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Paul Heyse.
(1875.)
VIII

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Heyse's Dramen sind höchst verschiedenartig: bürgerliche Tragödien, mythologische, historisch-patriotische Schauspiele von sehr verschiedener Kunstrichtung; sein Talent ist so biegsam, dass er sich an jede Aufgabe wagen darf. Einen starken Drang zum Historischen hat Heyse nicht gehabt; die geschichtlichen Dramen sind alle einem patriotischen Gefühl entsprungen und wirken am meisten durch dies Gefühl. Die für den Dichter bezeichnendste von diesen Dramengruppen ist die, welche antike Stoffe behandelt. Zu der Zeit, da man überall in dem höheren Schauspiel politische moderne Action verlangte, hat man in Deutschland über diese Beschäftigung mit altgriechischen und römischen Stoffen unverständig lamentirt oder gespottet. Man fragte, was in aller Welt den Dichter und uns an einem Gegenstande wie Raub der Sabinerinnen oder Meleager oder Hadrian zu interessiren vermöchte. Für den, welcher kritisch liest, ist es klar genug, was Heyse zu diesen Sujets hat hinziehen können. Sie verkörpern ihm seine Lieblingsideen über Frauenliebe und Frauenloos, sein eigenes Wesen spiegelt sich in ihnen. Wer das heissblütige Drama „Meleager“ mit Swinburne's „Atalanta in Kalydon“, das denselben Stoff behandelt, vergleichen will, wird zu manchen interessanten Beobachtungen über die Eigenthümlichkeit der beiden Dichter Anlass finden. „Hadrian“ hat wol am meisten die Kritik verwirrt. Was den Dichter zu einem uns so fremdartigen, noch dazu an die Schattenseiten des antiken Lebens erinnernden Verhältniss, wie dem zwischen Hadrian und Antinous locken könnte, schien fast unbegreiflich. Ich betrachte unter Heyse's Dramen „Hadrian“ als eins der besten, und zwar weil dies Stück das persönlichste und am tiefsten empfundene ist. Es ist mir unmöglich gewesen, diese Tragödie von dem jungen, schönen Aegypter, der, vom Weltbeherrscher so leidenschaftlich geliebt, von aller Herrlichkeit und Pracht des Hofes umgeben, frei in jeder Hinsicht, nur an seinen kaiserlichen Bewunderer gebunden, nach vollständiger Freiheit schmachtet, zu lesen ohne an einen gewissen jungen Dichter zu denken, der, schon in frühester Jugend an einen süddeutschen Hof berufen, bald der Liebling eines liebenswürdigen und verständigen Königs, als Günstling des Glückes beneidet ward, und doch heimlich in manchem Augenblick sich weit weg vom Hofe wünschen und in mancher gebundenen Stunde es fühlen musste, wie wenig selbst die Gunst des besten Herrn die Freiheit des ganz Unbeschützten aber ganz Unabhängigen aufwiegt.

