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Ernest Renan als Dramatiker.
(1893.)
I

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Das vornehmste Kennzeichen Renan's ist die mit den Jahren wachsende Originalität.

Es gibt Geister, die bei ihrem ersten Auftreten sich selbständig zeigen, kräftig und vieleckig wie Sonderlinge dastehen, deren Ecken der Lauf der Welt, der Einfluss der Umgebung jedoch allmälig abschleift. Interessanter sind immerhin diejenigen, welchen nur die Anlage zur Ursprünglichkeit angeboren ist, die aber das Verhältniss zur umgebenden Welt, die äusseren Einflüsse so bereichern, so selbständig machen, dass ihre Eigenart am klarsten in ihrer Todesstunde zu Tage tritt. Ernest Renan war solch ein Geist, dessen Eigenthümlichkeit sich erst so recht im letzten Zeitabschnitte seines Lebens enthüllte. In seiner abschliessenden Periode offenbart er sich als eine Persönlichkeit, die allmälig durchaus originell geworden war.

Er ward es in folgender Weise: Aus der Bretagne stammend, der Abkömmling einer langen Reihe schlichter Ackerbauer und Seeleute, wurde er frühzeitig zum Priester erzogen. Als Erbe hatte er einen gesunden, aber schweren, plumpen Körper mitbekommen, einen Geist, der ernst, subtil, schwärmerisch, je mehr er sich verweltlichte, um so mehr Witz zu entfalten vermochte. Er empfand stark und tief und lebte in sich zurückgezogen, verschlossen, nach Aussen hin verschämt, scheinbar furchtsam, sein inneres Leben mit der Energie der Innigkeit. Bei aller Lernbegier einer reich ausgestatteten Intelligenz wartete er in den Tiefen des Gemüthes mancher schönen Traumblüthe, erhob sich auch nicht selten zum Fluge auf den Fittigen einer keltischen sagenfrohen Einbildungskraft.

Er schien dazu geboren, ein gläubiger, einflussreicher Geistlicher zu werden. Katholische Hymnen lagen ihm auf der Zunge, ein Duft von Weihrauch breitete sich über sein Gefühlsleben, und Salbung war in seinem Pathos.

Indessen brachten das Studium der semitischen Sprachen, das philologische Verhältniss zur Bibel seinen Jugendglauben ins Schwanken. Er lernte deutsche Literatur und Philosophie kennen, ward von Herder ergriffen, von Hegel mit fortgerissen. Bald war sein religiöser Glaube aus allen Verschanzungen geworfen. Ein Rausch von intellectueller Begeisterung überwältigte ihn. Sein Bretagner Christenthum schien im ersten Augenblicke von der deutschen Vernunft gänzlich ausgerodet. Jene ältere französische Verstandescultur, welche die Voraussetzung der deutschen Wissenschaft war, hatte ihm keinen Abbruch gethan; denn die französische Philosophie des achtzehnten Jahrhunderts erregte in ihrer Dürftigkeit und Trockenheit nur seine heftige Missachtung. Das Deutschland der Jahrhundertwende schien ihm das ideale Land. Ein Land, in dem der Denker ohne Pietätlosigkeit kritisirte, ohne Frivolität leugnete, ein Land, in dem man ohne Aberglauben religiös war, und freidenkerisch ohne Spott. Hier war der Zweifel nicht Zweifel, sondern Wissenschaft, die, niemals schwankend, Vorurtheile niederriss, und niemals schwindelnd, Gedankensysteme, hoch wie Kathedralen, aufbaute. Er fühlte sich von der deutschen Pedanterie nicht abgestossen, weil sie in seinen Augen der französischen Leichtfertigkeit unendlich vorzuziehen war.

Ein Glaube an die Wissenschaft, so feurig, wie es nur sein Glaube an die Religion gewesen, bemächtigte sich seiner. Seine Jugendschrift, das schwere Buch „L'avenir de la science“, ist ein flammendes Glaubensbekenntniss, naiv, kühn, herausfordernd, Programm und Fanfare eines Neubekehrten. Eine Wahrheit nur gibt es: die Wissenschaft, Ein Vorurtheil: den Glauben an das Uebernatürliche. Wie in ein Leichentuch hüllt er diesen Glauben in die Kutte, die er abgeworfen, und begräbt ihn für alle Zeiten. Sein Lebensziel ist, ein Pfleger der Wissenschaft zu sein. Vorläufig ist er der Verkünder ihrer Zukunft; ihr gehört das Reich, die Macht und die Herrlichkeit.

