Wilfried Wasmayr.
Der Wasmayrbauer ging zu Fuß zurück zum Hof. Die Hauptstraße Waldkogels lag im Schein der Straßenlaternen. In den meisten Häusern brannte kein Licht mehr. Es war eine laue Nacht. Von den Bergen wehte ein warmer Sommerwind. Wilfried entschloß sich, noch etwas spazierenzugehen. So schlug er den Fußweg ein, der hinter der schönen Barockkirche den Berg hinaufführte. Der Pfad führte oberhalb von Waldkogel am Hang entlang. Von dort konnte man ganz Waldkogel übersehen. Auch in der Nacht war es ein schöner Anblick, wenn der goldene Wetterhahn auf der Kirchturmspitze im Mondschein glänzte.
Wilfried Wasmayr setzte sich auf eine Bank. Er nahm seine Pfeife heraus und zündete sie an. Er liebte es, irgendwo alleine seinen Gedanken nachzuhängen. Als junger Bursche war er dazu in die Berge gestiegen. Doch das war lange her.
Er sah sich um, beobachtete, wie da und dort die erleuchteten Fenster erloschen. Ich muß Geduld haben, dachte er. Ich kann den Dieter doch nicht unter Druck setzen.
Geduld war nicht gerade Wilfrieds Stärke. Er war ein Mann, der mit Kräften anpackte und niemals etwas auf die lange Bank schob. Was zu machen war, das mußte getan werden. Dieter, sein Bub, war ihm darin sehr ähnlich. Er packte zu, setzte sich Ziele und ließ nicht nach, bis er sie erreicht hatte. Was aber den Weiterbestand des Wasmayr Hofes anging, darüber konnte Wilfried mit seinem Buben nicht sprechen. Er hatte es einmal getan und sie waren in Streit geraten. Das lag nun schon Jahre zurück, aber Wilfried wagte es nicht mehr, seinen Buben darauf anzusprechen.
Wilfried Wasmayr seufzte. Er stand auf und ging weiter.
Nach dem Wäldchen überquerte er die Wiesen. Weiter unten sah er auf einem Acker Licht. Dort fuhr jemand mit dem Traktor entlang. Der Wasmayrbauer beschleunigte seine Schritte, bis er das Feld erreicht hatte.
»Grüß Gott, Franz! Bist noch zugange?«
Franz Krumbach stellte den Motor des Traktors ab.
»Grüß Gott, Wilfried! Wo kommst du so spät her? Gehörst du nicht ins Bett?«
»Das könnte ich von dir auch behaupten! Machst die Nacht zum Tag, wie?«
Franz Krumbach sprang vom Traktor.
»Du hast leicht reden! Wann soll ich es denn machen? Die Arbeit muß getan werden.«
»Ist dir des net ein bissel zuviel? Tagsüber im Sägewerk und nachts auf dem Acker?«
»Nix ist da mehr mit dem Sägewerk! Der Weisgerber hat mich entlassen!«
»Was du net sagst! Entlassen?«
»Gell, da tust auch staunen? Aber ich habe schon wieder eine andere Arbeit in Kirchwalden. Da helfe ich in der Brauerei. Des mit der Fahrerei ist net so schön und Benzingeld kostet es auch. Doch es bleibt mir keine andere Wahl.«
»Willst du die Landwirtschaft net ganz aufgeben, Franz?«
»Naa! Schmarrn! Außerdem geht des net! Du weißt, daß ich vor Jahren den Hof mit einem geförderten Landwirtschaftskredit modernisiert habe. Wenn ich jetzt die Landwirtschaft aufgebe, dann muß ich die Schulden zu einem viel höheren Zinssatz und innerhalb einer kürzeren Zeit abbezahlen. Des ist unmöglich. Da könnte ich gleich den Hof verkaufen. Ich hätte des net machen sollen damals. Aber es hat gut ausgesehen, zu der Zeit. Wer konnte denn vorhersehen, daß die Erzeugerpreise so in den Keller gehen? Davon kann man als Kleinbauer nimmer existieren. Dazu gehört mehr Land und Vieh. Platz für mehr Vieh hätte ich, aber die Wiesen reichen net für des Futter. Früher habe ich dazugekauft. Aber es rechnet sich nicht mehr.«
»Es ist ungerecht auf der Welt, Franz! Wenn du magst, dann gebe ich dir ein paar Wiesen. Mit der Pacht werden wir schon einig. Was meinst? Willst du es nicht probieren? Deine Kühe haben früher immer Preise gewonnen. Wieviel Stück Vieh hast du jetzt noch?«
Der Krumbacherbauer schob die Hände in die Hosentaschen und lehnte sich an das große Hinterrad des Traktors.
»Nimmer viel! Kaum der Rede wert. Es sind nur noch drei Stück Vieh! Für die reicht das Futter, das ich anbaue. Ich habe letzte Woche wieder zwei Kühe verkauft. Schöne Tiere sind es gewesen. Dem Schlachthof mußte ich sie verkaufen. Habe das Geld dringend gebraucht. Es ist schon ein Jammer.«
Der Krumbacherbauer seufzte.
»Aber ich will die Hoffnung net aufgeben, daß ich die nächsten Jahre noch durchhalte. Wenn der Kredit abbezahlt ist, dann sehe ich weiter. Es kommt auch auf mein Madl an. Die Gesa ist unser einziges Kind. Vielleicht tut sie ja mal reich heiraten, einen Burschen, dessen Bruder den elterlichen Hof übernehmen tut. Der könnte dann ein gutes Stück Geld mitbringen und vielleicht auch Äcker und Wiesen.«
Der Wasmayrbauer bekam spitze Ohren. Ein Gedanke jagte den anderen.
»Ja, Franz, des wäre gut. Hat denn dein Madl schon einen Burschen?«
»Sie geht mal aus mit dem und dem. Ich weiß nix Genaues. Ich hoffe aber, daß sie weiß, was sie tut.«
»Ja, hast denn nicht mit deiner Gesa gesprochen?«
»Was soll ich mit ihr gesprochen haben?«
»Mei, Franz! Na, was schon? Die Gesa ist wirklich ein fesches Madl. Wenn die es darauf anlegt, kann sie jedem Burschen den Kopf verdrehen. Es muß nur der Richtige sein.«
Der Krumbacher lachte.
»Ich will, daß meine Gesa glücklich wird. Sie soll den Burschen nehmen, den sie will.«
»Etwas anders wäre auch Unsinn, Franz. Aber man sagt, daß die Weiber schon ein bissel berechnend sein können. Sie muß sich nur den Richtigen aussuchen und ihn dann verführen.« Der Wasmayrbauer seufzte. »Man hat schon seine Last mit seinen Kindern. Mein Bub läßt wahrscheinlich alle Madln abblitzen. Wie soll ich mir sonst erklären, daß sich da nix tut? Dabei denke ich, daß er eine gute Partie ist. Der Wasmayr Hof tut etwas hermachen. Sind keine Schulden drauf. Im Gegenteil, der Dieter erbt einmal ein schönes dickes Polster. Er geht auch selbst gut mit Geld um. Also, des Madl, des er als Jungbäuerin auf den Hof bringt, des hat es gut. Wenn er eines bringt! Mir dauert des schon zu lange. Ich bin ganz ungeduldig. Und reden kann ich mit ihm net drüber. Er ist zu kritisch, Franz. Er sucht wahrscheinlich nach dem Ideal. Weiß der Himmel, was er sich vorstellt! Ich hoffe, daß bald irgendein Madl ihn einfach verführt. Dann wäre endlich Ruhe. Dann wird es zum Traualtar gehen, verstehst?«
Franz Krumbacher schaute Wilfried Wasmayr ernst an.
»Willst du damit sagen, daß ich auf meine Gesa ein bissel Einfluß ausüben soll? Hast du dir des so gedacht?«
Wilfried Wasmayr schmunzelte.
»Gesagt habe ich nichts, gar nichts! Ich habe nur theoretisch gesprochen, verstehst? Des, was ich da gedacht und gesagt habe, das gilt für jedes Madl, auch für deine Gesa. Doch wenn du es genau wissen willst, dann sage ich es dir: Ich hätte gegen die Gesa nix. Das kann ich dir versichern.«
»Ich verstehe! Dann will ich des mal so zusammenfassen: Wenn meine Gesa und dein Dieter zusammenkämen, dann wäre das für beide Familien nicht schlecht.«
»Mhm, es wäre wirklich net schlecht. Also rein theoretisch, könnte man dann die Höfe zusammen bewirtschaften. Es bliebe ja alles in der Familie. Damit wäre dir geholfen.«
»Ja, ja! In der Theorie hört sich des verlockend an. Doch ich kann mein Madl net unter Druck setzen.«
»Mei, wer redete denn davon? Außerdem bringt das nichts, gar nichts. Es muß schon von selbst drauf kommen. Du mußt es so machen, daß sie denkt, es sei ihre Idee.«
»Dann bringe du doch deinen Buben dazu, daß er mit der Gesa flitzt.«
»Naa! Des mache ich net. Dann läßt sich mein Bub von der Gesa bestimmt net verführen. Da macht er einen Bogen um sie, wie der Teufel ums Weihwasser. Ich habe ihm einmal ein Madl angepriesen. Da hat er einen Streit vom Zaun gebrochen, daß ich dachte, er geht gleich mit Fäusten auf mich los. Wenn meine Gudrun nicht dazwischengegangen wäre, wer weiß, was passiert wäre! Naa, ich muß mich da zurückhalten. Des mußt du verstehen!«
Es war alles gesagt. Franz Krumbach nickte Wasmayr zu. Franz Krumbach stieg auf seinen Traktor, ließ den Motor an und zog weiter den Pflug durch den Acker.
*
Zur gleichen Zeit, als ihr Vater sich auf dem Acker abmühte, wartete Gesa in der Nähe der Tankstelle
und Autoreparaturwerkstatt zwischen Waldkogel und Marktwasen. Es war jetzt schon nach Mitternacht. Die Tankstelle hatte geschlossen. Nur in der Wohnung über dem Laden brannte noch Licht. Gesa hielt in der Dunkelheit ihre Armbanduhr in Richtung des Lichtscheines, der aus dem Fenster fiel. Die Minuten vergingen wie Stunden.
Wann kommt er endlich? Wie lange dauert es noch? Immer wieder sah Gesa auf ihr Handy. Er rief nicht an. In ihrer Verzweiflung las sie immer und immer wieder Jochens letzte Nachricht:
Steh auf der Autobahn im Stau. Kann nicht anrufen. Chef fährt mit. Warte auf mich! Küßchen, Jochen.
Endlich, nach einer weiteren halben Stunde, näherte sich ein kleines Auto. Gesa erkannte sofort, daß es Jochen war. Er fuhr zum Ende des großen Parkplatzes und hielt. Gesa stieg zu ihm ins Auto.
Sie küßten sich.
»Tut mir leid, Gesa, daß du so lange warten mußtest. Aber erst sind wir in den Stau gekommen, dann wollte der Chef, daß ich den LKW noch durch die Waschanlage fahre. Er nimmt es sehr genau.«
»Ich warte doch gerne auf dich! Irgendwann hast du deinen eigenen Lastwagen. Dann kann dir niemand mehr etwas vorschreiben«, versuchte Gesa Jochen zu trösten.
Er lächelte sie an.
»Das hast du lieb gesagt, aber es wird auch hart werden.«
»Das ist mir egal. Ich komme dann einfach mit. Dann bin ich immer bei dir.«
Gesa schmiegte sich an Jochen. Er hielt sie fest in seinen Armen.
»Ja, das wird schön werden. Wir werden immer zusammen sein, Tag und Nacht«, träumte Gesa laut vor sich hin.
»Es dauert schon noch ein bissel, aber dann habe ich das Geld für einen gebrauchten kleinen Lastwagen zusammen. Ich – nein – wir! Wir fangen klein an. Dann verdienen wir Geld und kaufen uns einen größeren Lastwagen. Wenn wir sparsam sind, dann schaffen wir das.«
»Wir schaffen alles, wenn wir nur zusammenhalten. Dann fahre ich mit dir. Ich komme endlich von daheim fort. Ich freue mich so. Wann denkst du, daß es soweit ist, Jochen?«
Jochen Hortler hielt seine Gesa ganz fest. Er bedeckte ihr Gesicht mit Küssen.
»Ich liebe dich so, Gesa! Ich liebe dich!«
»Ich liebe dich! Jochen, ich liebe dich so! Ich will mit dir zusammen sein. Wie lange muß ich warten?«
»Mein ungeduldiges Madl!« lachte Jochen. »Das dauert noch! Ich will mir erst ganz sicher sein, daß ich auch genug Geld habe, eine Familie zu ernähren. Das mußt du doch verstehen, nicht wahr?«
Gesa seufzte.
»Das dauert mir zu lange, Jochen. Gibt es keine andere Möglichkeit? Es muß doch eine Möglichkeit geben, schnell viel Geld zu verdienen!«
»Ach, liebste Gesa! Ich weiß keine, du vielleicht?«
Sie schmiegten sich wieder eng aneinander und küßten sich.
So ging das eine Weile. Dann mußte Jochen nach Kirchwalden zurück.
»Schade, daß du schon wieder gehen mußt, Jochen. Du hast so wenig Zeit für mich.«
»Ach, Gesa! Mache es mir doch nicht noch schwerer, als es ohnehin ist. Du weißt doch, daß ich nur dir zuliebe so viele Überstunden mache, damit ich schnell das Geld zusammensparen kann.«
»Sehen wir uns am Wochenen-de?«
»Vielleicht! Es kann auch sein, daß ich eine Fuhre nach Italien übernehmen muß. Ein Kumpel hat gekündigt. Er ist nach Norwegen, weil er dort so viel mehr verdient. Jetzt werden seine Fahrten unter uns anderen Fahrer aufgeteilt.«
»Viel verdienen? Wieviel? Wieviel mehr?«
»Genaues hat er nicht verraten. Aber es wird wohl doppelt soviel sein. Er arbeitet dort für eine Ölfirma als Fahrer.«
»Willst du das nicht auch machen?«
Jochen schaute Gesa überrascht an.
»Dann wäre ich aber weit fort von dir. Ich schätze, das würde dir nicht gefallen, oder?«
Gesa küßte Jochen. Sie streichelte zärtlich seine Wangen.
»Schau, Jochen! Wenn du dort so viel mehr Geld verdienen kannst, dann sparen wir auch Zeit. Außerdem kann ich dich immer besuchen. Wenn du Urlaub hast, dann kommst du her. Es wäre eine Überlegung wert, meinst du nicht auch?«
»Du bist ganz schön geldgierig, Gesa!«
»Das ist nicht nett von dir, so etwas zu sagen. Ich bin nicht geldgierig, ich denke nur praktisch. Ich denke an die Zukunft. Ich will raus – am liebsten weit fort!«
»Wirst du die schönen Berge nicht vermissen?«
»Ach, die Berge! Die werde ich sicher vermissen! Leider kann ich sie nicht mitnehmen. Aber man kann im Leben nicht alles haben. Ich hoffe, du hast am Wochenende frei, dann machen wir eine schöne Wanderung, übernachten in einer Schutzhütte und tun so, als wären wir schon ein richtiges Paar. Ich koche für dich! Abends sitzen wir auf der Bank und schauen dem Sonnenuntergang zu.«
»Ich hoffe auch, daß ich nicht arbeiten muß. Wenn nicht, machen wir die Wanderung an einem anderen Wochenende. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, liebste Gesa!«
Es war Zeit. Jochen mußte wieder zurück nach Kirchwalden. Er mußte noch etwas schlafen. Am nächsten Morgen würde er wieder hinter dem Lenkrad sitzen. Es war ein Transport nach Spanien. Es würde einige Tage dauern, bis er wieder zurück war.
Zum Abschied nahm Jochen seine Gesa noch einmal fest in die Arme und küßte sie lange und innig.
»Bis bald, Liebste!«
»Bis zum Wochenende, Jochen! Ich warte bei der ersten Schutzhütte am Pilgerpfad auf dich.«
Sie küßten sich noch einmal. Dann fuhr Jochen ab. Gesa sah den roten Rücklichtern seines Autos nach, bis sie sie in der Dunkelheit der Nacht nicht mehr erkennen konnte.
Dann machte sie sich langsam auf den Heimweg. Der Krumbacher Hof lag in tiefer Dunkelheit. Gesa bewohnte das kleine Häusl, das eigentlich der Altenteil war. So konnte sie kommen und gehen, wann sie wollte, ohne daß ihre Eltern viel davon bemerkten.
*
Es vergingen einige Wochen. Gesa traf sich regelmäßig mit Jochen nachts auf dem Parkplatz oder sie verabredeten sich auf einer Schutzhütte.
»Bist viel unterwegs, Madl«, bemerkte Alma Krumbach, Gesas Mutter, eines Abends beim Abendessen.
»So, kommt dir des so vor?« Gesa tat erstaunt. »Ja, was soll ich hier? Ich wandere eben gerne. Viele Freundinnen, mit denen ich mich treffen könnte, habe ich nicht. Die sind alle schon verheiratet und müssen Rücksicht nehmen auf den Mann und die Kinder. Da muß ich mir eben alleine die Zeit vertreiben. Paßt euch des net?«
Alma und Franz Krumbach warfen sich Blicke zu.
»Des war keine Kritik, Gesa! Ich dachte nur, daß du vielleicht besondere Gründe hast, daß du öfters abends fort bist, bis spät in die Nacht.«
Gesa lief rot an.
»Das stimmt net! Ich bin net öfters abends fort. Nur ein bis zweimal in der Woche, und am Wochenende gehe ich wandern. Stört euch des vielleicht? Soll ich daheim sitzen und mich langweilen?«
»Ist es nicht auch langweilig, alleine spazierenzugehen?«
»Was soll die Frage? Die stellt ihr mir doch nur, weil ich ein Madl bin! Wenn ich ein Bub wäre, dann würdet ihr nix dabei finden, wenn ich in die Berge ginge, mir von dort die Sonnenuntergänge anschauen würde oder was man auch immer so am Hang tut.«
Die Eltern warfen sich Blicke zu.
»Bist ein bissel sehr aufgebracht, Gesa«, stellte ihr Vater fest. »Wir wollten nur reden, sonst nix. Na ja, vielleicht brauchst die Ruhe auch bei deiner anstrengenden Arbeit. Es ist bestimmt belastend, wenn man den ganzen Tag mit Leuten zu tun hat, die sich gegenseitig verklagen und streiten.«
»Des darf man nicht so nah an sich herankommen lassen. Mein Chef sagt immer, bei einem Rechtsanwalt ist das wie bei einem Doktor. Mitleid und Mitempfinden darf man net haben, sonst kann man keine gute Arbeit machen. Das lenkt nur ab, wenn man mit dem Herzen dabei ist. Das Herz hat dabei nix zu suchen, nur der Kopf und der Verstand.«
Gesa Eltern waren froh, daß ihr Madl so einen guten Beruf gelernt hatte. Rechtsanwaltsgehilfin war ein anstrengender Beruf in ihren Augen. Deshalb stellten sie Gesa von Arbeiten auf dem Krumbacher Hof so weit wie möglich frei. Sie konnte auch ihr ganzes Geld sparen und mußte daheim nichts abgeben.
»Tut dein Sparbuch schon wachsen?« fragte Franz Krumbacher.
»Ja, da ist schon ein schönes Sümmchen drauf.«
»Schön, des freut mich! Es ist mir auch wichtig, daß du des weiter alles sparen tust. Wer weiß, was einmal mit dem Hof passiert. Ich werde wohl noch eine Kuh verkaufen müssen. Ich habe zwar Arbeit in der Brauerei in Kirchwalden, aber es bleibt mir weniger übrig als im Sägewerk. Nun ja, so lange wir wenigstens noch eine Kuh halten können, sind wir ein landwirtschaftlicher Betrieb«, sagte Franz leise.
»Vater, ich verstehe nicht viel von der Landwirtschaft. Das kannst du mir nicht zum Vorwurf machen. Du wolltest immer, daß ich lerne und dann einen Beruf ergreife. Aber wenn ich dir irgendwie helfen kann, dann sage es.«
»Helfen? Da müßte der Herrgott schon ein Wunder geschehen lassen!«
»Franz!« tadelte ihn seine Frau. »Laß den Herrgott aus dem Spiel! Des wird schon werden. Wir verkleinern eben, so weit es geht. Dann hast du auch nicht mehr so viel Arbeit. Rede doch noch einmal mit dem Weisgerber. Vielleicht kannst du wenigstens halbe Tage bei ihm arbeiten. Oder frage mal drüben beim Wasmayr Hof. Der Wilfried gibt dir bestimmt gern Arbeit. Die haben so viel zu tun. Ich habe die Gudrun im Dorf getroffen. Die hat so geklagt. Es ist so viel zu tun. Sie weiß nicht, wie sie den Wilfried und den Dieter bremsen soll. Die wollen nur vergrößern und vergrößern. Das ist ja alles schön und gut. Aber für den Dieter bleibt kaum Freizeit. Sie macht sich Gedanken, weil der Bub noch immer kein Madl hat. Sie macht sich auch Gedanken, daß er keines findet, weil, wer will schon auf einen Hof einheiraten, wo so viel Arbeit ist? Dabei muß die Gudrun bestimmt net viel machen. Sie hat sogar zwei Hilfen im Haus. Also, die Jungbäuerin, die den Dieter mal heiratet, die hat ausgesorgt, des steht fest. Na ja, irgend etwas muß mit dem Dieter net stimmen, sonst hätte er längst ein Madl. So denke ich!«
»Ach, Alma, des darfst alles net so ernst nehmen, was die Gudrun so redet. Der Dieter ist ein braver Bursche. Er sieht gut aus. Ist fleißig und anständig und reich dazu ist er auch. Irgendwann wird ihn sich schon ein Madl schnappen. Es gibt eben Burschen, die müssen eingefangen werden. Die sind recht glücklich, wenn sie an ein Madl geraten, welches des Zepter in die Hand nimmt. Ich hoffe, den Dieter fängt sich bald jemand ein und bindet ihn fest. Ich habe neulich den Wilfried getroffen, der kann auch schon gar nichts mehr anderes denken, als daß es Zeit für Enkelkinder wird. Des ist bei dem schon eine fixe Idee! Weißt, dem Wasmayr geht es gut. Der hat wirklich keine Sorgen. Es kommt mir so vor, als mache er sich welche, damit er auch über etwas klagen kann. So ein Schmarrn! Er soll den Bub in Ruh’ lassen. Wirklich, dem seine Sorgen möchte ich haben«, brummte Franz Krumbach.
