Читать книгу Comanchen Mond Band 1 - G. D. Brademann - Страница 13

Kapitel 7

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Ein halber Mond war seit diesen Ereignissen vergangen. Running-Fox musste inzwischen viele Einladungen annehmen; er wurde von allen Seiten bestürmt. Häuptling Old-Antelope nahm ihn in Beschlag, genauso wie Great-Mountain. Jeder im Lager bis hin zu den Kindern bezeugte ein lebhaftes Interesse an ihm. Der Friedenshäuptling und gleichzeitige Medizinmann beobachtete seinen Aufenthalt mit besonderem Interesse, denn Great-Mountain blickte schon weiter. Im Stillen hoffte er, Running-Fox würde hier bei ihnen bleiben und ihre kleine Gruppe damit verstärken. Es war ihm durchaus klar – wenn er fortging – dann nahm er ganz sicher auch Summer-Rain mit. Ihm, als aufmerksamem Beobachter, war das Interesse des Fremden an ihr nicht entgangen. Diese Überlegungen teilte er auch mit dem Häuptling. Beide versuchten, es Running-Fox hier so angenehm wie nur möglich zu machen. Aber so sehr sie sich auch darum bemühten, etwas über seine Vergangenheit herauszufinden – Running-Fox schwieg beharrlich.

Die Besuche bei Light-Cloud häuften sich. Natürlich wussten alle längst, dass er nicht wegen ihm oder Großmutters Leckereien kam. Die Gespräche im Lager, vor allem die der Frauen, kreisten jetzt vor allem um Summer-Rain. Würde sie seiner offensichtlichen Werbung nachgeben? Was sagte Light-Cloud zu alledem?

Was ihn betraf, so hatte er nichts mehr gegen eine Heirat. Obwohl – es war nicht wegen ihrer Jugend – er gab sie nur ungern her. Genau wie Großmutter, die immer stiller wurde, je länger Running-Fox blieb.

Summer-Rain selbst war am Beginn seines Werbens nicht wirklich klar gewesen, worauf sie sich da einließ. Sie begriff es erst, als ihr Bruder ein ernstes Wort mit ihr sprach. Und Großmutter? Trotz ihrer Vorbehalte, sagte sie ihrer Enkelin, dass es nicht anging, mit den Gefühlen des jungen Mannes zu spielen. Natürlich war ihr das klar. Um nichts in der Welt wollte sie mit Magic-Flower verglichen werden. Großmutter schickte sich schließlich in das Unvermeidliche. Sie wollte ihre Enkelin glücklich sehen – nur darum ging es ihr.

Von sich selbst hatte Summer-Rain keine hohe Meinung. Bisher war sie davon überzeugt gewesen, nicht schön zu sein. Zu dünn und flachbrüstig, musste sie wahrscheinlich froh sein, wenn sich überhaupt jemand für sie interessierte, dachte sie. Wahrscheinlich hatte Magic-Flower ja recht. Nun plötzlich wurde sie von einem Mann, den ihr die ledigen Frauen und Mädchen ganz offen neideten, umschwärmt. Diese Erfahrung war für sie völlig neu. Andererseits hatte sie schon einige der jungen Männer ausgelacht, die mit ihr anbändeln wollten. Die jedoch waren plump in ihren Annäherungsversuchen gewesen – oder ganz einfach nur aufdringlich. Vielleicht urteilte sie über sie auch nur so, weil es da immer schon einen anderen gegeben hatte; doch das war ja nun vorbei. Running-Fox war anders. Von Tag zu Tag fasste sie mehr Vertrauen zu ihm. Ja, es kam sogar vor, das sie nach ihm Ausschau hielt, kam er einmal nicht vorbei. Dann vermisste sie ihn. Vermisste, wie er sie ansah, wie er mit ihr redete. Ihr gefiel es, wie er ging, wie er die Haare auf seine ganz eigentümliche Art nach hinten warf. Wie er seine Lippen bewegte, sie anlächelte. Das Aufblitzen seiner schwarzen Augen, wenn sie sich begegneten – das vermisste sie am meisten. Ihr gefiel nicht, dass es da einige Mädchen gab, die es nicht aufgaben, ihn für sich zu gewinnen.

