Читать книгу Comanchen Mond Band 1 - G. D. Brademann - Страница 17

Kapitel 11

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Die achtzehn Krieger der Antilopenbande kehrten stolz und ruhmreich zurück. Sie hatten einen erfolgreichen Guerillakrieg gegen den derzeitig besten Indianerexperten des Westens, Oberst Ronald Mackenzie, geführt. Durch einen Kälteeinbruch waren die Kämpfe abgebrochen worden. Mackenzie zog sich zurück, ohne einen Sieg verzeichnen zu können. Ja, er wusste nicht einmal, wie viele Comanchen er vielleicht getötet hatte.

Quanah, ein Kriegshäuptling der Quahari, ritt mit seinen Kriegern zurück in ihre jeweiligen Winterquartiere. Auch die Krieger der Antilopenbande trafen bei ihren Leuten ein. Die hatten ihr Lager bereits seit einem halben Mond an einem kleinen Nebenarm des North Canadian-River aufgeschlagen. Dort wurden sie freudig empfangen – vor allem, weil es keine Verluste zu beklagen gab. Die Verwun-dungungen einiger Männer konnten heilen. Red-Eagle, der von ihnen erwählte Kriegshäuptling für diesen Einsatz, kam an der Spitze seiner Männer in das Lager geritten. Wie eine wilde Horde preschten sie zusammen mit ihren etwas mehr als 60 Ersatzpferden durch das eiskalte Wasser des Flüsschens. Als sie die ersten Tipis ihres Winterlagers passierten, das sich lang auseinandergezogen am Flussufer befand, kamen ihnen bereits die ersten Männer und Frauen entgegen. Da sie nicht wussten, wo die Tipis ihrer Familien standen, ritten sie erst einmal bis zum Canyon im Südwesten, vor dem auch die große Pferdeherde untergebracht war. Es schneite seit Tagen. Da der Boden hier nie sehr tief gefror, legten ihre dampfenden Nüstern das Gras schnell wieder frei.

Die heimkehrenden Krieger brachten ihre Pferde selbst zur Herde; ihre besten Mustangs hatten sich die Ruhe mehr als verdient. Manch einer von ihnen nahm sein liebstes Kriegspony mit vor sein Tipi, um immer ein Auge darauf zu haben. Einer der älteren Krieger, die jetzt angekommen waren, hatte seinen Mustang im vergangenen Winter sogar in seinem Tipi untergebracht und die Frauen in ein anderes geschickt.

Inzwischen kochte in den Töpfen über den Herdfeuern bereits das Essen für sie alle. In den eigens errichteten Schwitzhütten bemühten sich Frauen, Steine heißzumachen. Die Krieger – so zurückgekommen, wie sie losgeritten waren, nämlich nur mit Leggins und Lendentuch bekleidet – froren ganz offensichtlich. Einige hatten sich Decken umgehängt. Ein heißes Schwitzbad – anschließend ins kalte Flusswasser – das war genau das, was sie jetzt brauchten. Red-Eagle hatte schon von Weitem seine Frau Moon-Night entdeckt. Vor Freude und Stolz auf ihren Mann glühte ihr Gesicht.

Moon-Night – aus dem kleinen, damals vierjährigen Mädchen, das er einst aus den Händen von Icy-Wind gerettet hatte, war seine Ehefrau geworden. Ihr Mann kam nicht sofort zu ihr. Erst verschwand er im Tipi von Great-Mountain, um vor der Ratsversammlung, die sich dort eingefunden hatte, Bericht zu erstatten. Es dauerte ihr viel zu lange, bis er wieder herauskommen würde. Andere Krieger verschwanden ebenfalls dort. Red-Eagle hielt seine Rede verhältnismäßig kurz. Dann kam er schnell über den ausgetretenen Pfad, der am Fluss entlang führte, zu ihrem Tipi. Endlich erreichte er sein Zuhause. Der Eingang wurde bereits für ihn offengehalten. Er trat ein und sah sich zufrieden um. Moon-Night schloss mit fliegenden Fingern hastig den Eingang wieder fest zusammen. Niemand sollte es wagen, sie jetzt zu stören.

Erst am nächsten Morgen traf ihr Sohn Storm-Rider ein. Er streifte schon, seit sie hier ihr Winterlager aufgeschlagen hatten, jeden Tag in der Gegend herum. Moon-Night wusste nicht, was ihn so beunruhigte, und machte sich langsam Sorgen. Rastlos und mürrisch, kaum ansprechbar, was so gar nicht seine Art war, gab er sogar seinen Freunden Rätsel auf. So kannten sie ihn überhaupt nicht. Es ging sogar so weit, dass er sich weigerte, an ihren gemeinsamen Reiterspielen teilzunehmen. Vor drei Sonnenaufgängen verschwand er sogar ohne ein Wort in den angrenzenden Bergen. Jetzt kam er mit verschlossener Miene, abgemagert, übermüdet und dreckverschmiert zurück, lud einen erlegten Hirsch vom Rücken seines Schimmelhengstes Summer-Wind und warf achtlos das Fell einer prächtigen Bergkatze daneben in den tauenden Schnee. Noch vor einem Mond wäre ihm dabei vor Stolz zumindest eine beiläufige Bemerkung rausgerutscht. Jetzt ließ er seine Beute nur achtlos vor ihrem Tipi liegen.

