Читать книгу Comanchen Mond Band 1 - G. D. Brademann - Страница 12

Kapitel 6

Оглавление

Icy-Wind kam. Hinter der ersten Biegung des Flusses – dort, wo das Lager begann – tauchte er auf. Niemand kündigte sein Kommen an, es gab keine Wachen. Als er die ersten Tipis passierte, verbreitete sich die Nachricht seiner Rückkehr wie ein Lauffeuer. Obwohl die Tipis weit auseinander das Flussufer säumten, dauerte es nicht lange, bis auch der Letzte Bescheid wusste. Nicht nur, dass die halbwüchsigen Knaben auf ihren Ponys die Nachricht von Tipi zu Tipi brachten, die untereinander ausgetauschten Rufe der Frauen waren noch schneller. Neugierige Blicke begleiteten den Ankömmling auf seinem Weg den Hauptweg entlang. Frauen ließen ihre Arbeit liegen, Kinder ergriffen die Gelegenheit, um rasch unbeaufsichtigt Naschereien zu stibitzen. Hunde ergatterten Fleischstücke von verwaisten Trockengestellen und machten sich damit auf und davon. Alles war in Aufregung, das ganze Lager summte wie ein Bienenschwarm. Der Weg, den Icy-Wind bis zu seinem Zuhause nehmen musste, wurde von Menschen flankiert, die unbedingt einen Blick auf die neue Frau werfen wollten.

So früh am Morgen saßen bereits die älteren Männer vor ihren Tipis – rauchend, schwatzend, die kleinen Kinder beaufsichtigend. Sie hielten es jedoch für unter ihrer Würde, neugierig an den Wegrand zu kommen, sondern reckten nur verstohlen die Köpfe. Männer, die gerade zur Pferdeherde wollten, zügelten ihre Mustangs und ritten Icy-Wind entgegen. 18 von ihren Kriegern befanden sich noch immer bei Quanah. Die ganze Verantwortung für das Lager lag bei Great-Mountain, ihrem Friedenshäuptling, und Old-Antelope, der seit vielen Wintern schon ihr Häuptling war. Als Anführer der jüngeren, zurückgebliebenen Männer, die eine eigene kleine Bande bildeten, sorgte Storm-Rider für Sicherheit.

Icy-Wind, losgeritten mit fünf Pferden – eines, auf dem er ritt, zwei Ersatzpferde für sich selber und zwei waren für den Brautpreis vorgesehenen – ritt ins Lager. Das Erste, wonach die Männer, an denen er vorberritt, Ausschau hielten, war natürlich die wieder mit zurückgebrachte Anzahl der Pferde; die Frau interessierte sie weniger. Zwei Pferde, zählten sie. Also musste er drei statt zwei für die neue Frau bezahlt haben. Oho! Das gab genug Gesprächsstoff für einige Nächte am Lagerfeuer.Icy-Wind trug nur seinen Lendenschurz über den Leggins, kein Hemd. Er sah müde aus, genau wie das Ersatzpferd, das er am Sattel mit einem Rohlederriemen festgebunden hatte. Das Gesicht des Kriegers war staubbedeckt, nur die dunklen Augen leuchteten daraus hervor. Seine langen Haare, bereits mit weißen Strähnen durchzogen, fielen jedoch wohlgeordnet, eingefettet und glänzend über seine Schultern. Wie alle männlichen Comanchen legte auch er großen Wert auf seine Haare als Statussymbol. In seinem mürrischen Gesicht spannte sich die Haut über den Wangenknochen. Sein schmallippiger Mund zog sich nach unten. Die dunkelbraunen, tiefliegenden schmalen Augen zeugten davon, dass er nicht gerade bester Laune war. Ob das daran lag, dass er ein Pferd mehr hatte bezahlen müssen, oder an dem Auflauf seiner Leute, blieb dahingestellt. Vielleicht hatte es unterwegs ja auch einen Zwischenfall gegeben. Viele fragten sich bei seinem Anblick, ob seine Brautschau wohl gut verlaufen war. Die junge Frau neben ihm konnte jedenfalls nicht der Grund sein; darin stimmten die Meinungen derjenigen überein, die einen Blick auf seine Begleiterin erhaschten. Sie war ein durchaus erfreulicher Anblick.

Jetzt musste er die argwöhnischen Mienen seiner Leute bemerkt haben, denn sein Gesichtsausdruck veränderte sich jäh. Ein gekünsteltes Lächeln breitete sich auf seinen harten Gesichtszügen aus. Die sehr junge, zierlich wirkende kleine Frau neben ihm, ihrem Aussehen nach eine Mexikanerin, saß müde auf einem Maultier mit wolligem, zotteligem Fell. Krampfhaft hielt sie ein Stoffbündel vor sich fest. Sie mochte nicht mehr als siebzehn Winter zählen, vielleicht sogar noch weniger. Ihre Haut glänzte dunkel bronzefarben, und das kleine runde Gesicht war zwar schön, die Traurigkeit darin jedoch nicht zu übersehen. Ein grünes breites Stoffband hielt ihre schwarze Lockenpracht aus der geraden Stirn. Die kleine Stupsnase gab ihr noch zusätzlich ein kindliches Aussehen. Hohe, stark hervortretende Wangenknochen und ein großer ausdrucksvoller Mund beherrschten ihr fein gezeichnetes Gesicht. Sie wirkte nicht so, als könnte sie überhaupt einmal lächeln. Ihre sehr gelockten Haare, das fiel besonders ins Auge, waren an den Seiten und hinten ziemlich kurz abgeschnitten, ja, sie sah irgendwie einem gerupften schwarzen Vogel ähnlich. Die junge Frau hielt den Kopf gesenkt, ihre langen dunklen Wimpern wie einen Vorhang über ihren Augen. Darunter blickte sie scheu nach rechts und links, betrachtete die Menschen, zu denen sie jetzt gehören sollte. Fahrig wischte sie sich eine dunkle, geringelte Locke aus der Stirn. Comanchen kannten keine solchen gelockten Haare – nur bei Halbblutindianern mit meist mexikanischem Einfluss kamen sie vor.

Die Erscheinung der jungen Frau gab allen Rätsel auf. Jetzt drehte sie sich in ihrem Sattel kurz nach hinten um, um gleich wieder, eine Hand fest um ihr Bündel gekrampft, nach vorn zu schauen.

Icy-Wind, der neben ihr ritt, wechselte einen Blick mit ihr, der alles andere als freundlich war. Im Gesicht der Frau zuckten die Mundwinkel, was sowohl Herablassung als auch Trotz bedeuten konnte. Auch Icy-Wind drehte sich jetzt nach dem Begleiter um, der ihnen mit einem vollbeladenen zweiten Maultier im Schlepp folgte. Es schien ihm nicht zu gefallen, dass er so weit hinter ihnen ritt. Zwischen ihnen lagen mindestens zehn Pferdelängen. Das war auch der Grund, weshalb er erst gesehen wurde, nachdem Icy-Wind mit seiner Begleiterin einen Hügel überquert hatte und auf die Uferböschung zugeritten kam.

Der, der sich anscheinend in der Gegenwart von Icy-Wind nicht wohlfühlte, war ein junger Mann. Lässig saß er auf einem hochbeinigen, großen texanischen Pferd, wie die Comanchen sie gern mit ihren Mustangs kreuzten. Er trug eng anliegende Leggins, darüber eine prächtig bestickte und mit Fransen besetzte Jacke aus fein gegerbtem Büffelfell. Aus seinem Lendenschurz hing – gar nicht, wie es Comanchenart war – nachlässig halb in einen breiten Gürtel mit silbernen Beschlägen gestopft, ein weißes Hemd aus feinem Leinen. Hinter seinen auffallend breiten Schultern ragte ein großer Bogen hervor. Die dazugehörenden Pfeile befanden sich in einem bemalten Köcher an der Flanke des Pferdes. Daneben sah man eine farbenprächtige Lederhülle, aus der griffbereit der Kolben eines Gewehrs ragte. Die langen Beine des Reiters steckten in bestickten und mit schwarzen Perlen verzierten Mokassins – bei Comanchen auch nicht üblich. Der junge Mann, der etwa neunzehn Winter alt sein mochte, war groß und hager. Makellose blauschwarz glänzende Haare, lang und schwer, wogten ihm lose über den Schultern. Den Kopf etwas nach hinten neigend, reichten sie in leichten Wellen sogar bis auf den Rücken seines Pferdes. In seinem Gesicht fiel besonders die große, schiefe Nase auf, die irgendwann einmal gebrochen gewesen und dann schlecht zusammengewachsen sein musste. Seine vollere Oberlippe schob er jetzt, da ihn alle zu mustern schienen, halb über die sinnlich geschwungene untere; dann zog er sie wieder zurück. Das markante, fast eckige Kinn darunter, das von einer keilförmigen Kerbe geteilt wurde, machte sein Gesicht interessant. Seine Hautfarbe war dunkel, mit einem leichten Kupferton. Nein, er war nicht schön, ganz und gar nicht. Doch er sah äußerst kriegerisch aus mit diesem von Narben gezeichneten Gesicht, den hervorstehenden Wangenknochen und der schiefen Nase. Dazu kamen seine leicht schräg stehenden Augen, die tief in den Höhlen lagen und die ihm noch dazu etwas Geheimnisvolles gaben. Sie begegneten manchen neugierigen Blicken, die ihn verstohlen musterten, jedoch nicht mit Feindseligkeit. Besonders die Frauen schienen ein Interesse an ihm zu haben. Solch einen stattlichen Fremden sahen sie schließlich nicht alle Tage. So ritt er an ihnen vorbei – stolz lächelnd, ganz im Gegensatz zu dem mürrischen Gebaren von Icy-Wind.

Die kleine Gruppe passierte nur langsam auf dem Hauptweg die Uferböschung. Dichtes Gebüsch und Bäume, die auf beiden Seiten oben zusammentrafen, bildeten ein dichtes Blätterdach. In dieser Jahreszeit schliefen die meisten der Antilopenbande noch draußen. Das Nachtlager einiger Langschläfer lag noch offen sichtbar im Unterholz.

Summer-Rain drängte ihr Pony mit den Schenkeln zurück ins Gesträuch, als sie die Reitergruppe kommen sah. Sie bedauerte die kleine, zusammengekauerte Gestalt, die ab jetzt eine von ihnen sein würde. Nach heller, unbändiger Freude sah das nicht gerade aus. Mit Unbehagen dachte sie an Crow-Wing, die erste Frau von Icy-Wind. Sie konnte sich deren Miene gut vorstellen und mit welcher Wut im Bauch sie jetzt wahrscheinlich ein kleines Nebenzelt für die neue Frau herrichtete. Im Gegensatz zu anderen Frauen, die froh gewesen wären, eine Hilfe zu bekommen, war Crow-Wing berüchtigt für ihre Eifersucht. Was passierte mit der Neuen, wenn sich wieder kein Nachwuchs einstellte? Icy-Wind konnte doch wohl nicht jede Frau beliebig austauschen? Mit diesen Gedanken im Kopf duckte sie sich unter einen herabhängenden Ast, um möglichst aus dem Blickfeld des Mannes zu kommen, der zweifellos mit voller Absicht so weit hinter Icy-Wind ritt. Er schien sehr darauf bedacht zu sein, diesen Abstand möglichst nicht zu verkleinern.

