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Neunzehnter Brief.

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Le Blanc, Prairial, Jahr IX (Mai 1801).

„Mutter, Du leidest und ich leide auch! Sehr viel hat der verschuldet, der zwischen uns steht und — aus guter Absicht, das sehe ich ein, aber ohne klares Unheil und ohne irgend welche Rücksicht, uns viel Böses gethan hat. Seit der Schreckenszeit ist dies der erste bedeutende Schmerz meines Lebens; er ist tief und ist vielleicht bitterer als der damalige, denn wenn wir zu jener Zeit unglücklich waren, so hatten wir doch keine Streitigkeiten miteinander — wir hatten nur eine Meinung, nur einen Willen; aber heute sind wir getrennt — nicht in unsern Gefühlen, aber in unsern Ansichten über sehr wichtige Punkte. Dies ist der größte Schmerz, der uns treffen konnte, und ich werde mich nur schwer in den betrübenden Einfluß zu finden wissen, den Freund Deschartres bei dieser Gelegenheit auf Dich ausgeübt hat. Wie ist es möglich, meine gute Mutter, daß Du die Verhältnisse von demselben Gesichtspunkte betrachtest, wie dieser Mann, der ohne Zweifel rechtschaffen und ergeben, aber auch etwas roh ist, und der über gewisse Handlungen und gewisse Neigungen, wie der Blinde über die Farben urtheilt? Ich kann dies nicht begreifen, denn ich mag mein Herz befragen, so viel ich will, ich finde darin nicht einmal den Gedanken eines Unrechts gegen Dich. Meine Liebe zu Dir ist reiner, größer als jede andere Liebe und der Gedanke Dir einen Schmerz zu verursachen, ist mir eben so fremd, eben so abscheulich, als der, ein Verbrechen zu begehen.

„Ueberlegen wir ein wenig, Mama. Wie soll es zugehen, daß meine Neigung für diese oder jene Frau eine Beleidigung für Dich und eine Gefahr für mich sein könnte, über die Du Dich beunruhigen und in Thränen auflösen müßtest? Bei diesen Gelegenheiten hast Du mich immer wie einen Mann betrachtet, der im Begriff ist, sich zu entehren und schon zur Zeit des Fräulein *** gabst Du Dich so entsetzlichen Sorgen hin, als ob ich mich von dieser Person zu unverzeihlichen Fehlern hinreißen lassen würde. Könnte es Dir lieber sein, wenn ich ein Verführer wäre, der Unfrieden in die Familien trägt, oder soll ich die Rolle eines Cato spielen, wenn mir gutwillige Personen begegnen? Das ist gut für Deschartres, der über mein Alter hinaus ist und der überdies, ich sage das ohne Malice, nicht viel Gelegenheit zu sündigen gefunden hat. Aber kommen wir zur Sache. Ich bin kein Kind mehr und kann wohl über die Personen urtheilen, die mir Zuneigung einflößen. Gewisse Frauen, das weiß ich wohl, sind, um mich Deschartres' Wörterbuch zu bedienen, Dirnen und Creaturen, und diese liebe ich ebensowenig, als ich sie suche; ich bin nicht Wüstling genug, um meine Kräfte zu vergeuden, und nicht reich genug, um diese Art Frauen zu unterhalten; aber diese häßlichen Ausdrücke sind nie auf eine Frau anzuwenden, die ein Herz besitzt. Die Liebe reinigt Alles. Die Liebe veredelt die verworfensten Geschöpfe, wie viel mehr noch die, deren einziges Unrecht das Unglück ist, ohne Stütze, ohne Hülfsmittel, ohne Führer in die Welt hinausgestoßen zu sein. Warum soll es einem so verlassenen Weibe zum Verbrechen angerechnet werden, wenn es seinen Halt und seinen Trost in dem Herzen eines rechtschaffenen Mannes sucht, während die Frauen der guten Gesellschaft, denen es weder an Ansehen noch an Ergötzlichkeiten fehlt, sich alle Liebhaber halten, um sich für die Langeweile zu entschädigen, die ihnen ihre Männer machen! Die, welche Dir so viel Kummer und Unruhe bereitet, hat einen Mann verlassen, der sie liebte und mit Vergnügen und Behaglichkeit umgab, das gestehe ich zu; aber würde dieser Mann sie genug geliebt haben, um ihr seinen Namen zu geben und ihre Zukunft zu sichern? Nein! Und deshalb fühlte ich, seit ich wußte, daß sie die Freiheit hätte, ihn zu verlassen, nicht den leisesten Gewissensscrupel ihre Liebe gesucht und erhalten zu haben. Weit entfernt mich zu schämen, daß ich diese Liebe einflöße und theile, bin ich vielmehr stolz darauf, trotz des Mißfallens Deschartres' und der guten Zungen von La Châtre; denn unter diesen „Damen“, die mich tadeln und sich scandalisiren, weiß ich welche, die mir gegenüber nicht das Recht haben, prüde zu thun. Ueber diesen Punkt hätte ich Lust zu lachen, wenn ich lachen könnte, da Du aus Liebe zu mir traurig bist, meine gute Mutter. „Aber endlich, was fürchtest Du, was bildest Du Dir ein? Daß ich eine Frau heirathen würde, deren ich mich einst schämen müßte? Sei vorerst versichert, daß ich nichts thun werde, worüber ich jemals erröthen könnte; wenn ich diese Frau heirathete, so würde ich sie sicher auch achten, denn man kann nicht ernstlich lieben, wo man nicht hohe Achtung empfindet. Also hat Deine Besorgniß, oder vielmehr die Besorgniß Deschartres', nicht den geringsten Grund.