In diesem Drama ist ausnahmsweise alles Scenische von der höchsten Wirkung. Die eigentliche Ursache, warum Heyse bei seiner grossen Befähigung für die Bühne doch sonst nicht entschieden durchdrungen hat, ist vielleicht die, dass er das eigentliche deutsche Pathos, das Schiller'sche, nicht besitzt. Erst wenn ein Pathos gebrochen, wenn das Pathetische halb pathologisch ist, vermag er es mit voller Ursprünglichkeit zu behandeln. Das dramatische Pathos aus voller Brust wird bei ihm leicht unkünstlerisch-national, patriotisch und ein bisschen alltäglich. Hierzu kommt, dass die Darstellung der eigentlich männlichen Action nicht seine Sache ist. In wie hohem Grade er auch in seiner Poesie über die passiven Eigenschaften des Männlichen, wie Würde, Ernst, Ruhe, Unverzagtheit, gebietet, es fehlt doch ihm, wie Goethe, ganz das active Moment. Ein kräftig eingreifendes Handeln, das ein Ziel verfolgt, ist so wenig der Kern seiner Dramen wie seiner Novellen und Romane. Kommt ab und zu eine energische Handlung vor, so geschieht sie aus Verzweiflung oder Wuth: das Individuum ist in eine Enge getrieben, wo es keinen andern Ausweg erblickt als den, das Aeusserste zu wagen. (Man vergleiche die Handlung des jungen Försters in „Mutter und Kind“, als er den Sohn seiner Geliebten raubt, oder die Entführung in „Das Bild der Mutter“.) Im „Paradiese“ ist die Scene, wo Jansen in seiner Erbitterung über all' die Halbheiten, in denen er sein Leben verbracht hat, die Modelle seiner Heiligen zu Scherben schlägt, ein gutes Beispiel. Es war unmännlich von Jansen, eine Heiligenfabrik zu unterhalten – die ganze Idee ist als flüchtiger Scherz amüsant, lässt sich aber nicht festhalten, ohne den Charakter zu entstellen – es ist indess noch unmännlicher, ja weibisch gehandelt, seinen Zorn über die todten Gypsgestalten ausgehen zu lassen. Obwohl nun aus dem angeführten Grund der eigentliche dramatische Nerv wohl immer Heyse's Arbeiten fehlen wird, sind die Hindernisse, die sich dem entscheidenden Erfolg des Dichters auf der Bühne in den Weg stellen, nicht so bedeutend, dass er sie nicht mit der Zeit überwinden und einen scenischen Triumph feiern könnte. Vorläufig ist er vor einigen Jahren zur allgemeinen Verwunderung in einer Dichtungsart aufgetreten, die ihm ganz fern zu liegen schien, in der er aber in kurzer Zeit einen grossen Erfolg errang.

Es ist noch in frischer Erinnerung, welches Aufsehen die „Kinder der Welt“ in Berlin erweckten, als der Roman zuerst in der „Spener'schen Zeitung“ erschien. Man sprach einen Monat lang überall von diesem Feuilleton. Plötzlich hatte der unschuldige, dem Weltleben entfremdete Novellist sich als ein rein moderner Geist enthüllt, der einen philosophischen Roman mit Hölderlin's Worten schloss:

Verlass mit Deinem Götterschilde,

Verlass o Du, der Kühnen Genius,

Die Unschuld nie!

Man hatte offenbar bisher übersehen, dass durch Heyse's einschmeichelnde Poesie ein heftiger Freiheitsdrang ging, eine völlige Unabhängigkeit von Dogmen und conventionellen Banden. Darum wurde man jetzt viel mehr als es sich gebührte, überrascht. Der Dichter ist von gemischter Herkunft: von seinem germanischen Vater hat er das Positive in seinem Wesen, die Fülle und Schönheit des Gemüthes geerbt, von der Mutter, die Jüdin war, eine kritische Ader. Zum ersten Male wurden beide Seiten seines Wesens dem grossen Publikum offenbart. Es musste eine bedeutende Wirkung auf die Gemüther machen, dass dieser Fabius Cunctator, der sich so lange von den Problemen der Zeit fern gehalten hatte, jetzt den Augenblick gekommen fühlte, um seine Position unter denen einzunehmen, die den Kampf der Zeit kämpften. Der Roman ist ein würdiger und vornehmer Protest gegen die, welche noch in unseren Tagen die Denk- und Lehrfreiheit fesseln wollen. Er hat alle Polemik gegen die Dogmen hinter sich. Er lässt alle Hauptpersonen mit klarem Bewusstsein in der Atmosphäre freier Ideen leben, welche die Lebensluft der neuen Zeit ist. Es ist eins von den Werken, welche die Innigkeit eines lange zurückgehaltenen, spät gereiften persönlichen Bekenntnisses haben, und darum eine Lebensfähigkeit besitzen, der keine formelle Ungeschicklichkeit, kein formeller Mangel Abbruch thun kann. Es fehlt dem Buch als erstem Versuche Manches dazu, ein echter Roman zu sein: es gebricht, wie zu erwarten war, dem Helden an Entschlossenheit, an activer Manneskraft; das Buch sammelt sich nicht um ein einzelnes, unbedingt herrschendes geistiges Interesse; die Alles verschlingende Erotik lässt die Idee nicht klar und central, wie sie vom Dichter gedacht ist, hervortreten. Die entscheidende Wendung des Buches scheint hervorzustehen, wo Franzelius nach Balder's Beerdigung auf die Denunciation Lorinser's in's Gefängniss geworfen worden ist. Hier sagt Edwin ausdrücklich:21 „Sie wollen den offenen Krieg, sie fordern ihn selbst heraus, und es wird nicht eher Frieden geben, bis man ihn ehrlich durchgefochten hat“. Aber der offene Krieg bleibt aus, Edwin und die ganze kleine Schaar der Hauptpersonen begnügen sich mit der Defensive, und als Edwin endlich mit seinem epochemachenden Werke fertig wird, ist der Roman zu Ende. – In nahem Zusammenhang mit diesem Mangel steht die zu grosse Weichheit der Gefühle in den Partien, die von Balder handeln. Das strenge Beobachten von Mass und Grenze, das Heyse's Novellen auszeichnet, wird hier vermisst. Aber wie wäre es möglich, dass grosse Vorzüge bei einer so umfangreichen Arbeit nicht durch einige Mängel erkauft würden! Nicht allein haben die feinen Frauengestalten hier dieselben Vorzüge, wie in den Novellen: der Dichter hat hier noch dazu sein Gebiet in hohem Grade erweitert; eben die am wenigsten idealen Figuren: Christiane, Mohr, Marquard, sind am besten gelungen. Und welche Strömung echter allseitiger Bildung enthält er! Es ist nicht nur ein muthvolles, es ist ein erbauliches Buch.

