Читать книгу Toni der Hüttenwirt Paket 2 – Heimatroman - Friederike von Buchner - Страница 12

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Es war früher Nachmittag. Antonius Baumberger, von allen nur Toni gerufen, parkte seinen Geländewagen auf dem Hof seiner Eltern. Eine Gruppe von Gästen verließ das Wirtshaus »Beim Baumberger«, mit der kleinen familiären Pension, das seinen Eltern Xaver und Meta Baumberger gehörte.

Toni holte einige Einkaufstüten aus dem Kofferraum. Er ging um das Haus herum und betrat die Küche hinter der Wirtsstube vom Garten aus.

»Grüß Gott!“ Toni lächelte seiner Mutter zu, die am Spülbecken stand und das Geschirr spülte.

»Grüß Gott, Toni! Mei, bin ich froh, daß du hier bist!«

»Ich habe dir auch die Einkäufe aus Kirchwalden mitgebracht.«

Toni stellte die Tüten in die Ecke neben der Tür, die zur geräumigen Speisekammer führte.

Meta Baumberger seufzte.

»Es geht net um die Einkäufe! Es ist wegen der Kinder! Die Franzi und der Basti, die sollten doch hier bei uns auf dich warten. Doch die haben sich mächtig gestritten. Richtig gefetzt haben sie sich!«

»Mei, des kann ich kaum glauben. Die beiden gehen doch sonst so liebvoll miteinander um.«

»Heut’ net! Die haben sich richtig gefetzt!«

»Was sagst, Mutter? Ja, haben sie sich geprügelt?«

»Naa, des net! Aber viel hat nimmer dazu gefehlt. Der Basti hat dann seine Sachen gepackt und ist alleine los. Der Pfarrer Zandler war auf dem Weg zur Oberländer Alm. Der hielt an und fragte, ob er die beiden mitnehmen könnte. Der Basti packte seine Sachen und lief schnell zum Auto. Die Franzi wollte hier bleiben. Sie wollte auf keinen Fall mit ihrem Bruder fahren.«

»Deswegen haben sie sich gezankt?«

»Naa, Toni, naa! Des hat schon früher angefangen. Die sind heut’ früher aus der Schule gekommen. Die Franzi war sehr verschlossen. Richtig brummig war des Madl. Streitsüchtig ist es gewesen. Des hättest erleben müssen. Schlimm ist es gewesen. Alle Gäste haben des mitbekommen. Die beiden sind aufeinander los wie Hund und Katz’.«

Toni schüttelte verständnislos den Kopf. Er holte einen Becher und schenkte sich Kaffee ein. Hunger hatte er keinen. Wie meistens, wenn er in Kirchwalden war, hatte er sich für einen Imbiß mit seinem Freund Leo Gasser getroffen, dem Leiter der Bergwacht.

»Wo ist die Franzi jetzt?«

»Sie sitzt draußen am Stammtisch und macht ihre Hausaufgaben!«

Toni schaute durch die offene Küchentür. Franziska Bichler saß über einem Heft und schrieb. Ihre blonden Locken fielen ihr ins Gesicht. Toni wurde es ganz warm ums Herz, als er das kleine Mädchen so betrachtete.

»Dann sollte ich mal mit der Franzi reden, denke ich.«

»Des kannst ja versuchen, vielleicht hast du mehr Erfolg als deine Mutter!«

Toni grüßte seinen Vater. Er hatte am Tresen Biergläser und Schnapsgläser gesäubert. Damit war er jetzt fertig. Er kam in die Küche und nahm sich auch einen Kaffee.

»Die Meta hat mit Engelszungen geredet. Des kannst glauben. Aber die Franzi sagt nix. Der Basti weiß auch nix. Aber es muß doch einen Grund geben, warum des Kindchen auf der einen Seite so kratzbürstig ist und auf der anderen Seite so still. Es ist kein Wort aus ihr rauszubekommen.«

»Mei, des hört sich net gut an.«

Toni rieb sich das Kinn. Er überlegte.

Franziska und Sebastian lebten nun schon länger bei ihnen auf der Berghütte. Nach dem tragischen Unfalltod ihrer Eltern, gaben Toni und seine Frau Anna den Kindern auf der Berghütte ein Heim. Schnell waren sie zu einer richtigen Familie zusammengewachsen. Sicherlich brauchte es Zeit, bis die beiden Vollwaisen ihre erste tiefe Trauer verarbeitet hatten. Doch die beiden schienen glücklich zu sein. Sie stritten kaum.

Toni erinnerte sich, wie es damals war, als er und seine Schwester Maria in dem Alter der Bichler Kinder waren. Wir waren wirklich an manchen Tagen wie Hund’ und Katz’, dachte Toni. Wenn Franziska nicht reden möchte, dann hat es wohl wenig Sinn, sie zu bedrängen, überlegte Toni. Sicherlich war es besser zu warten, bis Franziska von alleine darüber sprechen wollte. Vielleicht würde sie Anna etwas erzählen.

Toni stand auf. Er ging zu Franzi, strich ihr über das Haar und warf einen Blick auf ihr Heft.

»Tust aber heute besonders schön schreiben. Bist bald fertig?«

Franziska antwortete nicht. Sie hörte auf zu schreiben, drehte ihren Schulfüller zu und packte ihre Sachen. Sie zog ihre Jacke an und schulterte ihren Rucksack.

Anstatt Tonis Eltern zum Abschied zu umarmen, warf ihnen Franziska nur einen Gruß zu. Dann ging sie durch die Vordertür hinaus und setzte sich ins Auto.

»Mei, mit dem Kind stimmt was net. Mit der stimmt wirklich was net! So hat sich die Franzi noch nie verhalten.«

»Sag’ ich doch, Toni! Ganz sonderbar ist die Franzi heut’!« seufzte Tonis Mutter. »Mußt uns gleich anrufen, wenn du herausgefunden hast, was des Kind bedrückt, hörst du, Toni!«

»Versprochen!«

Toni verabschiedete sich herzlich von seinen Eltern. Er nahm den großen Rucksack mit zum Auto. Seine Eltern hatten ihm Lebensmittel für die Berghütte eingepackt.

Toni verstaute den Rucksack im Kofferraum seines Geländewagens. Er stieg ein, warf einen prüfenden Blick in den Rückspiegel und fuhr los. Den ganzen Weg bis hinauf zur Oberländer Alm schaute Franzi aus dem Seitenfenster. Toni kam es vor, als vermeide Franziska den Blickkontakt mit ihm.

Langsam schob sich der Geländewagen den Milchpfad hinauf. In der Nacht zuvor war ein heftiger Regenschauer niedergegangen, der viel Sand und Schlamm auf den Milchpfad gespült hatte.

Sie hielten hinter der Oberländer Alm. Das letzte Stück bis zur Berghütte mußten sie zu Fuß gehen. Es führte keine Straße hinauf.

»Mei, da seid ihr ja! Grüß dich, Toni! Grüß Gott, Franzi! Der Basti wollte nicht auf euch warten. Der ist schon vor mehr als einer Stunde aufgebrochen,« erzählte Wenzel Oberländer.

Hildegard, seine Frau, die von allen Hilda gerufen wurde, trat hinzu.

»Grüß Gott, Toni! Du, des war heute merkwürdig mit dem Basti. Der Pfarrer Zandler hat ihn mit raufgebracht. Der wollte aber net bleiben. Reden wollte er auch nicht. Er ist gleich weiter. Selbst von meinem Apfelstrudel wollt’ der Bub heut’ net kosten. Des hat mich doch sehr g’wundert. Dabei tut er ihn doch so gerne essen. Kein Wort hat er gesagt. Antwort hat er auch net gegeben. Er hat sich einfach rumgedreht und ist davongelaufen. Mei, so kenne ich den Basti net! Ich mache mir schon Gedanken, ob der Bub vielleicht krank wird.«

Toni schüttelte den Kopf. Er sah Franziska nach, die in großen Schritten den Bergpfad hinaufeilte.

»Da mußt du dir keine Gedanken machen, Hilda! Der Basti wird net krank. Die beiden Kinder haben Streit. Meine Eltern haben es mir auch schon erzählt. Aber um was es dabei geht, haben sie nicht rausfinden können. Die haben sich nur mächtig gezofft. Vielleicht legt es sich wieder. Manchmal ist es gut, wenn man sich net einmischen tut. Ich werde aber mit dem Basti reden. Des geht net, daß er sich schlecht benehmen tut. Vor allem, wenn du ihm sogar Apfelstrudel angeboten hast, Hilda. Da kann ich mich nur für ihn entschuldigen, Hilda!«

Toni lächelte Hilda Oberländer an.

»Mach’ dir keine Gedanken, Toni! Wie heißt es? Kleine Kinder, kleine Sorgen – große Kinder, große Sorgen!«

Toni verabschiedete sich von Wenzel und Hilda Oberländer. Er schulterte den Rucksack und griff sich mit beiden Händen die Einkaufstüten. Er hatte in Kirchwalden viel eingekauft. Annas Liste war lang gewesen.

Franziska lief schnell. Toni beobachtete sie. Er bemühte sich nicht sie einzuholen. Der Vorsprung vergrößerte sich immer mehr zwischen den beiden. Die Franzi will ihre Ruhe haben, dann laß ich sie, dachte er.

Der alte Alois, von dem Toni und Anna die Berghütte übernommen hatten, saß auf der Terrasse der Berghütte. Anna eilte hin und her und bediente die Hüttengäste.

»Anna!« winkte der alte Alois sie herbei.

Er deutete mit seinem Gehstock in die Richtung, aus der Franzi auf die Berghütte zukam.

»Schau, Anna! Da kommt die Franzi! Sie ist alleine! Hat Toni angerufen, daß er länger in Kirchwalden bleiben tut?«

»Nein! Toni ist auch unterwegs. Der wird bald hier sein!«

Franziska erreichte die Berghütte. Sie grüßte leise, kaum hörbar, und ging an Anna und dem alten Alois vorbei. Anna stellte das Tablett ab und lief ihr nach. Franziska ging sofort in ihr Zimmer. Es gelang ihr, vor Anna die Tür zu verschließen.

Anna klopfte leise.

»Franzi! Was hast du?«

Anna bekam keine Antwort. Sie redete eine Weile mit Franzi durch die geschlossene Tür. Dann machte Franziska von innen auf.

Anna nahm Franzi in den Arm.

»Was hast du? Kann ich dir helfen?«

Die kleine Franziska schüttelte den Kopf. Sie drückte sich fest an Anna. Anna hielt Franziska ganz fest. Sie gab ihr einen Kuß auf das hellblonde Haar.

»Also, wenn du jetzt nicht sprechen magst, dann ist das nicht schlimm. Ich muß auch wieder raus. Willst mitkommen und mir helfen?«

Franzi schüttelte den Kopf.

»Hör mal, Franzi! Du weißt aber, daß du mit mir immer über alles reden kannst?«

Keine Antwort.

»Hast du eine schlechte Note bekommen? Gab’s Ärger in der Schule?«

Franziska nickte.

»Die sind alle doof! Der Basti ist auch doof! Der hat mir nicht beigestanden!«

Anna schmunzelte.

»Weißt, Buben sind gelegentlich sehr sonderbar! Soll ich mit dem Basti reden?«

»Naa!«

Anna fuhr Franziska noch einmal über das Haar.

»Weißt was? Ich habe eine gute Idee! Wir warten, bis der Toni da ist. Dann machen wir beide eine schöne Wanderung. Wir machen einen Spaziergang zum ›Erkerchen‹. Nur wir zwei!« Anna lächelte. »Wir beiden Frauen! Den Toni und den Sebastian und den alten Alois, die lassen wir alleine hier. Sollen sie sehen, wie sie ohne uns klarkommen! Was meinst du, Franzi?«

Sie hörten Toni. Anna rief ihm zu, daß sie beschäftigt sei und er sich einen Augenblick gedulden müsse. Toni warf einen Blick durch die offene Tür von Franziskas Kinderzimmer. Er verschwand aber sofort wieder.

»Anna! Bist du die Stiefmutter von mir und Basti?« fragte Franziska leise.

Annas Herz fing an zu klopfen.

»Geht es darum?«

»Mmm!« brummte Franziska.

Dann erzählte sie Anna von dem Kummer, der ihr kleines Kinderherz bedrückte. Im Schulunterricht hatte die Lehrerin eine Geschichte erzählt. Darin war eine Stiefmutter vorgekommen. Ein Junge hatte darauf Franziska geärgert, weil sie ja auch eine Stiefmutter hätte.

»Dagegen hab’ ich mich gewehrt. Du bist nicht böse, Anna. Du bist ganz lieb!«

Auf dem Heimweg von der Schule hatte Franziska ihrem älteren Bruder ihr Leid geklagt. Doch Sebastian meinte, daß Anna schon eine Stiefmutter sei, weil sie nun ja nicht ihre richtige Mutter sei und Toni sei ein Stiefvater. Doch der kleinen Franziska hatte das nicht behagt. Sie hatte sich gegen diese Bezeichnung von Anna und Toni gewehrt. Darüber waren die beiden Geschwister in heftigen Streit geraten.

Anna hörte zu und schmunzelte.

»Eine Stiefmutter will ich nicht sein und Toni auch kein Stiefvater. Ich bin glücklich, daß ich in deinem Herzen einen winzigen Platz habe. Der Platz im Herzen muß immer deiner wirkliche Mutter gehören, Franzi, auch wenn sie gestorben ist. Es freut mich aber wirklich, wenn du mich ein wenig wie eine Mutter annimmst. Man sagt Pflegemutter, Pflegevater und Pflegeeltern dazu.«

Franziska schüttelte heftig den Kopf.

»Naa, des gefällt mir auch net. Ich bin doch net krank und der Basti auch net. Wir brauchen keine Pflege!«

Anna lachte laut.

»Ach, mein gutes Herzchen! Wie soll ich dir das erklären?«

»Ihr seid genau so wie richtige Eltern!«

»Das hast du lieb gesagt, Franzi.«

Anna wurde es ganz warm ums Herz.

»Ihr seid auch wie richtige Kinder!«

»Warum wollt ihr uns dann nicht adoptieren?«

Anna war von dieser Frage überrascht.

»Ist das so wichtig? Wir haben euch doch auch so lieb und sind wie eine Familie. Ihr dürft für immer bei uns bleiben. Es ist doch genauso, als hätten wir euch angenommen.«

»Naa, Anna, naa! Dann würde ich Franziska Baumberger heißen und nicht mehr Franziska Bichler! Dann könnte niemand mehr denken, daß ihr Stiefeltern seid.«

Anna nahm die kleine Franziska fest in den Arm.

»Das hat auch etwas mit den Ämtern zu tun, Franzi. Aber ich verspreche dir, daß ich mit Toni darüber sprechen werde.«

»Das mußt du bald machen, Anna!«

»Ich verspreche dir, daß ich noch heute mit Toni rede! Großes Indianerehrenwort.«

Anna drückte Franziska einen Kuß auf das Haar. Dann stand sie auf.

»So, jetzt muß ich wieder an die Arbeit! Kommst mit? Ich habe so viel Arbeit und würde mich sehr freuen, wenn mein kleines Madl mir dabei helfen würde.«

Franziska nickte eifrig.

Sie gingen zusammen hinaus.

Alois stand hinter dem Tresen und zapfte Bier. Toni war in der Küche und bereitete eine Brotzeit zu.

»Wo ist Basti?« fragte Anna.

»Den habe ich zum Holzplatz geschickt. Er soll das Holz, das ich gestern gehackt habe, im Schuppen aufhäufen. Dabei kommt er auf andere Gedanken. Der Basti ist auch ein bisserl brummig heute.«

»Des kommt, weil wir gestritten haben«, sagte Franziska leise.

»Des kommt immer mal vor, Franzi. Wie habe ich mich als Bub mit der Maria gezankt! Wir haben jeden Tag gestritten. Da kannst du Großmutter Meta und Großvater Xaver fragen. Wir, die Maria und ich, wir waren damals nicht so brav wie du und Basti. Des kannst mir glauben. Zum Leben gehört auch mal ein richtiger Streit. Habt ihr euch wieder versöhnt?«

»Net so richtig«, flüsterte Franzi leise.

»Weißt, mit dem Versöhnen ist des manchmal net so einfach. Am besten ist, wenn man was zusammen macht. Hast net Lust, dem Basti zu helfen?«

»Ich könnte es mal probieren. Aber was ist, wenn der Basti nicht will, daß ich ihm helfe?«

Toni schmunzelte.

»Geh’ schon! Sag’ ihm, daß die Anna und ich dich schicken. Anschließend könnt ihr noch den Holzplatz fegen Außerdem ist der Bello schon zwei Tage nicht mehr gebürstet worden. Des könnt ihr auch noch machen.«

Franziska lief hinaus.

Anna seufzte. Sie berichtete Toni von ihrem Gespräch mit Franzi. Toni war auch überrascht, daß Franzi Anna direkt gefragt hatte, warum sie nicht adoptiert wurden.

»Vielleicht wollen sie adoptiert werden, damit sie die Gewißheit haben, daß sie für immer bei uns bleiben können. Sie haben wohl immer noch Angst vor dem Kinderheim«, überlegte Toni.

Er nahm sich vor, Franzi morgen in die Schule zu bringen und mit der Lehrerin zu sprechen. Märchen, in denen böse Stiefmütter die Kinder davonjagen, waren schlimm für Franzi. Die brachten sie wohl ganz schön durcheinander. Toni nahm sich auch vor, mit Pfarrer Zandler zu reden. Er sollte als Geistlicher noch einmal mit den Kindern reden und ihnen den Rest an Sorgen nehmen.

»Die Kinder haben sich gut eingelebt, Toni. Die Berghütte ist ihre Heimat geworden.«

»Ja, Anna, das dachte ich auch. Das hoffte ich. Ich werde mit der Lehrerin reden und mit Pfarrer Zandler und mit dem Fritz Fellbacher.«

Eine weitere Gruppe Wanderer kam auf die Berghütte. Anna und Toni hatten viel zu tun. Es war auch alles gesagt.

*

Der Bus, der mehrmals täglich von Kirchwalden nach Waldkogel fuhr, war bis auf den letzten Platz besetzt. Weil es in der Nacht heftig geregnet hatte, fuhren viele Pendler mit dem Bus zur Arbeit. Heidi Fröhlich saß am Fenster. Sie arbeitete in der Küche einer Gaststätte in Kirchwalden. Es gab drei Schichten: Frühschicht, Mittelschicht und die Abendschicht, die oft erst um zweiundzwanzig Uhr endete. Heidi war froh, daß sie drei Wochen Mittelschicht machen konnte. Da mußte sie morgens nicht so früh aufstehen und es wurde auch abends nicht so spät. Sie freute sich auf ihr gemütliches Heim. Heidi bewohnte ein kleines Haus am Ende einer Seitenstraße, die auf die Hauptstraße mündet. In dem Haus war sie geboren. Ihre Mutter war schon im Kindbett gestorben. Ihr Vater lebte seit zwei Jahren nicht mehr. Das Leben war hart zu Heidi gewesen. Trotzdem war sie immer fröhlich. Vielleicht trug auch ihr Familienname »Fröhlich« zu ihrer freundlichen und fröhlichen Art bei.

Heidi schaute aus den Fenster. Sie lächelte still. Sie war glücklich. Bald war sie daheim. Sie wollte eine Dusche nehmen und sich etwas zu essen machen. Anschließend würde sie in den Forst gehen. Sie war mit Gerd Eichinger verabredet. Sie trafen sich häufig auf dem Hochsitz. Das ging jetzt schon einige Wochen so.

Gerd Eichinger war der Erbe des stattlichen Eichinger Hofes. Dazu gehörte viel Wald. Gerd, der ein leidenschaftlicher Reiter war, ritt jeden Abend aus. Er beobachtete das Wild und genoß die Abendstimmung am Rande der Lichtung.

Es war Zufall gewesen, daß sie sich im Wald begegnet waren, als Heidi Pilze und Heidelbeeren suchte. Sie wußte, daß sie auf Privatbesitz war. Es war ihr damals sehr peinlich gewesen. Doch Gerd hatte nur gelacht und ihr gesagt, sie könne immer herkommen. Schon in den kommenden Tagen traf sie dabei immer wieder auf Gerd. Aus anfänglichen belanglosen Gesprächen war mehr geworden. Sie stellten fest, daß sie über viele Dinge ähnlich oder genauso dachten. Schließlich verabredeten sie sich beim Hochsitz. Bald wurde der Hochsitz ihr Treffpunkt.

Gerd und Heidi erlebten dort gemeinsam wunderschöne Sonnenuntergänge. Sie blieben oft bis spät in die Nacht, wenn Heidi am nächsten Tag nicht so früh aufstehen mußte oder frei hatte. Es kam, wie es kommen mußte. Aus anfänglicher Freundschaft wurde Liebe. Dabei näherten sich ihre Herzen behutsam. Es war nicht die plötzlich hereinbrechende Liebe. Es war eine tiefe, eine sehr tiefe Zuneigung, von der sie eines Tages erkannten, daß es Liebe war. Gerd war ein ruhiger junger Bursche, der alles wohl überlegte. Das gefiel Heidi.

Es dauerte lange, bis sie Gerds vielen Liebesbeteuerungen wirklich glaubte. Heidi konnte es nicht begreifen, daß er sie wirklich liebte. Er war der Erbe des stattlichen und reichen Eichinger Hofes. Sie war nur ein einfaches Madl ohne große Mitgift.

Heidi konnte von ihrem schmalen Gehalt nicht viel sparen. Sie wollte unbedingt das Haus halten, in dem sie groß geworden war. Es war von der Gemeinde Waldkogel gemietet. Heidi träumte davon, es eines Tages kaufen zu können. Das war aber, bevor sie sich in Gerd, den Hoferben vom Eichinger Hof, verliebt hatte.

Heidi machte sich Gedanken, wann Gerd sie einmal mit auf den Eichinger Hof nehmen würde. Aber sie war ein stilles Madl, bescheiden und fleißig. Sie wagte es nicht, ihn direkt zu fragen. Sie begnügte sich damit, daß sie sich auf dem Hochsitz trafen. Einige Male war Gerd abends daheim bei Heidi gewesen, nachdem sie von der Spätschicht gekommen war. Zwei Bergwanderungen hatten sie gemacht. Heidi wurde es warm ums Herz, als sie daran dachte. Sie waren von Waldkogel den »Pilgerpfad« hinaufgewandert, dann in Richtung »Erkerchen« abgebogen. Der Rückweg führte sie an der Berghütte vorbei, hinunter zur Oberländer Alm und dann weiter den Berg hinunter.

Heidi wäre damals gern in der Berghütte eingekehrt. Aber Gerd wollte nicht. So gingen sie über das Geröllfeld und schlugen gleich den Weg zur Oberländer Alm ein.

Manchmal überkamen Heidi Zweifel an Gerds Liebe. Doch die verdrängte sie schnell und erinnerte sich an das Schöne.

Sie schaute weiter aus dem Fenster und spielte in Gedanken mit den Fransen ihres Schultertuches.

Der Bus fuhr um die Kurve. Heidi stockte das Herz. Mit großen Augen starrte sie aus dem Fenster. Über die Wiese ritt Gerd. Es war zweifellos Gerd Eichinger auf seinem Rappen. Aber er saß nicht alleine auf dem Pferd. Hinter ihm saß ein Madl. Heidi erkannte es sofort. Es war Dora, eine der Töchter des Almer Hofes. Sie schmiegte ihren Kopf von hinten an Gerds Schultern und Rücken. Sie umklammerte ihn! Heidi gab dieser Anblick einen Stich in ihr Herz.

Hat Gerd auch etwas mit Dora Almer?

Ist das der Grund, warum er sich mit mir fast immer nur heimlich trifft?

Bin ich nur Zeitvertreib?

Macht er mir etwas vor?

Liebt er auch Dora?

Die Gedanken in Heidis Kopf schossen wild durcheinander. Ihr Herz klopfte. Sie legte die Hand auf ihre Brust und atmete durch. Der Bus fuhr um die nächste Kurve. Heidi konnte die beiden nicht mehr beobachten. Vom inneren Schmerz fast ohnmächtig lehnte sich Heidi auf ihrem Sitz zurück und schloß die Augen.

Das kann doch alles nur ein böser Traum sein, dachte sie. Gleichzeitig wußte sie, daß sie sich nicht getäuscht hatte. Gerd war mit Dora hinten auf seinem Pferd über die Wiesen geritten. Das mußte doch etwas bedeuten. Das konnte nicht anders ein. Er hat was mit ihr, so wie er etwas mit mir hat, dachte Dora. Sie kämpfte mit den Tränen.

Soll ich ihn zur Rede stellen, überlegte Heidi. Sie wog ab. Würde er ihr die Wahrheit sagen? Konnte sie sich auf diese Wahrheit verlassen?

Heidi wußte nur eines: Sie mußte Gewißheit haben.

Der Bus hielt in Waldkogel. Wie in Trance stieg Heidi als Letzte aus dem Bus. Wie benommen ging sie die Hauptstraße entlang und bog in die kleinen Seitenstraße ein. Sie war froh, daß sie niemand ansprach. Endlich daheim, sank sie auf einen Stuhl und barg ihren Kopf auf der Tischplatte in ihren Armen.

Es war ihr, als stürze eine Welt zusammen. Alles war plötzlich so klar.

