Читать книгу Moderne Geister - Георг Брандес - Страница 28

Gustave Flaubert.
(1881.)

Оглавление

Gustave Flaubert wurde 1821 in Rouen geboren. Als er 1880 durch einen plötzlichen Tod daselbst verschied, hinterliess er die europäische Dichtkunst nicht in dem Zustand, in welchem er sie vorgefunden hatte – kein Künstler kann als solcher sich einen bessern Nachruhm wünschen. Die Arbeit seines Lebens bezeichnet einen Schritt in der Geschichte des Romans.

Er war ein Prosaschriftsteller ersten Ranges, einige Jahre hindurch wohl der erste Frankreichs. Seine Stärke als Prosaist beruhte auf einer künstlerischen und litterarischen Gewissenhaftigkeit, die sich bis zur Genialität erhob. Er wurde ein grosser Künstler, weil er keine Mühe scheute, weder wenn er sich zum Schreiben vorbereitete, noch wenn er schrieb, sondern Beobachtungen und Aufklärungen mit der Sorgfalt eines blossen Gelehrten sammelte und seinen Stoff mit der Leidenschaft eines blossen Formanbeters plastisch und harmonisch zu gestalten strebte. Er wurde ein Meister des modernen Romans, weil er die Selbstüberwindung hatte, nur wahre seelische Vorgänge darstellen zu wollen und allen Effecten der dichterischen Beredsamkeit, allen pathetischen oder dramatischen Momenten, welche auf Kosten der Wahrheit schön oder interessant erscheinen, aus dem Wege ging. Sein Name ist mit künstlerischem Ernst und litterarischer Strenge gleichbedeutend.

Er war nicht ein Gelehrter, der zugleich Dichter war oder in dem Verlauf seines Lebens Dichter wurde; seine dichterische Arbeit als solche ist auf eindringlichen, langsam gewonnenen Vorstudien begründet. Seine Bücher haben nichts Jugendliches oder Flatterhaftes, nichts Lächelndes oder Gewandtes. Diese Bücher sind Resultate der langsamen und späten Reife. Er debutirte erst, als er 35 Jahre alt war, und hinterliess, obwohl er der Litteratur alle seine Zeit gewidmet hatte, in seinem 59. Jahre nur sieben Werke24.

Er war eine tief ursprüngliche, aber keine elementarische Natur. Seine Originalität beruhte darauf, dass in seinem Gemüthe zwei geistige Strömungen zusammenliefen und einen neuen Born bildeten. Er erhielt in seiner Jugend gleichzeitig oder fast gleichzeitig zwei Impulse, welche die Laufbahn seines Geistes bestimmten.

Die erste Strömung, die ihn erreichte, war die romantisch-beschreibende Richtung in der Litteratur, die Chateaubriand entstammt, der lyrisch bewegte und farbenprächtige Stil, der in „Atala“ und „Les Martyrs“ die Franzosen zum ersten Male bezauberte und später in Victor Hugo's „Les Orientales“ und „Notre Dame de Paris“, einen noch viel festeren und mächtigeren Rhythmus und eine weit überlegene malerische Kraft gewann. Flaubert war, wie alle Dichter und die meisten Menschen, als Jüngling lyrisch gestimmt gewesen. Seine, nie gedruckten, lyrischen Versuche wurden durch die geschichtliche Entwickelung der französischen Poesie farbenschillernde melancholisch-religiöse Huldigungen der Schönheit. Der zweite Strom, der in sein Inneres hineingeleitet wurde, war die Richtung der Romane Balzac's auf das Moderne, ihr Sinn für das Hässliche und Brutale als charakteristisch, ihr leidenschaftlicher Hang zur Wirklichkeit und ihre Treue der Beobachtung.

Indem diese zwei Flüsse bei ihm zusammenströmten und nach Verlauf einiger Zeit sich mit einander mischten, erhielten sie eine neue Farbe und einen neuen Namen.

Er hatte als Jüngling für die Schubladen seines Schreibtisches viel descriptive und pathetische Lyrik in Hugo's, Gautier's und Byron's Stil geschrieben; aber in der richtigen Empfindung, dass seine Ursprünglichkeit sich nicht in dieser Richtung geltend machen könne, und dass man auf diesem Gebiet überhaupt nicht mehr ursprünglich zu sein vermöge, hielt er seine Productionen zurück und fand sich darein, für unbegabt, jedenfalls für unfruchtbar angesehen zu werden. Er schrieb ungefähr zur selben Zeit Versuche entgegengesetzter Art; er pflegte eine komische Tragödie über die Kuhpocken zu nennen; aber auch diese Versuche gab er nicht heraus. Erst da Chateaubriand und Balzac in seinem Gemüth eine neue poetische Form erzeugt hatten, fühlte er sich seiner Originalität gewiss und trat öffentlich auf.