Es war im Jahre 1848. Renan ward Optimist und Socialist. In kürzester Frist erwartete er die Verjüngung der Menschheit, die Erneuerung aller Zustände.

Diese Gaukelbilder zerstieben nur zu rasch. Der junge Mann erhielt einen Eindruck der Wirklichkeit. In Frankreich wurden Freiheit und Republik durch einen Staatsstreich abgeschafft, und das Volk hiess ihn gut. Zu jener Zeit fiel das erste Samenkorn des Pessimismus in Renan's hoffnungsfreudige Seele.

Allein nicht lange, und die alten Jugendgefühle mögen in seinem neuen Gedankenleben wieder aufgetaucht sein. Seine Empfindungs- und Denkweise durchdrangen und neutralisirten nicht einander, wie es im Protestantismus geschehen, wo das Gefühl bis zu einem gewissen Grade rationalisirt, der Gedanke hingegen theologisch angesteckt ist. Nein, ein durchaus katholisches Gefühl, weich, sentimental, ja zuweilen verzärtelt, erhielt sich in seiner ganzen Frische, unbeeinflusst von einem Gedankenleben, das bei aller Sanftheit kühn war bis zu einer durch nichts zu schreckenden Verwegenheit. Renan gehört zu jener grossen Gruppe von Romantikern, die ihr Leben damit verbringen, die Romantik zu bekämpfen.

Im Uebrigen blieb er als Mensch im Privatleben unweltlich, von sanfter Stätigkeit, Idealist ohne Unklugheit. Er kam in den letzten zwanzig Jahren mit jeder französischen Regierung gut aus.

Renan führt selbst mit voller Billigung die Aeusserung eines Freundes an: er denke wie ein Mann, fühle wie ein Weib und handle wie ein Kind. Er fühlte zwar stark, doch wie jene Frauen, mit denen das Herz nie durchgeht, er handelte unweltmännisch, doch wie jene Kinder, deren Unbekanntschaft mit dem Leben eine gewisse instinktive Klugheit nicht ausschliesst.

Seine Empfindungsweise machte sein Denken geschmeidig, geschmeidiger, als man es vielleicht je gesehen, wenn nicht bei so grossen Geistern wie Goethe oder so feinen wie Sainte-Beuve. Seine Stärke bestand darin, das Zusammengesetzte, Reichabgestufte zu erfassen. Während sein Freund und Zeitgenosse Taine, der ebenso entschieden wie er dazu veranlagt war, zu verstehen, überall nach den Grundlinien suchte, nach dem Festen und Bleibenden in der Mannigfaltigkeit und Wandelbarkeit der Erscheinungen, dem Knochenbau, dem Granit, den Höhenzügen, den Wasserscheiden, von denen aus man die Lebensfluthen sich theilen und nach verschiedenen Seiten strömen sieht, verfolgte Renan den Lauf dieser Flüsse in allen seinen Krümmungen und Windungen. Er scheute das Grelle, Ausgesprochene. Andere sahen und sehen die Wahrheit in klaren kräftigen Farben, sehen sie roth oder blau oder glänzend weiss. Dass sie sich in so umfangreiche Worte einfangen liesse, schien ihm nimmermehr glaublich. Er erblickte sie in den Nuancen, in den unmerklichen Uebergängen von der einen Farbe zu der andern. Und wenn er im Handeln ein Kind war, so lag der Grund darin, dass man, wie schon oben gesagt, in Nuancen nicht zu handeln vermag.

Doch aufzufassen vermag man sie, und der feinste Geist ist jener, der sie am sichersten auffasst. Renan war dazu veranlagt, lauter Schattirungen zu sehen, mit Takt die richtige herauszufinden und sie bei ihrem schwer bestimmbaren Namen zu nennen.

Der Einfalt seiner Kindheit war bei ihm die unendlich vielfältige Empfänglichkeit des modernen Kritikers gefolgt.