Die Klappe halb öffnend, schaute er vorsichtig hinein. Jemand musste ihn bereits von der Rückkehr seines Vaters unterrichtet haben, denn als er seine Mutter erblickte, fragte er nach ihm. Moon-Night, glücklich, ihn wieder gesund zurück zu wissen, verwies ihn an das Tipi von Great-Mountain. Er jedoch setzte sich erst einmal erschöpft an das Feuer und ließ sich von ihr mit Essen versorgen, während sie ihn verstohlen musterte. Hungrig schlang er hinunter, was sie ihm gab, ohne recht zu wissen, was er da eigentlich aß. Scheu betrachtete sie ihn von der Seite. Sie machte sich große Sorgen um ihn. Seine Haare, auf die er immer so großen Wert gelegt hatte, hingen ihm strähnig ins Gesicht. Noch nicht einmal Zeit zum Waschen hatte er sich genommen. Langsam ließ sie sich neben ihm auf einem der unzähligen weichen Felle, die den Boden wie ein dichter Teppich bedeckten, nieder. Sogar die Wände waren damit ausgekleidet. Moon-Night hatte auf die Rückseite einiger Felle Jagdszenen und Kriegsgeschehen gemalt. Dazwischen gab es Wildtrophäen, Ketten aus Reißzähnen und Bärenklauen – alles, was ein erfolgreicher Krieger im Verlaufe seines Lebens erbeuten konnte und für wert erachtete, es aufzubewahren. Skalps gab es hier nicht einen, die duldete Moon-Night nicht. Red-Eagle hatte sich zähneknirschend gefügt und beließ sie als Schmuck an seiner Lanze. Die bewahrte er wie alle Krieger an einem geheimen Ort außerhalb des Tipis auf.

Moon-Night, inzwischen sechsunddreißig Winter alt, sah immer noch gut aus. In ihrem ovalen Gesicht waren kaum Falten. Mit hellbraunen Augen, in deren Iris goldene Sprenkel funkelten, strahlte sie ihren Sohn an. „Sie sind alle unversehrt zurück, stell dir vor“, plapperte sie munter drauflos, ohne die unbewegliche Miene ihres Sohnes zu beachten. „Und sie haben diesen Three Fingers ausgetrickst. Ich bin so stolz auf deinen Vater! Am besten gehst du gleich rüber zu Great-Mountain, der sein Tipi zur Beratung zur Verfügung gestellt hat, und hörst dir an, was die Männer zu sagen haben. Sie sitzen dort schon seit Sonnenaufgang beisammen.“

Storm-Rider blickte kaum auf und nuschelte nur etwas in sein Essen hinein, was sie als: Nachher, ich muss mich erst um Summer-Wind kümmern, verstand. „Gut, kümmere dich um deinen Mustang. Ich verstehe, dass das für dich wichtig ist. Dann aber solltest du dich auch einmal mit den Belangen der anderen befassen. Dein Vater hat dir viel zu erzählen. Es wäre gut, wenn du ihm zuhören würdest. Du bist in letzter Zeit zu viel mit dir selbst beschäftigt.“

Ihre Kritik war durchaus berechtigt – er wusste das auch. Doch es stand ihr nicht zu, darüber zu urteilen. Heftig wollte er etwas erwidern, schwieg aber dann doch. Moon-Night konnte nichts für seinen Kummer, der ihn aufzufressen drohte. An seiner verzweifelten Lage war er selbst schuld. Sich zusammenreißend schaute er sie mit seinen dunkelbraunen Augen an, in denen ähnliche goldene Sprenkel wie in den ihren glitzerten. „Draußen liegt ein Hirsch. Dann ist da noch das Fell einer Bergkatze. Das ergibt für dich einen warmen Umhang, wenn es richtig kalt wird. Zuerst bringe ich Summer-Wind zu unseren anderen Pferden, dann gehe ich zu meinem Vater – in dieser Reihenfolge und nicht anders.“ Entschlossen erhob er sich, stellte das Essgeschirr auf den Boden; dann trat er an den Ausgang des Tipis.

Moon-Night nickte nur und schluckte ihre Verärgerung wegen seines Tonfalls hinunter. Wenigstens sprach er mit ihr, er hatte sogar etwas gegessen. Mehr konnte sie im Moment nicht erwarten. Was ihn auch immer bedrückte, sie würde es nicht erfahren. „Gut“, meinte sie deshalb nur und hielt ihm die Klappe des Tipis auf. Er schlüpfte hinaus, ohne sie dabei anzusehen. Moon-Night kam ihm nach, um sich um die Dinge, die er ihr aufgetragen hatte, zu kümmern. Er ritt auf seinem Schimmel in Richtung Pferdeherde davon, und sie blickte ihm nach. Er hatte sich verändert, aber sie wusste nicht, was passiert war.

Summer-Rain stand im Beratungstipi hinter den Männern, die sich um das Feuer drängten. Der Medizinmann und gleichzeitige Friedenshäuptling Great-Mountain, einige der alten Männer, Red-Eagle, Icy-Wind und noch zwei Vertreter der jüngeren Generation saßen. Ihr stand das nicht zu.