Er stand auf und ging hinaus.
»Was hat der Vater?« fragte Gesa. »Warum regt er sich so auf?«
»Gesa! Dein Vater hat auch zu kämpfen. Er kämpft um die nackte Existenz, um den Hof. Er tut alles, um ihn zu erhalten. Und dem Wasmayr, dem geht es gut – und er macht sich Gedanken um Enkelkinder! Wenn es nur solche Sorgen wären, da würde dein Vater bestimmt gerne tauschen, des kannst glauben.«
»Steht es denn so schlecht um unseren Hof, Mutter?«
»Naa, Gesa, so schlecht steht es net! Aber der Vater macht sich eben zu viele Sorgen. Die letzten Jahre sind hart gewesen. Da hat sein frohes Herz einen Riß bekommen. Er hat Angst, daß die Zeiten noch schlechter werden könnten. Ich denke, daß des Unsinn ist. Außerdem wird der Herrgott des schon alles richten. Ich werde morgen mal zum Weisgerber gehen und mit ihm reden. Vielleicht stellt er den Vater ja wieder ein. Die Arbeit im Sägewerk wäre wirklich besser als die in der Brauerei in Kirchwalden.«
»Du liebst den Vater sehr, Mutter!«
»Ja, das tue ich! Meine Eltern haben mich damals gewarnt, auf den Krumbacher Hof einzuheiraten. Aber ich habe es doch getan. Ich habe das geschickt eingefädelt. Du bist ja erwachsen, Gesa, da kann ich mit dir darüber reden. Außerdem denke ich, daß du selbst längst dahintergekommen bist. Ich habe damals meinen Kopf durchgesetzt, deinen Vater verführt. Dann bin ich schwanger geworden und wir haben geheiratet. Ich habe es bis heute nicht bereut. Ich liebe ihn in guten wie in schlechten Tagen. Nur im Augenblick sind die Tage etwas trüb’. Aber es gibt auch wieder sonnigere Tage.«
»Willst du mir damit sagen, daß man dem Herzen folgen soll, Mutter?«
»Sicher! Aber ein bissel kann man schon nachhelfen. Weißt, man kann sich auch in einen Burschen verlieben, der ein bissel mehr Geld und Vermögen hat als damals dein Vater. Das sage ich nicht, weil mich die Entscheidung reut. Das gebe ich dir als Rat. Es schadet nix, wenn auch ein bissel Verstand dabei ist. Du mußt eben abwägen, was dir wichtiger ist, falls – ja falls – du die Wahl haben solltest. Aber in Sachen Heirat muß ich dir bestimmt keine Ratschläge geben. Du sieht ja täglich, wie die Liebe auch zerbrechen kann. Weißt du, Gesa, die Liebe, die wirkliche Liebe, die ist so etwas Kostbares, daß es nichts auf der Welt gibt, das man damit vergleichen kann.«
Gesa betrachtete ihre Mutter. Trotz aller Sorgen sah sie glücklich aus.
»Der Dieter ist nicht übel! Es ist mir auch ein Rätsel, warum der noch kein Madl hat«, sagte Gesa leise.
Dann stand sie auf und verließ die Küche. Sie nahm ihr Umschlagtuch und ging spazieren. Mit Jochen traf sie sich nicht. Der war mit dem Lastwagen irgendwo unterwegs. Er würde erst wieder in der nächsten Woche kommen.
*
Gesa lief über die Wiesen bis zum Wald. Dort nahm sie den kleinen Pfad durch die Schonung bis zum Hochsitz am Rand der Lichtung. Schon als Kind war sie dort hingegangen, wenn sie über etwas nachdenken mußte. Gesa kletterte auf den Hochsitz. Sie schaute sich um. Von dort aus hatte sie einen guten Blick weit über die jungen Tannen, bis hinüber zum Hang. Die Sonne stand tief über den Bergen. Die Gipfel der Berge leuchteten im Abendrot, als wären sie von innen beleuchtet.
Gesa setzte sich. Sie dachte nach. Sie dachte an Jochen. Gesa hatte Jochen in der Kanzlei kennengelernt. Dort war er nach einem Unfall Mandant. Das war im letzten Winter gewesen. Jochen Hortler hatte Gesa sofort gefallen. Er war wirklich gutaussehend. Er war fröhlich und lustig. Jochen war Gesas Interesse an ihm nicht entgangen. So lud er sie mehrmals ein. Es war untersagt, mit Mandanten auszugehen. Höflich, aber bestimmt, hatte Gesa jedesmal abgelehnt. Doch Jochen ließ nicht locker. Eines Abends hatte er auf dem Parkplatz gewartet und Gesa angesprochen. Gesa hatte ihre Zuneigung nicht länger verbergen können. Sie hatten sich immer öfters heimlich auf dem Parkplatz der Tankstelle getroffen. Dort stellten die Lastwagenfahrer auch schon einmal ihre Fahrzeuge für eine Nacht ab.
Es hatte nicht lange gedauert, dann gestanden sie sich ihre Liebe. Doch Gesa mußte vorsichtig sein, daß niemand etwas in der Kanzlei davon erfuhr. So verheimlichte sie die Liebe vor jedermann. Das sollte zumindest so lange so geschehen, wie die Rechtsangelegenheit noch bearbeitet wurde. Dabei sehnte sich Gesa nach Freiheit. Jochen konnte ihr das bieten. Er würde sie mitnehmen, ihr die Ferne zeigen. Gesa hatte Jochen ein wenig als richtigen Draufgänger eingeschätzt. Sie mußte bald einsehen, daß sie sich geirrt hatte. Jochen war kein Abenteurer. Er war niemand, der etwas riskierte. Er wollte selbst einen großen Lastwagen. Bis er das erreicht hatte, mußte alles andere zurückstehen. Selbst Gesas Drängen ließ ihn kalt.
Liebe ich ihn oder liebe ich die Möglichkeiten, die er mir gibt? fragte sich Gesa, während sie auf dem Hochsitz saß und in die untergehende Sonne schaute. Gesa liebte die Berge. Aber sie fühlte sich auch ein wenig eingeengt. Durch ihre Arbeit in der Kanzlei öffnete sich ihr eine Tür in eine neue Welt, auch wenn es nur ein Spalt war. Es gab ein Leben jenseits von Haus und Hof und Heim und Tradition. Es gab so viel zu entdecken!
Jochen konnte ihr diese Wünsche erfüllen. Mit ihm konnte sie reisen, auch wenn es für ihn Arbeit war. Nur Jochen ging wenig darauf ein. Er nimmt keine Rücksicht auf mich, dachte Gesa plötzlich. Es dauert so lange, bis er das Geld für den kleinen Lastwagen zusammengespart hat. Warum nimmt er meine Ersparnisse nicht dazu? Dann würde es doch reichen für ein baldiges gemeinsames Leben. Doch Jochen sagte immer und immer wieder nur nein. Er war sehr traditionell. Er wollte Gesas Ersparnisse nicht. Auf der einen Seite gefiel es Gesa. Auf der anderen Seite fragte sie sich, wie das später werden sollte – dann, wenn sie eine Familie waren. Oder wollte er nur ihre Ersparnisse nicht, weil er ihr Liebe vorheuchelte? Ein plötzlicher schrecklicher Gedanke: Bin ich am Ende nur eine von vielen Bräuten? Er ist Fernfahrer. Kann ich wissen, ob er nicht in jeder Stadt ein anderes Madl hat? Vielleicht ist es so wie bei den Matrosen? In jedem Hafen sollen sie eine Braut haben.
Gesa wurde es ganz heiß. Ihr Herz klopfte schnell. Es klopfte nicht nur aus Liebe zu Jochen, ein Gefühl der Hilflosigkeit überkam Gesa.
Sie überlegte, was sie tun könnte. Jochen wollte sich auf keinen Fall schnell binden. Das sagte er immer und immer wieder. Auch die Andeutung, daß er Vater werden könnte, quittierte er nur mit einem Lachen und der Bemerkung:
»Rede keinen solchen Unsinn! Wir waren uns doch einig, daß eine Heirat erst später kommt. Ich will alles verwirklichen, was ich mir vorgenommen habe.«
Daraufhin hatte Gesa geschwiegen.
Es kann gut möglich sein, daß ich schwanger bin, überlegte Gesa. Jochen kann ich auch mit einer Schwangerschaft nicht zu einer Eheschließung überreden. Also, was tun?
Gesa überlegte eine Weile. Sie erinnerte sich an den Rat ihrer Mutter, auch den Verstand einzuschalten, nicht nur das Gefühl.
Ich liebe Jochen, das steht fest.
Aber er scheint mich nicht zu verstehen.
Oder er macht mir etwas vor?
Oder ich bin nur eine von vielen?
Vielleicht machte ich mir selbst etwas vor?
Gesa überlegte weiter. Sie hatte bisher nur auf ihre Gefühle gehört. Das war der Grund dafür, daß sie jetzt in einer peinlichen Situation war. Das hat mich nicht weitergebracht und wird mich auch nicht weiterbringen, dachte Gesa. Also versuche ich es mit Verstand. Ich suche mir jemand anderen. Er muß schnell gefunden werden. Er muß noch schneller verführt werden. Dann muß es zum Traualtar gehen.
Gesa überlegte weiter.
Ich werde auf einem Ehevertrag bestehen, der mir auch Rechte gibt und eine Abfindung, falls wir uns später wieder trennen. Außerdem werde ich nicht kirchlich heiraten. Das kann ich mir ja für eine spätere Ehe aufheben – mit Jochen, zum Beispiel, dem Vater meines Kindes.
Gesa hatte für ihre verstandesmäßige Lebens- und Zukunftsplanung längst jemanden ins Auge gefaßt. Ihre Eltern hatten Gesa die Anregung gegeben. Sie wollte sich Dieter Wasmayr erobern. Dieter war blond und hatte blaue Augen. Gesas Haare waren rotbraun. Jochen hatte schwarze Haare und schwarze Augen.
Gesa rechnete durchaus damit, daß das Kindchen schwarze Haare haben könnte.
Würden dann nicht Fragen gestellt?
Würde Jochen nicht die Ehe auflösen wollen?
Einen Skandal wollten die Wasmayrs bestimmt nicht. Darunter würde der Ruf des Hofes leiden für die nächsten Jahrzehnte. Um das zu vermeiden, würden es sich die Wasmayrs etwas kosten lassen, dessen war sich Gesa sicher. Also war es ein guter Plan, sich mit einem Ehevertrag abzusichern.
Und was mache ich mit Jochen?
Wie werde ich ihn los?
Er muß zumindest eine Weile fort. Dann kann ich später zu ihm zurück, wenn eine dauerhafte Bindung mit Dieter nicht möglich ist.
In gleichem Maße wie Gesa bisher voller Gefühl und mit viel Liebe im Herzen sich eine Zukunft mit Jochen ausgemalt hatte, plante sie jetzt mit Verstand die Zukunft mit Dieter Wasmayr.
Das war nicht einfach. Gesa mußte erst einmal an Dieter herankommen, bevor sie ihn verführen konnte. Das war die zu überwindende Schwierigkeit. Gesa überlegte und überlegte. Aber alle Szenerien schienen ihr nicht umsetzbar.
Ach, vielleicht sollte ich heute nicht mehr darüber nachdenken. Wie heißt es so schön? Es hilft oft, wenn man eine Nacht darüber schläft.
Gesa machte sich auf den Heimweg.
*
Am nächsten Tag war sie im Büro unkonzentriert. Das fiel ihrer Kollegin auf.
»Geht es dir nicht gut, Gesa?« fragte Elfi.
Die beiden Frauen verbrachten die Mittagspause in einem Café.
»Ja, es gibt da etwas, was mir Kopfzerbrechen bereitet.« Gesa sah die Kollegin ernst an. »Lach’ mich aber bitte nicht aus. Eigentlich wollte ich nicht drüber sprechen. Du darfst auch niemanden etwas sagen. Ich will mich auch nicht lächerlich machen.«
»Hör’ mal, wir arbeiten in einer Kanzlei. Wenn wir nicht verschwiegen sein könnten, hätten wir schon längst die Arbeit verloren. Also? Was ist los?«
Gesa schaute sich um, so als wollte sie sichergehen, daß an den anderen Tischen niemand saß, der ihr Gespräch belauschen konnte.
»Ich habe mich verliebt! Ich sterbe fast vor Sehnsucht!« heuchelte Gesa raffiniert.
»Was du nicht sagst! Hat es dich endlich erwischt? Nun, es wurde auch Zeit, Gesa! Wer ist es? Kenne ich ihn?«
»Das denke ich nicht. Er ist aus Kirchwalden. Ein wirklich fescher Bursche, groß, sehr breite Schultern, blondes lockiges Haar und große blaue Augen. Er könnte direkt aus einem Modemagazin sein, so fesch ist er. Dazu diese sonnengebräunte Haut. Ein Adonis von Mann!«
»Du schwärmst ja richtig!«
»Ach ja! Aber wie komme ich an ihn ran? Er kapselt sich ab, ist sehr zurückhaltend. Das kann man verstehen. Er sieht nicht nur sehr gut aus, er ist auch sehr, sehr vermögend. Einziger Sohn des reichen Wasmayrbauern! Da ist er vorsichtig.«
»Du redest von Dieter Wasmayr?«
»Ja!« staunte Gesa und sah Elfi mit großen Augen an. »Du kennst ihn?«
Elfi schüttelte den Kopf.
»Ich kenne ihn nicht persönlich! Ich kenne ihn nur aus Erzählungen. Er muß wirklich ein fescher Bursche sein. Er soll so gut aussehen, daß jeder andere Bursche in seiner Nähe verblaßt.«
»Woher…?«
Elfi schob sich einen Bissen der Sahnetorte in den Mund. Sie liebte es, es spannend zu machen. Elfi kaute genüßlich. Sie trank einen Schluck Kaffee, dann beugte sie sich über den Tisch und flüsterte:
»Mein Vetter Hans arbeitet im Büro vom Schlachthof. Dort gibt es die Ina. Hans gefällt die Ina. Die will aber von ihm nichts wissen. Deshalb hat er ihr nachgestellt und herausgefunden, daß sie sich einmal in einem Lokal mit Dieter Wasmayr getroffen hat. Hans denkt, daß die beiden vielleicht etwas miteinander haben. Du verstehst?«
Gesa dachte einen Augenblick nach. Dann schüttelte sie den Kopf.
»Das muß Zufall gewesen sein, als dein Verwandter sie gesehen hat. Ich weiß aus zuverlässiger Quelle, daß Dieter kein Madl hat. Sollte es dennoch so sein, daß sich da etwas anbahnt zwischen dieser… Wie heißt das Madl?«
»Ina!« warf Elfi ein.
»Sollte also etwas sein zwischen Dieter und Ina, muß man einschreiten. Meinst du, dein Vetter ist bereit, mir zu helfen? Wie gut kennt er Dieter?«
»Gut! So gut eben, wie sich Bergkameraden kennen. Sie waren früher oft zusammen in den Bergen. Sie sind auf den Gipfel des ›Engelssteig‹ raufgeklettert. Doch das gehört der Vergangenheit an. Seit Hans Dieter mit Ina gesehen hat, geht er nicht mehr mit ihm in die Berge. Die Bergfreundschaft ist abgekühlt. Er ist Dieter noch öfter heimlich gefolgt, wenn der junge Wasmayr in Kirchwalden war. Hans glaubt sicher zu sein, daß da etwas ist zwischen Ina und Dieter.«
»Hat er mit Dieter darüber gesprochen?«
»Bewahre! Nein! Er zog sich einfach zurück. Dieter sei verwundert gewesen, sagt Hans.«
Gesa war aufgeregt. Sie bestellte sich ein weiteres Stück Sahnetorte.
»Also, zählen wir zwei und zwei zusammen. Dein Vetter Hans will diese Ina. Ich will Dieter.«
Gesa schmunzelte.
Dann entwickelte sie Elfi ihren Plan. Elfis Vetter sollte sich mit Dieter verabreden, um diese Männerfreundschaft wieder aufleben zu lassen. Die beiden sollten sich in einer Schutzhütte treffen. Es könnte so ein richtiger Männerabend werden mit viel Bier und Schnaps. Elfis Vetter sollte dafür sorgen, daß Dieter viel trinken würde, so viel, daß er sich am nächsten Morgen an nichts erinnern könnte.
»Den Rest übernehme dann ich, Elfi. Das berede ich im Detail mit Hans. Jedenfalls kann dein Vetter sicher sein, daß Ina über kurz oder lang wieder frei ist. Das garantiere ich. Das ist doch ein gutes Angebot, oder? Wann kann ich mit Hans reden?«
»Ich kann ihn vom Büro aus anrufen. Wir könnten nach Büroschluß zusammen Pizza essen gehen. Das sind wirklich schöne Aussichten für Hans. Er sagt sicher zu. Wie hast du dir die Einzelheiten gedacht?«
»Nicht hier!« sagte Gesa leise.
Sie tranken den Kaffee aus und bezahlten. Dann gingen die beiden jungen Frauen noch ein Stück spazieren. Dabei erzählte Gesa, in Andeutungen, wie sie sich das alles dachte. Dabei verschwieg sie ihrer Arbeitskollegin aber wichtige Punkte.
»Das ist ein ganz verwegener Plan! Doch was soll es? Irgend jemand wird Jungbäuerin werden auf dem Wasmayr Hof. Warum sollst du das nicht sein?« stimmte Elfi Gesas Plänen zu.
Die beiden Frauen waren Verbündete. Elfi versprach, vom Büro aus Hans sofort anzurufen.
Gesa jubelte innerlich. Das war die Lösung, so komme ich an Dieter heran. Je nachdem, wie die Sache dann weitergeht, muß ich die Angelegenheit mit Jochen regeln, dachte Gesa. Dabei gab es nur zwei Möglichkeiten. Wenn Dieter trotz allem nichts von mir wissen will, dann halte ich mir auf jeden Fall Jochen warm. Ich halte mir Jochen auch warm für später. Denn ich liebe Dieter nicht. Ich sehe nur die Möglichkeit, schnell und unkonventionell an Geld, an eine größere Summe Geld, zu kommen.
Jochen muß ich nur überreden, schnell ins Ausland zu gehen, nach Norwegen, wie sein Kumpel. Es kann auch Kanada sein, das wäre noch besser. Dann würde es mindestens ein Jahr dauern, bis wir ein Wiedersehen vereinbaren. Bis dorthin könnte ich alles regeln.
Gesa war froh, als dieser Arbeitstag vorbei war. Sie fuhr heim. Dort setzte sie sich an ihren Computer und schaute nach Fernfahrerarbeitsstellen in Norwegen und Kanada. Wenn Gesa etwas in Angriff nahm, dann machte sie es richtig.
In dieser Nacht schlief Gesa sehr unruhig. Sie hatte Alpträume, konnte sich aber am nächsten Tag nicht mehr daran erinnern. Es war ihr schlechtes Gewissen, das sie plagte. Sie war sich durchaus bewußt, daß sie ein schlimmes Spiel trieb. Aber sie redete sich immer wieder ein, daß es auch Jochens Schuld war, daß sie auf diese Idee gekommen war. Schließlich war er es, der von ihr verlangte, sich seinen Plänen unterzuordnen.
Noch vor dem Frühstück rief Jochen an. Er teilte Gesa mit, daß er immer noch unterwegs in Südeuropa sei und erst wieder in zwei Wochen zurückkommen werde. Das paßte Gesa gut in ihre Pläne, aus zweierlei Sicht: Erstens hatte sie in bezug auf ihren Plan mit Dieter jetzt freie Hand. Zweitens konnte sie Jochen besser überreden, sich im Ausland, vielleicht sogar in Übersee, eine Arbeit zu suchen. Denn wenn er schon von ihr fort war, dann könnte er auch dort arbeiten, wo er viel, viel mehr Geld verdienen würde. Das wollte Gesa Jochen schmackhaft machen, und sie war sich sicher, daß ihr das auch gelingen würde. Sie wußte auch schon wie. Jochen war nicht nur ein Lastwagenfahrer, er war vernarrt in Lastwagen wie andere in Sportwagen. Seine kleine Wohnung auf dem Speditionsgelände, die Gesa einmal besucht hatte, hing voller Bilder von Lastwagentypen aus aller Welt. Gesa beschloß, in der Mittagspause einen schönen Bildband über große Lastwagen zu kaufen mit Fotos von Lastwagentypen, wie es sie in Alaska, Kanada und Australien gab. Dieses Geschenk würde seine Wirkung nicht verfehlen. Davon war Gesa überzeugt.
*
Gesa freute sich. Es lief alles nach Plan. Elfis Vetter Hans verabredete sich mit Dieter. Dieter konnte schlecht nein sagen, als ihn der Bergkamerad zu einem Abend in einer Schutzhütte einlud, weil dieser sich aussprechen wollte. Dieter vermutete, sein Bergfreund bedrückte ein tiefer Kummer.
Sie verabredeten, daß Dieter Proviant und Hans die Getränke mitbringen sollte. So geschah es dann auch.
Zuerst tranken sie Bier. Dann kippten sie einige Schnäpse dazwischen. Zum Schluß floß nur noch Hochprozentiges durch die Kehlen. Hans erzählte von einer unerfüllten Liebe, ohne daß er dabei einen Namen erwähnte.
»Ich werde meinen Kummer wegsaufen, was meinst, Dieter?«
»So ein richtiger Vollrausch soll manchen schon vom Kummer erlöst haben. Die Kopfschmerzen danach, der Brummschädel sind schlimmer als jeder Herzenskummer. Prost darauf! Wirst schon ein Madl finden, das zu dir paßt und deine Liebe erwidert!«
»Ja, das werde ich! Zum Wohl!«
Die beiden Männer saßen zuerst vor der Schutzhütte. Später gingen sie hinein. Sie tranken und redeten und becherten. Draußen ging schon die Sonne auf, als sie sich schlafen legten. Alle Schnapsflaschen waren leer. Dieter war bei dem Gelage ganz entgangen, daß er mehr als sein Bergkamerad getrunken hatte, viel mehr. Er sank sofort in tiefen Schlaf.
Die Sonne schien durch die offene Hüttentür, als Dieter erwachte. Es dauerte einen Augenblick, bis er sich wieder erinnerte. Sein Schädel brummte. Die Sonne schmerzte in seinen Augen. Mühsam setzte er sich im Bett auf. Draußen vor der Schutzhütte lag sein Bergkamerad in einen Schlafsack gehüllt auf der Bank.
»Mei, Himmelherrgott, hab’ ich einen Brummschädel! Wir haben wohl ganz schön gebechert gestern abend und heute nacht?« sagte Dieter und rieb sich den Kopf.
