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Was heidnische Rituale nicht sind

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Wenn Nichtheiden über heidnische Rituale, und besonders über Opfer, sprechen oder schreiben, ist häufig davon die Rede, dass sie dazu dienen würden, die Götter „günstig zu stimmen“ oder zu „besänftigen“. Das ist eine weit verbreitete Deutung, aber sie hat ihren Ursprung nicht im Heidentum, sondern in der biblischen Vorstellung eines Gottes, der den Ungehorsam der sündigen Menschheit mit ständigem Groll verfolgt und sich allen späteren Beteuerungen seiner Liebe zum Trotz nur dann wohlwollend zeigt, wenn er durch Demutsgesten und Sühneopfer besänftigt wird. Mag sein, dass auch andere antike Völker zu ihren Göttern ein ähnliches Verhältnis der Angst und des Misstrauens hatten. Den Germanen war es fremd.

In unserem Heidentum herrscht zwischen Göttern und Menschen im altgermanischen Sinn des Worts Frieden: ein Zustand familiärer Freundschaft und Wohlgesinntheit, der in gegenseitiger Treue gefestigt ist und nicht immer wieder neu erkauft werden muss. „Familiär“ ist dabei wörtlich zu verstehen, denn die germanischen Begriffe von Frieden und Freundschaft sind direkt aus dem Zusammenhalt von Familie und Sippe abgeleitet: Freunde (nordisch freyndur) sind, wie schon im 19. Jahrhundert der dänische Kulturforscher Vilhelm Grønbech festgestellt hat, ursprünglich nur die Blutsverwandten. Erst später heißt in einigen Sprachen – etwa im Deutschen und Englischen, während die nordischen Sprachen dafür das eigene Wort vinur (dänisch ven, schwedisch vän) behalten – auch ein Sippenfremder ein Freund, wenn er wie ein Verwandter zu uns hält.

Dieses Verhältnis familiärer Freundschaft, von dem wir noch sehen werden, dass ihm auch eine tatsächliche Verwandtschaft zugrunde liegt, verbindet uns auch mit unseren Göttern. „Wodan ist kein Herr und seine Kinder sind keine Diener“, antwortet Hagen in einem der Nibelungenromane von Stephan Grundy einem christlichen Priester. Die Romanfigur Hagen hat es besser durchschaut als die historischen Germanen, die den Begriff „Herr“ nur vom Gefolgsherrn (ahd. trûhtin, nord. dróttinn) kannten, dem seine Krieger als freie Männer folgten, und daher meinten, auch dem „here Krist“ derart frei und ehrenvoll dienen zu können. Der Gott der monotheistischen Religionen aber ist ein „Herr“ im Sinn des lateinischen dominus: ein Besitzer von Sklaven, die ihm bedingungslos unterworfen sind und ihren erzwungenen Dienst in blindem Gehorsam und Demut verrichten.

Gottesdienst in diesem Sinn sind unsere Rituale nicht: Wir ehren die Götter, aber wir dienen ihnen nicht. Umgekehrt ist das Ritual aber auch kein Versuch, die Götter zu bestechen oder gegen ihren Willen zu beeinflussen und zu manipulieren. Das wäre gegen ihre Ehre – und Ehre steht unter Germanen ganz oben.

Der germanischen Tradition fremd ist ferner die Meinung, religiöse Rituale wären magisch zu verstehen. Die germanische Magie (seiðr) arbeitet nicht wie die orientalische mit Göttern und Geistern, die regelrecht gezwungen werden, zu erscheinen und dem Magier zu dienen, sondern mit den immanenten Kräften des Menschen, der sie ausübt, oder den Kräften der Gegenstände und Praktiken, die er verwendet. Sie ist nicht Beschwörung, sondern Technik, die ohne Hilfe mächtigerer Wesen aus sich selbst wirkt – in der präziseren Terminologie von Religionsforschern wie Hans-Peter Hasenfratz eigentlich nicht Magie, sondern Zauber. Andere machen da keinen Unterschied, differenzieren aber ebenfalls nach der Beteiligung von Göttern oder Geistern: Wenn eine rituelle Handlung ohne ihr Zutun wirken soll, ist es Magie; wenn man glaubt, dass sie es sind, die etwas bewirken, ist es Religion.

Das heißt aber in jedem Fall, dass Religion und Magie zwei grundverschiedene Bereiche sind, die im historischen Heidentum denn auch ihren je eigenen Platz und je eigene Fachleute hatten: seiðkona (Magierin) und seiðmaðr (Magier) oder althochdeutsch zoubrara (Zauberin) und zaubrari (Zauberer) für magische Aufgaben und goði („Priester“) und gyðja („Priesterin“) bzw. cotinc, bluostrari usw. für die religiösen Rituale, die zwar manchmal und bei speziellem Bedarf auch magische Elemente enthalten und sich magischer Mittel bedienen können, aber nicht an sich Magie sind. Wenn in esoterisch angehauchten Kreisen gerne von „magischer Religion“ die Rede ist, hat das also weder mit echtem Heidentum zu tun noch ergibt es religionswissenschaftlich überhaupt einen Sinn.

Religiöse Rituale dienen schließlich auch nicht dazu, die Teilnehmer auf einen Weg der Erkenntnis, Einweihung oder Erleuchtung zu führen. Das sind esoterische Deutungen, die erst in moderner Zeit entstanden sind und ihren Ursprung in Mysterienkulten von außerhalb des germanischen Raums haben. Sie mögen auf spezialisierte Einweihungsformen wie die höhere Runenkunst zutreffen, doch mit der allgemeinen Religionsausübung – etwa zu den Jahresfesten – haben sie nichts zu tun.

Das religiöse Ritual ist weder magische Energiearbeit noch mystische Einweihung, sondern ein kultisches Fest. Es ist ein Akt der Verehrung der Götter und eine Begegnung mit ihnen auf der Basis feierlicher Gemeinschaft und wurde daher von unseren Vorfahren schlicht „Feier“ (althochdeutsch fira) genannt. Man sagte auch, dass man diese Feier „beging“ und nannte sie deshalb bigang.

Das Heilige Fest

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