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Max Klinger.
(1882.)
III

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Max Klinger ist in Leipzig am 18. Februar 1857 geboren. Er ist der Sohn einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie. Er studirte die Malerei in Carlsruhe und Berlin unter dem durch seinen energischen Realismus bekannten Maler Carl Gussow, aber ohne das lernen zu können, worin dieser Lehrer seine besondere Stärke hat: die genaue Wiedergabe des Modells. Er lernte niemals die äussere Wirklichkeit copiren: dafür war seine innere Welt zu eigenthümlich und zu reich. Sein Gedächtniss war so treu, dass es von Formen und Eindrücken überfüllt war, seine gnostisch sinnliche, ideen- und bildersprudelnde Einbildungskraft war felsenfest von ihrer innern Logik überzeugt. Wie bizarr sie sich auch im Schaffen äusserte und wie tollkühn sie auch mit einer Aufgabe tummelte, machte sie dennoch etwas in künstlerischem Sinne Vernünftiges daraus, und sein Stimmungsleben war so vollständig, so vielstimmig bewegt, dass jede seiner Schöpfungen auf die Nerven wirkte wie Musik, Stimmung in sich hatte und Stimmung mit sich brachte.

Der Stamm, aus dem diese fruchtbare Phantasie ihre Blüthen trieb, war ein fester, entschlossener und hartnäckiger Charakter, beharrlich in seinem Streben und in seinen Entschlüssen und bereit, Zeit, Kräfte, unbedingt Alles dafür zu opfern; er war ferner ein äusserst nervöses, bis zum Uebermass sensibles Temperament, eines jener Temperamente, welche die Leidenschaften bis auf den Grund erschüttern, doch nicht wie verheerende Stürme, sondern wie tropische Gewitter, nach denen das Erdreich doppelt üppig wuchert.

Im Frühling 1878 stellte Klinger eine Reihe von 8 Zeichnungen aus, welche die Geschichte Christi illustrirten. Obgleich diese Zeichnungen nicht zu Klinger's besten Arbeiten gehören, wohl zunächst deshalb, weil das Historische nicht sein Fach ist und weil die Aufgabe überhaupt zu gross für seine Jugend war, so wurden sie doch beachtet. Der damalige Kritiker der „Gegenwart“, einer von den Wenigen, die wirklich Kunstverständniss hatten, schrieb: Von der Ausstellung 1878 wird man in Zukunft sagen: „Hier stellte Max Klinger zum ersten Male aus“; und nicht lange danach wurden die Zeichnungen von der Nationalgalerie angekauft. Ihr Verdienst lag hauptsächlich in dem vollständigen, entschiedenen Bruch des Künstlers mit allen abgedroschenen Ueberlieferungen in der Behandlung der ursprünglich christlichen Typen. Mit jugendlichem Ernst suchte er seinen eigenen Weg.

Der Christustypus ist bei ihm unklar, verschieden in den verschiedenen Zeichnungen, weil er selbst über seine Grundauffassung noch unklar ist. Doch die Begebenheiten sind dem Beschauer nahe gerückt. Z. B. Die Jünger klimmen mühsam den Hügel empor, wo die Bergpredigt gehalten werden soll; ihnen folgen neugierige, schreiende Knaben, hinkende alte Weiber, Gichtbrüchige, Pharisäer und Soldaten. Alle wenden uns den Rücken; einer von den Aposteln dreht sich um und will einen Knaben ohrfeigen, wird aber von einem andern daran gehindert. Der Eindruck ist humoristisch. An einer andern Zeichnung, wo sie den Berg hinabschreiten, ist Alles feierlich. Die Sonne brennt auf den heissen Sand. Einer hinter dem andern gesenkten Hauptes folgen die Apostel ihrem Meister. Dieser nähert sich den Zuschauern. Das edle, feine Gesicht mit dem weichen schwarzen Haar und Bart blickt starr zu Boden. Er sieht trotz seiner Jugend so ehrfurchtgebietend aus, dass der römische Centurio, der hergesandt ist, um ihn zu beobachten, unwillkürlich Front macht; steif und unbeweglich, entblössten Hauptes steht er da, als Christus an ihm vorbeischreitet. In diesen Zeichnungen ist ein tapferer, wahrheitsliebender Kampf gegen das Hergebrachte. Auf dem Blatte wo Christus mit der Dornenkrone dem Volke gezeigt wird, ist z. B. der Ausrufer nicht das gewöhnliche brutale Ungeheuer, das in Vergnügen über seine eigene Gemeinheit schwelgt; wir sehen ein schläfriges arabisches Profil, dessen Besitzer mit eintöniger Stimme ganz mechanisch eine Reihe Worte ausschreit, die er auswendig gelernt hat, weil herzuplappern sein Beruf ist.