Doch sich weiter einen Weg durch das Unterholz bahnend, zog sie gerade deshalb die Aufmerksamkeit des jungen Mannes auf sich. Er drehte sich in seinem Sattel etwas zur Seite, und gerade in diesem Moment blickte Summer-Rain zu ihm, um den dunkelsten Augen zu begegnen, die sie jemals gesehen hatte. Etwas, das sie erschauern ließ, ging von diesem Blick auf sie über. Zugleich brachte ein offenes Lächeln sein dunkles Gesicht zum Leuchten. Das Pferd unter ihm scheute, er wurde kurz von ihr abgelenkt, dann wandte er sich wieder nach ihr um. Abermals trafen sich ihre Blicke. Ein anerkennendes Heben seiner Augenbrauen ließ ihre Wangen erröten. Verlegen senkte sie den Blick, strich ihrem Pferd über den Hals, tätschelte es geistesabwesend, schaute dann aber doch wieder auf. Da wurde der Fremde von jemandem, der ihm laut etwas zurief, abgelenkt. Als er sich im Sattel nach ihm umdrehte, sah sie ihn von der Seite. Eine große, gezackte, schlecht verheilte Narbe verlief von seinem linken Haaransatz über die Wange bis zum Kinn.

Jetzt stand der, der ihn angesprochen hatte, neben seinem Pferd, um einige Worte mit ihm zu wechseln. Gray-Wolf – der Sohn von Wolf-Hunter, ein junger Krieger der Antilopenbande – war es, der lachend zu ihm aufblickte; anscheinend wollte er ihn nur willkommen heißen. Der fremde Reiter beugte sich freundlich zu ihm hinunter. Da sah sie aus seinem breiten Gürtel den Griff eines Colts ragen. Einen Moment lang geriet sie außer Fassung. Schnell schlug sie sich eine Hand vor den Mund, um einen leisen Aufschrei zu unterdrücken. Noch nie in ihrem Leben hatte sie eine dieser tödlichen Waffen aus der Nähe gesehen. Wieder aufblickend, war nur noch das Hinterteil des Maultiers, das die Habe der jungen Frau trug, zu sehen. Eine Weile blieb Summer-Rain mit ihrem Pferd noch stehen, dann fasste sie einen Entschluss. Sie wollte zu ihrem Bruder reiten, um ihm von ihrer Beobachtung zu berichten. Vielleicht wusste er ja schon mehr über den Fremden.

Icy-Wind zog mit seiner neuen, jungen Frau in sein Haupttipi ein und überließ entgegen den Erwartungen von Crow-Wing dieser das kleinere daneben. Die Hochzeitsgeschenke, die die Bewohner des Lagers brachten, wurden nach Comanchenart wieder an andere, bedürftige Familien verteilt. Danach nahm der normale Alltag wieder seinen gewohnten Gang.

Nur die Anwesenheit des Fremden erregte noch immer Aufmerksamkeit. Niemand zeigte das offen. Es gab nur verstohlene Blicke, Getuschel hinter vorgehaltener Hand und Mutmaßungen, die sehr phantasievoll ausfielen. Besonders die jungen Mädchen blickten ihm nach, während er jetzt Gray-Wolf folgte. Dieser – zwanzig Winter alt, seine Haare im Nacken zu Zöpfen geflochten – griff sich eines der in der Nähe grasenden Pferde, saß auf und lenkte es neben das des Fremden. Bald schon waren die beiden in ein ernstes Gespräch vertieft, in dem Gray-Wolf ihn oft aus seinem breiten, flachen Gesicht mit den hohen Wangenknochen und der großen Hakennase freundlich ansah. Er deutete zur riesigen Pferdeherde, die man in ihrem ganzen Ausmaß von hier aus noch gar nicht richtig bewundern konnte, denn die ersten Hügel des Canyons verbargen sie noch vor ihren Blicken. Das Ufer des Flusses, der von dort hinter einer scharfen Biegung hervorkam, war an einigen Stellen niedergetreten und versandet. Das kam sicher auch von den vielen Überquerungen, wenn die Comanchen ihre Pferde von dort ins Lager herüberholten.

Nachdem die beiden jungen Männer eine flache Stelle gefunden hatten, ritten sie rasch durch das Wasser, das ihren Pferden hier gerade mal bis zum Bauch reichte. Andere übermütige junge Männer folgten ihnen wie in einem Scheinangriff. In der Mitte des Flusses überholten sie sie, umkreisten die beiden und preschten dann mit ihnen zusammen johlend ans andere Ufer. Drüben führte Gray-Wolf den Fremden am Canyon entlang bis zu einem breiten flachen Felsen, vor dem glattgescheuerte, wie Schiefer schimmernde Platten sich terrassenförmig in einem Halbkreis auftürmten.

Ihre Pferde überließen sie sich selbst, während sie auf eine der Terrassen kletterten, um den jungen Männern dabei zuzusehen, wie sie ihnen gegenüber im Canyon Reiterkunststücke übten.

Es dauerte nicht lange, da ritten sie zu ihnen, um das Pferd von Running-Fox – inzwischen kannten sie den Namen des Fremden – gebührend zu bewundern. Mit unverhohlenem Stolz hörte dieser ihren Bemerkungen zu und erzählte dann seinerseits etwas über die Herkunft und die Geschichte seiner rostroten Stute.

So verging der Rest des Tages, bis einige zu ihren Familien zurück ins Lager ritten. Der Fremde wollte sein texanisches Pferd zur Herde bringen, um für sich selbst dort ein kleines Lager einzurichten. Eigentlich sollte er als Gast bei Icy-Wind sein, aber er wollte ihn an seinem ersten Tag mit der neuen Frau nicht stören, gab er als Ausrede zum Besten – was ihm natürlich niemand abnahm. Unschlüssig zögerte er; vielleicht wartete er auf eine Einladung von Gray-Wolf, auf den er einen großen Eindruck gemacht hatte. Zwei der jungen Männer, die bisher einen gewissen Abstand gewahrt hatten, traten jetzt näher zu dem Neuankömmling heran. Sie standen noch neben seinem Pferd, als ein Läufer, den Great-Mountain mit einer Einladung für Running-Fox geschickt hatte, zu ihnen stieß. Der Fremde verabschiedete sich mit einem enttäuschten Blick auf die jungen Männer, folgte ihm dann aber höflich, doch nicht gerade begeistert.

Kaum war er nicht mehr zu sehen, da brach Gray-Wolf das Schweigen, das seit dem Aufbruch des Neuankömmlings geherrscht hatte. Er saß unterhalb der von der Sonne aufgeheizten Felsenplatten in der Nähe des Flusses, ein Bein ausgestreckt. „Dieser Running-Fox ist ein schlauer Fuchs, hält sich von Icy-Wind fern. So kann er um allen Ärger einen großen Bogen schlagen. Zuerst beobachtet er nur – dann weiß er, was los ist. Einen wie ihn könnten wir hier gut gebrauchen. Seit dein Vater mit den anderen Kriegern fort ist, Storm-Rider, fehlt es uns an Versorgern für unsere Familien.“

Er seufzte und rieb sich das ausgestreckte Knie. Eine Verletzung aus Kindertagen plagte ihn manchmal so schlimm, dass er hinken musste. „Was er uns über Icy-Wind berichtet hat, war wieder einmal typisch.“ Während er weitersprach, ging sein Blick in die Runde. „Das ist es, weshalb er bei seinem Einzug hier so ein Gesicht gezogen hat. Jetzt ist mir das klar. Damit musste er aber doch rechnen!“

Ein anderer junger Mann – untersetzter und klein, mit einem Bauchansatz – der sich bisher im Hintergrund gehalten hatte, trat näher. „Da hätte ich dabeisein wollen!“, meinte er und lachte.

Light-Cloud, der mit in der Runde war, schmunzelte in sich hinein. „Tja, Clot“, rief er dem Kleinen zu, „wir alle würden viel dafür gegeben haben – ohne Zweifel. Sicher bildete er sich ein, weil er Icy-Wind ist, bekäme er für zwei Pferde eine hübsche junge Frau!“

Also, darum ging es. Die Männer machten sich über Icy-Wind lustig, weil der für eine Frau mehr bezahlt hatte, als er eigentlich wollte. Light-Cloud blickte nachdenklich drein und sagte: „Aber dass er sich für eine Witwe entscheidet, hätte ich nicht gedacht. Vielleicht war das ja klug von ihm. Ich meine, kann ja sein, dass sie schwanger ist. Wer weiß – dann hätte er ja bereits, was er will, ohne sich anzustrengen.“

Der mit Clot Angeredete brauchte einen Moment, bevor er begriff, was damit gemeint war. „Trotzdem“, äußerte er sich, „sie wird es ihm nicht leichtmachen. Ich kenne die Mexikanerinnen. Trotzig und nur dann zu gebrauchen, wenn sie was für unsereinen übrig haben. Die beißt ihn weg wie eine Stute, wenn sie ihn nicht will. Denkt an meine Worte! Nun gut, wir werden ja sehen. So viel, wie wir von Running-Fox wissen, hat der Bruder ihres verstorbenen Mannes die Verhandlungen geführt. Dieser schlaue Fuchs hat uns bestimmt nicht alles gesagt, was den Grund für ihr Verheiraten angeht. Richtig glücklich sah sie mir nämlich nicht aus. Wert sein muss sie aber schon was, sonst hätte sie ihn nicht drei Pferde gekostet statt zwei.“

Clot – Klümpchen, wie sie ihn alle etwas spöttisch nannten – zog eine Grimasse. „Nun stellt euch mal vor, es gibt wieder kein Baby!“ Er schlug sich vor Lachen auf die Schenkel. „Ich glaube sogar, Icy-Wind kann gar keine Kinder machen. Ich sollte es ihm wohl mal zeigen – was meint ihr?“ Immerhin konnte er selbst zwei gesunde, vielversprechende Jungen vorweisen.

Gray-Wolf schüttelte den Kopf über so viel Unsinn. Auf seinem breiten Gesicht zeigte sich Besorgnis. „Du weißt genau, wie er in seiner Ehre verletzt sein wird, sollte das passieren, Clot. Sie wird es büßen müssen. Da tut sie mir schon jetzt leid. Icy-Wind ist nicht der Einzige, der hier kinderlos geblieben ist, das sollte er einfach mal begreifen.“ Die jungen Männer nickten. Was Gray-Wolf da ansprach, war die Wahrheit. Seine zweite Frau hatte Icy-Wind im vergangenen Herbstmond einfach zu ihrer Familie zurückgeschickt, nachdem die Ehe lange kinderlos geblieben war. Crow-Wing, die ebenfalls keine Kinder bekam, hatte er als seine Hauptfrau behalten. Sie schaffte es immer wieder, sich unentbehrlich zu machen.

Über die Neue wussten die jungen Männer nur, was ihnen Running-Fox berichtet hatte – und das war nicht gerade viel. Einige der Frauen empfanden Icy-Winds kurze, schnelle Einigung mit dem Bruder ihres verstorbenen Mannes als ein schlechtes Omen. Die Verhandlungen um den Brautpreis konnten sich sehr lange hinziehen. Da kam es schon mal vor, dass sich der Mond zweimal rundete, bevor das erledigt war. Comanchen, die über Pferde für Frauen verhandelten, hatten es nie eilig. Das männliche Oberhaupt der Familie entschied darüber. In den meisten Fällen berücksichtigte man die Wünsche der Frauen oder Mädchen, denn sie wurden geliebt. Natürlich lagen die Dinge völlig anders, sollte der Vater der Zukünftigen sein Einverständnis verweigern. In diesem Fall würde es zu keiner Verbindung kommen.