I

Selbst denen, die wenig oder nichts von Flaubert gelesen haben, ist es bekannt, dass er im Jahre 1856 mit einem Roman „Madame Bovary“ ein ausserordentliches Aufsehen in Paris und bald darauf in Europa machte. Ein thörichter Process – der Staatsanwalt klagte den Verfasser unsittlicher Tendenzen an – und eine entschiedene Freisprechung durch die Jury vermochte nur wenig die Aufmerksamkeit zu vermehren, die das eigenthümliche neue Talent schon an und für sich erregte. Das Buch erschien, wie alle neuen Anfänge in der Litteratur, sonderbar und anstössig. Es war ein Zeichen des Widerspruchs. Man verglich es mit den Dichtungen einer älteren Zeit und sagte sich: Ist dies Poesie? Es erinnerte manch' Einen mehr an Chirurgie, Anatomie. Noch weit später hiess es in litterarischen Kreisen in Paris, wo man einem früheren Begriff von Poesie treu blieb: „Wir bedanken uns für die Skelette des Herrn Flaubert“. Der Verfasser wurde Ultrarealist genannt, man fand in seinem Roman nur die unbarmherzige, unerbittliche Physiologie des Alltäglichen in dessen trauriger Hässlichkeit.

Man übersah im ersten Augenblick, dass ab und zu diesem Physiologen ein zwar durchaus unpersönlicher, aber bildlicher, farbenreicher Ausdruck entschlüpfte, der von einer ganz andern Welt als derjenigen des Romans Botschaft zu bringen schien. Das halbgebildete Publikum merkte nicht, dass diese Schilderung platter Provinzverhältnisse und Provinzunglücksfälle, erbärmlicher Irrthümer und eines elenden Todes in einem Stil vorlag, der zugleich klar wie eine Spiegelfläche und dem Ohre musikalisch wohlthuend war. Es lag ein Lyriker unter dem Buche begraben, und bisweilen schlug ein Flammenwort aus dem Grabe empor.

Es war eben der Zeitpunkt, wo die Generation, die zwischen 1820 und 1830 geboren war, sich der Herrschaft in der Litteratur bemächtigte und ihr physiognomisches Gepräge in einer mit kalter Energie durchgeführten Analyse des Wirklichen offenbarte. Die neue Generation wandte sich von dem philosophischen Idealismus und der Romantik ab und schwang mit wahrem Enthusiasmus das Seccirmesser. In demselben Jahre, wo „Madame Bovary“ erschien, anatomirte Taine in seinem Werk „Les philosophes français du 19me siècle“ die herrschende spiritualistische Lehre, vernichtete Cousin als Denker und erklärte, ohne die Romantiker zu bekämpfen, mit kühler Gleichgültigkeit, dass Hugo und Lamartine schon Classiker seien, die von der Jugend eher aus Neugier, als aus Sympathie gelesen würden, und die ihr so ferne standen, wie Shakespeare und Racine. Sie seien „bewunderungswürdige und ehrwürdige Ueberreste eines Zeitalters, das gross war und nicht mehr existire“. Sein Zeitgenosse Sarcey schrieb nicht viel später im „Figaro“ jenen von Banville, dem Zögling der grossen Romantiker, vielbesungenen und vielverspotteten Artikel, der in den Worten gipfelte: „Vorwärts, meine Freunde! Nieder mit der Romantik! Hoch Voltaire und die Normalschule!“25 In der dramatischen Poesie schien die Opposition gegen die Romantik mit der kleinen unfruchtbaren École de bon sens gescheitert; Ponsard und seine Geistesverwandten hatten lange nicht das halten können, was man sich von ihnen versprach. Aber neuere realistische Dramatiker schlossen sich eben zu jenem Zeitpunkt ihnen an. Augier, der seine ersten Poesien Ponsard gewidmet hatte und der anfangs der sentimental-bürgerlichen Richtung desselben gefolgt war, betrat 1855 eine neue Bahn drastischer Schilderung der unmittelbaren Gegenwart. Der kühnere, derbere Dumas hatte ihm eben den Weg gezeigt, und bei diesem fängt trotz aller Pietät für die Generation, der sein Vater angehörte, die directe und treffende Verspottung der romantischen Ideale an; man sehe die Rollen de Nanjac's in „Le Demi-monde“, de Montègre's in „L'ami des femmes“. Das Wort, das Montègre durch die Ueberlegenheit de Ryon's in Verwirrung gebracht, demselben erwidert: „Vous êtes un physiologiste, Monsieur

24

Die Titel sind: Madame Bovary, Salammbô, L'éducation sentimentale, La Tentation de Saint-Antoine, Le Candidat, Trois Contes, Bouvard et Pécuchet.

25

Man sehe Th. de Banville: Odes funambulesques: Villanelle des pauvres housseurs und zwei Triolette. Die Normalschule ist die höhere Unterrichtsanstalt für Lehrer, aus der Taine, About und Sarcey gleichzeitig hervorgingen.

Moderne Geister

Подняться наверх