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Dreizehnter Brief.

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Azola, 29. frimaire IX (Decbr.1800).

„Es ist lange her, meine liebe Mutter, daß ich nicht das Vergnügen gehabt habe, mich mit Dir zu unterhalten. Wessen Schuld ist das? wirst Du fragen, aber in Wahrheit, es ist nicht ganz die meinige. Seit wir in Azola sind, thun wir nichts als hin- und herlaufen, um die feindlichen Posten zu beobachten, und wenn wir nach Hause kommen, finden wir eine lärmende, lustige Gesellschaft, und Tanz und Lachen währt oft spät bis in die Nacht. Man legt sich übermüdet nieder und fängt den andern Tag dasselbe Leben von Neuem an. — Du wirst schelten und sagen, daß es vernünftig wäre, mich früh zur Ruhe zu begeben — aber wenn Du Soldat wärest, würdest Du wissen, daß die Ermüdung Aufregung verursacht und unser Handwerk nur im Augenblicke der Gefahr Kaltblütigkeit mit sich bringt. Unter allen Umständen sind wir Narren und wir haben nöthig, es zu sein. — Und nun habe ich Dir noch eine Neuigkeit mitzutheilen, von der ich eben erst Gewißheit erhielt. Morin hatte sie mir als etwas nahe Bevorstehendes angezeigt und der General bestätigte sie, indem er mir ein Geschenk mit dem Adjutanten-Patent, einem gelben Federbusch und einer schönen, rothen Schärpe mit goldnen Franzen machte.

„So bin ich also Adjutant des General-Lieutenant Dupont, und so mußt Du mich künftig in der Adresse der Briefe tituliren, damit sie schneller ankommen. Das neue Reglement gestattet dem General drei Adjutanten und so habe ich endlich einen prächtigen Posten, bin angesehen, geachtet und geliebt … Ja! geliebt von einer reizenden und liebenswürdigen Frau, und es fehlt mir nichts, um vollkommen glücklich zu sein, als Deine Gegenwart ... das ist allerdings viel!

„Du wirst wohl wissen, daß, seit das Corps Dupont's und die Division Watrin hier zusammengekommen sind, wir alle Abende Reunions haben, in denen Mde. Watrin im Glanze ihrer Jugend und Schönheit strahlt wie ein Stern —aber sie ist es nicht; es ist ein Stern von sanfterem Glanze, der mir leuchtet.

„Du weißt, daß ich in Mailand verliebt war; Du hast es errathen, weil ich es Dir nicht sagte. — Manchmal glaubte ich mich geliebt und dann sah ich wieder, oder glaubte zu sehen, daß es nicht so war. Ich suchte mich zu zerstreuen — reiste ab und wollte nicht mehr an die Sache denken.

Diese reizende Frau ist jetzt hier und wir sprachen uns wenig, ja sahen uns kaum an. Ich fühlte eine Art Aerger, obgleich das eigentlich nicht in meiner Natur liegt und sie zeigte mir Stolz, obgleich sie ein zärtliches und gefühlvolles Herz hat. — Diesen Morgen während des Frühstücks hörten wir ferne Kanonenschüsse. Der General befahl mir zu Pferde zu steigen, um zu sehen, was es gebe. Ich stehe auf und springe mit zwei Sätzen zur Treppe hinunter über den Hof in den Stall. Als ich eben aufsteigen will, drehe ich mich um und sehe die theure Frau, die mir roth und verlegen einen langen Blick zuwirft, der zugleich Furcht, Interesse und Liebe ausdrückt ... Ich hätte ihr beinahe auf dies Alles dadurch geantwortet, daß ich ihr um den Hals fiel; aber das war mitten im Hofe nicht möglich und ich mußte mich begnügen, ihr zärtlich die Hand zu drücken, indem ich meinen edeln Renner bestieg, der, voll Feuer und Kühnheit, drei prächtige Caracolen machte und dann davonjagte. — Ich war bald bei dem Posten, von dem der Lärm ausging und fand, daß man mit den Oestreichern ein kleines Scharmützel gehabt und sie zurückgeschlagen hatte. — Als ich dem General die Nachricht brachte, war sie noch da. Ah! wie wurde ich empfangen! Wie heiter war das Mittagessen! Welche zarte Aufmerksamkeiten hatte sie für mich!