Das Paar stand dann vor einer schwerwiegenden Entscheidung: Entweder, sie gingen getrennte Wege, oder sie verschwanden heimlich aus dem Lager – was bedeutete, ganz auf sich allein gestellt zu sein, ohne jede Unterstützung der Gemeinschaft. Einer ihrer jetzigen Kriegshäuptlinge, Quanah, hatte sich das getraut. Diese Geschichte kannte hier jeder. Aus dem, was sie über Icy-Wind und dessen Ausflug in das befreundete Comanchenlager wussten, konnte es nur eine Erklärung dafür geben, weshalb seine dritte Ehefrau nicht gerade begeistert ausgesehen hatte. Ganz sicher war dieser kleinen, hübschen Mexikanerin keine Wahl geblieben. Wenn sie Witwe war, wie Running-Fox behauptete, dann konnte nur eine Heirat ihr Auskommen sichern. Die jungen Krieger um Gray-Wolf ergingen sich weiter in Vermutungen darüber. Nach einiger Zeit wechselte Gray-Wolf endlich das Thema. „Running-Fox wird uns bald wieder verlassen. Es war nur seine Aufgabe, die Frau hier abzuliefern. Schade, er ist viel herumgekommen – und wenn das zutrifft, was er mir auf dem Weg hierher erzählt hat, dann sollten wir uns in Zukunft besser überlegen, wohin wir reiten.“ Er griff nach einem Grashalm und kaute nachdenklich darauf herum. In seinen Mundwinkeln erschienen zwei kleine Grübchen. Sie wussten alle, was er meinte – ohne Frage.

Clot nagte an seiner Unterlippe. Er räusperte sich, bevor er das Wort ergriff. „Wir sind vor vier Sommern noch über den Concho-Fluss geritten; jetzt steht dort ein Fort. Am Colorado-Fluss, nicht weit weg Richtung Norden, steht noch eines. Gray-Wolf hat recht. Wir sollten uns genau überlegen, wo wir demnächst unser Winterlager aufschlagen werden. Ich sag es euch: so weit wie möglich von dem weißen Mann entfernt!“

Gray-Wolf spuckte den Halm aus. Er schien der gleichen Meinung zu sein, schwieg aber. Light-Clout zog die Stirn in Falten. „Quanah und unsere Krieger werden ihnen zeigen, wer der Herr auf den Llanos ist. ‚Bad Hand‘ Mackenzie wird wieder abziehen müssen!“

Vor sich hin nickend, griff Gray-Wolf wieder nach einem Halm. Diese Worte schienen nach seinem Geschmack zu sein. Auch die Männer um ihn herum nickten. Doch Light-Cloud war noch nicht fertig. Einen nach dem anderen musternd, zögerte er, wohl wissend, dass das, was er jetzt zu sagen hatte, niemandem gefallen würde. „Aber Running-Fox hat auch gesagt, das Lager von McKenzieist jetzt dieses Fort, von dem Clot eben gesprochen hat: Fort Concho. Seit vier Sommern steht es nun schon dort, direkt vor unserer Nase, und wir können nichts dagegen tun. Es ist nicht möglich, die Blauröcke dort zu besiegen! Diese Wahrheit sollte endlich jeder begreifen. Unser Gebiet ist ja schon lange nicht mehr das, was es einmal war. Solange die Soldaten immer weiter gegen Sonnenuntergang reiten, müssen wir uns genau überlegen, was wir tun.“ Auf seiner Stirn erschien eine tiefe Falte. Er stieß den neben ihm sitzenden Krieger an, ohne auf die Mienen der anderen zu achten. Dass sie mit seinen Worten nicht einverstanden waren, musste ihm klar sein. „Sag du doch auch mal was, Storm-Rider“, forderte er seinen Nebenmann auf.

Der so Angesprochene schwieg lange. Endlich blickte er in die Runde, schüttelte den Kopf und fuhr sich mit dem Zeigefinger über den breiten Rücken seiner Nase. Immer noch schweigend musterte er die Freunde erneut, während sie gespannt auf seine Worte warteten. Weil der junge, gutaussehende Krieger sich durchaus der Tatsache bewusst war, dass seine Meinung ihnen etwas galt, überlegte er sich seine Antwort genau. Einerseits wollte er sie nicht vor den Kopf stoßen, andererseits aber mit seiner Meinung auch nicht hinter Light-Cloud zurückstehen. Endlich entschloss er sich, zu reden. „Das, was dieser Running-Fox gesagt hat, ist doch wohl nicht neu. Wir wissen sehr gut, wo sich die Soldaten des Weißen Mannes befinden. Concho, Richardson, Griffin und wie diese Forts noch alle von dem Weißen Mann genannt werden. Was schert uns das? Wir haben genug Möglichkeiten, um ihnen zu entwischen. Wenn wir sie nicht besiegen können, werden wir für sie unsichtbar sein. Dieser Mann, Running irgendwas, von dem wir nichts außer dem Namen wissen, sagt Dinge, die wir nicht ändern können. Warten wir ab, bis unsere Krieger mit meinem Vater Red-Eagle zurück sind. Ich will zunächst hören, was sie zu sagen haben. Darauf gebe ich mehr als auf die Worte eines Mannes, der zufällig hier aufgetaucht ist.“ Seine dunkelbraunen Augen mit den goldenen Sprenkeln – wie bei seiner Mutter Moon-Night – funkelten.

Gray-Wolf sah, wie er trotzig die Unterlippe nach vorn schob. Erstaunt über seine heftige Reaktion auf den fremden Mann, warf er ihm einen forschenden Blick zu. Hatte er etwas gegen ihn?

Storm-Rider redete schon weiter. „Dieser Mann, von dem wir nichts als den Namen wissen, reitet doch bald schon wieder zurück – wohin, das wissen wir nicht. Können wir ihm überhaupt glauben, was er sagt? Dafür kenne ich ihn nicht gut genug – keiner von uns.“

Zustimmendes Nicken bestätigten seine Worte. Storm-Rider wickelte sich mit unfreundlicher Miene eine lange Haarsträhne um den Zeigefinger. „Ich bin erst wieder zufrieden, wenn dieser Mann verschwunden ist“, kam es nicht gerade freundlich von ihm. Wieder ein Blick in die Runde. Bis auf Light-Cloud schienen sie alle jetzt seiner Meinung zu sein. An ihn gewandt stieß er wütend hervor: „Er denkt nicht wie wir, und er sieht auch nicht aus wie einer von uns. Habt ihr das nicht bemerkt?“

Light-Cloud – älter, ruhiger und bedächtiger als sie alle – sah ihn stirnrunzelnd an. „Wie meinst du das – sieht nicht so aus wie wir?“

Storm-Rider schüttelte unwillig den Kopf. Sein Haar, das er entgegen den Sitten der Comanchen zu einem Pferdeschwanz hinten zusammengebunden trug, flog von einer Schulter zur anderen. Tief durchatmend versuchte er, seine Gefühle zu bezwingen. Light-Cloud, der ihn die ganze Zeit über nicht aus den Augen gelassen hatte, war sein Benehmen ein Rätsel.

„Habt ihr nicht gesehen, was er für Sachen trägt?“, stieß Storm-Rider aufgebracht hervor. „Als ob er auf Brautschau aus ist. Herausgeputzt wie ein Truthahn zur Balz, so läuft er hier rum!“

Alle außer Light-Cloud lachten schallend. Der sagte kein einziges Wort. Schon immer war er eher ein Beobachter gewesen, der sich erst nach reiflicher Überlegung seine Meinung bildete.

„He, seit wann macht es dir Kopfschmerzen, wenn sich unsere Mädchen nach anderen Männern umsehen – und nicht nur nach dir?“, spottete Gray-Wolf. Light-Cloud wollte ihn bremsen, doch der junge Krieger redete einfach weiter. „Er hat großen Eindruck auf alle gemacht, das muss ich zugeben. Mit seinem schönen Hemd und den bestickten Mokassins. Aber was regst du dich darüber auf? Du musst dir doch keine Sorgen machen. Außerdem habe ich nicht gesehen, dass Magic-Flower ihm schmachtende Blicke zugeworfen hätte. Also, beruhige dich wieder.“ Freundschaftlich schlug er seinem Freund auf die Schultern.

Der Ernst des Gespräches löste sich in Luft auf, da alle lachten – diesmal auch Light-Cloud.

Bei Storm-Rider jedoch herrschte noch immer Aufruhr, was er sehr schlecht zu verbergen versuchte. Aufgebracht erhob er sich. Sein Blick schweifte irgendwo in die Ferne. Unwillig ballte er die Finger zur Faust, öffnete sie wieder, ballte sie erneut zur Faust und wiederholte das Ganze. Dabei zuckten seine Mundwinkel, als ob er innerlich mit sich rang. Dann brach es völlig unerwartet heftig aus ihm heraus: „Magic-Flower, was ihr nur immer mit der habt! Lasst mich mit ihr endlich in Ruhe, sie interessiert mich schon lange nicht mehr!“ Light-Cloud maß ihn mit einem sonderbaren Blick. Leise stellte er fest: „Aber dafür, dass du dich nicht für sie interessierst, stellt sie ziemlich viel an, damit das nicht so bleibt!“

Storm-Riders Mund verhärtete sich. Sinnlos, darauf zu antworten, sollte das wohl heißen. Fordernd streckte er die Hand nach seinem nur zehn Schritt von ihm entfernt stehenden Schimmelhengst aus. Als das Tier heran war, fasste er es am Halfter und verließ wortlos die Freunde.

Light-Cloud und die anderen sahen ihm ziemlich erstaunt nach, wie er in dem für ihn typischen O-beinigen Gang neben seinem Schimmel herging. Hatte er die Flucht ergriffen, weil ihm dieses Thema peinlich war? Diese Frage stellte sich Light-Cloud als Einziger. Clot bemerkte erstaunt: „Was ist denn plötzlich mit dem los?“

Niemand wusste darauf eine Antwort. Sie waren selber von Storm-Riders Benehmen überrascht.

Light-Cloud, der ihm immer noch nachsah, konnte es sich nicht verkneifen, an Gray-Wolf gewandt zu fragen: „Du bist doch sein bester Freund – weißt du, was er hat?“

Storm-Rider war ihm seit einiger Zeit – eigentlich schon seit dem Mond der gelben Blumen – ziemlich verändert vorgekommen. Auch, dass er an kaum einer Feierlichkeit mehr teilnahm, sah ihm gar nicht ähnlich. Oft hatte er ihn, völlig in sich gekehrt, irgendwo im Wald angetroffen, ohne sich auch nur um das in der Nähe befindliche Wild zu kümmern. Storm-Rider war nachdenklich geworden – und auch irgendwie traurig. Er, Light-Cloud, konnte sich das nicht erklären. Nach seiner Frage betrachtete er Gray-Wolf. Der wusste anscheinend auch keine Antwort, sondern zuckte nur mit den Schultern. In seinen Mundwinkeln erschienen wieder diese zwei kleinen Grübchen. „Keine Ahnung“, sagte er dann doch, „aber Magic-Flower und er hatten gestern Nacht einen ziemlich heftigen Streit. Sie ist wie eine gerupfte Henne von seinem Tipi fortgeflattert. Sogar die Hunde haben den Schwanz eingezogen, so laut ist Storm-Rider ihr gegenüber geworden. Leider war ich zu weit weg, um zu hören, um was es da ging. Mehr weiß ich wirklich nicht.“

Oder mehr will er mir nicht sagen, dachte Light-Cloud. Dann erst wurde ihm klar, was er eben gehört hatte, und grinste in sich hinein. Magic-Flower hat also endlich mal jemand eine Abfuhr erteilt – gut so. Doch ausgerechnet Storm-Rider? Das passte irgendwie nicht zusammen. Sehr merkwürdig, gar nicht seine Art, wenn es um ein hübsches Mädchen ging. Nein, stimmt nicht, ging ihm dann auf, wie es zu einem früheren Storm-Rider passte. Überhaupt: Diese beiden galten doch schon seit langem im ganzen Lager als Paar. Ihm fielen die Berichte ein, die ihm einige der Beteiligten von gestern Nacht über der Badestelle der Mädchen erzählt hatten. Clot war auch dabei gewesen. Er wischte seine Gedanken beiseite, und da kam ihm völlig zusammenhanglos auf einmal die neue Frau von Icy-Wind in den Sinn – ihr Gesichtsausdruck, ihr gleichgültiger Blick. Sehr glücklich hatte sie nun wirklich nicht gewirkt.