Running-Fox jedoch hatte jedem Vater, der ihn einlud, um ihm seine Tochter anzubieten, unmissverständlich eine Abfuhr erteilt. Es wurden sogar schon Wetten abgeschlossen, wie lange Summer-Rain ihn noch hinhalten würde. Denn das sie ihn noch immer auf Abstand hielt, war keinem entgangen. Doch Summer-Rain wäre nicht Summer-Rain, wenn sie so leicht zu haben gewesen wäre.

Er litt. Er litt, wie er noch nie in seinem Leben gelitten hatte. Sie musste doch merken, was er für sie empfand. Es ging ihm alles viel zu langsam. Darin war er ein ungeduldiger Mann. Manchmal hatte er den Eindruck, sie spielte nur mit ihm; dann wiederum nahm er ihre Zurückhaltung für das, was sie war: Unsicherheit, Vorsicht – oder hatte sie ganz einfach nur schlechte Erfahrungen gemacht? Was es auch immer sein mochte, Running-Fox schreckte das nicht ab. Er machte in aller Öffentlichkeit klar, dass er sie wollte, bemühte sich mit all seinen Erfahrungen als Mann um Summer-Rain. Seine gesamte freie Zeit verbrachte er inzwischen mit ihr – und davon gab es viel – denn auch der letzte Vater einer heiratsfähigen Tochter hatte endlich eingesehen, dass es keinen Sinn hatte, ihn weiter einzuladen.

Running-Fox scheute sich auch nicht davor, mit ihr auf die Jagd zu gehen. Oft ritten sie gemeinsam aus oder verbrachten ihre Zeit mit dem jungen Volk bei gemeinsamen Reiterspielen. Da ging es oft genug hart her. Einmal, als Running-Fox sich an einem zersplitterten Ast den Oberschenkel aufriss, bestand er darauf, dass nur sie ihm die klaffende Wunde ausbrennen und nähen sollte. Während sie ihm die Wundränder zusammendrückte, fühlte er nur ihre kühlen Finger auf seiner Haut und keinen Schmerz. Schnell, aber geschickt führte sie die aus einem Knochen gefertigte Nadel durch sein Fleisch. Lächelnd beobachtete er dabei ihr Gesicht, ohne auch nur einmal zusammenzuzucken. Während sie arbeitete, hatte sie nur auf die Wunde geachtet. Als sie fertig war, blickte sie hoch und in seine nachtschwarzen Augen. Da legte Running-Fox eine Hand auf ihre blutigen Finger, verschränkte sie mit den seinen und drückte sie sanft. Summer-Rains Gesicht überflog eine dunkle Röte, weil sie nicht sicher war, ob jemand sie beobachtete. Dann aber war es ihr egal, und sie erwiderte den Druck. Still sprachen sie so miteinander, ohne auf etwas anderes zu achten. In diesen wenigen Augenblicken entschied sich Summer-Rain für ihn. Ihr Herz war von einem anderen zerbrochen worden; dieser hier würde es wieder zusammenfügen, doch das brauchte Zeit.

Langsam löste sie ihre Finger aus seiner Hand. Ihr war völlig klar, dass sie ihm damit ein Versprechen gegeben hatte. Von da an wurde es leichter. Jetzt wusste sie: Es gab kein Zurück für sie mehr. Alle Zweifel, die sie bisher mit sich herumgetragen hatte – denn ihr zersplittertes Herz schmerzte noch immer – verbannte sie ganz, ganz weit hinten in die äußerste Ecke ihres Seins.

Großmutter entpuppte sich als großzügige Gastgeberin. Immer, wenn Running-Fox nun bei ihnen erschien, tischte sie ihm alles auf, was es sonst nur zu Festlichkeiten gab. Sie erzählte sogar in seiner Gegenwart Geschichten aus ihrer Zeit als junges Mädchen – und die waren sogar für Summer-Rain und Light-Cloud neu. Running-Fox hörte zu, sich dieser Ehre durchaus bewusst. Trotzdem galt seine ganze Aufmerksamkeit nur Summer-Rain.