Drei Comancheros – mexikanische Händler, die seit zwei Sonnenaufgängen hier waren – lümmelten sich im Hintergrund des Tipis auf weichen Büffelfellen. Ihre Kleidung starrte vom Schmutz, aber das störte hier niemanden. Sie waren gekommen, um Gewehre gegen Felle einzutauschen. Das Geschäft schien gut gelaufen zu sein. Die Männer waren mittelgroß und untersetzt. Ihr Benehmen hatte etwas Anmaßendes an sich. In dieser Beziehung ähnelten sie ihren Handelspartnern. Wären sie nicht so aufgetreten, wer weiß, vielleicht hätten die Comanchen sie dann nie akzeptiert. So waren sie die Einzigen, die sich in ihre weit abgelegenen Lager wagten, um Handel mit Waren und Menschen zu treiben. Sie bildeten seit Generationen die einzige direkte Verbindung zwischen den Comanchen und der zivilisierten Außenwelt. In den dunklen Augen sowie den Mienen der drei hier anwesenden besonders skrupellosen Vertreter dieser Art stand so etwas wie Herablassung – als glaubten sie, über den Indianern zu stehen. Sie wussten genau, wie weit sie ihren Hochmut treiben konnten, und nutzten ihre Position auch weidlich aus. Die drei flüsterten leise miteinander. Ab und zu klang ein unterdrücktes, verächtliches Lachen aus ihren Kautabak kauenden Mündern, über denen zottelige dunkle, ungepflegte Bärte hingen. Besonders einem von ihnen sah man die Grausamkeit seines Wesens an. Allesamt waren das hartgesottene Männer, die keinen Spaß verstanden. Das war auch nicht weiter verwunderlich, denn wenn sie mit den Comanchen zusammentrafen, setzten sie jedes Mal ihr Leben aufs Spiel. Jetzt, da das Geschäft abgeschlossen war, wollten sie weiter nichts, als so bald wie möglich wieder aus diesem Lager verschwinden. Die Gastfreundschaft jedoch verlangte es, dass sie noch bis zum Ende dieser Beratung bleiben mussten. Eine Missachtung dieser ihnen zugedachten Ehre würde ihnen nicht gut bekommen. Bevor sie mit ihrem Leben spielten, brachten sie lieber die Geduld auf, das Ende der Versammlung abzuwarten. Notgedrungen fügten sie sich in das Unvermeidliche. Sie hatten es sich im Hintergrund des geräumigen Tipis bequem gemacht und blickten nur selten hoch, konnten aber ihren Unmut über die Verlängerung ihres Hierseins kaum verbergen. Dazu kam noch, dass ihre eigenen Waffen, mit denen sie gut bestückt hergekommen waren, außerhalb ihrer Reichweite lagen. Sogar die Messer, die sie sonst in ihren Gürteln trugen, hatte man ihnen abgenommen. Irgendwie kamen sie sich nackt vor. Die Situation entspannte sich etwas, als ihnen eine junge Comanche einen Topf mit Büffelrippchen reichte, um dann jedoch schnell wieder zu verschwinden. Geräuschvoll, ohne sich zu genieren, machten sich die drei mit ihren ungewaschenen Händen darüber her, als gelte es zu beweisen, wie gut es ihnen schmeckte.

Unterdessen gingen die Gespräche in dem Tipi weiter. Ungeachtet der Tatsache, dass schon alles längst beschlossene Sache war, ließen sich die älteren Männer dazu hinreißen, noch einmal weitschweifige Ausführungen zu machen. Es gefiel ihnen sichtlich, so viele Zuhörer zu haben. Noch vor einem großen Mond, in ihrem Sommerlager, war ja alles bereits gründlich erörtert worden.

Inzwischen hatte Great-Mountain auch hier in zwei ausführlichen Beratungen die Angelegenheit noch einmal zur Sprache gebracht. Sie hatten nur noch auf die Zustimmung von Red-Eagle und einigen seiner älteren Krieger, die dem Rat angehörten, gewartet. Auch das war inzwischen erledigt.

Trotzdem lauschten sämtliche Anwesende respektvoll den ausschweifenden, klugen, nicht enden wollenden Reden. Geduld war eine der seltenen Tugenden der meisten Comanchen. Mit der Poesie ihrer Sprache wanderten ihre Worte oft seltsame Wege. Ohne Zweifel wäre es schwer gewesen, einen Begriff der Weißen, den sie in viele Worte kleideten, richtig zu übersetzen. Hier, im Kreise der lauschenden Männer, konnten sie ihrer Phantasie vollen Lauf lassen. Mancher von ihnen kam dabei weit vom eigentlichen Thema ab. Doch darauf kam es gar nicht an. Die Poesie, mit der sie ihre Reden schmückten, war schon beachtlich.

Schöne Worte hin oder her – Summer-Rain stand nun schon seit dem Sonnenaufgang hier. Langsam wurde sie ungeduldig. Ihre Sachen waren gepackt, Großmutter legte sicher gerade noch letzte Hand an. Endlich rauchten die Männer, ließen die Pfeife kreisen, gaben einander Tabak und auch der allerletzte Redner setzte sich wieder auf seinen Platz.