Clot erhob sich, sein rundliches Gesicht strahlte Gutmütigkeit aus. Er legte Gray-Wolf vertraulich eine Hand auf die Schulter und brachte es unbewusst auf den Punkt: „Running-Fox wird bald wieder verschwunden sein. Dann wird auch bei den Weibern wieder Ruhe einkehren.“

Light-Cloud grübelte immer noch, er hatte kaum hingehört. Storm-Riders schlechte Laune hing ganz offensichtlich mit der Anwesenheit dieses Fremden zusammen. Wo lag der Zusammenhang? Ihm wollte das alles nicht so recht in den Kopf. Clot rüttelte ihn an der Schulter und wiederholte seine Worte. Light-Cloud nickte ihm zu, verstand endlich, was er damit sagen wollte. Er hatte ja recht – dieser Mann würde bald wieder verschwinden, er sollte keinen Gedanken mehr an ihn verschwenden. Auch die anderen schienen dieses Thema nicht mehr weiter vertiefen zu wollen. Storm-Riders ungestümer Aufbruch war bald wieder vergessen. Die Freunde zerstreuten sich in verschiedene Richtungen. Gray-Wolf ging zusammen mit Light-Cloud zu ihren Pferden. Die Sonne neigte sich langsam dem westlichen Horizont zu. Es war immer noch heiß hier mitten im Canyon – Zeit, sich mit den Pferden im Fluss zu vergnügen.

Light-Cloud saß auf. Er ritt eines seiner besten Pferde aus der Züchtung seines Vaters Three-Bears. Gray-Wolf lenkte sein Pony neben ihn. So ritten beide zusammen hinunter zum Fluss, preschten durch eine tiefere Stelle übermütig bis in die Mitte, um dann neben ihren Mustangs an das andere Ufer zu schwimmen. Natürlich ging es dort mit halsbrecherischen Kunststücken weiter. Jeder musste unbedingt dem Anderen zeigen, dass er besser war. Als sie ihre Pferde endlich heimwärts lenkten, entdeckten sie Storm-Rider wieder, der neben seinem Tipi dicht bei seinem Schimmel Summer-Wind hockte. Eigentlich hätte er sie sehen müssen, zumindest ihr Lachen oder ihre Stimmen hören. Aber er stand auf, ohne sich nach ihnen umzusehen und verschwand in seinem Tipi.

Die beiden Männer verabschiedeten sich voneinander, und Light-Cloud erinnerte sich, während er weiterritt, wieder an das seltsame Verhalten Storm-Riders. Er konnte sich das noch nimmer nicht erklären. Worüber er sich auch ärgerte, es ging ihn nichts an. In der Abendluft hing der Geruch von gebratenem Fleisch. Überall an den Kochfeuern duftete es nach Essen. Light-Cloud ritt, im Nachdenken versunken, bis zu seinem Tipi am Fluss, das in gebührendem Abstand neben dem von Großmutter stand. Nicht nur das Benehmen von Storm-Rider ging ihm durch den Kopf. Auch die junge Frau von Icy-Wind beschäftigte seine Gedanken. Ihr Anblick hatte sich tief in seinem Herzen eingebrannt – er wusste es nur noch nicht. Die kleine Mexikanerin würde bald schon sein ganzes Leben bestimmen. Light-Cloud, der bestaussehende ältere Junggeselle des Lagers, war im Begriff, eine große Dummheit zu begehen.

Das laute Wiehern von Summer-Rains Pony schreckte ihn hoch. Seine kleine Schwester kam ihm in den Sinn. Ein kalter Schauer lief ihm den Rücken hinunter. Niemals würde er sie einem solchen Mann wie Icy-Wind geben, ihr Einverständnis hin oder her. Das würde er um keine noch so große Anzahl Pferde zulassen.

Zwei Sonnenaufgänge später saß Summer-Rain auf ihrem Lieblingspony. Es war eine weiß-braun gefleckte Stute mit heller Mähne und hell-blondem Schweif aus der Züchtung von Three-Bears. Das Mädchen trug Jagdkleidung. Aus dem Köcher mit dem ausgehakten Bogen über ihrer Schulter ragten gefiederte Jagdpfeile mit dem eingekerbten Zeichen ihres Bruders heraus.

Langsam setzte sie sich in Richtung Wald in Bewegung – den Anblick von Magic-Flower, die dort herausgekommen war, noch immer im Kopf. Wütend über sich selbst warf sie ihre Haare zurück, die sich wild um ihre Schultern bauschten. Nachlässig schob sie sich eine Strähne hinter das Ohr und trieb ihr Pony zu einer schnelleren Gangart an. Schon wenig später galoppierte sie über eine kleine Prärie, ließ das Wäldchen links liegen und hielt auf einen größeren Wald hinter einer kleinen Hügelkette im Südosten zu. Dort verschwand sie schon bald in der Dämmerung der hohen Bäume.

Sie kam zu einer kleinen Lichtung, saß ab und führte ihr Tier am Zügel weiter. Während sie ging, suchte sie den Boden aufmerksam nach Wildspuren ab. An einem schlammigen Weiher legte sie sich ins Unterholz. Das Pony graste unterdessen unbeeindruckt ein ganzes Stück entfernt. Ab und zu hörte sie sein leises Schnauben, dann herrschte wieder völlige Stille.

Zögernd trat ein Hirsch aus dem Dickicht, sicherte nach allen Seiten, ging zum Weiher und begann das brackige Wasser zu saufen.

Summer-Rain spannte den Bogen, legte in aller Ruhe einen Pfeil ein. Sie war so vertieft, dass sie der Bewegung hinter ihr keine Aufmerksamkeit schenkte. Gerade, als sie schießen wollte, knackte ein Ast. Das Tier hob den Kopf, sicherte – dann verschwand es mit schnellen Sätzen im Dickicht.

Summer-Rain stützte sich auf die Ellbogen und lauschte. Geräuschlos zog sie ein Bein an, stemmte sich auf dem linken Unterarm ein wenig hoch, um wie der Hirsch zuvor nach allen Seiten hin sichernd die Umgebung abzusuchen. Zögernd steckte sie den Pfeil wieder zurück in den Köcher. Gleichzeitig umfasste etwas leicht ihren rechten, ausgestreckten Fuß am Knöchel.

In einer fließenden Bewegung drehte sie sich um, zog die Beine an, schnellte hoch, bereits ihr Jagdmesser in der Hand. Einen Moment lang starrte sie verdutzt in die schwarzen Augen des fremden Kriegers, der direkt hinter ihr lächelnd auf dem Boden hockte.

Seine beiden Handflächen zeigten beschwichtigend nach vorn. Während sie ihr Messer wieder in den Gürtel steckte, musterte sie ihn mit gerunzelter Stirn. „Du hast mein Wild verjagt, das ist dumm.“ Sie sagte es in einem leicht vorwurfsvollen Ton, aber nicht laut.

Er nickte. Seine tief in den Höhlen liegenden schwarzen Augen sahen sie unverwandt an. Auf ihren Armen stellten sich die Härchen auf. Plötzlich lief ihr ein Schauer den Rücken hinunter und hielt sich fünf Herzschläge lang; dann kribbelte es in ihren Waden.

Sein schwarzer Blick war sehr direkt, fast schon aufdringlich. „Ich habe dich gesehen.“

Sein schön geschwungener Mund lächelte sie an. Dann, es ihr erklärend: „Heute Morgen. Wie es aussieht, hätten wir zusammen auf diese Jagd gehen sollen.“

Seine Stimme klang ein klein wenig belustigt, aber es lag auch eine gewisse Spannung darin. Fürchtete er etwa, von ihr zurechtgewiesen zu werden? Sie wusste nichts zu erwidern.

Er erhob sich, nicht vorhandene Blätter von seinem Hemd abstreifend. Heute trug er nicht die Leggins, sondern nur das Lendentuch und seinen breiten, mit Silber beschlagenen Gürtel, über dem das weiße Hemd jedoch wie immer halb hineingestopft war. Das scheint eine Angewohnheit von ihm zu sein, dachte sie belustigt.

Jetzt klopfte er sich die Erde ab, die an seinen Knien klebte. „Comes-Through-The-Summer- Rain“, sagte er, jedes einzelne Wort betonend und sich auf der Zunge zergehen lassend. „Man hat mir gesagt, dass du so heißt.“

Summer-Rain sah ihn an, als hätte sie ihn nicht verstanden. Ihr Mund stand ein wenig offen; sie wollte etwas sagen, aber es kam nichts heraus.

Etwas belustigt blickte er auf sie herunter; er überragte sie über eine Kopflänge und stellte sich ihr überflüssigerweise vor. „Ich bin Running-Fox. Das weißt du ja vielleicht schon, schließlich sorge ich seit Tagen hier für Gesprächsstoff.“

Etwas verlegen blickte sie zur Seite. Nein, sie hatte nicht gewusst, wie er hieß; es hatte sie gar nicht interessiert, weil sie sich die letzten Tage nur wie ein verletztes Tier verkrochen hatte. Aber das war jetzt vorbei.

„Ganz schön eingebildet, Running wie auch immer. Wieso sollte mich das interessieren?“ Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihm über die Schultern zu blicken. „Eingebildet, aber trotz der Größe kein besonders guter Jäger.“ Eine weit ausholende Geste machend, deutete sie auf den Morast vor ihnen. „Wie ich vorhin schon sagte: Du hast mein Wild verjagt.“

Er lachte – es gefiel ihm, wie sie das sagte. Alles an ihr gefiel ihm, und er war unendlich erleichtert.

„Durch den Sommerregen – so, so!“

Sein Lächeln war warm und angenehm, doch sie ging nicht darauf ein. Beiläufig sah sie kurz zu ihrer Stute hinüber, dann ging ihr Blick mit einem strengen Ausdruck zu ihm zurück. „Running-Fox“, sagte sie herablassend, „du bist mit nur EINEM Pferd in unser Lager gekommen – hast du nur EINES?“

Unter anderen Umständen wäre diese Frage an einen Comanchen eine Beleidigung gewesen. Sie maßen ihr Ansehen und ihren Reichtum an der Anzahl ihrer Pferde. Dieser Mann hier jedoch stutzte nur kurz, fasste mit einer Hand nach ihrem Kinn und bog es frech zu sich hoch. Sein Griff war so fest, dass sie sich nicht dagegen wehren konnte. „Ich habe genug Mustangs, um dich kaufen zu können, Mädchen mit den blauen Augen. Ich werde mit deinem Bruder reden müssen.“ Seine schwarzen Augen funkelten sehr belustigt. Er ließ sie los, und sie wich erschrocken einen Schritt zurück. Kaufen? Sie? Wie diese Frau von Icy-Wind? Das kam überhaupt nicht in Frage. Böse funkelte sie ihn an. Er tat so, als würde er es ernst meinen, denn er betrachtete sie abschätzend. Wie man ein Pferd betrachtet, das einem gefällt, ging es Summer-Rain erschrocken durch den Kopf.