Gerd hat mir nur Liebe vorgeheuchelt. Dessen war sich Heidi ganz sicher. Sie stand auf und schleppte sich wie eine alte Frau in ihr Schlafzimmer. Dort auf dem Nachttisch neben ihrem Bett lag ihr Tagebuch. Sie blätterte darin. Sie zählte die Tage, Wochen, seit dem Augenblick, als Gerd ihr seine Liebe gestanden hatte. Während sie die Zeilen las, die sie damals im Taumel des Glücks geschrieben hatte, tropften Tränen auf das Papier.

Heidi legte ihr Tagebuch zur Seite. Sie legte sich auf das Bett und schloß die Augen. In Gedanken verglich sie sich mit Dora Almer.

Wie konnte ich mir nur so etwas vormachen?

Wer bin ich schon?

Heidi Fröhlich, Küchenaushilfe in Waldkogel, Tochter eines Waldarbeiters.

Wer ist Dora Almer?

Mittlere Tochter des Almerbauers. Der Almer Hof war ein angesehener Hof. Dort wurde noch Vollerwerbslandwirtschaft betrieben. Zum Almer Hof gehört eine Hochalm. Auf der weideten jetzt im Sommer viele Kühe. Sie vermieteten auch Zimmer. Auf dem weitläufigen Grund des Almer Hofes, der etwas außerhalb von Waldkogel lag, hatte der Almerbauer mehrere Ferienhäuser gebaut.

Ja, die Dora, die kann sich sehen lassen. Jeder wird sagen, daß sie besser zu Gerd paßt als ich. Heidi grämte sich sehr. Dann dachte sie, was ist, wenn es ein Irrtum ist. Vielleicht war alles ganz harmlos?

Doch das konnte oder wollte Heidi nicht recht glauben. Schließlich hatte sie gesehen, was sie gesehen hatte. Für Heidi gab es keinen Zweifel. Dora Almer hatte sich richtig fest an Gerd angeschmiegt. Dabei war das nicht notwendig gewesen. So schnell war Gerd nicht geritten.

Ich muß Gewißheit haben, dachte Heidi.

Ich muß herausfinden, ob Dora Almer das Madl von Gerd ist.

Heidi grübelte und grübelte. Wie sollte sie das herausfinden?

Heidi stand auf. Sie nahm eine kalte Dusche. Dann machte sie sich Abendbrot. An jedem anderen Tag wäre sie danach zum Hochsitz gegangen, um Gerd zu treffen. Doch jetzt zweifelte Heidi an seiner Liebe.

Was passiert, wenn ich nicht gehe?

Wird er mich vermissen?

Wird er denken, daß ich Spätschicht habe und später hierher kommen?

Aber auch dann kann ich seiner Liebe nicht sicher sein, erkannte Heidi.

Vielleicht spielt er nur mit mir?

Sicherlich spielt er nur mit mir! Das gibt es doch oft. Jeder Mensch hat Sehnsucht nach Liebe, auch ein Gerd Eichinger. Die Dora vom Almerhof, die stellt etwas dar. Mit der muß er anders umgehen. Ein solches Madl, das läßt sich nicht durch schöne Worte verführen. Ein solches Madl, dem muß ein Bursche beweisen, daß er es ernst meint. Er muß es mit heimnehmen und der Familie vorstellen. Er geht abends mit ihm durch das Dorf, damit alle sehen können, sie gehören zusammen. Er muß feste Absichten haben, sonst hätte sie sich nicht so an ihn geklammert. Sie müssen ein Paar sein.

Heidi, die immer noch den Bademantel trug, zog sich an. Sie wählte eine dunkelblaue Hose und einen schwarzen Pullover. Heidi zog ihre Schuhe an, steckte ihren Hausschlüssel ein und ging los. Es war Nacht. Die Straßen von Waldkogel waren leer. Aus den offenen Fenstern der Häuser drang Licht.

*

Heidi schlug den Weg zum Eichinger Hof ein. Auch dort brannte noch Licht. Leise schlich Heidi hinter die Autos, die auf dem Hof standen. Das sind bestimmt die Wagen der Feriengäste, dachte Heidi. Hoffentlich kommt jetzt niemand und will wegfahren. Sie hatte den Platz gut gewählt. Heidi konnte durch die offenen Fenster in die große Wohnküche sehen. Gerd und seine Eltern saßen am Tisch. Neben Gerd saß Dora. Es waren auch noch andere da. Sicherlich sind das Feriengäste, überlegte Heidi. Es wurde laut geredet und gelacht. Leider konnte Heidi die Gespräche nicht genau hören. Immer wieder schaute sie aus ihrem Versteck sehnsuchtsvoll zu Gerd. Er sah fröhlich aus. Alle tranken Bier. Gerd stieß mit Dora an. Sie tranken.

So ging das noch über eine Stunde. Dann kam Gerd mit Dora heraus.

»Das war ein wunderschöner Abend, Gerd! Danke! Deine Eltern sind so liebe Leute.«

»Freut mich, wenn es dir gefallen hat, Dora!«

Dora schaute hinauf in den Nachthimmel.

»Wie schön die Sterne sind. Es ist keine Wolke am Himmel heute nacht.«

»Ja, es ist schön heute nacht!«

»Und nicht ganz so dunkel und unheimlich wie es die Tage gewesen ist. Ich meine, wegen dem Sturm und den Wolken. Das war schlimm. Richtig unheimlich war es. Der Mond war auch nicht zu sehen. Heute sieht man ihn. Nun ja, ich werde den Weg nach Hause schon finden.«

»Ach, jetzt begreife ich, Dora! Du willst mir sagen, daß du ein bisserl Angst vor der Dunkelheit hast?«

»Angst würde ich es nicht gerade nennen. Aber ich bin nicht gerne alleine in der Dunkelheit unterwegs.«

»Dann bringe ich dich schnell heim. Komm mit! Mein Auto steht dahinten in der Garage.«

»Ach, Gerd, für die paar Meter müssen wir doch nicht das Auto nehmen. Wenn du mit mir gehst, dann laufen wir über die Felder. Willst du?«

»Über die Felder? Wenn du unbedingt willst. Es ist eine Abkürzung, aber dort gibt es keine Straßenlaternen. Ich will nicht, daß du stolperst, Dora!«

Dora lachte laut. Heidi hörte es.

»Wenn du mich bei der Hand nimmst, dann wird mir schon nichts passieren, Gerd!«

Dora trat ganz dicht an Gerd heran und nahm seine Hand.

»Dann laß uns gehen! Meine Mutter wird schon ungeduldig auf mich warten, weil ich so spät komme. Sie geht immer erst schlafen, wenn alle ihre Madln daheim sind.«

Heidi schaute den beiden nach. Sie gingen über den Hof zur Straße. Dann schlugen sie auf der anderen Straßenseite die Richtung über die Felder ein. Heidi wartete einen Augenblick. Dann schlich sie ihnen im Abstand nach. Dora stolperte einige Male. Zuerst schob sie ihren Arm unter Gerds Arm. Dann später legte Gerd seinen Arm um ihre Schultern.

»Ja, so ist es besser! Das ist wirklich gefährlich, in der Dunkelheit über die Felder zu gehen. Dumme Idee von mir, Gerd!«

»Ach, so schlimm ist das auch nicht. Wir sind ja bald bei euch daheim. Ich halte dich schon fest.«

Jedes Wort schnitt Heidi ins Herz. Wie konnte Gerd das tun? Er brachte Dora heim über die Felder. Was würde noch geschehen? Heidi folgte den beiden bis zum Almer Hof. Wie es Heidi erwartete hatte, nahm Dora Gerd noch mit hinein. Er blieb zwar nicht lange. Doch jede Sekunde, die Gerd drinnen war, tat Heidi weh. Es war für sie so schwer, das alles mit anzusehen.

Zuerst war Dora mit Gerd auf dem Pferd geritten, dann hatte sie Stunden auf dem Eichinger Hof verbracht. Sie hatte dort am Tisch gesessen, als gehörte sie dazu. Anschließend war sie mit Gerd Hand in Hand über die Felder heimgegangen. Doch der Gipfel war, daß sie Gerd mit hineinnahm, obwohl es Mitternacht war. Das tut ein Madl doch nur, wenn es mit dem Burschen zusammen ist, sagte sich Heidi.

In der Dunkelheit hielt sich Heidi am Stamm des Obstbaumes fest, hinter dem sie sich versteckte. Dort stand sie wie gelähmt. Sie stand noch lange dort, auch noch als Gerd sich längst auf den Heimweg gemacht hatte und die Lichter auf dem Almer Hof alle erloschen waren. Heidi war wie gelähmt vor lauter Enttäuschung. Es dauerte lange, bis sie die Kraft fand, sich davonzuschleichen. Während sie die Straße entlanglief, rollten ihr stumm die Tränen aus den Augen und kullerten ihre Wangen herab.

Es war ein weiter Weg bis nach Hause. Heidi setzte Schritt vor Schritt.

Plötzlich stand sie im Lichtkegel von Autoscheinwerfern. Heidi drehte sich um und hielt die Hand vor die Augen. Das Auto hielt neben ihr.

»Hallo! Kann ich dich ein Stück mitnehmen?«

»Dora?« sagte Heidi verwundert. »Wo kommst du her?«

Dora Almer lachte.

»Das gleiche könnte ich dich fragen. Komm, steig ein! Man soll nachts nicht alleine herumlaufen. Wo willst du hin?«

»Heim!«

»Nun ziere dich nicht!« sagte Dora energisch.

Sie öffnete von innen die Beifahrertür.

»Komm endlich, Heidi! Ich habe nicht die ganze Nacht Zeit!«

Heidi stieg ein. Sie putzte sich die Nase.

Dora Almer warf Heidi einen prüfenden Seitenblick zu.

»Mei, sag mal! Hast du geweint, Heidi?«

Heidi gab darauf keine Antwort. Dora fuhr langsam weiter. Wäh-renddessen bemerkte sie:

»Keine Antwort ist auch eine Antwort! Laß mich raten! Du hast Liebeskummer!«

»Wie kommst du darauf?« empörte sich Heidi.

Dora lachte.

»Na höre einmal! Was kann es anderes sein? Es ist mitten in der Nacht und du läufst heulend alleine die Straße entlang. Dafür kann es nur eine Erklärung geben. Du hast dich mit deinem Burschen getroffen und ihr hattet Streit. Das kommt schon einmal vor. Das geht aber vorbei.«

»Klingt, als hättest du Erfahrung.«

»O ja, Heidi! Es ist nicht einfach mit den Mannsbildern, sagt meine Mutter immer. Da hat sie recht.«

»Dann hast du einen Freund und fährst jetzt zu ihm?«

Dora überlegte einen Augenblick.

»Nein! Ich war heute abend bei ihm daheim. Da habe ich meinen Schlüssel liegen gelassen. Ich weiß auch nicht, wo ich meine Gedanken hatte. Es fiel mir erst ein, als ich schon im Bett gewesen bin. Deshalb muß ich noch mal hin und ihn holen. Sonst wird der Vater ärgerlich, wenn er es bemerkt. Der ist da sehr eigen. Dabei schließen wir die Haustür bei uns auf dem Hof nie ab. Aber der Vater will, daß alle Schlüssel am Schlüsselbrett hängen, wenn wir daheim sind. Wenn er morgen früh feststellt, daß meiner fehlt, dann gibt es ein Donnerwetter. Jetzt muß ich ihn eben holen.«

Heidi zögerte einen Augenblick. Sie nahm all ihren Mut zusammen und fragte:

»Wer ist der Bursche?«

»Mein Bursche ist der Gerd Eichinger, vom schönen Eichinger Hof! Und wer ist dein Bursche, Heidi? Das mußt du mir jetzt auch verraten.«

Statt einer Antwort schluchzte Heidi auf.

»Ich habe keinen Burschen mehr. Ich habe mich von ihm getrennt. Er ist net treu!«

»Ja, so sind’s eben die Mannsbilder! Mach dir nix draus, Heidi! Findest einen anderen!«

Heidi riß sich zusammen.

»Ist des mit dir und dem jungen Eichinger etwas Ernstes?«

»Mei, Heidi! Sicherlich! Also, ich plane schon die Verlobung! Nur über den Termin haben wir uns noch nicht geeinigt. Aber da mache ich mir keine Sorgen! Die Eichingerbäuerin wird mich schon unterstützen. Du, Heidi, des ist eine ganz liebe Frau. Ich komme so gut mit ihr aus. Ich habe Gerds Mutter richtig ins Herz geschlossen und sie mich auch.«

Heidi atmete tief durch.

»Das freut mich, Dora! Halte jetzt aber bitte an. Ich will aussteigen. Ich bin heute nicht so glücklich wie du. Es fällt mir unendlich schwer, mir deine Geschichten über den Gerd Eichinger und dich anzuhören. Ich heiße zwar ›Fröhlich‹, aber heute bin ich alles andere als fröhlich. Ich will den Rest zu Fuß gehen. Danke fürs Mitnehmen, Dora!«

Dora Almer stoppte mitten auf der Hauptstraße von Waldkogel.

»Bist du sicher, daß ich dich nicht doch die paar Meter heimfahren soll?«

»Laß mich! Ich will alleine sein!«

Heidi stieg aus, knallte die Autotür zu und rannte davon, als sei der Leibhaftige hinter ihr her.

»Mei, die muß wirklich großen Kummer haben!« flüsterte Dora vor sich hin. Sie fuhr weiter zum Eichinger Hof.

Dort kam ihr Gerd entgegen. Dora wollte aussteigen. Aber Gerd stützte sich gegen die Wagentür und reichte ihr den Schlüssel durch das Autofenster.

»Danke, das ist so lieb von dir, daß du ihn mir gebracht hast. Tut mir leid, daß ich mit meinem Anruf euch alle aus den Betten gescheucht habe.«

»Net alle, Dora! Nur mich! Jetzt ist ja alles in Ordnung. Ich hätte dir den Schlüssel morgen früh auch gebracht.«

»Das wäre doch zu spät gewesen, Gerd! Das habe ich dir doch schon am Telefon erklärt. Warum wolltest du ihn mir nicht heute nacht bringen?«

»Nun hast du ihn ja. Gute Nacht, Dora!« antwortete Gerd knapp, ohne Doras Frage zu beantworten.

Gerd drehte sich um und ging zum Haus.

»Gute Nacht, Gerd«, rief ihm Dora nach. »Schlafe gut und träume süß.«

Sie biß sich auf die Unterlippe.

»Mist!« flüsterte sie leise, während sie davonfuhr. »Das ist nicht so gelaufen, wie ich wollte. Bei Gerd muß ich wohl eine andere Taktik anwenden.«

In dieser Nacht lagen zwei Madln schlaflos in ihren Betten. Beide dachten an denselben Burschen, an Gerd Eichinger.

*

Am nächsten Morgen verschlief Heidi. Es war schon fast Mittag, als sie aufwachte. Beim Blick in den Spiegel erschrak sie. Ihre Augenlider waren dick verquollen von den vielen nächtlichen Tränen. Sie sah sehr unglücklich aus.

Heidi kleidete sich schnell an. Ihre verquollenen Augen versteckte sie hinter einer Sonnenbrille mit großen Gläsern. Ausnahmsweise nahm sie ihren Motorroller für die Fahrt nach Kirchwalden.

Ihr Chef und seine Frau wunderten sich, als Heidi kam. Sie galt als zuverlässig. Sie dachten, sie sei krank.

»Ich habe nur verschlafen. Ich war gestern abend noch spazieren. Da habe ich wohl zu viel Gräserduft geschnuppert. Ich habe wahrscheinlich eine Allergie. Ich sehe schlimm aus! Mein Körper hat wohl Ruhe gebraucht. Ich habe den Wecker nicht gehört. Es tut mir leid!« redete sich Heidi verlegen heraus.

Heidi nahm die Sonnenbrille ab.

»Des schaut schlimm aus, Madl! Bist du sicher, daß du arbeiten willst? Willst net lieber zum Doktor gehen?«

»Das wird schon. Wenn es morgen nicht besser ist, gehe ich zum Arzt, bei uns daheim. Der Doktor Martin Engler wird schon wissen, was zu tun ist.«

Heidi band sich eine Schürze um und fing an zu arbeiten. Ihr Chef und ihre Chefin zuckten mit den Schultern. Sie mochten Heidi sehr. Es kam ihnen alles etwas sonderbar vor, sie fragten aber nicht weiter. Heidi blieb bis zum Abend. Sie wollte die versäumte Arbeitszeit gleich nachholen.

Es war schon dunkel, als Heidi auf ihrem Motorroller daheim ankam. Sie stellte ihn in den Schuppen. In der Küche machte sie das Radio an, während sie sich einen Tee kochte. Hunger hatte sie keinen.

Mit ihren Gedanken war sie bei Gerd. Wäre das alles nicht geschehen, dann wäre ich jetzt bei ihm. Wir würden uns auf dem Hochsitz eng aneinander schmiegen und in die Sterne schauen. Doch das würde nie mehr geschehen. Nie mehr würde sie dort hingehen. Nie mehr wollte sie ihn sehen. Daß das hier in Waldkogel unmöglich war, das wußte Heidi. Sie überlegte sogar einen Augenblick, ob sie fortziehen sollte. Ich könnte mir eine kleine Wohnung in Kirchwalden nehmen.

Doch dann entschied sich Heidi, zu bleiben. Niemand hat uns gesehen. Niemand kann über uns reden. Ich muß nur so tun, als sei nie etwas gewesen zwischen uns. Wenn ich Gerd auf der Straße sehe, dann gehe ich ihm aus dem Weg. Ich verhalte mich ganz unbefangen, sage »Grüß Gott«, wenn er mich grüßt und gehe weiter.

Heidi trank einen Schluck Tee. Sie war traurig. Der Liebeskummer saß tief. Er schmerzte, wie sie nie vorher etwas geschmerzt hatte. Sie ging ins Schlafzimmer und holte ihr Tagebuch hervor. Sie schrieb das Erlebte hinein. Sie schrieb sich alles von ihrer wunden Seele. Sie schrieb als Letztes, daß sie mit Gerd Schluß machen werde.

Wie auf das Stichwort hörte sie draußen ein Auto halten. Heidi sprang auf. Sie löschte das Licht und drehte das Radio ab. Es klopfte an der Haustür.

»Heidi, ich bin es!«

Heidi lehnte sich im dunklen Hausflur an die Wand und lauschte. Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Jeder Schlag schmerzte. Sie fühlte Gerds Nähe.

Sie sehnte sich nach ihm. Gern hätte sie die Tür aufgerissen und ihn umarmt. Doch nach allem, was geschehen war, war dies unmöglich. Soviel Selbstachtung wollte sich Heidi bewahren.

»Heidi, komm schon. Mach doch auf! Ich bin es, Gerd! Dein Liebster, dein Bursche!«

Heidi kämpfte mit den Tränen.

Gerd klopfte wieder und wieder.

»Heidi, was hast du? Bist du mir böse? Du mußt gestern abend auf mich gewartet haben. Es tut mir leid, aber ich konnte nicht kommen. Dafür bin ich jetzt da. Komm! Sei mir nicht weiter böse! Mach endlich auf! Ich liebe dich so! Ich will dich in meine Arme nehmen!«

Heidi atmete tief durch! Sie wischte sich die Tränen aus den Augen. Sie trat hinter die Tür.

»Geh, Gerd! Gehe und komme nie wieder! Ich will dich nicht mehr sehen! Es ist aus zwischen uns!«

Es war eine ganze Weile still. Dann klopfte es wieder.

»Heidi! Was hast du? Sei mir nicht böse. Nun mache schon auf und laß uns über alles reden.«

»Es gibt nichts zu reden! Es ist aus zwischen uns!«

Gerd hämmerte jetzt mit der Faust gegen die Tür.

»Mach auf und sage mir das ins Gesicht, Heidi! Mach auf! Du weißt, ich liebe dich! Ich habe eine Erklärung verdient!«

»Ich muß nichts erklären! Geh! Gehe sofort!«

Gerd donnerte jetzt mit beiden Fäusten gegen die Tür.

»Mach auf, sonst trete ich die Tür ein! Das kann doch alles nicht wahr sein. Ich kann mich doch nicht so in dir getäuscht haben. Du liebst mich doch auch! Mach auf, Heidi! Ich rufe sonst so laut, daß es alle Nachbarn hören!«

Diese Drohung wirkte. Heidi drehte den Schlüssel in dem alten Kastenschloß und schob die beiden Riegel an der Tür zurück. Sie drückte die Klinke herunter und öffnete.

Gerd wollte eintreten und sie in den Arm nehmen. Heidi wich zurück. Sie schob ihn mit ausgestrecktem Arm auf den Treppenabsatz vor der Haustür zurück. Gerd sah sie mit großen Augen an. Er verstand nichts mehr.

»Gerd! Machen wir es kurz! Eine wirkliche Erklärung brauche ich dir nicht zu geben. Ich sage es dir aber auch gerne von Angesicht zu Angesicht! Es ist aus mit uns beiden! Vorbei! Ich will nicht mehr! Ich werde nicht mehr zum Hochsitz kommen und du wirst nicht mehr herkommen.«

»Warum? Warum? Liebste Heidi, warum? Ich verstehe das alles nicht! Bitte, erkläre es mir!«

»Da gibt es nichts zu erklären. Ich will dich nicht mehr! Ich beende hiermit unser Verhältnis oder was es auch immer war. Gute Nacht, Gerd!«

Heidi schloß die Tür. Sie schob den oberen und unteren Riegel vor und drehte den großen Schlüssel.

»Ist das dein letztes Wort?« hörte sie Gerd von draußen sagen.

Heidi antwortete nicht. Sie hielt sich mit beiden Händen die Ohren zu. Sie rannte in ihr Schlafzimmer und warf sich auf das Bett. Ihr Herz klopfte. Sie zitterte am ganzen Körper. Heiße Tränen schossen aus ihren Augen. Sie sehnte sich so nach ihm, konnte ihren Gefühlen aber auch nicht nachgeben. Sie wollte nicht weiter nur zum Spielen da sein. Heidi war davon überzeugt, daß Gerd ein doppeltes Spiel spielte. Da war Dora und da war sie. Gerd hatte die Rollen schön verteilt. Nein, damit konnte sich Heidi nicht abfinden. Das war sie sich schuldig. Sie bereute es sehr, daß sie ihm überhaupt geglaubt und sich hingegeben hatte. Damit war aber jetzt Schluß.

Heidi lauschte in die Nacht. Endlich hörte sie Gerds Auto. Er fuhr davon. Heidi war froh, daß er fort war.

»Vorbei! Vorbei!« schluchzte Heidi in ihr Kopfkissen und weinte sich in den Schlaf.

Gerd Eichinger fuhr direkt heim. Er setzte sich auf die Bank vor das Haus und zündete sich eine Pfeife an. Er verstand die Welt nicht mehr. Er grübelte und grübelte. Noch vor drei Tagen hatte ihm Heidi ihre Liebe versichert. Ich kann mich doch nicht so geirrt haben! Sie liebte mich doch, genauso wie ich sie geliebt habe. Ich habe in ihre Augen gesehen, in ihre wunderschönen Augen.

Heidi kann mir nichts vorgemacht haben. Sie ist so ein ehrlicher Mensch. So ein anständiges Madl, und so, so lieb. Sie ist immer ohne Falsch gewesen, nicht so raffiniert wie viele andere Frauen hier. Sie war so zärtlich und voller Hingabe. Ich spürte doch ihre Liebe, die so rein war wie das Wasser eines klaren Bergquells.

Gerd blickte hinauf zum Mond. Er sah in den Sternenhimmel.

Er suchte in der Unendlichkeit des Himmels die Antwort und fand sie nicht. Er war verwirrt und bis ins Mark getroffen. Alles, was ihm etwas bedeutete, war zusammengestürzt wie ein Kartenhaus. Die ganze Zukunft, die er sich erträumt hatte, war zerstört. Es war, als hätte ein riesiger Sturm, eine wahre Urgewalt, die niemand verstand und deren Sinn immer verborgen bleiben würde, alles niedergerissen.

»Gerd! Hier bist du!«

Der Eichingerbauer kam aus der Haustür und setzte sich neben seinen Sohn.

»Bist schon wieder da? Bist heute früh dran. Sonst kommst doch immer erst später.«

Überrascht schaute Gerd seinen Vater an. Dieser schmunzelte.

»Bub, schau net so! Die Mutter und ich, wir haben schon bemerkt, daß du seit Monaten fast jede Nacht spät heimkommst. Hast wohl ein Madl, wie?«

Gerd schwieg eine Weile.

»Des muß dir net peinlich sein, Bub! Ich bin auch mal jung gewesen und habe deiner Mutter nachgestellt. Des gehört eben dazu zum Kreislauf des Lebens. Eines Tages wirst du Kinder haben, Gerd. Dann wirst du des auch aus meiner Sicht erleben.«

Gerd räusperte sich.

»Vater!« sagte er leise. »Deine Beobachtungen waren richtig. Doch ich habe mich wohl geirrt. Wie heißt der Spruch? Drum prüfe, wer sich ewig bindet!«

In Gerds Stimme lag Trauer, Enttäuschung und Bitternis. Sein Vater hörte es deutlich heraus. Sein Sohn war bis ins Mark getroffen.

Der Eichingerbauer holte seine Pfeife und den Tabaksbeutel aus der Tasche seines Lodenjankers. Er stopfte sie und zündete sie an. Zuerst stiegen mächtige Rauchwolken auf.

Dann brannte die Pfeife gleichmäßig. Der Bauer schwieg. Gerd schwieg. So saßen sie eine Weile zusammen.