Icy-Wind drehte sich zu ihr um, reichte ihr einige Blätter Papier, die sie als Teil der Urkunden erkannte, und deutete besonders auf eines. „Sieh dir die Landaufzeichnungen genau an, Mädchen. Du bekommst das nämlich nicht in deine Hände, es bleibt bei Great-Mountain in Verwahrung“, spuckte er ihr die Worte wie Kerne hin. Er war der Einzige gewesen, der immer wieder hartnäckig Einwände dagegen vorgebracht hatte, sie diese Wanderung allein machen zu lassen. Seine Abneigung gegen Summer-Rain war offensichtlich und allen bekannt. Alles, was die Familie von Sun-In-The-Red-Hair betraf, musste mit seiner Ablehnung rechnen. Letztendlich jedoch beugte er sich den Argumenten der anderen und gab nach.

„Ich weiß das“, gab sie zurück und nahm ungerührt die Landkarte, die von einem weißen Mann angefertigt worden war, mit steifen Fingern entgegen. Während sie sie zu betrachten vorgab, hätte sie laut lachen mögen. Great-Mountain, dieser schlaue alte Mann, war sie bereits mit ihr im Vertrauen durchgegangen – genau wie die Schrift und die Zeichen der Unterschriften auf etlichen Bögen. Beide hatten dabei lange miteinander geredet. Waren sich über den Weg, den sie nehmen sollte, einig geworden – und vielen anderen Verhaltensregeln, die laut Great-Mountain für sie wichtig sein könnten. Jetzt wäre es mit dem flüchtigen Durchblättern dieser Unterlagen viel zu spät gewesen. Die wenige Zeit, die ihr Icy-Wind dafür ließ, war beschämend.

Innerlich beglückwünschte sie sich zu einem so weitblickenden Mann wie Great-Mountain. Ohne ihn stünde sie jetzt nicht so vorbereitet hier. Sollte Icy-Wind doch denken, was er wollte. Sie überflog noch einmal die Bögen, auf denen die Zeichen der Krieger auf der linken Seite aufgemalt waren. Auf der rechten hatte jemand die Comanchen-Namen ins Englische geschrieben, so wie man sie aussprach und versucht, sie zu übersetzen. Es war für sie seltsam zu sehen, wie ein Fingerabdruck oder ein gemaltes Symbol zu einem Namen wurde. Langsam fuhr sie mit dem Finger an den Namen entlang, als Icy-Wind ihr zuzischte: „Die Weißen sind dumm wie Bullenscheiße.“

Fragend blickte sie auf. Wie meinte er das? Sollte sie ihm etwa die Übersetzungen vorlesen? Sie dachte gar nicht daran. Viele dieser Zeichen kamen auch heute noch auf Pfeilen vor – es waren die Zeichen von Kriegern.

„Warum muss der weiße Mann diese Zeichen in seine Worte kleiden? Das ist respektlos! Viele dieser Männer sind tot!“

Natürlich stimmte das. Doch zur damaligen Zeit lebten sie noch, und das hier war so beschlossen wurden. Warum sich heute darüber aufregen?

„Der, der ihre Namen in der Sprache der Weißen hier hingeschrieben hat, tat das sicherlich mit Einverständnis“, wagte sie zu sagen. Gesenkten Blickes wartete sie auf eine Zurechtweisung.

„Gib her“, herrschte er sie an und riss ihr die betreffenden Bögen aus der Hand. „Sieh dir lieber die Zeichnung noch einmal an, auf der unser Gebiet abgebildet ist; das reicht.“ Ungehalten faltete er die anderen Blätter zusammen.

Die Zeit hatte die Papiere stark vergilbt. Trotzdem waren sie noch gut erhalten. Great-Mountain hatte gesagt, dass das alles hier noch einmal vorhanden war und im Besitz des weißen Mannes, dessen Name ganz unten auf dem letzten der Papiere stand. Sie hatte ihn als James Parcifal Marcen entziffert. Jetzt stapfte Great-Mountain zu ihr hin, warf mit gerunzelter Stirn einen missbilligenden Blick auf Icy-Wind, in dessen Händen die Papiere bis auf die Zeichnung waren, und meinte, wohl wissend, dass es nicht so war: „Icy-Wind hat dir ja jetzt alles gezeigt.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, nahm er dem Krieger die Papiere aus der Hand. „Gut“, fuhr er, an Summer-Rain gewandt, fort, die ihm die Zeichnung reichte. „Dann konntest du dir sicher alles gut einprägen.“

Er sagte es tatsächlich in vollem Ernst – als ob er nicht wüsste, dass es ganz anders war. Seine Miene zeigte nicht die geringste Regung, während er alles wieder an sich nahm. Dann zögerte er, als wollte er noch etwas sagen, das ihm unangenehm war. Summer-Rain, der das nicht entging, beschlich ein ungutes Gefühl.