„Na, ein bisschen dünn bist du ja, aber das lässt sich ändern. Ansonsten könntest du mir schon gefallen.“ Ihre entsetzt aufgerissenen Augen ließen ihn amüsiert grinsen.

„Mein Bruder tut nichts, was ich nicht will“, fuhr sie ihn trotzig an.

„Und dich will ich bestimmt nicht!“ Verunsichert schürzte sie die Lippen. War das so? Würde Light-Cloud das tatsächlich nicht tun?

„So, so – du willst mich also nicht, und du glaubst wirklich, da fragt jemand danach?“ Sein amüsierter Gesichtsausdruck strafte seine Worte Lügen.

Sie atmete auf. Erst jetzt begann sie seine groben Scherze als solche zu begreifen. „In meiner Familie ist das so“, sagte sie so bestimmt, wie sie konnte. „Dort, wo du herkommst, mag das ja anders sein.“ Zwar wollte sie sich nicht weiter darüber auslassen, und doch war dieses Hin und Her einfach zu verlockend.

Running-Fox betrachtete sie lächelnd. Im Grunde genommen wusste er es bereits: Seit er sie das erste Mal gesehen hatte, war er ihr verfallen. Ihre arglose Art, auf sein Geplänkel einzugehen, ohne die Gefahr zu sehen, sich darin zu verfangen, sagte ihm, wie unbedarft und ahnungslos sie noch war. Unverdorben, völlig frei von Falsch. Ich muss damit aufhören, sagte er sich. Wenn ich sie weiter mit meinen unbedachten Worten bedränge, wird sie mich dafür hassen.

Seine schwarzen Augen bekamen einen weichen Ausdruck. „Comes-Through-The-Summer-Rain sollte keine Angst haben – ich werde nichts tun, was sie nicht selber will. Ich bin nicht Icy-Wind.“

Sein Tonfall hatte sich verändert. Jetzt war er ernst geworden. Sie in Verlegenheit zu bringen, war das Letzte, was er wollte. Ein harter Zug legte sich um seinen schön geschwungenen Mund. „Icy-Wind ist vielleicht ein angesehener Mann, aber manchmal ist das nicht genug. Kein Mann sollte eine Frau einhandeln dürfen wie ein Bündel Felle – auch dann nicht, wenn sie verzweifelt ist.“

Sein Stimmungswechsel war ihr nicht entgangen. Ihre Augen waren groß geworden, sie betrachtete ihn erstaunt. Dieser hier ist nicht schön, dachte sie – aber ich kann nicht anders, ich muss ihn immer wieder ansehen. Seine Augen sind so schwarz, solche habe ich noch nie gesehen. Selbst die dunklen Nächte könnten sich darin verlieren. Doch, er sieht gar nicht schlecht aus. Wenn ich ehrlich bin, dann hat mir sein Anblick schon beim ersten Mal gefallen. Besonders seine Augen und seine schön geschwungenen Lippen. So etwas ging ihr durch den Kopf, während er auf sie herabblickte. Unwillkürlich hob sie den Blick zu ihm hoch. Mit der großen Narbe quer über seinem Gesicht und der schief zusammengewachsenen Nase musste er bei jedem einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Unzählige winzige Fältchen hatten sich in seine Schläfen eingegraben. Lange, glänzende, bis zur Hüfte wogende wellige Haare gaben ihm ein überaus stattliches Aussehen. Ja, sie musste zugeben: Seine ganze Erscheinung hatte auf sie einen nachhaltigen Eindruck gemacht.

Seine letzten Worte hallten ihr noch in den Ohren, es waren keine sechs Herzschläge seitdem vergangen. „Warum sagst du das?“ Diese Frage hatte sie ihm jetzt einfach stellen müssen. Da war etwas in seinem dunklen Blick gewesen, das sie tief in ihrem Innersten berührte. Dachte er so? Wenn ja, dann wollte sie mehr über ihn wissen. Nicht jeder hier würde sich so einer Frau gegenüber laut äußern.

Running-Fox hielt sich im letzten Moment zurück. Wenn er ihr darauf antwortete, dann musste er ihr auch mehr über die kleine Mexikanerin erzählen. Wollte er das denn? Verwirrt über seine eigenen Gedanken, fragte er sich, wie viel er ihr von dem anvertrauen konnte, was er wusste. Um Zeit zu gewinnen, machte er eine Aufforderung mit der Hand nach vorn. Schweigend schritten sie durch niedrig wachsendes Gebüsch. Aufmerksam hob er die Zweige über ihren Kopf hoch, so dass sie sich nicht stoßen konnte. Angenehm überrascht von so viel Höflichkeit, ging sie mit ihm weiter auf die Stelle zu, wo sie ihr Pony gelassen hatte.

Kurz davor brach er sein Schweigen. „Ich habe Icy-Wind begleitet, weil mich ihre Mutter darum gebeten hat.“

Summer-Rain musste erst überlegen, was er überhaupt damit meinte. Dann wurde ihr klar: Er redete über die kleine Mexikanerin. Seine letzten Worte fielen ihr wieder ein. Geduldig wartete sie darauf, dass er weitersprechen würde.

„Sie verdient einen guten Mann“, sagte er mit einem Blick auf sie. Sollte er ihr wirklich die ganze Wahrheit sagen? Doch sie war kein Kind mehr und würde es verkraften. „Nach allem, was sie erlebt hat, verdient sie ein bisschen Glück. Nicht mehr und nicht weniger. Übrigens, ihr Name ist Dark-Night. Dark-Night, ja, das trifft es.“

Ihr Pony wurde auf sie aufmerksam. Freudig kam es ihr entgegen, ohne sich an dem fremden Mann zu stören. Summer-Rain fasste nach dem Kopf des Tiers, um es an der Stirn zu kraulen. Weil er nicht weiter redete, sagte sie: „Sie ist hübsch – sehr hübsch sogar. Anders als wir hier. Irgendwie geheimnisvoll. Dunkel und doch wie der helle Schein eines Feuers, der durch die Bäume schimmert, damit wir nach Hause finden. Aber ihre Haare – sie sehen aus, als hätte sie sie sich in Trauer abgeschnitten. Sie ist ja noch so jung. Ist sie eine Frau, die ihren Mann verloren hat?“

Eigentlich fragte man so etwas nicht, schon gar nicht einen Fremden. Bereits, als es heraus war, hätte sie sich auf die Zunge beißen können. Er musste ja denken, sie wäre eines dieser Mädchen mit loser Zunge.

Doch es war nun einmal gesagt. „Ich meine, na ja, aber warum hat sie sie sonst abgeschnitten?“, stammelte sie und machte es damit nicht besser.

Es stimmte, die Mexikanerin sah damit aus wie eine Frau in Trauer. Sie war ja noch so jung!

Auf seiner Stirn bildeten sich zwei tiefe Falten. Kurz schloss er die Augen und seufzte. Er würde ihr doch alles sagen müssen. Als er seine Augen wieder öffnete, sah sie Trauer darin – auch noch, während er sprach. „Ich werde es dir sagen – Mädchen, das durch den Sommerregen kommt. Ihre Mutter ist eine mexikanische Sklavin, Dark-Night dagegen ist frei geboren.“

Summer-Rain nickte. Sie wusste, wovon er da sprach. Wenn kein Mann aus dem Volk sie als Ehefrau anerkannte, dann nahm eine Familie aus dem Volk das Kind als ihr eigenes an. Dadurch aber änderte sich der Status der Mutter nicht, während ihre Tochter als gleichberechtigte freie Comanche aufwuchs. Dark-Nights Mutter war bereits schwanger gewesen, als sie geraubt wurden war. Die Hautfarbe oder Herkunft des Neugeborenen spielte bei den Comanchen keine Rolle. Summer-Rain hatte über seine Worte nachgedacht. „Aber warum hat sie sich die Haare abgeschnitten? Sie kann doch nicht wirklich schon Witwe sein, diese Dark-Night – oder etwa doch?“

Sanft legte er ihrem Pony eine Hand auf den Widerrist. Gedankenverloren senkte er den Blick und starrte auf den Boden. Warum erzähle ich ihr das überhaupt? Geplauder, weiter nichts; sie fragt, ich antworte. Doch war das wirklich so? Oder belog er sich damit nur selbst? Spätestens, als er sie jetzt ansah, wurde ihm das klar. Er führte mit ihr ein ernstes Gespräch, kein belangloses Geplauder. Es war das Interesse, das sie dabei zeigte, das ihn noch mehr als zuvor für sie einnahm. „Dark-Night hat viel erleiden müssen, kleine Summer-Rain. Viel zu viel für ihr junges Leben.“

Vielleicht sollte ich jetzt schweigen, dachte er. Dann blickte er in ihre blauen Augen, die jetzt alles wissen wollten, und konnte es nicht. „Sie hat ihre beiden Babys verloren, deshalb hat sie sich die Haare ausgerissen. Ihr Ehemann ist kurz vor der Geburt bei einem Jagdunfall gestorben“, sagte er schnell, bevor er es bereuen konnte.

Summer-Rain schnappte nach Luft. Langsam ließ sie sie wieder aus. Eine kleine Handvoll Zeit verstrich, in der beide schwiegen. Dann brach Running-Fox die Stille mit einem heftigen Gefühlsausbruch. „Drei Pferde, lächerlich!“ Verächtlich blies er die Backen auf. „Der Bruder ihres Ehemannes ist ein gieriger Kerl, und Dark-Night blieb weiter nichts übrig, als ihr Einverständnis zu erklären. Dort wollte sie nicht bleiben – nicht nach allem, was man ihr angetan hatte.“ Während einer weiteren Pause musterte er scheinbar sehr interessiert den Zustand ihres Pferdes. Offensichtlich wollte er jetzt doch das Thema wechseln.

Summer-Rain ließ nicht locker. Es ging ihr nicht aus dem Kopf, was er soeben gesagt hatte. Sie musste es einfach wissen. „Warum hat sie ihre beiden Babys verloren?“, stieß sie hervor und wartete mit vor Schreck geweiteten Augen auf eine Antwort.