»Tut mir leid, Bub. Aber sei net allzu sehr enttäuscht. Es wird des falsche Madl gewesen sein. Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende! Du brauchst mir keine Einzelheiten zu erzählen. Ich kenne dich gut, Bub. Du machst des alles schon richtig. Du bist dir deiner Verantwortung immer bewußt gewesen. Eines Tages wirst du den Hof übernehmen. Deine Braut, die muß schon passen. Und wenn du jetzt festgestellt hast, daß sie net paßt, dann ist des zwar ein bisserl schmerzhaft, aber später hätte es noch mehr weh getan, denke ich. Also, vergiß des alles.«

Der Bauer zog an seiner Pfeife.

»Willst net einige Tage frei machen? Unternimm doch eine schöne Bergtour. Mach eine große Wanderung. Des tut deiner Seele gut, wirst sehen. Die klare Bergluft wird dir guttun.«

Gerd überlegte.

»Danke, Vater! Vielleicht mache ich das, vielleicht auch nicht. Im Augenblick bin ich dazu viel zu unkonzentriert. Ich habe zuviel im Kopf. Wenn man eine Hochgebirgstour macht, da muß man alle Sinne beisammen haben, sonst kann leicht ein Unglück passieren. Vielleicht mache ich nächste Woche eine Wanderung oder ich gehe einige Tage zum Toni auf die Berghütte.«

»Ja, besuche den Toni. Das ist eine gute Idee!«

Der Bauer zog erneut an seiner Pfeife.

»Dich hat es ganz schön getroffen Bub, oder?«

»Ja, das hat es!«

Gerd Eichinger seufzte.

»Vielleicht kann man die Liebe nicht suchen, Vater, überlege ich. Ich meine damit, man kann nicht losziehen und sich sagen, ich suche mir jetzt eine Braut. Die Liebe muß kommen. Ich habe gedacht, das wäre so bei dem Madl und mir. Doch ich habe mich geirrt. Es ist schwer, sich seinen Irrtum einzugestehen.«

Sein Vater legte ihm die Hand auf die Schulter.

»Es ist immer und bei allen Dingen schwer, sich einen Irrtum einzugestehen. Doch Irrtümer gehören nun mal zum Leben. Es kommt immer darauf an, was man dann daraus macht. Such dir ein anderes Madl.«

Gerd Eichinger schüttelte den Kopf.

»Naa! Des werde ich net. Weißt, Vater, ich hab’ des Madl wirklich geliebt. Ich denke, ich kann nie mehr jemanden so lieben wie sie.«

»Ach, Bub! Des sagst jetzt so in deinem Schmerz. In einigen Wochen, Monaten, denkst du anders darüber.«

»Nein, Vater, das werde ich nicht. Das weiß ich. Sicherlich werde ich eines Tages heiraten. Der Hof braucht nach mir einen Erben oder eine Erbin. Das kann ich als Mann net allein machen. Dazu muß eine Frau her. Aber ich werde sie mit Sicherheit nicht so lieben.«

Gerd lachte bitter. Er schaute seinen Vater an.

»Weißt, Vater, über was ich vorhin nachgedacht habe? Vielleicht war des ganz früher, noch früher als zu Großvaters Zeiten, doch nicht so schlecht. Da brachten zwei Familien ihre Kinder zusammen. Sicherlich heirateten sie nur, wenn sie etwas füreinander empfanden. Aber die große Liebe war es in vielen Fällen bestimmt nicht. Es waren eher Zweckbündnisse. Das war vielleicht besser. Die Erwartungen waren nicht so hoch. Sie konnten auch nicht so tief fallen, so grenzenlos enttäuscht werden. Es war eine andere Art von Liebe und kleinem häuslichen Glück. Im Augenblick erscheint mir, daß dieser Weg vielleicht sinnvoller war.«

»Mei, Bub! Dich muß es ja ganz schön getroffen haben! Donnerschlag! Du bist ja richtig fertig!«

»Ja, das bin ich! Wo andere ein Herz haben, da ist bei mir nur noch eine große Wunde. Des Madl hat es mir rausgerissen.«

Gerds Vater überlegte eine Weile.

»Es geht mich ja nix an. Sicherlich hast du auch deine Gründe, warum du uns noch nichts erzählt hast. Du hast den Namen des Madls auch nicht erwähnt. Neugierig hast mich jetzt schon gemacht. Du mußt mir nix sagen, wenn du nicht willst. Aber um Fehler und Mißverständnisse zu vermeiden, wäre es schon besser, wenn du nur eine kleine Andeutung machen würdest. Ich meine so in der Richtung von dem lieben Besuch, den wir gestern abend hatten…«

»Es ist nicht die Dora Almer, wenn du des meinst, Vater! Des war Zufall gestern, daß ich die Dora getroffen habe.«

»Kein übles Madl, die Dora. Sie hat dich richtig angehimmelt. Hast des bemerkt?«

»Des war net zu übersehen!«

Der Eichingerbauer räusperte sich.

»Weißt, Bub! Man sagt, Feuer soll man mit Feuer bekämpfen. Wenn es im Forst brennen tut, dann legt man ein Gegenfeuer. Vielleicht verbringst du mal etwas Zeit mit der Dora, wenn es auch nur zur Ablenkung ist.«

»Dein Rat ist lieb gemeint, Vater! Dazu sagen will ich nix!«

Gerd und sein Vater redeten nicht weiter über Gerds Kummer. Der Eichingerbauer lenkte das Gesprächsthema geschickt auf anstehende Themen, die den Hof und die Arbeit in den nächsten Wochen betrafen. Als alles besprochen war, gingen sie hinein. In der großen Wohnküche tranken sie noch einen kleinen Obstler zusammen. Dann gingen sie schlafen.

*

Tonis Eltern hatten Hochzeitstag. Er fiel auf einen Sonntag. Xaver und Meta wollten im kleinen Familienkreis feiern. Sie beschlossen, das Wirtshaus an diesem Sonntag zu schließen. Die Pensionsgäste bekamen ihr Frühstück. Aber zu Mittag und Abend mußten sie woanders essen gehen.

Maria, Tonis jüngere Schwester, war mit ihrem Mann und den Kindern über das Wochenende gekommen. Alois übernahm an dem Sonntag die Arbeit auf der Berghütte. So konnte Toni mit Anna die Eltern besuchen. Am Sonntagvormittag besuchten sie alle gemeinsam die Messe in der schönen Barockkirche.

»Mei, sehe ich recht! Ja, bist du es wirklich, Almut?« rief Meta Baumberger erfreut. Sie ging auf eine Frau zu und umarmte sie.

»Was machst hier in Waldkogel?«

»Urlaub! Was soll ich sonst machen? Ich habe jetzt immer Urlaub. Ich bin in Frührente gegangen, habe genug im Leben gearbeitet. Und die Arbeit als Hebamme im Krankenhaus ist net des, was ich mir so vorgestellt habe.«

Xaver, Toni, Anna, Maria und ihr Mann traten dazu.

»Des ist die Almut! Sie war als ganz junge Frau eine Zeitlang Hebamme hier im Kreis. Dich hat sie mit auf die Welt gebracht und dich auch, Maria.«

Almut schüttelte Hände.

»Wie die Zeit vergeht! Jetzt haben die Kinder von damals schon selbst Kinder!«

»Wo tust du übernachten, Almut?« fragte Meta Baumberger.

Almut lachte.

»Weißt, darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Ich habe gestern abend einen Heimatfilm im Fernsehen geschaut. Da habe ich doch richtig Heimweh nach meinem geliebten Waldkogel bekommen. Ich habe ein kleines Nickerchen gemacht und bin dann losgefahren. Die Leute waren in der Messe, als ich ankam. Da dachte ich mir, das ist eine gute Gelegenheit alte Gesichter zu treffen. Und du siehst, liebe Meta, so ist es auch gekommen.«

»Dann hast du kein Zimmer?«

»Nein!«

»Dann kommst du mit uns! Wir haben jetzt des Wirtshaus und die Pension. Damals hat dem Xaver sein Vater noch das Sagen gehabt. Mei, da wird es einem wieder bewußt, wie die Zeit vergeht. Kennst du den Weg noch zu uns?«

Almut lachte.

»Es hat sich viel verändert in den Jahren, aber Waldkogel ist immer noch so schön. Ich werde euch schon finden. Ich will nicht gleich mitkommen. Ich habe mein Auto dort hinten auf dem Marktplatz stehen. Ich will erst ein bisserl durch Waldkogel spazierengehen. Auch zum Bergsee will ich. Da bin ich früher immer so gern gewesen.«

»Wir essen um zwölf Uhr! Bist eingeladen, Almut! Der Xaver und ich feiern heute Hochzeitstag – keinen runden. Aber wir feiern. Des Lokal ist heute zu. Heute sind wir unter uns. Ich freue mich so, dich getroffen zu haben!«

Almut schüttelte den Kopf. Sie lehnte ab. Die Familie sollte alleine feiern. Außerdem paßte das nicht in ihre Pläne.

»Weißt, ich wollte mir Waldkogel ansehen und dann mit dem Auto rauf in die Berge fahren. Am liebsten würde ich auf einer Alm wohnen oder ich suche mir eine Schutzhütte. Aber wir sehen uns. Ich will schon länger in Waldkogel bleiben.«

Toni schlug vor, daß Almut zur Berghütte aufsteigen sollte.

»Die Berghütte! Daran erinnere ich mich gut! Der alte Alois, der war ja eine richtige Urgestalt damals. Der konnte das Wetter voraussagen und jede Kleinigkeit in der Natur deuten.«

»Ja, der alte Alois ist schon ein besonderer Mensch. Er wird sich bestimmt freuen, dich zu sehen.«

Mit Erstaunen hörte Almut, daß der alte Alois jetzt bei Toni und Anna auf der Berghütte lebte. Sie wunderte sich, daß keiner von Alois’ Kindern die Berghütte übernommen hatte.

»Ja, des war tragisch für den alten Alois. Aber das soll er dir selbst erzählen, Almut«, sagte Meta.

Sie versuchte Almut noch einmal zu überreden, doch mitzukommen. Aber es war vergeblich. Almut freute sich auf die Einsamkeit der Berge. Sie versprach aber, bald einmal vorbeizuschauen.

Die Baumbergers begleiteten Almut noch bis zu ihrem Auto. Dann gingen sie weiter.

Almut schulterte ihren Rucksack und zog los. Sie wollte zuerst zum Bergsee.

Der See lag ruhig in der Mittagssonne. Almut breitete am Ufer eine Decke aus. Sie packte ihre Brotzeit aus und ließ es sich gutgehen. Während sie die Berge betrachtete, die sich mit ihren schneebedeckten Gipfeln im Wasser spiegelten, erinnerte sie sich an ihre Zeit in Waldkogel. Sie holte ihr kleines Notizbuch hervor und notierte sich Namen, an die sie sich erinnerte. Sie wollte einige besuchen und schauen, wie es ihnen ergangen ist. Mit vielen verband sie damals eine richtige Freundschaft. Für die Frauen war sie Vertraute, Hebamme und Freundin. Auch zu vielen älteren Frauen hatte sie damals ein gutes Verhältnis.

Ein Auto kam den Uferweg entlang. Almut stand auf und hielt es an.

»Der Weisgerber! Kennst mich noch?«

Albert Weisgerber schaute Almut an.

»Ich kann mich net erinnern, net genau. Aber bekannt kommt mir Ihr Gesicht schon vor.«

Almut lachte.

»Dann darf ich deinem Gedächtnis nachhelfen. Da gab es eine junge Frau, die ihren Mann besuchen wollte, der bei dir im Sägewerk gearbeitet hat. Des ist damals gewesen, als du des Sägewerk gerade von deinem Onkel übernommen hattest. Bei der jungen Frau setzten die Wehen ein. Es ging dann alles ganz schnell. Ich habe es gerade noch geschafft, ins Sägewerk zu kommen. Des Kindl ist dann direkt in der Ecke in der großen Halle auf einem Haufen Sägespäne zur Welt gekommen. Erinnerst dich jetzt?«

»Mei, dann mußt du die Almut sein!«

Albert Weisgerber stieg aus und schüttelte Almut die Hand. Er ging auch zum vertrauten Du über.

»Daß ich dich hier treffe, des hätte ich mir net träumen lassen. Was machst in Waldkogel?«

»Urlaub! Ich mache gerade Brotzeit. Es reicht für beide. Willst mitessen oder wartet deine Familie mit dem Mittagessen?«

»Familie? Naa, so etwas habe ich net. Dazu ist es noch nicht gekommen. Der Himmel alleine weiß, warum des so ist. Aber glaube mir, es ist nicht schön so alleine. Doch was nicht zu ändern ist, daran ist eben nix zu ändern!«

Sie gingen zusammen die wenigen Schritte zum Ufer. Almut gab Albert ein Brot mit Schinken. Sie aßen. Währenddessen stellte Almut viele Fragen.

Sie wollte wissen, was aus ihnen geworden war.

»Bist dem schönen Waldkogel immer noch sehr verbunden – wie?«

»Das will ich nicht leugnen! Ich hätte sicher mein Leben hier verbracht, wenn ich nicht meine Schwester hätte pflegen müssen. Aber in der Familie muß man zusammenhalten. Sie war lange krank und hatte drei Kinder. Der Mann mußte arbeiten. Da bin ich zu ihnen gezogen. Als es ihr dann besser ging, fing ich an, dort im Krankenhaus zu arbeiten. Anfangs waren es nur halbe Tage, später übernahm ich dann eine ganze Stelle. Schön war es schon. Aber ich wollte immer wieder zurück. Es ist nur nix daraus geworden. Ich habe den Absprung immer und immer wieder rausgeschoben. So sind die Jahre vergangen. Dann bin ich in Frührente. Ich überlege, ob ich hier in Waldkogel meinen Lebensabend verbringen soll. Deshalb will ich den Sommer über bleiben.«

Albert Weisgerber betrachtete Almut.

»Hast dich gut gehalten. Schaust richtig gut aus und jung.«

Almut lachte.

»Das sagen alle! Ich hoffe, daß es auch noch lange so bleibt. Die Menschen werden heute viel älter als früher. So kann man sagen, daß ich noch ein zweites Leben vor mir habe. Aber ich will mich auch nicht langweilen. Langeweile ist nichts für mich. Vielleicht finde ich eine Aufgabe, die mich ausfüllt. Mal sehen, was die nächsten Wochen und Monate so passiert.«

»Ich wünsche dir alles Gute. Es werden sich bestimmt viele freuen, dich zu sehen. Einige sind fortgezogen, andere kamen hinzu.«

Almut reichte Albert ihr Notizbuch.

»Kannst mir was über die sagen?«

Albert Weisgerber erzählte, was er wußte.

»Viel weiß ich nicht. Am besten du redest mal mit der Ella Waldner. Die lebt immer noch in ihrem keinen Häusl im Wald und macht ihre Tinkturen und Salben und Tees. Die wird sich freuen, dich zu sehen. Es ist merkwürdig. Obwohl die Ella wenig nach Waldkogel reinkommt, weiß sie über alle und jeden genau Bescheid.«

Almut lachte.

»Des war bei der Ella schon immer so. Sie ist viel in der Dunkelheit unterwegs. Da besucht sie die Höfe und bringt ihre Sachen und hilft, wo sie helfen kann. Sie hat viel Lebens-erfahrung. Bei mancher Geburt war sogar ich froh, daß sie kam und half.« Almut lächelte. »Dann werde ich der guten Ella gleich mal einen Sonntagsbesuch abstatten, heute nachmittag.«

Albert Weißgerber und Almut redeten noch eine Weile. Dann packte Almut zusammen. Albert fuhr sie mit seinem Geländewagen noch ein Stück durch den Wald, soweit der Waldweg breit genug war. Danach mußte Almut zu Fuß gehen.

Sie wanderte den schmalen Pfad entlang durch den Mischwald. Durch die Kronen der Bäume fiel das Sonnenlicht auf den schmalen Pfad. Eichhörnchen huschten über den Waldboden. Almut genoß die Stille des Waldes. An feuchten Stellen standen Pilze. Auf sonnigen Lichtungen bedeckten Waldheidelbeeren den Boden. Almut holte einen Becher aus dem Rucksack und pflückte Heidelbeeren. Dabei summte sie vor sich hin. Sie war sehr glücklich.

Es war eine gute Idee von mir, nach Waldkogel zu fahren, dachte sie. Das hätte ich schon längst machen sollen.

Was war das? Zwischen den Heidelbeeren stand ein grüner Eimer. Er war fast voll mit den blauen Früchten. Verwundert schaute sich Almut um.

»Hallo! Ist da wer?« rief sie.

Es blieb still.

Jetzt fiel Almut auch der andere Eimer auf, der unter einem Baum stand. Sie ging hin und schaute nach. Er war voller Pilze. Almut besah sich die Pilze genau. Sie konnten noch nicht vor langer Zeit gesammelt worden sein. Sie waren sehr frisch.

Wer läßt einen Eimer mit Waldheidelbeeren und einen Eimer mit frischen Pilzen einfach stehen?

Almut konnte sich keinen Reim darauf machen. Kopfschüttelnd ging sie zurück zum Weg. Der Pfad machte ein Kurve und führte an einer kleinen Quelle vorbei. Dort kauerte eine junge Frau. Almut rannte hin.

Ein Blick der erfahrenen Hebamme genügte. Die junge Frau sah elend aus. Almut befühlte ihr zuerst die Stirn. Dann tastete sie den Puls.

»Madl! Dir geht es nicht gut, wie? Hast du Schmerzen? Ist dir schwindlig?«

Die junge Frau schaute Almut mit müden Augen an.

»Wie heißt du?«

»Heidi!«

»Gut, Heidi! Grüß Gott! Was machst du hier?«

»Ich war Pilze sammeln und Waldheidelbeeren. Dann wurde mir schlecht. Ich will mich nur etwas ausruhen. Es geht schon wieder.«

Heidi richtete sich auf. Sie schwankte. Almut griff beherzt zu. Sie führte sie zu einem dicken Baumstamm, der längs des Pfades lag.

Sie setzten sich.

Heidi fing an zu zittern.

»Ist dir kalt?«

Heidi schüttelte den Kopf.

Almut zog ihren Rucksack ab. Sie holte eine Strickjacke heraus und gab sie Heidi.

»Wenn ich so wenig geschlafen habe, dann friere ich oft. Das ist normal.«

Almut lächelte.

»Übrigens, ich bin die Almut!«

Heidi lächelte. Almut holte den Rest Tee aus ihrem Rucksack und gab ihn Heidi.

»Mußt ihn aus der Flasche trinken, im Becher habe ich die Heidelbeeren.«

»Danke, das geht schon!«

Gierig trank Heidi den süßen Tee aus.

»Oh, war das gut! So schön süß.«

Almut gab Heidi eine Tafel Schokolade. Sie aß sie wortlos auf.

»Danke, ich fühle mich schon viel besser. Wirklich vielen Dank! Ich werde jetzt meine Eimer holen und mich auf den Heimweg machen.«

»Wo wohnst du?«

»In Waldkogel!«

Heidi schaute auf die Uhr.

»Oh! Schon so spät. Da muß ich mich beeilen. Danke nochmals, Almut.«

»Sag mal, in welcher Richtung liegt Waldkogel?«

Heidi schaute Almut ungläubig an.

»In der Richtung, aus der du gekommen bist.«

»Ich hatte die Orientierung verloren. Dann können wir zusammen zurückgehen.«

Almut schulterte ihren Rucksack. Sie gingen zusammen zur Lichtung. Heidi trug den Eimer mit den Heidelbeeren und Almut trug ihr den Eimer mit den Pilzen.

»Was machst du damit? Einkochen?« fragte Almut.

»Nein! Ich verkaufe sie in Kirchwalden. Ich arbeite während der Woche in einem Lokal in der Küche. Mein Chef nimmt mir die Pilze und die Heidelbeeren ab. Ich bringe ihm fast jeden Tag welche. Ich sammle auch wilde Himbeeren und Walderdbeeren. Aber ich habe auch andere Abnehmer. Diese sind für das große Hotel in Kirchwalden. Die will ich heute noch hinbringen.«

»Lohnt sich das?«

»Schon! Es ist immerhin ein Zubrot für das Sparschwein.«

»Oh, Sparen, das ist nützlich! Auf was tust du sparen? Ein neues Auto? Eine schöne Reise?«

»Nein, nichts von beidem. Nur so!« sagte Heidi sichtbar verlegen.

Sie errötete tief.

Almut betrachtete die junge Frau, die neben ihr herging. Sie war zierlich. Aber auch sehr dünn. Almut schwieg. Sie stellte keine Fragen. Sie erzählte von sich, daß sie schon als junge Frau in Waldkogel war und sich immer gern daran erinnerte. Dabei verschwieg Almut ihren Beruf. Eine innere Stimme sagte ihr, daß es besser war, dies erst einmal nicht zu erzählen.

Sie gingen außen um Waldkogel herum, teilweise über die Wiesen und Felder.

Sie kamen vor dem Haus an.

»So, da sind wir!«

»Ein schönes kleines Häuschen!«

»Ja, klein aber fein! Zwei Zimmer, Küche und Bad, sowie Speisekammer und Keller. Für mich alleine reicht es! Danke für das Tragen. Ich…«

Mitten in den Worten wurde Heidi blaß. Sie hielt sich am Gartenzaun fest. Almut legte den Arm um Heidi.

»So, Madl! Wo ist dein Schlüssel?«

Heidi griff in die Schürzentasche ihres Dirndl.

Dann führte Almut Heidi hinein. Sie legte sie im Wohnzimmer auf das Sofa. Heidi richtete sich wieder auf.

»Es geht schon wieder. Außerdem will ich noch zur Arbeit. Es wird nur der Kreislauf sein. Ich mache mir einen starken Kaffee.«

»Nix da! Den Kaffee mache ich. Du bleibst liegen.«

Heidi fühlte sich schwach. Sie legte sich wieder hin. Einen Augenblick kann ich mich noch ausruhen, dachte sie. Sie fühlte sich plötzlich nicht mehr so allein. Es war schön, daß jemand da war, der sie umsorgte.

Während Almut wartete, bis das Kaffeewasser kochte, fragte sie Heidi aus. So erfuhr Almut, daß Heidi nicht nur in der Stadt arbeitete, sondern neben dieser Stelle an einigen Tagen im Hotel »Zum Ochsen« in der Küche half. An Wochenenden half sie gelegentlich auch abends. Dazu sammelte Heidi Früchte und Pilze, die sie verkaufte.

Warum mutete sich das Madl das alles zu?

Almut fand darauf keine Antwort.

So fragte sie Heidi direkt:

»Dann mußt du ja ein gutes Zubrot verdienen mit den vielen Nebentätigkeiten. Hast du Schulden? Mußt du deshalb so viel arbeiten?«

»Nein! Schulden habe ich nicht. Doch ich habe etwas vor und wenn ich das mache, dann kann ich eine Weile nicht arbeiten. Dafür brauche ich das ganze Geld.«

Almut schüttelte den Kopf.

»Madl! Madl! Das ist ja alles sehr lobenswert, so fleißig wie du bist. Aber du machst dich kaputt. Du mutest dir zuviel zu. Schau dich an. Dir geht es wirklich nicht gut.«

Heidi lächelte müde.

»Das ist nur heute so. Gestern habe ich den ganzen Tag im Hotel ausgeholfen. Es wurde spät. Heute morgen bin ich um kurz vor sechs Uhr für ein paar Stunden wieder hin. Anschließend bin ich sofort in den Wald. Aber die Wochenenden sind nicht immer so arbeitsreich.«

»Na, na! Das kann ich kaum glauben. Ich mache dir einen Vorschlag. Ich bringe die Eimer mit den Pilzen und Heidelbeeren ›Zum Ochsen‹. Da kann ich mich gleich nach einem Zimmer erkundigen. Ich brauche ja noch ein Quartier.«

»Wenn dir mein Schlafzimmer nicht zu einfach ist, dann möchte ich dich einladen, bei mir zu übernachten. Du hast dich so lieb um mich gekümmert.«

Heidi stand auf und öffnete die Tür, die vom Wohnzimmer aus in ihr Schlafzimmer ging. Almut besah sich das Zimmer.

»Das ist wunderbar gemütlich. Das ist viel besser als ein Hotelzimmer. Ich bleibe gerne. Aber unter einer Bedingung: Ich zahle dir etwas dafür. Dein Sparschwein soll doch richtig dick und fett werden.«

Heidi lehnte energisch ab. Aber Almut ließ sich nicht beschwatzen. Schließlich gab Heidi nach. Sie einigten sich, daß Heidi weiter in ihrem Zimmer schlief und Almut auf dem Sofa im Wohnzimmer.

Almut brachte die Eimer mit den Pilzen und Waldheidelbeeren ins Hotel.

Sie handelte für Heidi auch mehr Geld heraus, als Heidi sich gewagt hätte, zu verlangen. Heidi staunte, als Almut kam.

Sie hatte inzwischen Abendessen gemacht. Sie aßen kalt. Es gab Brot, Käse, Wurst und einen grünen Salat aus Heidis Garten.

»Wann hast du zum letzten Mal Urlaub gemacht, Heidi?«

Heidi lächelte verlegen.

