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Ernest Renan als Dramatiker.
(1893.)
III

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Von Renan's drei ersten Dramen dürfte das gedankenreichste und tiefsinnigste denn doch „Der Priester in Nemi“ sein.

Die Fabel knüpft an eine Erzählung vom Tempel der Diana am Ufer des Nemi-Sees an, dessen Priester, um gesetzlich angestellt zu werden, (nach Strabo) seinen Vorgänger erschlagen haben soll. Renan denkt sich einen Priester im grauen Alterthum in Nemi, einen aufgeklärten Mann, der seinen Vorgänger nicht hat tödten wollen, sondern eine veraltete, vernunftwidrige Religion zu reformiren gedenkt, und zeigt nun, was die Folgen davon seien, ein Fünkchen Vernunft ins Menschenleben einführen zu wollen.

Es hat das eine doppelte Folge. Erstens fordert der Haufe, der sich nie eher zufrieden gibt, als bis glücklich eine Unthat verübt worden, einen regelrechten Verbrecher und Mörder zum Priester.

Zweitens kommt der freisinnige Priester sehr bald zu der Einsicht, dass er mit seinen guten Absichten mehr Uebles als Gutes gestiftet habe, indem er Vorurtheile antastete, auf welchen das Selbstbewusstsein seiner Landsleute beruhte. Man greift ihn als Feind der Religion an, er selbst aber ist religiöser als sie, die im Namen der Religion ihn bekämpfen. In der „Marseillaise“ stehen die bekannten Zeilen:

Liberté, liberté chérie,

Combat avec tes défenseurs!


Er kehrt in seiner Anrufung den Ausdruck um: Heilige Ueberlieferung der Vorzeit! Streite an der Seite derer, die dir widersprechen!

In Wirklichkeit ist der Priester zu Nemi nur der leicht umgewandelte Prospero. Allein er steht in einem neuen Verhältnisse zum Weibe. Sie ist nicht mehr die strahlende Courtisane, sie ist hier die von Gott (das heisst vom Priester) begeisterte Sibylle, die den Tempeldienst versieht. Carmenta ist der ewigen Jungfräulichkeit geopfert worden und leidet darunter, sie, die geschaffen, die Füsse ihres Messias zu salben und zu küssen.

„Vater“, spricht sie zu ihm, „wenn ich bei dir bin und deine Worte höre, so fühle ich, dass das Leben darin ist, obgleich ich dich nicht immer verstehe. Da bin ich denn zu jedem Opfer bereit und nehme mein Schicksal hin, so hart es ist. Doch, hält dein Blick mich nicht länger aufrecht, so falle ich zusammen“. Antistius antwortet ihr als wahrer Priester, dass das Weib den Mann, der Mann Gott lieben solle, und dass die Sendboten Gottes mehr geliebt werden sollen und müssen, als sie lieben.

Carmenta ist das den Genius des Mannes bewundernde Weib, während Imperia und Brunissende die blos fungirende Weiblichkeit repräsentirten, die vom Manne bewundert wird.

Nemi gehört zu Albalonga, das eine alte Kultur besitzt. Gegenüber liegen die sieben kahlen Hügel, auf welchen sich in Kurzem das junge, rohe kräftige Rom erheben wird. (Es wird hier auf das Verhältniss zwischen Frankreich und Deutschland angespielt.)

Carmenta prophezeit, dass eine Zeit kommen werde, da alle Welt Latein spricht. Sie prophezeit Rom eine ungeheure Zukunft, eine weit längere, als sie Albalonga beschieden sei. Sie prophezeit, dass eine neue Religion von Osten kommen und sich Europa unterwerfen werde.

Man betrachtet sie als halb verrückt und ihren Meister, der ihr solches in den Mund lege, als einen Landesverräther. Nein, da ist Tertius ein weit besserer Patriot. Er leugnet unbedingt, dass Rom eine Zukunft habe, nimmt Alles, was nur ehrenvoll für Albalonga, als gegeben an und will von nichts wissen, was nicht ursprünglich und authentisch Albalongisch.

Die echten Patrioten seines Schlages reizen zu einem unnöthigen und wahnwitzigen Kriege gegen Rom auf, den zu hintertreiben Antistius vergebens Alles aufbietet. Um den Sieg zu erlangen, bringen die Vaterlandsfreunde ihm eine Schaar junger Männer, die er auf ihren Wunsch den Göttern opfern soll. Allein der Priester weiss, dass der Glaube an Götter eine Lästerung Gottes, der Glaube an Gott eine Lästerung des Göttlichen sei. Er will die Gefangenen nicht opfern. Er spricht, ungefähr wie Jesaia lange vor ihm: „Seid gerecht, lasst Güte und Vernunft eure höchsten Götter sein!“ Die Patrioten erwidern, nicht dazu brauchten sie einen Priester, nicht dazu einen Tempel, um solche Wahrheiten verkündet zu hören. Sie hassen und verachten ihn als Gottesleugner und Schwächling.