„Denselben Abend befand ich mich durch einen unverhofften Zufall mit ihr allein. Alle Andern halten sich, ermüdet durch die übermäßige Anstrengung des Tages, zur Ruhe gelegt. Ich säumte nicht, ihr zu sagen, wie sehr ich sie liebte und sie warf sich, in Thränen ausbrechend, in meine Arme. — Dann entschlüpfte sie mir und verschloß sich in ihr Zimmer — ich wollte ihr folgen, aber sie befahl, bat und beschwor mich, ich möchte sie allein lassen, und ich gehorchte als unterthäniger Liebhaber. — Da wir bei Tagesanbruch die Pferde besteigen, um zum Recognosciren anzureiten, so bin ich gleich wach geblieben, um mit meiner guten Mutter von den Aufregungen des Tages zu sprechen. Wie liebenswürdig ist Dein acht Seiten langer Brief! Wie viel Freude hat er mir gemacht! Wie süß ist es, geliebt zu sein! Eine gute Mutter, treffliche Freunde, eine schöne Geliebte zu haben, ein wenig Ruhm und schöne Pferde und Feinde, die wir bekämpfen! Ich habe alles das, alles das und auch das Beste, meine gute Mutter!

Moritz.“

Es giebt bei gewissen Naturen einen Moment, wo die Fähigkeiten des Glückes, des Vertrauens und des Genusses ihren Höhepunkt erreichen — und dann, als könnte unsere Seele dem nicht mehr genügen, breiten Zweifel und Trauer eine Wolke über uns aus, die uns für immer umhüllt. Oder ist es wirklich unser Schicksal, das sich verdüstert und sind wir verdammt, langsam den Abhang hinabzugehen, den wie mit kühner Freudigkeit erstiegen?

Der junge Mann fühlte zum ersten Male Anwandelungen einer dauernden Liebe. Diese Frau, von der er mit einem Gemisch von Enthusiasmus und Leichtfertigkeit spricht; diese anmuthige Liebelei, die er vielleicht vergessen zu können glaubte, wie er die Stiftsdame und Andere vergessen hatte, sollten sich seines ganzen Lebens bemächtigen und ihn in einen Kampf mit sich selbst bringen, der die Qual, das Glück, die Verzweiflung und die Größe seiner letzten acht Lebensjahre ausmachte. Von diesem Augenblicke an war dieses Herz, das gut und unbefangen bis dahin allen äußern Eindrücken offen stand, das ein unbeschränktes Wohlwollen, einen blinden Glauben an die Zukunft und einen Ehrgeiz besessen hatte, der nicht persönlich, sondern eins mit dem Ruhme des Vaterlandes war — dieses Herz, das eine einzige, beinahe leidenschaftliche Neigung, die kindliche Liebe erfüllt und in köstlicher Einheit erhalten hatte — dieses Herz war jetzt getheilt, man möchte sagen zerrissen von zwei beinahe unvereinbaren Gefühlen. Die glückliche und stolze Mutter, die nur von dieser Liebe lebte, wurde von einer, dem Herzen des Weibes eigenthümlichen Eifersucht gequält und gepeinigt, die sie um so mehr schmerzte und beunruhigte, da die Mutterliebe die einzige Leidenschaft ihres Lebens gewesen war. Diese innerliche Angst, welche sie niemals gestand, die aber nur zu gewiß existirte und auch von jeder andern Frau in ihr hervorgerufen worden wäre, gesellte sich zu der Bitterkeit verletzter Vorurtheile, achtungswerther Vorurtheile, die ich erklären will, ehe ich weiter gehe.

Aber vorher muß ich sagen, daß diese reizende Frau, von welcher der junge Mann in Mailand geträumt, die er in Azola erobert hatte; diese Französin, die sich mit meiner Großmutter zu gleicher Zeit im Gefängnisse im Kloster des Anglaises befunden hatte, keine andere war, als meine Mutter Sophie Victorie Antoinette Delaborde. — Ich nenne diese drei Taufnamen meiner Mutter, weil sie in ihrem bewegten Leben einen nach dem andern führte, und diese drei Namen selbst ein Symbol des Zeitgeistes sind. In ihrer Jugend zog man wahrscheinlich den Namen Antoinette, als den der Königin von Frankreich vor — während der Eroberungen der Kaiserzeit galt natürlich Victorie mehr — und von ihrer Verheirathung an nannte mein Vater sie immer Sophie.

