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15. Jänner 1918

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Was zum Kuckuck war das?

Aurelia war heute schon früher nach Hause gekommen und hatte Abendessen gekocht. Nechyba, der mit einem Bärenhunger an den heimischen Herd zurückgekehrt war, hatte seine Frau liebevoll umarmt und sich einfach nur gefreut: dass Aurelia schon da war, dass es in der Wohnküche wohlig warm war und dass das Abendessen auf dem Herd in einem Reindl10 leise vor sich hin blubberte. Er hatte die Gummigamaschen ausgezogen, war aus seinen knöchelhohen Schnürschuhen heraus- und in die Hauspatschen11 hineingeschlüpft. Sakko und Gilet12 waren auf einem Haken fein säuberlich aufgehängt worden. Danach hatte er sich von der Krawatte und dem steifen Hemdkragen befreit, das Hemd aus- und den bequemen Hausmantel angezogen. Von Aurelia waren inzwischen zwei Teller mit dampfendem Inhalt auf den Küchentisch gestellt worden. Mit einem zufriedenen Lächeln und einem wohligen »Ahhh …« war er auf den Küchensessel geglitten, hatte zum Löffel gegriffen − und dann das!

Was zum Kuckuck hatte Aurelia da gekocht? Skeptisch rührte er mit dem Löffel in der braunen Suppe. Weiße Bohnen schwammen drinnen. Aber wo war die Wurst? Oder vielleicht das eine oder andere Stückchen Fleisch? An dicke, weich gekochte Speckstücke, die sich im Mund so herrlich gallertartig anfühlten und die einen zarten Räuchergeschmack am Gaumen hinterließen, war in Zeiten wie diesen sowieso nicht zu denken. Aber eine Bohnensuppe ohne irgendein Fuzerl13 Fleisch war eine Zumutung.

»Nechyba, was hast denn? Was rührst denn in deinem Teller umadum?«

»Es ist noch sehr heiß …«, log Nechyba.

»Suchst vielleicht a Wurst- oder ein Fleischstückerl?«

Der Oberinspector sah seine Frau wie ein ertappter Lausbub an und grinste beschämt.

»Beides ist in diesem Rezept net vorgesehen.«

»Was is’ denn das für a Rezept?«

»Bohnen mit Paradeis14

»Bohnen mit Paradeis? Aha. Woher hast denn dieses Rezept?«

»Aus einem gerade erschienenen Büchl, das, was ›Zeitgemäße Kriegsküche‹ heißt.«

»Zeitgemäße Kriegsküche. So a Topfen15! Weißt, was zeitgemäß wär’?«

Aurelia sah ihren Mann fragend an und schüttelte den Kopf.

»Zeitgemäß oder besser gesagt höchste Zeit wäre es, wenn dieser vermaledeite Krieg aufhören würd’. Der macht alles kaputt. Weißt, was ich heut Abend vor dem Heimgehen erfahren hab’? In Niederösterreich sind Streiks ausgebrochen. Ausgehend von den Daimler-Werken in Wiener Neustadt. Und weißt, warum? Weil die Regierung den Hacklern16 die Mehlquote gekürzt hat. Und weil’s jetzt noch weniger zum Fressen kriegen, verweigern Tausende die Arbeit. Ich versteh’ die Leut’. Der Krieg is’ a Schas!«

»Wem sagst du das?«, seufzte Aurelia und begann, die Bohnen mit Paradeis zu essen. Nechyba saß wie ein trotziges kleines Kind da, sah sie vorwurfsvoll an und brummte:

»Was ist denn da drinnen?«

»Wie der Name schon sagt: Bohnen und Paradeiser. Dazu kommen noch zehn Deka17 gekochte und geriebene Erdäpfel18. Ich hab’ das Ganze mit einem bisserl Thymian, Bohnenkraut und einem Lorbeerblatt verfeinert.«

»Wo hast denn die Paradeiser her?«

»Die hat uns deine Cousine letzten Sommer mitgegeben, als wir sie draußen in ihrer Gärtnerei besucht haben. Daraus hab’ ich a Sauce gekocht und die hab’ i dann eingerext. Als eiserne Reserve. Zwei Gläser hamma noch.«

Nechybas Magen brummte. Er sah verzweifelt auf seinen immer kleiner werdenden Bauch, seufzte voll Resi­gnation, griff zum Löffel und begann mit Todesverachtung die Bohnen mit Paradeis in sich hineinzuschaufeln. Nach etwa der Hälfte hielt er inne und streichelte über Aurelias linke Hand, die schwer und müde auf dem Tisch lag.

»Schmeckt gar nicht so übel. Obwohl ka Fleisch drinnen is’.«

Nun seufzte auch Aurelia.

»Fleisch kriegt man im Moment wirklich kaum mehr. Es is’ a Jammer. Dabei bräuchte ich so dringend eines. Weil, der Herr Hofrat is’ schon ganz rappelig. Er will endlich wieder Fleisch essen. Wurscht19, was es kostet. Geld hat er ja.«

Nechyba aß auf. Und weil es ihm nun doch recht gut geschmeckt hatte, wischte er mit dem Zeigefinger den Teller aus und schleckte ihn anschließend genussvoll ab. Aurelia sah ihm irritiert zu, beschloss aber, ihn nicht zur Ordnung zu rufen. Stattdessen sagte sie mit verzagter Stimme:

»Ich bin verzweifelt. Ich weiß wirklich nicht, wie ich den Appetit meines Dienstgebers auf Fleisch stillen kann.«

Nechyba lehnte sich zurück und ließ einen fahren. Die Bohnen beginnen ihre Wirkung zu entfalten, dachte er. Und als er so entspannt mit leidlich gefülltem Magen dasaß, kam ihm eine Idee:

»Ich könnt’ mit dem Guadn reden …«

»Mit dem Karminsky?«

»Wie du weißt, hat der eine eigene Fleischerei20 und obendrein die besten Beziehungen überallhin.«

10 Kasserolle

11 Hausschuhe

12 Weste

13 kleines Stück

14 Tomaten

15 Blödsinn

16 Arbeiter

17 1 Deka = 10 Gramm

18 Kartoffel

19 egal

20 Metzgerei

Schönbrunner Finale

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