Running-Fox drehte ihr seinen breiten Rücken zu, während er nach den richtigen Worten suchte. Sie starrte auf das Hemd aus Leinen und hätte es am liebsten berührt. Es hing genau wie vor Tagen nachlässig aus seinem Gürtel. Heute jedoch fehlte der Colt, stattdessen steckte ein Messer an derselben Stelle. Er drehte sich zu ihr um. Ihre Blicke begegneten sich. Unendliche Traurigkeit war in seinen Augen zu erkennen. Wenn er darüber sprechen konnte, vielleicht würde es ihm ja helfen, endlich selbst damit fertigzuwerden. Denn er, der bei einem weißen Mann aufgewachsen war, konnte diese Grausamkeit, die aus Unwissenheit herrührte, nicht nachvollziehen. Seine ersten Worte kamen deshalb leise, zögernd. „Sie hat kurz hintereinander zwei gesunde Mädchen geboren. Zwillinge.“ Unbewusst nahm er die Hand von ihrem Pony und legte sie ihr auf die Schulter. „Ihre Leute haben ihr das eine weggenommen, um es einer anderen Comanchengruppe, die gerade in ihrer Nähe lagerte, zu übergeben. Dann ist das, welches sie ihr gelassen haben, einen Mond später gestorben.“

Erschrocken schlug sie sich beide Hände vor den Mund. Hätte er ihr das nicht sagen sollen? Aber es war so und nicht anders gewesen. Nach dem ersten Schrecken blickte sie ihn verständnislos an. Sie verstand die Grausamkeit dieser Tat nicht als solche wie er. Trotzdem mochte sie sich das gar nicht vorzustellen. Für Comanchen war es die natürlichste Sache der Welt, Unglücksboten, wie Zwillinge es nun mal waren, für immer zu trennen. Niemand aus ihrem Volk hätte zu dieser Zeit etwas Abscheuliches darin gesehen. Dieser Mann hier jedoch schon, erkannte sie, ohne dass sie hätte fragen müssen. Was konnte ihn zu solchen Ansichten bewogen haben? Unwillkürlich dachte sie an Sun-In-The-Red-Hair. Sie traute es ihrer verstorbenen Mutter durchaus zu, darin das gleiche Unrecht zu sehen wie er. Es gab genug Abscheulichkeiten, die ihre Mutter nicht geduldet hatte. „Wie lange ist das her?“, flüsterte sie in den Wind, plötzliches Verständnis für die arme Dark-Night empfindend.

Er antwortete, seine Hand noch immer auf ihrer Schulter. „Einen vollen Mond, sie trauert noch immer – und mehr um ihre Kinder als um ihren Ehemann.“ Running-Fox‘ vernarbtes Gesicht verzog sich zu einem schiefen Grinsen. „Natürlich bedeutete das für Icy-Wind, dass sie fruchtbar ist und genau die richtige Frau für ihn. Deshalb war er auch bereit, der Forderung ihres Schwagers nach drei Pferden für sie nachzukommen. Er hat nicht lange verhandelt.“

Spöttisch stieß er die Luft durch die Nase aus. „Weiter hat ihn nichts interessiert.“

Summer-Rain kämpfte mit den Tränen. Sie empfand Mitleid mit Dark-Night. Welch ein Schmerz – und nun die Frau von Icy-Wind, keine Freundinnen in der Nähe, nur eine bösartige Hauptfrau, die sie schlecht behandeln würde. Sie kniff die Augen zusammen und wollte sich nicht einmal vorstellen, was das hieß. Als sie die Augen wieder öffnete, sah sie, dass Running-Fox sie scharf musterte. Jetzt jedoch nahm er die Hand von ihrer Schulter. Er hat mich die ganze Zeit über nicht aus den Augen gelassen, durchfuhr es sie.

Als hätte er ihre Gedanken erraten, verzog er den Mund zu einem gequälten Lächeln. „Vielleicht kannst du ihr ja eine Freundin sein, denn sie wird es nicht leicht haben, denke ich.“

Sie seufzte – mit Freundinnen war das so eine Sache. Ihre guten Erfahrungen damit hielten sich in Grenzen. Da gab es eigentlich nur Dream-In-The-Day, vielleicht noch Weasel oder ein, zwei andere Mädchen – höchstens. Sie hatte schon immer ihr eigenes Ding gemacht. Seit sie bei Sun-In-The-Red-Hair ein Zuhause gefunden hatte, waren sie und natürlich Großmutter ihre einzigen engsten Bezugspersonen. Natürlich auch noch Light-Cloud, ihr Bruder. „Sie wird mehr als nur eine Freundin brauchen, Running-Fox; sie wird einen Beschützer brauchen. Ich werde mit Großmutter sprechen; sie weiß immer, was zu tun ist.“

Die Besorgnis, die er für die Mexikanerin empfand, stand in seinem Gesicht geschrieben. Er nickte jetzt, ließ sie aber nicht aus den Augen. Mit klopfendem Herzen sah auch sie ihn an, sie konnte gar nicht anders. So ein Mann wie er war ihr noch nie begegnet.

Sie ist kein Kind mehr, dachte Running-Fox und fragte sich, wie alt sie sein mochte. Er schätzte sie auf sechzehn. Sie machte jedoch den Eindruck, als wüsste sie bereits mehr als ihr guttat. Sie hatte nicht die Leichtigkeit, den Übermut oder die Unbeschwertheit wie andere Mädchen in diesem Alter. Vielleicht hat sie einfach nur Schlimmes erfahren, schlussfolgerte er.

Plötzlich veränderte sich ihr Blick, und sie starrte zwischen die Bäume, ohne sie überhaupt wahrzunehmen. Etwas ganz tief in ihr drin regte sich, etwas Dunkles, Geheimes, das ihre Seele nicht preisgeben wollte. Oder einfach nicht konnte, weil es viel zu furchtbar war.

Sie verdrängt etwas, ging ihm da durch den Kopf. Was auch immer es ist, es macht ihr Angst. Dann verschwand dieser dunkle Ausdruck in dem Blau ihrer Augen so schnell, wie er hineingekommen war. Hatte er sich getäuscht? Wohl kaum; nein, da war etwas – etwas, wovor sie sich fürchtete.

Fürchtete er sich nicht auch vor etwas? Vor den Erinnerungen, die weit in die Vergangenheit reichten? Manche Dinge sollten dort bleiben, wo sie einst verschlossen worden sind. Es war gut, dass er nur selten an die Vergangenheit dachte. Auch ihr musste das Leben bereits hart mitgespielt haben, so viel stand fest. Wenn er mehr von ihr wollte, musste er vorsichtig damit umgehen. Ja, er wollte mehr von ihr; das wurde ihm in diesem Moment klar.

Seit ihrer ersten Begegnung hatte er das Gefühl, als würde er sie schon ewig kennen. Dass das nicht sein konnte, war ihm zwar bewusst, und trotzdem – ihn fror. Aus dem Nichts heraus streifte ihn etwas Kaltes, und ein Schauer lief ihm den Rücken hinunter. Wie ein großer Vogel, der ihn sanft mit den Flügeln streifte. Was ist mit mir los? Verwirrt schüttelte er den Kopf.

Ihre Hände berührten sich unabsichtlich auf der Flanke ihres Ponys. Erschrocken blickte sie auf. Sein Herz klopfte heftig. Unwillkürlich verzogen sich seine Lippen wie die Schwingen des Vogels, dessen Flügel er eben noch zu spüren geglaubt hatte. Alles war wieder gut. Über sein Gesicht breitete sich ein Lächeln, als er sah, wie sie die Hand unter der seinen wegzog.

„Running-Fox – ich glaube, wir sollten zurückreiten“, holte sie ihn sanft aus seinen Träumen und trat einen Schritt zurück. „Mein Wild hast du ja verscheucht, also werde ich heute Abend nichts zu essen haben“, meinte sie etwas spöttisch.

Der Zauber war gebrochen. Tief durchatmend deutete er in die Richtung zum Lager. „Mein Pferd ist bei eurer Herde. Ich muss leider zurück laufen.“ Erneut verzog er den Mund, diesmal kräuselten sich seine Lippen, als hielte er sich noch mit etwas zurück. Es blieb ungesagt. Eigentlich hatte er sie fragen wollen, ob er sie bis dorthin begleiten durfte. Die Gelegenheit ging ungenutzt vorüber.

Sie griff nach ihrem Köcher, befestigte ihn an ihrem Pony und wollte gerade aufsteigen, da bedeutete er ihr mit einer Handbewegung, zu warten. Äste knackten, ein Rascheln wie von durchbrechenden Tieren ganz in der Nähe ließ sie aufhorchen. Schon lag ein Jagdpfeil in ihrer Hand, und der Bogen glitt von ihrer Schulter.

Ohne ein Geräusch zu machen, schlichen beide nebeneinander am Rand des Weihers entlang. Running-Fox zeigte, den ausgestreckten Zeigefinger am Auge vorwärts bewegend: Sehen.

Summer-Rain nickte. Da zog er eine imaginäre Sehne mit der Faust zurück und schüttelte den Kopf. Sie sollte nicht schießen. Er ballte eine Faust, fuhr damit vor der Brust in die Höhe und ruckte mit einem kleinen Stoß nach vorn. Sie lächelte. Das gehört mir, hatte er gerade signalisiert. Na gut, sollte er doch zeigen, was er kann.

Unterdessen waren sämtliche Geräusche verstummt. Beide schlichen leise weiter durch das Unterholz. Nach etwa zehn Schritten kamen sie an eine offene Stelle, die sich halbrund zur Weite hin öffnete. Begrenzt wurde sie nur durch vereinzelte Dornensträucher und wilde Rosen. Zwölf Gabelböcke standen dort völlig ahnungslos im tiefen Gras. Es mochten die verstreuten Reste einer Herde sein, die gerade in der Ebene verschwunden war.

Running-Fox zog bedächtig sein Messer aus der Scheide, während er sich heranpirschte. Noch bemerkte ihn das Wild nicht. Nur noch wenige Schritte trennten ihn von einem der Tiere.

Summer-Rains Augen verengten sich zu Schlitzen; sie lächelte verschmitzt, während sie einen der Äste vor ihrer Nase in beide Hände nahm und durchbrach. Knacks. Du hast mein Wild verschreckt – ich verschrecke jetzt deins, dachte sie amüsiert. Als sein verständnisloser Blick sie traf, lachte sie lautlos. Die Gabelböcke ergriffen die Flucht. Wie um ihn zu verspotten, legte sie beide Hände flach mit den Innenseiten nach unten vor ihre Brust, fuhr dann mit der rechten Hand schnell hoch, weit über die linke hinweg, dabei ruckweise höher kommend. Schnell laufen. Das tat er bereits ohne ihren stummen Ratschlag.

In weiten Sätzen sprintete er hinter dem letzten Tier her, seinem Namen alle Ehre machend.

Einen Dornenstrauch, der ihm in die Quere kam, überspringend, stürzte er sich auf seine Beute. All das geschah binnen weniger Augenblicke. Summer-Rain sah sein Messer – ein kurzer Kampf, dann blickte er sich triumphierend nach ihr um. Außer Atem traf sie bei ihm ein, da zog er gerade sein Messer aus dem Tier und ließ es, während er ein Dankgebet sprach und um Verzeihung für das Töten bat, in Mutter Erde ausbluten. Kein Wort des Vorwurfes kam über seine Lippen. Er hatte genau verstanden, was sie ihm sagen wollte. Mit geübten Handgriffen brach er den Gabelbock auf. Sie sah ihm zu, ohne einen spöttischen Kommentar darüber abzugeben, dass er sich sein gutes Hemd bei dieser blutigen Arbeit vorsichtshalber hätte ausziehen sollen. Hatte er ihre Gedanken gehört? Denn genau das machte er jetzt, band es sich um die Hüften und lud den Gabelbock auf seine Schultern.

So gingen sie zurück zu ihrer Stute, die noch an der gleichen Stelle stand. Gut abgerichtet, dachte Running-Fox anerkennend. Gemeinsam luden sie ihr die Jagdbeute auf den Rücken, das Mädchen setzte sich dahinter und griff nach dem Zügel aus geflochtenen Pferdehaaren.

Running-Fox grinste. Eine Hand auf der Jagdbeute, meinte er zu ihr: „Den Bock war ich dir wohl schuldig. Dafür musst du mich zum Essen einladen – Mädchen, das durch den Sommerregen kommt.“

„Ich denke gar nicht daran, das zu tun. Ich liefere dein Wild bei Icy-Wind ab, bei dem kannst du dich ja einladen!“ Noch während sie das sagte, bereute sie es bereits.