So entwickelt und ausgestattet, fand er den Stoff, der sein ganzes Leben hindurch den Gegenstand seiner Forschung und einen der Hauptgegenstände seiner Darstellungskunst bilden sollte. Die in solcher Weise ausgerüstete jugendliche Persönlichkeit stand von Angesicht zu Angesicht dem Geiste Israels gegenüber. Er, der junge, freigelassene Katholik aus der Bretagne, vertiefte sich in die Betrachtung und das Studium des Genius, der ihm aus dem alten Palästina entgegentrat.

Der hellenische Geist war ihm damals noch ziemlich fremd, und noch gar manches Jahr verging, ehe er das Gebet niederschrieb, welches er mit einer Mischung von Dichtung und Wahrheit auf der Akropolis zu Athene gebetet zu haben behauptet. Dieser israelitische Genius aber mit seiner eigenartigen Männlichkeit und dem Feuer seiner religiösen Begeisterung rief ein gewaltiges, fruchtbares Staunen in ihm hervor. Alle Fangarme seines Wesens reckte er aus, um ihn zu greifen, zu begreifen.

Das Griechenvolk hat unsere Cultur, unsere Kunst und Wissenschaft geschaffen, hat Europa politische Ideen gegeben, ihn aber fesselte es weniger als das israelitische. Es war nicht so in unserem Leben gegenwärtig. Noch heutigentags sind Europas Feste jüdische, nicht griechische, Europas Gott jüdisch, nicht griechisch. Das Buch, das die civilisirte Welt als heilig betrachtet, ist eine Sammlung jüdischer Literatur; die Begriffe der Massen von Pflicht und Glauben, vom Leben dies- und jenseits stammen aus Syrien. Das Ideal Europas wurde in Nazareth geboren.

Alles, was weiblich war in Renan, fühlte sich von dem Geiste Israels angezogen, von Ehrfurcht davor erfüllt.

Worüber er stutzte, war dies: ein kleiner Volksstamm, anfangs aus Nomaden, sodann aus Ackerbauern bestehend, äusserst kriegerisch durch den Zwang der Verhältnisse – ohne Schifffahrt, da er vom Meere abgesperrt war, ohne Handel, der in den Händen anderer Stämme lag, ohne Bau- oder Bildnerkunst, gänzlich ohne Wissenschaft – hatte nur Eine geistige That vollbracht, nur Eine Schöpfung hinterlassen: Religion oder richtiger zwei Religionen, die ihrem Wesen nach eine einzige war; wiederholte das ursprüngliche Christenthum doch nur auf gemeinfassliche Weise, was jüdische Propheten 750 Jahre früher gesagt hatten. Die Griechen hatten uns Staatsformen, wissenschaftliche Grundanschauungen, Denkmale und Kunstwerke hinterlassen, die nie der Vergessenheit anheimfallen konnten. Die Israeliten hatten nur Eines hervorgebracht. Sie hatten einen so energischen, so leidenschaftlichen Schrei nach Gerechtigkeit ausgestossen, dass er noch nach Verlauf von beinahe 3000 Jahren uns in den Ohren tönte.

Dies sprach seinen Idealismus an, und dass Alles in der Zeit so weit zurücklag, bildete nur einen Reiz mehr für ihn. Es gibt Historiker, die sich nur wohl fühlen, wenn sie sicheren Grund und Boden unter den Füssen haben. Sie lieben das Anschauliche, Handgreifliche. Renan hingegen sah gut, sah gerne im Dunkeln, spähte am liebsten in ferne Zeiten und fühlte mit Befriedigung ihre Zustände und Empfindungen sich zu Leben vor seinem inneren Sinn gestalten. Ob es gerade das Leben war, wie es in jenen alten Zeiten gelebt worden – wer vermag es zu entscheiden? Doch leitete ihn eine glückliche Gabe, aus dem Wenigen, das wir wissen, Weiteres zu ahnen und zu errathen. Alle seine Kräfte wendete er auf, um die Gefühls- und Denkweise eines Jahrtausends aus jener längst entschwundenen Vorzeit wieder aufleben zu lassen. Dazu gibt es nur Ein Mittel, die Geistesentwicklung, Kritik genannt, die kein früheres Jahrhundert gekannt hat.

