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Die Erzherzogin, die ihre Schwägerin liebte … … und nicht ihren Ehemann, Kaiser Joseph II.

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Zu den wichtigsten Aufgaben eines Thronfolgers im Hause Österreich gehörte es, für entsprechenden Nachwuchs zu sorgen. Also machte man sich schon im Kindesalter des jeweiligen Erzherzogs oder der jeweiligen Erzherzogin daran, in befreundeten Königshäusern nach einer passenden Braut beziehungsweise einem Bräutigam Ausschau zu halten. Liebe spielte dabei keine Rolle, es ging einzig und allein um die Aufrechterhaltung der Dynastie.

So geschehen beim vierzehnjährigen Joseph II., dessen Mutter Maria Theresia dem künftigen Kaiser eine gleichaltrige Frau erwählte. Die »Glückliche« war Isabella von Bourbon-Parma, die einer eher unbedeutenden italienischen Nebenlinie entstammte, aber den Vorzug hatte, von der mütterlichen Seite her die Enkelin von Frankreichs König Ludwig XV. zu sein. Joseph war von der Wahl seiner Mutter anfangs gar nicht angetan, soll er doch, als man ihm ein Medaillon der Auserwählten zeigte, erschreckt ausgerufen haben: »Ich fürchte mich mehr vor dieser Heirat als vor einer Schlacht!« Die Ehe sollte sich dann aber, jedenfalls aus Josephs Sicht, ganz anders entwickeln.

Isabella war 1741 in der Nähe von Madrid als Tochter des Herzogs Philipp von Parma und seiner Frau Elisabeth zur Welt gekommen. Sie verbrachte ihre ersten Lebensjahre am spanischen Hof, ehe sie mit ihrer Mutter zu König Ludwig XV. übersiedelte. Der Aufenthalt in Versailles hat Isabella sicher geprägt, erlebte sie doch, wie ihr Großvater mit seiner Frau und seiner Mätresse, Madame de Pompadour, unter einem Dach residierte. Mit den Moralvorstellungen nahm man es hier weit weniger genau als im sittenstrengen Spanien oder gar in Österreich. Danach zog Isabella mit ihren Eltern nach Parma.

Im Jahr 1759, als Isabella und Joseph achtzehn Jahre alt waren, erfolgte die Verlobung, ein Jahr später wurden sie, ohne einander je persönlich gesehen zu haben, per procurationem, also durch einen Stellvertreter, im Dom zu Parma getraut. Nur Isabella war bei dieser Zeremonie anwesend, Joseph blieb in Wien. Die Hochzeit wurde noch im gleichen Jahr – nun in Anwesenheit beider Partner – in der Wiener Augustinerkirche nachgeholt. Der berühmte Spruch »Andere mögen Kriege führen, du, glückliches Österreich, heirate« gilt hier wohl nicht, befand sich das Habsburgerreich doch mitten im Siebenjährigen Krieg. Das pompöse Spektakel der Heirat, die als das letzte große Wiener Barockfest galt, sollte der hungernden Bevölkerung wohl als Ablenkung dienen.

Und dann geschah das Wunder: Joseph verliebte sich in seine ebenso strahlend schöne wie kluge und für damalige Verhältnisse überaus gebildete Frau, ja, er betete sie an. Sie jedoch empfand weit weniger für ihn. Denn sie sah sich vom ersten Tag ihres Wien-Aufenthalts zu Josephs jüngerer Schwester Erzherzogin Marie Christine hingezogen, die wiederum mit dem Herzog Albert von Sachsen-Teschen verheiratet war.

Das Verhältnis der Schwägerinnen zueinander war sehr intim, die vorhandenen Briefe belegen, dass es sich um eine lesbische Beziehung handelte.

