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Von der Reichswehr zur Wehrmacht

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Die gesellschaftlichen und repräsentativen Verpflichtungen waren für den Befehlshaber des Berliner Wehrkreises sehr intensiv. Trotz ihrer schlechten Gesundheit begleitete Elsa von Witzleben häufig ihren Mann in den ersten Monaten ihrer Berliner Zeit. Anlässe wie die sogenannten Hindenburg-Bälle genoss man durchaus, insbesondere Tochter Edelgarde. Doch nach den Erlebnissen im Sommer 1934 zog sich Elsa von Witzleben zurück. Sie weigerte sich, an Veranstaltungen teilzunehmen, bei denen »braune [...] Herren«594 erschienen. Und Witzleben wurde nachgesagt, dass ihm das stundenlange Zusammensein mit den »Nazigrößen« auf solchen Empfängen fast körperliche Schmerzen bereitete.595

Er hatte durch diese vielfältigen Begegnungen allerdings auch Gelegenheit für manches Gespräch, das ihm Informationen über die Politik der Regierung lieferte. Auch bei offiziellen Jagdeinladungen nutzte er die Möglichkeit, sich zu informieren. Privat blieb die Jagd für ihn aber nach wie vor ein Ort der Erholung.596

Hitlers Macht hatte sich weiter etabliert. Die SS hatte nach dem 30. Juni 1934 ihre Unabhängigkeit von der SA errungen und nun waren ihre Provokationen gegen das Heer an der Tagesordnung. Hitler war jedoch weiterhin auf die Loyalität der Reichswehr angewiesen. Die Aktionen der SS gingen soweit, dass der »Führer« am 3. Januar 1935 ein klares Treuebekenntnis dem Heer gegenüber glaubte leisten zu müssen. Das tat er nicht nur in Gegenwart hoher Offiziere, sondern er hatte auch weitere maßgebliche Persönlichkeiten aus Staat und Partei dazu geladen.597 Sein Bekenntnis führte nicht nur zu einem Abflauen der Sticheleien der SS, es streute auch vielen militärischen Führern Sand in die Augen, wurde doch durch solche Aktionen weiter die Mär gepflegt, dass Hitler und sein Regime zweierlei seien.598

Währenddessen rüstete der »Führer« weiter auf.599 Im Rahmen seiner Revisionspolitik wurde am 16. März 1935 die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht verkündet. Witzleben war über die Planungen zu diesem Schritt nicht informiert, sondern wurde davon überrascht. Die Aufrüstung wurde im Stab des Wehrkreises positiv als vernünftige Maßnahme aufgenommen.600 Weitere Schritte folgten. Die Reichswehr hieß jetzt »Wehrmacht«601 und die Heeresführung »Oberkommando des Heeres«602.

Am 15. Oktober 1935 wurde von Hitler am 125. Geburtstag ihrer Gründung die Kriegsakademie in Berlin wieder eröffnet. Die klassische Generalstabsausbildung – wie sie von 1810 bis 1920 die preußische Armee legendär gemacht hatte – wurde wieder offiziell durchgeführt, und Deutschland besaß nun auch offiziell wieder einen »Generalstab des Heeres«603. Witzleben nahm mit anderen hohen Generälen an der Eröffnung teil. Nimmt man seine protokollarische Zuordnung an diesem Tag als ein Zeichen seiner Stellung604, so wird deutlich, wie hoch er weiterhin innerhalb der Wehrmachtselite rangierte.605

Seine Aufgaben blieben vielfältig. Er kam mit Hitler häufiger in Berührung, sei es bei Truppenbesichtigungen606, Einweihungen oder Feiern607 und vor allem bei den jährlichen Paraden zum »Führergeburtstag« und stand dabei dem Reichskanzler Auge in Auge gegenüber.608

Die suggestive Wirkung Hitlers, der viele erlagen609, versagte bei Witzleben; knapp und trocken sagte er: »Mir hat der Kerl noch nie imponiert.«610

Neben den protokollarischen und militärischen Aufgaben war Witzleben in Berlin als territorialer Befehlshaber auch Ansprechpartner für zahlreiche Institutionen von Staat und Partei. So kam es auch vor, dass der General beispielsweise zu einem Kameradschaftsabend von Armee und SS geladen wurde.611

Im Jahr 1935 wurde der Boden für eine schrittweise Eliminierung der Juden in Deutschland weiter verschärft. Am 15. September 1935 beschloss der in Nürnberg tagende Reichstag einstimmig die »Nürnberger Gesetze«. Entscheidender Kern des »Gesetz[es] zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre« war das Verbot der Eheschließung zwischen Juden und Nichtjuden.612 Damit setzte sich in Deutschland die Ausgrenzung jüdischer Mitbürger fort.