Immer öfter jedoch glänzte Light-Cloud bei solchen Anlässen durch Abwesenheit. Zuerst dachte sich niemand etwas dabei, allmählich jedoch fiel es Großmutter auf. Irgendetwas stimmte mit ihrem Jungen nicht. Es beschlich sie ein komisches Gefühl. Light-Cloud hatte sich außerdem verändert – kam unregelmäßig, ging, ohne ihr wie sonst zu sagen, was er vorhatte. Auch Summer-Rain fiel das auf. Sie entdeckte ihn oft an Orten, an denen er sonst selten aufgetaucht war. Er ritt zu den sonderbarsten Zeiten aus, ja, vernachlässigte sogar seine Pferde. Das passte überhaupt nicht zu Light-Cloud. Zuerst dachte sie, er nehme Rücksicht auf Running-Fox, damit er mit ihr allein Zeit verbringen konnte. Doch dann sah sie ihn einmal aus dem Wald kommen, ohne dass er seine Jagdwaffen bei sich trug. Seltsam, dachte sie – was hat er wohl dort gewollt? Dann wiederum blieb er Nächtelang fort, kam erst im Morgengrauen zurück, wieder ohne Jagdbeute. Er war auch nicht bei seinen geliebten Mustangs gewesen – das wusste sie genau. Letztendlich waren sie und Großmutter sicher, dass er sich wieder einmal auf eine Frau eingelassen hatte, und beließen es dabei.

Die junge Frau von Icy-Wind fügte sich langsam in die Gemeinschaft ein. Ihr ging es besser als am Anfang, das konnte jeder sehen. Summer-Rain schob es zuerst auf den Einfluss ihrer Großmutter wegen der Zurechtweisung von Crow-Wing. Dark-Night lachte zwar immer noch nicht viel, aber ihr zerbrechlicher Körper schien sich allmählich zu erholen. Alle dachten schon, dass sie endlich schwanger war.

Icy-Wind kam eines Tages von der Suche nach Büffeln mit einer Gruppe Krieger zurück. Sie hatten nicht so viele Tiere gesichtet, als dass das gesamte Lager losziehen musste. Great-Mountain teilte die Jagdgruppe ein. Es gehörte zu seinen Aufgaben, dafür zu sorgen, dass alles reibungslos ablief. Light-Cloud hatte dringende Arbeiten mit seinen Mustangs vorgeschoben und blieb im Lager. Niemand fand etwas dabei, da für ihn immer seine Pferde an erster Stelle standen. Great-Mountain hatte für diese Jagd acht Männer ausgesucht. Icy-Wind bestand darauf, mitzureiten. Als er losritt, war niemand froher darüber als Dark-Night. Dass Light-Cloud nur eine Ausrede erfunden hatte, wurde Summer-Rain zwei Sonnenaufgänge später klar, als sie die entsetzliche Wahrheit erkannte.

Sie hatte den ganzen Vormittag mit Running-Fox und ihrem Bruder bei den Pferden zugebracht. Dabei saß Running-Fox auf einem Stein und beobachtete fasziniert, wie sein zukünftiger Schwager mit den Mustangs umging. Die Sonne stand direkt über ihnen, da holte Old-Antelope Running-Fox durch einen Boten ab. Obwohl der davon nicht gerade erfreut war, ging er mit. Summer-Rain sah sich kurz nach Light-Cloud um, aber da war er mit seinem Mustang verschwunden. Eine ganze Weile wartete sie, doch er kam nicht zurück. Da stimmte etwas nicht. Sie konnte es spüren. Sollte sie zu Großmutter gehen? Aber da wartete bestimmt wieder irgendeine Arbeit auf sie. Dazu hatte sie im Moment keine Lust. Ihre Augen schweiften zu den Hügeln hinüber, hinter denen die jungen Krieger Stockball spielten; ihr wildes Gejohle klang bis zu ihr. Dann fiel ihr das seltsame Verhalten ihres Bruders in der letzten Zeit wieder ein. Was hatte er zu verbergen? Entschlossen, das endlich herauszufinden, holte sie sich Storm-Cloud, ihr Lieblingspony. Irgendeine Ahnung ließ sie den Weg in die Hügel nach Süden einschlagen.

Running-Fox, der sich inzwischen von Old-Antelope hatte verabschieden können, sah sie in diese Richtung verschwinden und ritt ihr nach. Sie sollte nicht denken, dass er ihr nachspionierte; deshalb beeilte er sich, um sie einzuholen. Doch sie war wie vom Erdboden verschluckt. Er trieb sein Pferd an. Schließlich entdeckte er sie, wie sie von Südwesten auf den Canyon zuritt. Nach ihrem Verhalten zu schließen, suchte sie jemanden. Also rief er laut ihren Namen, doch der Wind stand ungünstig; da gab er es auf. Sie verschwand flussaufwärts im Canyon und er beeilte sich, um sie doch noch einzuholen. Er folgte der Spur ihres Ponys, bis sie sich auf hartem Felsuntergrund verlor.