Sein Gesichtsausdruck zeigte jedoch keinerlei Unmut. Versöhnlich beugte sie sich zu ihm hin. „Na gut, ich bringe deine Jagdbeute in unser Tipi. Mein Bruder Light-Cloud wird sich sicher über deinen Besuch freuen.“

Ein belustigter Zug erschien um seine Mundwinkel. Vertraulich glitt seine Hand von dem erlegten Wild zu ihrem Knie. Er fragte: „Und du nicht?“ Bevor er sich noch eine weitere Vertraulichkeit erlauben konnte, wischte sie seine Hand mit einer schnellen Bewegung fort. „Vielleicht, wenn du weißt, wie man sich benimmt“, sagte sie streng. In seinen schwarzen Augen blitzte es belustigt. „Ich komme nur, wenn du auch dort bist.“

Im ersten Moment wollte sie ihm darauf eine trotzige Antwort geben, dann überlegte sie es sich anders und schwieg einfach nur.

Seine Zähne blitzten, lautlos lachend verzog er den Mund. Ihr Schweigen nahm er als ein Ja. Völlig durcheinander wandte sie sich von ihm ab. Noch nie zuvor hatte ein Mann so zu ihr gesprochen. Nicht mit solchen Worten, bei denen sie nicht wusste, ob sie ernst gemeint waren oder er sie nur verspotten wollte. Das war eine völlig neue Erfahrung, und es gefiel ihr.

Das Lächeln auf seinen schön geschwungenen Lippen verschwand nur langsam, während er ihr gedankenverloren hinterher blickte. Das mit der Einladung hatte er ernst gemeint. Es ging ihm nicht um das Essen. Plötzlich fragte er sich, wie Light-Cloud, dieser immer so ernst dreinblickende Mann, das aufnehmen würde. Denn damit zeigte er ganz offen sein Interesse an ihr. Leicht amüsiert kam ihm sein weißer Vater in den Sinn. Was würde er wohl davon halten? Sicher würde er ihn schief ansehen und fragen: Junge, machst du diesem Mädchen etwa den Hof?

Und, Running-Fox, war das so? Ja, sagte er sich – es war so, denn eigentlich hätte er auch gleich wieder fortreiten können, nachdem er Dark-Night, wie ihrer Mutter versprochen, hier abgeliefert hatte. Dass er blieb und warum, lag auf der Hand. Light-Cloud würde die richtigen Schlüsse ziehen, er war ja nicht dumm. Running-Fox schüttelte seine langen Haare gegen den Wind; er musste einen klaren Kopf behalten. Was nützt das, sagte er sich. Hierbei konnte er seinen Kopf nicht gebrauchen. Wenn es danach geht, sollte ich mein Pferd holen und sofort von hier verschwinden, solange ich noch klar denken kann. Bei diesem Gedanken zog sich sein Herz schmerzhaft zusammen. Das konnte er nicht mehr. Zu spät, Running-Fox, zu spät zum Wegrennen.

Urplötzlich kam Wind auf. Da war sie wieder, die Ahnung von etwas, das ihm einen kalten Schauer über den Rücken laufen ließ. Auf seinen Armen bildete sich Gänsehaut. So ein Blödsinn, schalt er sich und fluchte auf Englisch. Dann war es vorbei. Er blickte sich um. Alles schien noch wie vorher zu sein, nichts hatte sich verändert. Und doch. Der Wind hatte sich gelegt. Jetzt flüsterte er ihm etwas zu, doch er konnte es nicht hören. In der Ferne, ganz weit weg von hier, erscholl der Ruf eines Falken. Sein Unterbewusstsein versuchte ganz ohne sein Zutun, sich zu erinnern. Das Gefühl, dass etwas nicht stimmte, ließ ihn noch immer nicht los. In tiefe Gedanken versunken starrte er lange Zeit in die Ferne. Dann holte ihn die Gegenwart ein, und er machte sich auf den Weg zurück ins Lager.

XXX

Mittlerweile war es später Nachmittag geworden. Light-Cloud kam von der Arbeit mit seinen Pferden zurück. Er hatte den ganzen Tag auf seine Schwester gewartet, aber sie war nicht gekommen. Jetzt, auf seinem besten Kriegspony den Weg zu seinem Zuhause einschlagend, dachte er nicht weiter darüber nach. Zwischen den Tipis, die verstreut entlang des Flusses standen, und dem anschließenden Wald lag eine weite hügelige Prärie, die an manchen Stellen von großen Steinen unterbrochen wurde. Dort bemerkte er eine Gestalt. Mühsam schleppte sie sich zu einem dieser Steine, um dort zu rasten. Näher herankommend bestand für ihn kein Zweifel mehr: Das da war die Frau von Icy-Wind.

Light-Cloud ritt auf sie zu.

Gegen einen der Steine gelehnt, ein Bündel Brennholz neben sich, saß Dark-Night. Erst als er heran war, bemerkte sie ihn. Erschrocken schaute sie zu ihm hoch. Light-Cloud betrachtete sie abschätzend.

Aus der Nähe kam sie ihm noch zerbrechlicher vor. Ihr Körper hatte zwar frauliche Formen mit üppigen Brüsten und ausladenden Hüften. Das alles wirkte trotzdem noch irgendwie kindlich. Die an einigen Stellen bis zu den Ohren abgesäbelten Haare standen wirr und zerzaust nach allen Seiten hin ab. Mehr konnte er nicht von ihr erkennen, da sie ihr Gesicht im Schoß verbarg. Sonst hätte er gleich die Knochen ihrer hohen Wangen bemerkt, die sich besonders stark in dem kleinen Gesicht abzeichneten und bläulich verfärbt waren. Auch die dunklen Schatten sah er nicht, die sich unter ihren schwarzen kleinen Augen eingegraben hatten. Gerade wollte er sich abwenden, da fiel sein Blick auf ihre Füße. Sie trug völlig zerschlissene Mokassins, die an den Seiten bereits aufplatzten. Er stutzte, sah noch einmal genauer hin.

In diesem Moment hob sie den Kopf. Vielleicht dachte sie, er wäre bereits weg. Tränen rannen aus ihren tief in den Höhlen liegenden, wie schwarze Murmeln glänzenden Augen an ihren hohlen Wangen hinunter. Sie sah, dass er immer noch hier war, und versuchte, sie mit ihren schön geformten kleinen Händen zu verdecken. Ganz offensichtlich war es ihr peinlich, dass er sie so sah. Ihm stockte der Atem. Dieser kurze Blick voller Schuldgefühle ging ihm durch Mark und Bein.

„Reite weiter und halte dich nicht mit dieser hier auf – das geht dich nichts an.“

Ihre Worte kamen gepresst, da sie sich die Hand vor die blassen, zitternden Lippen hielt. Zusätzlich senkte sie noch den Kopf nach unten und starrte auf ihre zerschlissenen Mokassins. Wie ein Häufchen Unglück kauerte sie dort, jetzt beide Hände vor dem Gesicht.

Er dachte gar nicht daran, ihrer Aufforderung nachzukommen. Unmutig über die Zurechtweisung, griff er von seinem Pferd aus nach ihren Händen und zog sie ihr mit Gewalt vom Gesicht. Sie wollte sich wehren, unterließ es dann aber doch, da sie gegen ihn nicht ankommen konnte. Seine Miene blieb starr, während er ihre aufgeplatzten, blutverkrusteten Lippen und das aufgeschürfte Kinn betrachtete. Das machte ihm klar, dass das alles nicht vom Holzsammeln kam. Diese erste Zeit hier mit Icy-Wind lief alles andere als gut. Es ging ihn nichts an. Nein, das alles hatte ihn nicht zu interessieren. Sie hatte ja völlig recht – trotzdem, es ließ ihn nicht kalt. Eine Alarmglocke in seinem Kopf schrillte und warnte ihn. Er, Light-Cloud, mit seinen 31 Wintern, sollte es besser wissen und sich nicht mit dieser hier befassen; es brachte doch nur Ärger. Sich in fremde Angelegenheiten einzumischen, das ging gar nicht. Sie war die Ehefrau eines sehr angesehenen Kriegers und damit tabu. Trotzdem beugte er sich noch weiter von seinem Pferd hinunter, berührte mit seinem hornigen Zeigefinger ihr tränenüberströmtes Gesicht. Da traf ihn erneut dieser dunkle Blick – der Blick eines scheuen, ängstlichen Tiers.

Nachdenklich runzelte er die Stirn. In seinen Augenwinkeln bildeten sich unzählige kleine Fältchen.

Großmutter, dachte er – ja, Großmutter musste helfen. „Warte hier, ich schicke dir jemanden; er wird es nicht erfahren“, sagte er mit ruhiger, beherrschter Stimme, obwohl ihm ganz anders zumute war. Langsam zog er seine Hand zurück. Während er seinen Mustang wendete, sah er noch einmal zu ihr. Sie kauerte noch immer wie ein Häufchen Unglück gegen den Stein gelehnt, das große Holzbündel neben sich.

Großmutter, hallte es in ihm wider – Großmutter wird wissen, was zu tun ist. Eigentlich war sie ja seine Tante, doch er und Summer-Rain nannten sie, seit er denken konnte, immer schon so. Er ritt die wohlbekannte Biegung zum Fluss hinunter und atmete erleichtert auf. Gut, dass ihm Großmutter noch rechtzeitig eingefallen war. Er selbst sollte seine Zeit nicht mit Weiberkram verschwenden oder sich um anderer Männer Frauen kümmern. Besonders ich sollte mich aus allem raushalten, was Icy-Wind und seine Angelegenheiten betrifft, ermahnte er sich. Alles, was mit ihm zusammenhing, brachte nur Ärger – und das schon seit er denken konnte. Glücklich über die Möglichkeit, Großmutter diese Sache übertragen zu können, erreichte er ihr Tipi. Der Blick aus diesen Augen, ihr alles durchbohrender Blick, der würde ihm so schnell nicht aus dem Kopf gehen.

Noch während er vom Pferd sprang, bemerkte er, dass Teile eines Gabelbockes auf dem Gestell neben dem Tipi hingen. Davor hockte seine Schwester und steckte Fleischstückchen auf Spieße. Sie sah von ihrer Arbeit auf. Großmutter kam aus dem Tipi, und mit wenigen, beiläufig klingenden Worten erklärte er ihr die Sache mit Dark-Night.

Die alte Frau zögerte nur kurz. Ihr gingen die verschiedensten Dinge durch den Kopf. Es war riskant, sich in die Angelegenheiten besonders von Icy-Wind einzumischen. Was hatte sich Light-Cloud nur dabei gedacht? Er war doch sonst nicht so zimperlich, wenn es um andere Frauen ging. Warum kümmerte er sich gerade um sie? Großmutter seufzte, weil er sie mit seinem unwiderstehlichen Lächeln ansah. Sie konnte ihm nicht so leicht etwas abschlagen. Wenn sie es klug anstellte, brauchte Icy-Wind ja nichts zu erfahren. Sie würde es so einrichten, das sie ganz zufällig auf die kleine Mexikanerin traf. Rasch griff sie sich das nächstbeste Pferd, eine hellbraune Stute, und galoppierte davon.

Summer-Rain, die gespannt zugehört hatte, wartete, bis er sich in gebührendem Abstand von ihr niederließ. Ohne ihn dabei anzusehen, begann sie ihm von der Begegnung mit Running-Fox zu erzählen. Ihm ihre Jagd beschreibend, musste er sich das Grinsen verbeißen. Es belustigte ihn, wie sie mit dem jungen Mann umgesprungen war. Dass sie ihn jedoch auch noch eingeladen hatte, oder er eigentlich sich selbst, brachte ihn doch zum Grübeln.