Auf derselben Ausstellung befand sich auch ein kleines Gemälde von Klinger, „Spaziergänger“ betitelt, interessant durch sein spannendes Thema. Die Scene ist ein ödes Feld nächst der Hasenhaide bei Berlin, bekannt als unsichere Gegend. Eine lange, unendlich lange und melancholische Friedhofmauer zieht sich in das Bild hinein. Daran lehnt ein junger Mann. Er hat einen Revolver aus der Tasche gezogen und hält ihn mit ruhigem beobachtenden Blick vor sich hin; denn von drei Seiten nähern sich unheimliche, zerlumpte Gestalten mit dicken Knüppeln in den Händen. Sie sind stehen geblieben, augenscheinlich ungewiss, was sie zunächst beginnen sollen, da sie merken, der Andere sei vorbereitet. Einer dieser Vorstadt-Proletarier bückt sich, ungeduldig über das Warten, und hebt einen grossen Stein auf. Ueber dem Bilde blauer Himmel, Sonnenschein und Sommerluft. – Der Kritiker Ludwig Pietsch besprach dieses Bild, ebenso wie die Handschuh-Radirungen, voll Bewunderung.

So grosses Aufsehen machten diese ersten Versuche, dass der Neid rege wurde. Der Kritiker der „Gegenwart“ wurde in seinem eigenen Blatte angegriffen und der Artikel von der Redaction desavouirt. „Es sei Sünde“, hiess es allgemein, „einem jungen Künstler durch Lob den Kopf zu verdrehen“, besonders fügte man gerne hinzu, „da wahrscheinlich nichts aus ihm werde“; und als kurz danach Klinger's Kunst zu stocken schien, da er für zwei ganze Jahre aus Berlin verschwand und sehr zurückgezogen zuerst in Brüssel, dann in München lebte, eine langwierige erschöpfende Krankheit durchmachte, hatte es wirklich eine Zeit lang den Anschein, als ob die ungünstigen Prophezeiungen Recht behalten sollten.