Alles ist bezeichnend und sinnbildlich (und das ist ganz natürlich) in den Einzelnheiten des menschlichen Lebens, wenn sie auch noch so zufällig scheinen.

Ohne Zweifel hätte meine Großmutter meinem Vater eine Lebensgefährtin seines Standes gewünscht, aber sie hat es gesagt und selbst geschrieben, daß sie sich nicht besonders über das betrübt haben würde, was man zu ihrer Zeit und in ihrer Gesellschaft eine Mesalliance nannte. Sie legte der Geburt keine größere Wichtigkeit bei, als ihr gebührt und auch den Mangel an Vermögen würde sie übersehen haben, denn sie wußte durch ihre Sparsamkeit und durch eigene Entbehrungen die Mittel zur Bestreitung der Ausgaben aufzubringen, welche der mehr glänzende als einträgliche Beruf ihres Sohnes nöthig machte — aber sie konnte sich nur schwer entschließen, eine Schwiegertochter aufzunehmen, deren Jugend, durch die Gewalt der Umstände, den erschreckendsten Zufälligkeiten preisgegeben war. Dieser zarte Punkt mußte überwunden werden und die Liebe, die in ihrer Wahrheit und Tiefe die höchste Weisheit und die höchste Seelengröße ist, überwand ihn in der Seele meines Vaters mit Entschiedenheit. Und endlich kam auch der Tag, an dem sich meine Großmutter ergab. Aber da sind wir noch nicht, und ich habe noch von vielen Schmerzen zu erzählen, ehe ich zu diesem Zeitpunkte komme.

Von dem Leben meiner Mutter vor ihrer Heirath habe ich nur unvollständige Nachrichten. Später werde ich erzählen, wie gewisse Personen es für angemessen und vortheilhaft hielten, mir Dinge mitzutheilen, die ich besser nicht erfahren hätte und deren Glaubwürdigkeit durch Nichts erwiesen ist. Doch mögen sie auch alle wahr sein — eine Thatsache steht fest vor Gott: sie wurde von meinem Vater geliebt und mußte dieser Liebe wohl werth sein, denn ihre Trauer um ihn endigte erst mit ihrem Leben.

Aber das Wesen der Aristokratie ist dermaßen in das menschliche Herz eingedrungen, daß es trotz unserer Revolutionen noch immer in jeder Gestalt besteht, und daß es noch langer Zeit bedürfen wird, ehe der christliche Grundsatz der moralischen und socialen Gleichheit die Gesetze und den Geist der Gesellschaft beherrscht. Und doch ist das Dogma der Erlösung ein Symbol der Buße und Reinigung. Unsere Gesellschaft bekennt sich zu dieser Lehre in religiösen Theorien, aber nicht in der Praxis — denn diese Lehre ist für sie zu schön, zu groß — und doch werden wir durch etwas Göttliches, das im Grunde unsrer Seele liegt, angetrieben in unserm individuellen Leben die strengen Vorschriften der sittlichen Aristokratie zu brechen und unser Herz, das brüderlicher, mehr zur Gleichheit geneigt, barmherziger, also gerechter und christlicher ist, als unser Geist, läßt uns oft die Wesen lieben, welche die Gesellschaft als unwürdig und verderbt verwirft.

