Читать книгу Moderne Geister - Георг Брандес - Страница 11

Paul Heyse.
(1875.)
IX

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Wir haben den Kreis von Ideen und Formen durchlaufen, in welchen dieser Dichtergeist seinen Ausdruck gefunden hat. Wir sahen, wie Heyse zuletzt im Roman den bewegenden Gedanken der modernen Zeit gerecht ward, denen die Novellenform nicht Raum zu geben vermochte. Ich hob indess eine Novelle hervor, die sich durch ihren Grundgedanken nicht weniger auszeichnet, als „Der Salamander“ durch den Stil.

Jedes Mal, wenn Heyse es versucht hat, den alten Mythen ein modernes Interesse abzugewinnen, hat er Glück gehabt. Das kleine, reizende Jugendgedicht „Die Furie“ gehört zum Besten, was er geschrieben. In einem kleinen Drama „Perseus“ (in die gesammelten Werke nicht aufgenommen) hat er eine neue Auslegung des Medusamythus gegeben: er hat mit der armen, schönen Medusa Mitleid gefühlt, der das grausame Schicksal, auf Jedermann versteinernd zu wirken, beschieden ward, und er belehrt uns, dass nur die Eifersucht neidischer Göttinnen auf ihre Liebe zu Perseus Schuld daran ist. Ihr Kopf fällt vor der Hand ihres eigenen Geliebten, während sie, um ihm nicht durch den unheilvollen Blick zu schaden, ihr Gesicht in den Sand begräbt. Heyse hat aus dem Mythus ein originelles und trauriges Märchen gemacht.