„Die drei Comancheros werden dich begleiten. Icy-Wind hat das angeregt, er konnte sie dazu überreden.“ Wie beiläufig deutete er auf die Männer, die noch immer schmatzend und rülpsend im Hintergrund des Tipis saßen. Einer von ihnen nickte in ihre Richtung. Während er grinste, kamen seine verfaulten, schlechten Zähne zum Vorschein. Sich mit der Hand über die fettigen Lippen wischend, betrachtete er Summer-Rain lüstern. Icy-Wind war aufgestanden und zu ihnen getreten, um sich noch einmal ihrer Abmachung zu versichern. „Machen wir, machen wir“, rief einer von ihnen Summer-Rain zu. Ohne sich weiter stören zu lassen, fiel er wieder über die Rippchen her. Ein anderer stupste ihn mit dem Ellbogen an. Sein zotteliger Schnauzbart hing voller Essensreste. „Wir müssen ja ohnehin über den alten Santa Fe Trail und können das Mädchen auch noch bis zum Pass bringen.“

„Jawohl, ihr werdet dafür sorgen, dass sie den Raton-Pass findet, um von dort aus in das Colorado-Territorium zu gelangen – und zwar, ohne ihr auch nur auf vier Schritte nahezukommen!“ Das war Great-Mountains Stimme. Seine kleinen Augen waren unter den Wülsten seiner unsichtbaren Brauen fast verschwunden. Missmutig zog er die Mundwinkel herab. Um seine Forderung noch zu unterstreichen, rief er laut: „Genug Felle habt ihr ja dafür bereits erhalten, also bringt sie heil bis dorthin!“

Summer-Rain war entsetzt. Sofort wollte sie das Tipi verlassen. Doch mit einem Blick auf Great-Mountain beherrschte sie sich. Nie im Leben wäre ihm so etwas eingefallen.

„Das ist alles, was es hier noch zu sagen gibt; mach dich für deine Wanderung fertig, Mädchen.“

Bei diesen Worten von Icy-Wind fuhr sie zu ihm herum. In ihren Augen stand deutlich geschrieben, was sie von ihm dachte. Great-Mountain betrachtete ihn wie ein Wiesel die Maus. Ihn brachte so etwas nicht aus der Fassung, da gab es ganz andere Dinge, die ihn hätten aufregen können. In aller Ruhe stopfte er seine Pfeife und nickte Summer- Rain mit einem Lächeln zu.

Red-Eagle, der auch von der Abmachung mit den Comancheros wusste, fand nichts dabei. Er verließ sich auf den Ruf, den sein Volk bei diesen Männern hatte. Sollten sie ihr etwas antun, dann würden sie sich nie wieder hierher wagen können. Jetzt kam er freundlich lächelnd auf Summer-Rain zu. „Ich weiß, dass du deine Sachen bereits gepackt hast, Mädchen“, meinte er leichthin, als würde sie nicht diese gefahrvolle Wanderung antreten, sondern nur einen kleinen Ausflug machen. „Moon-Night und deine Großmutter warten draußen auf dich. Das Wetter ist noch gut. Diese Männer dort werden dich bis an den Pass begleiten; so ist es abgemacht. Du hast die Zeichnung gesehen?“

Sie nickte. Red-Eagle musterte sie kritisch von Kopf bis Fuß. Sie ist noch so jung, ging es ihm auf. Diese Aufgabe wird sie an ihre Grenzen bringen. Doch andererseits, sagte er sich, geht sie unbedarft an die Sache heran. Es war schlau von Great-Mountain, darauf zu bestehen, dass kein Krieger sie begleitet. Der würde sich nur immer in den Vordergrund spielen und das ganze Unternehmen zum Scheitern bringen. Er kannte keinen seiner Männer, der es sich gefallen lassen würde, von einem Mädchen angeleitet zu werden. Vielleicht lag sogar in ihrer Jugend der Hauptvorteil. Sie sprach Taibo Tekwapu und konnte sich behaupten. Außerdem würde sie den Menschen dort ohne Vorurteile oder Feindseligkeit entgegentreten können, was er bei seinen Männern bezweifelte.

„Ich wünsche dir Glück, Summer-Rain“, sagte er, die grimmige Miene Icy-Winds nicht beachtend. „Allein erregst du weniger Aufsehen, als wenn einer der Krieger bei dir wäre. Auch würde niemand von ihnen bereit sein, nur die Rolle eines Begleiters zu übernehmen; das weiß ich. So ist es besser. Mit einem Krieger im Schlepp könntest du dich nicht deiner eigentlichen Aufgabe widmen – ihr hättet stetig Streit. Auch kein Mann könnte deine Aufgabe übernehmen, so viel ist gewiss. Es geht nicht darum, sich als Krieger zu behaupten; es geht darum, die Gesinnung der weißen Siedler zu erkennen, du sollst ihr Vertrauen gewinnen und die Wahrheit herausfinden. Gibt es noch dieses Geschenk? Sind sie bereit, uns in Frieden zu empfangen und in Frieden dort leben zu lassen? Nur darum geht es. Dies und dass du ihre Sprache sprichst, hat uns dazu gebracht, uns für dich zu entscheiden. Es war Great-Mountain, der es uns ausgeredet hat, dir eine Begleitung mitzugeben. Ich finde, dass er recht hat. Ein Krieger würde alles nur verderben. Sei also schlau wie ein Fuchs und schnell wie ein Wiesel. Sei wie das Hermelin, das die Farbe seines Kleides wechseln kann. Tu das alles für dein Volk. Ich weiß, dass wir uns auf dich verlassen können.“

Während er mit ihr sprach, schaute sie ihn an; das verlangte der Anstand. Als er zum Ende gekommen war, sich mit einem knappen Nicken verabschiedete und gerade das Tipi verließ, drehte sich Summer-Rain mit gerunzelter Stirn nach den Männern um, die im Hintergrund des Tipis noch immer mit ihrem Essen beschäftigt waren. Die Comancheros ekelten sie an. Sie würde diesen Pass auch alleine finden. Darüber brauchte sich niemand hier Sorgen zu machen. Die Felle hätten sie sich sparen können. Schon allein der Gedanke, mit diesen dreckigen, ungewaschenen, stinkenden Männern reiten zu müssen, machte sie wütend. Sie riss sich zusammen. Ihr Entschluss stand fest, sie würde sich so bald wie möglich von ihnen absetzen.