Die Fleischstücke waren lange gar, da kam Großmutter zurück. Auf ihrer Stirn standen Schweißperlen, und sie war wütend. In dieser Stimmung ließ sie sich neben Summer-Rain nieder. Voller Zorn berichtete sie von ihrem Gespräch mit Crow-Wing. Sie hatte die Angelegenheit nicht mit der Mexikanerin, wie Light-Cloud gehofft hatte, sondern auf ihre eigene Art und Weise geregelt. Während sie Bericht erstattete, hellte sich allmählich ihre Miene wieder auf. „Nachdem ich sie wegen der kleinen Mexikanerin zur Rede gestellt hatte – denn es war nicht Icy-Wind, der sie so zugerichtet hat – habe ich ihr gedroht, sie im Fluss zu ertränken, wenn sie ihr weiterhin das Leben schwermacht.“

Nach einem Blick auf den etwa zehn Fuß entfernt hockenden Light-Cloud, fuhr sie voller Genugtuung fort: „Ich habe mich schon einmal nicht davor gescheut, sie in den Fluss zu werfen und so lange unterzutauchen, bis sie eine halbe Wasserleiche war. Das würde ich heute noch einmal machen – und das weiß sie!“

Fassungslos starrte Light-Cloud sie an. Das hatte er von Großmutter nicht gedacht. Erstaunt hakte er nach. „Wovon sprichst du?“

Die alte Frau ging zu ihm. Sich hinunterbeugend tätschelte sie grob sein Gesicht. Vergeblich versuchte er, sich ihrer Liebesbezeugung zu entziehen. Ihm war das unangenehm; jeder, der zufällig vorbeikam, würde es sehen. Doch Großmutter kümmerte sich nicht um seine Befindlichkeiten. Endlich ließ sie ihn los.

Dann jedoch klärte sie sie auf. „Damals ging es um eure Mutter. Crow-Wing hatte in der Nacht, als dein Vater sie heimbrachte, versucht, sie im Fluss zu ertränken. Natürlich weiß hier niemand davon, und so soll es auch bleiben. Sun-In-The-Red-Hair hat es mir erst einen ganzen Mond später erzählt, als sie ein bisschen besser unsere Sprache beherrschte. Da bin ich dann los, um mir diese Krähe vorzunehmen.“

Light-Cloud biss sich, ein Schmunzeln unterdrückend, auf die Unterlippe. Wenn das stimmte, dann erklärte das so manches. „Diese Geschichte über Crow-Wing, Großmutter – ich will sie ganz genau wissen. Mit Ausflüchten kommst du mir nicht wieder davon. Da ist dann noch diese andere Sache – wie du so gut Schwimmen gelernt hast und warum. Auch die bist du uns noch schuldig!“ Er wechselte einen Blick mit seiner Schwester, die zustimmend nickte. Auch sie wollte es unbedingt hören. Großmutter wiegte bedenklich den Kopf. „Ich weiß nicht, ob das klug ist, damit jetzt anzufangen, denn das braucht Zeit.“

Light-Cloud wollte schon protestieren, da hob Summer-Rain beschwichtigend die Hand. „Lass gut sein“, sagte sie, dabei ihre Großmutter ansehend. „Das wird sie uns schon irgendwann einmal erzählen. Aber sicher nicht heute, denn, wie du weißt, erwarten wir noch einen Gast.“

Solche Gespräche führte man nicht vor Fremden, natürlich. Summer-Rain stand auf, um sich wieder um das Essen zu kümmern. Inzwischen konnte man ihr ihre Unruhe anmerken. Light-Cloud runzelte leicht die Stirn und begann, über das Zusammentreffen des Fremden mit seiner Schwester nachzudenken. Da sie das Essen mit dem Gast draußen einnehmen wollten, hing Summer-Rain einen schweren Kupferkessel, der voll mit bereits gekochter Fleischbrühe war, über das Feuer. Außerdem brachte sie die bereits garen Fleischspieße, um sie nachher nur noch aufwärmen zu müssen. Leicht amüsiert beobachtete Light-Cloud, wie seine Schwester eifrig hin und her wuselte. Feuerholz holte, Decken herbeibrachte, mit Pferdehaar gefüllte Kissen verteilte – alles tat, um es dem zu erwartenden Gast so bequem wie nur möglich zu machen.

Es begann bereits dunkel zu werden, als Running-Fox endlich erschien, das Einverständnis Light-Clouds einfach voraussetzend. Gastfreundschaft galt als heilig, und es war keine Frage des Anstandes, sondern eine Selbstverständlichkeit. Sein gutes Hemd, an einigen Stellen noch blutig vom Wild, steckte zum ersten Mal ordentlich im Gürtel, was Summer-Rain sofort auffiel. Das Gastgeschenk, das er mitbrachte, bestand aus einem großen Beutel guten Tabaks für Light-Cloud.

Bald schon saßen die Männer nach dem guten Essen – gemütlich in angeregte Gespräche vertieft – draußen um das Feuer, abseits von den Frauen. Die beschäftigten sich währenddessen mit einer Arbeit. Summer-Rain bemühte sich dabei vergeblich, gerade Nähte an einer Leggins hinzubekommen, was ihrer Großmutter natürlich nicht entging. Running-Fox‘ Blicke wanderten immer wieder zu ihr hinüber. Wenn sie sich zufällig begegneten, senkte sie wie ertappt rasch den Kopf über ihre Arbeit. Natürlich konnten die Nähte so nicht gerade werden. Großmutter betrachtete dieses Spiel mit gemischten Gefühlen. Unruhig rutschte sie hin und her. Es war durchaus nicht in ihrem Sinn, ihre Enkelin so bald schon aus ihrer Obhut zu entlassen.

Light-Cloud, der davon entweder nichts mitbekam oder so tat, unterhielt sich mit Running-Fox über die Büffeljagd, die demnächst anstand. Dabei sprach er über Dinge, die nur für Männer interessant zu sein schienen. Irgendwann kam Running-Fox auch auf Dark-Night zu sprechen, Light Cloud-ließ jedoch kein Wort über seine Begegnung mit ihr fallen. Während die Nacht allmählich vorrückte, schlug er vor, sich mit Running-Fox in sein eigenes Tipi zurückzuziehen. Der schien davon gar nicht begeistert zu sein und ging nicht darauf ein. Irgendwann war es nicht mehr zu übersehen, wie der Gast Summer-Rain betrachtete. Light-Cloud wurde unruhig – doch was konnte er tun? Dieses Mädchen, gestern noch seine kleine Schwester, sollte heute das Interesse eines ihr völlig fremden Mannes erregt haben? Konnte es sein, dass sie etwas für ihn empfand? Gehörte die Jagd heute früh etwa schon zu Running-Fox‘ Plan? Kein Zufall, sondern Absicht? Benutzte er die Beute als Eintritt in sein Tipi, um eine andere Beute zu machen? Verwirrt über seine Gedanken fiel ihm auf, dass seine Großmutter von dort, wo sie saß, die beiden beobachtete. Also hatte auch sie es bemerkt. Eines aber musste er dem Fremden zugute halten: Er machte aus seinen Gefühlen keinen Hehl.

Also kein Feigling, kein Heimlichtuer, sondern ein Mann, der zu dem stand, was er tat. Das wiederum gefiel Light-Cloud. Warum also nicht? Nach diesen Überlegungen sah er die Sache von der praktischen Seite. Er, als Oberhaupt ihrer kleinen Familie, würde am Ende das Sagen haben.

Seine kleine Schwester wurde umworben. Light-Cloud grinste still in sich hinein.

Summer-Rain dagegen sah aus, als säße sie in der Nähe eines wilden Bienenschwarms, jederzeit bereit, fortzulaufen. Zwar tat sie so, als wäre er ein Gast wie jeder andere, doch Light-Cloud bemerkte sehr wohl ihre Unsicherheit. Als der Mond auf sie herunterschien und die Flammen des Lagerfeuers Schatten auf ihre Gesichter malte, rückte sie weiter vom Feuer ab zu Großmutter. Dort fühlte sie sich sicherer. Die Frauen hatten sich nicht an der Unterhaltung beteiligt, doch zugehört. Summer-Rains Arbeit an der Leggins hätte sie sich sparen können. Sie würde alles wieder auftrennen und neu machen müssen. Großmutter schüttelte tadelnd den Kopf.

Schließlich verabschiedete sich Running-Fox höflich, bedankte sich für die Gastfreundschaft und nickte Summer-Rain freundlich zu. Die tat gleichgültig, als würde er sie überhaupt nicht interessieren. Er war darüber nicht einmal enttäuscht. Die Blicke, die er mit ihr gewechselt hatte, waren ihm für den Anfang Verheißung genug.

Zufrieden bestieg er sein hochbeiniges texanisches Pferd, das die ganze Zeit über neben Light-Clouds Pferden gegrast hatte. Langsam, das Treffen noch einmal in Gedanken durchgehend, ritt Running-Fox zur Pferdeherde. Dort schlug er sein Nachtlager auf. Zwar hatte Icy-Wind ihn eingeladen, die Nacht bei ihm zu verbringen. Das jedoch hatte er dankend abgelehnt. Hier draußen, unter dem Sternenhimmel, war ihm wohler; hier konnte er ungestört träumen.

Großmutter und Summer-Rain räumten unterdessen die Reste des Mahles zusammen. Die alte Frau verlor kein einziges Wort über ihre Beobachtungen. Light-Cloud ging hinüber in sein eigenes Tipi, ohne etwas zu sagen.

Im Tipi von Großmutter konnte man wenig später nur ihr leises Schnarchen hören, während Summer-Rain noch lange wach lag. Comes-Through-The-Summer-Rain musste über so vieles nachdenken.

Über den fremden Krieger, den sie nicht aus ihrem Kopf bekam. Sie fühlte sich in seiner Gegenwart wohl – ja, das musste sie zugeben. Es schmeichelte ihr, von ihm umworben zu werden, denn das war es, was Running-Fox da ganz ungeniert machte. So unerfahren, um das nicht zu wissen, war sie schon lange nicht mehr. Wenn die Sonne aufging, dann würde es darüber genug Gesprächsstoff im Lager geben, denn irgendwer hatte immer etwas gesehen.

Lange noch lag sie auf ihrem Lager und blickte durch den Rauchfang hinauf in den Himmel. Der Schweif einer Sternschnuppe blitzte kurz auf. Running-Fox. Nein, so viel sie auch zu schlafen versuchte, immer wieder kreisten ihre Gedanken um ihn. Und das waren keine schlechten Gedanken, ganz im Gegenteil. Sie begann darüber nachzudenken, wie es wohl wäre, wenn er all das mit ihr machte, was – sie schlug sich eine Hand vor den Mund, damit Großmutter ja nichts davon mitbekam. Dann musste sie an einen Anderen denken. Er hatte ihr das Herz gebrochen, und es tat immer noch weh, wenn sie ihn sah. Vielleicht würde das jetzt endlich aufhören. Tränen liefen ihr über die heißen Wangen. Oh ja, das musste endlich aufhören. Running-Fox, sagte sie in Gedanken und stellte ihn sich wieder vor. Zum ersten Mal seit der Begegnung mit Magic-Flower an diesem unglückseligen Morgen dachte sie kurz vor dem Einschlafen nicht mehr daran.

Comanchen Mond Band 1

Подняться наверх