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Liebe Grüße vom Frauenmörder Die Untaten des Hugo Schenk
ОглавлениеMeine liebe kleine Anna, legen Sie Ihre Schürze ab, setzen Sie Ihren Hut auf und lassen Sie uns ausgehen.« Schrieb ein junger Mann an ein sechzehnjähriges Mädchen. Das Besondere daran: Der Brief stammt von einem der gefährlichsten Frauenmörder der österreichischen Kriminalgeschichte. Hugo Schenks Korrespondenz mit dem Mädchen tauchte erst hundert Jahre später auf. Mit viel Glück war Anna Ludescher einem skrupellosen Mörder entkommen.
Durch viele Jahre hatte Hugo Schenk – in Prozessberichten am Ende des 19. Jahrhunderts als »Blaubart von Wien« bezeichnet – Österreich-Ungarn in Angst und Schrecken versetzt. Mit 21 gab er sich als russischer Großfürst aus, mit 35 wurde er als Heiratsschwindler und Frauenmörder zum Tod verurteilt.
In den Jahren dazwischen machte sich der Sohn eines aus Mähren stammenden Kreisgerichtsrates meist durch Heiratsinserate an Frauen heran, die er dann gemeinsam mit zwei Komplizen um ihre Ersparnisse brachte. Vier Mädchen ermordete er, in zwei weiteren Fällen wurde er wegen Mordversuchs verurteilt. Schenk verübte auch Raubüberfälle, andere Morde wurden ihm angelastet, konnten jedoch nicht nachgewiesen werden.
Die Dokumente zu einem Fall finden sich im Wiener Kriminalmuseum. Es sind sieben Briefe, die Schenk an Anna Ludescher geschrieben hat. Im Nachlass der gebürtigen Münchnerin ist auch die Erklärung zu der Korrespondenz archiviert: »Ich unternahm im Sommer 1875 als sechzehnjähriges Mädchen in Begleitung meines Vaters einen Ausflug nach Schwaz in Tirol. Als wir uns auf die Veranda eines Hotels setzten, trat ein Herr wie zufällig an unseren Tisch und bat mit weltmännischen Manieren Platz nehmen zu dürfen. Es entstand eine angeregte Unterhaltung. Dann erbot sich der Fremde, uns das Städtchen zu zeigen.«
Während Annas Vater, »der kein Freund größerer Spaziergänge war«, dankend ablehnte, gab er der Tochter die Einwilligung, dem charmanten »Dr. Middendorf«, wie der Fremde sich nannte, zu folgen. »Dieser erwies sich als amüsanter und sachkundiger Führer und zeigte mir Sehenswürdigkeiten, vor allem die alte Freundsburg. Wir gelangten zu dem Steg, der zur Ruine führt, und waren im dichtesten Gehölz angelangt, als er unvermittelt die Frage an mich richtete: ›Fürchten Sie sich nicht, mit einem fremden Mann allein hier heraufzusteigen?‹«
Naiv antwortete Anna: »Wegen des kleinen goldenen Kreuzchens, welches ich hier am Halse trage, wird es sich wohl nicht lohnen, mir etwas Schlimmes zuzufügen. Betroffen senkte er den Blick und sagte zu mir: ›Sie ahnungsloser Engel!‹«
Tatsächlich verführte Hugo Schenk seine späteren Opfer mit eben diesen Tricks zu Spaziergängen durch Wälder und Auen. So gab er sich als Bauingenieur aus, als er 1881 das 34-jährige Stubenmädchen Josefine Timal in einen Wald lockte, betäubte, mit einem Stein beschwerte und in einem Tümpel ertränkte. Mit Josefines 47-jähriger Tante Katharina wanderte er bei Krummnußbaum durch einen Auwald, ehe er sie mit einem Ledermesser erstach und in die Donau warf. Die Köchin Theresia Ketterl starb, als sie mit Hugo Schenk einen Ausflug auf die Reisalpe unternahm. Und die 33-jährige Rosa Ferenczy, ebenfalls Köchin, erschlug er in der Donauau bei Pressburg mit einer Hacke.
Kam meist durch Heiratsinserate an seine späteren Opfer heran: Hugo Schenk
Zurück zu Anna Ludescher. Nach dem Abstieg von der Ruine bat der Fremde, sie auch in Zukunft besuchen zu dürfen. Doch er kam – zu Annas großem Bedauern – nur einmal, da er danach »verreisen musste«. Eine glückliche Fügung, die dem Mädchen wohl das Leben gerettet hat.
Denn Anna zeigte große Zuneigung zu dem 26-jährigen Mann. Er schickte ihr »Briefe und Postkarten, fein empfundene Naturschilderungen sowie formvollendete, prächtige Gedichte.« Vom Fuße des Eiffelturms etwa schrieb er der »lieben Anna« am 20. September 1875, »wie schön es wäre, wenn ich Ihnen Paris und all die Großartigkeiten dieser Stadt zeigen könnte …«
Anna fiel auf, dass es sehr schwer war, ihrem Verehrer zu antworten, da er »immer auf Reisen« war. »Schreiben Sie mir nicht, ich muss heute von hier abreisen und werde dann in Straßburg sein, weiß aber noch nicht, in welchem Hotel ich absteige«, lautet eine typische Briefstelle.
Erst nach Jahren erfuhr Anna, als sie einem Kriminalbeamten ein Bild zeigte, das ihr »Dr. Middendorf« von sich überlassen hatte, wer ihr Galan wirklich war.
Mehr als hundert Jahre später konnte der Kriminalhistoriker Harald Seyrl anhand der Korrespondenz nachweisen, dass es sich bei »Dr. Middendorf« um Hugo Schenk handelte, der fast immer unter falschem Namen auftrat. »Es ist bekannt, dass er überaus intelligent, gebildet und ein talentierter Dichter war. Die Lyrik, die während des Prozesses gegen ihn vorgelesen wurde, erregte im Gerichtssaal großes Aufsehen. Und die Briefe an Frau Ludescher stimmen mit seiner tatsächlichen Reisetätigkeit überein.«
Sie blieben für die Nachwelt erhalten und fügen der »Akte Schenk« ein weiteres Beispiel der Verführungskünste des gerissenen Heiratsschwindlers und Frauenmörders bei.
Während Hugo Schenk mit seinem geistig behinderten Bruder und dem Komplizen Karl Schlossarek die Morde an dem 25-jährigen Stubenmädchen Josefine Eder und einem weiteren Opfer, Emilie Höchsmann, vorbereitete, wurde das Trio in der Nacht zum 11. Jänner 1884 vom k. k. Polizeirat Karl Breitenfeld festgenommen. Schenk und Schlossarek wurden in einem aufsehenerregenden Prozess wegen vierfachen Mordes und zweifachen Mordversuchs zum Tod verurteilt. Sie wurden am 22. April 1884 im Hof des Wiener Landesgerichts hingerichtet.
Die gebürtige Münchnerin Anna Ludescher starb 1914 in Hall in Tirol. Sie wurde 82 Jahre alt. Glückliche Umstände haben ihr wohl ein langes Leben geschenkt.