Er ging zur nahen Gebirgsquelle und trank Wasser, das er mit Händen schöpfte. Dann hielt er seinen Kopf ins kalte Wasser. Das half nicht viel. Er konnte sich kaum bewegen. Jede Bewegung löste eine Welle des Schmerzes in seinem Schädel aus.
Sein Bergkamerad kam auf ihn zu und reichte ihm eine Tasse Kaffee.
»Wo hast den Kaffee her?«
»Den hat die Gesa gekocht, bevor sie heute morgen zurückgegangen ist.«
»Gesa? Gesa? Gesa? Ich erinnere mich nicht!«
»Dann hast du wohl einen Filmriß, wie man sagt. Schade! Ich bedauere des sehr. Da erlebst du so eine heiße Liebesnacht und dann kannst du dich net einmal daran erinnern. Das ist mehr als bedauerlich. Mei, hast du des Madl vernascht! Sie ist ja auch ein fesches Madl, diese Gesa!«
»Kannst du bitte ein bissel deutlicher werden? Bist du sicher, daß du es net geträumt hast?«
»Naa! Außerdem hat sie dir drin einen Zettel hingelegt! Vielleicht wird es dir wieder einfallen. Wünschen tue ich es dir. Das kannst mir glauben. Des war wirklich eine heiße Liebesnacht mit dir und der Gesa! Jedenfalls hab’ ich mich dann mit meinem Schlafsack draußen auf die Bank gelegt. Ich wollte euch net stören!«
»Du willst mir einen Bären aufbinden – wie? Mei, daran müßte ich mich doch erinnern! Ich bin doch net deppert! Des kann net sein. Du redest einen Schmarrn, Hans!«
»Naa! Lies den Zettel! Vielleicht mußt du erst richtig zu dir kommen. Ich laß dich mal besser alleine, Dieter! Grüß dich!«
Dieter rieb sich seinen Kopf. Krampfhaft versuchte er sich zu erinnern. Aber wie sehr er sich auch anstrengte, ihm fiel nichts ein.
Gesa? Gesa? Gesa?
Welche Gesa?
So hämmerte es in seinem Kopf. Dieter blieb eine Weile neben der Quelle sitzen. Er trank den Becher Kaffee aus. Dann stand er mühsam auf und schleppte sich zurück in die Schutzhütte.
Tatsächlich! Auf dem Tisch lag ein Zettel.
Dieter las laut:
Liebster Dieter!
Es war eine wunderschöne Liebesnacht! Wir werden sie sicherlich niemals vergessen. Bis ans Ende unseres Lebens nicht. Bis bald!
Deine Gesa
PS: Komm nach Einbruch der Dunkelheit hinter die Scheune des Krumbacher Hofes.
Dieter sank auf einen dreibeinigen Hocker.
»Gesa Krumbach! Sonst gibt es keine Gesa. Mei, was mache ich jetzt?« sagte Dieter vor sich hin.
Dieter trank den Rest Kaffee, der auf dem Ofen in der Schutzhütte stand. Langsam konnte er wieder klarer denken.
Naa, ich kann mich an nix erinnern! Wenn da etwas gewesen wäre zwischen mir und der Gesa, dann würde ich mich erinnern. So eine heiße Liebesnacht, die kann man net so einfach vergessen, auch wenn man viel getrunken hat. Zu dieser Erkenntnis kam Dieter. Er beschloß, die Sache einfach zu verdrängen. Er erinnerte sich nicht daran, also kann es nicht geschehen sein, sagte er sich.
Er packte seine Sachen zusammen und machte sich auf den Heimweg.
*
Gesa wartete jeden Abend hinter der Scheune. Dieter kam nicht. Gesa war nicht enttäuscht. Sie hätte sich auch gewundert, wenn er gekommen wäre. Er hat ein schlechtes Gewissen, dachte sie. Er versucht sich zu erinnern und kann sich nicht erinnern. Nun, warten wir ab, Dieter Wasmayr. Es ist gut, wenn du dich nicht erinnern kannst. Ich habe auch nicht mit deinem Erscheinen gerechnet. Um so wirkungsvoller wird unser nächstes Zusammentreffen sein.
Einige Tage später rief Jochen an. Er war auf der Rückfahrt und freute sich auf Gesa.
Gesa wartete wieder auf dem Parkplatz auf ihn. Dieses Mal mußte sie nicht so lange warten. Er kam bald.
»Nun, Madl! Da bin ich wieder! Hast mich vermißt?«
Statt einer Anwort verschloß Gesa Jochens Lippen mit einem Kuß.
»Ach, Madl! Wie gut du dich anfühlst! Wie habe ich mich nach dir gesehnt!«
Gesa küßte Jochen. Sie kuschelte sich an ihn.
»Du sagst ja nix. Bist du mir böse, weil ich so lange fort war?«
»Jein! Ich weiß ja, daß du Geld verdienen mußt. Aber du verdienst dafür viel zu wenig. Da kannst du gleich ins Ausland gehen!«
Gesa holte Jochens Geschenk aus ihrem Rucksack.
»Schau, da habe ich etwas für dich!«
Jochen freute sich sehr.
»Sind des net schöne Brummis? Mei, was gäbe ich drum, wenn ich auch mal so einen Brummi fahren könnte! Das ist ein Traum.«
»Träume können auch wahr werden! Schau, du mußt nur ins Ausland gehen. Wenn du dort auch so viel arbeitest wie hier, dann hast du bald das Geld für einen eigenen Lastwagen zusammen. Bist ja so oft länger fort, da spielt es keine Rolle, wo du bist!«
»Willst du mich wegschicken?«
»Wie kannst du so etwas sagen?« schmollte Gesa zum Schein. »Du redest doch immer von der Zukunft und deinen Plänen. Ich muß mich gedulden. Ist es da verwunderlich, wenn ich will, daß du mehr Geld verdienst und schneller die Möglichkeit hast, deine Träume zu verwirklichen?«
»Naa, das ist net verwunderlich! Ich gestehe dir auch, daß ich selbst schon mit dem Gedanken geliebäugelt habe. Dann hättest du nix dagegen, wenn ich mir im Ausland Arbeit suche?«
»Naa, Jochen überhaupt net! Aber Berge sollten schon in der Nähe sein.«
»Berge?«
»Ja, das ist mir wichtig! Wenn ich dich besuchen komme, dann will ich dort mit dir auch auf die Berge.«
Gesa blätterte im Bildband. Sie zeigte Jochen einige Doppelseiten. Darauf waren Lastwagen abgebildet, die auf einer Straße durch eine endlos scheinende Ebene fuhren.
»Eine solche Landschaft gefällt mir nicht!«
Jochen lachte und schloß Gesa in die Arme.
»Mein Chef hat eine Fuhre nach Norwegen. Die könnte ich übernehmen. Wenn es dir nix ausmacht, dann könnte ich einige Tage länger bleiben und mich umsehen.« Jochen lachte. »Umsehen nach Bergen und Arbeit. Ich könnte mich mit meinem ehemaligen Kollegen treffen.«
»Wie lange willst du fortbleiben?«
»Ich weiß nicht! Zwei Wochen vielleicht?«
»Und wer fährt den Lastwagen zurück?«
»Das macht ein Kollege. Ich habe schon mit ihm geredet. Es wäre zu machen.«
»Das hört sich gut an! Wenn du dort eine Arbeit findest, dann kannst du gleich anfangen. Ich kann dir deine Sachen nachschicken.«
Jochen überlegte. Gesa ließ ihm Zeit. Sie kannte ihn gut. Er war ein Mann, der nicht gedrängt werden wollte, ein Mann, der seine Entscheidungen immer alleine traf.
»Nun gut, Gesa, dann werde ich mich mal umsehen!«
Gesa lächelte und küßte Jochen.
Während Jochen im schwachen Schein der Innenbeleuchtung des Autos den Bildband durchblätterte, erzählte er Gesa von seinen Lebensplänen. Obwohl Gesa sie schon kannte, hört sie geduldig zu. Jochen hatte einen ganz festen Plan. Jedes seiner Wort bestätigte Gesa, daß sie Jochen niemals umstimmen könnte. Zuerst wollte er Geld verdienen für einen kleinen Lastwagen. Dann, so hatte er sich ausgerechnet, konnte er sich in weiteren Jahren einen größeren Laster kaufen. Ihm war klar, daß er diesen auch nicht auf einmal bezahlen konnte. Aber wenn alles so lief, wie er hoffte, dann war es auch möglich an Familie zu denken. Familie, das bedeutete für Jochen ein Haus, dann Heirat und Kinder.
»In Kanada, Alaska oder Australien kannst du noch mehr Geld verdienen, besonders in Kanada. Dort gibt es auch Berge mit Schnee und Eis und Gletscher.«
»Ja, das stimmt! Die sollen wirklich gut bezahlen.« Jochen lachte. »Dabei würde ich sogar noch Geld mitbringen, nur um einmal so einen Lastwagen zu fahren. Schau, das sind fast Züge auf Rädern mit drei Anhängern. Es muß himmlisch sein.«
Gesa deutete auf das Bild. Mit dem Finger tippte sie auf die Zugmaschine und die Anhänger.
»Das muß dann auch dreimal so viel Geld geben. Das bedeutet, daß du in einem Drittel der Zeit deine Pläne verwirklichen könntest, nur so als Anregung.«
Jochen küßte Gesa.
»Mache dir in deinem hübschen Kopf nicht so viele Gedanken!«
»Ich will dich nur bei deinen Träumen unterstützen. Sonst kann ich ja nichts machen. Heiraten willst du jetzt ja nicht, oder?«
Jochen seufzte.
»Nein, Gesa! Heiraten, das wäre zu früh! Viel zu früh! Ich muß erst etwas erreichen, das weißt du! Da mußt du schon warten.«
Gesa lächelte Jochen an.
»Was ist, wenn ich nicht warten will?«
»Was soll sein? Dann kann ich daran nichts ändern! Ich habe dir von Anfang an mein Vertrauen geschenkt, habe dich in meine Pläne eingeweiht. Sicherlich würde ich es bedauern, wenn es dir zu lange dauert. Aber ich kann dich nicht zwingen, zu warten, nur bitten. Du kannst mich nicht zwingen, daß ich dich jetzt schon heirate. Wir sind doch beide noch jung und haben Zeit.«
Gesa seufzte.
»Ja, da ist Zeit! Vielleicht komme ich ja zu ganz viel Geld. Dann kaufe ich dir einen großen Lastwagen mit Anhänger!«
»Träumerin! So viel kannst du nicht sparen! Außerdem will ich von dir kein Geld.«
»Ich rede nicht von Geld! Ich rede von einem funkelnagelneuen Lastwagen. Ich wette mit dir, daß du dann nicht ablehnen würdest.«
»Diese Wette würdest du wahrscheinlich gewinnen. Aber wie solltest du an so viel Geld kommen? Spielst du Lotterie?«
Gesa lächelte Jochen an. Mit einem Augenaufschlag sagte sie:
»Kommt es dir nicht manchmal auch vor, als sei das ganze Leben ein Lotteriespiel?«
»Doch, so kann man es sagen! Oft bekommt man nicht einmal den Einsatz zurück! Deshalb muß ich mich jetzt auch von dir verabschieden. Ich muß nach Kirchwalden.«
Jochen schaute auf die Uhr.
»Der Kumpel und ich, wir wollen in einer Stunde schon losfahren! Er fährt die erste Schicht. Ich lege mich in die Koje und schlafe einige Stunden.«
Jochen nahm Gesa fest in die Arme und küßte sie.
»Gesa, ich liebe dich! Du bist wunderbar!« hauchte er.
Gesa sagte nicht, daß sie ihn liebte. Sie küßte ihn nur. Er bemerkte nicht, daß sie geschwiegen hatte.
Als Gesa den Rücklichtern des Autos nachsah, hakte sie einen weiteren Punkt auf ihrer Liste ab. Jochen ist jetzt erst einmal eine Zeitlang fort. Jetzt bin ich diese Sorge los, dachte Gesa.
*
Das Angelusläuten der Glocken der schönen Barockkirche war überall im Tal von Waldkogel zu hören. Seit alters her setzten sich die Waldkogeler, sobald das Angelusläuten zu hören war, zum Abendbrot nieder. Es war der Augenblick, zu dem sich alle Familienmitglieder trafen, wenn sie es irgendwie einrichten konnten und das Wetter sie nicht auf den Feldern und Wiesen hielt.
Der Tisch auf dem Wasmayr Hof war für drei gedeckt.
»Der Dieter kommt heute wohl wieder später«, bemerkte Gudrun Wasmayr.
Sie setzte sich. Wilfried, ihr Mann, sprach das Tischgebet. Sie bekreuzigten sich. Die Bäuerin reichte ihrem Mann das Brot.
»Immer wenn der Bub zum Schlachthof fährt, kommt er erst spät in der Nacht heim. Allmählich kommt mir des sehr sonderbar vor, Wilfried. Dir net auch?«
»Naa! Der Dieter ist eben gewissenhaft. Er paßt auf, daß in die Konservendosen nur wirklich des hineinkommt, was wirklich von unserem Hof stammt. So hat er mir des erklärt!«
»Dann hast schon mit ihm drüber gesprochen?«
»Ja! Der Schlachthof arbeitet ja rund um die Uhr, jedenfalls die Produktion. Es war ja Jochens Idee. Wenn wir draufschreiben ›Vom Wasmayr Hof‹, dann darf nur Fleisch und Wurst von unserem Vieh drin sein. Deshalb kostest uns die Verarbeitung auch ein bissel mehr. Aber es rechnet sich. Der Verkauf läuft gut. Gudrun, wir können stolz auf unseren Bub sein. Er ist tüchtig und fleißig und anständig.«
Gudrun warf ihrem Mann einen vielsagenden Blick zu.
»Ich weiß, was du sagen willst, Gudrun! Es wird schon werden. Irgendwann bringt er schon noch ein Madl heim. Wirst sehen! Des war beim Dieter doch immer so, daß er alles für sich behalten tut. Dann schafft er einen auf den anderen Tag Tatsachen. Er ist eben keiner, der sein Herz auf der Zunge trägt. Er ist keiner, der laut denkt. Er ist niemand, der gern mit jemanden über die Gedanken und Pläne spricht, die ihn bewegen.«
Dieters Eltern seufzten.
Draußen fuhr ein Auto vor. Wilfried und Gudrun beobachteten, wie das Auto auf dem Hof hielt.
»Wer kann des Madl sein? Erkennst du es?«
»Ich sehe des Madl genau wie du nur von hinten!«
Der Bauer und die Bäuerin liefen hinaus.
»Grüß Gott!«
»Grüß Gott! Mei, des ist ja die Gesa! Madl, des ist aber eine Überraschung!« begrüßte die Wasmayrbäuerin Gesa.
Der Bauer gab ihr nur still die Hand und nickte.
»Was führt dich zu uns?«
Eine leichte Röte stieg in Gesas Wangen.
»Eigentlich will ich zum Dieter!« sagte sie leise.
»Mei! Des tut mir jetzt aber leid! Der Dieter ist net da. Der ist heute mittag nach Kirchwalden gefahren ins Schlachthaus. Da kommt er immer erst spät heim. Kann ich ihm etwas ausrichten?«
Gesa errötete erneut. Sie senkte den Blick. Nervös spielte sie mit den Bändern ihrer Dirndlschürze.
»Danke, aber das wäre zu kompliziert. Dann komme ich an einem anderen Tag noch einmal.«
»Du kannst auch gerne auf ihn warten. Vielleicht kommt er heute ja früher heim.«
»Danke, das ist nicht notwendig! Sagen Sie ihm nur, daß ich da gewesen bin. Wenn er mit mir reden will, dann weiß er, wo er mich findet.«
Mit großen Augen schauten sich Gudrun und Wilfried Wasmayr an.
»Mei, des ist ja eine faustdicke Überraschung! Heißt des, unser Bub trifft sich mit dir?«
Gesa lächelte verlegen.
Die Bäuerin stieß ihrem Mann sanft mit dem Ellenbogen in die Seite.
»Sei net so neugierig, Wilfried. Was die beiden machen, des ist alleine deren ihre Sache!«
Gesa räusperte sich. Sie hatte jetzt doch einen Kloß im Hals. Obwohl sie sich alles so schön ausgemalt hatte, war jetzt alles anders. Sie hatte nicht damit gerechnet, Dieter nicht anzutreffen.
»Also, dann ein herzliches Grüß Gott! Bitte sagen Sie dem Dieter, daß er unbedingt kommen soll.«
»Das machen wir! Darauf kannst dich verlassen. Willst nicht mit reinkommen und mit uns essen. Wir sind gerade beim Abendbrot.«
»Danke! Ein anderes Mal gerne! Heute ist mir nicht danach! Dieter könnte es auch mißverstehen. Ich muß erst mit ihm reden.«
Dieter Eltern schauten sich wieder an.
»Ja, ja! Unser Dieter ist in gewisser Hinsicht ein bissel sonderbar!« bemerkte Gudrun Wasmayr. »Also wir schicken ihn gleich zu dir! Wie lange wirst dort auf ihn warten?«
»Bis er kommt! Wenn es sein muß, die ganze Nacht!«
»Gudrun, dann müssen die beiden wirklich etwas überaus Wichtiges zu bereden haben. Da sollten wir uns net einmischen!«
Gesa hielt es nicht mehr aus. Die ganze Situation war peinlich. Sie lächelte Dieter Eltern an. Dann ging sie zu ihrem Auto. Hastig stieg sie ein und fuhr davon.
Gudrun und Wilfried Wasmayr standen wie angewurzelt auf dem Hof. Sie mußten erst mal das Geschehene verarbeiten.
»Sag mal, geträumt haben wir eben net, Gudrun?«
»Naa, des haben wir net! Des war die Gesa vom Krumbacher Hof. Des Madl scheint eine sehr persönliche Angelegenheit mit unserem Dieter zu bereden haben. Na ja, da kann man viel rätseln, was des sein könnte.«
»Ja, Gudrun! Da sollten wir uns raushalten. Du weißt, wie empfindlich Dieter ist.«
»Wilfried! Rede keinen Schmarrn! Sagen müssen wir es dem Buben. Bin gespannt, wie er es aufnimmt. Des hat es ja noch nie gegeben, daß ein Madl nach ihm gefragt hat!«
»Naa, des war so etwas wie eine Premiere! Also, ich denke, er wird spät kommen. Wir legen ihm einen Zettel hin!«
Die Wasmayrbäuerin schüttelte den Kopf. Sie drehte sich um und ging ins Haus. Im Gehen sagte sie laut:
»Bist mir ein schöner Feigling! Was soll denn dabei sein? Warum willst du es dem Dieter nicht persönlich sagen?«
»Weil er am Ende vielleicht denkt, wir wollten – ich wollte ihn verkuppeln. Erinnerst dich net, wie er gebrüllt hat, damals. Dabei habe ich doch nur beiläufig erwähnt, daß die Ria, die jüngere Schwester vom Toni, ein fesches Madl ist. Ich habe sie nur ein bissel angepriesen. Nix Schlimmes habe ich mir dabei gedacht.«
»Vergiß die ganze Geschichte, Wilfried!«
Sie setzten sich an den Tisch und aßen weiter. Beide waren mit den Gedanken bei Gesa.
Die Bäuerin stand auf.
»So, jetzt rufe ich den Dieter an. Wozu gibt es Telefon! Er kann dann entscheiden, ob er früher heimkommen kann und will.«
»Mach’ des! Dann weiß er es schon einmal und kann überlegen.«
Wilfried Wasmayr schob seinen Teller von sich. Er brachte keinen Bissen hinunter.
Gudrun Wasmayr wählte die Telefonnummer von Dieters Handy. Es läutete lange, dann meldete sich der Anrufbeantworter. Dieters Mutter sprach darauf. Sie sagte ihm:
»Hallo, Dieter! Hier ist die Mama! Wir hatten eben überraschend Besuch. Es war die Gesa Krumbach. Sie wollte zu dir. Sie wollte uns net sagen warum. Du wüßtest schon Bescheid. Sie wollte dich heute noch sprechen. Du wüßtest, wo sie ist. Du weißt hoffentlich, was des Madl damit meint. Sie will die ganze Nacht auf dich warten.«
Die Bäuerin machte eine kleine Pause und fügte hinzu:
»Ich habe die Gesa schon lange nimmer gesehen. Des ist ja ein ganz herziges und fesches Madl! Bis dann, Dieter! Ich soll dich auch vom Vater grüßen!«
»Gudrun!« die Stimme des Bauern klang tadelnd.
»Was soll’s! Ich darf doch noch meine Meinung sagen! Die Gesa ist wirklich ein liebes Madl. Des wirst du net leugnen können!«
»Das mache ich auch net!«
»Nun, dann ist es gut! Jedenfalls war es mir wichtig, daß unser Bub weiß, wie wir des Madl beurteilen. Vielleicht hilft es ja!«
Die Bäuerin setzte sich wieder an den Tisch und aß zu Ende.
»Wie kannst du nur so ruhig dasitzen und essen?« fragte sich der Bauer laut.
»Meine Großmutter hat schon gesagt: Gutes Essen hält Leib und Seel’ zusammen.« Gudrun Wasmayr lächelte. »Jedenfalls bin ich überrascht. Angenehm überrascht! Da wird schon etwas sein zwischen den beiden, denke ich mir! Jedenfalls habe ich unserem Buben jetzt auf seinen Anrufbeantworter gesprochen. Jetzt weiß er Bescheid und wir müssen abwarten.«
»Ja, das müssen wir! Aufgeregt bin ich trotzdem!«
»Dann trinke einen Schnaps!«
Die Bäuerin stand auf und holte die Flasche mit dem Selbstgebrannten. Sie schenkte ihrem Mann ein. Er trank.
»Ich könnte rüber zum Krumbacher Hof gehen und ein bissel mit dem Franz reden!«
»Nix da! Des machst du net! Da mischen wir uns net ein! Schluß jetzt!«
Die Bäuerin räumte den Tisch ab. Ihr Mann blieb am Tisch sitzen und schaute zu. Zwischendrin warf er immer und immer wieder einen Blick auf die Standuhr in der Ecke. Doch die Zeiger bewegten sich nicht schneller, auch wenn sich Wilfried das wünschte. Er freundete sich mit dem Gedanken an, daß aus Dieter und Gesa ein Paar werden könnte. Der Gedanke gefiel ihm. Mit Franz verstand er sich gut. Er hatte größte Hochachtung vor ihm, wie tapfer er das Leben meisterte.