Doch zu Anfang 1880 kamen in Brüssel „13 Eaux-fortes“, Randglossen zu Ovid, heraus, die einen grossen Fortschritt in der Entwicklung des Künstlers verriethen. Es waren Illustrationen, oder richtiger begleitende Phantasien zu den Erzählungen der Metamorphosen von Apollo und Daphne, Pyramus und Thisbe, vermischt mit Intermezzo's pathetischer oder humoristischer Natur. Das einleitende Blatt ist in grossem, prachtvollen Stil ausgeführt. Eine schöne gebirgige Küstenlandschaft. Zur Linken, mit einer mächtigen Bergwand im Hintergrund, erblickt man eine griechische Colossalbüste, wie in einem Nest von Rosen angebracht. Den untersten Theil des Blattes nimmt die Platte an dem Arbeitstisch des Künstlers nebst Leuchtern und Zeichnengeräthschaften ein; rechts unten strecken zwei gefaltete Hände sich betend empor. Sie rufen den Geist der Antike an. Man muss die reine Hoheit in dem Ausdrucke des Colossalhauptes und die zitternde, nervöse Inbrunst in den gefalteten Händen, endlich die Landschaft mit dem kleinen, rauchenden Altar und einem Opfernden davor gesehen haben, um die ergreifende Wirkung zu verstehen. Die Landschaften insbesondere sind in diesem Cyclus bezaubernd; überhaupt besitzt Klinger eine gleichmässigere Stärke in der Landschaft als in den Figuren, deren Zeichnung nicht selten verfehlt ist, und bei denen sich das Barocke und Hässliche zuweilen störend neben vielem Reizenden und Genialen offenbart. Die Landschaften hier, mythologische Landschaften, die etwas Paradiesisches und doch gar nichts Akademisches an sich haben, erinnern in ihrem Stil an Böcklin, der überhaupt der Maler sein dürfte, der den tiefsten Eindruck auf Klinger gemacht hat. Diejenigen unter meinen Lesern, die solche Bilder von Böcklin gesehen, verstanden und gefühlt haben, wie die beiden in der Schack'schen Gallerie zu München, welche den Namen „Die Villa“ führen und dieselbe altgriechische Landschaft, bei Tag und Nacht gesehen, vorstellen, können sich einen Begriff von der tiefen, ergreifenden Poesie in Klinger's bald überüppigen, bald durch ihre wilde Unfruchtbarkeit melancholischen Landschaften machen. Es sind keine Landschaften, die sich für die civilisirte Menschheit der Gegenwart eignen. Sie passen zum Aufenthaltsort für langhaarige Faune, für flötenspielende, ziegenfüssige Satyre, für das erste liebende Menschenpaar der Urzeit. Und doch ist der Künstler der Modernste unter den Modernen, der Freieste unter den Freien – antik nur desshalb, weil er ursprünglich ist, mythologisch nur, weil etwas von dem Urmenschlichen, das in den Mythen seinen Ausdruck fand, in ihm ist. Er spielt mit Ovid so frei, wie Ovid mit dem Glauben einer älteren Zeit spielte, aber mit tieferem Sinne für das Seelische darin, mit kühnerer Phantasie und mit dem Hang des innerlich Einsamen, Gedanken und Räthsel in sein Werk niederzulegen. Welch' ein Blatt das, welches uns Apollo und den Künstler zeigt, die sich in der fremden Welt entgegengehen, jener mit der vielfach vergrösserten Feder, dieser mit der vergrösserten Radiernadel in der Hand. Welche stolz-bescheidene Haltung der ernsten Gestalt im antiken Gewande!

Wie in sein Zimmer eingemauert, ohne mit einem einzigen Menschen zu verkehren, ohne im Verlauf von fünf Monaten nur ein einziges Mal seinen Fuss in die Pinakothek zu setzen, die er nie gesehen hatte, lebte Klinger in München, ausschliesslich der Ausarbeitung seines grossen Werkes „Amor und Psyche“. Es ist Apuleius' alte Legende, verschwenderisch mit Holzschnitten und Radirungen illustrirt. Mit wahrer dichterischer Erfindungsgabe hat Klinger in den Vignetten die Grundzüge der Mythe motivirt; und jeder empfängliche Beschauer wird sich der Feinheit und des Humors in der Vignettenreihe, wo Amor die 12 Herkules-Arbeiten ausführt, freuen und die vollendete Schönheit und Pracht bewundern, wie am Schlusse Venus vor den Göttern auf dem Olymp tanzt. Die grossen Bilder und Figuren stehen durchgehends dahinter zurück. Klinger ist noch kein Meister in der eigentlichen Zeichnung, und es ist zweifelhaft, ob er es jemals wird. Denn obschon in manchem Punkt das, was er hervorbringt, nicht besser gemacht werden kann, so muss man in andern Punkten fürchten, dass er unverbesserlich ist. Er gehört nicht zu denen, die schrittweise lernen; er geht im Sprung voran oder er behält seine Fehler. Jedoch die kleinen Bilder sind unvergleichlich anmuthig. Eines ist darunter, das Psyche einsam in Amor's Palast darstellt, wie sie von der Musik der Geister getröstet wird; es ist hingehaucht und ideal schön wie ein Gedicht von Shelley.

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