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Die Outlaws

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Landwein ist die unterste Kategorie im deutschen Weinrecht. Doch eine Reihe von Topwinzern trägt den Begriff wie eine Auszeichnung auf ihren Etiketten. Die Geschichte einer Rebellion.


Ein Landwein mit 100 Punkten: Das schaffte Hanspeter Ziereisen.

© SIMON HAVLIK

Es war das erste Jahr, in dem Hanspeter Ziereisen zufrieden mit seinem Gutedel war. Endlich hatte er einen Weißwein kreiert, der nicht so schmeckte wie alle anderen. Jahrelang hatte er herumexperimentiert, 2004 war der Wein dann so, dass er ihn gut fand: spontanvergoren, unfiltriert, mit langer Reifezeit im Barriquefass. Genau so sollte er in den Verkauf gehen, also schickte Ziereisen drei Flaschen zur Prüfung ins Weinlabor. Als er wenige Wochen später den Brief der Prüfbehörde öffnete, verstand er die Weinwelt nicht mehr: Der Wein war als Qualitätswein abgelehnt worden. Er sei untypisch für einen Gutedel und zudem noch trüb; damit eindeutig kein Qualitätswein. „Da war für mich klar: Das System sorgt für Uniformität. Das ist Irrsinn“, sagt Ziereisen heute.

Die amtliche Prüfung soll die Qualität deutscher Weine sicherstellen. Wenn ein Wein sie besteht, bekommt er eine Amtliche Prüfnummer und darf als Qualitätswein vermarktet werden. 98 Prozent aller Weine aus Deutschland laufen unter dieser Kategorie. Doch in den vergangenen Jahren wurden auch zahlreiche Weine abgelehnt – wie eben die von Hanspeter Ziereisen, der zu den besten Winzern Deutschlands zählt und mit seinem Gutedel „Jaspis 10hoch4“ zuletzt 100 Punkte im Gault&Millau erreichte. Ob Weingut Beurer aus dem Remstal, die badischen Biopioniere Pix oder die Weinfamilie Fendt in Leinfelden-Echterdingen: Sie alle machen Weine, die von Kritikern wertgeschätzt werden und trotzdem nicht Qualitätswein heißen dürfen. Weine, die sich in den Restaurants dieser Welt wiederfinden, aber nicht im deutschen Qualitätssystem. So hat sich jenseits der etablierten Weinbranche eine kleine renommierte Szene entwickelt: die der Landwein-Winzer.

Ziereisen ist ein badischer Winzer in Wanderschuhen, der immer ein bisschen ungeduldig wirkt, ganz so als ob er permanent etwas zeigen möchte. Er spricht schnell mit dem kehligen Akzent der Markgräfler im Dreiländereck. Wäre es nach ihm gegangen, hätte Ziereisen die lokale Rebsorte längst aus seinen Weinbergen verbannt. Es war seine Frau Edeltraud, die ihn überredete, am Gutedel festzuhalten. Also machte Ziereisen ihn wenigstens, wie es ihn interessierte, und das war vollkommen anders als die Gutedel, die man bis dahin kannte. Auch in der Prüfbehörde. Wolfgang Egerer leitet die Qualitätsweinprüfung beim Staatlichen Weinbauinstitut. „Die Prüfung ist eine Maßnahme des Verbraucherschutzes. Wir wollen fehlerhafte Weine identifizieren und sicherstellen, dass die Qualität im Glas stimmt“, sagt er. Egerer begutachtet Analysen, kontrolliert Grenzwerte, prüft die Klarheit. „Das Herzstück ist jedoch die sensorische Prüfung“, sagt er. Ein vierköpfiges Team untersucht die Weine entsprechend ihrer Bedingungen wie Rebsorte oder Herkunft. Die meisten Weine würden abgelehnt, wenn sie einen Böckser oder untypische Alterungsnoten haben. Oder wenn die Prüfer im Wein andere sensorische Mängel empfinden. Doch was manch Winzer als seine Handschrift betrachtet, kann für Prüfer ein sensorischer Fehler sein. So war der Gutedel von Ziereisens vollkommen anders als die vielen anderen primärfruchtigen Gutedel aus dem Markgräfler Land. Der Winzer ist überzeugt: „Die Prüfer wollen einen bestimmten Baden-Typen, als ob ein Gutedel aus der Ortenau gleich wie vom Bodensee wäre. Wer dem nicht entspricht, fällt durch, und die meisten passen sich an“, sagt Ziereisen. „Die Weine werden aus meiner Sicht total geglättet, die Regionalität geht verloren.“


Viele Landweine sind so deklariert, weil sie es nicht durch die amtliche Prüfung zum Qualitätswein schaffen würden. Warum? Einfach nur, weil sie anders sind.