Die Geschichte vom „Centaur“ ist heiter und tiefsinnig. Man wundert sich nicht, wenn „Im Paradiese“ uns mittheilt, dass diese Novelle den Maler Kohle zu seinen lieblichen Fresken begeistert hat. Der Pilgergang „unserer lieben Frau von Milo“, den man als Bild vor seinen Augen zu sehen glaubt, so lebhaft ist die Freske beschrieben, ist als Gedicht mit „dem letzten Centaur“ gar innig verwandt. Der letzte Centaur! Das klingt fast wie der letzte Mohikaner! Was weiss Heyse vom letzten Centauren? Wie hat er ihn in eine reguläre Novelle einführen können? O, das geschieht mit vieler Kunst und doch auf die natürlichste Weise. Er zieht erst, so zu sagen, zwei Kreise in einander, dann einen dritten Kreis, und in diesem beschwört er den Centauren herauf. Der erste Kreis ist die Welt der Lebendigen, der zweite die Welt der Todten, der dritte schliesst leicht und natürlich das Reich des Uebernatürlichen ein. Die Erzählung hebt, wider Heyse's Gewohnheit, rein selbstbiographisch, also mit einem möglichst starken Wirklichkeitselemente, an: der Verfasser kommt eines späten Abends an einer Weinstube vorbei, wo er in seiner Jugend einmal wöchentlich seine liebsten Freunde und Kameraden zu treffen pflegte, und jetzt lässt er diese, welche alle gestorben sind, in der Erinnerung Revue passiren. Dann tritt er in die Weinstube ein, fühlt sich müde, und – plötzlich ist es ihm, als werde er aufgefordert, in dem alten Kreise sich einzufinden, und als die Thür geöffnet wird, siehe! da sitzen sie alle beisammen. Aber keiner von ihnen bietet dem Eintretenden die Hand, es ist in ihren Mienen ein Zug von Fremdheit, Ernst und Kummer. Dann und wann trinken sie einen langen Zug aus dem Weinglase, dann glühen für einen Augenblick die bleichen Wangen und matten Augen, aber gleich darauf sitzen sie wieder starr und stumm und stieren in's Glas. Nur Einer von ihnen ist ungebeugt von dem Schicksal, das sie getroffen hat, und von welchem nach stillschweigender Abrede in der Gesellschaft nicht gesprochen wird. Es ist Genelli, der ausgezeichnete Maler, dessen Centauren in der Schackschen Sammlung zu München alle Reisenden bewundern. Einer von der Gesellschaft bemerkt, solch' ein Genellisches Fabelwesen sehe so lebendig aus, dass man fast glauben möchte, der Künstler wäre selbst dabei gewesen. Und als der Meister ruhig die Antwort gibt: „Er ist auch dabei gewesen“, gleiten wir unmerklich aus dem Reiche der Todten in die Fabelwelt hinüber. Er hat den Centauren gesehen, mit eigenen Augen gesehen, wie dieser eines schönen Sommernachmittags, ohne an etwas Böses zu denken, in ein kleines Tyrolerdorf hineintrabte, wo Genelli bei seinem Weinglase sass. In alten Zeiten war der Centaur Landarzt von Profession gewesen, hatte, während eines Ritts in seiner Praxis über die Berge ermüdet, sich in einer Gletscherhöhle schlafen gelegt, war dann eingefroren – und jetzt erst, nach Verlauf von Jahrtausenden, ist das Eis um ihn geschmolzen, und er kann mit verwunderten Augen sich in der verwandelten Welt umsehen. Es ist Sonntag und eben Kirchweih, da er mit seinem mächtigen Körper – oben ein farnesischer Herkules, unten ein prachtvoller heroischer Streithengst – mit wehender Mähne und lang nachschleppendem Rossschweif, einen kleinen Rosenzweig im dichten Haar hinter dem Ohre, durch die leeren Strassen trabt, nur ab und zu ein altes Weib, das mit Geschrei vor der Erscheinung flüchtet, erschreckend. Er sieht die Kirchenthür offen, das Gebäude voll Menschen und eine wunderschöne Frau mit einem Kind auf dem Arme über dem Altare gemalt. Neugierig, nichts Arges denkend, trabt er durch das Portal und schnurstraks über die Steinfliessen, die von seinem mächtigen Hufschlag dröhnen, auf den Altar zu. Man begreift, welcher Lärm über dies geradewegs der Hölle entstiegene Ungeheuer entsteht. Der Pfarrer schreit laut, schwingt, was er Geweihtes in der Hand hat, gegen ihn und ruft: „Apage! Apage!“ (was der Centaur versteht, weil es Griechisch ist). Die Gemeinde schlägt ein Kreuz über das andere; verwundert trabt das Fabelthier dann zur Kirche hinaus, und von allen alten Weibern und allen Kindern des Dorfes begleitet, die natürlich sehr erschrocken sind, „den hohen Reisenden so leicht gekleidet zu sehen“, bewegt es sich nach dem Dorfkruge hin, wo Genelli auf dem Altane sitzt. Der Meister belehrt dann den Centauren, dass dieser ein Paar hundert Jahre zu spät oder zu früh wieder zum Leben erwacht ist. Zur Zeit der Renaissance würde man ihn vermuthlich wohl empfangen haben. „Aber heutzutage und unter dieser engbrüstigen, breitstirnigen, verschneiderten und verschnittenen Lumpenbagage, die sich die moderne Welt nennt!“ Genelli wagt es nicht, ihm ein heiteres Horoskop zu stellen. „Wo Ihr Euch sehen lasst, in Städten oder in Dörfern, werden Euch die Gassenbuben nachlaufen und mit faulen Aepfeln bewerfen, die alten Weiber werden Zeter schreien und die Pfaffen Euch für den Gottseibeiuns ausgeben u. s. w.“ Und es geht, wie er geweissagt hat. Während der biedere Centaur gutmüthig, wie der Starke ist, vom Publikum sich anglotzen, sein sammetweiches Fell befühlen lässt, während er gemüthlich eine Flasche Wein nach der andern leert und über die Brüstung der Laube sie dem hübschen Schenkmädchen, dem er sofort seine Rose geschenkt hat, zurückreicht, lauern Hass und Neid auf sein Verderben. Eine ganze Verschwörung hat sich gegen ihn gebildet. „An der Spitze stand natürlich die hochwürdige Geistlichkeit, die es für das Seelenheil ihrer Pfarrkinder sehr nachtheilig fand, sich mit einem gewiss ungetauften, völlig nackten und wahrscheinlich sehr unsittlichen Thiermenschen näher einzulassen“. Ebenso aufgebracht zeigte sich ein Italiener, der auf dem Markte ein ausgestopftes Kalb mit zwei Köpfen und fünf Beinen vorwies. Den Rossmenschen sah man gratis, er war lebendig und trank und schwatzte, und wer wusste, ob er sich nicht noch bewegen liess, einige Kunstreiterstückchen zum Besten zu geben. Das Kalb dagegen war ein ruhiges Genie und machte zu solchen Extravaganzen durchaus keine Miene. In die Concurrenz kann sich der Italiener nicht finden. „Es sei ein Unterschied“, setzt er dem Pfarrer auseinander, „zwischen einem zünftigen, von der Polizei approbirten Naturspiel und einer ganz unwahrscheinlichen nie dagewesenen Missgeburt, die ohne Pass und Gewerbeschein das Land unsicher machte und ehrlichen fünfbeinigen Kälbern das Brot vor dem Maule wegstehle“. Aber der leidenschaftlichste Gegner des Centauren ist doch der kleine, schiefbeinige Dorfschneider, der Bräutigam des hübschen Schenkmädchens. Auch der Schneider klagt dem Pfarrer seine Noth, die neue Mode die der Unbekannte eingeführt, müsse das ganze Schneiderhandwerk ruiniren und überdies alle Begriffe von Anstand und guter Sitte über den Haufen werfen.