Ich habe noch niemals an das Heirathen gedacht — ich bin noch viel zu jung, um daran zu denken, und das Leben, das ich führe, erlaubt mir noch nicht Frau und Kinder zu haben. Und Victorie denkt ebensowenig daran als ich. Sie hat sich sehr jung verheirathet; ihr Mann ist gestorben und hat ihr eine kleine Tochter hinterlassen, der sie alle Sorgfalt angedeihen läßt, die aber doch eine Last für sie ist. Jetzt muß sie arbeiten, um zu leben, und sie wird es thun, denn sie besaß schon früher eine Putzhandlung und arbeitet sehr gut. Welches Interesse könnte sie also haben, einen armen Teufel wie mich zu heirathen, der nichts besitzt als seinen Säbel, seinen wenig einträglichen Rang und der um keinen Preis Deine Behaglichkeit noch mehr beeinträchtigen würde, als es jetzt geschieht — das ist schon zu viel!

„Du siehst also wohl, daß alle Ahnungen des weisen Deschartres keinen Sinn haben und daß seine Freundschaft ebensowenig zart als klug ist, wenn es ihm gefällt, Dir solche Befürchtungen in den Kopf zu setzen. Seine Aufgabe würde sein, Dich zu trösten und zu beruhigen, statt dessen thut er Dir weh. Er gleicht ganz dem Bären in der Fabel, der eine Fliege auf dem Gesichte seines Freundes todtschlagen wollte und diesem dabei den Kopf mit einem Pflastersteine zerschmetterte. Sage ihm das von mir, und daß er sein Benehmen ändern möchte, wenn wir gute Freunde bleiben sollen. Auf andere Weise würde das nicht gut möglich sein. Ich kann ihm verzeihen, wenn er sich abgeschmackt gegen mich beträgt, aber nicht, wenn er Dir Schmerzen bereitet und Dir den Glauben zu nehmen sucht, daß meine Liebe zu Dir jede Prüfung besteht.

„Und dann, liebe Mutter, kennst Du mich denn nicht? Weißt Du nicht, daß, selbst wenn ich den Plan gehabt hätte, mich zu verheirathen, selbst wenn ich es sehr gewünscht hätte (was indessen nicht der Fall ist), Dein Kummer und Deine Thränen genügt haben würden, mich davon abzuhalten? Könnte ich denn jemals etwas thun, das Deinem Willen und Deinen Wünschen entgegenliefe? Denke doch, daß dies unmöglich ist und schlafe ruhig.

„August und seine Frau wollen mich noch zwei oder drei Tage hier behalten. Man kann wirklich nicht liebenswürdiger sein, als sie. Das sind keine leeren Redensarten, sondern wirkliche Herzlichkeit und Freundschaft. Sie sind sehr glücklich — sie lieben sich und kennen weder Ehrgeiz noch Planmacherei, aber auch nicht den Ruhm! Und wenn man von diesem Weine getrunken hat, kann man sich nicht wieder an klares Wasser gewöhnen.

„Adieu, meine gute Mutter, ich sehne mich wieder zu Dir zu kommen und Dich zu trösten — aber laß mich nur noch zwei oder drei Tage die ernsten Vorträge und weisen Rathschläge meines achtungswürdigen Neffen anhören. Ich bin ein sanftmüthiger Onkel, der sich belehren läßt — habe zärtlichere Predigten nöthig als die Deschartres' und fühle, daß die Luft von Nohant und La Châtre mir jetzt nicht zusagen würde. — Ich umarme Dich von ganzer Seele und liebe Dich mehr, als Du glaubst.

Moritz.“

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