Und des Antistius Widerstand ist fruchtlos. Andere rechtgläubige, conservative und verschmitzte Tempeldiener werden hinter seinem Rücken die Gefangenen dennoch ermorden, und nicht einmal diese selbst, vorbereitet wie sie auf den Tod waren, sind ihm für ihre vorläufige Befreiung im geringsten dankbar. Auch sie finden ihn halbverrückt und verleugnen ihn. Selbst die, welche er befreit, wissen ihm keinen Dank. Wohl mag er sich fragen, ob es der Mühe werth sei, sich für eine Brut zu opfern, die so tief steht und so unabwendbar der Unwahrheit geweiht ist. Er fühlt, dass geistige Einsamkeit das Los derer ist, die durch Geist oder Gemüth die Menge überragen.

Schlimmer für ihn ist jedoch die Einsicht, zu der er gelangt, dass die Anderen zum Theile Recht haben. Er begreift, dass er die Widerstandskraft seines Vaterlandes schwächt, wenn er über Rom die Wahrheit sagt, den Glauben an den Nationalgott zerstört und mit den barbarischen Bräuchen bricht, an denen sein Volk noch hängt.

Ja, nicht einmal seiner eigenen geistigen Befreiung kann er so recht froh werden. Anfangs empfand er sie als eine grosse Erleichterung, dann aber erkannte er, dass die Menschheit enger Gedanken bedürfe. Jeder Einzelne will seinen Gott haben, einen Gott, mit dem er schwatzen kann. Zuletzt hält Antistius sich kaum für berechtigt, etwas zu sagen oder zu thun, was sein Volk daran hindern könnte, zu siegen. Und doch summt es ihm im Ohr: Wehe der siegreichen Nation: Niemand ist dem Fortschritte feindlicher als sie. Dem Siege folgt stets die Reaction. Der Sieger ist der schlimmste Herr von allen.

Die Mächtigen im Staate beschliessen den Untergang des Priesters; nur über Art und Weise desselben herrscht Uneinigkeit. Man schlägt vor, einen Mörder für Geld zu dingen. – „Ganz unnöthig“, erklärt der typische Edelmann des Stückes. „Er wird auch so ermordet. Wenn es irgend ein Verbrechen oder eine Gemeinheit zu begehen gilt, findet sich immer Jemand, der sich gratis dazu hergibt“. Und er fügt hinzu: „Man ist im Allgemeinen der Ansicht, jede Niederträchtigkeit sei irgendwie bezahlt oder belohnt worden: Is fecit cui prodest. O Himmel, welch ein Irrthum!“ Mit anderen Worten: Niemand hat einen Nutzen davon. Alle leiden darunter. Und dennoch geschieht es.

Da kommt der Herold und verkündet: „Rom ist gegründet!“ Romulus hat seinen Bruder ermordet. Jede Stadt wird durch Brudermord errichtet. Der Fortschritt hier auf Erden beruht auf dem Hasse feindlicher Brüder. Alles, was Antistius vorhergesehen, wird nun in Erfüllung gehen, die Barbarei in Rom ihre Fortsetzung finden. Das Drama aber schliesst mit dem Ausspruche eines israelitischen Propheten (Jeremias 51, 58): „Die Völker mühen sich für nichts; die Mühe von Nationen geht im Feuer auf“.

1886 endlich schrieb Renan seine letzte, durchaus anders geartete dramatische Arbeit, die einzige, die kein reines Ideendrama ist, sondern sich der Art der gewöhnlichen Schauspiele nähert: „Die Aebtissin von Jouarre“, die ungeheures Aufsehen machte und gleich das erste Jahr einige zwanzig Auflagen erlebte – nicht um ihrer Vorzüge willen, sondern in Folge des Hallohs, mit dem ein Theil der Presse sie begrüsste und als unsittliches Werk, als eine Schande für den Autor stempelte. Dieses Drama allein spielt zu einem bestimmten historischen Zeitpunkte, während der Revolution, und hat eine einfache, nicht hochfliegende Idee, das Recht der Liebe, sich in ausserordentlichen Fällen über die von der Gesellschaft gezogenen, unter gewöhnlichen Verhältnissen nützlichen Schranken hinwegzusetzen.