Da hörte sie die unverwechselbare tiefe Stimme von Icy-Wind direkt in ihrem Rücken.

„Morgen werde ich selbst losreiten. Es wäre gut, wenn diese da noch vor mir von hier verschwindet. Ich lege nicht den geringsten Wert darauf, dass sich unsere Wege kreuzen.“

Sie zuckte kurz zusammen, beherrschte sich aber sofort. Jeglichen Blickkontakt vermeidend, nickte sie nur mit dem Kopf. Nein, sie wollte auch nicht, dass sich ihre Wege kreuzten. Sie hatte zwar von seinen Plänen gehört, irgendwann nach Fort Sill, in das Reservat aufzubrechen, doch nicht gedacht, dass das so schnell sein würde. Die entsetzliche Nachricht, dass einige vom Volk im letzten vollen Mond dorthin gebracht wurden, stammte von den drei Comancheros. Nun wollte Icy-Wind mit eigenen Augen sehen, wie ihre Verwandten dort lebten.

„Diese Sorge kann ich dir nehmen, Icy-Wind. Summer-Rain nimmt eine ganz andere Richtung als du.“ Antelope-Son, der seine Worte gehört haben musste, lachte dröhnend. So alt er auch inzwischen geworden war, seinen Humor hatte er noch immer nicht verloren. „Sie wird deinen Weg nicht kreuzen“, fuhr er fort, sich in die Runde drehend, damit auch ja niemand das, was er zu sagen hatte, verpasste. „Deine Füße und deinen verschrumpelten Arsch musst du dir also schon selbst wärmen.“

Jeder, der das hörte, schmunzelte in sich hinein. Manch einer verbiss es sich, hochzuschauen. Doch Antelope-Son setzte noch eins drauf. „Oder willst du etwa Dark-Night auf deine Wanderung mitnehmen?“

Icy-Wind zog seine Stirn erbost zusammen, während er sich ganz langsam zu dem alten Mann umdrehte. „Warum sollte ich mich mit ihr belasten? Hier, unter deinem Schutz, Antelope-Son, ist sie besser aufgehoben.“

„Ah, das sollte mir nicht schwer fallen, Mann von drei Frauen. Äh, entschuldige, von zwei Frauen – die schwerer zu bändigen sind als zweijährige Mustangs. Stell die eine ruhig unter meinen Schutz. Vielleicht bist du ja dann endlich, wenn du zurückkommst, Vater eines strammen Jungen!“ Antelope-Son blickte sich Beifall heischend um. Sein Spott hatte genau ins Schwarze getroffen. Auf einmal herrschte betretenes Schweigen. Damit war er eindeutig zu weit gegangen. Man konnte vieles über Icy-Wind denken, doch es laut aussprechen? Noch dazu hier, wo alle versammelt waren?

Einer der jungen Krieger feixte. Es wurde schon lange über gewisse Vorgänge gemunkelt, die nicht sehr schmeichelhaft für Icy-Wind waren.

Dark-Night entpuppte sich als widerborstige, ungehorsame Frau, die sich ihm in vielen Dingen widersetzte. Das war allgemein bekannt. Allmählich wurde sie für ihn zu einer Last. Trotz seiner lauten, herrischen Art konnte er seine Schwierigkeiten mit ihr schlecht verheimlichen. Auch mit Crow-Wing kam sie nicht gut aus. Zwar konnte er sie hart bestrafen, ja, hatte sogar das Recht, sie bei schweren Verfehlungen zu töten; das blieb ihm als letzter Ausweg vorbehalten. Sollte er mit seiner dritten Frau wieder kein Glück haben, wäre das für ihn eine Katastrophe. So unbeherrscht Icy-Wind sein konnte, so weitblickend war er manchmal auch. Finge er jetzt hier, an diesem Ort, einen Streit mit diesem alten Mann an – wer weiß, wie das für ihn enden würde. Ohne auf die Worte von Antelope-Son einzugehen, verließ er hocherhobenen Hauptes das Tipi. Einige Männer blickten einander bedeutungsvoll an. Nur die Anwesenheit des Mädchens hielt sie davon ab, weitere Bemerkungen in dieser Richtung zu machen. Die meisten jedoch fanden es klug von Icy-Wind, das Tipi so zu verlassen. Nicht jeder hätte es über sich gebracht, diese Beleidigung hinzunehmen. Antelope-Son grinste noch immer. Dann gefror der Spott in seinem vernarbten, alten, runzligen Gesicht. Die Blicke, die ihm begegneten, waren alles andere als freundlich. Niemand lachte. Doch über das, was er von sich gegeben hatte, würde man noch in vielen kalten Nächten am Feuer reden und Mutmaßungen anstellen – alles auf Dark-Nights Kosten.