Bis zum Schlafengehen saßen Gudrun und Wilfried auf der Bank vor dem Haus. Wie jeden Abend rauchte er seine Pfeife und Gudrun strickte. Es war nur so, daß die beiden Eheleute weniger als an anderen Abenden miteinander sprachen. Ihre Gedanken waren ganz bei Dieter und dem Madl, das er möglicherweise auf den Hof bringen würde. Und das Madl war wahrscheinlich Gesa Krumbach. So malten es sich Dieters Eltern aus.
*
Dieter saß auf der Bank oberhalb von Kirchwalden und wartete auf Ina. Er registrierte, daß jemand versuchte ihn anzurufen. Er dachte es sei Ina. Vielleicht will sie sagen, daß sie später kommt, dachte er. Dann schaute er auf das Display und erkannte die Telefonnummer vom Wasmayr Hof. Er ließ den Anrufbeantworter eingeschaltet und wartete.
Dieter wunderte sich. In Gedanken ging er jedes Stück Vieh einzeln durch. Sicherlich waren einige tragend. Aber ihre Zeit war noch nicht gekommen.
Warum wollten mich die Eltern erreichen?
Dieter überlegte. Er wartete auf seine Ina und wollte sich nicht stören lassen. Doch sein Gewissen nagte an ihm. Seine Eltern riefen sehr selten an, wenn er unterwegs war und auch nur dann, wenn es wirklich wichtig war.
Also hörte Dieter die Nachricht ab.
Sein Herz stand fast still. Er erschrak. Gesa daheim auf dem Wasmayr Hof? Sie will mich sprechen? Was kann das bedeuten? Irgendwie war es Dieter sehr mulmig zumute, erinnerte er sich doch immer noch nicht an die Ereignisse in der Nacht auf der Schutzhütte. Er bereute sehr, daß er mit seinem Bergkameraden so ein Saufgelage veranstaltet hatte. Doch unter Männern konnte das schon einmal vorkommen. Dieter konnte sich auch noch daran erinnern, daß die Flaschen leer waren und sie sich dann hinlegten. Daß danach noch etwas passiert sein sollte, das war Dieter unerklärlich.
Er überlegte. Was sollte er tun?
Dieter war ein Mann der Tat. Er packte Schwierigkeiten beruflicher Art immer sofort an. Er stellte sich jeder Anforderung, auch wenn er alles auf seine Art und Weise machte, was seinen Eltern nicht immer verständlich war.
»Ich muß hin! Ich muß mit Gesa reden! Ich kann noch so viel denken, zu einem Ergebnis komme ich nicht!« flüsterte er leise vor sich hin.
»Dieter! Was ist? Du hast mich gar nicht kommen gehört?«
Dieter erschrak bis ins Mark.
»Ina? Ina!«
»Ja, ich bin es! Was ist mit dir? Du bist ganz blaß. Du schaust aus, als hättest du selbst den Teufel gesehen, wie er aus dem Gipfel des ›Höllentor‹ herausgekommen ist. Was ist? Was hast du?«
Dieter versuchte zu lächeln. Es gelang ihm nur ungenügend.
Endlich zog er Ina in seine Arme. Er hielt sie ganz fest.
»Dieter! Du zitterst ja! Was ist mit dir? Dieter, du kannst es mir sagen, was immer es auch ist. Wir gehören doch zusammen. So ist es doch, oder?«
»Ja, liebste Ina! Wir gehören zusammen!«
Dieter hielt Ina fest und küßte sie.
Sie schob ihn fort.
»Du bist mit deinen Gedanken nicht bei mir. Du küßt mechanisch! Du bist mit deinem Herzen nicht dabei!«
Dieter lächelte Ina an.
»Mein Herz ist immer bei dir, auch wenn ich an andere Dinge denke!«
»Beweise es mir!«
Ina drückte sich an Dieter und schloß die Augen. Wieder fanden sich ihre Lippen zu Küssen.
»Nun? Zufrieden?« flüsterte Dieter seiner lieben Ina ins Ohr.
»Mmm! Laß mich mal überlegen! Ja, etwas besser waren deine Küsse schon. Also, ich will sie so bewerten: Auf der Skala von Schulnoten zwischen Eins und Sechs, da belegst du heute nur eine Drei! Damit bin ich nicht zufrieden, auch wenn die Note ›Befriedigend‹ heißt. Ich denke, du benötigst Nachhilfe.«
Sie lachten.
»Du bist wunderbar, Ina! Ich liebe dich so!«
»Ich liebe dich!«
Ina schaute Dieter in seine großen blauen Augen.
»So, mein Liebster! Jetzt sagst du mir, was los ist! Zwar haben wir noch nicht vor dem Altar geschworen, in guten wie in schlechten Tagen zusammenzuhalten und füreinander da zu sein. Aber das spielt für mich keine Rolle. Mein Herz hat Ja zu dir gesagt. Das zählt! Also, was ist los?«
Ina sah Dieter streng an.
»Du mußt wissen, Dieter, daß ich als deine Frau später auch keine Geheimnisse dulde. Keiner von uns beiden sollte sich alleine mit Sorgen herumschlagen. Wie heißt es? Geteilte Freude ist doppelte Freude und geteiltes Leid ist halbes Leid!«
Ina gab Dieter einen Kuß auf die Wange.
»So, genug der lange Vorrede! Was ist los?«
Dieter seufzte.
Er erzählte, daß seine Mutter ihm eine für ihn verwirrende Nachricht auf dem Anrufbeantworter seines Handy hinterlassen hatte. Es habe seltsamen Besuch auf dem Hof gegeben.
»Ich kann mir darauf keinen Reim machen, Ina! Es war jemand von einem Nachbarhof da und wollte mich dringend sprechen.«
»Habt ihr Ärger?«
Ina wartete nicht ab, bis Dieter ihr antwortete.
»Mache dir nicht so viele Gedanken! Die Welt ist voll von Menschen, die sich ungeheuer wichtig nehmen! Alles ist für sie wichtig – wichtig – wichtig! Sie spielen die kleinste Frage zu einem Drama hoch. Also, du fährst jetzt heim! Du klärst die Sache! Wir können uns morgen sehen!«
Dieter nahm Ina in den Arm.
»Du bist so wunderbar! Du behältst immer einen kühlen Kopf, wie?«
»Ich bemühe mich darum! Also, wann sehen wir uns? Kommst du morgen?«
»Ich rufe dich an!«
Dieter nahm zum Abschied seine Ina fest in den Arm und küßte sie lange. Ina lächelte ihn an.
»Schon viel besser! Note Gut!«
Sie stiegen in die Autos und fuhren davon.
*
Dieter fuhr zurück nach Waldkogel. Unterwegs überlegte er, ob er zuerst bei seinen Eltern vorbeischauen sollte. Doch dann entschied er sich, zuerst Gesa zu treffen. Er bog vor Waldkogel in einen Feldweg ab. Über einen Umweg näherte er sich so von hinten dem Krumbacher Hof.
Die Sonne stand tief über den Bergen. Dieter parkte sein Auto. Er stieg aus und lehnte sich gegen das Fahrzeug. Er schaute hinauf zu den Gipfeln der beiden Hausberge von Waldkogel, »Engelssteig« und »Höllentor«.
Dieter schmunzelte, als er die dunklen Wolken über dem »Höllentor« sah. Vielleicht haben die Alten doch nicht so Unrecht mit den Geschichten, die sie über den Berg erzählen. Seit alters her sagen sie, der Teufel hätte auf dem Gipfel des »Höllentor« eine Tür zur Hölle. Immer wenn etwas Böses geschehe, dann sei der Satan dort herausgekommen. Daran mußte Dieter jetzt denken. Genau wie die schwarzen Wolken bedrohlich über den Gipfel des Berges hingen, so bedrohlich empfand Dieter, daß Gesa den Wasmayr Hof aufgesucht hatte.
Dieter hatte Mühe, sich von dem Blick loszureißen. Es dauerte eine Weile, bis der schöne Anblick des »Engelssteigs« sein Herz wieder ruhiger schlagen ließ.
Dieter konnte das große Gipfelkreuz in der Abendsonne leuchten sehen. Trost umfing sein unruhiges Herz. Unbewußt faltete er die Hände.
Ihr Engel dort oben, ihr seid meine Zeugen. Ich bin mir keiner Schuld bewußt. Sicherlich habe ich ein bissel gesoffen. Aber tut das nicht jeder junge Bursche einmal? Sagt mir, ihr Engel, warum bin ich so unruhig? Habe ich im Rausch doch etwas Unrechtes getan? Oh, ihr Engel dort oben, sollte es so sein, dann bitte ich um Vergebung. Tragt meine Bitte hinauf in den Himmel. Steht mir bei! Ich fürchte mich! Seht drüben, wie bedrohlich das »Höllentor« ausschaut.
Dieters Herz schrie nach Hilfe und Beistand.
Dieter wartete, bis die Sonne ganz untergegangen war. Dann ging er über die Wiesen und Felder bis zum Krumbacher Hof.
»Hier bin ich!« hörte er eine weibliche Stimme.
Dann blitzte kurz eine Taschenlampe auf. Noch wenige Schritte, dann stand Dieter Gesa gegenüber.
Dieters Augen hatten sich an die Dunkelheit der Nacht gewöhnt. Er erkannte Gesa im Mondlicht recht gut. Dieter grüßte Gesa nicht. Er vergrub die Hände in seiner Hose aus feinem Loden.
»Was willst du?« fragte Dieter direkt.
»Ich will mit dir reden! Ich habe dir etwas zu sagen!«
»Ich wüßte nicht, was du mir zu sagen hast, Gesa! Aber ich will dir einen Augenblick zuhören. Los, rede! Ich höre!«
»Warum bist du nicht gekommen? Ich habe jeden Abend hier auf dich gewartet?«
»Warum sollte ich das tun?«
»Weil du mir einiges versprochen hast in der Nacht auf der Schutzhütte. Tue nur nicht so, als würdest du dich nicht erinnern. Außerdem waren wir nicht alleine. Es gibt einen Zeugen – Hans. Auch wenn sich dieser bald vor die Hütte zurückgezogen hat. Du hast auch meinen Zettel bekommen, oder?«
»Das Ganze ist ein ausgemachter Blödsinn, Gesa!«
»Das ist kein Blödsinn, Dieter! Und es wird ganz schön Staub aufwirbeln, wenn es sich herumspricht, daß die Nacht nicht ohne Folgen geblieben ist! Ich wollte deshalb zuerst mit dir reden. Das finde ich nur fair.«
»Du willst sagen, daß… daß… daß du…?«
»Ja genau, das will ich sagen! Wie sagt man so schön? Wer A sagt, muß auch B sagen. Was machen wir jetzt?«
»Ja, bist du dir sicher? Daß ich..? Mei, das Ganze kommt mir wie ein böser Traum vor. Ich hatte einen Rausch und kann mich an nichts erinnern. Wenn es so war, dann war ich net bei Sinnen. Gesa, du bist ein fesches Madl. Aber es kann doch net sein!«
»Finde dich damit ab, Dieter! Jetzt geht es nur um Schadensbegrenzung. Sicherlich bin ich daran auch nicht ganz unschuldig. Aber du bist sehr charmant gewesen. Da ist es eben gekommen, wie es gekommen ist.«
Dieter wurden die Knie weich. Er mußte sich mit der Hand an der Wand der Scheune festhalten.
»Komm, wir laufen hinüber zum Wald. Dort setzen wir uns auf die Bank und reden!«
Gesa lief davon. Dieter folgte ihr. In seinem Kopf drehte sich alles.
Sie erreichten die Bank. Erst jetzt sah Dieter, daß Gesa einen Rucksack dabei hatte. Sie holte einen Flasche Schnaps heraus und reichte sie Dieter.
»Nimm einen Schluck! Das wird dir guttun!«
Dieter trank. Dann gab er die Flasche zurück.
»Pack sie fort. Sollst net denken, ich sei ein Säufer.«
»Das denke ich nicht, Dieter!«
»Was denkst du statt dessen?«
»Nun, daß du ein anständiger Bursche bist, der zu dem Madl steht, wenn er es… du weißt schon.«
»Ich liebe dich net, Gesa!«
»Das klang in der Nacht in der Schutzhütte ganz anders.«
»Du mußt doch bemerkt haben, daß ich voll war.«
»Ja, ein bissel angeheitert bist schon gewesen. Aber ich glaubte…«
»Gesa!« unterbrach sie Dieter. »Gesa! Du kannst mir alles erzählen. Ich erinnere mich an nichts. Ich habe einen totalen Filmriß, verstehst?«
»Das macht die Sache nicht einfacher. Aber es muß sofort etwas geschehen!«
»Ja, was denn? Ich kann dich doch net heiraten, Gesa! Ich liebe dich net!«
»Heiraten kann man auch aus anderen Gründen. Ich liebe dich auch nicht mehr. Aber du kannst es auch nicht verantworten, mich so sitzenzulassen. Deshalb mache ich dir einen Vorschlag: Wir heiraten! Wir müssen ja nicht in Waldkogel heiraten, auch nicht in Kirchwalden. Wir suchen uns einen schönen Ort, der ein bissel weiter fort ist. Dort heiraten wir auf dem Standesamt. Das genügt mir. Dann warten wir einige Wochen. Danach reiche ich die Scheidung ein. Wir machen einen Ehevertrag. Ich berede das mit meinem Chef. Der ist Rechtsanwalt. Der wird uns helfen, das zu regeln, unauffällig zu regeln. Du zahlst mir eine Abfindung. Ich verschwinde aus Waldkogel. Ich gehe ins Ausland. Du wirst nie wieder etwas von mir hören. Das kannst du schriftlich haben. Wenn es dann soweit ist, dann werde ich das regeln – Vater unbekannt, verstehst? Niemand wird hier in Waldkogel etwas erfahren. Alles was geschehen ist, und die Folgen daraus, bleibt unter uns.«
Dieter beugte sich nach vorne über. Er stützte die Ellenbogen auf die Knie und legte den Kopf in seine Hände. Ihn schwindelte.
»Sage etwas dazu, Dieter! Was hältst du von meinem Angebot? Damit ist dir geholfen und mir auch. Ich will nur fort aus Waldkogel.«
Dieter bat um Geduld. Er wollte darüber nachdenken.
»Was gibt es da noch nachzudenken, Dieter? Die andere Möglichkeit wäre, daß ich auf einer Ehe mit dir bestehe. Das ist auch möglich. Deinen Eltern wird das bestimmt gefallen. Sie sind schon ganz unglücklich, daß du immer noch keine Braut hast. Nun, jetzt hast du eine! Mich! Also, Dieter! Was ist jetzt? So oder so?«
Dieter Wasmayr war verzweifelt. Sein Herz raste. Sein Puls hämmerte in seinem Kopf. Er fühlte sich so elend wie noch nie in seinem Leben zuvor.
Ina, Ina, liebe Ina! Was soll ich nur machen! So schrie sein Herz.
Gesa bedrängte ihn.
»Antworte! Dieter, ich will eine Antwort haben.«
»Ich kann dir keine Antwort geben, Gesa! Du willst, daß ich mich freikaufe?«
»Ja! Wenn du es so nennen willst!«
»Aber warum willst mich dann zuerst heiraten?«
»Das ist besser so! Besser ein Kind aus einer Scheidung als ein Bankert, wie man sagt, oder?«
»Das stimmt auch wieder. Also gut, dann bleibt mir nur übrig, deinem Vorschlag zuzustimmen. Wie soll es jetzt weitergehen?«
Gesa lächelte. Sie wähnte sich auf der Siegerstraße.
»Wir sehen uns nächste Woche in Kirchwalden beim Anwalt. Du kannst dich darauf verlassen, daß niemand etwas erfährt.«
»Wieviel willst du haben?«
»Ich will nichts haben! Damit meine ich, daß ich keine Forderungen an dich stelle. Ich trage auch eine gewisse Mitschuld. Du mußt nur den gesetzlichen Monatssatz an Alimente zahlen. Da gibt es allgemein anerkannte Regelungen, wieviel das im Monat ist. Diesen Betrag mal zwölf Monate und dann mal fünfundzwanzig Jahre.«
»Gesa, das ist ein ungeheurer Betrag! Soviel habe ich nicht auf meinem Sparbuch.«
»Dann mußt du eben einen Kredit aufnehmen. Was anderes wird dir nicht übrigbleiben. Zahlen mußt du so oder so! Wenn du mich heiratest, dann kann ich dich auch ohne Vertrag nehmen. Wenn ich dann die Scheidung einreiche, bekomme ich vielleicht noch mehr und es sind Erbansprüche da. Denke auch an deine Eltern, Dieter. Das willst du ihnen doch nicht antun, oder?«
»Du hast mich in der Hand, Gesa!«
»Du sagst das so hart! Das ist sehr ungerecht. Ich zeige dir doch einen Weg. Wir regeln das Ganze auf eine höchst elegante Art und Weise. Danach bist du frei! Gib zu, daß es fair ist?«
»Ich kann jetzt nichts sagen! Wann kann ich dich nächste Woche treffen und wo in Kirchwalden?«
Gesa war gut vorbereitet. Sie gab Dieter einen Zettel. Darauf stand die Adresse der Kanzlei, in der sie arbeitete.
»Hier kannst du anrufen! Ich nenne dir dann den Termin!«
Gesa stand auf.
»Damit wäre alles auf einem guten Weg. Mußt mich nicht zurückbringen. Ich finde den Weg alleine! Gute Nacht, Dieter!«
Dieter brachte kein Wort heraus. Er konnte Gesa nur zunicken. Er blieb wie gelähmt auf der Bank sitzen und starrte Gesa in der Dunkelheit nach, bis er sie nicht mehr sehen konnte.
Dieter blieb auf der Bank sitzen. Er war unfähig, sich zu bewegen. Er war unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Er war wie im Schock.
Dann fing es an zu regnen. Die Regenwolken, die am Abend über dem Gipfel des »Höllentors« gestanden hatten, entluden sich mit Macht über Waldkogel. Es war ein kurzer heftiger Schauer, der über Waldkogel niederging.
Dieter war heiß. Er empfand den Regen als angenehm. Er blieb sitzen. Was sollte er auch tun? Er wußte nicht ein noch aus. Er schämte sich. Er fragte sich, wie er jemals wieder seiner geliebten Ina in die Augen sehen konnte. Ina, Ina, rief sein wundes Herz. Ina, mein Leben ist zerstört! Ein Vollrausch, eine Dummheit und alles geht in Scherben.
Erst als der Regen aufgehört hatte und Dieter völlig durchnäßt war, stand er auf und schleppte sich zu seinem Auto. Er stieg ein und fuhr langsam heim.
*
Dieter stellte sein Auto in die Garage und ging ins Haus. Er bemühte sich, leise zu sein. Er machte kein Licht und schlich in der Dunkelheit wie ein geprügelter Hund auf sein Zimmer. Er legte die nassen Kleider ab. Dann nahm er eine heiße Dusche. Mechanisch zog er sich danach an. Er packte seinen Rucksack. Für seine Eltern legte er in der Küche einen Zettel hin.
Darauf stand:
Liebe Mutter!
Lieber Vater!
Im Schlachthof geht alles soweit in Ordnung. Sie haben noch freie Kapazitäten und würden noch einige Stück Vieh von uns nehmen. Ich bin deswegen rauf auf die Hochalm.
Danke für die Nachricht auf meinem Anrufbeantworter. Werde mich mit Gesa treffen. Sie brauchte mal wieder nur jemandem zum Reden – rein freundschaftlich.
Wenn ich schon mal auf der Hochalm bin, gehe ich auch mal beim Toni vorbei. Den habe ich schon lange nicht mehr gesehen.
Grüße Dieter
Dann verließ Dieter das Haus. Er ließ sein Auto stehen. Der Fahrersitz war durchnäßt. So ging Dieter zu Fuß. Er wanderte die Hauptstraße entlang und nahm den schmalen Fußweg, der hinauf zu den Almen führte. Es war ein weiter Weg bis zur Wasmayr Hochalm.
Die Sonne ging schon auf. Der Senner und die Sennerin waren bereits beim Melken, als Dieter ankam. Sie wunderten sich.
»Willst uns kontrollieren? Mußt ja mitten in der Nacht daheim aufgebrochen sein.«
»Ich will net lange bleiben!« war Dieters knappe Antwort.
Stumm ging er durch die Reihen der Kühe. Dann sah er sich die Notizen über die Milcherträge an.
»Diese Kühe kannst runter auf den Hof bringen! Die werden verkauft. Die Milchleistung ist dürftig. Des kannst du morgen gleich erledigen. Ich habe hier hinter den Namen im Milchbuch einen Kringel gemacht.«
Der Senn wunderte sich. Er sagte aber nichts. Er wechselte mit seiner Frau nur Blicke.
»Wird gemacht, Dieter! Willst net schon mal reingehen? Wir sind gleich fertig! Dann gibt’s Kaffee. Siehst müde aus!«
Dieter gab keine Antwort. Er verließ den Stall.
Im großen Raum der Almhütte stand eine Kanne mit Kaffee auf dem Herd. Dieter schenkte sich ein, gab viel Milch und Zucker dazu. Er rührte um und trank den Becher aus. Der Kaffee tat ihm gut. Jetzt spürte er auch, daß er Hunger hatte. Er nahm sich ein großes Stück Käse und aß es auf. Dann schulterte er wieder seinen Rucksack.
»Du willst schon gehen?« fragte die Sennerin.
»Ich will rauf zum Toni! Da muß ich mich ranhalten! Also, wie gesagt: Die Kühe müssen morgen runter auf den Hof.«
Dieter verabschiedete sich und ging davon.
»Mei, so kenne ich den Dieter net!« schüttelte der Senn den Kopf. »Der sah richtig schlecht aus.«
»Des geht uns nix an. Wir werden fürs Arbeiten bezahlt und nicht fürs Denken!« maßregelte ihn seine Frau.
Dieter lief quer über die Wiesen, dann durch den Wald, bis er zum »Pilgerpfad« kam. Er beschleunigte seine Schritte, obwohl er sehr müde war. Bald kam er zur der Schutzhütte, in der das folgenschwere Ereignis geschehen sein sollte. Dieter hoffte, daß ihm vielleicht hier die Erinnerung wiederkam. Er setzte sich auf die Bank vor der Schutzhütte und versuchte jede Minute in Gedanken noch einmal zu durchleben. Dann ging er hinein und setzte sich auf das Lager. Wie sehr sich Dieter auch anstrengte. Er konnte sich an Gesas Besuch und die Ereignisse der Nacht nicht erinnern. Es fiel ihm nicht das geringste dazu ein.