»Ich kann sagen«, schreibt Isabella an Marie Christine, »dass es meine einzige Freude ist, wenn ich Dich sehe und bei Dir sein kann. Ich kann die Unruhe nicht ertragen, ich kann an nichts anderes denken, als an die Liebe zu Dir. Ich liebe Dich wie eine Wahnsinnige, wenn ich nur wüsste, weshalb …«

Marie Christine schwärmt in ihrer Antwort von Isabellas körperlichen Vorzügen, beschreibt jedes delikate Detail bis hin zu den »reizvoll geformten Brüsten«. Von Marie Christine ist nur dieses eine Handschreiben erhalten geblieben – da alle anderen vom Hof vernichtet wurden.

Von Isabella hingegen existieren rund zweihundert Briefe, die intimer nicht sein könnten. »Ich beginne den Tag mit dem Gedanken an den Gegenstand meiner Liebe und ich schließe ihn, indem ich mich mit dem Wesen beschäftige, das meine Gedanken nie verlässt.« Einmal beklagt sich Isabella sogar über ihr Eheleben und über die sexuellen Wünsche, die Joseph von ihr einforderte.


Die große Liebe: Erzherzogin Marie Christine (links) und Isabella, die erste Frau Kaiser Josephs II.

Ihrem Mann hat sie ihre körperliche Ablehnung nie gezeigt, im Gegenteil, sie fügte sich dem Unvermeidlichen und war dem Thronfolger eine respektvolle Frau. Sie gewährte ihm all das, wozu Gehorsam, dynastische Verpflichtungen und das Sakrament der Ehe sie anhielten. Der sonst trockene und zurückhaltende Joseph hingegen, »dessen Herz voller Glut und Begeisterung war«, wie dies ein Höfling ausdrückte, steigerte seine Liebe ins Unermessliche, bedauerte jede Minute, da seine Gattin und Geliebte nicht bei ihm war.

»An nichts vermag ich zu denken, als dass ich verliebt bin wie ein Narr«, schreibt Isabella indes in einem ihrer Briefe an Marie Christine. »Erzeige mir die Gerechtigkeit, die Du meiner Zärtlichkeit schuldest. Verlange Beweise, befiehl alles, was Du willst, selbst das Härteste. Ich will es mit Freuden tun.«

Wie Isabella und Marie Christine zueinandergefunden haben, kann nur vermutet werden. Kaiser-Joseph-Biograf Hans Magenschab bezeichnet die Mode jener Zeit als die eigentliche Verführerin zwischen den beiden jungen Frauen, denn »das Aus- und Ankleiden, die ständige Anprobe der Rokoko-Kostüme, die Wahl der Frisuren bildeten ein wesentliches Element des weiblichen Tagesablaufes. Man kann sich vorstellen, dass die beiden Mädchen in ständigen körperlichen Kontakt kamen, der hinter dem Paravent der Chinoiserien und vor dem Spiegel der Rokoko-Boudoirs seinen Anfang nahm.«

Auch über den Ort, an dem Isabella und Marie Christine ihre sexuellen Fantasien auslebten, kann nur spekuliert werden. Fest steht, dass beide über eigene, weitläufige Appartements verfügten, zu denen nur ihre engsten Vertrauten Zutritt hatten. Joseph-Biograf Humbert Fink fragt, ohne eine Antwort zu finden: »Wie war das eigentlich möglich, dass zwei durchaus honorige Frauen so völlig hemmungslos übereinander herfielen, sich so vollkommen einander auslieferten, dass aus Zuneigung Raserei, aus Liebe Obsession wurde?«

Der künftige Kaiser Joseph war ob der verbotenen Beziehung seiner Frau – gleichgeschlechtliche Liebe war damals bei Strafe verboten – ebenso ahnungslos wie der andere Ehemann, Albert von Sachsen-Teschen, und auch die sonst über alles informierte Kaiserin Maria Theresia.