Summer-Rain wusste es besser. Voller Schrecken dachte sie an ihren Bruder, der noch immer nicht von ihr lassen konnte. Mehrmals hatte sie ihn dabei beobachtet, wie er auf heimlichen Wegen das Lager verließ. Zuerst tat er so, als wollte er zur Pferdeherde, doch dann änderte er seine Richtung und tauchte im Dickicht des Flusses unter, war verschwunden, wohin auch immer. Manchmal sah sie ihn von den gegenüberliegenden Hügeln herkommen. Er war so geschickt, dass er immer einige seiner Mustangs bei sich behielt, so dass niemandem etwas auffiel. Bis auf Summer-Rain. Sie wusste inzwischen, worauf sie achten musste. Sicher traf er sich irgendwo mit Dark-Night. Wenn man die beiden bei ihren heimlichen Treffen erwischte – nicht auszudenken. Anscheinend aber machte ihnen diese Gefahr nichts aus. Unmöglich zu sagen, wie lange das noch gutgehen würde. Diese Gedanken gingen Summer-Rain durch den Kopf, während sie sich unsicher umblickte. War sie endlich entlassen? Konnte sie gehen? Oder würde sich noch ein Mann einbilden, ihr gute Ratschläge mit auf den Weg geben zu müssen?

Ohne sich weiter um die pfeiferauchenden Männer zu kümmern, die immer noch schwatzend auf ihren Plätzen saßen, ging sie auf den Ausgang zu. Doch bevor sie ihn erreichen konnte, wurde die Klappe zur Seite geschlagen und Storm-Rider schlüpfte herein. Unwillkürlich erstarrten beide. Summer-Rain ging sein Anblick durch Mark und Bein. Mit ihm hatte sie am allerwenigsten gerechnet. Für einen kurzen Moment war sie völlig verunsichert. Storm-Rider musste es ähnlich ergehen. Einen Herzschlag lang sahen sie sich an. Es schnürte ihnen beiden die Kehlen zu.

Dann war es vorbei. Storm-Rider ging wortlos links um das Feuer herum, ohne auch nur jemanden zu beachten. Als er wieder zu sich kam, stand er vor einem der jungen Männer, ohne eigentlich zu wissen, warum. Summer-Rain schlug die vor ihrer Nase zugefallene Klappe wieder zur Seite und stolperte hinaus. Der kalte Wind brachte Schnee mit sich, wehte ihr die Haare ins Gesicht. Sie griff nach dem Silberreif, der an ihrem Handgelenk hing, als müsse sie sich daran festhalten. Dann atmete sie tief durch. Bevor sie sich weitere Gedanken machen konnte, sah sie Großmutter mit Moon-Night auf sich zukommen. Die beiden Frauen trugen Decken und Felle unter den Armen, hinter ihr erschien ihr Bruder mit ihrem Lieblingspony Storm-Cloud im Schlepp. Nachdem er ihr das Pony übergeben hatte, tätschelte er ihr unbeholfen den Arm, nickte, dann verschwand er wieder. Wehmütig blickte Summer-Rain ihm nach. Die braun-weiß gefleckte Stute stand geduldig still, bis alles auf ihrem Rücken verstaut war. Großmutter stopfte den einzigen eigentlich überflüssigen Gegenstand, den ihre Enkelin mitnehmen wollte, in eine der Satteltaschen. Es war ein kleines Kissen aus Pferdehaaren, das das Mädchen Storm-Cloud im vergangenen Frühling aus dem Winterfell gekämmt hatte. Inzwischen zäumte Summer-Rain die Stute auf. Dafür zog sie ihr einen geflochtenen Lederriemen über die Zunge, um ihn dann unter dem Kinn zu verknoten. Sie benutzte nur einen einzigen langen Zügel, den sie an der linken Seite des Ponys befestigte und ihn ihr einfach über den Widerrist warf. Einem Ersatzpferd, ebenfalls eine Stute, wurden weitere Packen aufgebunden.

Moon-Night reichte ihr ein kleines Päckchen mit Proviant. Großmutter ließ es sich nicht nehmen, ihr auch noch eines hinter den Sattel zu schieben. Sie verwandten die größte Umsicht auf ihre Ausrüstungsgegenstände. Unterdessen zog sich Summer-Rain einen warmen Umhang aus weichem, gegerbtem Büffelfell, der ihr bis zu den Knien reichte, über ihre Kleidung. Dann noch einen Umhang mit einer daran angenähten Kapuze aus Wolfspelz, die ihr Gesicht umrahmte. Nachdem sie die letzten Sachen eben noch in den Satteltaschen des Packpferdes verstaut hatte, war nichts mehr zu tun.

Unschlüssig standen Moon-Night und Großmutter neben den Pferden. Hatten sie an alles gedacht? War das Mädchen mit allem Notwendigen ausgestattet? Besonders Großmutter betrachtete immer wieder besorgt die Satteltaschen und ging in Gedanken den Inhalt noch einmal durch.

Summer-Rain wurde langsam ungeduldig. In wenigen Worten hatte sie die beiden Frauen eben noch über den Entschluss der Männer, dass die drei Comancheros sie begleiten sollten, informiert. Großmutter konnte ihre Entrüstung nicht verbergen. Besonders die Tatsache, dass sie für ihre Leistung bereits im Voraus mit Fellen bezahlt worden waren, fand ihre Missbilligung. Sie kannte diese mexikanischen Händler zur Genüge und hegte gewisse Zweifel an ihrer Redlichkeit. Doch was sollte sie jetzt noch dagegen unternehmen? Die Sache war ja bereits von den Männern beschlossen.

