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Zwanzigster Brief.

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Argenton.

„Ich bin in Blanc einen Tag länger geblieben, meine gute Mutter, als ich eigentlich wollte, und nun bin ich in Argenton bei unserem guten Freunde Scävola, welcher auch wünscht, daß ich zwei oder drei Tage bei ihm zubringe und ein großes Geschrei ausstößt, als er sieht, daß ich zögere, es ihm zu versprechen. Ach, liebe Mutter, wie verändert ist mein Leben seit drei Jahren! Es ist etwas Eigenthümliches. Ich habe alle diese Tage Musik, ja selbst gute Musik gemacht und werde mich auch jetzt noch damit beschäftigen, denn Scävola ist noch immer ein passionirter Dilettant und macht eben so viel Aufhebens von meiner Violine als von mir — aber sonst würde ich an nichts Anderes gedacht und über die Musik Alles vergessen haben, und jetzt macht sie mich traurig statt mich zu begeistern. — Ich fürchte den Frieden und wünsche die Wiederaufnahme des Kampfes mit einer Lebhaftigkeit, die ich selbst weder verstehen kann, noch zu erklären weiß. Dann denke ich wieder, daß ich Dir neuen Kummer bereite, indem ich fortgehe und dieser Gedanke vergiftet den an das Vergnügen, das ich im Gefecht und auf dem Schlachtfelde empfinden würde. Du wärest traurig und gequält und ich wäre es auch. Es giebt wohl kein Glück in dieser Welt? Ich fange an, das zu bemerken, und da ich als Narr, der ich bin, das ganz vergessen hatte, so bin ich von der schönen Entdeckung völlig verblüfft. Aber ich fühle, daß ich unfähig bin, mich ohne Krieg zu zerstreuen und zu betäuben. Nach solchen Aufregungen scheint mir jede andere schal. — Ich hatte nichts als Deine Zärtlichkeit, um sie mich vergessen zu lassen, und selbst dieses Glück mußte mir für einige Zeit vergiftet werden.

„Ich bin wie toll, wenn ich die Truppen defiliren sehe und den kriegerischen Klang ihrer Instrumente höre. Wir Kriegsleute sind eine Art Narren, deren Anfälle sich, wie die andrer Narren, verdoppeln, wenn sie etwas sehen oder hören, was sie an die Ursache ihres Wahnsinnes erinnert. — Das passirte mir gestern Abend, als ich eine halbe Brigade vorüber ziehen sah. Ich hielt meine Violine in der Hand und warf sie weit von mir. Adieu Haydn, Adieu Mozart, wenn der Tambour schlägt und die Trompete erschallt! Ich habe meine Unthätigkeit beklagt und beinahe vor Wuth geweint. Mein Gott, wo ist die Ruhe und Sorglosigkeit meiner ersten Jugend!

„Auf Wiedersehen, meine gute Mutter, in Deinen Armen werde ich mich trösten und beruhigen. Einen guten Abend für Deschartres. Sage ihm, daß er hier einen ausgezeichneten Ruf als gelehrter Ackerbauer und Erznotenfresser hat. Ich umarme Dich von ganzer Seele und auch meine Bonne, die gewiß keinen Stein auf mich geworfen hat! Möge sie Dich beruhigen und trösten, und mögest Du sie hören. Sie hat mehr gesunden Verstand als alle Andere.“

Ein zärtlicher Brief meiner Großmuteer führte Moritz für einige Zeit in die Heimath zurück. Deschartres empfing ihn mit verdrießlichem Gesichte und ziemlich trotzig — und als er sah, daß Moritz sich nicht näherte, um ihn zu umarmen, drehte er ihm den Rücken und ging, um den Gärtner wegen eines Salatbeetes auszuzanken. Eine Viertelstunde später sah er sich plötzlich in einer Allee seinem Schüler gegenüber. Moritz bemerkte, daß dem armen Schulmeister die Augen voll Thränen standen und warf sich in seine Arme. Beide weinten, ohne ein Wort zu sprechen und kehrten Arm in Arm zu meiner Großmutter zurück, die sie auf einer Bank erwartete und glücklich war sie mit einander ausgesöhnt zu finden. Aber Victorie schrieb! Sie konnte sich zu jener Zeit kaum schriftlich verständlich machen, denn ihr ganzer Unterricht beschränkte sich auf einige Stunden, die ihr 1788 ein alter Kapuziner ertheilt hatte, welcher armen Kindern umsonst lesen lehrte und den Katechismus hersagen ließ. — Einige Jahre nach ihrer Verheirathung schrieb sie Briefe, deren Natürlichkeit, Anmuth und Geist selbst meine Großmutter bewunderte; aber zu der Zeit, von der ich erzähle, mußte man die Augen eines Liebhabers haben, um das kleine Gekritzel zu entziffern und diese Ausbrüche eines leidenschaftlichen Gefühls zu verstehen, das keine Form finden konnte, um sich auszudrücken. Moritz verstand indessen, daß Victorie in Verzweiflung war, daß sie sich verbannt, betrogen und vergessen glaubte. Nun fing er wieder an, von der Reise nach Courcelles zu sprechen, und neue Befürchtungen, neue Thränen waren die Folge — aber dessen ohngeachtet reiste er am 28. prairial ab und schrieb von Courcelles:

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