Wir fühlen nämlich, daß dieses Verdammungsurtheil widersinnig ist, und daß Gott es verabscheut, um so mehr, da die Welt, die es ausspricht, eine Heuchlerin ist, der es durchaus nicht auf das Grundgesetz des Guten und Bösen ankommt. Der große Revolutionär Jesus hat einst das erhabene Wort gesprochen, daß im Himmel mehr Freude sein würde über die Rückkehr eines Sünders, als über hundert Gerechte—-und ich glaube, daß auch die Geschichte vom verlorenen Sohne keine müßige Fabel ist. Dennoch giebt es noch immer eine sogenannte Aristokratie der Tugend, die stolz auf ihre Privilegien nicht zugestehen will, daß die Verirrungen der Jugend gesühnt werden können. Eine Frau, die im Wohlstande geboren, die mit Sorgfalt, entweder im Kloster oder unter der Aufsicht ehrwürdiger Matronen erzogen ist; die sich bei ihrem Eintritt in die Welt von allen Bedingungen des Wohlbefindens, der Ruhe, der Zufriedenheit umgeben sieht, die im Gefühl der Selbstachtung und in der Furcht vor der Ueberwachung Anderer genährt ist, eine solche Frau hat keine große Mühe und vielleicht kein großes Verdienst, ein tugendhaftes, geordnetes Leben zu führen, ein gutes Beispiel zu geben, strengen Grundsätzen zu folgen. Aber ich irre mich! denn wenn ihr die Natur eine glühende Seele gegeben hat, wird sie inmitten einer Gesellschaft, welche die Aeußerungen ihrer Gefühle und Fähigkeiten nicht gestattet, einer großen Anstrengung bedürfen, um diese Gesellschaft nicht zu verletzen — und in dieser Anstrengung liegt ihr Verdienst. Um wie viel mehr ist nun aber das arme verlassene Mädchen freizusprechen, dessen einzige Erbschaft in der Welt die Schönheit ausmacht, wenn ihre Jugend in Verirrungen geräth und ihre Unerfahrenheit den Fallstricken nicht zu entgehen weiß. Ich glaube, daß es die Aufgabe der erfahrenen Matrone wäre, der Verirrten die Arme entgegenzustrecken, sie zu trösten, zu läutern und mit sich selbst zu versöhnen — denn wozu nützt es, besser zu sein als Andere, wenn wir die Güte nicht fruchtbar machen, die Tugend nicht auf Andere zu übertragen suchen. Und doch ist es nicht so, denn die Welt verbietet der geachteten Frau, ihre Hand derjenigen zu reichen, die verachtet wird, und sie an ihrer Seite ruhen zu lassen. Die Gesellschaft ist ein ungerechter Richter! das lügnerische, gottlose Gesetz eines sogenannten Anstandes und einer sogenannten Sittlichkeit! diese Gesellschaft verlangt, daß sich die tugendhafte Frau von der Sünderin abwende und öffnet sie derselben ihre Arme, so wird die Gesellschaft, der Areopag falscher Tugenden und falscher Pflichten, sich von ihr lossagen.

Ich sage der falschen Tugenden und falschen Pflichten, weil nicht allein die wahrhaft reinen Frauen, die wahrhaft ehrwürdigen Matronen über den Werth ihrer verirrten Schwestern zu urtheilen haben. Es ist kein Verein würdiger Menschen, welcher die öffentliche Meinung beherrscht — das ist ein Traum. Die ungeheure Mehrzahl der Frauen in der Gesellschaft besteht aus gefallenen Frauen. Alle wissen es, Alle gestehen es und doch tadelt und schmäht Niemand diese schamlosen Weiber, wenn sie Andere tadeln und schmähen, die weniger strafbar sind, als sie selbst.

Als meine Großmutter ihren Sohn meine Mutter heirathen sah, war sie in Verzweiflung und hätte mit ihren Thränen den Ehecontrakt auslöschen mögen, der diese Verbindung besiegelte. Aber es war nicht ihre Vernunft, welche kalt diese Ehe mißbilligte, es war ihr mütterliches Herz, das vor den Folgen derselben zitterte. Sie fürchtete auch, daß ihn der Tadel einer gewissen Klasse der Gesellschaft treffen würde; sie litt in dem Gefühl sittlichen Stolzes, zu welchem ein vorwurfsfreies Leben sie berechtigte, aber sie bedurfte keiner langen Zelt, um einzusehen, daß ein bevorzugtes Wesen leicht seine Schwingen ausbreiten und seinen Flug erheben kann, sobald ihm Raum gegeben wird; darum war sie gut und liebevoll gegen die Frau ihres Sohnes — aber die mütterliche Eifersucht blieb und kam selten zur Ruhe, und wenn diese zärtliche Eifersucht eine Sünde war, so darf doch nur Gott sie richten, denn sie entzieht sich dem Urtheil der Menschen, besonders dem Urtheil der Frauen.