Auch aus Witzlebens Verantwortungsbereich gibt es hierzu Hinweise. Im Rahmen einer Wehrmachtstudie äußerte sich das Generalkommando des III. Armeekorps am 28. Dezember 1936 auch zu der Frage, wie im Mobilmachungsfalle bei der Aufstellung von Ersatzeinheiten mit »Juden und Wehrunwürdigen« umzugehen sei. Das Generalkommando hielt es

»für erforderlich, daß beide Menschengruppen, die als Unruhestifter in der Heimat ihr Unwesen treiben können, sofort erfaßt werden und in S-Abteilungen Arbeiten verrichteten.«613

Das Schreiben war erstellt worden von Mitarbeitern des Zweiten Generalstabsoffiziers und sollte vom Chef des Generalstabes – Oberst i.G. Hans Felber – unterschrieben werden. Es wurde schließlich vom Ersten Generalstabsoffizier, Major i.G. Gustav Harteneck, in Stellvertretung des Chefs gezeichnet.614 Es ist unklar, ob Witzleben dieses Schreiben kannte, und was er möglicherweise darüber dachte.615

Witzlebens Familie ließ sich den privaten Umgang mit Juden jedenfalls nicht verbieten. Die Tochter war beispielsweise mit mehreren Juden befreundet und pflegte diese Freundschaften auch mit Zustimmung der Eltern.616 Zwischen 1934 und 1936 wurde Edelgarde von Witzleben immer wieder von jüdischen Freundinnen im Gebäude des Generalkommandos an der Kurfürstenstraße in Berlin besucht617, in dem sich auch Witzlebens Privatwohnung befand. Der General wusste von den Freundschaften seiner Tochter und billigte die Besuche.618

Aufgrund seiner Stellung als Befehlshaber des Wehrkreises III konnte Witzleben seine Netzwerke nicht nur weiter pflegen, sondern auch vergrößern. Vor allem pflegte er den Kontakt zu seinen Truppen bei persönlichen Besuchen.619 Im Zuge der Vergrößerung der Reichswehr im Rahmen der Aufrüstung und der sogenannten »Enttarnung« wurde aus der 3. Division zum 1. Juli 1935 das III. Armeekorps.620 Witzleben war nun der »Kommandierende General des III. Armeekorps und Befehlshaber im Wehrkreis III«.621

Und auch das Personalkarussell drehte sich weiter: Während Witzlebens Stabschef Erich von Manstein622 in den Generalstab des Heeres wechselte623, wurde Oberst i.G. Erich Hoepner zum Chef des Stabes des Gruppenkommandos 1 Berlin befördert.624 Witzleben und Hoepner haben in ihren dienstlichen Funktionen vielfach Kontakt miteinander gepflegt. Die Verbindung der beiden sollte sich wenige Jahre später und dann dauerhaft als besonders vertrauensvoll herausstellen.625

Der Oberbefehlshaber des Heeres (OBdH), General Freiherr von Fritsch, war Junggeselle und gab gern Abendessen im kleinen Kreis,626 die auch Gelegenheit für offene und vertrauensvolle Gespräche boten. Jedoch sprach Witzleben mit Fritsch über die politischen Verhältnisse im Reich lieber außerhalb von dessen Wohnung. In diesen Gesprächen war der Kommandierende General sehr offen in seiner Kritik, so dass Fritsch ihn warnte: »Witzleben, seien Sie vorsichtig, bei drei Personen beginnt die Öffentlichkeit!«627