Zwei zum Tode Verurtheilte begegnen sich im Gefängnisse des Collége Plessis, ein Edelmann und eine sehr vornehme Dame, die Aebtissin von Jouarre. Er liebte sie schon lange, sie aber war, wiewohl sie die Ideen des Zeitalters völlig theilt, durch ihr geistliches Gelübde gebunden. Nun überredet er sie, ihm anzugehören. Sie verbringen miteinander die letzte Nacht, die sie noch zu leben haben. Der Aussicht auf den nahen Tod gegenüber gelten die Bande, durch die sie gebunden wären, nicht mehr. Er allein aber wird hingerichtet. Ein junger Offizier, der sie in ihrer stolzen Schönheit vor dem Revolutions-Tribunal gesehen, setzt es durch, dass ihr Name aus der Liste der zum Tode Verurtheilten gestrichen wird, und am nächsten Morgen holt der Karren nur ihren Freund ab. In ihrer Verzweiflung fleht sie um den Tod, ja macht sogar einen fruchtlosen Selbstmordversuch.

Diese drei ersten Acte, die von der grossen italienischen Schauspielerin Eleonora Duse aufgeführt worden sind, bilden den eigentlichen Inhalt des Stückes. Daran schliessen sich noch zwei weitere, in welchen Julie, ihre sogenannte Schande mit Stolz tragend, einsam mit dem kleinen Mädchen lebt, das sie zur Welt gebracht hat, sich übrigens allseits mit Wohlwollen begegnet, von ihrem Bruder hochgehalten und bewundert sieht. Nach Jahren heirathet sie den Offizier, der ihr seinerzeit das Leben rettete und nun einer der Generale Bonaparte's ist. Das Stück schliesst mit der Einführung des Concordats, das sie ihres geistlichen Gelübdes entbindet.

An der Handlung selbst ist, wie man sieht, wenig oder nichts, das Anstoss geben könnte. Die Personen sind ohne Ausnahme höhere Menschen, hocherhaben über alle gewöhnlichen Standpunkte oder Triebe. In der Vorrede aber stand ein kühner Satz: „Ich denke mir oft, wenn die Menschheit die sichere Gewahr dafür erhielte, dass die Welt in zwei, drei Tagen zu Grunde gehen werde, so würde die Liebe von allen Seiten mit einer Art von Raserei losbrechen. Alles wäre dann gestattet. Nichts hätte Folgen. Da wollte die Welt einen Liebestrank trinken, dass sie stürbe in einem Wonnerausch“.

Daraus war allerdings deutlich zu ersehen, dass Renan auf die Entsagung um ihrer selbst willen keinerlei Gewicht legte. Journalisten, die vorher seine Anschauungen über das Verhältniss der beiden Geschlechter nicht beachtet hatten, wurde nun sein Grundgedanke klar, dass eines Jeden Pflichten und Tugenden durch die Forderungen bestimmt werden, die in seiner Natur liegen. Sie fanden den Gedanken haarsträubend oder stellten sich so.

Und doch ist dieser Gedanke so einfach, so ganz danach angethan, Billigung zu finden.

Es war für den heiligen Franciscus keine Pflicht, ein Denker zu sein.

Es wäre kein Gewinn gewesen, wenn Raffael ein ehrbares Leben geführt hätte.

Es war für Goethe eine Pflicht, der Rücksicht auf seine Kunst jede andere zu opfern.

Mit anderen Worten: Die das Gesetz übertretende Unregelmässigkeit des Künstlers kann höhere Moral sein. Die selbstsüchtige Bedachtnahme des Genies, Alles, was nur in seiner Macht liegt, auszurichten, kann höchste Pflicht sein. Die sittliche Ueberlegenheit des Heiligen ist in ihrer Art Genie.

Ausschlaggebend ist nur, dass ein Franciscus, ein Raffael, ein Goethe hervorgebracht werden. Der grosse Mensch ist vorläufig das Ziel der Natur und des Menschenlebens, weil durch die grossen Menschen Existenz und Herrschaft des höchsten Wesens, das, was man in alten Tagen „das Reich Gottes“ nannte, vorbereitet wird. Wenn dereinst die wissenschaftliche Allmacht in den Händen guter und gerechter Wesen vereinigt sein wird, dann endlich wird Gott allmächtig und allgütig geworden sein.

Bis dahin müssen die Menschen sich gleichsam in einer Hierarchie fühlen. Der geringere Geist muss das Leben des höheren mitleben. Wie die Gefährten Alexanders des Grossen von Alexander lebten, so muss die grosse Menge stets durch Stellvertreter denken und zum Theil auch geniessen. Sie ist darum nicht unglücklich. Eine Stufenleiter ist es. Der höhere Geist lebt das Leben der höchsten Geister.

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