Während sie noch laut ihre Meinung darüber kundtat, kam einer der Comancheros aus dem Tipi. In ihrer Schimpftirade innehaltend, warf sie ihm einen bösen Blick zu. Er wunderte sich zwar, kümmerte sich aber nicht darum.

Antelope-Son stieg aus der Klappe, auch zwei jüngere Krieger. Ihnen dicht auf den Fersen folgten die beiden anderen Comancheros. Schwatzend, ohne auf die Frauen zu achten, schritten sie an ihnen vorbei. Die Gesichter der Händler strahlten Zufriedenheit aus, endlich konnten sie das Lager verlassen. Der, der zuerst herausgekommen war, hatte sich wegen der herrschenden Kälte eine warme Decke um die Schultern geschlungen. Jetzt drehte er sich nach Summer-Rain, die neben ihrem Pferd stand, um. „Wir reiten sofort los“, brüllte er. „Unsere Pferde sind bereits gesattelt; du folgst unseren Spuren, sofort!“ Damit war für ihn die Sache erledigt.

Großmutter, die ihn wütend gemustert hatte, wandte sich an ihre Enkelin. „Diesen dreckigen, verlausten Männern folgst du keinen einzigen Schritt. Lieber lasse ich zu, das die Wölfe dich fressen.“

„Macht euch keine Sorgen um mich“, beruhigte Summer-Rain sie. „Ich habe nicht vor, diesen Abschaum zu begleiten.“

Die Comancheros waren bereits in Richtung des Tipis, das sie als Gäste bewohnten, verschwunden. Plötzlich tauchte Light-Cloud wie aus dem Nichts heraus auf. Summer-Rain hatte schon gedacht, das vorhin wäre sein Abschied gewesen. Seiner Schwester flüchtig auf die Schulter klopfend, trat er wieder einige Schritte zurück. „Sieh zu, Kleines, dass du dich unterwegs nicht verirrst – und lass dich nicht von den Wölfen fressen“, sagte er, mit einem gespielt bösen Blick zu Großmutter hin. „Ich will dich heil wieder hier haben. Also, mach dich endlich auf den Weg!“ Allzu gern hätte er sie hier an Ort und Stelle in die Arme genommen und an sich gedrückt. Natürlich durfte er das nicht. So blinzelte er ihr nur verschwörerisch zu, drehte sich von ihr weg, schnappte sein Pferd und machte, dass er wieder fortkam. Großmutter schüttelte den Kopf. ‚Dieser große Junge‘, dachte sie wehmütig. Er war ihr immer ein guter Bruder gewesen.

Inzwischen hatte ein leichtes Schneetreiben eingesetzt. Moon-Night legte der alten Frau tröstend einen Arm auf die Schulter. Sie verstand den Schmerz, den sie fühlte. Es hatte auch in ihrem Leben schon mehr als genug Abschiede gegeben. Inzwischen liefen der alten Frau die Tränen unaufhaltsam über das runzlige Gesicht. „Pass auf dich auf, Kleines, pass ja auf dich auf“, brachte sie nur immer wieder hervor, bis Summer-Rain sie in die Arme nahm. Sich zu einem Lächeln zwingend, flüsterte sie ihr Kosenamen zu. Als alles nichts nützte, wurde sie ernst. „Sei nicht traurig, Großmutter“, hauchte sie mit einem Kloß im Hals. „Wenn das Büffelgras wächst, bin ich doch wieder bei dir.“ Zu mehr war sie nicht fähig. Ein letztes Mal nahm sie die alte Frau in die Arme, tätschelte ihren knorrigen Rücken, dabei Moon-Night einen Blick zuwerfend. Stumm bewegte sie ihre Lippen zu ihr hin: Pass bitte gut auf sie auf.

Die Frau von Red-Eagle nickte mit geschlossenen Augen, dieses Versprechen tief in sich aufnehmend. Als sie sie wieder öffnete, hatte sich Summer-Rain von Großmutter gelöst und stand neben ihrem Pferd. Das Ersatzpferd, das mit einem Riemen an Storm-Cloud befestigt war, zu sich heranziehend, überprüfte sie den Sitz der Packen. Einen letzten abschiednehmenden Blick aus blauen Augen zu Großmutter hin, dann lächelte sie Moon-Night an, die verstehend nickte. Storm-Cloud prustete in den von Schnee freigelegten Boden. Seitlich von ihr bemerkte Summer-Rain, dass jemand die Klappe des Beratungstipis öffnete und umständlich herausstieg. Sie legte eine Hand über den Widerrist ihrer Stute, griff in ihre helle Mähne und zog sich in den Sattel hoch. Schneeflocken tanzten vor ihren Augen, setzten sich rings um ihre Pelzkapuze und rahmten ihr Gesicht ein. Während sie den Zügel aufnahm, traf ihr Blick in die dunkel umschatteten Augen Storm-Riders. Es gab ihnen beiden einen Stich ins Herz. Er wandte sich ab. Langsam, mit gesenktem Kopf, stapfte er durch den Schneematsch davon und sah sich nicht mehr um.

Comanchen Mond Band 1

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