Bei den einzelnen schmutzigen Angriffen, die es seinem Verfasser zugezogen hat, will ich nicht verweilen. Die Denunciationen in ein paar deutschen Winkelblättern interessiren mich nur, weil der norwegische Uebersetzer von Goethe's „Faust“ einen dieser Schmähartikel, der den Inhalt des Buches so wiedergab, als handle es sich darin um lauter roheste Sinnlichkeit, mit einer Einleitung abdrucken liess, die alle norwegischen Familienväter warnte, das Buch über ihre Schwelle kommen zu lassen22.

Auf einen kleinen Hieb von Frankreich aus musste Heyse füglich gefasst sein. Er käme nicht unverdient: denn die in seinem Roman vorkommenden Aeusserungen über französische Literatur und Geistesrichtung sind ganz im Stil der üblichen deutschen Anschauung gehalten; aber der Hieb hätte ritterlicher und geschickter ausfallen sollen als der, vom Nationalhasse und Selbsterhaltungstriebe dictirte, sehr unedle und beschränkte Artikel von Albert Réville in der „Revue des deux mondes“.

Die Freiheit des Gedankens war die Grundidee der „Kinder der Welt“. Die Sittenfreiheit ist der Grundgedanke des Romans „Im Paradiese“, doch nicht so, dass er unbedingt als Vertheidigungs-Eingabe zu betrachten sei; denn wenn die Gedankenfreiheit als unbedingt behauptet werden muss, so ist die Freiheit der Sitten doch nur relativ, und der Dichter hat ihnen nicht mehr als eine relative Freiheit behaupten wollen. „Im Paradiese“ ist aber auch ein Werk von ganz anderer Art als der erstere Roman. Schon der Umstand, dass jener im verstandesscharfen Berlin, dieser im heiteren und sinnlichen München vorgeht, deutet den Unterschied an. Während „Kinder der Welt“ ein philosophischer Roman genannt werden konnte, ist „Im Paradiese“ eine Art roman comique, leicht, graziös und voll mit Ernst gemischten Scherzes. Er hat vielleicht seinen grössten Werth als Psychologie einer ganzen bedeutenden Stadt und als Porträt ihrer gesellschaftlichen und künstlerischen Zustände. Ganz München ist in diesem Buche enthalten, und den Hauptplatz nimmt selbstverständlich das Künstlerleben der Kunststadt ein. Die Gespräche und Reflexionen über Kunst haben hier nicht das müssige und abstracte Gepräge wie in den gewöhnlichen Künstlerromanen; man fühlt, dass es kein Theoretiker sondern ein Kenner ist, der spricht, und ein wahrer Ateliergeruch ist über alle diese Partien des Buches verbreitet. Die ganze Aesthetik des Verfassers lässt sich in Ingres' alter Definition zusammenfassen: l'art c'est le nu.