»Das ist schon eine Weile her. Warum fragst du?«

»Nun, ich will auf die Berghütte und ein bisserl wandern gehen. Ich könnte dazu Gesellschaft brauchen. Willst du nicht wenigstens eine Woche Urlaub machen und mich begleiten?«

Heidi schwieg. Sie überlegte. Almut redete weiter.

»Weißt, ich kenne mich ein bisserl aus. Ich habe viele Jahre im Krankenhaus gearbeitet. Vorher war ich einige Jahre so etwas wie eine Gemeindeschwester hier in Waldkogel. Ich bin von Beruf Hebamme gewesen.«

Heidi bekam große Augen.

»Nun, schau nicht so! Ich habe da einen Verdacht, was mit dir los ist. Ich habe den Blick dafür.«

Heidi wurde dunkelrot im Gesicht vor Verlegenheit.

»Ist es so, wie ich denke?«

Heidi zuckte mit den Schultern.

»Bist du schon beim Doktor gewesen?«

»Nein!«

»Madl, du bist ein bisserl verantwortungslos. Es geht nicht nur um dich, wenn es so ist, wie ich vermute. Dann hast auch Verantwortung für ein anderes Leben.«

Heidi schluckte.

»Ich bin ganz durcheinander! Ich weiß nur eins: Daß ich viel arbeiten will, damit ich Geld habe und eine Weile nicht arbeiten muß oder nicht so viel. Außerdem kostest alles viel Geld.«

Almut Herz war voller Mitleid.

»Willst du mir nicht dein Herz ausschütten? Weißt, im Laufe meines Lebens, da habe ich mir den Kummer und das Leid von vielen Frauen angehört. Das gehört zu meinem Beruf. Es bleibt auch unter uns. Eine Hebamme ist genauso zur Verschwiegenheit verpflichtet wie ein Arzt.«

Heidi schwieg noch immer. Almut schaute sie gütig an.

»So eine Sache passiert eben. Das hat es schon immer gegeben und wird es auch immer wieder geben, daß ein junges Madl dann plötzlich alleine dasteht. So ist es doch, oder?«

Tränen hingen Heidi zwischen den Wimpern. Sie nickte.

»Nun, in deinem Fall ist es recht schlimm. Scheinst überhaupt niemanden zu haben, dem du dich anvertrauen kannst. Hast du keine Familie?«

Heidi schüttelte den Kopf. Sie erzählte von ihrer Mutter, die sie nur aus Erzählungen ihres Vaters kannte und von ihrem Vater.

»Ich bin bisher ganz gut fertig geworden im Leben«, sagte Heidi leise. »Das werde ich in Zukunft auch. Immer schön fröhlich bleiben, weil wir ja auch ›Fröhlich‹ heißen. Das sagte mein lieber Vater täglich. Gott hab’ ihn selig.«

»Ich habe auch keine eigene Familie. Ich habe mir immer eine Familie gewünscht. Es ist nicht schön, alleine zu sein. Sicherlich habe ich die Freiheit, alles zu machen. Niemand kann mir etwas vorschreiben. Aber es gibt auch niemand, mit dem ich die Freude, die schönen Erlebnisse teilen kann. Ich habe mich damit abgefunden.«

Almut schaute Heidi an.

»Vielleicht war es Vorsehung, daß wir zwei uns begegnet sind. Es ist schon sonderbar. Du brauchst jemand, der sich ein bisserl um dich kümmert, dir beisteht. Ich bin froh, wenn ich nicht so alleine bin. Also überlege es dir. Machen wir doch eine Woche zusammen Urlaub auf der Berghütte. Ich lade dich ein. Sieh dich einfach als meine Gesellschafterin. Wirst sehen, danach geht es dir besser. Meinst, du kannst so schnell Urlaub bekommen?«

»Schon möglich. Die Chefin schaute mich die letzten Wochen auch schon immer kritisch an. Sie sagte, ich gefalle ihr nicht. Ich sähe schlecht aus.«

Heidi faßte langsam Vertrauen zu Almut. Vielleicht haben die Engel vom »Engelssteig« sie mir geschickt, überlegte Heidi. Fast jede Nacht hatte sie eine Weile im Garten hinter dem Haus gesessen und hinauf zum »Engelssteig« gesehen. In der Dunkelheit konnte sie den Gipfel nur erahnen. Es war ihr auch nicht wichtig, den Gipfel mit dem Gipfelkreuz zu sehen. Heidi kannte die Geschichte, die sich die Waldkogeler seit alters her erzählten. Auf dem Gipfel des »Engelssteigs« treffen sich die Schutzengel der Menschen. Sie steigen von dort auf in den Himmel und bringen dem Herrgott, dem Heiland, der Mutter Got-tes und allen Heiligen die Gebete, Wünsche und Sehnsüchte der Herzen aller Menschen hinauf. Jede Nacht hatte Heidi mit den Engeln geflüstert. Sie vertraute ihnen ihre Einsamkeit an, ihre Verzweiflung. Sie flehte um Hilfe und Beistand in ihrer Not.

Es müssen die Engel gewesen sein, die Almut zu mir gebracht haben, dachte Heidi.

»Gut! Ich werde morgen gleich zu unserem Dr. Engler gehen – und Urlaub nehme ich mir auch. Eine Woche Urlaub, das wird sich schon machen lassen, denke ich. Ich muß mich nur überwinden, zu fragen.«

»Wenn du willst, dann kann ich bei deinem Chef in Kirchwalden anrufen.«

»Das wäre vielleicht nicht schlecht! Warum tust du das alles für mich, Almut? Du kennst mich doch nicht oder kaum?«

Almut lächelte.

»Weil du ein lieber Mensch bist, Heidi! Weil du Hilfe brauchst und ich helfen kann! Es war bestimmt ein höherer Plan, daß ich nach Waldkogel gefahren und dir im Wald begegnet bin.«

»Ja, das denke ich auch! Dann muß ich mich wohl fügen.«

Almut und Heidi räumten den Tisch ab. Dann gingen sie in den Garten. Sie saßen dort bis Mitternacht und schauten in die Sterne. Heidi faßte Zutrauen zu Almut und erzählte ihr von ihrer Enttäuschung. Sie nannte aber keinen Namen.

»Es kann schon sein, daß es so ist, wie du vermutest, Almut! Ich werde gleich morgen Dr. Engler aufsuchen.«

Dann gingen sie schlafen. Heidi schlief sofort tief ein. Sie fand erquickenden Schlaf. Es war das erste Mal seit Wochen, daß sie sich nicht in den Schlaf weinte.

Almut schlich nachts in Heidis Zimmer. Sie sah sie fest schlafen. Sie lächelte sogar im Schlaf.

»Gut so, Heidi! Alles wird gut werden!«

Almut stellte heimlich den Wecker ab. Heidi sollte ausschlafen.

*

Am nächsten Morgen rief Almut in Kirchwalden an. Sie meldete Heidi krank. Das war auch keine Lüge, sondern nur ein Vorausgriff auf die Diagnose von Dr. Engler. Der Zustand, in dem sich Heidi befand, war auch keine Krankheit, aber Heidi war total erschöpft. Almut hatte auch mit Dr. Engler telefoniert. Er wußte also Bescheid.

Als Heidi aufwachte, drang der Duft von Kaffee durch das Haus. Almut hatte das Frühstück gemacht. Es gab Kaffee und weiche Eier. Sie hatte den Tisch im Wohnzimmer schön gedeckt. Verlegen setzte sich Heidi.

»Wie schön das ist. Wie an einem Feiertag!«

»Heute ist ein Feiertag, Heidi! Ich habe mit Dr. Engler telefoniert. Du kannst zu ihm kommen. Er wird dich sofort drannehmen. Brauchst nicht lange zu warten. Wenn es das ist, was ich mir denke und du auch vermutest, dann ist das ein Feiertag. Gibt es eine schönere Nachricht für eine Frau?«

Heidi errötete.

»Ja, so sollte es sein. Aber dazu gehören immer zwei! Ich bin alleine!«

»Sicher! Trotzdem ist es eine wunderschöne Nachricht! Sei einfach fröhlich und freue dich darauf! Sei fröhlich, wie es dein Name sagt, liebe Heidi Fröhlich!«

»Ich will es probieren! Ich bin so froh, daß du da bist. Dich hat der Himmel geschickt. Die Engel haben dich zu mir gebracht.«

Sie aßen. Dann ging Heidi zu Dr. Engler. Er untersuchte sie. Er machte einen Schnelltest und untersuchte sie mit Ultraschall. Dann lächelte er Heidi an.

»Ja, Heidi! Es ist so! Dir steht das Schönste bevor, was einer Frau passieren kann. Du wirst Mutter! Du bist am Ende des vierten Monats! Bald wird man das Bäuchlein sehen. Ich denke, daß alles Ordnung ist. Damit es auch so bleibt, mußt du dich schonen. Du darfst nicht mehr so viel arbeiten und mußt auch mehr essen. Du mußt zunehmen. Ich schreibe dich erst einmal krank, bis du etwas an Gewicht gewonnen hast. Almut wird sich um dich kümmern. Du kannst ihr voll und ganz vertrauen. Außerdem hat auch sie mich auf die Welt gebracht, damals, als sie hier in Waldkogel war. Sie ist wirklich ein Schatz. Du wirst eine Stütze an ihr haben.«

Heidi errötete. Sie legte die Hand auf ihren Bauch.

»Dann ist es also wirklich wahr?«

»Ja, es ist wahr! Ich wünsche dir alles, alles Gute! Du kannst dich jederzeit an mich wenden, wenn du Hilfe brauchst.«

»Danke, Doktor!«

Dr. Martin Engler räusperte sich.

»Wie steht’s mit dem Vater?«

»Vater? Nein, ein Vater, ein richtiger Vater ist er nicht. Ich habe mich ein bisserl belesen. Das Gesetz redet von ›Erzeuger‹. Das ist das treffende Wort. ›Vater‹, das Wort hat eine andere, eine tiefere Bedeutung. Davon möchte ich nicht sprechen. Ich werde mein Kindchen alleine großziehen. Er muß es nicht wissen. Niemand wird seinen Namen erfahren.«

»Das ist deine Entscheidung! Dann willst du ihn auch nicht als Vater angeben?«

»Nein!« sagte Heidi mit fester Stimme.

Sie schaute Dr. Martin Engler an.

»Wann kann man sehen, was es ist? Ich meine Bub’ oder Madl?«

»Das habe ich schon im Ultraschall gesehen. Ich sage es aber erst immer dann, wenn ich gefragt werde.«

»Und? Was ist es?«

»Es wird ein Bub!«

Heidi Fröhlich lächelte glücklich. Sie sah jetzt richtig fröhlich aus.

»Ein Bub!« wiederholte sie. »Dann wird er seinem Vater wohl sehr ähnlich sein. Vielleicht hat er sein wunderbares schwarzes Haar und seine herrlichen dunklen Augen.«

»Du liebst ihn immer noch sehr, wie?«

»Er war meine große Liebe. Er wird immer meine große Liebe bleiben, meine erste und einzige Liebe. Es ist schön, daß es ein Bub wird. Dann habe ich ein Stück von ihm, auch wenn ich ihn nicht bekam. Er spielte nur mit mir, denke ich. Da gab ich ihm den Laufpaß! Ich werde meinen Buben gut erziehen, daß er anständiger wird als sein Vater.«

Heidi räusperte sich.

»Im Grunde ist er kein schlechter Mensch. Er hat viele gute Eigenschaften. Eigenschaften, von denen ich innig hoffe, daß er sie seinem Buben vererbt hat. Mit den weniger guten Eigenschaften… Nun, da werde ich aufpassen.«

Heidi seufzte.

»Es ist schon schlimm, daß es so kam, wie es gekommen ist. Den Augenblick, in dem eine Frau ihrem Mann sagt, daß sie sein Kind unter ihrem Herzen trägt, den werde ich nie erleben. Die Freude darüber werde ich niemals teilen können. Trotzdem freue ich mich jetzt darauf. Es wird schwer werden. Aber ich werde es schaffen.«

»Das wirst du, Heidi! Da bin ich mir ganz sicher. Und deine Fröhlichkeit hat du auch wieder gewonnen. Jetzt erholst du dich gut. Du kommst regelmäßig zu mir in die Praxis. Außerdem ist es heute nicht mehr so schlimm wie früher, wenn eine unverheiratete Frau ein Kind bekommt. Ein Kind ist immer ein Ergebnis einer Liebe. Du bist in dem Augenblick glücklich gewesen. Dieses Glück nimmt nun Gestalt an. Das ist doch etwas Wunderbares.«

»Ja, das ist es! Ein Andenken an eine sehr glückliche Zeit – und durch meinen Buben wird dieses Glück andauern. Es ist zwar anders, als ich es mir vorgestellt habe. Trotzdem will ich es einfach als großes Geschenk einer Liebe annehmen, auch wenn die Liebe vergangen ist.«

Heidi stand auf und verabschiedete sich. Dr. Engler begleitete sie noch bis zur Tür.

*

Am Nachmittag fuhren Almut und Heidi mit Almuts Auto hinauf auf die Oberländer Alm. Sie parkten.

»Grüß Gott, Wenzel! Wie geht’s?« grüßte Almut.

»Grüß Gott!« antwortete Wenzel mit Verwunderung in der Stimme.

Almut lachte laut.

»Kennst mich nimmer? Kannst dich nimmer an mich erinnern? Das ist nicht schlimm. Wo ist die Hilda?«

In diesem Augenblick kam Hilda aus der Almhütte. Sie stellte den Krug mit Milch ab. Überrascht und prüfend schaute sie Almut an.

»Sag’, bist du es wirklich?«

Almut lachte.

»Was denkst du?«

»Muß wohl so sein! Mei, siehst gut aus, Almut!«

»Ja, richtig fesch schaut sie aus. Kann es mit den jungen Madln aufnehmen«, rief Wenzel dazwischen. »Richtig fesch schaut sie aus in den engen Kniebundhosen. Fesch!«

»Nun höre auf, Wenzel! Siehst, Almut! Der Wenzel ändert sich nie. So war er schon immer. Sieht er einen Weiberrock, muß er was sagen.«

»Ich habe aber Wanderhosen an, Hilda! Aber ich weiß schon, wie er es meint. Und ihr? Wie geht es?«

»Ja, wie soll es gehen! Wir haben den Hof vor Jahren übergeben und uns hier auf die Alm zurückgezogen. Da sind wir noch nützlich. Es ist auch Arbeit, aber nimmer so, als wenn man für einen Hof verantwortlich ist. Ganz ohne etwas zu tun, des wäre nix für uns. Und du? Was machst du in Waldkogel?«

»Urlaub! Will rauf zur Berghütte! Ich hatte ein bisserl Sehnsucht nach meinem schönen Waldkogel und den Bergen. Ich arbeite nicht mehr.«

»Du hast auch genug gearbeitet in deinem Leben. Du kanntest keinen Sonntag, keinen Feiertag, keine Nachtruhe und keinen Feierabend.«

»Das ist nun mal so, wenn man Hebamme ist. Die Kinder kommen, wann sie wollen. So war es jedenfalls früher.«

»Ja, ja, die Zeiten ändern sich! Es ist aber nicht alles schlecht, Almut!«

»Das stimmt! Das meiste ist sogar sehr gut. Bei manchen Dingen sollte man nur den guten Mittelweg wählen und die Tradition nicht vergessen. Nicht alles, was alt ist, ist rückständig.«

»Des stimmt, Almut! Vieles wird sogar wieder neu entdeckt.«

»Ja, das stimmt. Das ist ein unerschöpfliches Thema, Hilda. Ich werde länger in Waldkogel bleiben. Ich besuche dich bestimmt. Dann nehme ich mir viel Zeit, um über die alten Zeiten zu reden.«

»Ja, das werden wir machen! Gib rechtzeitig Nachricht, dann backe ich uns einen Apfelstrudel.«

»Das mache ich bestimmt. An deinen Apfelstrudel mit Rosinen und viel Zimt erinnere ich mich noch.«

Hilda Oberländer lächelte.

»Ich weiß. Wenn du nachts einem Baby geholfen hattest, auf die Welt zu kommen, dann bist du morgens oft bei uns auf dem Hof vorbeigekommen. Eine Tasse Kaffee und ein Stück Apfelstrudel, die taten dir gut.«

»Ja, Hilda! Schön ist es gewesen nach einer anstrengenden Nacht bei euch auf dem Oberländer Hof.«

Almut verabschiedete sich von Hilda und Wenzel.

Heidi hatte sich im Hintergrund gehalten und beim Auto gewartet.

Sie gingen gemeinsam los. Sie ließen sich Zeit und genossen den Aufstieg. Sie rasteten oft, schauten in die Weite, über das Tal und hinüber zu den Bergen.

»Du kennst Hilda und Wenzel gut, Almut?«

»Ja! Ich hatte damals ein Zimmer bei ihnen auf dem Hof. Hilda bemutterte mich. Das war schön. Ich war alleine, kannte niemanden, als ich nach Waldkogel kam. Es ist auch Hilda zu verdanken, daß die Frauen und Familien so schnell Vertrauen zu mir bekamen. Das vergesse ich Hilda nie. Schön, daß sie auf der Oberländer Alm so glücklich und zufrieden ist.«

»Sie ist zu beneiden. So ein schönes langes gemeinsames Leben mit ihrem Wenzel«, seufzte Heidi.

Almut legte den Arm um Heidis Schultern.

»Kopf hoch, Madl! Denke nicht so etwas. Denke an die Zukunft. Freue dich, daß du Mutter wirst. Keine trüben Gedanken! Das ist nicht gut für den Buben! Er wird nicht nur Fröhlich heißen, genau wie du, er soll jetzt schon spüren, daß du ein fröhlicher Mensch

bist.«

»Schimpfe nur mit mir, Almut! Es ist richtig, was du sagst. Aber es ist auch schwer für mich. Ich kann die Gedanken an ihn nicht einfach wegschieben. Jedesmal, wenn ich an das Kind denke, denke ich auch an ihn.«

»Das verstehe ich doch! Wenn du an ihn denkst, erinnere dich nur an schöne Augenblicke. Davon wird es doch auch genug gegeben haben, oder?«

»O ja! Es gab viele glückliche Augenblicke!« seufzte Heidi.

»Die kann dir niemand nehmen. Bewahre sie tief in deinem Herzen, damit du sie später deinem lieben Buben erzählen kannst.«

Sie gingen weiter.

Am frühen Abend erreichten sie die Berghütte.

Der alte Alois kam ihnen über das Geröllfeld entgegen:

»Da bist du endlich, Almut! Welche Freude! Der Toni hat mir gesagt, daß kommen tust. Mei, wie freue ich mich! Da können wir über alte Zeiten plaudern.«

»Ja, das werden wir, Alois! Ich freue mich auch, dich zu sehen.«

»Hast net erwartet, daß es mich noch gibt, wie?« blinzelte der alte Alois Almut zu.

Almut lachte.

»Weißt, Almut! Seit ich die Berghütte dem Toni und Anna übergeben habe, da habe ich wieder eine Aufgabe. Ich muß ein bisserl darauf achten, daß sie alles richtig machen«, schmunzelte er und blinzelte. »Ich bin dem Herrgott dankbar, daß er mir sozusagen ein weiteres Leben, eine weitere Familie geschenkt hat: Toni, Anna und die Kinder, die Bichler Kinder. Aber wir haben uns verständigt, daß wir nimmer von den Bichler Kinder reden, sondern von den Baumberger Kindern. Des hat der Pfarrer Zandler so eingeführt. Weil die beiden nun mal hier leben, bei der Anna und dem Toni Baumberger. Des hat der Herr Pfarrer so gemacht, daß sich die beiden – besonders die kleine Franzi – noch mehr dazugehörig fühlen. Des ist ein Trick von ihm.«

Sie kamen vor der Berghütte an. Toni begrüßte Almut. Anna kam aus der Küche.

»Grüß Gott, Almut! Wir haben schon zwei schöne Kammern für euch freigemacht. Da werdet ihr euch wohlfühlen! Kommt mit!«

Anna ging voraus. Toni nahm Almut und Heidi die Rücksäcke ab.

Sie erfrischten sich und setzten sich an den Kamin. Franziska lag neben Bello, dem jungen Neufundländer, auf dem Boden und las in einem Buch. Sebastian half Toni hinter dem Tresen. Heidi beobachtete die Kinder.

»Wenn man weiß, daß man schwanger ist, dann schaut man Kinder plötzlich ganz anders an, Almut!« bemerkte Heidi.

Der alte Alois hörte es.

»Mei, Heidi! Heißt des, das du ein Kind erwartest?«

Heidi errötete. Sie schaute Almut an.

»Nun, antworte schon, Heidi!« ermunterte diese die angehende Mutter.

Heidi atmete tief durch.

»Ja, ich erwarte ein Kind. Ich bin heute morgen bei Dr. Engler gewesen. Es wird ein Bub! Und um weitere Fragen vorweg zu beantworten: Ich bin ledig! Ich werde auch ledig bleiben! Es wird niemand erfahren, wer der Vater ist – außer später mein Bub. Das ist alles meine Angelegenheit!«

»Bravo!« lobte Almut Heidi. »Das ist das richtige Selbstbewußtsein, das ich mir von dir wünsche.«

Anna kam herbeigeeilt.

»Du erwartest ein Baby? Habe ich das richtig gehört?«

»Ja, so ist es! Ich bin am Ende des vierten Monats.« Heidi schaute an sich herunter. »Man sieht nichts oder es fällt nicht auf, weil ich so mager bin.«

»Das ist wunderbar! Glückwunsch! Vater hin oder her! Kind ist Kind!«

Anna fiel Heidi um den Hals. Heidi wurde es ganz warm ums Herz. Daß ihr Zustand so viel Freude und Anteilnahme auslösen konnte, überraschte sie doch.

Anna lief sofort zu Toni und erzählte es ihm. Er war kurz auf die Terrasse gegangen und hatte den Hüttengästen das Bier gebracht.

»Mei, Heidi! Glückwunsch!« Toni schüttelte Heidi die Hand.

Almut erklärte, daß sie Heidi mitgebracht hatte, damit sie sich erhole und auch etwas zunehmen würde.

»Wir verwöhnen dich schon, Heidi!« sagte Anna.

»Ja, wir machen es dir schön! Wenn du einen besonderen Wunsch hast, dann mußt du es nur sagen«, ermunterte sie Toni. »Man sagt doch, Madln, die schwanger sind, hätten besondere Gelüste auf Süßes und Saures. Anna, am besten zeigst du der Heidi unsere Speisekammer. Vielleicht findet sie etwas, was ihr mundet.«

»Das ist eine gute Idee!«

Anna nahm Heidi bei der Hand und zog sie fort.

Währenddessen unterhielt sich Almut mit Toni. Toni hörte ihr aufmerksam zu, was sie zu berichten hatte. Er hatte großes Mitleid mit Heidi. Toni erinnerte sich an etwas. Er sagte aber zunächst nichts. Er wollte dies erst mit Anna bereden. Dazu würde er erst später Zeit finden.

*

Die letzten Hüttengäste waren schlafen gegangen. Toni ließ Bello, den jungen Neufundländer, noch einmal kurz hinaus, bevor er die Tür der Berghütte verriegelte. Er löschte das Licht im großen Wirtsraum der Berghütte. Nur die Glut im Kamin leuchtete noch etwas den Raum aus.

Toni ging zu Anna in die Küche. Sie war mit den letzten Vorbereitungen für den folgenden Tag beschäftigt.

Toni schloß die Küchentür zum Wirtsraum.

»Nanu? Du machst die Tür zu, Toni. Geheimnisse?« staunte Anna.

»Naa, keine Geheimnisse, Anna! Ich will nur mit dir über die Heidi Fröhlich reden. Die Heidi und die Almut schlafen doch net auf dem Hüttenboden. Sie haben die Kammern hier unten. Ich will nicht, daß sie etwas hören. Mir geht das schon den ganzen Tag im Kopf herum«, sagte Toni mit merklich gedämpfter Stimme.

Er holte sich einen Becher Kräutertee und schenkte Anna auch einen Becher ein. Sie setzten sich an den Tisch.

»Du hast heute nachmittag schon so eine Andeutung gemacht, Toni.«

»Ja! Es ist schon eine Zeitlang her, schon einige Wochen. Es ist an einem Sonntag gewesen. Ich habe draußen auf der Terrasse nach den Hüttengästen geschaut. Es war ein Tag, an dem wir besonders viele Gäste hatten. Ich glaube mich zu erinnern, daß ich die Heidi mit einem Burschen über das Geröllfeld gehen sah. Die beiden blieben auch stehen. Sie sprachen kurz miteinander. Dann gingen sie weiter. Ich dachte damals, daß sie weitergingen, weil es bei uns so voll war.«

»Bist du sicher, daß es die Heidi war?«

»Ja, Anna! Da bin ich mir ganz sicher!«

Toni trank einen Schluck Tee.

»Hast du den Burschen auch erkannt?«

Toni rieb sich das Kinn.

»Ich vermutete, daß es der Gerd Eichinger war. Er war ihm jedenfalls sehr ähnlich. Doch einhundertprozentig möchte ich mich da nicht festlegen.«

Anna drehte ihren Becher in den Händen.

»Du vermutest, daß der junge Eichingerbauer der Vater von Heidis Kindchen sein könnte?«

Toni zuckte mit den Schultern.