Vom Aufenthalt zu Azola, das heißt, vom Ende des Jahres 1800 bis zu meiner Geburt 1804 mußte auch mein Vater durch die Theilung seiner Seele zwischen einer geliebten Mutter und einer glühend angebeteten Frau furchtbar leiden. 1804 fand er endlich mehr Ruhe und Kraft im Bewußtsein einer erfüllten Pflicht, als er die Frau geheirathet hatte, die er mehrere Male im Begriff gewesen war, seiner Mutter zu opfern.

Ehe ich ihm nun, voll Bedauern und Bewunderung in diese innern Kämpfe folge, werde ich ihn wieder in Azola aufsuchen, von wo aus er seiner Mutter den zuletzt mitgetheilten Brief vom 29. Frimaire geschrieben hatte. Diese Zeit weist auf ein großes kriegerisches Ereigniß, den Uebergang über den Mincio hin.

Herr von Cobenzl war noch in Lüneville, um mit Joseph Bonaparte zu unterhandeln, und zu derselben Zeit wollte der erste Consul durch einen kühnen, entscheidenden Streich der Unentschlossenheit Oestreichs ein Ende machen. Er ließ die Rheinarmee, welche Moreau befehligte, den Inn überschreiten und die italienische Armee, die unter Brune's Anführung stand, den Mincio passiren. Innerhalb weniger Tage wurden diese beiden Stellungen gewonnen. Moreau war Sieger in der Schlacht von Hohenlinden und die italienische Armee, der es ebenfalls nicht an guten Offizieren und guten Soldaten fehlte, trieb die Oestreicher zurück und beendigte den Krieg, indem sie die Feinde zwang, die Halbinsel zu räumen.

Aber wenn hier wie überall das Verhalten der Armee heldenmüthig war, wenn der Eifer und die persönliche Begeisterung mehrerer Offiziere die Fehler des Anführers wieder gut machten, so ist doch nicht zu leugnen, daß Brune das ganze Unternehmen auf eine unverantwortliche Weise leitete. Indessen schreibe ich hier keine offizielle Geschichte und verweise meine Leser auf Thiers' Erzählung. Er ist ein ausgezeichneter Berichterstatter der kriegerischen Ereignisse, immer klar, übersichtlich, fesselnd und genau — und er mag die Anschuldigungen verbürgen, die mein Vater gegen den General ausspricht, der bei dieser Gelegenheit nicht einen Fehler beging, sondern ein Verbrechen. Er ließ einen Theil seines Heeres allein, ohne Hülfe im Kampf mit einem übermächtigen Feinde, und seine Unthätigkeit war durch die entsetzliche Hartnäckigkeit seiner Selbstsucht veranlaßt. Er war unzufrieden mit dem Eifer, welcher den General Dupont veranlaßt hatte, den Fluß mit 10,000 Mann zu überschreiten; er verbot Suchet demselben die nöthige Hülfe zu senden und hätte dieser — als er Dupont's Heer mit 30,000 Oestreichern im Gefecht und in Gefahr sah, trotz der heldenmüthigen Vertheidigung aufgerieben zu werden — nicht den Befehlen Brune's zuwider gehandelt, indem er auf seine Verantwortung den Rest der Division Gazan diesen Tapfern zu Hülfe schickte, so war unser rechter Flügel verloren. Diese Grausamkeit oder dieser Unverstand des Oberbefehlshabers kostete mehreren Tausend tapferer Soldaten das Leben und meinem Vater die Freiheit. Er hatte sich durch seine Tapferkeit und das Vertrauen auf seinen Glücksstern zu weit fortreißen lassen (das war der Aberglaube jener Zeit und wer auch nicht daran dachte, Bonaparte zu gleichen, meinte doch, so wie dieser vom Schicksal behütet zu werden); er wurde durch die Oestreicher gefangen genommen und dies war ein gefürchteteres Ereigniß als bedeutende Verwundungen und war fast betrübender als der Tod für junge Leute, die sich in Thatendurst und Ruhmbegierde berauschten.