Etwa einen Pfeilschuss entfernt bemerkte er einen überhängenden Felsen, neben dem ihr Pony stand. Dahinter musste sie verschwunden sein. Der Eingang zu einer Höhle? Ohne ihr davorstehendes Pferd wäre ihm dieser Ort gar nicht aufgefallen. Was machte sie da? Wieder meldete sich sein schlechtes Gewissen. Auf keinen Fall wollte er in ihre Geheimnisse eindringen – das würde sie ihm nie verzeihen. Noch war es Zeit, sich zurückzuziehen. Sich umsehend bemerkte er die hohen Felsen auf der anderen Seite des Canyons, wo sich der Fluss hindurchschlängelte. Von dort konnte niemand hinunter oder hinauf, ohne sich den Hals zu brechen. Auch auf dieser Seite, wo ihr Pony stand, ragten etwa 180 Fuß hohe Klippen bis hinunter ins Wasser. Man kam also nur am diesseitigen Ufer entlang bis dorthin.

Er ließ sein Pferd vorsichtig über das Geröll gehen. Erst als ihn nur noch dichtes Gebüsch, das bis hoch in die Felsen wuchs, von ihrem Pony trennte, bemerkte er das andere Pferd. Light-Cloud war also ebenfalls hier. Das ging überhaupt nicht. Bruder und Schwester hatten immer einen gewissen Abstand einzuhalten, da waren die Gesetze des Volkes eindeutig. Nun gut, sagte er sich – ich werde es niemandem verraten. Sicher gab es gewichtige Gründe, warum sie sich hier, weitab von den Augen und Ohren der Anderen trafen. Vielleicht ja auch seinetwegen.

Light-Cloud war ein gestandener Mann; er würde nichts Unrechtes tun – schon gar nicht etwas, das seiner Schwester schadete. Zufrieden mit dieser Entscheidung wendete er sein Pferd und ritt langsam zurück.

Summer-Rain war im Halbkreis über die Hügel geritten, immer auf der Suche nach Light-Clouds Pferd. Sein Huf war größer als das der anderen Mustangs, Running-Fox‘ Stute ausgenommen und daher leicht zu unterscheiden. Sie schmunzelte vor sich hin, weil sie den Abdruck entdeckte, gerade als sie schon wieder umkehren wollte. Danach war es leicht, ihm zu folgen. Auf dem harten Felsuntergrund verlor sie erneut seine Spur. Suchend, ihr Pony am Halfter führend, ging sie weiter. Wohin konnte er geritten sein? Ihr erster Gedanke war, dass es hier vielleicht eine unterirdische Wasserstelle gab. So etwas kam öfter vor. Da entdeckte sie einen überhängenden Felsen. Als sie heran war, ging sie erst einmal um ihn herum. Ohne Zweifel – es musste der Eingang zu einer Höhle sein. Als sie das Pferd ihres Bruders, zwischen hochgewachsenen Büschen versteckt, stehen sah, musste sie grinsen. Sie ging zurück zum Eingang, um ihrem Pony zu bedeuten, hier auf sie zu warten. Doch irgendwie war ihr plötzlich beklommen zumute.

Erinnerungen wurden wach, Erinnerungen an die Spiele, die sie so oft mit ihrem großen, erwachsenen Bruder gespielt hatte, als sie selbst noch ein kleines Mädchen gewesen war. Sie versteckte sich, und er hatte sie suchen müssen. Großmutter war da eine große Hilfe gewesen, sie wusste die besten Verstecke. Am Ende war sie immer von ihr mit Süßigkeiten belohnt worden. Doch das hier war etwas anderes, jetzt waren sie erwachsen. Sie wollte schon umkehren und gar nicht mehr wissen, was er hier machte. Doch dann siegte ihre Neugier. Vielleicht war es auch ein wenig Triumph darüber, ihn trotz der Bemühungen, seine Spur zu verwischen, gefunden zu haben. Also tauchte sie lautlos in die Finsternis ein.