© SIMON HAVLIK


Provokation tut der Weinwelt gut!

PROBIERENSWERTE LANDWEINE

2016 Chardonnay Jaspis

Ziereisen (Baden)

98 Punkte

69,80 €

2017 Grauburgunder Harte Erde

Zalwander (Baden)

94 Punkte

22 €

2016 Pinot Noir

Premium Scheuermann (Pfalz)

93 Punkte

35 €

2017 Grauer Burgunder – vogelfrei –

Poss (Nahe)

92 Punkte

35 €

2018 Riesling Frau Ehrhard natürlich

Carl Ehrhard (Rheingau)

92 Punkte

16 €

2018 Chardonnay R Nature

Seckinger (Pfalz)

92 Punkte

12,50 €

2017 Riesling Quo Vadis

Tomislav Markovic (Baden)

92 Punkte

18 €

2017 Grauburgunder Titus

Pix (Baden)

91 Punkte

24,50 €

Es sind vor allem Weine wie die von Volker Benzinger, die in der amtlichen Prüfung keine Chance haben. Der Pfälzer Winzer baut mittlerweile ein Fünftel seiner Weine ohne Additive aus: Sie sind ungeschwefelt, ungefiltert, manche direkt maischevergoren. „Solche Weine passen nicht in das System der Qualitätsweinprüfung, allein deshalb, weil sie leicht trüb und nicht so fruchtig sind“, sagt er. Während er seine Naturweine als Landwein vermarktet, bekommt seine Basislinie problemlos die Prüfnummer. Benzinger ist deshalb davon überzeugt: „Die Prüfung klappt nur, wenn die Weine dem Mainstream entsprechen.“ Ziereisen hat sich gegen die Anpassung entschieden. Seit 15 Jahren vermarktet er ausschließlich Landweine. „Anfangs hatten wir natürlich Angst, dass wir unsere Weine nicht verkaufen, wenn sie keine Qualitätsweine sind“, sagt Edeltraud Ziereisen. Doch je unbeliebter die Weine bei den Prüfern, desto renommierter wurde der Winzer. Im vergangenen Jahr erreichte Ziereisens „Jaspis 10hoch4“ die sensationelle Wertung von 100 Punkten. Der erste deutsche 100-Punkte-Wein, der nur als Landwein vermarktet werden darf.


Der Badische Landweinmarkt: ein Event rund um diese Weinkategorie – und eine Riege von Spitzentropfen ohne amtliche Prüfnummer.

© SIMON HAVLIK

Eine Motivation für alle, die ebenso Weine machen, die nicht ins Raster passen. So wie Hannes Pix vom Kaiserstuhl. „Jeder Winzer hat seine Handschrift, Wein ist eine so individuelle Geschichte. Und ich finde das schwierig, wenn Weine als untypisch gelten, nur weil sie individuell sind“, sagt der Jungwinzer. Weine wie sein Grauburgunder: Pix hat ihn auf der Maische kaltmazeriert, sodass er heute mit rötlicher Farbe und kräftiger Gerbstoffstruktur ins Glas kommt. „Gerade wenn Winzer versuchen, innovativ zu sein und neue Wege gehen, werden die Weine abgelehnt. Deshalb hat es uns sehr geholfen, dass es Vorreiter gab, die uns Mut gemacht haben, auf die Prüfung zu verzichten“, sagt Pix.

Im Frühjahr hat sich die Szene zum 3. Badischen Landweinmarkt getroffen, eine Mischung aus Hipstern, Ökopionieren und Querköpfen. Hier wurde klar: Die Individualisten haben einige Gemeinsamkeiten. Viele arbeiten biologisch oder biodynamisch oder versuchen den Technikeinsatz zu minimieren. Sie geben ihren Weinen Zeit und bringen sie erst nach Jahren der Reife auf den Markt. Sie lassen sich eben nicht hetzen. „Landwein bedeutet für mich Individualität und Charakter. Doch vor allem bedeutet Landwein für mich: Freiheit“, sagt Ziereisen. So hat er sich längst vom Stress der Qualitätswein-Bezeichnung befreit. Er stellt mittlerweile gar keine Weine mehr zur Prüfung an.

Katharina Matheis

Gault&Millau Weinguide Deutschland 2020

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