»Daran habe ich zuerst gedacht. Aber auf der anderen Seite kann ich das nicht verstehen. Der Gerd ist ein grundanständiger Bursche. Er ist fleißig und ehrlich. Er ist kein Hallodri. Er ist kein Bursche, der nur an die Weiber denkt und sonst an nix. Er ist sehr zurückhaltend, fast ein wenig scheu. Ich erinnere mich, was ich damals kurz dachte. Schau an, wenn es der Gerd ist, dann hat er vielleicht jetzt ein Madl gefunden. Wie schön für ihn. Doch dann habe ich das auch vergessen. Ich habe den Gerd zusammen mit seinem Vater einmal am Stammtisch bei meinen Eltern gesehen.«

»Du hast ihn nicht gefragt? Eine kleine Anspielung gemacht, Toni?«

»Naa! Erstens hab’ ich die Sach’, daß ich ihn gesehen habe, total vergessen und zweitens wäre des dem Gerd bestimmt nicht recht gewesen.«

Anna trank ihren Becher Tee aus. Sie schenkte sich nach, gab Zucker dazu und rührte um. Anna dachte nach.

»Toni, du kennst Gerd Eichinger besser als ich. Wenn er wirklich kein Hallodri ist, kein Bursche, der den Madls nachstellt, dann wird er auch wohl nicht der Vater des Buben sein. Das würde nicht zu ihm passen.«

»Das denke ich auch! Aber Heidi ist im Grunde auch kein Madl, das sich einfach so mit einem Burschen einläßt. Außerdem will sie ganz alleine für des Kindl sorgen. Hast gesehen, wie schlecht sie ausschaut, wie mager sie ist?«

»Ja, Toni! Es ist schon erschreckend!«

Anna schaute Toni in die Augen.

»Hältst du es für möglich, daß die beiden etwas zusammen hatten und der Gerd sich dann von Heidi abgewandt hat?«

»Naa! Naa! So einer ist der Gerd net! Des würde net zu ihm passen! Naa, nie und nimmer!«

Anna nickte und hob dann die Schultern.

»Dann könnte es nur noch eine andere Erklärung dafür geben oder?« Anna wartete nicht ab, bis Toni antwortete. »Toni! Nehmen wir einmal an, daß sich die beiden sehr, sehr lieb hatten. Gehen wir weiter davon aus, daß der kleine Bub, den Heidi jetzt unter ihrem Herzen trägt, die Folge dieser Liebe ist. Dann gibt es für mich nur eine Schlußfolgerung: Gerd weiß es nicht. Er weiß nicht, daß er Vater wird.«

Anna schmunzelte.

»Es ist von der Natur nun einmal so vorgegeben, daß es die Frau zuerst weiß. Heidi könnte es Gerd nicht gesagt haben.«

»Warum? Wenn sie ihn doch geliebt hat?«

»Auch darüber könnte man nur spekulieren. Aber ich habe heimlich mit Almut geredet. Heidi liebt den Vater ihres Kindes noch immer. Sie hat mit ihm Schluß gemacht. Almut hat es mir ganz im Vertrauten erzählt. Es muß wirklich unter uns bleiben.«

»Ich verstehe!«

Toni holte sich einen Schnaps. Er wollte Anna auch einen einschenken.

Doch sie lehnte ab.

»Dann muß es einen Grund dafür geben, daß die Heidi das gemacht hat.«

»Richtig! Sie hat wahrscheinlich erst danach vermutet, daß sie ein Kind bekommt und war ja jetzt auch erst auf Drängen der Almut beim Martin zu Untersuchung.«

Toni schenkte sich einen weiteren Klaren ein.

»Des ist aber auch alles nicht richtig, Anna! Auch wenn die Heidi den Gerd net heiraten will – nehmen wir mal an, daß Gerd der Vater ist – so sollte er es doch wissen.«

»Diese Entscheidung liegt alleine bei Heidi. Da sollte sich auch niemand einmischen!«

Toni schüttelte den Kopf.

»Anna, sicherlich sollte sich da niemand einmischen. Aber es ist ungerecht. Da wird einer Vater und er weiß es nicht!«

Toni regte sich ziemlich auf.

»Toni, uns sind die Hände gebunden! Wir sollten uns da nicht einmischen. Wir würden Heidis und Almuts Vertrauen mißbrauchen.«

»Anna, aber einfach so zuschauen, des ist auch schwer. Vielleicht gibt es einen anderen Weg. Einen Weg, daß sich das Ganze irgendwie regelt – wie von selbst. Ohne, daß wir das Vertrauen mißbrauchen. Zuerst müßte man herausfinden, ob da etwas war zwischen dem Gerd Eichinger und der Heidi Fröhlich.«

Anna dachte einen Augenblick nach. Sie überlegte, was man tun könnte.

»Toni, der Gerd ist doch ein begeisterter Reiter, so viel ich weiß?«

»Ja, des ist er. Auf dem Eichinger Hof gibt es Pferde. Es sind keine Ackergäule, Kaltblüter, wie man sie für die Landwirtschaft früher verwendete. Es sind Reitpferde, richtig edle Pferde. Die ganze Familie Eichinger reitet gerne. Doch was hat diese Tatsache mit Heidi zu tun?«

Anna schmunzelte.

»Franziska ist besonders pferde-narrisch! Das weißt du! Das ist nichts Außergewöhnliches. Viele Mädchen in ihrem Alter sind das. Basti mag Pferde auch gern. Wie wäre es, wenn wir den Gerd bitten, den Kindern ein paar Reitstunden zu geben, hauptsächlich Franzi?«

»Des ist an sich eine gute Idee. Ich weiß nicht, ob er des macht. Er wird fragen, warum wir die Kinder nicht auf dem Reiterhof anmelden?«

»Ach, da wird mir schon eine Ausrede einfallen, Toni! Jedenfalls gibt es dann sicherlich auch eine Gelegenheit, ganz unverfänglich mit Gerd zu reden. Du oder ich reden über Franziska und Sebastian und wie schön es ist, die beiden zu haben. Besonders, weil uns bisher eigene Kinder versagt geblieben sind. Das Gespräch läßt sich dann auch ganz unverfänglich auf die Liebe, auf ein Madl und letztlich sogar auf die Heidi bringen. Es muß, es kann nur eine kleine Bemerkung sein. Weißt so, wie: Sag mal, Gerd, kann es sein, daß ich dich da vor einigen Wochen in den Bergen gesehen habe mit der Heidi Fröhlich oder täusche ich mich da?«

Ihnen war beiden klar, daß Gerd Eichinger darauf antworten müßte – so oder auch so.

Sie beschlossen, daß Toni an einem der nächsten Tage zum Eichinger Hof gehen würde.

Es war jetzt recht spät geworden. Toni stellte die Teebecher und das Schnapsglas in die Küchenspüle. Sie löschten das Licht und gingen schlafen.

*

Es vergingen einige Tage. Die meiste Zeit verbrachte Heidi auf der Terrasse der Berghütte. Sie wollte nicht wandern gehen. Sie genoß die Sonne und schaute in die Weite. Der Anblick der vertrauten Berge tröstete ihr wundes Herz. Sie sehnte sich noch immer nach Gerd. Er war ihre große Liebe. Er war der Vater ihres Kindes.

Almut machte Wanderungen. Abends saßen die beiden am Kamin. Sie schauten in die Flammen des Kaminfeuers und redeten leise miteinander. Heidi erholte sich langsam. Sie hatte eine gesündere Gesichtsfarbe bekommen. Ihre Fröhlichkeit kehrte auch mit jedem Tag ein Stück weiter zurück.

Anna hatte ihr Wolle und Garn gegeben. Heidi strickte Babysachen.

»Hast du dir schon Gedanken über einen Namen gemacht?« fragte Anna.

»Nicht richtig! Ich weiß nur eines: Der Bub wird zwei Vornamen bekommen. Der erste Name, das wird sein Rufname sein und der zweite Name, da denke ich daran, ihm vielleicht den Vornamen seines Vaters zu geben. Da bin ich mir aber noch nicht sicher.«

»Du hast ja noch ein wenig Zeit!«

»Die Zeit vergeht schneller, als man annimmt«, bemerkte Almut, die dabei saß.

Heidi seufzte. Es war ihr schwer ums Herz. Anna und Almut wechselten Blicke.

Franziska kam zu Anna.

»Die Reitstiefel drücken, Anna! Die will ich morgen nicht anziehen!«

»Das mußt du auch nicht, Franzi!« tröstete sie Anna. »Nimm einfach deine Sportschuhe. Wir werden beim nächsten Einkauf in Kirchwalden neue Reitstiefel kaufen.«

»Prima! Wann?«

Anna lachte.

»Das weiß ich noch nicht, Franzi! Ich verspreche dir aber, daß ich mir bald Zeit nehme.«

Franziska wußte, daß sie sich mit dieser Antwort zufriedengeben muß­te. Sie ging wieder spielen.

»Der Reiterhof hat auch einen Laden, Anna. Da brauchst du nicht wegen Franzis Stiefel nach Kirchwalden«, bemerkte Heidi.

»Franziska reitet nicht auf dem Reiterhof. Sie bekommt die Grundbegriffe der Reiterei von Gerd Eichinger beigebracht.«

Almut und Anna sahen, wie Heidis Gesichtsfarbe wechselte. Sie wurde blaß.

»Heidi, ist dir nicht gut?« fragte Almut.

»Doch, doch! Mir geht es gut! Alles in Ordnung!« bemühte sich Heidi zu versichern.

»Von was sprachen wir gerade? Ah, vom Reiten! So, so, Franzi geht zum Reiten auf den Eichinger Hof. Die Eichingers haben schöne Pferde. Als ich vor einigen Wochen von der Arbeit heimgefahren bin, sah ich vom Bus aus den Gerd Eichinger auf seinem Rappen. Wirklich ein schönes Tier. Es machte ihm auch keine Mühe die beiden zu tragen. Im Ganzen war es ein schönes Bild. Das edle schwarze Pferd, mit Gerd drauf und hinter ihm saß Dora Almer. So ritten sie über die Wiesen.«

Almut und Anna warfen sich Blicke zu.

Anna tat erstaunt.

»Was du nicht sagst! Der Gerd Eichinger und Dora Almer! Zusammen auf einem Pferd!«

»Ja!« bestätigte Heidi und wurde rot dabei.

»Ja, haben die etwas zusammen?« fragte Almut.

»Das vermute ich stark! Warum würde Dora sonst nachts zu Gerd auf den Hof fahren, oder?«

»Woher weißt du das? Hast du sie gesehen?«

»Nein! Dora war mit dem Auto unterwegs zu Gerd. Sie hat mich ein Stück mitgenommen und es mir erzählt.«

»Dann scheinen die beiden was zusammen zu haben, vermute ich!«

Almut lachte.

»Früher sind die jungen Burschen zu den Madls zum Fensterln. Heute fahren die Madln mit dem Auto zu dem Burschen. Na ja, die Almers haben viele Töchter. Vielleicht wollte Dora verhindern, daß ihre Schwestern etwas von dem Liebesgeflüster hören. Die Gefahr gibt es auf den Eichinger Hof nicht. Gerd ist das einzige Kind. Aber richtig ist es nicht, daß Dora das tut.«

»Sie sagte auch nicht, daß sie Fensterln wollte. Sie gab vor, ihren Schlüssel liegen gelassen zu haben.«

Anna und Almut staunten. Die Ausrede war zum Lachen. Nach und nach brachten sie Heidi dazu, ihnen ausführlich von dem Gespräch zwischen ihr und Dora im Auto zu erzählen.

»Das ist ja wirklich das allererste, was ich höre. Niemand wußte, daß der Eichinger ein Madl hat. Noch weniger, daß dort eine Verlobung bevorsteht.«

Anna verstand das Ganze nicht. Sie zweifelte aber nicht an Heidis Worten. Anna nahm sich vor, ernsthaft mit Toni zu reden. Jetzt gab es ja Ansatzpunkte.

*

Einige Tage darauf suchte Toni den Eichinger Hof auf. Er wollte Franziskas Reitstunden bezahlen.

»Grüß Gott, Eichingerbauer!«

»Grüß Gott, Toni! Du, deine Franzi, die macht große Fortschritte beim Reiten.«

Toni wurde es ganz warm ums Herz, als er die Worte hörte »deine Franzi«. Toni liebte die kleine Franziska wie ein eigenes Kind.

»Mei, des freut mich! Sie ist auch ganz begeistert davon. Ich bin auch froh, daß sich der Gerd der Franzi annimmt. Des Madl wollte net zum Reiterhof. Warum? Des war net richtig aus ihr rauszubekommen. Dabei nimmt dort der Sebastian Reitunterricht. Die Franzi sagt, daß der Reiterhof nur braune Pferde habe. Ihr würden aber Rappen besser gefallen.«

Die beiden Männer lachten.

»Kann ich dir des Geld geben? Ich sehe den Gerd nicht!«

»Kannst es mir auch geben! Aber der Gerd ist da! Er ist hinter der Scheune und hackt Holz. Kannst ruhig zu ihm gehen!«

Der Eichinger Bauer schaute Toni an.

»Der Gerd ist im Augenblick ein bisserl schwierig. Der hat eine Enttäuschung hinter sich. Er hatte sich wohl in ein Madl verliebt. Doch die hat ihm den Laufpaß gegeben. Will nix mehr von ihm wissen.«

»So etwas soll vorkommen! Dabei hat des Madl schon überall rum-erzählt, daß sie sich im Spätsommer mit dem Gerd verloben will!«

Der Eichinger Bauer schaute Toni erstaunt an.

»Des kann net wahr sein! Naa!«

»Doch, Eichinger! Du kannst mir glauben!«

Gerds Vater schüttelte den Kopf.

»Dann gibt es höchstens etwas, von dem ich nix weiß. Was weißt du noch, Toni? Mußt mir des schon sagen. Aus meinem Buben ist kein Wort rauszubringen. Der ist verschlossen wie ein Panzerschrank. Er muß sehr enttäuscht sein. Jede freie Minute ist er jetzt dabei, Holz zu hacken. So viel Holz für den kommenden Winter hatten wir noch nie. Ich vermute, des wird noch mehr werden. Na ja, was kann man da machen? Nix! Irgendwann wird der Schmerz in seinem Herzen nachlassen! Soll er eben bis dorthin Holz hacken, wenn es ihm hilft.«

»Also nach allem, was ich weiß, dann ist des Madl hier schon ein und aus gegangen. Mit deiner Frau soll es sich gut verstehen.«

»Naa, naa! Du mußt dich irren! Des kann net sein, Toni! Hier geht kein Madl aus und ein!«

Toni legte die Stirn in Falten.

»Na ja! Es geht mich jetzt auch nix an!«

Der Eichingerbauer schüttelte den Kopf.

»Des verstehe ich net! Doch rede du doch mal mit dem Gerd! Vielleicht klärt es sich dann alles auf! Du findest sicher den Weg! Ich brauche jetzt einen Schnaps! Hier soll eine Verlobung ins Haus stehen? Wie heißt des Madl, des so etwas behauptet?«

»Des ist die Dora Almer!«

Der Eichingerbauer grinste.

»Des hätte die Dora wohl gerne! Schöne Augen hat sie unserem Gerd gemacht. Es würde ihr auch gut passen, in den Hof einzuheiraten. Richtig nachgestellt hat sie unserem Buben. Der Gerd hat mir alles erzählt. Da muß es noch ein anderes Madl geben. Die Dora Almer ist es net. Das weiß ich! Mei, fesch ist die Dora schon. Aber des Madl ist net so, ich meine von der Sorte, die dem Gerd gefallen tut. Bist du sicher, daß es die Dora sein soll?«

»Nach allem, was ich weiß, ja!«

»Naa, naa! Des kann net sein! Aber jetzt hole ich mir einen Schnaps.«

Der Eichingerbauer ließ Toni stehen. Er ging ins Haus.

Toni schaute ihm nach. Er rieb sich das Kinn und versuchte das einzuordnen, was er soeben von Gerds Vater erfahren hatte. Schließlich ging er weiter über den Hof, in Richtung Hackplatz.

Dort stand Gerd in einer Lederhose, mit nacktem Oberkörper und hackte Holz.

»Grüß Gott!« rief ihm Toni zu.

Gerd Eichinger antwortete nicht gleich. Erst als er das dicke Stück Holz gespalten hatte, trieb er die Axt in den Holzklotz und wandte sich Toni zu.

»Grüß Gott, Toni!«

Gerd trocknete sich mit seinem Hemd Gesicht, Stirn und Nacken ab. Das Holzhacken hatte ihn erhitzt. Sein ganzer Oberkörper und Kopf waren feucht.

»Magst ein Bier, Toni?«

»Da sage ich net nein!«

Gerd Eichinger holte aus einem Eimer mit kaltem Wasser zwei Flaschen Bier. Die beiden Männer schnippten mit den Daumen die Verschlüsse ab.

Es knallte leise. Sie prosteten sich zu. Sie tranken.

»Schmeckt gut!« bemerkte Toni.

»Ja, des ist Bier aus der Klosterbrauerei! Nix Offizielles! Die Ordensleut’ brauen des nur für sich selbst, nach einem uralten Rezept. Der Eichinger Hof beliefert des Kloster. Dafür gibt es dann und wann einen Kasten von dem edlen Bier!«

Toni lächelte.

»Dann ist des ja eine besondere Ehre, daß du mir eine Flasche angeboten hast, wenn des Bier hier so rar ist?«

»Da liegst du nicht so falsch, Toni!«

Sie tranken wieder.

»Bist gekommen, um die Reitstunden der Franzi zu bezahlen?«

Toni nickte und streckte ihm die Euroscheine hin.

»Laß des mal sein, Toni! Des macht mir Freude. Außerdem will ich demnächst mal einige Tage rauf zu euch auf die Berghütte kommen. Ich muß mal abschalten!«

»Bist jederzeit ein gern gesehener Gast, Gerd! Wann willst kommen?«

»Ich weiß noch net! Ich habe noch den Kopf so voll. Ich will ein bisserl Bergsteigen. Da muß ich meine Sinne beisammen haben. Des ist net gut, wenn man beim Bergsteigen an etwas anderes denkt. Der Berg verlangt die ganze Aufmerksamkeit. Der verzeiht keinen Fehler!«

»Des stimmt! Da ist schon mancher in Gefahr geraten, weil er nicht ganz bei der Sache war. Des klingt, als würde dich ein Problem beschäftigen oder eine Frage?«

Gerd schaute Toni in die Augen.

»Ja, so ist es! Aber da muß ich alleine durch!«

Dann seufzte Gerd.

Er saß stumm da und trank sein Bier. Toni wartete. Dann dauerte es Toni zu lange. Er sagte leise:

»Gerd, hat dein Kummer was mit der Dora Almer zu tun?!«

»Mit der Dora? Schmarrn! Wie kommst darauf? So ein hirnrissiger Unsinn! Wie kommst darauf?«

Gerds Augen funkelten.

»Nun, man erzählt sich, daß du und Dora – nun, da wurde schon über eine baldige Verlobung gemunkelt.«

»Wie? Wie bitte? Himmelherrgott! Donnerkeil!«

»Fluchen hilft da auch net, Gerd! Ich sage nur, wie es ist. Außerdem hast du dir des auch zuzuschreiben. Wenn du mit der Dora auf einem Pferd am hellichten Tag, wo euch jeder sehen kann, über die Felder und Wiesen reitest, dann mußt du dich net wundern. Außerdem wird überall herumerzählt, wie gut sich die Dora Almer mit deiner Mutter versteht.«

Gerd Eichinger starrte Toni ungläubig an.

»Des kann doch net wahr sein! So ein Schmarrn! Da hat sich jemand etwas zusammengereimt! Toni, daran ist kein wahres Wort.«

Toni schmunzelte.

»Mußt net leugnen, Gerd! Die Dora wurde gesehen, wie sie nachts zu dir auf den Hof wollte!«

Gerd Eichinger sprang auf.

»Hirngespinste! Lügengeschichten! Alles erdichtet, erstunken und erlogen!« brüllte er. »Ausgerechnet die Dora und ich sollen was zusammen haben? Des ist der größte Unsinn! Des haut ja den stärksten Ochsen um! Ich und die Dora? Naa! Nie im Leben!«

Toni trank einen Schluck.

»Es geht mich ja auch nix an, Gerd. Aber leugnen kannst du nicht, daß du mit der Dora geritten bist und sie auch nachts hier war. Des mußt du doch zugeben! Dafür gibt es glaubhafte Zeugen!«

»Wen?«

»Gerd, des tut jetzt nix zur Sache! Also bist du oder bist du net mit der Dora geritten? War sie oder war sie net hier?«

Gerd Eichinger stellte die halbvolle Bierflasche ab und fuhr sich mit beiden Händen durchs schwarze Haar.

Er setzte sich wieder hin.

»Ja! Ja ich bin mit Dora geritten! Und sie war nachts auch einmal hier!«

Toni hörte aufmerksam zu, wie Gerd Eichinger ihm die Einzelheiten erzählte. Dora war mit ihrem eigenen Pferd unterwegs gewesen. Jedem war bekannt, daß Dora Pferde nicht sonderlich mochte. Sie konnte auch mit dem Tier nicht umgehen. Doras Vater, der Almerbauer, war aber Vorsitzender des örtlichen Reitervereins und bestand darauf, daß alle seine Töchter ritten.

Bei Dora ging das regelmäßig schief. Das Pferd hatte sie mal wieder abgeworfen und war durchgegangen.

»Ich habe Dora drüben beim Wäldchen getroffen. Sie war zu Fuß unterwegs, weil ihr Pferd mal wieder durchgegangen war. Also nahm ich sie mit!«

Für Toni war es verständlich, daß man sich unter Reitern und noch mehr unter Waldkogelern half.

Sie waren bis zum Eichinger Hof geritten. Gerds Eltern hatten mit ihren Pensionsgästen beim Abendessen gesessen. So luden sie Dora ein. Es war spät geworden. Nach dem Essen saßen alle noch gemütlich beim Bier zusammen.

»Dann brachte ich Dora heim, zu Fuß über die Felder! Des war vielleicht eine Dummheit von mir. Des Madl hat es darauf angelegt, daß ich sie stützen mußte. Näher will ich des net ausführen.«

Langsam formte sich für Toni daraus ein Bild. Besonders, als er erfuhr, daß Dora in derselben Nacht noch einmal auf den Eichinger Hof zurückgekehrt war, um ihren Schlüssel zu holen.

»Toni, ich glaube net dran, daß des mit dem Schlüssel so wichtig war. Sie hat den mit Absicht liegen lassen. Sie hatte ihn unter des Stuhlkissen geschoben.«

Gerd Eichinger schüttelte den Kopf.

»Genervt hat mich die Dora in der Nacht! Wollte sie mich doch überreden, daß ich ihr den Schlüssel sofort bringe! Mei, ich bin doch net so deppert, des zu machen. Was des hätte geben können! Stell dir vor, wenn mich ihr Vater auf dem Almer Hof gesehen hätte, mitten in der Nacht. Naa! Da hab’ ich mich net darauf eingelassen!«

Toni verstand. Gerd mußte es nicht näher ausführen.

Toni rieb sich das Kinn.

»Dann hat dein Kummer nix mit der Dora zu tun?«

»Naa!«

»Dann hat er mit einem anderen Madl zu tun?«

»So ist es«, seufzte Gerd und trank einen Schluck Bier.

»Des Madl hat mir den Laufpaß gegeben. Wir waren schon seit den ersten Frühlingstagen zusammen. Ich wollte sie bald meinen Eltern vorstellen. Erst mußte ich doch mal sicher sein, daß wir zusammenpassen. Ich kann doch ein Madl net einfach heimbringen. Am Ende macht es sich Hoffnungen und dann wird doch nix draus, weil wir rausfinden tun, daß wir net harmonieren. Verstehst, Toni?«

Toni nickte.

Vorsichtig fragte Toni nach, wie es dann dazu kam, daß sie nicht mehr zusammen waren. Stockend berichtete ihm Gerd, daß das Madl sich von ihm getrennt habe. Dabei habe er noch nicht einmal den Grund erfahren. Tief getroffen habe es ihn. Gerd hatte schon die Verlobungsringe gekauft.

»Sie knallte mir einfach die Tür vor der Nase zu!« seufzte Gerd.

Toni versuchte Gerd Eichinger zu überreden, es weiterhin zu versuchen. Vielleicht sei es nur der falsche Tag gewesen, die falsche Stunde für eine Aussprache. Gerd zuckte mit den Achseln.

Toni wagte einen letzten Versuch. Er bat Gerd zu überlegen, ob dahinter nicht einfach die Geschichte der Dora Almer steckte.

»Wenn das Madl dich liebte, Gerd, dann muß sie die Geschichte von dir und Dora getroffen haben. Versetze dich doch mal in ihre Lage!«

Gerd Eichinger schüttelte den Kopf.

»Des mit der Dora, des war nur einen Tag davor. So schnell soll des ihr jemand zugetragen haben? Naa, des glaube ich net. Des kann nicht sein. Es hat niemand gewußt, daß wir ein Paar sind.«

»Gerd, es gibt Zufälle, von denen sagt man, daß es sie eigentlich net geben kann, rein statistisch. Nimm mal an, dein Madl hat dich und Dora gesehen, wie ihr da über die Wiesen geritten seid. Möglich wäre es doch – rein theoretisch? Denke mal nach!«

Toni stand auf. Er trank die letzten Schluck Bier aus.