Entferntes Rauschen drang an ihr Ohr. Eine unterirdische Badestelle? Erfreut duckte sie sich unter einem überhängenden Felsen hindurch tiefer in den höhlenartigen Gang. Licht fiel von oben durch einen winzigen Felsspalt gerade auf ein Bündel achtlos hingeworfener Kleidungsstücke. Seitlich von ihr zweigte ein niedriger Durchgang ab. Jetzt konnte sie das Rauschen laut und deutlich von dort hören. Es war angenehm kühl hier drinnen. Weitergehend tastete sie sich im spärlich herunterfallenden Licht an feuchten Steinen entlang abwärts. Von den Felsen über ihr tropfte es auf ihren Rücken. Abrupt blieb sie stehen. Durch das leise Plätschern klang unverkennbar die Stimme von Icy-Winds Ehefrau.

Summer-Rains Herz begann gegen ihre Brust zu hämmern. Das konnte nicht möglich sein! Doch, ohne Zweifel sprach Dark-Night dort mit ihrem Bruder. Jetzt hört sie auch, was sie zu ihm sagte:

„Ich kann es nicht ändern – ich dachte, mir blieb keine andere Wahl. Blind vor Trauer tat ich, was man mir sagte. Niemand hat gefragt, wie es mir ging; es hätte sogar nicht viel gefehlt, und man hätte mich aus dem Lager vertrieben. Da kam es mir vor, als wäre Icy-Wind, der mich haben wollte, meine einzige Rettung. Die Sache war ja ohnehin bereits abgemacht. Es ging nur noch um die Anzahl der Pferde. Verstehst du das denn nicht? Alles erschien mir besser zu sein, als dort zu bleiben – alles.“

Light-Cloud murmelte etwas, was so klang wie: Eine Wahl hat man immer. Den Rest verstand sie nicht. Konnte sie ihren Ohren trauen? Was ging da vor? Sie musste es wissen, musste es mit eigenen Augen sehen, denn tief in ihrem Innersten hatte sie das bereits befürchtet. Schon als sie den Kleiderhaufen gesehen hatte. Ihr Bruder brachte sich immer wieder mit seinen Weibergeschichten in Schwierigkeiten. Das hier wäre nicht das erste Mal. Noch dazu mit der Ehefrau von Icy-Wind! Ihr wurde kalt, und doch brauchte sie Gewissheit. Vorsichtig schob sie sich weiter, jetzt darauf bedacht, ja kein Geräusch zu verursachen.

Das Rauschen von dorther, wo sich die beiden aufhielten, klang mittlerweile für sie beruhigend.

Vielleicht ist das ja alles völlig harmlos, machte sie sich selbst etwas vor. Das Licht, von seitwärts durch einen schmalen Felsspalt einfallend, machte alles, was sie dann sah, irgendwie unwirklich, legte eine Art Zauber darüber. Ließ es zu einer Geschichte werden, wie sie Großmutter in kalten Winternächten am Lagerfeuer erzählte. Wunderschöne Geschichten voller Geheimnisse und Dingen, die ihre Phantasie anregten. Doch das spärliche Licht offenbarte ihr etwas ganz Anderes: keine wunderschöne Geschichte, sondern die schreckliche Wahrheit.

Light-Cloud, ihr großer Bruder, lag nackt halb im Wasser, lang auf einem flachen Felsen ausgestreckt. Über seinen Beinen der ebenfalls nackte Körper einer Frau, Dark-Night. Sie lehnte sich leicht gegen ihn, ihre Finger spielten mit seinen aufgelösten feuchten Haaren. Das hereinfallende Licht ließ sie rötlich schimmern. Summer-Rain hielt den Atem an. Von ihrem Platz aus konnte sie die beiden genau erkennen. Sah, wie Light-Cloud sanft über ihren üppigen Busen strich, dann ihre Hand nahm und sie an seine Wange presste. Das grüne Band, das sie sonst immer in ihren Haaren trug, spannte sich um einen seiner Oberarme – als Zeichen ihrer Verbundenheit.

„Ich werde das nicht zulassen, Dark-Night, meine Geliebte, niemals“, hörte Summer-Rain ihn sagen. Sein Gesicht bekam einen solch schmerzlichen Ausdruck, den sie noch nie bei ihm gesehen hatte. Das war mehr als sie ertragen konnte. Ihre Gedanken rasten. Was mache ich hier? Sie konnte und wollte sich nicht einmischen. Ihr Bruder war jemand, der oft Liebschaften hatte; das wusste sie genau. Belangloser Zeitvertreib, wie er es selber einmal ihr gegenüber genannt hatte. Alles Mögliche, nur nie etwas, das sich für länger lohnte. Bei jedem Treffen mit anderen Lagern gab es diese Affären – Geschichten, die immer den gleichen Verlauf nahmen. Er hatte in seinem Leben mehr Herzen gebrochen als Feinde getötet, und das sollte bei einem Krieger wie ihm etwas heißen.