Resigniert gab Dieter auf. Er ging den »Pilgerpfad« weiter. Es war nur noch ein Fußmarsch von einer Stunde, bis er zu der Abzweigung kam. Der Pfad, der sich rechts vom »Pilgerpfad« zwischen Felsen durchschlängelte, führte am »Erkerchen« vorbei und dann zur Berghütte.
Dieter erreichte das »Erkerchen«. Er war jetzt völlig entkräftet und setzte sich.
Er saß nicht lange alleine. Eine Gruppe von Wanderern kam. Sie grüßten kurz. Dann standen sie am Geländer und schauten über das Tal. Dieter schwamm alles vor den Augen.
Plötzlich spürte er, wie ihn jemand an der Schulter rüttelte.
»Mei! Bist krank?«
Dieter blickte auf.
»Es geht schon!«
»Nix da! Du bist ja schweißgebadet.«
Dieter spürte, wie jemand seinen Puls fühlte und ihm die Hand auf die Stirn legte.
»Du hast Fieber! Dein Puls geht so schnell wie bei einem Rennpferd, das auf des Ziel losrennt.«
Dieter war alles zuviel. Er hörte nur, wie von weitem Worte an sein Ohr drangen.
»Wir bringen dich zur Berghütte! Doch zuerst nimmst das hier!«
Jemand reichte Dieter eine Trinkflasche. Gierig trank Dieter die Flasche mit dem süßen Tee leer. Dann gab man ihm Schokolade zu essen.
»Kannst gehen oder sollen wir dich tragen?«
»Danke, es geht schon wieder! Es muß auch niemand mit zur Berghütte kommen. Ich finde den Weg auch alleine.«
Doch das ließen die Wanderer nicht zu. Das ungeschriebene Gesetz der Berge verhinderte dies auch. Wenn ein Bergkamerad so geschwächt war, dann überließ man ihn nicht sich selbst.
So kam es, daß sie Dieter zur Berghütte brachten. Ihm wurde sogar der Rucksack getragen.
»Toni! Da haben wir jemanden gefunden! Dem geht es schlecht! Wo kann er sich hinlegen?«
»Mei, Dieter! Wie schaust du denn aus?«
Toni war entsetzt. Er rief sofort nach Anna und dem alten Alois.
Gemeinsam brachten sie Dieter ins Wohnzimmer und legten ihn dort auf das Sofa. Anna kochte Kräutertee. Toni zog Dieter die Wanderschuhe aus und deckte ihn zu.
»Du hast hohes Fieber! Was ist passiert? Ich rufe den Leo an. Der kann mit dem Hubschrauber von der Bergwacht kommen und dich abholen. Der fliegt dich heim oder ins Krankenhaus.«
Dieter schüttelte den Kopf.
»Naa! Ins Krankenhaus, des ist net nötig und heim will ich auf keinen Fall. Ich will net heim. Naa, naa! Laß mich nur ein bissel schlafen, Toni!«
Mir vielen Unterbrechungen erzählte Dieter stockend, daß er seit gestern früh auf den Beinen war. Er sei den ganzen Tag im Schlachthof gewesen, dann sei er abends in des Wetter gekommen, während eines Spazierganges. Der Weg hier herauf von der Wasmayr Hochalm über den Pilgerweg sei sehr anstrengend gewesen nach den Erlebnissen des Tages.
»Du bist narrisch, Dieter! Du bekommst am Ende eine Lungenentzündung! Du hast hohes Fieber! Du mußt zum Doktor!«
Dieter griff nach Tonis Hand. Er schaute ihn mit glasigen Augen an.
»Naa! Gib mir ein paar Tabletten und laß mich erst mal schlafen!«
Anna brachte den Tee mit Honig. Sie hatte die Tabletten schon dabei. Außerdem gab sie Dieter einen Löffel von Ella Waldners Kräutertinktur. Anna schicke Toni und Alois aus dem Zimmer. Sie blieb bei Dieter sitzen und legte ihm kalte Kompressen auf die Stirn, bis er eingeschlafen war. Dann schlich sie leise hinaus.
»Er schläft jetzt, Toni.«
»Des ist gut! Hoffentlich hilft es! Der sieht ja erbärmlich aus. Mei, ich hätte den Dieter fast net erkannt, so schlecht sieht der aus. Dabei ist der Dieter eigentlich ein Bulle von Mann, ein richtiger Naturbursche ist er.«
»Es gibt Sachen. die hauen den stärksten Mann um, Toni! Nun sorge dich nicht weiter. Wir lassen ihn erst einmal schlafen. Wenn sein Fieber nicht zurückgeht, kannst du immer noch die Bergwacht anrufen, daß sie ihn holen.«
Toni stand in der Küche der Berghütte. Er nahm sich eine Tasse Kaffee.
»Meinst, ich soll auf dem Wasmayr Hof anrufen, Anna?«
Anna schüttelte den Kopf.
»Da laß erst mal die Finger davon. Hast du nicht seine großen Augen gesehen, als du ihm vorgeschlagen hast, ihn heimfliegen zu lassen. Du, da stimmt etwas nicht. Rufe nicht an! Wir sollten warten und später erst mit Dieter reden.«
Toni dachte einen Augenblick nach. Dann stimmte er seiner Frau zu.
»Bist schon ein kluges Madl, Anna. Bist eine ganz Schlaue und Feinfühlige. Was bin ich froh, daß du meine Frau bist. Bist eine wunderbare Hüttenwirtin!«
Toni nahm Anna in den Arm und gab ihr einen Kuß.
Das Klingeln eines Handys war wie aus weiter Ferne zu hören.
»Toni, das klingt, als käme das aus dem Wohnzimmer. Das muß Dieters Handy sein.«
Toni eilte ins Wohnzimmer der Berghütte. Dieter schlief fest. Toni fand Dieters Handy in der Außentasche seines Rucksacks. Es läutete und läutete. Toni schaute auf das Display. Er erkannte nur, daß es eine Nummer aus Kirchwalden war. Toni nahm das Gespräch an.
»Grüß Gott! Ich bin Toni der Hüttenwirt. Sie wollen den Dieter Wasmayr sprechen? Der kann im Moment nicht.«
Anna stand dabei und lauschte. Sie konnte aber nicht verstehen, was am anderen Ende der Leitung gesprochen wurde.
»Wer ist es? Laß dir die Telefonnummer geben!« flüsterte Anna.
Toni lauschte weiter. Dann erzählte er, daß Dieter mit hohem Fieber hier auf der Berghütte sei. Jetzt würde er schlafen. Anna las an Tonis Gesichtszügen ab, daß seine Worte sehr beunruhigend gewesen waren.
»Mußt dich net sorgen, Madl! Wir passen gut auf ihn auf! Ich werde ihm sagen, daß du angerufen hast. Sicherlich kannst du kommen, wenn du magst. Ich verspreche dir, dich gleich anzurufen, wenn es ihm noch schlechter gehen sollte. Doch der Dieter ist ein kräftiger junger Bursche. Des wird schon!«
So ging das eine Weile. Dann legte Toni auf. Er steckte das Handy ein.
»Des nehme ich besser mit raus. Des Madl wird sicherlich noch mal anrufen.«
Toni nahm Anna bei der Hand. Sie schlichen hinaus und lehnten die Tür an.
»Toni! Rede schon! Wer war am Telefon?«
Toni holte sich erst einmal einen Schnaps.
»Des ist ja eine faustdicke Überraschung! Des haut mich fast um. Des Madl heißt Ina Oertl. Sie sagt, sie sei die Freundin – sie behauptet sogar die Braut vom Dieter zu sein. Hast du etwas gewußt, Anna?«
»Nein! Woher auch? Du kommst öfter runter nach Waldkogel als ich, Toni! Wenn der Dieter eine Braut hätte, das hätte sich rumgesprochen. Der Dieter gilt doch als unverbesserlicher Junggeselle. Seine Eltern sollen darüber unglücklich sein. Dieter und eine Braut? Das ist wirklich eine Überraschung! Wie klang das Madl, Toni?«
Toni rieb sich die Stirn.
»Glaubhaft! Ihre Stimme klang sehr glaubhaft. Des Madl brach fast in Tränen aus, als ich ihr von Dieter erzählt habe. Die muß den Dieter wirklich lieben. Sie war erschüttert und sehr besorgt, wollte sich sofort Urlaub nehmen und kommen, um ihn zu pflegen. Wir sollen ihm auf jeden Fall sagen, daß sie angerufen hat und kommt, sobald es ihr möglich ist.«
»Dann muß sie wirklich etwas mit Dieter zu tun haben, Toni!«
»Des glaube ich auch. Außerdem machte diese Ina so eine Bemerkung. Sie sagte, daß der Dieter gestern über etwas so beunruhigt war, daß er zitterte. Und er sei irgendwie abwesend gewesen.«
Toni und Anna schauten sich an. Sie zuckten beide mit den Schultern. Sie vermuteten, daß etwas nicht stimmte. Was es war, darüber konnten sie nur spekulieren, und das brachte nichts. So hieß es warten, bis Dieter aufwachte.
*
Toni ließ die Sache keine Ruhe. Er schaute immer wieder nach Dieter. Sein Gesicht war nicht mehr so gerötet. Das Fieber schien nachzulassen. Dieter schlief nach einiger Zeit fest und atmete ruhig.
Toni und Anna legten am späten Vormittag eine Pause ein, wie sie es jeden Morgen machten. Dann setzten sie sich auf die Terrasse der Berghütte und tranken eine Tasse Kaffee zusammen. Toni legte seinen Arm um Anna.
»Du bist mit deinen Gedanken weit fort, Toni! Du sagst gar nichts zu den schönen weißen Wolken am blauen Himmel. Sie sehen aus wie Tiere.«
Toni lächelte.
»Stimmt! Das könnte ein Seehund sein und dort ein Krokodil. Die Motive passen net ganz hierher in die Berge.«
Anna schmunzelte. Sie sah darin andere Figuren.
»Denkst du an Dieter?«
»Ja! Mir geht net aus dem Kopf, was diese Ina Oertl angedeutet hat von der beunruhigenden Nachricht auf dem Anrufbeantworter von Dieters Handy. Ich überlegte, ob die Nachricht noch gespeichert ist.«
»Toni!« sagte Anna streng. »Du denkst doch hoffentlich nicht daran, heimlich Dieters Handy abzuhören?«
Toni lächelte.
»Für einen Augenblick bin ich schon in Versuchung gewesen. Immerhin ist der Dieter in einem schlechten Zustand. Des Madl ist sehr besorgt gewesen.«
Anna war der Meinung, daß Hilfsbereitschaft und Sorge nicht so weit gehen sollten, das Briefgeheimnis zu brechen. Denn schließlich war eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter auch eine persönlich adressierte Botschaft. Dem konnte Toni nichts entgegnen.
»Ich bin eben nur ein bissel beunruhigt. Ich vermute, daß es was Wichtiges war und Dieter deshalb so erschüttert war, daß er sogar gezittert hat. Trotzdem ist er in die Berge. Er ist net daheim geblieben. Das reimt sich für mich ganz schlecht zusammen. Auch wenn Dieter gestern in des Unwetter gekommen ist, so ein Regen dürfte einem starken Mannsbild, wie der Dieter eines ist, nix anhaben. Auch wenn er mal eine Nacht nicht schlafen tut, allein deshalb dürfte er doch net so erschöpft sein.«
»Du vermutest, daß der Dieter von etwas aus der Bahn geworfen wurde?«
»Der ist innerlich abgestürzt, wenn du mich fragen tust. Normal ist des net.«
Der alte Alois setzte sich zu Toni und Anna. Er machte sich auch so seine Gedanken.
»Toni, ich habe da einen Einfall. Rufe doch den Pfarrer Zandler an. Der könnte doch einfach einen Besuch auf dem Wasmayr Hof machen. Vielleicht kann er etwas in Erfahrung bringen. Wenn es ein Problem auf dem Wasmayr Hof gibt, dann reden Gudrun und Wilfried vielleicht gern mit dem Pfarrer Zandler. Außerdem kannst du sicher sein, daß er net plaudert«, schlug der alte Alois vor.
»Mei, Alois! Des ist eine ganz famose Idee! Der Pfarrer Zandler besucht ohnehin regelmäßig alle Höfe. Des wird gar net auffallen, wenn er dem Wasmayr Hof einen Besuch abstattet. Ich rufe ihn an!«
Anna schüttelte den Kopf.
»Nein, Toni! Gehe persönlich bei ihm vorbei. Du holst die Kinder doch diese Woche ohnehin mittags von der Schule ab. Du wolltest auch noch das Gemüse bei deinen Eltern holen. Wenn es Probleme auf dem Wasmayr Hof gibt, dann wissen deine Mutter und dein Vater vielleicht etwas. Dann wurde am Stammtisch bestimmt auch drüber geredet.«
»Des stimmt, Anna!«
Toni schaute auf die Uhr. Es war noch Zeit.
Sie tranken ihren Kaffee aus und gingen wieder an die Arbeit. Sie bereiteten das Mittagessen vor.
Um die Mittagszeit wurde es auf der Berghütte wieder voll. Viele Wanderer legten auf ihrer Tour eine Rast auf der Berghütte ein und aßen dort zu Mittag. Das Tagesgericht bestand aus einem schmackhaften Eintopf mit Kartoffeln und Rindfleisch. Dazu gab es Apfelkuchen mit Streusel vom Blech.
Anna schob die ersten Kuchenbleche in den Ofen. Bald zog lieblicher Duft durch die Berghütte.
Anna und Toni waren beim Bedienen der Gäste. Der Wirtsraum der Berghütte war voll, ebenso die Terrasse. Es war kein Stuhl mehr frei. Anna und Toni eilten zwischen Küche, Wirtsraum und Terrasse hin und her. Der alte Alois stand hinter dem Tresen und zapfte Bier.
Dieter kam aus dem Wohnzimmer in die Küche.
»Dieter! Was machst du hier? Du hast Fieber! Lege dich wieder hin!«
Dieter lächelte und rieb sich die Bartstoppeln.
»Danke, Toni! Es geht schon besser. Kannst du mir Waschzeug leihen und deinen Rasierapparat?«
»Waschzeug ja! Einen elektrischen Rasierapparat habe ich nicht. Wir verbrauchen hier kaum Strom. Ich werfe nur den Generator an, wenn Anna die Waschmaschine benutzen will oder ich die Batterie für die Schankanlage aufladen muß. Kannst aber gern mein Rasiermesser benutzen.«
»Des geht schon, Dieter!«
Toni zeigte Dieter eine Kammer, die am Morgen leer geworden war. Der Hüttengast war weitergewandert.
»Hier kannst du bleiben!« sagte Toni. »Ich denke, daß du ein wenig ausspannen willst und vielleicht auch mußt?«
»Wie kommst du darauf, Toni?«
Toni rieb sich verlegen das Kinn.
»Wie ich dazu komme? Dein Handy hat geklingelt. Du bist net aufgewacht, da bin ich drangegangen. Es war eine Ina Oertl. Ich soll dir Grüße ausrichten. Sie will bald kommen. Des Madl war in heller Aufregung. Sie macht sich offensichtlich große Sorgen um dich, Dieter. Wer ist diese Ina? Ich bin daraus nicht ganz schlau geworden.«
Dieter errötete. Toni sah, wie nah Dieter seine Frage ging. Dieter schloß für einen Moment die Augen. Er hielt sich an der Wand fest.
Toni trat zu ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter.
»Dieter, was immer dich auch bedrückt, du kannst mit mir reden. Ich sehe doch, daß auf dir eine tonnenschwere Last ruht. Also, wer ist des Madl?«
Dieter setzte sich auf das schmale Bett.
»Toni, die Ina!« Dieter brach ab und setzte dann noch einmal zum Reden an. »Die Ina, des Madl ist die Liebe meines Lebens. Ich wollte sie im Spätsommer meinen Eltern vorstellen, dann vielleicht an Weihnachten Verlobung feiern und im nächsten Jahr heiraten. Doch daraus wird wohl jetzt nix werden. Erstens ist des terminlich net zu machen, weil ich zu dem Zeitpunkt mit einem anderen Madl noch verheiratet sein werde, wenn auch nur auf dem Papier. Zweitens, weil die Ina ein anständiges Madl ist. Ich kann verstehen, daß sie nix mehr von mir wissen will, wenn ich ihr alles gebeichtet habe. Beichten…«
Dieter lachte bitter.
»Ich muß etwas beichten, woran ich mich net erinnern kann und mir auch keiner Schuld bewußt bin. Aber mein bester Bergkamerad ist Zeuge gewesen. Es muß also so gewesen sein. Der Satan persönlich muß in dieser Nacht aus dem ›Höllentor‹ rausgekommen sein und mich geritten haben.«
Toni sah Dieter lange an. Er schaute ihm in die Augen. Dort sah er nur Traurigkeit und tiefste Verzweiflung. Toni überdachte noch einmal Dieters Worte. Aber auch die brachten Toni keine Klarheit, eher im Gegenteil. Dieter soll gebunden sein? Verheiratet? Toni war das ein Rätsel.
»Ich verstehe des net. Vielleicht hast du doch noch Fieber und tust phantasieren, Dieter.«
Dieter lachte bitter.
»Schön, wenn es so wäre, Toni! Lieber würde ich wochenlang im Fieberwahn vor mich hinleiden, wenn ich die Wahl hätte. Es ist ein Alptraum, ein schrecklicher Alptraum, den ich niemandem wünsche. Nicht einmal meinem schlimmsten Feind, würde ich so etwas wünschen. Was gibt es Schlimmeres als gezwungen zu werden, dem Menschen, dem Madl, das man liebt, Leid anzutun, Toni? Wenn ich mich in Luft auflösen könnte, würde ich es tun. Wenn ich verschwinden könnte, würde ich es tun. Doch auch wenn ich ans Ende der Welt ginge, würde es nichts daran ändern. Mein Herz ist wund. Ich bin schuldig! So schuldig wie ein Mensch nur sein kann. Toni, tue mir einen Gefallen, rufe die Ina an und sage ihr… sage ihr irgend etwas. Ich will und kann ihr jetzt nicht in die Augen sehen. Ich weiß, daß ich es muß. Aber jetzt noch nicht. Nicht jetzt! Ich kann nicht klar denken. Ich kann mit ihr nicht reden. Ich werde ihr einen Brief schreiben.«
Toni sah, wie verzweifelt Dieter war. Er machte ihm den Vorschlag, später nach dem Mittagsansturm auf der Berghütte darüber zu reden.
»Reden ist immer gut! Oft dreht man sich im Kreis! Es hilft net alles oder etwas in sich reinzufressen, wie man sagt. Wenn man mit jemanden spricht, dann wird eine Sache oft klarer. Leider hab’ ich jetzt wenig Zeit. Die Anna wartet. Kann ich dich alleine lassen?«
Dieter nickte und schüttete Wasser aus dem großen Krug in die Waschschüssel aus Email.
Toni griff nach dem Rasiermesser und steckte es ein. Dieter sah Toni überrascht an.
»Net, daß dir aus Versehen des Messer ausrutscht, Dieter. Laß dir einen Bart stehen. Des sieht bestimmt gut aus.«
Toni ging hinaus. Er schloß die Tür. Draußen rief er seine Eltern an. Er bat seinen Vater, Franziska und Sebastian auf die Oberländer Alm zu bringen. Er könnte sie nicht abholen, weil auf der Berghütte zu viel zu tun sei.
*
Nach einer Weile kam Dieter aus der Kammer. Der alte Alois rief ihn zu sich:
»Kannst du mir hier hinterm Tresen ein bissel zur Hand gehen? Schaust schon wieder ganz passabel aus.«
»Ja, mir geht es wieder besser! Ich helfe dir gern. Soll ich des Bier zapfen?«
»Naa, des mache ich, dabei kann ich mich auf den hohen Hocker setzen. Wenn man alt ist, da werden die Beine schneller müd’«. Der alte Alois grinste. »Des wirst auch noch erleben. Aber des wird noch ein bissel dauern. Bist ja erst ein Mann im besten Saft und Kraft.«
Dieter seufzte.
»Heute fühle ich mich, als hätte man mir alles Blut aus den Adern gelassen.«
»Bub, es wird im Leben nie etwas so heiß gegessen, wie es gekocht wird.«
»Alles nur Redensarten, auf die ich nix gebe. Sie sind keinen Pfifferling wert! Wenn’s kommt, dann kommt’s richtig dick. So heißt es auch, Alois, oder?«
Dieter wechselte das Thema.
»Wie kann ich dir helfen?«
»Nimm die vollen Gläser, stelle sie dort auf des Tablett und gehe zu den Tischen. Die Leut’ haben Durst, besonders die, die draußen auf der Terrasse sitzen. Die Sonne brennt heut’ ganz schön.«
Toni trat hinzu.
»Tust den Dieter beschäftigen, Alois? Vielleicht sollte er erst mal was essen?«
»Habe keinen Hunger! Ich kriege keinen Bissen runter. Schon gut, Toni. Ich helfe gerne, des lenkt mich ab.«
Toni zog die Stirn in Falten. Er sagte nichts mehr.
So ging das die nächste Stunde weiter. Dann wurde es ruhiger. Die Wirtsstube der Berghütte leerte sich. Nur auf der Terrasse saßen noch Hüttengäste in der Sonne. Anna deckte für sich, Toni, den alten Alois und Dieter einen Tisch. Sie stellte einen großen Topf mit Suppe hin und ein Blech mit Apfelkuchen, der frisch aus dem Ofen kam und noch heiß war.
»Laßt uns essen!«
Sie setzten sich.
Toni wartete, bis Dieter gegessen hatte. Er aß nicht viel, aber doch etwas.
»So, Dieter! Ich habe einen Brummschädel, so sehr versuche ich dein Gerede von vorhin zu sortieren. Ich bin ja net gerade der Dümmste, aber ich kann mir darauf keinen Reim machen.«
Dieter blickte kurz auf und aß dann weiter.
»Dieter«, sprach Toni ihn erneut an. »Dieter, was ist mit dieser Ina, die du wohl liebst? Des habe ich verstanden. Der Rest ist mir schleierhaft. Du kannst sie net heiraten, weil du verheiratet bist? Mit wem? Wann? Die Geschichte, die du mir aufgetischt hast, die würde meine liebe Anna als bestes Seemannsgarn bezeichnen. Also, was ist?«
»Ich kann net drüber reden! Des macht die Sache nur noch schlimmer. Vergiß, was ich gesagt habe! Ich habe wohl was durcheinandergebracht.«
Toni holte Luft.