Die Astronomie hat das Sehrohr. Die historische Kritik ist das Sehrohr, das uns ferne Zeiten nahe rückt. Die Physiologie hat das Mikroskop. Die literarische Kritik ist das Mikroskop, das den verborgenen seelischen Zug gross und deutlich macht. Der Physiker hat seine feinen Instrumente, Luftdruck und Wärme damit zu messen. Der Kritiker hat in seiner angeborenen Empfänglichkeit, in der mannigfachen Sensibilität, die er allmälig in sich ausbildet, den Barometer, womit er die Atmosphäre ferner Zeit, den Thermometer, mit dem er die Hitze der Leidenschaften misst. Der Chemiker hat das kostbare Geräth, die Wage. Der Kritiker besitzt in seiner Gabe, das Gelesene zu prüfen, eine feinere Wage, als es in der äusseren Welt eine gibt.

Die Vorarbeit, die Renan von deutschen und holländischen Männern der Wissenschaft gethan fand, war, was Gelehrsamkeit und Scharfsinn anbelangt, bewunderungswürdig. Man hatte (um ein Gleichniss zu gebrauchen, dessen sich Renan einmal bedient) die Bibel ungefähr in dem Zustande vorgefunden, in welchem sich die in Herculanum ausgegrabenen Buchrollen befanden. Tausende von Schriftzeichen in wirrem Durcheinander, die Blätter zu einer Masse zusammengeklebt, des einen Blattes Text in den des andern hineingerathen. Eine Arbeit von der Art, hier Blatt von Blatt zu scheiden, war genial eingeleitet und im vollen Zuge, als Renan seine Alterthumsstudien begann.

Er war als Kritiker weniger ein sondernder, zergliedernder, als ein zusammenfügender Geist. Er zog Linien zwischen den festen Punkten, welche die Arbeiten der germanischen Gelehrten ihm an die Hand gaben. Er kannte die Menschenseele so gut, dass er in der Regel das jedesmal Mögliche erschaute, zwischen zwei Möglichkeiten die wahrscheinliche herausfand und unter den wahrscheinlichen Erklärungen die festhielt, die innere Wahrheit hatte. So hat er in zwölf grossen Bänden Israels Geschichte und den Ursprung des Christenthums erzählt.

Er ging zuvörderst gerade auf das los, das ihn am meisten fesselte, die Persönlichkeit Jesu. Um sich ihr jedoch zu nähern, unternahm er einen Schritt, wie ihn vor ihm noch Niemand, der das Leben Jesu schildern wollte, unternommen. Er reiste nach Palästina und erfüllte Auge und Sinn mit den Eindrücken der Stätten und Gegenden, woselbst Jesus gelebt und gewallt.

Die Formen der Berge und Thäler, der Lauf der Flüsse, das Bett der Seen, sie bleiben durch Jahrtausende dieselben. Im Morgenlande haben überdies die Formen der Zelte und Häuser, der Schnitt der Trachten, die Art der Beschäftigungen, die durch das Klima bestimmte Lebensweise sich Jahrtausende lang unverändert erhalten, so dass Renan wie zur Weihe eine lebendige Vorstellung davon einsog, wie die Naturverhältnisse und die Umgebungen beschaffen gewesen, unter welchen die religiösen Grundbegriffe der civilisirten Welt entstanden.

Sein Jesus ist geistreich aufgefasst, zart ausgeführt, eine Statuette aus Elfenbein. Dem Stile fehlte es an Sicherheit und Grösse, nicht an Feinheit.

Renan's Unentschiedenheit, seine Lust, zugleich Ja und Nein zu sagen, war ihm hier ab und zu ein Hinderniss. Voltaire hatte Nein, die Theologen hatten Ja gesagt. Uneinig mit beiden, wie er war, bestätigte und verwarf er zuweilen in einem Athemzuge. Sein ursprünglich allzu grosser Respect für die Ueberlieferung gereichte besonders den ältesten Ausgaben zum Nachtheile. Man kann ihn hier wie sonst nicht davon freisprechen, eine allzu nachlässige Quellen-Kritik betrieben zu haben. Indem er das vierte Evangelium als Quelle aus dem ersten christlichen Jahrhundert annimmt, gelangt er dahin, den Charakter Jesu auf unhistorische Weise anzuschwärzen. Sein Blick ist durch die Nebel der Zeiten hindurchgedrungen, und hat manchen Zug erschaut, welcher der grossen Gestalt wesentlich zuzugehören scheint. Zuweilen jedoch lebt er sich zu persönlich in sie ein, modernisirt sie unwillkürlich und legt ihr seine Lieblingseigenschaften bei, so zum Beispiel, wenn er Jesus den Gründer „der grossen Lehre von der transscendenten Geringschätzung“ nennt. Man kann sich manchmal des peinlichen Eindruckes nicht erwehren, er sei selbst Modell gestanden.