»Danke für das Bier! War gut! Etwas Besonderes! Ich gehe dann mal wieder! Jedenfalls bist du jederzeit gern Gast bei uns. Von Mann zu Mann sage ich dir: Vielleicht solltest du des Madl ganz vergessen. Es gibt andere!«

Sie schüttelten sich die Hände. Toni drehte sich um und ging los. Dabei sagte er, wie beiläufig:

»Du, ich habe neulich die Heidi Fröhlich gesehen. Die ging mit einem Burschen über des Geröllfeld. Der Bursche war dir sehr ähnlich. Auf den ersten Blick habe ich gedacht, daß du es bist. Aber des bist du net gewesen! Du wärst ja mal reingekommen. Es muß jemand anderes gewesen sein.«

Blitzschnell wandte sich der junge Eichinger wieder dem Holz zu. Er legte ein Stück Holz auf den Holzklotz und ließ die Axt nieder-sausen.

Toni hörte, wie das Holz auseinanderkrachte und rechts und links herunterfiel.

»So, so! Dann scheint die Heidi einen Burschen zu haben! Toni!« rief Gerd.

Toni drehte sich um.

»Was ist?«

»Hast du die Heidi noch mal mit dem Burschen gesehen?«

»Naa! Warum? Interessiert dich des?«

»Naa, des wundert mich nur! Die Heidi ist doch sehr scheu!«

Toni konnte sich ein Schmunzeln kaum verkneifen.

»Mei, so gut kenne ich die Heidi nicht. Aber ich kann sie ja mal fragen. Ich habe nur gehört, daß es ihr gesundheitlich net so gut geht. Soll arg abgenommen haben. Eine Wanderin soll sie im Wald gefunden haben. Ganz entkräftet soll des Madl gewesen sein.«

Toni grinste.

»Es kann ja auch sein, daß hinter der Schwäche was ganz anderes dahintersteckt. Aber ich beteilige mich nicht an Gerüchten. Da kommt eines zum anderen. Und dann haben wir so eine Geschichte wie mit der Dora! Naa! Des ist nix für mich! Grüß dich, Gerd!«

Toni ging davon und schaute sich auch nicht mehr um.

*

Gerd stand wie angewurzelt auf dem Holzplatz. In seinem Kopf drehte sich alles. Sein Herz klopfte. Er rang nach Luft, weil ihm der Gedanke die Kehle zuschnürte.

Es dauerte eine Weile. Dann nahm er sein Hemd und ging nach vorne. Auf dem Hof kühlte er sich erst einmal am Brunnen ab. Er hielt den Kopf unter die Pumpe. Das eiskalte Wasser schoß heraus. Es schauerte ihn. Trotzdem war es ihm noch heiß bei dem Gedanken, der sein Herz bewegte.

Es ist nur eine Vermutung! Es ist nur ein Verdacht! Das versuchte er sich einzureden.

Gerd ging auf sein Zimmer. Er nahm eine Dusche. Er zog seinen besten Sonntagsanzug an, ein Lodenanzug aus feinstem dunkelgrünem Loden. Er nahm seinen Hut mit dem Gamsbart.

»Mei, Bub! Wie schaust du denn aus? Willst heute abend zur Messe?« staunte seine Mutter. »Dazu ist es noch ein bisserl früh.«

»Naa!«

Gerd ging auf seinen Vater zu, der am Tisch saß. Vor ihm stand die Schnapsflasche und ein Glas. Gerd schenkte es voll und trank aus. Er schenkte sich zum zweiten Mal ein und trank aus.

»Auf einem Bein kann man schlecht stehen!« bemerkte er leise.

Seine Eltern wechselten Blicke. Sie stellten Gerd keine weiteren Fragen. Sie sahen ihm nur nach, wie er zu seinem Auto ging und vom Hof fuhr.

Der Eichingerbauer hatte seiner Frau von dem Gespräch mit Toni erzählt.

»Was schätzt du, wohin unser Bub fährt?«

»Vielleicht zum Almer Hof, um mit der Dora zu reden! Die Sache muß aus der Welt. Jedenfalls ist es besser, er tut etwas, um des klarzustellen. Holzhacken bringt ihn da nicht weiter«, seufzte die Bäuerin.

Die Eltern wußten, sie mußten sich in Geduld üben.

Gerd Eichinger fuhr mit hoher Geschwindigkeit auf den Almer Hof und machte eine Vollbremsung. Er sprang aus dem Wagen und stürmte ins Haus.

»Dora!« brüllte er. »Doooraaa!«

In der großen Wohnküche des Almer Hofes stand die Bäuerin am Herd.

»Grüß Gott, Gerd! Was brüllst denn so?«

»Wo ist die Dora? Ich muß sofort mit dem Madl reden!«

Gerd holte Luft und rief in Richtung Treppenhaus durch die offene Küchentür, so laut er konnte:

»Dora! Dora, wo bist du? Kommst jetzt!«

Von dem Gebrüll eilten zuerst Doras Vater und ihre Schwestern herbei.

Der Almerbauer war ärgerlich.

»Auf meinem Hof wird nicht gebrüllt, Gerd Eichinger! Das verbiete ich dir! Noch einmal und ich werfe dich raus! Und wenn jemand mal etwas lauter wird, dann bin ich es. Sonst niemand!«

Gerds Augen funkelten.

»Es geht um mein Leben! Da brülle ich, so laut ich kann und will. Des Gebrüll ist nicht so schlimm, wie die Lügen, die in die Welt gesetzt wurden. Ich will hier nur klarstellen, daß ich weder die Dora liebe, noch etwas mit ihr habe oder hatte, daß ich nie an eine Verbindung mit ihr gedacht habe. Ich dulde net, daß im ganzen Dorf her-

umerzählt wird, die Dora gehe bei uns daheim, auf dem Eichinger Hof, ein und aus. Sie verstehe sich so gut mit meiner Mutter! Die Verlobung sei nur noch eine Frage der Zeit! Ich will sofort wissen, wer diesen Schmarrn aufgebracht hat.«

Doras Eltern schauten sich überrascht an.

»Davon wissen wir nix, Eichinger! Des muß ein Irrtum sein!«

»Das wollen wir jetzt doch klären! Hier und jetzt – sofort!«

Mit hochrotem Kopf kam Dora Almer die Stiege im Treppenhaus herunter.

»Dora! Der Gerd behauptet, daß im Dorf geredet wird, daß du und er… daß ihr ein Paar seid. Es soll sogar schon über den Termin für die Verlobung geredet werden. Weißt du etwas davon? Ist da etwas dran?«

Dora schaute zum Boden. Sie schwieg.

»Dora! Sage was!« forderte sie ihre Mutter auf.

Dora antwortete:

»Ich habe damit nichts zu tun! Ich weiß nichts!«

»Des kann nicht sein!« Gerd schüttelte den Kopf. »Überlege, mit wem du über den Abend gesprochen hast, den du bei uns auf dem Hof verbracht hast? Wem hast du davon erzählt? Überlege, wer dir in der Nacht zu uns auf den Eichinger Hof begegnet ist?« fragte Gerd.

»Du bist nachts zum Eichinger Hof?« Die Stimme von Doras Vater klang bedrohlich.

»Vater, es war nix! Ich hatte doch nur meinen Schlüssel vergessen!«

»Und mußtest du ihn mitten in der Nacht holen! So ein Unsinn! Ja, bist denn von allen guten Geistern verlassen, Dora? Jetzt ist nicht nur der Gerd ins Gerede gekommen, sondern auch der Almer Hof! Wie kann man nur so gedankenlos handeln? Sag, was hast du dir dabei gedacht?«

Dora antwortete nicht. Sie kämpfte mit den Tränen.

»Gerd! Sei der Dora net nachtragend!« flehte die Almerbäuerin. »Die Dora, die mag dich! Ja, sie tut für dich schwärmen. Wenn man verliebt ist, da setzt der Verstand aus. Des mußt verstehen!«

»Nix verstehe ich! Ich will wissen, mit wem Dora darüber gesprochen hat. Mei, solche Gerüchte entstehen net von selbst. Der Samen muß immer noch gelegt werden, damit des Korn wachsen kann!« sagte Gerd Eichinger zornig.

»Dann überlege mal, Dora!«

»Ich weiß nichts mehr, gar nichts!«

Dora Almer drehte sich um und rannte die Treppe hinauf. Dann war nur noch der laute Knall zu hören, als eine Tür ins Schloß fiel.

Alle sahen sich an. Der Bauer zuckte hilflos mit den Schultern.

Doras jüngere Schwester räusperte sich. Leise sagte sie:

»Dora hat mir erzählt, sie habe nachts die Heidi Fröhlich getroffen. Die sei ganz alleine die Straße entlanggegangen. Dora hat sie dann fast bis nach Hause gefahren! Die Heidi sei komisch gewesen. Dora vermutet, daß sie Liebeskummer hatte. Ja, so war es.«

»Jetzt wird das Bild schon runder!« stöhnte Gerd Eichinger. »Kann es sein, daß die Dora da ein bisserl ein Märchen erzählt hat?«

»Das weiß ich net, Gerd! Aber Dora, die hat manchmal schon seltsame Anwandlungen. Sie will immer im Mittelpunkt stehen. Und auf die Heidi war die Dora noch nie gut zu sprechen. Die Dora und die Heidi sind in die gleiche Klasse gegangen. Die Heidi hatte immer die besseren Noten.«

Gerd Eichinger wurde blaß. Er ging zum Tisch und hielt sich an einem Stuhl fest. Er schloß für einen Augenblick die Augen. Wie von weitem drang die Stimme von Doras Schwester an sein Ohr.

»Die Heidi ist aber bestimmt kein Mensch, der tratschen tut. Die Dora muß noch mit jemandem geredet haben!«

»Des ist mir gleich! Den Schaden, den die Dora mit ihrem unbedachten Lügen angerichtet hatte, ist so groß, daß er auf keine Kuhhaut geht«, stöhnte Gerd Eichinger. »Die Heidi war mein Madl. Ich hatte schon die Ringe gekauft.«

Gerd griff in die Hosentasche. Er zeigte das kleine rote Kästchen mit den Ringen. Dann steckte er es wieder ein.

Die anwesenden Almers waren erschüttert.

»Am nächsten Tag hat die Heidi mit mir Schluß gemacht! Ich konnte mir nicht denken warum. Bis jetzt!«

Gerd versagten fast die Beine. Er setzte sich auf einen Stuhl. Der Almer Bauer holte die Schnapsflasche. Er brauchte jetzt einen Schluck und bot Gerd Eichinger auch einen an. Der hatte es noch nötiger als der Bauer. Langsam kam wieder Farbe in Gerds Gesicht.

»Du mußt mit der Heidi reden!«

»Schmarren! Wie soll ich das machen? Sie hat mir die Tür vor der Nase zugeschlagen!«

Gerd stützte für einen Augenblick den Kopf in beide Hände.

»Was soll ich nur machen?« stöhnte er. »Wie sehr muß mein armes Madl gelitten haben?«

Dann erzählte er stockend, was er von Toni erfahren hatte, daß Heidi völlig geschwächt im Wald gefunden worden war.

Der Almer Bauer stand auf. Er war voller Mitleid für Gerd. Er legte ihm die Hand auf die Schulter und sprach ihm Trost zu. Er machte den Vorschlag, daß er sofort mit Dora zu Heidi Fröhlich fahren wollte. Dort sollte seine Tochter in seinem Beisein, die Dummheit aufklären, die sie gemacht hatte. Gerd sollte solange auf dem Almer Hof warten.

Gerd brachte kein Wort heraus. Er nickte nur.

Der Bauer nahm seinen Hut. Er ging die Stiege hinauf und donnerte an die Tür seiner Tochter. Kurz darauf kam er mit ihr herunter. Sie gingen zum Auto und fuhren fort.

Die folgende halbe Stunde war für Gerd die längste halbe Stunde seines bisherigen Lebens. Gerd Eichinger litt. Unruhig wie ein Tiger im Käfig ging er zuerst in der Wohnküche auf und ab, dann auf den Hof vor seinem Auto.

Endlich kam der Bauer mit Dora zurück. Dora rannte sofort in ihr Zimmer. Der Bauer ging auf Gerd zu.

»Gerd, wir haben die Heidi nicht gefunden. Wir haben bei den Nachbarn gefragt. Sie haben sie seit Tagen, mehr als eine Woche, nicht mehr gesehen. Dann habe ich im Hotel ›Zum Ochsen‹ nachgefragt. Die Nachbarn haben gesagt, daß die Heidi dort oft in der Küche aushilft, weil sie ja Hauswirtschaft gelernt hat. Die wissen nur, daß sie krank ist. Sie gaben mir die Adresse aus Kirchwalden, wo die Heidi regulär arbeitet. Ich habe dort angerufen. Die haben vom Doktor eine Krankmeldung für die nächsten Wochen. Mehr konnten sie auch nicht sagen. Sie vermuten, daß die Heidi vielleicht im Krankenhaus liege. Sie wissen aber nichts Genaues.«

»Danke, Bauer! Dann fahre ich sofort nach Kirchwalden ins Krankenhaus!«

»Soll ich mit der Dora mitkommen?«

»Naa! Ich werde mich erst mal erkundigen! Wenn ich Hilfe brauche, rufe ich an!«

Doras Mutter hatte einen Einfall. Sie schlug vor, daß Gerd zuerst mit Dr. Martin Engler reden sollte. Dieser müßte doch wissen, wo Heidi sei. Die Bedenken ihres Mannes, der Mädchen und von Gerd schlug sie in denWind. Sie hielt Martin nicht nur für einen sehr guten Arzt, sondern auch für einen hilfsbereiten Menschen. Wenn Gerd und sie alle ihm die Geschichte erzählten, würde er sicherlich helfen und über Heidi Auskunft geben, auch wenn er als Arzt an Regeln gebunden war. Schnell waren sie sich einig.

Der Bauer fuhr mit Dora in seinem Wagen. Die Bäuerin und Doras Schwestern setzten sich zu Gerd ins Auto. Sie fuhren zu Dr. Martin Engler.

*

Der Doktor saß hinterm Haus in seinem Garten und las eine medizinische Zeitung. Mira, die junge Pointerhündin, bellte laut, als Gerd und die ganze Familie Almer durch den Garten kamen.

»Grüßt Euch!« sagte der Doktor scherzhaft und fügte hinzu. »Ihr leidet aber nicht alle an denselben Symptomen, wie? Ich hoffe nicht, daß eine Epidemie in Waldklogel ausgebrochen ist, oder? Ihr schaut alle net gut aus! Wem geht es am Schlechtesten? Wer will zuerst in die Sprechstunde?«

»Uns ist net zum Scherzen!« sagte Gerd.

Gerd und der Doktor duzten sich.

»Martin, mir ist wirklich nicht zum Scherzen! Wir alle haben eine gemeinsame Sorge. Der Auslöser davon war die Dora mit ihrem dummen Gerede. Sie ist wohl daran schuld, daß du jetzt eine Patientin hast, der es schlecht gehen soll! Heidi Fröhlich!«

Dr. Engler wurde augenblicklich ernst.

»Das stimmt! Setzt euch! Fangen wir mit der Sprechstunde erst mal hier draußen an. In meinem Behandlungszimmer habe ich nicht so viele Stühle!«

Sie nahmen um den großen Gartentisch Platz.

»Also, ich höre! Wer fängt an?«

Alle schauten Dora Almer an. Diese brach in Tränen aus.

»Hör auf zu heulen!« herrschte sie ihr Vater an.

»Dann sage du mir, was los ist, Almerbauer!« forderte ihn Dr. Martin Engler auf.

Verlegen drehte Doras Vater den Hut in seinen Händen, während er mit Dr. Martin Engler sprach. Dieser schaute abwechselnd den Bauer, Dora und Gerd an.

»Die Dora konnte doch net wissen, daß die Heidi dem Gerd sein Madl ist. Stimmt des, daß die Heidi krank ist, Doktor?«

»Beruhige dich mal, Almerbauer. Des wird schon wieder mit der Heidi. Mehr kann ich dir als Arzt net sagen.«

Alle blickten den Arzt erwartungsvoll an. Dr. Martin Engler stand auf. Er ging einige Schritte in seinem Garten auf und ab. Er dachte nach. Er wollte helfen. Doch wie? Er war an die ärztliche Schweigepflicht gebunden. Dazu kam, daß Heidi die Vaterschaft für sich behalten wollte. Dr. Martin Engler suchte nach einem Weg, wie er allem gerecht werden konnte.

»So! Jetzt weiß ich endlich mehr. Das ist eine Sache zwischen der Dora und Heidi auf der einen Seite. Dann zwischen Heidi und Gerd auf der anderen Seite. Ich denke, es ist das beste, wenn wir versuchen, die Verwirrung in dieser Reihenfolge zu lösen. Also, du, Dora, du kommst jetzt mit mir in das Sprechzimmer. Deine Eltern und deine Schwestern, die können schon mal zum Auto gehen. Es dauert nicht lange. Du, Gerd, wartest hier!«

Ohne Widerrede und Fragen befolgte Dora Dr. Martin Englers Anweisung.

Der Arzt schloß Tür und Fenster. Wie ein Häufchen Elend saß Dora auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch im Behandlungszimmer.

»Dora! Du hast da was ganz Dummes gemacht. Ich glaube dir ja, daß dahinter keine böse Absicht steckte. Aber da kannst du mal sehen, was Worte anrichten können. Sie können richtig verletzen. Es war ein Glück für Heidi, daß sie im Wald von der, sagen wir mal – von der Wanderin gefunden wurde. Sie versteht was von Medizin und nahm sich der Heidi an. Es hätte schlimmer kommen können. Es wäre mit Sicherheit schlimmer geworden. Stell dir mal vor, die arme Heidi wäre daheim zusammengebrochen und hätte völlig entkräftet dagelegen.«

»Ich weiß, Dr. Engler! Und es tut mir auch sehr leid! Wirklich, das müssen’s mir glauben. Ich will mich gerne bei der Heidi entschuldigen.«

Dr. Engler machte eine Sprechpause.

»Morgen! Nicht heute! Hast du gehört?«

Dora nickte.

»Wo ist die Heidi?« flüsterte Dora.

»Das sage ich dir auch morgen! Dann kommst du nicht in Verlegenheit, es dem Gerd zu erzählen. Der würde bestimmt sofort losrennen. Des bringt nichts. Es ist schon genug Unheil geschehen. Außerdem bin ich mir sicher, daß es keinen Sinn hat, daß die Heidi und der Gerd zusammentreffen, bevor du mit Heidi geredet hast. Außerdem will ich dabeisein, zumindest in der Nähe, wenn du mit der Heidi redest. Das könnte ein Schock für sie sein. Da gibt es etwas, was du nicht weißt und worüber ich mit dir nicht reden kann. Du stellst jetzt darüber auch keine Spekulationen an! Wir treffen uns morgen früh am Marktplatz. Ich nehme dich dann mit. Ziehe dir Wandersachen an. Und kein einziges Wort zu Gerd! So, jetzt kannst du gehen!«

»Danke, Dr. Engler! Die Heidi ist doch nicht schlimm krank, oder?«

»Gehe jetzt, Dora!«

Dr. Engler begleitete Dora noch hinaus zum Auto.

»Ich mache morgen mit Dora einen Ausflug. Wir werden die Heidi besuchen. Stellt der Dora keine Fragen. Sie weiß nichts! Dann bis morgen, Dora!«

»Bis morgen!« flüsterte Dora und setzte sich neben ihre Schwestern hinten ins Auto. Sie fuhren ab.

Dr. Engler ging in seine Küche und holte zwei Flaschen Bier und zwei Gläser.

Er richtete auch eine Brotzeit auf einem Tablett an und brachte alles in den Garten.

»So, Gerd! Jetzt machen wir beide eine schöne Brotzeit und trinken ein kühles Bier dazu!«

»Was ist mit Heidi? Wo ist sie?«

»Langsam! Eines nach dem anderen, Gerd!«

Sie aßen und prosteten sich zu.

»Du willst die Heidi heiraten?«

»Ja, das will ich!«

»Warum?«

»Was soll die Frage? Bist blöd, Martin? Warum heiratet ein Mann? Weil er des Madl liebt!«

»Das ist das Ideal! Es gibt viele andere Gründe, warum geheiratet wird: Geld – Erbschaft – irgendwelche Verpflichtungen.«

»Willst mir jetzt einen Vortrag darüber halten, Martin? Ich glaube dafür ist wohl der Pfarrer Zandler zuständig!«

»Des stimmt auch wieder! Aber eines kannst du mir sagen. Wann willst du sie heiraten?«

Gerd griff in die Hosentasche. Er zeigte Martin die Ringe. Es waren schmale Goldreifen, in die innen schon die Namen eingraviert waren.

»Des Datum wird noch eingraviert! Das Jahr steht schon drin! Schau!«

»Dann bist du dir ziemlich sicher gewesen, daß dich die Heidi nimmt.«

»Ja, das war ich! Statt, daß sie meinen Ring nimmt, hat sie mir die Tür vor der Nase zugeschlagen. Erst dachte ich, sie sei mir böse, weil ich einen Abend nicht zu unserem Treffpunkt gekommen bin.«

Dr. Martin Engler schüttelte den Kopf.

»So, Gerd, ich werde dir jetzt sagen, was ich aus zweiter Hand weiß. Aber die Quelle ist zuverlässig! Die Heidi hat dich und die Dora auf dem Pferd gesehen. Sie ist auf dem Hof gewesen. Durch die Fenster hat sie dich und Dora beobachtet. Sie ist euch dann über die Felder gefolgt, natürlich im Abstand.«

»Oh, mei! Dann muß sie gesehen haben, wie ich den Arm um die Dora gelegt habe. Des war doch nur, weil die Dora laufend gestolpert ist in der Dunkelheit. Dann war Heidi am Ende auch auf dem Almer Hof und hat gesehen, daß ich noch mit rein bin. Die mußte ja denken, daß…«

»Genau, Gerd! Jetzt kannst du dir vorstellen, wie aufgewühlt sie war. Wenn ihr dann in der Nacht auf dem Heimweg die Dora nicht begegnet wäre, dann wäre es vielleicht glimpflicher ausgegangen. Sie hätte dich zur Rede gestellt und es hätte vielleicht euren ersten Streit gegeben. Doch so war es nicht. Dora nahm Heidi ein Stück mit und spielte sich auf. Wenn du mich fragst, hat Heidi auch Fehler gemacht. Aber dafür habe ich Verständnis und ich bin mir sicher, wenn ihr erst miteinander gesprochen habt, dann kannst du sie auch verstehen.«

Gerd Eichinger wurde ungeduldig.

»Nun, sage mir schon, wo sie ist!«

Dr. Martin Engler überzeugte Gerd mit vielen Worten, daß es dazu noch zu früh war. Heidi sei an einem Ort, wo sie wieder zu Kräften käme, was dringend notwendig sei, betonte der Arzt. Er wollte erst mit Heidi sprechen.

»Mir hört sie zu! Wenn du auf sie zugehst, ohne daß sie etwas weiß, dann schickt sie dich wieder fort. Also, hab Geduld.«

»Geduld! Geduld! Das sagt sich so leicht!« warf Gerd Martin vor.

Doch Dr. Martin Engler ließ sich nicht erweichen.

»Ich mache dir einen Vorschlag! Ich rede mit Heidi! Ich überrede sie, sich mit dir zu treffen. Ich rufe dich morgen mittag an. Wo hast du dich mit Heidi immer verabredet?«

»Wir trafen uns auf dem Hochsitz im Eichinger Forst.«

»Auch ein schönes Plätzchen!«

»Martin, was heißt das: auch ein schönes Plätzchen? Die Abende dort waren ganz herrlich. Wir haben das Rotwild beobachtet. Die Sterne betrachtet. Sonnenuntergänge!«

»Mm! Ich meine nur die Aussicht beim ›Erkerchen‹ ist schöner. Das ›Erkerchen‹ ist doch der romantische Treffpunkt für alle Verliebte.«

»Stimmt! Ist aber ein wenig weit!«

Gerd wurde wieder ungeduldig.

»Martin! Nun erzähle mir endlich, wie es Heidi geht. Ich bin zwar noch nicht ihr Mann, ich werde es aber sein!«

»Stimmt! Du bist noch nicht ihr Mann! Noch nicht! Deshalb erzähle ich dir keine Einzelheiten. Ich sage dir nur, daß ich denke, es geht ihr von Tag zu Tag besser. Ich habe sie selbst schon eine Weile nicht gesehen. Aber man berichtet mir. Sie steht unter der besten Pflege, die du dir nur denken kannst. Fünf Leute kümmern sich um Heidi, fünf mindestens – oft auch sieben.«

Gerd schaute Martin an. Er wußte nicht, was er dazu sagen sollte. War es Heidi so schlecht gegangen oder machte sich Martin einen Spaß mit ihm?

Gerd reichte es. Er stand auf.

»Mit dir ist nicht vernünftig zu reden! Ich gehe jetzt!«

»Gerd! Nun werde nicht kindisch! Ich bin Arzt! Ich darf dir nichts sagen! Ich sagte dir, es geht ihr besser, von Tag zu Tag. Morgen wirst du sie sehen! Nun sei vernünftig!«

»Ich liebe Heidi! Das mußt du begreifen!«

»Das weiß ich! Trotzdem ist das mein letztes Wort. Ich rufe dich morgen an.«

Gerd seufzte tief. Er sah ein, daß ihm Martin jetzt nichts sagen würde. So gab er sich geschlagen.