Das war ein schmerzliches Erwachen nach einem Morgen voll heftiger Gemüthsbewegungen, dem eine Nacht voll Ungeduld und Entzücken vorangegangen war. Während dieser Nachtwache hatte er in glühender Erregung an seine Mutter geschrieben: „Wie süß ist es, geliebt zu sein! eine gute Mutter, treffliche Freunde, eine schöne Geliebte zu haben, ein wenig Ruhm und schöne Pferde und Feinde, die wir bekämpfen!“ Er hatte ihr aber nicht gesagt, daß er denselben Tag, denselben Augenblick zum Kampfe mit den Feinden ging, deren Gegenwart zu seinem Glück gehörte. Er versiegelte den Brief, in welchem er eben ein zärtliches Lebewohl ausgesprochen hatte, das vielleicht sein letztes Abschiedswort war, aber er ließ die Mutter im Glauben, daß er nur sein Pferd besteigen wolle, um zu recognosciren. Er gehörte ganz der Liebe und dem Kriege und hatte, obwohl er von Anstrengung erschöpft war, nicht daran gedacht, eine Stunde zu schlafen. Für ihn, wie für Alle war das Leben in jenem Augenblicke so voll und so warm! In derselben Nacht hatte er auch seinem Neffen René von Villeneuve einen Brief geschrieben, in welchem er sich deutlicher aussprach. Dieser Brief verräth eine Freiheit des Geistes, die uns angenehm berührt und die uns in Erstaunen setzen müßte, wäre sie in der Geschichte jener Zeit als etwas Besonderes anzusehen. Anfangs erzählt er ziemlich ausführlich von einer Camée, die er für René gekauft hatte und die von einem ungeschickten Arbeiter, der sie fassen sollte, zerbrochen wurde. Dann kündigt er ihm die Ankunft anderer Kunstgegenstände derselben Art an, welche der Kardinal Gonsalvi zu befördern versprochen hatte: „Denn Du mußt wissen — sagt er — daß ich mich mit Sr. Eminenz vortrefflich stehe und noch besser mit dem Papste.“ Endlich schildert er ihm seine Lage und die des Heeres: Es ist zwei Uhr Morgens; in zwei Stunden steigen wir zu Pferde. Den ganzen Tag haben wir damit zugebracht, die Truppen aufzustellen, alle unsere Artillerie hat vorrücken müssen und mit Anbruch des Tages werden wir uns klopfen. Wahrscheinlich wirst Du vom 29. d. M. reden hören, denn es wird ein allgemeiner Angriff der ganzen Armee stattfinden.“

„Die Pferde des Generals werden schon gesattelt, ich höre sie im Hofe, und wenn ich noch ein Paar Worte an meine Mutter geschrieben habe, lasse ich auch die meinigen satteln. Ich verlasse Dich also, mein lieber Freund, um mich mit den Herren Croaten, Walachen, Dalmatiern, Ungarn und Andern, die uns erwarten, herumzuschlagen. Es wird ein wahrer Hexensabbath werden! wir haben acht Zwölfpfünder aufgestellt — wie leid thut es mir, daß Du nicht hier bist, um den Lärm zu hören, den wir machen werden! ich bin überzeugt, daß Dich das amüsiren würde.“

Am folgenden Tage war er in den Händen des Feindes. — Der Schauplatz des Krieges, die siegreiche Armee, seine Freunde, die im Begriff waren nach Frankreich zurückzukehren, um ihre Mütter, ihre Verwandten zu umarmen, blieben hinter ihm zurück — und er ging zu Fuß in eine lange und schwere Verbannung. Dies Ereigniß, das ihn von dem geliebten Weibe trennte und meine arme Großmutter in eine furchtbare Verzweiflung stürzte, erstreckte seinen Einfluß auf das ganze Leben dieses jungen Mannes, der seit 1794 vergessen hatte, was Leiden, Einsamkeit, Zwang und Reflexionen sind. Vielleicht ging eine gänzliche Umwandlung in ihm vor, denn von dieser Zeit an war er, wenn auch nicht weniger heiter in äußerem Benehmen, doch vorsichtiger und ernster im Grunde der Seele. In dem Geräusch, in der Trunkenheit des Krieges hätte er Victorie vielleicht vergessen, aber in der traurigen Geistesöde der Verbannung und der Gefangenschaft war ihr Bild auf verhängnißvolle Weise in seine Gedanken verwebt. Nichts macht uns für eine große Leidenschaft so empfänglich, als ein großes Leid.

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