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Paul Heyse.
(1875.)
I

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Wer einen Blick auf die lange Reihe enggedruckter Bände wirft, die Paul Heyse's gesammelte Werke bilden, und sich erinnert, dass der Geburtstag des Verfassers in das Jahr 1830 fällt, wird vermuthlich zuerst ausrufen: Welcher Fleiss! Unwillkürlich wird er diese staunenswerthe Productivität auf eine Willenskraft von seltener Ausdauer zurückführen. Nichts desto weniger entstammt sie einer selten glücklichen Natur. Diese Natur war an und für sich von so üppiger Fruchtbarkeit, dass sie, ohne Willensanspannung oder Kraftanstrengung ihre Ernte geliefert hat; sie hat sie so mannigfach geliefert, dass man glauben möchte, sie sei nach einem bestimmten Plane und mit sorgsamem Willen gepflegt worden; es war ihr jedoch augenscheinlich vergönnt, völlig frei zu walten. Die Natur walten, „sich gehen zu lassen“,1 das war, wie man fühlt, von Anfang an Heyse's Wahlspruch, und so kommt es, dass er mit Eigenschaften, die zu einer zerstreuten, spärlichen und fragmentarischen Production zu führen pflegen, jedes Unternehmen vollendet und abgerundet, dass er lyrische und epische Gedichte, ein grösseres Epos (Thekla), ein Dutzend Dramen, mehr als fünfzig Novellen, und zwei grosse Romane geschrieben hat. Er begann frühzeitig, schon als Schüler trat er seine literarische Laufbahn an. Und sorglos wie ein Fusswanderer, sein Lied vor sich hinpfeifend, nie sich übereilend, aus jeder Quelle trinkend, stillstehend vor den Sträuchern am Wege, und Blumen wie Beeren pflückend, im Schatten ausruhend und im Schatten wandernd, hat er nach und nach eine Bahn durchschritten, die nur möglich scheint, wenn man das Auge bei athemlosem Marschiren fest auf das Ziel heftet.

Die Stimme, der Heyse als Schriftsteller folgt, ist unzweifelhaft die Stimme des Instincts. Nichts liegt ihm, obwohl er Norddeutscher ist, ferner als Instinctlosigkeit und Absichtlichkeit. Obgleich in Berlin geboren, fasst er in München Wurzel und findet in der vollblütigen süddeutschen Race und dem säftereichen süddeutschen Leben die Umgebungen, die mit seiner Anlage übereinstimmen; obgleich in Süddeutschland zu Hause, fühlt er sich immer nach Italien hingezogen, wie nach dem Lande, wo die Menschenpflanze ein von der Reflexion noch weniger gestörtes, schöneres und üppigeres Wachsthum erreicht hat, und wo die Stimme des Blutes am klarsten und stärksten spricht. Diese Stimme ist die Sirenenstimme, die ihn lockt. Natur! Natur! klingt es in seinem Ohre. Deutschland hat Schriftsteller, die fast instinctlos scheinen, und die nur ein kräftiger norddeutscher Wille zu dem, was sie geworden, gemacht hat (wie Karl Gutzkow z. B.), andere (wie Fanny Lewald), deren Werke vor Allem das Gepräge eines kräftigen norddeutschen Verstandes tragen. Nicht wollend oder überlegend, sondern seinem inneren Drange folgend, schafft und formt Heyse seine Werke.

Es ist für manchen Dichter eine Versuchung, dem Leser ein etwas anderes Bild von sich, als das wirkliche, mitzutheilen. Er stellt sich gerne als das, was er zu sein wünschte dar, in früheren Tagen entweder als empfindsamer oder melancholischer, in neuerer Zeit bisweilen als erfahrener oder kälter oder rauher, als er ist. Mehr als ein ausgezeichneter Dichter scheut sich, wie Mérimée oder Leconte de Lisle, so sehr seine Gefühle zur Schau zu stellen, dass er umgekehrt dahin gelangt, eine Gefühllosigkeit an den Tag zu legen, die ihm nicht ganz natürlich ist. Man setzt eine Ehre darin, erst jenseits der Schneelinie, wo das Menschliche endet, recht frei und leicht zu athmen, und aus Verachtung derer, die dort unten das Mitleid der Menge in Anspruch nehmen, erliegt man der Versuchung, sich selbst zu einer Höhe emporzuschrauben, wohin nicht der Instinct, sondern der Stolz zu steigen gebietet. Für Heyse existirt diese Versuchung nicht. Er hat nie einen Augenblick sich in eine grössere Wärme oder Kälte als die, welche er empfand, hinein schreiben können oder wollen. Er hat sich nie geberdet, als ob er mit seinem Herzblut schreibe, wenn er ruhig als Künstler formte, und er hat sich geduldig darin gefunden, dass die Kritik ihm Mangel an Wärme vorwarf. Er hat auf der andern Seite nie, wie so viele von Frankreichs vorzüglichsten Schriftstellern, eine furchtbare oder empörende Handlung mit derselben stoischen Ruhe und in demselben Tone berichten können, mit welchem man erzählt, wo ein Mann von Welt seine Cigarren kauft oder wo man den besten Champagner erhält. Er strebt weder nach dem Flammenstil der feurigen Temperamente, noch nach der Selbstbeherrschung des Weltmanns. Im Vergleich mit Swinburne scheint er kühl, und im Vergleich mit Flaubert naiv. Aber der schmale Pfad, auf welchem er wandelt, ist genau derjenige, welcher ihm vom Instincte seines Innern, von dem rein individuellen und doch so complicirten Wesen angewiesen wird, das seine Natur ausmacht.

1

Auf Schritt und Tritt sich aufzupassen,

Was soll es frommen?

Wer nicht wagen darf, sich geh'n zu lassen,

Wird nicht weit kommen.


P H.

Moderne Geister

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