»Wird so schon alles seine Richtigkeit haben, Martin! Dann vertraue ich dir mal. Etwas anderes bleibt mir nicht übrig!«

Sie verabschiedeten sich. Dr. Martin Engler atmete auf, als Gerd gegangen war. Er wartete, bis Gerd mit dem Auto davongefahren war. Dann griff Martin zum Telefon und rief auf der Berghütte an.

*

Gerd fuhr heim zu seinen Eltern. Sie saßen beim Abendessen in der schönen großen Wohnküche.

»Grüß dich! Bist wieder da, Gerd? Setz dich! Wir wollen essen!«

Gerd grüßte. Er legte seinen Hut auf das Hutbrett und zog seinen Lodenjanker aus. Er setzte sich. Durch die offenen Küchenfenster schien die Abendsonne. Der Klang des Angelusläuten war zu hören. Alle wurden still und senkten die Köpfe. Der Eichingerbauer sprach das Tischgebet. Sie bekreuzigten sich.

»Ich habe beim Martin gegessen! Beim Doktor!«

Seine Eltern sahen ihn an. Er sah die Neugierde in ihren Augen.

Wortlos griff Gerd in die Hosentasche und holte das rote Kästchen hervor. Er öffnete es und stellte es auf den Tisch. Er forderte seine Eltern auf, sich die Ringe näher zu betrachten.

Die Hände von Gerds Mutter zitterten, als sie den großen Ring herausnahm.

»Heidi? Welche Heidi?«

»Mutter! Vater! Des Madl, des ich liebe, ist die Heidi Fröhlich! Ich will ihr einen Antrag machen! Der Martin will mich morgen anrufen und dann kann ich zu ihr gehen!«

Nach und nach erzählte Gerd seinen Eltern alles. Sie hörten ihm zu, ohne ihn zu unterbrechen. Er redete und redete. Berichtete, wie er Heidi vor Monaten zum ersten Mal im Wald getroffen hatte. Er erzählte, wie er es eingerichtet hatte, daß sie sich anfangs immer über den Weg liefen, so daß es wie ein Zufall aussah. Mit jedem Wort wurde es Gerd leichter ums Herz. Er beschrieb seine Liebe zu Heidi. Seine Eltern sahen seine strahlenden Augen, wenn er von ihr sprach.

Gerd erzählte alles. Er sprach davon, wie Heidi ihn fortgeschickt hatte, brutal rausgeworfen hatte. Jetzt verstanden sie, warum sich ihr Bub die letzte Zeit so gequält hatte. Sie waren voller Wut Dora gegenüber, als sie von den Hintergründen erfuhren.

»Ich glaube, der Toni weiß mehr, als er sagt«, bemerkte Gerds Mutter.

»Dann vermutest du, die Heidi könnte auf der Berghütte sein?«

Gerd warf einen Blick auf die Uhr.

»Bub, falls du jetzt noch da rauf willst, hindere ich dich daran! Vertrau’ dem Martin! Es hat schon genug Elend und Leid gegeben. Der Martin wird schon wissen, warum er es dir nicht sagt. Du vermutest, daß die Dora daran schuld sein kann. Sicherlich ist das möglich! Aber du hast auch Schuld! Vielleicht ist Dora nicht der einzige Grund. Vielleicht will die Heidi nichts mehr von dir wissen.«

»Vater, wie kommst jetzt auf solche Gedanken?«

»Weil du so ein Geheimnis aus der Liebe gemacht hast! Warum hast du des Madl nicht hergebracht? Hast du Angst gehabt, daß wir dagegen sind? So ein Schmarrn! Uns ist jedes Madl willkommen, das du liebst und das dich liebt!«

»Gerd, dein Vater hat recht! Die Heidi mußte denken, daß du ein doppeltes Spiel treibst. Warum hast du die Heidi nicht mal hergebracht?«

»Ja, warum eigentlich?«

Gerd überlegte. Das fragte er sich jetzt auch.

»Vielleicht, weil unsere Liebe sich ganz anders entwickelte, als ich mir das immer vorgestellt hatte. Ich dachte, ich sehe ein Madl und dann bin ich verliebt, weiß, das ist sie, fertig! Doch so war es nicht. Ich habe lange gebraucht, bis mir das richtig klargeworden ist. Zuerst fand ich es nur schön, mit ihr zu reden. Dann konnte ich kaum den Abend erwarten, sie zu sehen. Es ging so immer und immer weiter. Unsere Liebe ist unsagbar schön. Sie war ein Geheimnis, das nur Heidi und ich teilten. Außerdem war Heidi auch zögerlich. Wie oft mußte ich ihr versichern, daß ich sie liebe, nur sie liebe! Es gab schließlich nur noch sie und mich, sonst niemanden auf der Welt, der wichtig war. Ich kaufte die Ringe, wollte ihr einen Antrag machen und sie danach auf den Hof bringen!«

Gerds Eltern sahen sich an.

»Du bringst des Madl, so schnell wie es möglich ist her, Bub! Sie muß auch wissen, daß sie hier willkommen ist. Also, wenn dich der Martin anruft, dann triffst du dich mit Heidi. Du machst ihr sofort einen Antrag und bringst sie her! Die Heidi ist ein liebes Madl. Die wird dich glücklich machen.«

»Ja, Vater! Ich bringe sie her! Ich verspreche es!«

Der Eichingerbauer holte den Obstler aus dem Schrank und drei Gläser.

Er schenkte ein. Sie prosteten sich zu.

»Auf dich, mein Bub! Auf deine Braut, die Heidi! Und darauf, daß bald eine weitere Generation auf dem Eichinger Hof aufwächst!« sagte sein Vater mit einem Augenzwinkern.

Sie tranken. Den Rest des Abends saßen sie zusammen und redeten über Heidi und die Zukunft auf dem Eichinger Hof.

*

Dr. Martin Engler sprach am Telefon zuerst mit Toni. Dieser gab den Hörer an Almut weiter. Almut ging mit dem Handy ein Stück weit von der Berghütte fort. Sie setzte sich auf einen großen Stein, der auf dem Geröllfeld beim Gebirgsbach lag.

»Mit wem hast du solange geredet?« fragte Heidi die ältere Freundin.

»Mit einem Freund! Er will morgen kommen!« antwortete Almut knapp und fügte hinzu: »Ich will jetzt nicht darüber reden!«

Almut wollte Heidi nichts vom Besuch von Dr. Engler und Dora sagen. Sie hatte Angst, Heidi würde sich zu sehr aufregen und die ganze Nacht nicht schlafen. Schlaf war in Heidis Zustand wichtiger als bei jedem anderen Menschen. Darüber hatte sich Almut mit Dr. Engler verständigt. Nach dem Frühstück am nächsten Morgen wäre immer noch genug Zeit, mit Heidi zu sprechen.

Die Hoffnung, daß Heidi in der Nacht gut schlafen würde, erfüllte sich nicht. Heidi wachte nach einigen Stunden auf. So war es auch in den vergangenen Nächten gewesen.

Leise schlich sie sich hinaus. Bello wartete schon. Er wußte, jetzt kam seine Bestechung, ein Zipfel Wurst, daß er keinen Lärm machte und bellte. Heidi legte sich in einen Liegestuhl auf der Terrasse der Berghütte und schaute hinauf in den Sternenhimmel.

Sie zog die Wolldecke enger um den Körper. Die Nacht war kühl, aber nicht kalt. Sie war frisch und klar. Heidi liebte diese ruhigen Stunden. Die Einsamkeit inmitten der nächtlichen Bergwelt gab ihr Kraft. Da fand Heidi die Ruhe, nach der sie sich so sehnte. Vielleicht war es auch nur die Erinnerung an Gerds Nähe unter dem gleichen nächtlichen Sternenhimmel. Es war noch nicht so lange her, daß sie mit ihm in den Nachthimmel hinaufschaute.

Das ist vorbei, seufzte Heidi lautlos. Es wird nie wieder so werden. Aber sie dachte nicht voller Bitternis an die Zeit zurück. Bewahre dir die schönen Augenblicke in deiner Erinnerung, hatte Almut sie ermahnt. Es hat nur schöne Augenblicke gegeben, bis auf diesen einen letzten Tag. Heidi erinnerte sich an die schönen Augenblicke, an Gerds zärtliche Worte, die er ihr leise ins Ohr geflüstert hatte. Sie erinnerte sich an den Duft seiner Haut. Sie dachte an seine starken Arme, die sie gehalten hatten, an seine warmen weichen Lippen. Wenn sich Heidi an seine Küsse erinnerte, dann spürte sie noch immer eine Trunkenheit des Glücks. Das will ich mir bewahren, davon will ich meinem Buben später erzählen, nahm sie sich vor. Ihr kleiner Bub bewegte sich. Heidi legte die Hand auf die kleine Rundung ihres Bauches.

Kleiner, mein Kleiner! Du hast einen wunderbaren Vater! Ich liebte ihn so. Ich liebe ihn immer noch. Ich werde deinen Vater immer lieben. Du wirst ein glücklicher Bub werden, denn du bist ein Kind der Liebe. Mein kleiner Bub! Ich freue mich so auf dich!

So redete Heidi in Gedanken mit ihrem Ungeborenen. Sie freute sich. Seit sie von Dr. Martin Engler die Bestätigung hatte, war sie ruhig und gelassen.

Heidi schmunzelte.

Gerd bleibt nichts als die Erinnerungen an eine Liebe. Ich bin mir sicher, daß er mich geliebt hatte, auch wenn er sich am Ende für Dora entschieden hat. Ihm bleibt nichts. Ich habe unser Kind, hervorgegangen aus unserer Liebe, den lebendigen Beweis unserer Liebe. Es wird schön werden. Ich werde glücklich sein, sehr glücklich sein und fröhlich.

Heidi überlegte sich einen Namen. Ich heiße »Fröhlich«. Mein Bub wird auch »Fröhlich« heißen. Als zweiten Namen wollte sie ihn »Gerhard« nennen nach seinem Vater oder auch nur »Gerd«. Heidi suchte einen Namen der mit F begann. Es gab viele: Fritz, Friedrich, Ferdinand, Friedhold und Felix. Der Name »Felix« gefiel Heidi am besten. »Felix« bedeutet »der Glückliche«. Heidi hielt das für ein gutes Omen. Er soll immer Glück haben und ein glücklicher Mensch werden, ein Mensch, der mit seinem Leben zufrieden und glücklich ist.

So allein auf der Terrasse unter dem nächtlichen Sternenhimmel summte Heidi ein Kinderlied. Es war ein Schlaflied. Sie summte es ganz leise. Dabei wurde sie auch ruhiger. Ich bin jetzt schon nicht mehr alleine. Ich habe jemanden, mit dem ich mein Leben teile. Wir werden zu zweit eine winzige Familie sein, mein Bub und ich.

Heidi sah hinauf in den wolkenlosen Nachthimmel. Es war ihr, als lächelte der Mond sie an. Es war ihr, als schienen die Sterne heller als jemals zuvor.

»Sie leuchten heute nacht besonders schön für uns, mein kleiner Bub«, flüsterte Heidi voller Liebe.

Heidi Fröhlich hatte Frieden gemacht mit dem Schicksal. Sie stand auf und schlich wieder in ihr Zimmer. Sie kuschelte sich unter das dicke Federbett und schlief gleich ein.

*

Am nächsten Morgen schlief Heidi länger. Almut war etwas beunruhigt und schaute vorsichtig durch einen Spalt der Tür. Heidi schlief und lächelte im Traum. Almut schloß leise die Tür.

Es dauerte noch zwei Stunden bis sie aufwachte.

»Guten Morgen, Madl! Gut schaust aus, Heidi!« sagte Almut.

»Guten Morgen, Almut! Ich fühle mich auch gut. Ich war heute nacht einige Stunden wach und habe nachgedacht.«

»Madl, du sollst net grübeln!« unterbrach sie Almut.

»Ich habe nicht gegrübelt. Ich habe so etwas wie einen Schlußstrich gezogen unter alles. Dabei bin ich zu einer Erkenntnis gekommen. Ich habe meinen Buben. Er hat nichts. Es wird ein wunderbarer Bub werden. Ich habe auch schon einen Namen für ihn. Ich werde ihn ›Felix‹ nennen. Felix Fröhlich, das klingt doch gut. ›Felix‹ bedeutet ›der Glückliche‹, das paßt zu ihm.«

»Wolltest du ihm nicht zwei Vornamen geben?«

»Doch! Der zweite Vorname soll ihn an seinen Vater erinnern.«

»Dann hast du deinen Frieden gemacht, Heidi?«

»Ja, das habe ich heute nacht endgültig gemacht. Der zweite Vorname wird nur in seinen Papieren stehen. Ich werde ihn so nicht rufen.«

Sie saßen auf der Terrasse. Heidi ließ sich das Frühstück gut schmecken. Almut hatte schon gegessen.

»Almut, ich habe mir überlegt, daß ich gern nach Kirchwalden fahren würde. Ich möchte mit meinem Chef und meiner Chefin reden. Sie müssen erfahren, was los ist. Wundern wird es die Chefin nicht, denke ich. Dann möchte ich noch einkaufen gehen. Kommst du mit?«

»Wann?«

»Heute!«

Almut machte große Augen.

»Nein! Heute – das ist unmöglich! Ich bekomme Besuch, du übrigens auch. Dr. Engler kommt. Er will nach dir sehen. Deshalb hat er gestern angerufen.«

»Nett von ihm! Doch warum machst du so ein Geheimnis daraus? Warum wolltest du mir das gestern nicht sagen? Es ist doch nicht schlimm, wenn Dr. Engler kommt.«

»Stimmt! Aber er kommt nicht alleine!«

»Gerd kommt mit? Oh!« Heidi hielt sich schnell die Hand vor den Mund.

Almut lächelte.

»Mußt dich nicht ärgern, daß dir sein Name über die Lippen gekommen ist. Es ist viel passiert in Waldkogel. Dr. Martin Engler vermutet auch, daß Gerd Eichinger der Vater deines Kindes ist. Er hat da einiges erfahren, von dem er meint, daß du es unbedingt wissen solltest.«

Heidi atmete tief durch.

»Gut, wenn der Doktor meint, bitte! Also mit wem kommt er? Ist es Gerd?«

»Nein! Es ist Dora Almer!«

»Dora! Was will sie? Sie hat Gerd! Was will sie von mir? Braucht sie eine Gebrauchsanweisung?« zischte Heidi bissig.

»Mei, Madl! Wie kannst du so etwas sagen?«

»Ach, Almut! Was soll das? Ich bin nur ehrlich!«

»Darum geht es! Um Ehrlichkeit! Um die Wahrheit! Sie will mit dir reden!«

»Ich nicht mit ihr! Ich werde kein Wort mit ihr reden! Ich will nicht schon wieder Unruhe in meinem Leben haben. Oh, Almut, ich habe gerade alles so schön geordnet.«

»Das verstehe ich! Es ist auch nicht nötig, daß du mit ihr redest. Du sollst ihr nur für einen Augenblick zuhören. Außerdem ist Dr. Engler dabei. Er will auch vermeiden, daß du dich aufregst.«

Heidi Fröhlich überlegte.

Almut saß dabei. Sie sagte nichts mehr. Sie ließ Heidi Zeit.

»Gut! Ich werde Dora zuhören. Wenn die beiden den weiten Weg von Waldkogel heraufmachen, um mich zu besuchen, dann will ich nicht unhöflich sein.«

Es dauerte nicht mehr lange, dann kamen Dr. Engler und Dora Almer auf der Berghütte an.

»Grüß Gott, Heidi! Gut schaust du aus! Besser, viel besser als ich gehofft habe.«

»Mir geht es auch gut! Danke, daß Sie den weiten Weg gemacht haben, Dr. Engler!«

Heidi schüttelte dem Arzt herzlich die Hand.

Dann schaute Heidi an ihm vorbei. Etwas hinter dem Doktor stand Dora.

»Grüß dich, Dora! Man hat mir schon gesagt, daß du mitkommst. Du willst mich sprechen?«

Dora Almer bekam einen hochroten Kopf. Sie nickte nur.

»Gut, komm! Wir gehen hinter die Berghütte. Dort sind wir ungestört.«

Heidi ging voraus. Sehr verlegen folgte ihr Dora.

Heidi setzte sich auf einen Holzstapel und Dora daneben.

»Heidi, ich möchte mich bei dir entschuldigen! Das, was ich dir nachts im Auto erzählt habe, das war nicht nur gelogen, es war total erfunden. Ich hatte mir ausgedacht, wie schön es sein könnte, wenn ich das Herz von Gerd Eichinger erobern würde. Meine beiden Schwestern haben Burschen, nur ich nicht. Da spielte ich ein Spiel. Ich wußte nicht, daß du und Gerd, daß ihr ein Paar seid.«

»Ein Paar waren!« unterbrach sie Heidi.

»Egal wie! Jedenfalls liebt dich Gerd. Er liebt nur dich! Er war so wütend. Er hat auf unserem Hof herumgebrüllt. Du hättest ihn hören müssen. Er hat mich zur Rede gestellt.«

»Woher weiß Gerd…?«

»Das weiß ich nicht genau! Vielleicht hat eine meiner Schwestern geplaudert. Jedenfalls hat es sich herumgesprochen, daß ich behauptet habe, daß Gerd und ich ein Paar seien. Gerd ist wütend geworden und auf den Almer Hof gekommen. Er war so wütend, daß du gedacht hättest, der Teufel würde jeden Augenblick aus dem ›Höllentor‹ rauskommen. Ich mußte ihm versprechen, mit dir zu reden. Bitte, glaube mir, Heidi! Da war nichts zwischen uns! Ich habe mich blöd benommen. Entschuldige!«

Heidi schwieg eine Weile. Dann stellte sie Dora einige Fragen. So wollte sie zum Beispiel wissen, wie es dazu gekommen war, daß sie mit Gerd auf einem Pferd gesessen hatte. Dora versuchte es, Heidi alles zu erklären.

»Wenn du mir nicht glaubst, dann frage meine Eltern oder meine Schwestern, Heidi!«

Heidi schwieg. Sie dachte nach. Langsam schenkte sie Doras Erklärung und Entschuldigung Vertrauen. Doch das bedeutete auch, daß sie einsehen mußte, Gerd unrecht getan zu haben. Wie schrecklich! Dann ist mein lieber Gerd ja unschuldig! Ich habe mich geirrt.

»Danke, Dora, daß du mir das alles gesagt hast. Ich bin dir nicht weiter böse. Ich kann mir vorstellen, daß es nicht einfach für dich war, zu mir zu kommen.«

»Ich mußte kommen. Du liebst Gerd doch! Er liebt dich auch! Du müßtest ihn sehen! Er ist so unglücklich. Bitte, rede mit ihm! Sprich mit ihm. Ich mache mir solche Vorwürfe, Heidi.«

»Mal sehen! Dir danke ich erst einmal. Laß mich jetzt bitte alleine. Sag Almut und dem Doktor, daß es mir gut geht. Ich will nur alleine sein. Gehe jetzt bitte, Dora!«

Dora ließ Heidi alleine auf dem Holzplatz hinter der Berghütte zurück.

Nach einer Weile kam Dr. Martin Engler zu Heidi hinter die Berghütte.

»Nun?« lächelte er sie an.

»Ich war wohl etwas voreilig gewesen, dem Gerd den Laufpaß zu geben. Wie konnte ich von Gerd nur so etwas annehmen? Jetzt im Rückblick kommt mir alles wie ein böser Traum vor. Wie konnte ich mich nur so irren?«

»Irren ist menschlich! Wir sind keine Engel. Wir sehen etwas und ziehen daraus unsere Schlüsse. Du bist etwas voreilig gewesen. Außerdem warst du enttäuscht, daß sich Gerd sich noch nicht offen zu dir bekannt hat, obwohl ihr beide…« Dr. Martin Engler schmunzelte. »Obwohl ihr beide ganz intensiv ›gefensterlt‹ hattet. So will ich das mal umschreiben. Du hast gespürt, daß seit einigen Wochen schon etwas nicht mit dir stimmt. Du hattest die Möglichkeit, daß du auf dem besten Weg warst, Mutter zu werden, auch etwas verdrängt. Dann hast du Gerd und Dora auf dem Pferd gesehen. Da hat es bei dir alle Sicherungen rausgehauen. War es nicht so?«

»Das ist gut gesagt. Ich hatte einen emotionalen Kurzschluß. Ich muß verrückt gewesen sein. Ich war rasend vor Eifersucht.«

Dr. Martin Engler lächelte Heidi an.

»Der Gerd war gestern abend bei mir. Wir hatten ein langes Gespräch.«

»Weiß er, daß ich Mutter werde?«

»Nein! Das fällt unter meine Schweigepflicht. Er ist sehr besorgt um dich. Er will dich sehen. Bist du bereit, dich mit ihm zu treffen? Ich habe ihm versprochen, daß ich mit dir rede. Danach will ich ihn anrufen. Wie steht es? Willst dich nicht mit ihm aussprechen?«

Heidi nickte.

»Ja, das ist wohl besser.«

»Willst du ihm nicht sagen, daß er Vater wird? Es ist doch auch sein Kind.«

»Das weiß ich noch nicht.«

»Wann und wo, willst dich mit ihm treffen? Wie wäre es mit dem Hochsitz im Eichinger Forst? Das hat Gerd vorgeschlagen.«

Heidi überlegte.

»Wann und wo das kann ich noch nicht sagen. Ich brauche noch Zeit. Er soll warten. Ich melde mich bei ihm.«

»Er ist sehr ungeduldig!«

Heidi schwieg. Sie stand auf und ging einige Schritte auf und ab. Dr. Martin Engler sah ein, daß Heidi erst einmal Zeit brauchte.

»Sagen Sie ihm nicht, wo ich bin. Ich will nicht, daß er zur Berghütte kommt. Dora soll auch nichts sagen. Sie trägt eine Mitschuld. Hätte sie mir im Auto erzählt, daß ihr Pferd mit ihr durchgegangen war und daß sonst nichts war, dann wäre alles anders gekommen. Sie hätte mir auch sagen können, daß ihr Gerd gefällt, er aber abweisend war, daß sie mit all ihren Verführungskünsten bei ihm gescheitert ist.«

Dr. Martin Engler stimmte Heidi zu. Er versprach, mit Dora zu reden, daß sie niemand sagt, Heidi sei auf der Berghütte. Er wollte Gerd um Geduld bitten.

*

Als Heidi nach mehr als einer Stunde zu Almut auf die Terrasse kam, waren Dr. Martin Engler und Dora Almer fort.

»Nun, Madl? Geht es dir jetzt besser?« fragte der alte Alois.

Er, Toni und Anna saßen mit Almut an einem Tisch.

»Ja, es hat sich einiges geklärt! Der Rest wird sich hoffentlich noch klären. Doch ich werde nichts überstürzen. Ich werde alles mit Ruhe machen.«

Heidi schaute auf die Uhr.

»Es ist bald Mittag! Ich wollte heute nach Kirchwalden einkaufen. Sachen für meinen Buben! Almut, ich fahre alleine. Ich fühle mich kräftig genug. Gibst du mir dein Auto?«

Statt einer Antwort reichte ihr Almut die Wagenschlüssel.

»Danke! Ich werde heute abend nicht auf die Berghütte zurückkommen. Ich schlafe zu Hause. Ich muß die Sachen auch heimbringen. Ich rufe an, wann ich wiederkomme, morgen, wenn ich ausgeschlafen habe.«

Almut, Toni, Anna und der alte Alois lächelten Heidi an.

»Tu das! Und viel Freude beim Einkauf!« blinzelte Almut Heidi zu. »Säuglinge wachsen schnell. Kaufe nicht so viele kleine Sachen, sondern auch gleich größere Größen.«

»Ja, daran habe ich auch schon gedacht. Ich habe mir eine Liste gemacht und meine Ersparnisse genau eingeteilt.«

Heidi ging in ihre Kammer und zog sich um. Binnen einer halben Stunde war Heidi auf dem Weg hinunter auf die Oberländer Alm.

Dort hielt sie sich nicht auf. Sie grüßte Hilda und Wenzel nur von weitem. Dann stieg sie in Almuts Auto und fuhr nach Kirchwalden.

Zuerst besuchte sie ihren Chef und ihre Chefin. Wie Heidi vermutet hatte, waren die beiden nicht überrascht. Sie hatten keine Kinder und freuten sich mit Heidi. Sofort boten sie an, sie nach der Niederkunft und einer längeren Erholungsphase wieder zu beschäftigen. Den kleinen Felix sollte sie einfach mitbringen. Ihr Chef bot ihr sogar an, jeden Tag den alten Lieferwagen zu benutzen. Darin könnte sie den Kinderwagen mit dem Buben gut von Kirchwalden nach Waldkogel und zurück transportieren. Heidi war gerührt. Sie wollte auch bald wieder arbeiten kommen, sobald es Dr. Engler ihr erlaubte.

Anschließend stöberte Heidi in den Läden für Kindersachen und in Spielwarengeschäften. Sie fand schöne preiswerte Sachen. Heidi mußte mehrmals zu Almuts Auto gehen, so viel Tüten waren es.

Nach dem Großeinkauf in Sachen Nachwuchs setzte sich Heidi in ein Straßencafé. Sie aß Erdbeerkuchen mit Sahne und trank Schokolade dazu.