Aber das hier? Ein Techtelmechtel mit der Ehefrau eines Anderen? Ein leichtfertiges, unbedachtes Spiel? Wenn es doch bloß ein Spiel wäre! Bei diesem Gedanken hätte sie mit dem Fuß aufstampfen können. Wohl kaum nur ein Spiel! Er war nicht unbesonnen, nicht leichtsinnig – nie hatte er sich auf eine verheiratete Frau eingelassen. Bis jetzt. Kam das hier heraus, würde es großen Ärger geben – sehr großen, vor allem für Dark-Night. Ihn konnte das einige Pferde als Wiedergutmachung kosten, die kleine Mexikanerin dagegen im schlimmsten Fall das Leben. Das hier war aber keine beliebige Frau; das hier war die Ehefrau von Icy-Wind. Er würde weder gegen ihn noch gegen seine Frau Milde walten lassen. Schon gar nicht, wenn Summer-Rain an die immer schwärende Feindschaft zwischen ihren beiden Familien dachte. Sie wusste nicht viel darüber, eigentlich gar nichts. Doch dass das so war, hatte sie oft genug selbst erlebt. Immer, wenn diese beiden Männer – Icy-Wind und Light-Cloud – aufeinandertrafen, kam es zu heftigen Auseinandersetzungen. Das Klügste, was die beiden tun konnten, war, sich aus dem Weg zu gehen.

Mit diesem Wissen im Kopf zog sie sich leise zurück. Erst jetzt merkte sie, dass ihr die Knie zitterten. Atemlos fand sie nach draußen. Ihr Pony stand noch an derselben Stelle. Hastig hievte sie sich auf seinen Rücken. Ohne weiter auf ihre Umgebung zu achten, ritt sie im Galopp ins Lager zurück. Das Geheimnis, von dem sie jetzt wusste, drückte schwer auf ihr Gewissen. ‚Am besten erzähle ich es Großmutter – die weiß immer Rat‘. Zu diesem Entschluss gekommen, zügelte sie ihr Pony; da ritt ihr eine Horde johlender Krieger entgegen. Mit klopfendem Herzen starrte sie ihnen nach. Icy-Wind und die Büffeljäger waren zurück.

Dark-Night würde nicht in ihrem Tipi sein, um ihren Ehemann gebührend zu empfangen. Nicht auszudenken. Summer-Rain ballte die Fäuste. Sollte sie zurückreiten und ihren Bruder warnen? Nein. Alles, was sie tun konnte, war, zu warten und zu hoffen, dass dieses Geheimnis für immer sein Geheimnis bleiben würde. Sie verwarf den Gedanken an Großmutter wieder. Es kam ihr ungerecht gegenüber Light-Cloud vor, ihn an sie zu verraten. Da fiel ihr Crow-Wing ein. Beim allergeringsten Verdacht würde sie doch wohl alles dafür tun, dass Icy-Wind davon erfuhr. Was sollte sie nur tun? Mit diesen Gedanken beschäftigt erreichte sie ihr Tipi und ließ ihr Pony frei laufen; dann schlüpfte sie hinein. Im Halbdunkel sah sie Großmutter laut und heftig auf Great-Mountain einreden. Er war also ebenfalls zurück. Während sie stand, saß er auf einem weichen Berg voller Felle, die Beine lang ausgestreckt, genüsslich seine Pfeife rauchend. Großmutter schien erregte zu sein – er aber, ganz wie es seine Art war, hörte ihr aufmerksam zu. Vor ihm, auf einem Hocker aus geflochtener Weide, lag etwas in ein Kaninchenfell eingerollt. Aus Großmutters Stimme hörte sie einen grollenden Tonfall heraus, den sie nur zur Genüge kannte; sie duldete keinen Widerspruch. Great-Mountain zog bedächtig an seiner Pfeife, blies den Rauch aus; dann nickte er Großmutter zu.

Comanchen Mond Band 1

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