Читать книгу Wenn es gegen den Satan Hitler geht ... - Georg von Witzleben - Страница 30
Kritik an Hitlers Kurs – Anfänge des Widerstands
ОглавлениеWitzleben hatte in den letzten drei Jahren die Nationalsozialisten aus nächster Nähe erlebt.656 Dazu gehörte auch die Erfahrung mit den Morden des Sommers 1934. Und je mehr der Berliner Wehrkreisbefehlshaber erfuhr, desto mehr fand er Bestätigung in dem, was er in Hitlers »Mein Kampf« selber gelesen hatte: dass es nicht um eine Aufrüstung ging, die der Verteidigung des Reiches dienen sollte, und dass Hitler sich keineswegs darauf beschränkte, auf eine Revision von einzelnen Bestandteilen des Versailler Vertrages hinzuarbeiten. Für Witzleben ist durch seine jahrelange Beobachtung und Analyse der nationalsozialistischen Politik und Ziele deutlich geworden: Hitlers Politik lief eindeutig auf baldigen, großen, leichtfertigen Krieg hinaus. Das hielt der Weltkriegsveteran für ein Verbrechen. Er ging davon aus, dass ein von Hitler angezettelter Krieg das Ende Deutschlands bedeuten würde.657 Der Berliner Wehrkreisbefehlshaber hatte sich endgültig von den anfangs so »faszinierenden Zielen der Nationalsozialisten«658 losgesagt.
Wer aber konnte den Diktator aufhalten? Wer hatte die Macht dazu? Als Witzleben nach Berlin zurückkehrte, war er sich bewusst, dass eine mögliche, radikale Veränderung in Deutschland unumgänglich sei. Und der General, der Truppen in der Reichshauptstadt befehligte, war der Kommandierende General des III. Armeekorps: General der Infanterie Erwin von Witzleben. Seine schlichte, klare und ehrliche Analyse hatte ihn zu diesem Ergebnis geführt: Er selbst würde handeln müssen, um den Diktator zu stoppen.
Die regimekritischen Gedanken und Äußerungen Witzlebens wurden jetzt konkreter. Es ging nunmehr in den Gesprächen mit Gleichgesinnten um die Frage, wie eine Veränderung stattfinden könnte. Dabei wurden nicht alle Details sogleich besprochen, aber die Frage, was mit Hitler selbst geschehen sollte, wurde bereits berührt.659 Ein Gesprächspartner von Witzleben war Hans Oster, sein alter Kamerad und Freund aus schlesischen und Dresdner Tagen, der als Oberstleutnant seit 1935 in Berlin im Auslandsgeheimdienst der Wehrmacht (Amt Abwehr unter Admiral Canaris) eine Schlüsselposition als Leiter der Zentralabteilung einnahm.
Oster war aufgrund einer Liebesbeziehung zur Frau eines Kameraden zeitweise aus der Reichswehr entlassen worden.660 Obwohl Witzleben die Bedeutung der Unverletzlichkeit der Ehe sehr wichtig war661, tat dies der Freundschaft keinen Abbruch. Seine Mitmenschen beurteilte Witzleben vom Herzen her.662 Das galt auch für Oster, dem er vertraute. Bei der Beurteilung des Regimes waren beide einer Meinung.663 Jetzt galt es, Verbündete zu finden.
Witzlebens Tochter brachte am 11. September 1937, einem Samstagabend, ihren ersten Sohn Dietrich Reimer zur Welt.664 Witzleben und seine Frau luden für den nächsten Tag spontan ihre Freundin Ursula von Witzleben zu sich ein. Mit seiner Cousine Ursula und ihrem Mann Hermann waren Witzleben und seine Frau seit Jahren befreundet. Viele Jahre dienten die beiden Offiziere in derselben Stadt oder in der Nähe, so dass sie viel Freizeit miteinander verbringen konnten. Auf dieser Grundlage bildete sich ein enges Vertrauensverhältnis zu Ursula.665
An diesem Tag bat Witzleben trotz regnerischen Herbstwetters seine Cousine, ihm und seiner Frau in den Garten zu folgen. Er befürchtete, von der Gestapo abgehört und beobachtet zu werden.666 Er bat sie, ihm einige Fragen zu beantworten. Zuvor nahm er ihr jedoch das Versprechen ab, mit keinem Menschen über dieses Gespräch zu reden. Er und mit ihm verbundene Kameraden seien der Meinung, dass Hitler auf einen Krieg zusteuere. Das müsse verhindert werden. Wenn man aber nicht bald eingreife, sei es zu spät. Er bekannte, auf der Suche nach Verbündeten zu sein, und es war ihm wichtig, ihre Meinung zu einigen Personen aus weiblicher Sicht zu hören. Dabei spiele das Gruppenkommando 1 Berlin des Generals der Infanterie Gerd von Rundstedt – zudem ja auch Witzlebens Armeekorps gehörte – ebenso eine Rolle wie das Allgemeine Heeresamt des Generalmajors Friedrich Fromm. Ursula von Witzleben kannte Rundstedt schon seit ihrer Kindheit. Umso klarer traute sie sich ein Urteil zu: Rundstedt würde zwar Witzleben nicht verraten, aber Eitelkeit und Ehrgeiz würden ihn davon abhalten, einen Schritt gegen Hitler überhaupt ins Auge zu fassen. Witzleben stimmte zu und fragte nach Fromm. Bei diesem sei sein großes Geltungsbedürfnis das Problem – so Ursula von Witzleben –, das auch mit menschlicher Kälte gepaart sei. Witzlebens positive Beurteilung von Beck und Fritsch teilte sie hingegen.667
Parallel zu Witzlebens Sondierungen führten auch andere regimekritische Offiziere ähnliche Gespräche. Generalmajor Walther Graf von Brockdorff-Ahlefeldt – einer von Witzlebens Regimentskommandeuren668 – sprach mit dem damaligen stellvertretenden Polizeipräsidenten von Berlin, Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg, sowie mit dem ehemaligen Oberpräsidenten von Ostpreußen, August Winnig. Auch in diesen Gesprächen ging es um die Frage, mit welchen Personen man im Falle einer Aktion zusammenarbeiten könnte.669 Witzleben und Brockdorff – die sich schon seit Beginn der Reichswehr aus ihren gemeinsamen Tagen als Kompaniechefs im IR 8 und beim Infanterieführer III kannten670 – haben sich hierbei ganz offensichtlich abgestimmt.671 Brockdorff war seit seinem Dienstantritt als Kommandeur des IR 8 am 1. März 1934 Witzlebens Mitarbeiter.672
Im Zuge der Erweiterung seiner Kommandobehörde zum Generalkommando gab es auch räumliche Veränderungen. Witzlebens Dienststelle zog am 3. Dezember 1937 in einen neu errichteten Gebäudekomplex am Hohenzollerndamm 144–152.673 Der Kommandierende General erhielt in der Nähe, in der Lassenstraße 19–21 im Berliner Stadtteil Grunewald, eine Dienstvilla. Seine Frau war darüber nicht begeistert, weil das Treppensteigen in dem mehrstöckigen Haus für sie sehr belastend war.674