»Naa, so für dumm laß ich mich net verkaufen! Ich bin ein sehr friedliebender Mensch. Doch du bist in meinen Augen im Augenblick net ganz bei Sinnen. Ich will net, daß du etwas Unbedachtes tust. Deshalb habe ich dir auch des Rasiermesser weggenommen. Du redest jetzt! Sonst nehme ich dich mit hinaus auf des Geröllfeld und schüttel jedes Wort aus dir raus. Du hast dich kaum noch auf den Beinen halten können, als du heute morgen gebracht worden bist und Fieber hast auch gehabt. Also, ich höre!«
Dieter sah Toni hilflos an.
»Toni, ich weiß, daß du es gut mit mir meinst. Das gilt auch für euch, Anna und Alois. Aber es gibt Dinge, die muß man für sich behalten. Redet man drüber, dann ist das, als gieße man Öl ins Feuer.«
»Naa! Damit gebe ich mich net zufrieden. Und ich sage dir auch warum: Des Madl, die Ina, die ist am Telefon fast zusammengebrochen. Ich habe sie nicht angerufen und ihr gesagt, daß du sie nicht sehen willst. Des wäre ein falscher Freundschaftsdienst gewesen. Da spiele ich nicht mit. Das kannst du nicht von mir verlangen. Ich mache so etwas nicht – nicht bevor ich weiß, um was es eigentlich geht.«
Toni sah Dieters entsetzte Augen und machte noch etwas Druck.
»Also, Dieter, so wie ich des Madl verstanden habe, kannst du damit rechnen, daß die heute noch hierher auf die Berghütte kommt.«
»Naa!« stöhnte Dieter. »Des darf sie net! Ich kann ihr net in die Augen sehen.«
Dieter sprang auf.
»Ich gehe in die Berge!«
Toni griff mit harter Hand zu und zog ihn wieder auf den Stuhl.
»Du gehst nirgends hin! Am End’ tust noch abstürzen. Des war sowieso schon unverantwortlich von dir, daß du ohne Proviant, ohne ein Getränk, ohne eine Brotzeit losgegangen bist. Des zeigt mir nur, daß du im Augenblick nimmer klar denken kannst. Ich lasse dich keinen Fuß vor die Berghütte setzen, bevor ich net weiß, was los ist. Dieter, des sind keine leeren Worte von mir. Ich meine des ernst. Und wenn ich dich anbinden muß!«
Toni drohte nicht nur, er würde ernst machen, das begriff Dieter.
Dieter sah in die Runde. An Annas und Alois Gesichtszügen erkannte Dieter, daß diese auf Tonis Seite standen.
Dieter nahm sich ein Stück Apfelkuchen und biß hinein. Er aß es ganz auf. Toni, Anna und der alte Alois sahen, daß er innerlich mit sich rang.
»Na gut, vielleicht ist es besser, wenn ich mich euch anvertraue. Aber ihr müßt mir des Versprechen geben, daß ihr des für euch behalten tut.«
»Ich verspreche dir gar nix! Ich will erst wissen, was los ist!« sagte Toni hart. »Du mußt nicht reden! Aber dann werden wir dir auch net beistehen, wenn die Ina kommt.«
Das zeigte Wirkung. Dieter erzählte. Zuerst sprach er von seiner großen Liebe, von Ina Oertl. Er holte seinen Geldbeutel heraus. Darin war ein Foto. Es zeigte Ina im Dirndl.
»Des ist wirklich ein fesches Madl!« bemerkte der alte Alois.
Dieter steckte seine Geldbörse wieder ein, bevor er weitersprach. Immer und immer wieder beschrieb er die Liebe, die Ina und er füreinander empfanden. Dieter erleichterte sein Herz. Seine Eltern machten Druck, so empfand es Dieter jedenfalls, daß er endlich ein Madl erwählen sollte.
»Der Vater redet mit jedem drüber! Ich bin schon zur Zielscheibe des Spotts geworden. Ich habe doch gar net die Möglichkeit gehabt, daß sich die Beziehung zwischen mir und Ina so ganz normal entwickeln konnte. Hätte ich sie gleich mit heimgebracht, wäre ich mit ihr zum Tanz gegangen, dann wäre des die Sensation gewesen. Ich – wir mußten uns doch erst mal selbst darüber klarwerden, wie des mit uns ist. Dazu brauchte ich Ruhe. Es muß sich doch alles erst entwickeln: Vertrauen, Zuneigung, Liebe. Könnt ihr des verstehen?«
»Dann war Ina nie in Waldkogel?«
»Net direkt! Wir haben uns verabredet und sind zusammen wandern gegangen. Abends waren wir auch am Bergsee. Ich habe Ina unseren Hof gezeigt – von weitem. Außerdem wollte ich damit warten, bis mir der Onkel seinen Erbteil überschrieben hat. Erst dann wollte ich Ina heim auf den Hof bringen.«
Toni, Anna und der alte Alois konnten Dieters Erzählung so weit folgen. Doch sie hatten viele unausgesprochene Fragen. Sie fragten nicht. Sie ließen Dieter Zeit. Sie sahen, wie er nach Worten rang.
Nach und nach sprach er von der Nacht mit Hans in den Bergen. Er erzählte davon, daß er sich an nichts – an gar nichts erinnern konnte. Er vertraue Hans aber, der ihm es mehrmals bestätigt hatte.
»Es muß also so gewesen sein!« faßte es Dieter zusammen.
Die Scham, die Verzweiflung, die Ausweglosigkeit standen ihm ins Gesicht geschrieben.
»Ja, und deshalb muß ich wohl in den sauren Apfel beißen und ein Madl heiraten, des ich net liebe, nie lieben werde. Es wird eine Ehe rein auf dem Papier sein. Ich war net bei Sinnen und muß jetzt meine Schuld anerkennen und dafür büßen.«
Toni, Anna und der alte Alois waren sprachlos. Sie schauten sich an. Der alte Alois schüttelte den Kopf.
»Also, daß man einen Vollrausch hat und daß man sich an Einzelheiten nicht erinnern kann, des kann ich verstehen. Aber daß man sich an eine heiße Liebesnacht überhaupt nicht erinnert, des kommt mir ein bissel sehr seltsam vor! Hast du wirklich keinerlei Erinnerung? Auch net einen kleinen Zipfel, so wie ein Bild von einem Traum? Manchmal kommt es doch vor, daß man etwas träumt und den Traum nimmer zusammenbekommt, sich nicht daran erinnern kann außer dem einen Bild.«
Dieter schüttelte den Kopf. Er betonte, daß seine Erinnerung bis zu dem Augenblick zurückreichte, als Hans und er schlafen gingen. Dann fand er Hans morgens auf der Bank vor der Schutzhütte.
»Der legt sich net aus Jux die Nacht auf die kurze harte Bank, oder? Außerdem sind wir Bergkameraden. Wir sind zusammen in vielen Seilschaften gegangen. Einer konnte sich immer auf den anderen verlassen. Deshalb muß ich ihm doch glauben, oder? Außerdem hat mir die Gesa einen Zettel geschrieben!«
Es war still am Tisch. Toni, Anna und der alte Alois mußten erst mal nachdenken.
Toni stand auf. Er holte die Schnapsflasche. Es war die gute Sorte, die Toni nur lieben Freunden anbot.
»Leut’, des ist unfaßbar! So etwas hab’ ich noch nie gehört. Des paßt net zu dir, Dieter! Du bist doch kein Säufer! So eine Gedächtnislücke – naa, naa, des begreife ich nicht.«
Toni schenkte den Obstler ein. Sie prosteten sich zu.
»Trinken wir darauf, daß sich die Sach’ klären tut! Mit kommt des Ganze ein bissel seltsam vor. Da geht es mir genau wie dir, Alois!«
Dieter schaute Toni in die Augen.
»Ist gut gemeint, Toni! Ich dank’ dir schön! Aber da müßte schon ein Wunder geschehen!«
»Wunder, die kann es geben! Des ist gar net so selten in Waldkogel, Dieter. Es hat vieles gegeben, was wirklich schlimm war. Doch dann haben es die Engel vom ›Engelssteig‹ wieder gerichtet. Es gibt hier net nur des ›Höllentor‹. Es gibt auch den ›Engelssteig‹, Dieter!«
Dieter warf dem alten Alois ein bitteres Lächeln zu.
»Da kann ich nimmer dran glauben! Nie und nimmer!«
Dieter kippte den Schnaps hinunter.
Durch die offene Tür drang ein Geräusch.
»Klingt, als sei des der Leo von der Bergwacht! Der Leo ist doch eine treue Seele und ein wahrer Freund, daß er heute schon kommt!«
Toni wandte sich an Dieter und bat ihn mitzukommen. Leonhard Gasser, wurde von jedermann einfach Leo gerufen. Er war Leiter der Bergwacht in Kirchwalden und einer von Tonis besten Freunden. Wenn er mit dem Rettungshubschrauber Übungsflüge unternahm, brachte er jedes Mal einige Fässer Bier mit hinauf auf die Berghütte. Das ersparte Toni viel Mühe, denn es führte keine Straße auf die Berghütte hinauf. Alles mußte zu Fuß hinaufgebracht werden. Einzige Hilfe war der junge Neufundländerrüde Bello, den Anna trainiert hatte. Er bekam Packtaschen umgebunden oder zog ein Aluminiumwägelchen. Damit konnten viele Lebensmittel und Bedarfsgüter hinauf auf die Berghütte transportiert werden. Darüber hinaus war Leo die größte Hilfe. Dafür veranstalteten Toni und Anna von Zeit zu Zeit zünftige Hüttenabende für alle Bergwachtkameraden.
Der Hubschrauber landete auf dem Geröllfeld. Als sich der Staub gelegte hatte und die Rotorblätter des Hubschraubers stillstanden, gingen Toni und Dieter hin.
»Grüß Gott, Leo! Mei ist des eine Freude, daß du den schönen Gerstensaft heute schon bringst.«
»Des ist heute ein besonders warmer Tag. Da dachte ich mir, daß du mehr Bier zapfen tust als sonst. Es war auch ziemlich ruhig heute. Bisher gab es jedenfalls keine ernsten Notfälle. Bis auf ein junges Madl: Des verlangte von uns, auf die Berghütte geflogen zu werden. Die macht sich Sorgen um ihren Burschen.«
»Hat sie einen Namen genannt?« fragte Toni und warf Dieter dabei einen Seitenblick zu.
»Naa! Des hat sie net. Sie war nur ziemlich aufgeregt. Er soll hier liegen und Fieber haben. Doch da du mir keinen Notfall gemeldet hast, hab’ ich des für ein bissel übertrieben gehalten. Vielleicht hat des Madl Liebeskummer? Wer weiß, was da dahintersteckt?«
Toni räusperte sich.
»Übrigens, des ist der Dieter! Dieter, kannst du schon mal beginnen, die Fässer auszuladen?«
Dieter nickte.
Toni nahm Leo zur Seite. Sie gingen einige Schritte über das Geröllfeld. Dieter beobachtete, wie Toni ausführlich mit Leo sprach. Die reden über mich, dachte er, weil Leo sich auch öfter umdrehte und nach Dieter schaute.
Dieter brachte das letzte Bierfaß in den Schuppen, als er hörte, wie Leo mit dem Hubschrauber wieder abhob.
Wütend rannte er heraus und stürzte auf Toni zu.
»Was hast du mit dem Gasser geredet? Hast alles schön breitgetreten?«
»Langsam, langsam! Wut war immer schon ein schlechter Ratgeber! Ich habe nix über dich gesagt. Des Madl hat auch keinen Namen genannt. Ich habe den Leo nur ein bissel ausgefragt. Ich denke, daß es deine Ina war. Der Leo konnte sie nicht mitnehmen, denn erstens war es kein Notfall und zweites hatte er schon den Hubschrauber vollgeladen mit den Bierfässern. Weißt, der Leo ist sehr hilfsbereit. Sicherlich hätte er sonst auf dem Übungsflug des Madl mitgenommen.«
Toni schmunzelte.
»Die Ina muß ein ganz besonderes Madl sein! Der Leo ist ganz angetan von ihr. Die Ina ist net nur fesch, die weiß auch, was sie will. Jedenfalls habe ich herausgefunden, daß sie auf dem Weg hierher ist. Entweder wandert sie von der Oberländer Alm zu Fuß herauf oder sie mietet sich einen anderen Hubschrauber, einen von der Fluggesellschaft. Denen habe ich zwar das Landen auf dem Geröllfeld verboten, aber wenn sie runterkommen, kann ich wenig tun.«
»Bist du dir sicher, daß meine Ina auf dem Weg hierher ist?«
Das blanke Entsetzen stand Dieter in den Augen.
»Nun mal langsam! Komm mit! Du bekommst jetzt von mir einen schönen Rucksack voll Proviant. Dann gehst du zum ›Erkerchen‹. Wenn die Ina kommt, schickt die Anna sie dort hin. Dort seid ihr ungestört und könnt euch aussprechen. Es hat keinen Sinn, sich zu drücken.«
Dieter nickte. Er sagte kein Wort und ging neben Toni her in die Berghütte.
Als Dieter seinen Rucksack schulterte, sah er, daß sich Toni auch angezogen hatte.
»Du willst auch fort?«
»Ja! Der Leo wird gleich wieder landen. Ich habe in Kirchwalden noch etwas zu erledigen. Er nimmt mich mit«, bemerkte Toni.
Dann brachte Toni Dieter hinaus. Sie standen noch einen Augenblick zusammen auf der Terrasse der Berghütte. Toni gab Dieter Bellos Leine in die Hand.
»Du nimmst den Bello mit! Dann bin ich mir sicher, daß du keine Dummheiten machst. Jetzt schaust, daß du fortkommst!«
Toni sah Dieter nach, wie er über das Geröllfeld ging. Bello lief voraus.
Anna trat zu Toni.
»Was hat Leo erzählt? Du konntest vorhin nicht weitererzählen.«
»Ja, der Dieter kam zu schnell aus seiner Kammer. Ich mußte still sein, daß er nichts hörte. Ich weiß nicht, was davon wahr ist. Aber ich habe da so eine Ahnung, eine Vermutung. Ich habe mit Leo gesprochen. Der sagt, er habe Gesa öfters mit einem Burschen in den Bergen gesehen. Er kennt ihn auch. Er soll Jochen heißen und bei einer Spedition in Kirchwalden arbeiten. Die Spedition beliefert auch die Bergwacht.«
»Dann könnte es sein, daß diese Gesa zwei Burschen hat?«
Toni schmunzelte.
»Nun, genau das ist es! Der Dieter ist bestimmt als Hoferbe des Wasmayr Hofes der bessere Fang. Aber ich will der Gesa nichts unterstellen. Sie galt immer als anständiges Madl. Weißt, Anna, es ist nicht immer alles so, wie es auf den ersten Blick scheint. Ich will weder für Gesa, noch für Dieter die Hand ins Feuer legen. Ein Geldstück hat immer zwei Seiten. Des ist alles sehr sonderbar.«
»Wo willst hin in Kirchwalden?«
Toni nahm seine Anna in den Arm. Er küßte sie.
»Einkaufen!« sagte Toni leise und blinzelte seiner lieben Frau zu.
»Na gut! Dann stelle ich keine weiteren Fragen!«
Anna schlang ihre Arme um Toni und küßte ihn.
»Ich liebe dich, Toni! Ich liebe dich auch für deine Anteilnahme am Leben und Kummer und dem Leid anderer. Du hast so ein großes Herz, Toni!«
»Du doch auch, Anna! Du hast damals Anteil genommen an meinem Leben und meinem Traum von der Berghütte! Du hast Anteil genommen am Kummer vom alten Alois! Du hast gehandelt!«
»Ich liebte dich!«
»Das weiß ich! Ich liebe dich, Anna! Ich bin mit dir sehr glücklich.«
»Und ich mit dir!«
»Deshalb ist es uns eine Verpflichtung, ein bissel dafür zu sorgen, daß andere auch glücklich werden, wenn es dafür vielleicht eine Möglichkeit gibt.«
»Ja, so ist es! Versuchen sollte man es schon. Oft genügt es einfach, einen Stein ins Rollen zu bringen.«
»Stimmt! Es darf nur keine Lawine daraus werden!«
»Nein, das darf es nicht!«
Draußen war Leo mit dem Hubschrauber zu hören. Anna und Toni drückten sich und küßten sich zum Abschied.
»Bist du bis heute abend wieder da oder übernachtest du bei deinen Eltern in Waldkogel?«
»Ich bin sicherlich wieder zurück!«
Anna brachte Toni hinaus. Sie schaute nach, wie er mit dem Hubschrauber davonflog. Leo setzte Toni auf der Oberländer Alm ab. Dort parkte Tonis Geländewagen.
*
Toni fuhr den Milchpfad entlang. Unterwegs kam ihm ein kleines
Auto entgegen. Hinter dem Steuer saß eine junge Frau mit blonden Haaren. Toni hupte laut und fuhr mitten auf den Weg, so daß die Fahrerin anhalten mußte.
Toni stieg aus und ging auf das Auto zu.
»Grüß Gott! Wo willst denn hin, Madl? Der Milchpfad hier, des ist eine Sackgasse.«
»Grüß Gott! Ja, ich weiß. Er führt hinauf zur Oberländer Alm. Dort soll man das Auto parken dürfen, wenn man hinauf zur Berghütte will.«
»Du willst zur Berghütte? Was du net sagst? Mei, des ist ja ein Zufall. Ich bin der Toni, der Hüttenwirt.«
Ein Strahlen ging über die Gesichtszüge der jungen Frau.
»Dann haben wir heute schon zusammen telefoniert. Ich bin die Ina!«
Sie streckte Toni die Hand hin.
»Wie geht es Dieter? Besser?«
»Mei, der ist schon wieder topfit! Der macht eine Wanderung. Er ist zum ›Erkerchen‹.«
»Ist das weit von der Berghütte?«
»Nein! Die Anna, meine Frau, wird dir den Weg zeigen.«
»Danke, Toni! Vielen Dank, daß ihr euch so lieb um Dieter gekümmert habt. Ich weiß auch nicht, was mit ihm los ist. Das war gestern alles so sonderbar.«
»Ja, das glaube ich dir gern. An der Sache ist manches sonderbar.«
»Toni! Du weißt etwas? Ist was Schlimmes mit dem Wasmayr Hof? Der Dieter hängt so an dem Hof.«
Toni war im Konflikt, was er Ina antworten sollte. Er ärgerte sich über die Bemerkung, die er gemacht hatte, daß an der Sache manches sonderbar sei.
»Nun rede schon, Toni! Ich bin schon selbst ganz schwach vor lauter Sorgen um Dieter. Ich liebe ihn sehr!«
»Das glaube ich dir! Aber es ist wirklich besser, wenn der Dieter mit dir selbst redet. Es ist Dieters Angelegenheit.«
Ina versuchte weiter, Toni etwas zu entlocken.
»Ina, ich kann nur immer wieder sagen: Dieter wird dir das alles erklären. Aber ich habe auch ein Problem. Vielleicht kannst du mir dabei helfen?«
»Wenn ich kann, gern!«
Toni rieb sich das Kinn.
»Also, so viel ich weiß, hat der Dieter einen Bergkameraden. Der soll Hans heißen. Ich kenne ihn nicht. Dieter hat ihn nie mit zur Berghütte gebracht. Kannst du mir sagen, wie eng die beiden befreundet sind?«
Ina schaute Toni erstaunt an.
»Kann das etwas mit der Sache zu tun haben, wegen der Dieter gestern so unruhig gewesen ist?«
»Das weiß ich nicht. Dieter hat mir nur erzählt, daß er mit einem Hans befreundet ist.«
Ina räusperte sich.
»Das ist in zwei Worten nicht zu erklären.«
»Das macht nichts. Erzähle ruhig!«
Ina berichtete, daß sie seit einigen Jahren in der Verwaltung des Schlachthofes arbeitete. Vor einiger Zeit bekam sie einen Kollegen, der in Teilbereichen sogar ihr Vorgesetzter wurde.
»Das war Hans!«
Ina seufzte.
»Ich bemerkte bald, daß Hans ein Auge auf mich geworfen hatte. Er versuchte mich einige Male einzuladen. Wollte mit mir ausgehen.«
»Und? Bist du mit ihm ausgegangen?«
»Nein! Niemals! Hans ist nicht mein Typ. Nicht, daß er schlecht aussieht. Nein, so ist das nicht. Er ist sportlich. Es gibt bestimmt eine Frau, die Gefallen an ihm findet. Ich bin es nicht.«
Ina verdrehte glücklich die Augen.
»Bei Dieter war das ganz anders! Er gefiel mir sofort. Er hat so eine feine Art. Er ist ganz und gar kein Draufgänger. Er hat auf eine ganz liebe Art und Weise um mich geworben.«
»Hat Hans etwas bemerkt?«
»Ich hoffe nicht! Ich weiß natürlich, daß die beiden befreundet sind. Sie verabredeten sich zu Bergtouren. Wenn Dieter in den Schlachthof kam, dann kam es auch vor, daß sie abends zusammen auf ein Bier gingen, verstehst du?«
»Vielleicht mehr als du denkst!«
»Was soll das heißen, Toni?«
»Nur, daß ich jetzt ein klareres Bild von diesem Hans bekomme. Weiß er, daß du und Dieter, daß ihr ein Liebespaar seid?«
»Bewahre! Von mir weiß er es nicht. Wenn Dieter im Schlachthof ins Büro kam, dann ließen wir uns nichts anmerken. Dieter weiß, daß Hans ein Auge auf mich geworfen hatte. Dann gibt es noch weitere Gründe. Die Liebe von mir und Dieter, das wußte bisher niemand außer uns.«
Ina bekam leuchtende Augen.
»Es ist schön, eine heimliche Liebe zu haben. Es ist ein wunderbares Geheimnis.«
»Hast du niemals Angst gehabt, daß Dieter…«
Toni holte tief Luft.
»Ich meine, du bist dir sicher, daß Dieter es ehrlich und aufrichtig meinte?«
»Sicher, Toni! Was soll die Frage? Ich liebe Dieter und er liebt mich! Toni ist ein bissel ein Eigenbrötler. Aber damit kann ich leben. Entweder liebt man einen Menschen so wie er ist oder man läßt es sein. So denke ich! Altmodisch?«
»Naa! Des ist eben wahre Liebe! Ganz oder gar net!«
»Richtig! Ich bin mir der Liebe von Dieter sehr sicher! Deshalb spüre ich doch, daß etwas nicht stimmt, daß er Kummer hat.«
Toni lehnte sich an das Auto. Er verschränkte die Arme und schaute auf den Boden. Er hatte Mitleid mit Ina.