Renan liebt Jesus, wie er die grossen Sanften und Weisen liebt. Genau so liebt er Marcus Aurelius. Dagegen hat er eine lebhafte Antipathie gegen die Gewaltthätigen, die Fanatiker, die Männer der That in der Welt der Religion. Paulus ist ihm zuwider, gleichwie Luther.

Renan wuchs während der Behandlung seines grossen Gegenstandes. Je weiter die Arbeit gedieh, in desto höherem Grade wurde er ihr gewachsen. Je mehr er den Stoff unter seinen Händen sich formen sah, um so voller bemächtigte sich auch seiner das beruhigende Gefühl geistiger Ueberlegenheit. Der steigenden Ueberlegenheit aber gesellte sich steigende Gleichgiltigkeit gegen das Urtheil der Welt über ihn.

Es entwickelte sich bei ihm eine Menschenverachtung, so gross, dass sie gutmüthig erschien, es in der That auch war.

Sein immer weiterer, freierer Blick offenbarte sich in der zunehmenden Herrschaft über seinen Stoff. Deutschland besitzt verschiedene Fachmänner von dem Range Renan's, ja nicht wenige, die ihn an Gelehrsamkeit, sowie an streng wissenschaftlichem Geist überragen. Allein sie vertiefen sich so sehr in ihren Stoff, dass ihre Persönlichkeit sich ganz darin verliert. Sie schweben nicht über demselben. Sie sind Bücher- nicht Weltmenschen; Kritiker, nicht Baumeister; Forscher und Denker, nicht zugleich freie Geister und Künstler. Ein freigewordener Geist aber, der, über seinem Stoffe schwebend, diesen kraft seiner Lebenserfahrung behandelt – eben dies war Renan.

Diese spielende Herrschaft über die von ihm behandelten Gegenstände verdankte er jedoch dem seine Originalität zuletzt bestimmenden grossen Factor – Paris.

Paris gab ihm den tiefen Ekel vor der Pedanterie ein, lieh ihm überhaupt erst die letzte, volle Ueberlegenheit. Sie gestaltete sich zum Schlusse auch zur Ueberlegenheit über Paris; aber das Entscheidende war, dass allmälig der Bretagner zum Pariser, der Jünger Herder's zum Franzosen der Hauptstadt geworden war. Bis 1870 noch ein halber Deutscher, wurde er nach dem Kriege und dem Friedensschlusse ein ganzer Pariser und erhielt im Alter erst seine rechte Jugend. Das aber, was in den geistig massgebenden Pariser Kreisen dem guten Ton sein Gepräge gibt, ist formvolle Rücksichtslosigkeit.

Er hat viel von einzelnen Persönlichkeiten, viel von Berthelot als Denker, viel von George Sand als Schriftsteller gelernt (seine Landschaften erinnern an die ihren). Am meisten aber lernte er von Paris, und zuletzt war er ganz Pariser, wenn anders Jemand, der sechs- oder siebenerlei Culturen beherrscht, ja für sich allein eine kleine Culturwelt genannt werden kann, also zu heissen ist.

Anfangs hegte er gegen Béranger, um dessen gutmüthiger Flachheit willen, wie wegen des Gallisch-Populären in ihm, eine lebhafte Abneigung. Er endete damit, in einer Béranger verwandten Weise, wenn auch in weit höherer Potenz, als es dieser gewesen, gallisch populär, väterlich scherzhaft zu werden.

Er war zuletzt wie eine Quintessenz des französischen Geistes, ein Kraftauszug des feinsten, das dieser enthält. Mit dem eintretenden Greisenalter verklärte sich die Ueberlegenheit zu einer Art Serenitas, zu wolkenloser Heiterkeit und Klarheit.

Davon gibt die kleine Reihe philosophischer Schauspiele, die Renan in den Jahren 1878 bis 1886 herausgab, beredtes Zeugniss.

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