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22. Jänner 1918

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»Ja da schau her! Der Herr Oberinspector. Wollen S’ nicht Platz nehmen?«

Nechyba setzte sich an den Kaffeehaustisch und brummte:

»Das hätt’ i sowieso g’macht. Da brauch’ ich ka Einladung.«

Zygmunt Karminsky sah Nechyba fragend an und fuhr dann etwas verunsichert fort:

»Es ist mir eine Freude, Herr Oberinspector. Wünsche einen guten Tag! Geh, Herr Ober, bringen S’ dem Herrn Oberpolizeirat einen Schwarzen mit einem ordentlichen Schuss Trebern drinnen. Was? Sie haben keinen Trebern? Na gut, dann nehmen S’ halt einen Cogn… äh … einen Weinbrand!«

Nechyba war irritiert. Karminsky kannte seine persönlichen Vorlieben recht gut. Dieser fuhr in leutseligem Tonfall fort:

»Also, wie geht’s denn so immer?«

»Dir bald nicht mehr so gut …«

»Um Himmels willen! Was liegt denn gegen mich vor? Hab’ ich was ang’stellt? Ich bin doch ganz brav.«

»Du bist ein Hurentreiber, ein Strizzi26 und ein Stoßspieler27

Karminskys Mund verzog sich zu einem verbindlichen Grinsen:

»Aber Herr Oberinspector, ich bitt’ Sie! Das muss ich doch entschieden in Abrede stellen. Ich bin der Guade, ein Wohltäter. Ich geb’ obdachlosen Mädeln ein Dach über dem Kopf und füttere sie durch. Was bei Gott keine leichte Aufgabe ist in diesen Zeiten. Und was das Spielen betrifft, so tu’ ich halt gern ein bisserl dippln28. Aber das mach’ ich ausschließlich aus Spaß an der Freud’.«

»Ein Schleichhändler bist obendrein.«

»Ich bin a kleiner Gewerbetreibender. Das hab’ ich amtlich mit Brief und Siegel. Wie Sie wissen, gehört mir die Fleischhauerei Trnka. Der Witwe des gefallenen Fleischers hab’ ich einen ordentlichen Batzen Geld gezahlt. Seitdem führt sie das Geschäft für mich und verdient ein anständiges Gehalt. Wenn ich ihr mit meinen Beziehungen und meinem Geld nicht geholfen hätt’, hätt’ sie zusperren müssen und wär’ verhungert. Da sehen Sie, was ich für ein sozialer Mensch bin und warum man mich den Guadn nennt.«

»Vorn im G’schäft verkaufst du das bisserl Fleisch, das dir zugeteilt wird. Und hinten im Hof verkaufst du die Schwarzmarktware, du Falott29, du!«

»Geh bitte! Wer hat jetzt im Krieg nix mit dem Schleichhandel zu tun? Das macht doch a jeder! Ohne Schleichhandel würd’ ma alle verhungern. Also sind S’ nicht so streng, Herr Oberinspector. Außerdem haben Sie ja auch schon öfters von meiner Schwarzmarkttätigkeit profitiert.«

Der Ober servierte Nechyba den Kaffee. Es handelte sich um grauslichen Ersatzkaffee aus Eicheln und Zichorien. Nur dem heißen Weinbrand war es zu verdanken, dass das Gebräu einigermaßen angenehm duftete. Nechyba nahm vorsichtig einen Schluck und achtete darauf, sich nicht die Lippen zu verbrennen.

»Werd net frech. Weil, sonst geht’s dir gleich wirklich nimmer guad. Wennst mich reizt, verhafte ich dich auf der Stelle. Du Pülcher30, du. Also horch zu: Ich brauch’ ein Knöpfel31, und wenn du es auftreiben kannst, auch ein Englisches32

Nechyba nahm neuerlich einen Schluck und fuhr ungerührt fort:

»Und zwar gestern. Das Fleisch will ich zerlegt und pariert haben. Die Knochen zerhackt als Zuwaag. Na? Jetzt geht dir der Schmäh aus, was? Jetzt schaust ganz kariert.«

Der Guade nahm einen Schluck Weinbrand und flüsterte:

»Aber das kostet a kleines Vermögen …«

»Hab’ i g’sagt, dass ich was gratis will?«

»Haben S’ Geld unterschlagen oder geerbt?«

»Noch so eine depperte Bemerkung und du verbringst die Nacht in der Liesl33

»’tschuldigung. War nicht so gemeint. Also wann ich a Knöpfel auftreiben kann, wird das Kilo beiläufig um die 20 Kronen kosten.«

»Und das Englische?«

»Marantjosef34! Ich weiß net, ob ich des krieg. Aber unter 25 Kronen das Kilo wird sich da nix abspielen.«

»In Ordnung. Wann lieferst?«

»Das Knöpfel können S’ in zwei bis drei Tagen in meiner Fleischerei abholen. Das Englische braucht länger.«

»Ich hol gar nix ab. Übermorgen treff’ ma uns wieder hier im Café. Dann bekommst von mir die Lieferadresse.«

Nechyba trank aus, stand auf und wollte grußlos gehen. Doch der Guade war ebenfalls aufgesprungen und hatte seine Hand gepackt. Er schüttelte sie und versicherte mit treuherzigem Blick:

»Herr Oberinspector, es war mir ein Vergnügen. Auf den Kaffee mit Cogn… äh … Weinbrand sind Sie selbstverständlich eingeladen.«

Nechyba schüttelte dem Ganoven, obwohl ihm das peinlich war, die Hand. Dabei grantelte er:

»Den Kaffee hätt’ i sowieso net zahlt.«

26 Zuhälter

27 Spieler eines illegalen Kartenspiels

28 Karten spielen

29 Lump

30 Verbrecher

31 Knöpfel ist der Name des hinteren Teils des Rindes gemäß der Wiener Teilungsmethode: Schale, Fledermaus, Zapfen, Hieferschwanzel, Hieferscherzel, Tafelspitz, Tafelstück, schwarzes und weißes Scherzel, Gschnatter, hinterer Wadschunken, Bratzel, Ochsenschlepp

32 Lungenbraten, Beiried, Rostbraten

33 Polizeigefangenenhaus an der Elisabethpromenade

34 Maria und Josef!

Schönbrunner Finale

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