Sie liebte Dieter wirklich. Es wird für sie ein Schock werden, wenn Dieter mit ihr spricht. Dieter stand auch unter Schock. Toni bereute, daß er Dieter zum »Erkerchen« geschickt hatte. Toni fand es jetzt nicht mehr gut, wenn sich die beiden alleine am »Erkerchen« aussprachen.
»Ina! Ich habe mir da gerade etwas überlegt. Ich will dir auch nicht verschweigen, daß den Dieter ein Kummer drückt. Du kennst ihn besser als ich. Ich schätze Dieter so ein, daß er ein Bursche ist, der immer erst alles einmal alleine durchdenken will, bevor er mit jemanden drüber redet.«
»Das stimmt, Toni! Ich bat ihn schon gestern, mir etwas zu sagen. Er lehnte ab!«
»Siehst du! Also denke ich, es wäre besser, wenn du ihm etwas Zeit gibst. Das wäre mein Vorschlag!«
Ina legte den Kopf schief und lutschte nachdenklich an den Bügeln ihrer Sonnenbrille.
»Meinst du wirklich?«
»Ja! Ich kenne den Dieter seit er und ich Buben gewesen sind.«
»Was rätst du mir?«
Toni machte Ina den Vorschlag, im Dorf zu bleiben. Er wollte sie bei seinen Eltern unterbringen. Dort könnte sie warten.
»Warten? Warten auf was?«
»Ina, ich denke, daß der Hans bei dem Kummer, den der Dieter hat, eine gewisse Rolle spielen könnte. Das will ich aber erst herausfinden.«
»Die beiden waren viele Monate nicht zusammen in den Bergen. Erst kürzlich haben sie sich verabredet. Ihre Freundschaft war ein bissel abgekühlt. Das hat nicht Dieter zu verantworten, bestimmt nicht. Ich vermutete schon, daß Hans vielleicht etwas von unserer Liebe mitbekommen hat. Doch dann hätte er sich sicher anders verhalten. Nein, das konnte es nicht sein. Er ließ mich zwar an den Tagen, an denen Dieter im Schlachthof war, abends immer noch länger arbeiten. Doch das kann auch Zufall gewesen sein.«
Ina lachte.
»Dieter und Hans wollten einen Männerabend machen, mit viel Bier und so! Der Vorschlag kam von Hans. Ich war dabei, wie Hans im Büro Dieter angesprochen hatte. Er meinte, daß sie sich mal aussprechen sollten. Er, Hans, sei wohl in letzter Zeit etwas ablehnend gewesen. Er hätte etwas, worüber er mit Dieter reden wollte. Ich bekam das nur am Rande mit.«
»Interessant!«
Ina sah Toni treuherzig an.
»Ich verstehe nicht, warum das alles so wichtig ist.«
»Ach, Ina, Genaues weiß ich ja auch net. Es ist nur eine Vermutung. Ich werde mich erkundigen.«
Toni versuchte Ina noch einmal zu überreden, nicht hinauf zur Berghütte zu gehen. Er wollte sie zu seinen Eltern in die Pension bringen. Doch Ina lehnte ab. Sie wollte erst einmal eine Weile hier im Auto sitzen bleiben und nachdenken. So mußte Toni mit einem beunruhigenden Gefühl abfahren.
*
Toni fuhr zum Schlachthof. Er parkte seinen Geländewagen und ging ins Büro.
Im Großraumbüro saßen mehrere Angestellte.
»Grüß Gott!« rief Toni laut und deutlich. »Ich bin Antonius Baumberger! Gerufen werde ich Toni! Ich bin der Hüttenwirt und suche ganz dringend den Hans. Der soll hier arbeiten und ein Bergkamerad vom Wasmayr Dieter sein. Gibt’s hier einen Burschen, der Hans heißt?«
»Ja, den gibt es! Der ist unten auf dem Hof. Mußt an ihm vorbeigegangen sein«, antwortete ein junges Madl.
Es stand auf und trat an das Fenster. Es winkte Toni herbei und zeigte auf eine Gruppe Männer, die einen Lastwagen beluden.
»Der mit dem hellblauen Hemd! Das ist der Hans!«
»Danke! Du hast mir sehr geholfen!«
Toni lächelte die junge Frau an und verließ mit großen Schritten das Büro.
Unten im Hof ging Toni auf die Gruppe von Männern zu. Hans stand dabei und blätterte in einigen Papieren.
»Grüß Gott! Du bist der Hans?«
»Ja, der bin ich! Grüß Gott! Und wer bist du?«
»Antonius Baumberger, gerufen werde ich Toni! Ich bin der Hüttenwirt von der Berghütte, hoch oben über Waldkogel.«
»Mei, grüß dich, Toni! Von dir hab’ ich schon gehört – natürlich nur Gutes! Freut mich, daß ich dich mal kennenlerne!«
»Ob du dich noch freust, wenn ich dir sage, warum ich hier bin, des bezweifele ich stark. Können wir uns irgendwo ungestört unterhalten?«
Hans schaute Toni verwundert an.
»Klingt rätselhaft! Ich bin hier bald fertig. Kannst einen Augenblick warten?«
»Wenn es sein muß auch zwei!«
Toni ging zu seinem Geländewagen.
Er lehnte sich dagegen und ließ Hans nicht aus den Augen. Es dauerte doch etwas länger, bis Hans mit der Arbeit fertig war und auf Toni zukam.
»So, dann sag mal, was du auf dem Herzen hast. Deine Bemerkung klang, als wolltest du mir drohen? Warum sollte ich mich net freuen, dich kennenzulernen?«
»Ich sage nur zwei Namen: Dieter Wasmayr und Gesa Krumbach! Sagen dir die Namen etwas?«
Toni sah, wie Hans die Farbe wechselte. Verlegen versuchte er seine Verunsicherung mit einem Lachen zu überspielen.
»Mei, natürlich sagen mir die Namen etwas! Der Dieter ist ein guter, langjähriger Bergkamerad und die Gesa ist die Arbeitskollegin meiner Cousine Elfi. Die beiden Madln sind befreundet. Ich hoffe, dir genügt die Antwort. Ich kann mir allerdings keinen Reim darauf machen, was dich des angeht, ob ich die beiden kenne. Du siehst aber, daß ich nix zu verbergen habe. Ja, ich kenne sie.«
Toni lächelte.
»Hans, genau genommen geht mich des nix an. Nur ich und meine liebe Anna und der alte Alois, der bei uns mit auf der Berghütte lebt – wir alle – wir lassen niemanden in sein Unglück rennen. Auch wenn es uns nix angehen tut, im strengen Sinn, mischen wir uns ein. Der Dieter, dein Bergkamerad, wurde heute morgen in einem bedenklichen Zustand zu uns auf die Berghütte gebracht. Später erzählte er mir dann wirres Zeug von dir und Gesa und noch vieles mehr. Der Dieter war ziemlich durcheinander, so daß ich es mit der Angst bekam und ihm sogar des Rasiermesser fortgenommen habe. Verstehst du, was ich damit andeuten will?«
Hans schaute Toni mit großen Augen an.
»Schau net so! Rede lieber! Was war in der Nacht, als ihr zusammen in der Schutzhütte gesoffen habt?«
Hans errötete.
»Ja mei, wir haben gesoffen bis zum Umfallen! Richtig gebechert haben wir. Erst haben wir Bier getrunken und dann hat jeder von uns mindestens eine Flasche Obstler gekippt.«
»Sag mal, kann des sein, daß du den Dieter mit Absicht so abgefüllt hast, daß er sich an nix erinnern kann?«
Hans rieb sich das Kinn.
»An was net erinnern?«
Toni verlor langsam die Geduld.
»Daran erinnern, daß er eine heiße Liebesnacht mit der Gesa hatte. Des hast du ihm doch immer und immer wieder bestätigt.«
»Mei, was da genau gewesen ist, des weiß ich auch net. Ich hatte ja auch viel getrunken.«
Toni trat einen Schritt auf Hans zu.
»Bursche, du redest jetzt oder ich nehme mir dich hier auf dem Hof vor! Ich nehme dich auseinander!«
Als Hans sich immer noch zierte, schnappte ihn Toni am Hemd und drückte ihn gegen sein Auto.
»Also, was ist losgewesen in der Nacht?«
Hans befreite sich aus Tonis Griff.
»Mei, die Gesa ist gegen Morgen gekommen und hat Kaffee gebracht. Sie hat mich geweckt und dann habe ich mich draußen auf die Bank gelegt und habe weitergeschlafen. Vor dem Einschlafen habe ich die Gesa drinnen noch reden gehört.«
»Du, Hans! Die Gesa kann vom Dieter nicht gewußt haben, daß er mit dir in dieser Nacht auf der Schutzhütte war. Also muß du es ihr gesagt haben. Du steckst vielleicht sogar mit ihr unter einer Decke. Ich kann mir sogar denken warum. Du bist eifersüchtig, weil der Hans mit der Ina gehen tut. Du hattest selbst ein Auge auf die Ina geworfen. Deshalb hast du dir mit der Gesa zusammen des alles ausgedacht.«
Hans errötete tief.
»So war des net ganz!«
»Dann war es ähnlich, wie?«
Hans schaute Toni verzweifelt an.
»Ich mag den Dieter. Wir sind seit vielen Jahren Bergkameraden. Aber, daß ich ihn einige Male mit dem Madl gesehen habe, das mir gefällt, des hat mir net gefallen. Dann kam mir der Zufall zu Hilfe. Mein Cousine, die Elfi, und die Gesa arbeiten zusammen in einem Büro. Die Gesa hat sich in den Dieter verliebt und war ganz unglücklich. Aber der Dieter interessierte sich nicht für sie. Sie schüttete Elfi ihr Herz aus. Da haben wir drei – naa! Es war die Gesa, die sich des ausgedacht hat. Jedenfalls soll Dieter glauben, daß er und Gesa schöne Stunden verbracht haben. Die Gesa glaubte, es sei so leichter, den Dieter herumzubekommen. Die Gesa ist ein fesches Madl.«
»Und du hast dich dafür hergegeben?«
»Mei, ich wollte der Gesa helfen. Vielleicht finden die beiden ja dann doch Gefallen aneinander, dachte ich mir. Dann wäre die Ina wieder frei. Das wäre für mich auch gut. Ich dachte, dann kann ich den Liebeströster bei der Ina spielen.«
Toni dachte einen Augenblick nach.
»Daß des Ganze ein Schmarrn war, des ist dir hoffentlich klar. Mir geht es nur um eines! Erlebten die Gesa und der Dieter eine heiße Liebesnacht oder net?«
»Ich denke schon! Die Gesa hat dem Dieter auch einen Zettel geschrieben. Den habe ich gelesen.«
»Aber gesehen hast du nichts?«
»Die Gesa war da! Des stimmt!« beteuerte Hans.
»Mei, Hans! Hatten die beide eine heiße Liebesnacht?«
»Also daneben gestanden habe ich nicht! Wenn du das meinst? Aber von meiner Cousine Elfi weiß ich so manches. Die Gesa hat so allerlei erzählt. Dann muß es wohl stimmen, oder?«
»Es kann stimmen! Es muß aber net!«
Toni holte tief Luft. Er schaute Hans genau in die Augen.
»Du bist mir vielleicht ein schöner Bergkamerad! Mit dir würde ich nie in einer Seilschaft gehen. Naa! Naa! Falls etwas passiert, dann ziehe ich dir das Fell über die Ohren. Jedenfalls, ich gebe dir den dringenden Rat mit dem Dieter zu reden. Wenn da nix gewesen ist, dann muß er des wissen. Du weißt, daß er sich an nix erinnern kann.«
Toni stieg ins Auto und fuhr davon. Er war ärgerlich und wütend. Das Bild fügte sich wie ein Puzzle immer mehr zusammen. Für Toni war es klar. Das sah für ihn nach einem Komplott aus. Doch wie war das zu beweisen? Wenn Gesa und Hans darauf beharrten, daß Dieter und Gesa eine heiße Liebesnacht verbracht hatten und Gesa ihren Zustand als eine Folge daraus darstellte, dann hatte Dieter schlechte Karten. Darüber machte sich Toni keine Illusionen.
*
Ina saß eine Weile in ihrem Auto und dachte nach. Toni kennt Dieter nicht so gut wie ich, entschied sie. Sie kam zu dem Schluß, daß sie doch sofort hinauf auf die Berghütte wollte.
Ina steuerte ihren Wagen hinauf auf die Oberländer Alm. Dort erkundigte sie sich bei Ella und Wenzel Oberländer nach dem Weg.
Während Ina den Bergpfad hinaufhastete, der zur Berghütte führte, nahm sie die wunderbare Aussicht über das Tal nicht wahr. Sie warf keinen Blick in die Richtung der Berggipfel. Ina setzte wie in Trance Fuß vor Fuß. Sie dachte nur an Dieter und lauschte auf das ängstliche Klopfen ihres Herzens.
Anna stand auf der Terrasse der Berghütte und sah Ina über das Geröllfeld kommen. Toni hatte Anna angerufen und ihr von seinem Zusammentreffen mit Ina berichtet. Für Anna war es verständlich, daß Ina gekommen war. Wäre Toni an der Stelle von Dieter und sie, Anna, an der Stelle von Ina, dann wäre sie auch gekommen.
»Grüß Gott! Du mußt die Ina sein!«
»Grüß Gott! Ja, die bin ich! Woher…?«
»Dieter hat ein Bild von dir in seiner Geldbörse.«
Ina lächelte.
»Wo ist Dieter? Ich habe Toni getroffen. Er sagte, Dieter sei in den Bergen.«
»Ja, er ist beim ›Erkerchen‹!«
Anna legte den Arm um Ina.
»Ina, nun komm mit mir. Ich denke, es ist besser, wenn wir beide erst mal zusammen reden.«
»Du weißt etwas? Toni wohl auch. Er wollte es mir aber nicht sagen.«
Anna schmunzelte.
»Das mußt du dem Toni nachsehen. Es handelt sich um eine Frauenangelegenheit. Da fällt es ihm als Mann schwer, darüber zu reden. Außerdem ist die Angelegenheit in meinen, Tonis und in den Augen des alten Alois sehr zweifelhaft.«
Der alte Alois kam hinzu.
»Grüß dich, Madl! Ich bin der alte Alois! Ich kann der Anna nur zustimmen. Des ist alles ein bissel sehr sonderbar. Aber des wird dir die Anna erklären. Geh’ nur mit ihr!«
Anna holte aus der Küche einen Korb. Sie hakte sich bei Ina unter.
»Komm wir gehen hinter die Berghütte auf den Holzplatz. Da sind wir ungestört. Derweilen wird sich der alte Alois um die Hüttengäste kümmern.«
Anna rief Sebastian und Franziska herbei. Sie bat die beiden Kinder, Alois zu helfen.
Anna führte Ina hinter die Berghütte. Dort setzten sie sich auf die Stühle, die Anna schon vorher dorthin gebracht hatte. Der Hack-Klotz diente als Tisch. Anna packte Becher, Kuchen und Kaffee in einer Warmhaltekanne aus dem Korb aus.
»Nun rede schon, Anna!« sagte Ina ungeduldig.
Anna nickte und trank einen Schluck Kaffee.
»Es gibt hier in Waldkogel ein Madl. Das behauptet, eine Liebesnacht mit Dieter wäre nicht ohne Folgen geblieben.«
Anna ließ die Worte auf Ina wirken. Diese schaute Anna mit großen Augen an. Es dauerte eine Weile, bis Ina die Tragweite ganz begriff. Sie legte die Hand auf ihre Brust, so als wollte sie ihr Herz festhalten. Sie schloß die Augen.
»Ja, das könnte etwas sein, was Dieter mir nicht sagen wollte«, flüsterte Ina. »Was könnte ihm sonst Kummer machen? Kummer, worüber er nicht mit mir sprechen wollte?«
Anna sah, wie die Wimpern um Inas Augen feucht wurden.
»Hat Dieter es zugegeben? Will er sie jetzt heiraten?« fragte Ina leise.
Anna zuckte mit den Schultern.
»Dieter ist völlig fassungslos. Er kann sich das nicht erklären.«
Anna berichtete Ina, was Dieter ihr, Toni und dem alten Alois anvertraut hatte.
»Ich verstehe! Es kann so sein – es kann aber auch nicht so gewesen sein. Ich kann mir aber nicht vorstellen, daß ein Madl einem fremden Burschen ein Kindl unterschieben will. Also, ich würde das nicht fertigbringen. Das ist Betrug! Betrug gegenüber dem Burschen und dem ungeborenen Kindl auch.«
Ina war erschüttert.
»Jetzt verstehe ich, warum Dieter nicht mit mir sprechen wollte.«
Ina hielt den Becher mit Kaffee in beiden Händen und nippte daran.
»Was wirst du jetzt machen, Ina?«
Ina zuckte mit den Schultern.
»Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich bin ganz durcheinander. Vielen Dank, Anna. Daß du mich gewarnt hast, daß du mir alles erzählt hast. Es muß dir bestimmt nicht leicht gefallen sein.«
»Ja, so war es. Ich habe die ganze Zeit darüber nachgedacht, ob ich mit dir reden sollte. Ich wollte dich nicht so unvorbereitet zum ›Erkerchen‹ gehen lassen. Ich hatte Angst, es wäre ein zu großer Schock für dich!«
Ina schaute Anna an.
»Anna, ich liebe Dieter! Ich weiß, daß er mich liebt. Oder sollte ich sagen, ich dachte, daß er nur mich liebt? Sicher bin ich geschockt. Es tut weh. Es tut so schrecklich weh, Anna. Aber auf der anderen Seite kann ich es nicht glauben. Ich kann es nicht verstehen. Es ist unvorstellbar für mich. Ich kann mir Dieter nicht in den Armen einer anderen Frau vorstellen. Dieter ist eine ehrliche Haut. Es muß wirklich so sein, daß er sich an nichts erinnern kann. Das kann ja nicht gestern geschehen sein. Wenn da etwas gewesen wäre, dann hätte ich eine Veränderung an Dieter bemerkt. Er sprach in letzter Zeit nur von der gemeinsamen Zukunft. Das hätte Dieter nicht getan, wenn er es nicht ehrlich und aufrichtig meint. Er liebt mich. Ich denke nicht, daß er etwas mit einem anderen Madl hat. Nein, nein, nein! Das kann nicht sein. Auch wenn es nur ein einziges Mal hat sein sollen. Daß sich ein Mann überhaupt nicht an eine feurige Liebesnacht erinnern kann, das glaube ich nicht. Vielleicht kann sich sein Kopf nicht erinnern? Sein Herz wird sich erinnern, auch wenn es ihm nicht bewußt ist. Wäre da etwas, dann müßte ich es doch gespürt haben – gespürt in seinen Küssen – gesehen im Blick seiner Augen. Anna, ich kann mich doch in Dieter nicht so getäuscht haben! Oder habe ich mir selbst etwas vorgemacht? Anna, ich stelle mir plötzlich Frage über Frage. Aber ich habe keine Antwort. Nichts ist, wie es einmal war. Anna, oh, Anna! Es war alle so klar zwischen mir und Dieter. Jetzt verstehe ich nichts mehr. Ich begreife es nicht. Ich weiß nichts mehr.«
Die Worte sprudelten nur so aus Ina hervor, teilweise verwirrend, auf jeden Fall ungeordnet. Es waren Gedanken. Sie wägte ab, versuchte sich selbst Klarheit zu verschaffen.
»Wenn ich an Gesas Stelle wäre, würde ich auch kämpfen. Immerhin hat sie eingesehen, daß die Verbindung wohl nicht von Dauer ist – sein kann. Sie scheint eine kluge junge Frau zu sein. Warum sollte sie einer Dummheit eine weitere Dummheit folgen lassen, die zwei Leben für immer zerstört? Ich finde ihren Vorschlag akzeptabel. Dieter wird sie heiraten, dann trennen sie sich wieder und er ist frei.«
Anna sah Ina erstaunt an.
»Du siehst das so nüchtern, Ina. Ich kann dir nur sagen: Ich staune!«
»Anna«, und wieder hingen Tränen zwischen Inas Wimpern. »Anna, glaube nicht, daß es nicht weh tut. Aber ich muß damit leben.«
Ina stand auf und schulterte ihren Rucksack.
»Gehst du jetzt zu Dieter? Was wirst du ihm sagen, Ina?«
Ina schüttelte den Kopf.
»Anna, ich will Dieter nicht sehen! Wenn er kommt, sage ihm, ich sei hier gewesen und wieder gegangen. Wenn ich sofort losgehe, dann schaffe ich es noch, bis zum Abend unten in Waldkogel zu sein. Dieter muß sich Klarheit verschaffen. Er muß tun, was er tun muß. Es ist seine Angelegenheit. Er wollte mit mir nicht darüber sprechen. Das muß ich so hinnehmen. Ich will mich auch nicht weiter aufdrängen. Dieter weiß, wo er mich findet, wenn er mich finden will. Sage ihm aber, daß ich keine heimliche Geliebte sein will. Ich will ihn ganz oder gar nicht. Da er jetzt wohl – mit sehr großer Wahrscheinlichkeit – mit Gesa zusammenkommt, verschwinde ich aus seinem Leben.«
Anna staunte.
»Ina, ich kann nicht glauben, daß du Dieter liebst!«
»Anna, das täuscht! Ich liebe Dieter! Ich werde ihn immer lieben. Außerdem muß er auf mich zukommen. Anna, trotz aller Liebe: Ich muß einen kühlen Kopf bewahren! Auch wenn mein Herz so wund ist. Es tut sehr weh, Anna, sehr, sehr weh. Deshalb kann ich jetzt auch nicht in seine Augen sehen.«
Ina seufzte tief.
»Anna! Es ist wie ein Sturm in meinem Herzen. Meine Gefühle sind wie ein Schiff auf dem Meer. Auf der einen Seite fühle ich, daß das alles nur ein schlechter Traum sein kann. Ich denke, es muß ein Irrtum sein. Auf der anderen Seite muß ich auch in Betracht ziehen, daß Dieter mich mit Gesa betrogen hat. Dabei kann es doch auch sein, daß er sich wohl erinnert. Vielleicht tut er nur so, als sei er so betrunken gewesen. Weißt du es? Kann ich es wissen? Dieter und Hans waren einmal gute, wirklich eng verbundene Bergkameraden. Da würde einer für den anderen einstehen. Hans sagt es doch auch, daß Dieter und Gesa zusammen waren. Was soll ich also denken? Anna! Liebe Anna! Ich danke dir, daß du mit mir geredet hast. Ich will Dieter jetzt nicht sehen!«
Und leise, mit gebrochenem Herzen, fügte Ina hinzu:
»Es ist besser, wenn ich ihn nicht mehr sehe, nie mehr!«
Ina schaute auf die Uhr.