Privat kam der Generalleutnant mit manchen neuen Bekanntschaften zusammen. Elsa und Erwin von Witzleben verkehrten in Berlin mit dem Eigentümer der Herrschaft Neuhardenberg, Carl-Hans Graf von Hardenberg und seiner Frau Renate.628 Hardenberg war ein Gegner Hitlers, der später als Adjutant versuchte, seinen Vorgesetzten, Generalfeldmarschall von Bock, zum Widerstand zu bewegen.628 Witzlebens freundeten sich auch mit dem Schauspieler Karl-Ludwig Diehl und seiner Frau an. Als Diehls Fahrer Paul Jondraschek 1939 wehrpflichtig wurde, holte ihn Witzleben zu sich; Jondraschek fuhr den General bis zu dessen Tod.629 Auch die Kontakte in die Witzleben’sche Großfamilie pflegte er weiter. Die Besuche der Familientage mit Frau und Tochter waren für ihn selbstverständlich. Gern sah er vor allem diejenigen Witzlebens wieder, mit denen er auch befreundet war, vor allem Hermann von Witzleben und dessen Frau Ursula. Er blieb aber auch Ratgeber und Ansprechpartner für seine Neffen. So half er manchem von ihnen, beim Eintritt in die Armee in eine passende Einheit aufgenommen zu werden.630

Am 7. März 1936 marschierten deutsche Truppen in das entmilitarisierte Rheinland ein. Sie wurden von der Bevölkerung begeistert aufgenommen. Frankreich protestierte, verstärkte seine Truppen an der Grenze, machte aber nicht mobil. Hitler war wieder ein Coup gelungen, und die deutsche Bevölkerung feierte ihren »Führer«.631 Und wenige Monate später – am 1. August 1936 – eröffnete der Diktator die XI. Olympischen Sommerspiele in Berlin. Deutschland hatte die Welt zu Gast. Auch Witzleben kam mit den Spielen in Berührung. Die Wehrmacht hatte beispielsweise ein internationales Zeltlager errichtet und der Wehrkreisbefehlshaber begleitete Hitler zu olympischen Wettkämpfen.632

Indes rüstete die Wehrmacht weiter auf. Auch Witzlebens Generalkommando war vielfach mit Fragen der Aufrüstung und der Verbesserung von Verteidigungsmaßnahmen beschäftigt.633 Durch die Ernennung zum Kommandierenden General war auch eine Aufwertung des Dienstpostens verbunden. Damit ging die Beförderung zum General der Infanterie zum 1. Oktober 1936 einher.634 Die schnellen Beförderungen der letzten Jahre hatte Witzleben auch seinem Können zu verdanken, aber die Aufrüstung tat jetzt ihr Übriges. Ihm war das durchaus bewusst, und er kommentierte trocken: »Man avanciert sich ja rein zu Tode.«635

Witzlebens Gesundheit verschlechterte sich jedoch rapide, und er musste wegen seines Magenleidens immer mehr Schmerzmittel einnehmen. Bei Hitlers Geburtstagsparade am 20. April 1936, die er wie die Jahre zuvor als Befehlshaber im Wehrkreis III zu kommandieren hatte636, stand der Kommandierende General drei Stunden unterhalb von Hitlers Ehrentribüne »kerzengerade«637. Trotz der starken Schmerzen hielt er durch, brach aber danach zu Hause zusammen.638

Im Oktober sollte sich im privaten Alltag des Familienvaters Wesentliches ändern: Seine Tochter heiratete.

Die 28-jährige Edelgarde von Witzleben, die noch bei den Eltern wohnte, hatte im Februar den Weltkriegsveteran, Reserveoffizier und promovierten Landwirt Hans Reimer, Eigentümer des großen Gutes Adl. Schilleningken in Ostpreußen anlässlich eines Gesellschaftsabends in der Kreisstadt Tilsit kennengelernt. Bereits im Mai desselben Jahres verlobte sich das Paar heimlich auf der Berliner Pfaueninsel, um dann im Herbst zu heiraten.

Die Räumlichkeiten des Generalkommandos boten den entsprechenden Rahmen für die Hochzeit, und am 24. Oktober gab es dort ein großes Fest, an dem auch zahlreiche Witzlebens teilnahmen.639 Brautvater Witzleben und Bräutigam Reimer fanden schnell ein herzliches Verhältnis zueinander. Reimer war nach Witzlebens Geschmack: ein Offizier mit einem landwirtschaftlichen Betrieb mit viel Wald, der die Jagd ebenso liebte wie sein Schwiegervater.640

Witzleben nahm regen Anteil an ihrem weiteren Leben.641 So waren alle menschlichen Voraussetzungen gegeben, um die starke Beziehung zwischen Vater und Tochter unverändert weiter leben zu lassen. Wie selbstverständlich wuchsen Hans Reimer und später seine Söhne in das sich vergrößernde familiäre Band mit seinen Schwiegereltern hinein. Edelgarde Reimers Mutter Elsa von Witzleben hatte ihrer Tochter auf den Weg in ihr neues ostpreußischen Zuhause noch den eindringlichen Rat mitgegeben, nicht in die Partei einzutreten, weil sie sonst deren Verbrechen mittragen würde.642

Am 29. Januar 1937 wurde Witzleben erstmalig in den Vorstand des »v. Witzleben’schen Familienverbandes« gewählt.643 Er pflegte mit seiner Frau persönliche Beziehungen zu einzelnen Familien seiner nah und entfernt verwandten Cousins, besuchte wenn möglich immer die Familientage und erwarb sich dabei Sympathien, Wertschätzung und vereinzelt Freundschaften.

