Читать книгу Tränen einer Braut: 3 Romane - G. S. Friebel, Hendrik M. Bekker - Страница 9

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Sie alle, die Elvira umstanden, kamen aus dem tiefsten Milieu. Und oft waren es Grausamkeiten der Eltern, die sie auf diesen Hafenstrich getrieben hatten. Darum empfanden sie im Augenblick so etwas wie Mitleid.

»Ich hielt es zu Hause nicht mehr aus«, stotterte sie. »Aber ich bin nicht geschlagen worden, nein, das nicht.«

»Aber die müssen doch irgendetwas getan haben, verdammt noch mal.«

»Immer haben sie mich bevormundet«, sagte sie kleinlaut und hastig. »Und dann musste ich jeden Tag zur Bank. Das war einfach grässlich.«

»Zur Bank?«, riefen die Mädchen. »Soll das vielleicht heißen, die Alten haben dich angelernt, bei der Bank zu klauen? Mann, den Trick musst du uns verraten! Die passen doch auf wie Schießhunde. An deren Geld kommt man doch nur ran, wenn man nachts einsteigt. Ich glaube, Kleene, du willst uns verulken, wie? Los, jetzt, red mal endlich.«

»Nein!«, rief Elvira. »Doch nicht klauen! Um Gottes willen, das doch nicht! Wo mein Vater doch Richter ist!«

Sofort gingen die Dirnen einen Schritt zurück. »Verflixt, was ist dein Alter?«

»Richter«, stammelte Elvira, die schon ganz durcheinander war. Sie verstand nur noch die Hälfte von dem, was die Mädchen sagten.

Hui, mit einem Richter war nicht gut Kirschen essen, und sie war die Tochter!

»Hör mal, und was war jetzt mit der Bank?«

»Ich war dort angestellt. Aber es hat mir nicht gefallen, ehrlich nicht. Deshalb bin ich fortgelaufen. Ich will jetzt hier in Hamburg eine neue Stelle suchen.«

»Als Bankangestellte?«

»Nein!«, schrie sie ihnen fast ins Gesicht.

Für Minuten war es ganz still geworden. Die Dirnen sahen sich erstaunt an. Das ging einfach über ihre Hutschnur. Sie hatten von zu Hause fortgehen müssen  entweder, weil man sie unmenschlich geprügelt hatte, der Alte sich an ihnen vergriffen hatte, oder weil es mit dem Essen eben knapp war. Man musste selbst sehen, wie man zurechtkam, und so ging man denn auf den Hafenstrich. Anderswo durften sie ja nicht stehen.

Doch während sie hier standen und dem ältesten Gewerbe der Welt nachgingen, sehnten sich die Mädchen nach einem gutbürgerlichen Leben, mit allem Drum und Dran. Aber sie wussten auch, dass derjenige nie aufsteigen konnte, der einmal in der Gosse war.

Und jetzt kam dieses Mädchen, hatte all das, wonach sie sich sehnten, und warf das einfach über Bord  weil es das Leben zu spießig fand, weil es etwas erleben wollte, sich nicht mehr den Eltern fügen wollte.

Noch immer starrten sie Elvira entgeistert an.

»Du bist verrückt«, keuchte eine. »Du weißt ja nicht, was du sagst. Wenn du nur ein paar Tage hier bist, dann heulste nach Mama und Papa, aber dann wollen deine Alten dich nicht mehr haben. Mensch, verdufte, bevor es zu spät ist.«

»Ich gehe nie mehr zurück« sagte sie trotzig. »Ich bin groß genug, um für mich selbst zu sorgen.«

»So, das kannst du also«, meinten sie zynisch. »Dann haste wohl vorher die Bank ausgeraubt, wie? Dann ist das natürlich etwas anderes, wenn du nicht mehr zurückwillst.«

»Ich habe hundert Mark in der Tasche. Und vorhin habe ich schon mal gesagt, dass ich arbeiten will!«, rief sie hitzig. »Ich habe euch nicht um euren Rat gebeten.«

»Das ist wirklich ein starkes Stück! Mann, wir sollten sie an ihren Hammelbeinen nehmen und in die Elbe werfen«, fluchten sie. »Vielleicht wird sie dann ein wenig kleiner.«

»Bringen wir sie doch zu Albert«, sagte eines der Dirnchen. »Der wird schon wissen, wie man am besten mit ihr verfährt. Ihr habt ja gehört, sie will unbedingt arbeiten. Albert hat gestern noch gesagt, er brauche jemanden.«

»Na klar, hab ich auch gehört! Wenn wir dem einen Gefallen tun, dann haben wir bei ihm wieder einen Stein im Brett. Dann kann er uns nicht einfach rausschmeißen.«

»Los, gehen wir, bevor sie sich’s noch anders überlegt.«

Elvira wurde am Arm gefasst und mitgeschleppt.

»He, was habt ihr vor? Wohin bringt ihr mich?«, protestierte sie laut.

»Wir beschaffen dir Arbeit. Danach schreist du doch die ganze Zeit.«

»Ehrlich?«, rief sie hocherfreut. »Ihr seid wirklich nett.«

Das hatte schon lange keiner mehr zu ihnen gesagt. Die Dirnen fühlten sich ganz hoch oben.

Tränen einer Braut: 3 Romane

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