So gestärkt konnte der Einkauf weitergehen. Heidi wollte sich noch etwas Umstandsmode kaufen. Schließlich wurde sie in einem Trachtenladen fündig. Die Baumwolldirndl sahen auch nicht wie Umstandskleider aus, eher wie Sommerkleider im Landhausmodenstil. Sie waren sehr verspielt geschnitten und machten trotzdem eine gute Figur. Heidi probierte zwei Kleider an. Eines war hellgelb und das andere hellgrün. Das hellgrüne Kleid war hochgeschlossen. Die angeschnittene Dirndlbluse hatte lange Ärmel und eine dunkelgrüne Spitze am Ausschnitt und an den Ärmeln, ebenso am knöchellangen Rock.

Kritisch betrachtete sich Heidi von der Seite im Spiegel der Umkleidekabine.

Sie fand, daß man ihren kleinen gewölbten Bauch darin nicht sah. Um ihren Zustand noch besser zu verdecken, wählte Heidi ein riesiges Umschlagtuch aus grüner dunkelgrüner Wolle mit langen Fransen. Mit diesem Tuch und den passenden Haferlschuhen und den weißen Spitzenstrümpfen gefiel Heidi sich sehr. Sie behielt alles an.

Zufrieden mit ihrem Einkauf fuhr Heidi zurück nach Waldkogel. Vor dem Ortschild hielt sie an. Fast eine halbe Stunde saß sie im Auto und dachte nach.

Die Sonne ging langsam unter. Das ganze Tal lag schon fast im Schatten der Berge. Bald würde die Dämmerung hereinbrechen. Heidi schaute hinauf zum Gipfel des »Engelsstein«. Das große Gipfelkreuz leuchtete in der Sonne.

»Oh, ihr Engel! Ihr Engel dort oben! Hört ihr mich? Ich brauche jetzt ein bisserl euren Beistand. Ihr wißt, was ich vorhabe. Ich freue mich darauf, den Gerd zu sehen. Aber ein bisserl Herzklopfen habe ich auch. Ich bin aus Dummheit gar garstig zu ihm gewesen. Ihr alleine wißt, wie durcheinander und verzweifelt ich war. Jetzt werde ich den nächsten Schritt machen. Auch wenn es vielleicht nicht mehr so sein wird zwischen dem Gerd und mir, ich muß es tun. Nicht in erster Linie für mich, sondern für meinen Buben, meinen Felix – unseren Felix! Helft mir ein bisserl dabei, bitte!« flüsterte Heidi leise.

Dann startete sie den Motor.

Heidi fuhr direkt zum Eichinger Hof. Sie hielt mitten auf dem Hof.

»Jetzt bist schön brav, Felix! Tust net so strampeln.«

Heidi stieg aus. Sie schaute sich um. Der große stattliche Hof lag im Schatten der Abendsonne. Nur der Giebel leuchtete oben noch in der Sonne.

Gerds Mutter kam aus dem Haus.

»Grüß Gott, Frau Eichinger! Bitte entschuldigen Sie meinen unangemeldeten Besuch! Ist Gerd hier?«

Die Eichingerbäuerin blieb stehen und betrachtete Heidi von oben bis unten. Sie lächelte.

Dann ging sie auf Heidi zu.

»Grüß Gott, Heidi! Du mußt dich net entschuldigen. Du bist hier herzlich willkommen! Endlich bist du hier! Dann hat diese Warterei endlich ein Ende. Diese Mannsbilder waren den ganzen Tag net zu gebrauchen. Der Gerd und sein Vater sind nicht hier. Ich habe sie ins Wirtshaus geschickt. Die haben mir den letzten Nerv geraubt. Ich habe mich gefragt, wer schlimmer ist von den beiden, der Bub oder der Vater.«

Die Eichingerbäuerin griff nach Heidis Händen.

»Oh, Madl! Ich freue mich so, daß du da bist!«

Dann drückte die Bäuerin Heidi fest an ihr Herz.

»Madl! Madl? Madl, bist du? Bist, bist? Sag schon?«

Die Bäuerin schaute auf den Rock des Dirndl. Heidi errötete tief. Sie legte den Finger auf den Mund und sagte leise: »Pst!«

Die Bäuerin drückte Heidi noch einmal. Sie hatte Tränen in den Augen.

»Mei! Mei, ist das schön! Aber mach dir keine Sorgen! Ich verrate es nicht. Des ist deine Sach’, es dem Gerd zu sagen. Gut schaust aus! Glücklich schaust aus! In dem herzigen Kleid mit dem Tuch sieht man auch nix. Jedenfalls die Mannbilder sehen nix. Ich hab’ es auch nur gemerkt, weil ich dich so fest gedrückt habe.«

Heidi sah, wie Gerds Mutter vor Freude feuchte Augen bekam. Heidi wurde es ganz warm ums Herz.

»Bäuerin, du wirst Großmutter werden, von einem Buben!« flüsterte Heidi leise.

»Mei, ist des schön! Ich freue mich. Komm mit rein!«

Gerds Mutter nahm Heidi beim Arm und führte sie in die Wohn-küche.

»Setz dich, Madl! Willst was essen oder trinken?«

Die Eichingerbäuerin wartete die Antwort nicht ab.

»Ich habe frischen Apfelstrudel! Und dazu einen schönen Obstsaft. Er ist selbstgemacht aus den Beeren aus unserem Garten. Er ist nach einem besonderen Rezept gemacht. Das Rezept hat mir die Großmutter meines Mannes verraten. Es ist ein besonderes Familienrezept. Sogar des Kloster kauft den Saft. Oder sie tun ihn eintauschen gegen ihr selbstgebrautes Bier.«

Heidi aß und trank. Sie fühlte sich von Gerds Mutter so angenommen. Sie verstand immer weniger, warum sie Gerd nicht einmal auf den elterlichen Hof mitgebracht hatte. Doch darüber wollte sie nicht nachdenken.

Die nächsten drei Stunden redeten die Bäuerin und Heidi miteinander. Sie verstanden sich gut. Heidi war glücklich.

Dann hörten sie draußen ein Auto vorfahren.

»Des sind die Mannsbilder, Heidi! Komm, geh da in die Stube. Laß die Tür einen Spalt auf.«

Heidi eilte davon.

Die Bäuerin setzte sich an den Küchentisch und nahm ihr Strickzeug. Gerd und sein Vater kamen herein.

»Die Heidi hat net angerufen? Dumme Frage, sonst hättest du Bescheid gegeben, Mutter! Entschuldige! Ich bin nur so ungeduldig!«

Die Eichingerbäuerin schaute nicht von ihrem Strickzeug auf. Sie strickte die Reihe zu Ende.

»Daß du so ruhig sein kannst, wenn unser Bub sich so grämt?«

»Ich habe ihm nur seine Frage beantwortet. Die Heidi hat nicht angerufen. Ich weiß aber, daß sie ganz in der Nähe ist.«

»Dann hat des wohl etwas mit dem Auto zu tun, des draußen auf dem Hof parken tut. Des hat eine Autonummer, die ist net von hier. Wem gehört des Auto?«

»Des gehört einer Freundin von der Heidi!«

Gerd starrte seine Mutter an.

Sein Herz klopfte bis zum Hals.

»Dann ist die Heidi wohl wirklich ganz in der Nähe. Mei! Meine Nerven sind gespannt wie Drahtseile. Ich brauche einen Schnaps.«

Die Eichingerbäuerin warf ihrem Buben eine tadelnden Blick zu.

»Des würde ich sein lassen. Die Madln haben es nicht gern, wenn die Küsse der Burschen nach Schnaps schmecken. Des solltest du dir merken. Ist es nicht so, Heidi?« rief die Bäuerin dann laut in Richtung der Tür.

Heidi öffnete die Tür und trat in die Küche.

»Heidi? Heidi! Mutter, warum hast des nicht gleich gesagt, daß mein Madl hier ist?«

»Weil du ein Ochse bist! Ein bisserl Strafe mußte schon sein. Uns, mir deiner lieben Mutter und deinem lieben Vater, dein Madl so lange vorzuenthalten!«

Gerd errötete. Er trat auf Heidi zu.

»Grüß dich, Heidi!«

»Grüß dich, Gerd!«

»Gerd, wir sollten uns aussprechen! Deswegen bin ich hier. Wenn ich könnte, würde ich es rückgängig machen, daß ich dir die Tür vor der Nase zugeknallt habe. Das war nicht richtig von mir. Es tut mir leid! Ich bitte dich darum um Entschuldigung.«

»Ich war auch nicht ganz unschuldig an der Situation! Ich war ein Hornochse.«

Gerd schaute Heidi an.

»Du siehst wunderbar aus! Das ist ein schönes Dirndlkleid. Ein wunderschönes Festtagskleid. Fesch schaust aus! Richtig fesch!«

Gerd griff in die Hosentasche.

»Heidi, ich liebe dich!«

»Ich liebe dich, Gerd!«

Gerd legte den Arm um Heidis Schultern.

»Vater! Mutter! Das ist die Heidi! Die Heidi Fröhlich! Sie ist des Madl, das ich liebe!«

»Bub, nun mach schon! Das wissen wir doch!« lachte sein Vater.

Gerd Eichinger öffnete die kleine rote Schachtel.

»Ringe!« hauchte Heidi.

»Willst du meine Frau werden? Willst du Jungbäuerin auf dem Eichinger Hof sein? Heidi, ich liebe dich so! Ich will nur dich! Ich verspreche dir, daß ich immer treu sein werd. Falls du mich noch einmal mit einem anderen Madl oder einer Frau sehen tust, dann mußt wissen, daß ich nix mit der habe. Ich liebe nämlich nur dich! Dich! Dich! Heidi?«

»Ja, Gerd! Ich will! Ich liebe dich auch, nur dich! Du bist die erste und einzige Liebe meines Lebens. Ich weiß, daß du mir immer treu sein wirst.«

Gerd steckte Heidi den Ring an den Finger. Er paßte genau. Mit zitternden Händen nahm Heidi den anderen Ring heraus und streifte ihn Gerd über. Dann küßten sie sich zärtlich.

Gerds Eltern bekamen feuchte Augen. Sie beglückwünschten Gerd und Heidi.

»So, jetzt muß aber gefeiert werden! Wir müssen darauf anstoßen!«

Gerds Vater holte eine neue Flasche Obstler.

»Selbstgebrannt! Nach einem alten Rezept von meinem Großvater!« verkündete er stolz.

Als der Eichingerbauer Heidis Glas einschenken wollte, hielt sie ihre Hand darüber.

»Danke, für mich nicht! Der Dr. Engler hat es mir untersagt!«

»Entschuldige, Liebling! Ich habe noch nicht gefragt, wie es dir geht.«

»Danke, ich habe mich gut erholt! Ich wurde lieb umsorgt.«

»Wo bist du denn gewesen? Ich habe mir solche Sorgen gemacht.«

»Ich war mit Almut auf der Berghütte. Sie, Toni, Anna und der alte Alois haben mir jeden Wunsch von den Augen abgelesen. Ich habe mich gut erholt und zugenommen. Aber ich werde noch eine Weile nicht arbeiten gehen. Ich muß regelmäßig zu Dr. Engler.«

»Dann bist noch nicht ganz gesund?«

Gerd sah sehr besorgt aus. Heidi streichelte ihm über die Wange.

»Liebster Gerd! Ich war ziemlich geschwächt. Dr. Engler will mich etwas im Auge behalten. Wenn wir erst einmal verheiratet sind, dann kannst du ihn alles fragen, was meinen Gesundheitszustand betrifft. Ich bin sicher, er wird dir alles erklären.«

»Ich will gleich morgen mit ihm reden! Immerhin bist du jetzt meine Braut! Du wirst auch nicht mehr arbeiten gehen!«

»Ich bin noch nicht deine Frau!«

Gerds Eltern schmunzelten.

»Wo die Heidi recht hat, hat sie recht! Wann wollt ihr heiraten?«

Heidi schaute Gerd erwartungsvoll an. Heidi sagte nichts.

»Dann schlage ich vor, daß wir am Erntedankfest heiraten! Dann ist die Sommerarbeit getan. Wir haben Zeit, in die Flitterwochen zu fahren. Mußt mir nur sagen, wo du hin willst. Ich erfülle dir jeden Wunsch.«

Heidis Wangen färbten sich rot. Sie schüttelte den Kopf.

»So, so! Du erfüllst mir jeden Wunsch?«

»Ja, liebste Heidi! Jeden!«

»Gut! Dann laßt uns bald heiraten! Nächste Woche?«

Gerd starrte Heidi an.

»Mei, hast du es aber eilig! Aber wenn du unbedingt willst! Dann soll es so sein. Dann wird es eine kleinere Hochzeitsfeier sein. In den paar Tagen läßt sich kein richtig großes Fest organisieren. Wie denkst du darüber, Mutter?«

»Bub, was schaust mich an? Des mußt dir abgewöhnen. Jetzt hast du eine Braut. Es kommt nur darauf an, was dein Madl sich wünscht. Mußt sie auch erst mal fragen, ob sie eine große Feier will.«

»Willst du, Heidi?«

Heidi lächelte.

»Gerd, ich habe keine Familie!«

»Du wirst jetzt auf dem Eichinger Hof Familie haben!« redete Gerd aufgeregt dazwischen.

Heidi ging auf Gerds Bemerkung nicht ein. Sie redete weiter.

»Ich möchte Almut einladen. Dann sollen Toni, Anna, der alte Alois, Sebastian und Franziska da­beisein. Und… und meine Chefin und mein Chef aus Kirchwalden. Ich möchte die Dora und ihre Familie einladen. Sie soll damit sehen, daß ich ihr nichts nachtrage. Dora ist net so übel.«

»Du hast ein großes Herz, Heidi! Dafür liebe ich dich auch! Die Geschwister meiner Mutter werden wohl kommen mit ihren Familien.«

Gerd rieb sich das Kinn.

»Ich hätte gern ganz Waldkogel eingeladen! Weißt, mit einem großen Ochsen am Spieß, vielleicht sogar zwei – und Schwein auf dem Grill braten. Dazu Bier, direkt aus dem Faß. Weißt, ich bin sehr stolz auf dich, Heidi. Ich freue mich, daß du meine Frau wirst. Ich will es allen zeigen!«

»Ja, das verstehe ich auch! Doch eine Feier für alle, die können wir später machen. Mir ist das noch zu anstrengend.«

»Die Heidi muß auch noch ihre Sachen herbringen und sich einrichten, Gerd«, gab seine Mutter zu bedenken.

»Da helfe ich dir dabei! Ich will alles so machen, wie du es willst. Wenn du magst, dann gehen wir morgen früh zum Bürgermeister. Wir reden mit Fritz Fellbacher, er kann uns standesamtlich trauen. Anschließend heiraten wir kirchlich! Es wird wunderschön werden. Du – im weißen Brautkleid an meinem Arm.«

Heidi lächelte.

»Nein, Gerd! So wird es nicht sein! Du hast die Ringe gekauft und mich damit überrascht. Ich habe mir mein Brautkleid gekauft. Es ist hellgelb.«

»Du willst in einem hellgelben Brautkleid heiraten?« staunte Gerd.

»Bub, wenn die Heidi des so will, dann soll sie des bekommen. Außerdem schaut des doch gut aus. Du im dunkelgrünen Lodenanzug und die Heidi neben dir im gelben Kleid«, redete die Eichingerbäuerin dazwischen.

»Siehst, Bub! Es geht schon los. Die Weiber halten immer zusammen. Da werden wir uns beide warm anziehen müssen. Ich hab’ da so eine dunkle Ahnung, daß wir in Zukunft noch weniger zu sagen haben werden. Aber mir soll es recht sein. Deine Heidi ist ein Pfunds-madl. Ein besseres Madl hättest du nicht finden können. Jetzt wollen wir aber drauf anstoßen.«

Sie prosteten sich zu. Heidi trank Obstsaft.

»Du kannst aber heute nacht nimmer rauf auf die Berghütte!« bemerkte Gerds Vater.

»Ich werde die Heidi heimbringen in ihr Häusl. Ich nehme den Traktor und den Anhänger mit. Vielleicht kann ich schon Sachen mitbringen, die die Heidi hier haben will. Wie ist es?«

Heidi schmunzelte.

Sie schwieg eine Weile und tat, als überlegte sie. Dann sagte sie leise.

»Wenn ich mir es recht überlege, ist es unnötig, daß ich meine heutigen Einkäufe aus Kirchwalden mit heimnehme. Wenn es deinen Eltern nichts ausmacht, dann könnte ich sie bereits hier abstellen.«

Gerds Mutter unterdrückte ein Schmunzeln.

»Ja, wenn du die Sachen die nächsten Tage net brauchst, dann kannst du sie schon hierlassen. Gib mir den Autoschlüssel, dann hole ich sie.«

»Der Kofferraum ist offen! Am besten, du bringst alles hier in die Küche. Dann kann ich zeigen, was ich eingekauft habe. Ich denke, deine Mutter und deinen Vater interessiert es – dich natürlich auch, Gerd.«

Gerd eilte zum Auto.

Währenddessen lachten Heidi und Gerds Mutter.

»Was gibt es zu lachen?« fragte Gerds Vater.

Statt einer Antwort lachten die beiden Frauen noch mehr.

Gerd brachte alle Pakete herein. Es waren so viele, daß er mehrmals gehen mußte.

»Mei, du hast viel eingekauft. Damit will ich nix dagegen sagen. Hast Sachen für unseren Hausstand gekauft?«

»Nein! Sie sind nicht für uns! Das sind alles Dinge, die ich für Felix gekauft habe. Felix kennst du noch nicht. Aber ich werde ihn dir vorstellen. Er wird dir gefallen. Er ist ein ganz fröhlicher Bursche.«

»Dann sollten wir gut auf die Sachen aufpassen, damit nix drankommt«, sagte Gerd.

»Mach die Schachteln und Pakete ruhig auf! Alle bis auf diese!«

Einen großen Karton stellte Heidi zur Seite.

»Übrigens, Gerd! Wenn wir morgen beim Bürgermeister und bei Pfarrer Zandler waren, muß ich noch mal nach Kirchwalden. Kannst du mitkommen? Ich will noch ein paar technische Dinge kaufen. Da ist es immer gut, wenn ein Mann dabei ist. Mit solchen elektrischen Sachen kenne ich mich nicht aus.«

»Gut, dann helfe ich dir gern dabei! Was willst du denn einkaufen?«

»Das erkläre ich dir später. Willst nicht mal reinschauen?«

»Warum? Die Sachen sind nicht für mich und auch nicht für dich!«

»Heidi! Laß mich des machen!« sagte die Bäuerin ungeduldig.

Sie räumte die Gläser ab. Dann öffnete sie die Pakete und schüttete alles auf den Tisch. Es ging ganz schnell.

Aufreißen – Auskippen!

Aufreißen – Ausschütten!

Binnen Minuten häufte sich ein riesiger Berg an Sachen auf dem großen Küchentisch. Gerd betrachtete sich alles.

»Des ist aber für ein Kind!«

Gerd hob einen Strampelanzug in die Höhe.

Er bekam einen hochroten Kopf.

»Du sagst, des ist für den Felix! Wie heißt dieser Felix noch?«

Heidi lächelte Gerd an. Sie nahm seine Hand.

»Liebster Gerd! Mit Nachnamen wird er Eichinger heißen. Felix gefällt mir als Vorname gut. Das heißt ›der Glückliche‹! Als zweiten Vorname habe ich an ›Gerd‹ gedacht, wie du gerufen wirst. Wir können ihn auch ›Gerhard‹ nennen, wie du heißt und auch dein Vater heißt.«

Mit großen Augen schaute Gerd Heidi an.

»Heißt des? Willst du damit sagen, daß? Also, dann bist du net so richtig krank, es ist nur, daß du… Ist des wirklich wahr?«

»Ja, Gerd! Du wirst Vater! Wir werden bald schon einen Buben bekommen.«

Heidi stand auf. Sie legte ihr großes Umschlagtuch ab. Dann raffte sie die Stoffülle des Rockes nach hinten. Jetzt war die kleine Rundung ihres Bauches zu sehen.

Gerd stand auf und ging um den Tisch herum. Er hielt die Hand darüber. Er wagte nicht, sie darauf zu legen. Heidi nahm seine Hand und legte sie auf ihren Bauch.

»Dein Bub! Er strampelt gerade! Dr. Engler sagte, er sei sehr groß und stark.«

Wortlos nahm Gerd seine Heidi in die Arme. Er hielt sie ganz fest. Es bedurfte keiner Worte zwischen ihnen. Ihre Herzen schlugen im gleichen Takt. Sie freuten sich auf ihr Kind, ihren Buben, auf den übernächsten Erben des Eichinger Hofes.

»Was bin ich für ein Depp gewesen! Ich hätte doch etwas bemerken müssen!«

Heidi lachte.

»Es gibt Dinge, die wissen die Frauen zuerst!«

Gerd nahm Heidi fest in den Arm. Sie küßten sich zärtlich.

Gerds Vater schneuzte sich ins Taschentuch. Er war gerührt.

»Daß sich mein Herzenswunsch so schnell erfüllt, das hätte ich mir nie träumen lassen«, sagte er leise und griff nach der Hand seiner Frau.

»Hast du etwas gewußt?«

»Ich habe es gleich gesehen, als die Heidi auf den Hof kam heute abend! Ja, so ist es, Mann! Wir werden Großeltern.«

»Des muß gefeiert werden!«

Gerd und sein Vater tranken Bier. Heidi und Gerds Mutter tranken Obstsaft.

Sie saßen alle bis in die Nacht zusammen und redeten und redeten.

Gerd war so glücklich. Er sah seine Heidi immer wieder mit leuchtenden Augen an.

Es war schon lange nach Mitternacht, als sie endlich schlafen gingen. Heidi blieb auf dem Eichinger Hof.

*

Nachdem die beiden das Aufgebot bestellt hatten, sprach sich die anstehende Hochzeit schnell herum. Heidi, Gerd und seine Eltern wurden oft darauf angesprochen. Alle Waldkogeler waren überrascht.

»Wir bekommen einen Buben!« verkündete Gerd selbstbewußt und ohne Scham. »Ja, wir werden Eltern! Felix Gerd wird er heißen! Es dauert nimmer lange!«

Einige tuschelten hinter dem Rücken der beiden. Doch Gerd und Heidi standen darüber. Sie liebten sich. Sie hatten sich wieder – und sie bekamen ein Kind. Es war ein Kind der Liebe.

Nach der standesamtlichen Trauung ging die Hochzeitsgesellschaft nur über die Straße. Die Orgel der schönen Barockkirche von Waldkogel erfüllte mit ihren kräftigen Klängen das Kirchenschiff. Die Glocken läuteten. Heidi schritt am Arm ihres Gerds durch das Kirchenschiff. Sie sah wunderschön aus in ihrem hellgelben Kleid, das einem Dirndl sehr nachempfunden war. Auf ihrem braunen Haar trug sie einen Blumenkranz aus kleinen gelben und weißen Rosen. Ihr Brautstrauß bestand ebenfalls aus gelben und weißen Rosen. Pfarrer Zandler hielt eine schöne Predigt.

»Es soll eine fröhliche Predigt sein!« hatte sich Heidi gewünscht. »Unser Bub soll hören, wie schön und glücklich und voll Fröhlichkeit das Leben ist, wenn man sich liebt.«

Dem kam der Pfarrer gerne nach.

Nach dem Segen brauste die Orgel wieder auf. Pfarrer Zandler sprach dem Brautpaar seine Glückwünsche aus.

»Danke, Pfarrer Zandler! Wir sehen uns dann wieder zur Taufe!« bemerkte Gerd.

»Dann soll es auch so eine schöne und fröhliche Predigt sein!« wünschte sich Heidi.

»Ich werde es versuchen!« versprach Pfarrer Zandler. »Ich bin sicher, daß ihr fröhlich und voller Liebe und gegenseitiger Zärtlichkeit durch das Leben geht.«

»Das werden wir! Und bei so viel Liebe soll Felix nicht alleine bleiben!« flüsterte Heidi. »Jetzt freuen wir uns auf unser Kind. Ich freue mich ganz besonders. Hat Felix jetzt doch die Heimat, die ihm zusteht. Er wird behütet auf dem Eichinger Hof aufwachsen.«

Es wurde eine wunderschöne Feier im kleinen Kreis, so wie es sich Heidi gewünscht hatte.

Einige Monate später kam Felix Gerd zur Welt. Er wurde auf dem Eichinger Hof geboren. Almut war die Hebamme. Er kam etwas früher, weil er sehr groß und stark war. Heidi war glücklich. Felix sah seinem Vater sehr ähnlich. Er hatte sein schwarzes Haar und seine dunklen Augen.

Zur Taufe gab Gerd ein riesiges Fest. Dora wurde auf Heidis Wunsch eine der Patinnen. Dora war gerührt. Es war für sie ein ganz besonderer Tag. Ein junger Bursche hatte nur Augen für Dora und sie für ihn.

»Da bahnt sich etwas an, Heidi! Hast du es bemerkt?« fragte Gerd seine Frau.

»Ja! Es freut mich! Ich denke, die beiden passen gut zusammen. Ich wünsche, daß Dora glücklich wird.«

Während auf dem Hof des Eichinger Hofes bis in die Nacht gefeiert war, saß Heidi im Schlafzimmer und schaukelte die Wiege mit ihrem schlafenden Kind. Sie war sehr glücklich.

Im Abstand von mehreren Jahren bekamen Heidi und Gerd noch zwei Mädchen.

Almut blieb in Waldkogel. Sie zog in das kleine Häusl, in dem Heidi gewohnt hatte. Für Heidis Kinder war sie wie eine Großmutter.

Toni der Hüttenwirt Paket 2 – Heimatroman

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