»Ich muß mich beeilen! Auf Wiedersehen, Anna! Grüße mir Toni!«
Ina drehte sich um und ging davon. Anna sah ihr verwundert nach.
Welch ein Madl! Sie liebt Dieter wirklich.
Das konnte ich in ihren Augen sehen, dachte Anna. Sie will Dieter nicht nur ihretwegen nicht mehr sehen.
Sie will es ihm nicht noch schwerer machen, seinen Pflichten nachzukommen, wenn der Leichtsinn einer Nacht es erforderlich macht. So dachte Anna über Ina.
Anna packte das Geschirr und den Rest Kuchen ein und ging nach vorne.
»Hat sie noch etwas gesagt, Alois?
»Nein, Anna! Sie kam auch nicht mehr in die Berghütte. Ohne sich umzudrehen ging Ina über das Geröllfeld und dann den Pfad hinunter. Sie lief schnell, Anna!«
»Ja, da kann man nichts machen, Alois. Leicht trägt Ina an dieser Last nicht. Aber sie ist klug. Sie stellt Dieter nicht zur Rede. Sie läßt ihm Zeit, alles zu klären und sich zu entscheiden. Sie weiß, daß Vorwürfe und Streit viele schöne Gefühle in ihrem Herzen zerstören würden – Erinnerungen an Stunden voller zärtlicher Liebe, heiße innige Küsse und Träume. Vielleicht will Ina auch nicht mit Dieter reden, damit sie nicht alles so genau erfährt und sich selbst eine Ausrede zusammenbasteln kann, warum die große Liebe scheiterte. Dann ist es nicht so schmerzhaft, denke ich, Alois!«
Anna ging in die Küche der Berghütte und räumte den Korb aus. Sie dachte an Toni. Was würde er in Erfahrung bringen?
*
Toni fuhr vom Schlachthof direkt zu der Spedition, die ihm sein Freund Leo genannt hatte. Auf dem großen Hof parkten viele Lastwagen. Toni suchte einen Parkplatz für seinen Geländewagen. Er stieg aus, lief eine Rampe hinauf und betrat das Büro.
»Grüß Gott!«
Eine ältere Büroangestellte sah von ihrem Schreibtisch auf.
»Grüß Gott! Was kann ich für Sie tun?«
»Ich will mich erst einmal vorstellen. Ich bin der Antonius Baumberger, Toni gerufen. Ich bin der Hüttenwirt von der Berghütte, in den Bergen oberhalb von Waldkogel.«
Die ältere Dame lächelte.
»Die Berghütte kenn’ ich! Die hat doch früher dem Alois gehört. Hat er sie abgegeben?«
»Ja, der Alois hat die Berghütte an mich und meine Frau Anna gegeben. Aber der alte Alois lebt jetzt mit uns zusammen auf der Berghütte. Wir sind wie ein Familie.«
Toni überlegte einen Augenblick. Wenn die Büroangestellte den alten Alois kannte, dann war es geschickt, sich auf den Alois zu berufen.
Toni rieb sich das Kinn.
»Sie müssen wissen, daß wir in einer gewissen Angelegenheit etwas ratlos auf der Berghütte sind. Der alte Alois hat mich deshalb hergeschickt, damit ich mit dem Jochen Hortler rede. Der Alois ist ja nimmer der Jüngste und der Weg ist doch ein bissel weit und zu mühsam für ihn. Da tut er mich schicken. Ist der Jochen hier oder ist er mit einer Fuhre unterwegs?«
»Der Jochen wollte nach Norwegen. Er wollte sogar kündigen. Aber der Chef versucht ihn, zum Bleiben zu überreden. Sie sitzen schon den ganzen Tag drinnen im Büro vom Chef.«
»Dauert die Besprechung noch lange? Es ist wichtig! Ich muß den Jochen Hortler unbedingt sprechen!«
»Nun, das weiß ich nicht! Ist es wirklich so wichtig?«
Toni drehte seinen Hut mit dem Gamsbart in den Händen.
»Der Alois meint, es sei sehr wichtig. Der Jochen hat ein Madl. Es geht mit einem anderen und will den jetzt heiraten. Der Alois meint, daß der Jochen nix davon weiß und hat mich beauftragt, des dem Jochen zu sagen.«
»Des kann nur die Gesa sein, oder? Der Jochen hat mir des Madl einmal kurz vorgestellt. Die Gesa ist ein fesches Madl. Der Jochen scheint ganz vernarrt in sie zu sein. Daß die Gesa etwas mit einem anderen hat, des kann ich mir net denken. Die beiden sind so verliebt. Die sind so ein schönes Paar. Des muß ein Irrtum sein. Die Gesa hat bestimmt nix mit einem anderen Burschen.«
»Doch, gute Frau! Aber des will ich dem Jochen selbst sagen! Kann er net für einen Moment rauskommen?«
Die Büroangestellte zog die Brauen hoch. Sie stand auf und ging ins Büro des Speditionsunternehmers. Sie schloß die Tür. Es dauerte eine Weile, dann kam sie mit Jochen heraus.
»Grüß Gott! Ich bin Jochen Hortler! Unsere gute Seele vom Büro machte da eine Andeutung. Was soll des?«
»Grüß Gott, Jochen! Wollen wir net raus auf den Hof gehen. Da sind wir ungestört. Immerhin sind das ja ziemlich private Dinge.«
Jochen sagte nichts. Er ging voraus. Toni folgte ihm. Draußen liefen sie im Hof auf und ab. Toni erzählte Jochen, was sich zugetragen hatte. Er sprach von Dieter, der jetzt auf der Berghütte war. Er erzählte von Ina. Und er sprach von Gesa.
»Also ich hab’ die Gesa immer für ein anständiges Madl gehalten. Es war mehr Zufall, daß euch der Leo von der Bergwacht gesehen hat. Durch ihn weiß ich, daß du und die Gesa… Also daß ihr irgendwie zusammen seid, stimmt des?«
In einer Hofecke standen Holzkisten. Jochen setzte sich darauf. Toni nahm neben ihm Platz. Jochen schaute Toni stumm an.
»Toni, ich liebe Gesa! Sie ist mein Madl! In jeder Minute, in der ich Zeit habe, bin ich mit ihr zusammen. Wir haben auch schon oft meine freien Wochenenden in den Bergen verbracht. Die Gesa liebt die Berge. Ich mußte ihr versprechen, später einmal nur irgendwo hinzugehen, wo es auch Berge gibt. Ich kann mir nicht denken, daß du wirklich von meiner Gesa sprichst, Toni.«
Jochen stand auf. Er vergrub seine Hände in den Taschen der alten ausgebeulten Cordhose. Toni beobachtete ihn genau. Immer und immer wieder schüttelte Jochen den Kopf. Er war verwirrt. Seine Gesa, seine geliebte Gesa, soll etwas mit einem anderen Burschen haben, das verstand er nicht.
Toni half nach.
»Also, Jochen, wie ist es? Kann es sein, daß du der Vater von dem Kindchen bist?«
Jochen antwortete nicht gleich. Er setzte sich wieder hin. Er dachte über die letzten Gespräche mit Gesa nach.
»Was denkst du, Jochen?« fragte Toni erneut und legte Jochen die Hand auf die Schulter. »Sag’ es!«
»Ich weiß nur, daß ich die Gesa liebe! Wir sind ein festes Paar. Allerdings kommt Heiraten für mich noch net in Frage oder kam noch net in Frage. Ich will der Gesa etwas bieten. Ich will erst gutes Geld verdienen, dann denke ich an Heirat. Das habe ich der Gesa gesagt. Ich dachte, daß sie des verstanden hat. Wir haben so oft darüber geredet.«
Jochen schüttelte den Kopf.
»Allerdings hat die Gesa in letzter Zeit viel Druck gemacht. Druck gemacht hat sie wirklich mächtig. Sie überredete mich sogar, daß ich im Ausland eine Arbeit suchen soll. Ich spare für einen eigenen Lastwagen. Erst etwas aufbauen, dann Heirat und dann, erst dann habe ich an Kinder gedacht.«
Jochen wurde unruhig. Er stand auf, setzte sich wieder hin. Gleich stand er erneut auf und ging einige Schritte vor Toni auf und ab. Dann setzte er sich wieder hin.
»Die Gesa hat mich einmal gefragt, was ich machen würde, wenn sie ein Kind bekäme. Des ist noch net lange her. Da habe ich nur gesagt, daß ich an so etwas nicht denke und des net in meinen Plan paßt. Vielleicht war des die falsche Antwort.«
Jochen schaute Toni an.
Toni wußte, was Jochen jetzt durch den Kopf ging. Gesa war also auf der Suche nach einem Vater für ihr Kind, der sie heiratet, und zwar sofort und auf der Stelle.
Toni stand auf.
»Ja, des war es, Jochen. Ich denke, wir beide wissen, daß des eine ganz verzwickte Geschichte ist. Du liebst die Gesa. Die Ina liebt den Dieter.«
Jochen nickte. Was ihm Toni erzählt hatte, erschütterte ihn. Gesa wollte Dieter bezahlen lassen für das Kind.
»Ich bin mir fast sicher, daß die Gesa von dem Geld, das sie dem Dieter abnehmen wollte, mir einen Lastwagen kaufen wollte. Nur so paßt des alles zusammen. Nur so kann des sein, oder?«
»Jochen, kläre das! Bald!«
Jochen nickte.
»Ja, das mache ich noch heute! Ich muß der Gesa ohnehin noch etwas Wichtiges sagen. Ich gehe nicht ins Ausland, um zu arbeiten. Ich steige als Juniorchef hier in die Spedition ein. Der Chef hat niemanden, der die Spedition übernehmen will. Als er gehört hat, daß ich gehen will, machte er mir das Angebot. Er hat mich schon lange als seinen Nachfolger ausgeguckt, sagt er.«
Toni gratulierte Jochen. Er freute sich für ihn. Dann könnte er Gesa doch heiraten, meinte Toni.
»Wenn ich sie jetzt noch will«, sagte Jochen leise.
»Jetzt rede keinen Schmarrn, Jochen!« sagte Toni. »Die Gesa liebt dich! Die hat sich an den reichen Erben des Wasmayr Hofes nur rangemacht, weil sie Geld für einen Lastwagen für dich rausschinden wollte. Des ist mir jetzt klar und des sollte dir auch klar sein. Die Gesa ist schon ganz schön raffiniert und schlau!«
Toni erinnerte die Geschichte mit Gesa an seine Anna. Sicherlich lag die Sache ganz verschieden. Aber auch Anna hatte damals Toni zu seinem Glück verholfen, nicht nur weil sie ihn liebte. Sie hatte ihm die Berghütte verschafft. Dabei hatte sie sich nicht einmal gescheut, den guten Pfarrer Zandler für ihre Pläne einzuspannen.
»Danke, Toni, daß du gekommen bist! Ich werde mit Gesa reden und noch viel mehr! Kannst dem Dieter sagen, daß ich mir sicher bin, daß es nur eine Intrige von Gesa war.«
»Das werde ich! Aber du solltest auch mit Dieter sprechen und mit Hans. Nur du kannst Hans dazu bringen, daß er Ina seine Machenschaft gesteht und das Komplott, bei dem er aus Eifersucht mitmachte.«
Die Männer standen auf. Sie schüttelten sich die Hände.
»Danke, Toni! Wir kennen uns noch net lang. Aber du bist ein echter Freund.«
»Nun, wenn du bald in Waldkogel wohnst, bei der Gesa auf dem Krumbacher Hof, dann sehen wir uns öfter, hoffe ich. Besuche uns doch mit deiner Gesa auf unserer Berghütte.«
»Besuchen werde ich dich! Aber nach Waldkogel kann ich net ziehen. Ich muß hier bleiben. Ich habe hier eine kleine Wohnung. Für einen hat sie gereicht, für zwei auch noch, aber für drei, da ist sie ein bissel zu klein. Aber ich bin mir sicher, daß es dafür auch eine Lösung geben wird.«
Jochen begleitete Toni zum Auto und sah ihm nach, wie er davonfuhr. Dann ging er wieder hinein.
Sein Chef und späterer Seniorpartner schenkte Jochen erst einmal einen Schnaps ein. Er war hoch erfreut über die Aussicht, daß Jochen Vater wurde.
»Mei, des ist ja eine schöne Nachricht! Dann gibt es bald eine weitere Generation.«
Jochen bat um Verständnis, daß er nicht gleich in Begeisterung ausbrach. Er mußte erst einmal mit Gesa sprechen.
*
Jochen fuhr danach nach Waldkogel auf den Krumbacher Hof. Er war dort, bevor Gesa von der Arbeit heimkam. Gesas Eltern wunderten sich über den jungen Burschen, der nach ihrer Tochter fragte und baten ihn ins Haus. Er war ihnen auf Anhieb sympathisch. Sie setzten sich an den Tisch in der Küche. Jochen stellte eine kleine Schachtel auf den Tisch und öffnete sie. Es waren Ringe darin. Er hatte sie noch schnell in Kirchwalden gekauft.
»Also, ich will die Gesa heiraten. Ich liebe sie! Darüber hinaus vermute ich, daß mich die Gesa bald zum Vater macht!«
Gesas Eltern, Franz und Alma Krumbach, schauten Jochen mit großen Augen an. Sie waren völlig überrascht.
Jochen erzählte alles, was er von Toni wußte. Sie hörten wortlos zu. Sie stellten keine Fragen. – Sie waren entsetzt.
»Wie kann des Madl so etwas machen?« fragte sich Alma Krumbach. »Du mußt ein guter Bursche sein, daß du die Gesa noch willst.«
»Ich liebe die Gesa! Es ist vielleicht auch ein bissel meine Schuld!«
Sie konnten nicht weiter reden. Gesa kam von der Arbeit. Sie erkannte Jochens kleines Privatauto auf dem Hof. Mit hochrotem Kopf betrat sie die Wohnküche.
Grußlos kam ihr Vater sofort zur Sache.
»Gesa, der Bursche hier sagt, er glaubt, daß du sein Kind unterm Herzen trägst. Wie ist es? Stimmt’s?«
Gesa wurde dunkelrot im Gesicht. Sie schaute auf den Boden. Wie ein Häufchen Elend stand sie mitten in der Wohnküche.
»Und wenn? Was macht das schon? Ich werde schon einen Vater für mein Kind bekommen. Der Jochen will mich ja net heiraten. Seine Pläne sind ihm wichtiger als ich. Ich komme erst ganz hinten. Erst will er einen kleinen Laster, dann einen großen und dann, wenn es gutgeht, heiratet er mich und will erst dann, wenn alles gesichert ist, Kinder.«
Gesa schaute Jochen jetzt an. Ihre Augen funkelten.
»Stimmt doch so, oder? Das sind doch genau deine Worte, oder?«
»Gesa! Ich wußte doch net…«
Gesa schnitt Jochen das Wort ab. Ihre Stimme klang bitter und wütend zugleich.
»Sei still! Wenn du mir zugehört hättest, dann… Aber jetzt ist es zu spät. Ich will dich nicht mehr! Kannst gleich wieder gehen.«
Gesas Vater schlug mit der Hand auf den Tisch.
»Der Dieter wird dich nicht heiraten! Das werde ich verhindern. Jochen weiß alles! Ich werde gleich zu Dieter gehen und ihm erzählen, daß er einem teuflischen Plan aufgesessen ist. Mein Madl, was hast dir nur dabei gedacht? Deine Mutter und ich, wir schämen uns für dich in Grund und Boden. Bist du denn ganz von Sinnen gewesen?«
»An Geld habe ich gedacht, Vater! Ist des so schlimm? Das, was mir der Dieter gegeben hätte, wäre genug gewesen, um die Schulden vom Hof zu bezahlen – und es hätte auch noch für einen Laster für Jochen gereicht«, brach es stolz aus Gesa hervor. »Damit wäre allen geholfen gewesen. Und der Dieter hat Geld. Des wäre für ihn kein Opfer gewesen. Die auf dem Wasmayr Hof haben immer Glück gehabt. Was ist dabei, eine gerechte Umverteilung vorzunehmen?«
Jochen sah die Tränen in Gesas Augen. Er hatte Mitleid.
Er ging auf sie zu und nahm sie in den Arm.
»Ich bin ein Narr gewesen, Gesa! Ich bin auch mitschuldig! Wir bringen das wieder in Ordnung – zusammen! Doch zuerst will ich dir sagen, daß ich dich gern heiraten will – net irgendwann – sondern so schnell als möglich. Willst du?«
»Und deine Pläne? Deine Lastwagen? Deine Sicherheit?«
»Willst du? Antworte, Gesa!«
Gesa sah Jochen in die Augen.
»Wie kannst du des fragen, Jochen! Natürlich will ich! Ich wollte immer nur dich! Du hast doch nicht gewollt. Bist wie besessen gewesen von deinen Plänen.«
Glücklich schloß Jochen seine Gesa in die Arme.
»Ach, Gesa! Ich liebe dich! Ich liebe dich!«
»Wirklich? Trotzdem? Obwohl ich so dummes Zeug gemacht habe?«
»Ich liebe dich!« wiederholte Jochen zärtlich.
»Ich liebe dich doch auch so sehr, Jochen! Ich habe mir das Ganze ausgedacht, weil…«
Weiter kam Gesa nicht. Jochen verschloß ihr den Mund mit einem Kuß. Gesa war glücklich. Sie ließ sich in seine Arme fallen und erwiderte seine innigen Küsse.
Zum Feiern blieb den beiden keine Zeit. Franz Krumbach trieb sie an, sich sofort mit Dieter in Verbindung zu setzen. Jochen rief Toni auf der Berghütte an. Er erfuhr, daß Dieter auf dem Weg nach Waldkogel war, nachdem er vergeblich auf Ina beim »Erkerchen« gewartet hatte. Er wollte zu Tonis Eltern. Dort in der Pension hatte sich Ina einquartiert.
»Dann gehen wir auch dahin!« entschied Jochen.
Er nahm Gesa bei der Hand und zog sie fort.
*
Ina hatte sich bei Tonis Eltern in ihrem Zimmer eingeschlossen. Sie lag auf dem Bett und weinte in die Kissen. Sie öffnete nicht. Kurz entschlossen trat Jochen die Tür ein.
Ina schreckte im Bett auf.
»Was wollen Sie?« kreischte Ina.
»Ich bin Jochen! Das ist Gesa, meine Braut!«
Ina starrte Gesa an.
»Ina, es tut mir so leid! Es war nichts zwischen mir und Dieter. Ich wollte ihn nur glauben lassen, daß… Verzeih mir! Kannst du mir verzeihen?«
Statt einer Antwort sprang Ina auf. Sie wischte sich die Tränen ab.
»Wo ist Dieter? Ich muß sofort zu ihm! Sofort!«
Ina zog ihre Schuhe an und schlüpfte in ihre Wanderjacke. Sie wollte aus dem Zimmer rennen. Jochen hielt sie fest.
»Langsam, Madl! Dein Dieter ist auf dem Weg hierher. Ich habe mit Toni telefoniert. Er muß bald da sein.«
Schritte hallten im Treppenhaus. Dann stand Dieter in der offenen Tür.
»Ina! Liebste Ina!«
»Dieter! Mein Dieter!«
Sie lagen sich in den Armen und küßten sich. Ina zitterte am ganzen Körper.
»Jetzt zitterst du, Ina. Warum?«
»Ach, Dieter! Ich bin so glücklich! Ich dachte schon, ich hätte dich verloren! Jetzt habe ich dich wieder!«
»Und ich lasse dich auch nicht wieder los! Nie mehr! Ich bringe dich jetzt sofort heim zu meinen Eltern auf den Wasmayr Hof.«
»Das geht nicht! Ich sehe schrecklich aus! Schau mich an! Deine Eltern bekommen ja einen Schreck!«
Dieter lachte aus vollem Herzen.
»Den bekommen sie so oder so! Die rechnen mit allem – Unwetter, Überschwemmung, Blitzeinschlag, Maul- und Klauenseuche, alles was sich Menschen vorstellen können. Daß ich ihnen ein Madl bringe, meine Braut, damit rechnen sie net. Das wird eine schöne Überraschung sein.«
Doch Gesa sprang Ina hilfreich zur Seite.
»Ich habe bei dir etwas gutzumachen, Ina! Komm mit mir! Ihr Burschen, euch treffen wir in einer halben Stunde auf dem Marktplatz. Bis dorthin könnt ihr Männer das Türschloß wieder einsetzen und anschrauben.«
Gesa brachte Ina zum Andenken- und Trachtenladen Boller. Dort kaufte sie für Ina ein schönes blaues Dirndl, dazu weiße Strümpfe, Haferlschuhe und ein großes Umschlagtuch mit Fransen.
»So gefällst du mir gut, Ina! Das nimm als Geschenk – sozusagen als Wiedergutmachung! Jetzt schaust du so fesch aus, wie es sich für die zukünftige Bäuerin auf dem Wasmayr Hof gehört.«
Draußen auf dem Marktplatz warteten schon Jochen und Dieter. Sie waren genau wie Ina und Gesa schnell Freunde geworden. Die beiden Paare spazierten Hand in Hand die Straße entlang. Besonders Dieter genoß die Blicke. Jeder, der ihn mit seiner Ina sah, wunderte sich und staunte über das fesche blonde Madl im blauen Dirndl an seiner Seite.
Am meisten staunten aber seine Eltern. Überglücklich schlossen sie Ina in die Arme.
Gesa und Jochen heirateten in Kirchwalden im kleinen Kreis. Gesa zog zu ihrem Mann in die kleine Wohnung auf dem Speditionsgelände. Später wollten sie die Wohnung ausbauen und vergrößern. Als Juniorchef gab Jochen seinem Schwiegervater Arbeit in der Spedition. So blieb die Familie zusammen. Franz Krumbach verpachtete den Hof an den Wasmayrbauern, der ihn mitbewirtschaftete.
Dieter und Ina heirateten im Spätsommer, nachdem Dieter von seinem Onkel die Hälfte des Hofes überschrieben bekommen hatte.
Es wurde eine große Hochzeit gefeiert.
Ina und Dieter wurden sehr glücklich. Dieter und Hans hatten sich ausgesprochen. Trotzdem dauerte es eine Weile, bis die Freundschaft der beiden wieder die alte Qualität erreichte.
Gesa bekam einen Jungen. Sie war sehr glücklich und Jochen der stolzeste Vater, den man sich vorstellen konnte.
Ina und Dieter wurden im ersten Jahr ihrer Ehe Eltern einer Tochter.