Während nun der Centaur in seiner heiteren Stimmung eben in dem Hofe des Wirthshauses die schöne Nanni auf seinem Rücken tragend die Umstehenden mit einem höchst graziösen und eigenthümlichen Tanz unterhält, kommen alle die Verschworenen mit berittenen Gensdarmen, um ihn zu fangen. Ohne sie der geringsten Aufmerksamkeit zu würdigen, führt er seinen Tanz fort, und die Hände des Mädchens sanft an seine Brust drückend, setzt er mit einem prachtvollen Sprung über die Köpfe der Bauern weg. Pistolenkugeln knallen um ihn, ohne ihn zu treffen, und bald steht er frei auf dem nächsten Bergabhang. Da lässt er, von dem kläglichen Flehen des Mädchens gerührt, sie sacht zur Erde niedergleiten. „So sehr ihr die ritterliche Huldigung des Fremden geschmeichelt hatte und eine so traurige Figur ihr Schatz neben ihm spielte – eine solide Versorgung konnte sie von diesem reitenden Ausländer nicht erwarten“. Ihre praktische Natur trägt den Sieg davon, und wie eine gejagte Gemse springt sie von Stein zu Stein, ihrem Schneider in die Arme. Ein Ausdruck göttlichen Hohnes gleitet über die Mienen des Centauren hin, man sieht ihn sich entfernen, und bald nachher verschwindet er den nachstarrenden Blicken.

Hier schweigt Genelli, der kleine Kreis bricht auf, und der Dichter erwacht in der Vorstube des Weinhändlers.

Alle Eigenschaften, die das Lesen eines Dichterwerkes zu einem Genusse machen, scheinen mir in diesem Märchen vereint: ein hoher Humor, der einen milden Schimmer über alle Einzelheiten wirft, die zartesten Halbtöne und das feinste Helldunkel das die Handlung vom Lichte des Tages in einen Traum von lauter Verstorbenen hinübergleiten lässt, um dann wieder das Zwielicht der Schattenwelt von einem Sonnenstrahl des alten Hellas erhellen zu lassen. Hierzu kommt eine tiefe, für ihren Dichter ganz eigenthümliche Idee. Denn dieser Scherz ist ja in vollem Ernste ein Hymnus auf die Freiheit in der Kunst wie im Leben, und auf die Freiheit, wie Heyse sie immer aufgefasst hat. Für ihn besteht die Freiheit nicht (wie z. B. für Henrik Ibsen) im Kampfe für die Freiheit, sondern sie ist auf dem religiösen Gebiete der Protest der Natur gegen das Dogma, auf dem gesellschaftlichen und sittlichen Gebiete der Protest der Natur gegen die Convenienz. Durch Natur zur Freiheit! das ist sein Weg und seine Losung. So wird der Centaur als halb Naturwesen, halb Gottheit seiner Phantasie ein theures Sinnbild. Wie schön ist der Centaur in seiner stolzen Kraft durch den Rest altgriechischen Blutes, das er in seinen Adern bewahrt hat! Was muss er nicht Alles ertragen, der Arme, für den Rest Heidenthum, das in ihm wiedererstanden ist, das einige tausend Jahre eingefroren war, aber in unseren Tagen, da die Gletscher zu schmelzen beginnen, aufs Neue erwacht ist und sich an's Tageslicht hinaus wagt! Viel lehrreicher, viel gesetzter und moralischer findet die ganze civilisirte Umgebung seine interessanten Rivalen, die ausgestopften Kälber mit zwei Zungen und fünf durchaus nicht zum Fortschreiten bestimmten, höchst conservativen und ihren Platz conservirenden Beinen. Diese „Merkwürdigkeiten“ übertreten nie eine bürgerliche Sitte, lassen sich nur mit Erlaubniss der Obrigkeit und Geistlichkeit sehen, und sind darum nicht minder ungewöhnlich. Sie werden ewig die Rivalen des Centauren bleiben, von Einigen als ihm ebenbürtig, von Vielen als ihn weit überstrahlend betrachtet.

Und ist der Dichter auf seinem Flügelrosse in dieser kleinlichen modernen Gesellschaft nicht leibhaftig „der letzte Centaur“?

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