In seltenen Momenten plagte Isabella ein schlechtes Gewissen ihrem Mann gegenüber, etwa wenn sie an die Geliebte schreibt: »Obwohl ich Dich von ganzem Herzen liebe, habe ich gestern gespürt, dass der Erzherzog vorgeht.«

Aber diese Anwandlungen dauerten nur kurze Zeit. Dafür wurden, je länger Isabella am Wiener Hof weilte, ihre depressiven Phasen und ihre Todessehnsüchte deutlicher sichtbar. Leidvorstellungen plagten die in ihre Schwägerin heillos Verliebte, sie beklagte immer häufiger ihr Dasein, das nach ihren eigenen Darstellungen ausweglos war. »Der Tod ist wohltätig«, schreibt sie der geliebten Marie Christine. »Nie in meinem Leben habe ich mehr daran gedacht als in dieser Stunde. Alles erweckt in mir den Wunsch, ein Leben zu verlassen, in welchem ich ihn jeden Tag beleidige. Das einzige Leid ist, dass ich Dich verlasse …«


Wusste nichts von der Beziehung seiner Frau mit seiner Schwester: der spätere Kaiser Joseph II.

Isabella empfand die ihr zugewiesene Rolle der Ehefrau als lästige Pflicht und sah sich auf die Rolle einer »Gebärmaschine« reduziert. Tatsächlich war sie während ihrer dreijährigen Ehe fünf Mal schwanger. Drei Schwangerschaften endeten vorzeitig in Fehlgeburten, das einzige überlebende Kind, die 1762 geborene Tochter Maria Theresia, wurde nach ihrer Großmutter benannt. Eine weitere Schwangerschaft wurde 1763 von der in Wien grassierenden Pockenseuche überschattet, von der schließlich auch Isabella befallen wurde.

Am Höhepunkt des Krankheitsverlaufs bekam sie nach sechs Monaten Schwangerschaft ein Mädchen, das nach wenigen Stunden starb. Fünf Tage später, am 27. November 1763, erfüllte sich Isabellas Todessehnsucht, und sie starb im Alter von nur 21 Jahren. Ihre letzten Worte waren: »Mein ganzer Körper brennt, denn ich habe mit dem ganzen Körper gesündigt.«

Für Joseph brach eine Welt zusammen. Seinem Vater, Kaiser Franz Stephan, schrieb er, dass er den frühen Tod seiner geliebten Frau nur dann ertragen würde, »um mein ganzes Leben hindurch unglücklich zu sein«.

Josephs Unglück setzte sich im Jahr 1770 fort, als seine Tochter Maria Theresia im Alter von nur acht Jahren starb, tief betrauert von ihrem Vater, der den Tod seines einzigen vergötterten Kindes kaum überwinden konnte.

Auch wenn er sich heftig dagegen wehrte, zwang ihn seine Mutter Maria Theresia bereits wenige Monate nach Isabellas Tod, an eine neuerliche Heirat zu denken, schließlich besaß er als künftiger Kaiser keinen männlichen Thronerben. Sein Widerstand half nichts, er musste ein Jahr nach dem Hinscheiden seiner geliebten Frau wieder heiraten, und zwar die von seiner Mutter auserwählte, um zwei Jahre ältere Prinzessin Maria Josepha von Bayern. Die Ehe war von vornherein zum Scheitern verurteilt. Joseph beschrieb seine zweite Frau als »kleine und dicke Gestalt mit hässlichen Zähnen«, deren Charakter er zwar schätzte, die er aber nicht lieben konnte. Wahrscheinlich wurde die Ehe der beiden nie vollzogen. Joseph hat das gemeinsame Schlafzimmer nie betreten und ließ sogar den gemeinsamen Balkon im Schloss Schönbrunn abteilen, um seine Frau nicht sehen zu müssen.

Der Kaiser überlebte seine zweite Frau um 25 Jahre, er starb am 20. Februar 1790 im Alter von 48 Jahren. Trotz heftigen Drängens seiner Mutter weigerte er sich, ein drittes Mal zu heiraten.

Seine Schwester Marie Christine, die Geliebte seiner ersten Frau, starb 1798 im Alter von 36 Jahren.

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