Die Vorstandswahlen waren nicht das zufällige Ergebnis von spontanen Handlungen. Für seine Cousins gehörte Erwin von Witzleben durch seine berufliche Stellung und sein Ansehen zu den herausragenden Familienangehörigen.644 Allerdings war auch nicht zu übersehen, wie kühl der Umgang zwischen ihm und dem Vorsitzenden des Familienverbandes, Friedrich-Karl von Witzleben, war. Es gab zwischen den beiden Spannungen, die bis zu Witzlebens Tod anhielten.645 Friedrich-Karl von Witzleben hatte drei Söhne. Erik fiel als knapp 23-jähriger Leutnant am 7. Oktober 1914 an der Westfront. Hartmann hatte keine eigene Familie gegründet. Der älteste Sohn Job hatte in eine Familie mit Landbesitz geheiratet.646 Er hatte im Ersten Weltkrieg traumatische Todeserfahrungen gemacht und war alkoholkrank geworden.647 Als er am 29. Juli 1938 starb, gab Friedrich-Karl von Witzleben seiner Schwiegertochter Adelgunde geb. von Meyer, genannt Gundel, die Schuld. Erwin und Adelgunde von Witzleben wiederum waren einander herzlich zugeneigt. Der General hielt sich oft in Helpe/Neumark, dem Gut seiner Cousine, zur Jagd auf. Eines Tages ergriff er die Gelegenheit, stellte seinen Cousin Friedrich-Karl von Witzleben zur Rede und nahm Adelgunde von Witzleben in Schutz. Ein Vorstoß, der das Verhältnis zwischen Erwin und Friedrich-Karl von Witzleben verschlechterte.648 Hinzu kam, dass beide sehr unterschiedliche politische Auffassungen von Hitler und seiner Politik hatten.649

Auch ein Ereignis von Hitlers Geburtstag am 20. April 1937 zeigt die Spannungen zwischen beiden. Witzleben führte an diesem Tag wie üblich die Parade auf der »Ost-West-Achse« an.650 Sein Pferd verweigerte so stark, dass der Kommandierende General gezwungen war, vor der angetretenen Front das Pferd zu wechseln. Friedrich-Karl von Witzleben nahm dieses Ereignis so ernst, dass er sich darüber innerhalb der Familie sehr negativ äußerte.651

Unterschiedliche Auffassungen über Hitler und seine Politik trennten aber nicht nur Erwin und Friedrich-Karl von Witzleben. Obgleich sich Witzleben nur in ganz vertrautem Kreis kritisch über Hitler äußerte, registrierte er umso mehr die Begeisterung anderer Menschen. Es gab auch Freundschaften, die auseinandergingen, weil Witzleben überzeugten Nationalsozialisten nicht mehr trauen konnte.652 Er pflegte innerhalb der Familie vor allem Kontakte, bei denen er von ähnlichen politischen Auffassungen ausgehen konnte.653

Witzlebens Ansehen in der Truppe scheint in dieser Zeit groß gewesen zu sein. Bei einem Besuch des Reichsarbeitsdienstes im Sommer 1937 schreibt beispielsweise ein Arbeitsdienstmann:

»Der scharfe aber doch gütige Blick des Generals geht durch Mark und Bein. Es ist, als sähe er einem jeden bis ins Herz. [...] Das Pausengespräch dreht sich ausschließlich um die schneidige und ehrfurchtgebietende Gestalt des Generals.«654

Die politische Lage blieb für Witzleben weiter angespannt. Seine Gesundheit und die seiner Frau wurden auch immer schlechter. Er nahm weiter starke Schmerzmittel, um nicht auszufallen. Im Sommer 1937 fuhr er mit seiner Frau nach Ostpreußen zu Tochter und Schwiegersohn, in der Hoffnung, etwas Erholung zu finden.655

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