Was die Schlingung und Composition der Handlung betrifft, bezeichnet „Im Paradiese“ einen unzweifelhaften Fortschritt. Das Interesse wird hier überall erhalten, und, was mehr ist, es ist immer im Steigen; ein Lob, das man „Kinder der Welt“ nicht spenden konnte. Ab und zu sind zwar noch die Mittel, die die Handlung vorwärts bringen, ein wenig ungeschickt benutzt. So ist besonders die ganze Rolle, die der Hund Homo als deus ex machina spielt, etwas stark übertrieben. Er erinnert mit seinem übermenschlichen Scharfblick an jene Löwen, welche die Sculptur der Zopfkunst mit menschlichen und majestätischen Gesichtern darstellte, von Mähnen umrahmt, die in Wirklichkeit Allongenperrücken allzu ähnlich sahen. Doch in deutschen Romanen ist nicht die Handlung, sondern die Charakteristik die Hauptsache, und in fast allen Nebenfiguren offenbart dieses Buch eine ganz neue Seite von Heyse's Talent. Gestalten wie Angelica, Rosenbusch, Kohle, Schnetz, haben ein spielendes, mannigfaltiges Leben, das von Heyse's Stilart sonst fast ausgeschlossen war. Heyse's Geist hat mit einem Wort Humor gewonnen, den Humor des reifen Mannesalters, der vierziger Jahre kann man vielleicht sagen; aber einen feinen, stillen Humor, der die Begabung des Dichters vervollständigt und seinen Farben den ächten Schmelz verleiht.

21

K. d. W. II, 265.

22

Hätte ein Kritiker dieses Schlages nicht seiner Zeit eine „Warnung“ vor Goethe's Faust ganz in demselben Stile verfassen können: „Der Inhalt dieses unsittlichen Werkes Ist folgender: Ein schon ziemlich bejahrter Arzt (Dr. med.) ist des Studirens müde und sehnt sich nach fleischlichen Lüsten. Zu dem Ende verschreibt er sich dem Teufel. Dieser führt ihn nach verschiedenen niedrigen Erlustigungen (die z. B. darin bestehen, halbbetrunkene Studenten noch betrunkener zu machen) zu einer jungen Bürgerstochter, die Faust (der Doctor) gleich zu verführen sucht. Ein Paar Rendezvous bei einer alten Kupplerin bahnen ihm den Weg dazu. Da die Verführung aber nicht schnell genug gelingt, gibt der Teufel Faust ein Juwelenkästchen, das er dem Mädchen schenken soll. Ausser Stande, diesem Geschenke zu widerstehen, also nicht einmal verführt, sondern erkauft, ergibt sich Gretchen Faust, und um desto ungestörter mit ihrem Galan zu sein, flösst sie ihrer alten Mutter einen Schlaftrunk ein, der dieselbe tödtet. Nachdem sie dann den Tod ihres Bruders verschuldet hat, bringt sie das Kind, die Frucht ihrer Schande, um. Im Gefängniss singt sie schmutzige Lieder. Dass ihr Verführer sie im Stiche lässt, kann Einen nicht wundern, wenn man seine religiösen Grundsätze vernommen hat. Er ist, wie die Scene, wo seine Donna ihn nach seinem Glauben befragt, deutlich beweist, kein Christ; ja, er scheint nicht einmal an einen Gott zu glauben, obschon er zu allerlei leeren Ausflüchten greift, um seinen vollständigen Unglauben zu verdecken. – Da dies lästerliche Buch trotzdem, wie wir zu unserer Verwunderung hören, Leser, ja sogar Leserinnen findet, und in den Leihbibliotheken unserer Stadt eine eifrige Nachfrage erfährt, so fordern wir alle Familienväter auf, über das Seelenheil der Ihrigen zu wachen, das eine so ruchlose Lectüre um so leichter gefährden kann, als eine glatte, einschmeichelnde Form die unsittlichsten Lehren umhüllt“.

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