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6. Februar 1918

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Schon wieder! Schon wieder läutete das Telefon auf des Oberinspectors Schreibtisch. Dieser hielt nach einem kargen Mittagessen im Gasthaus Zum Rebhuhn gerade sein Mittagsschläfchen. Entsprechend langsam und unwirsch war seine Reaktion.

»Haut’s euch über die Häuser und lasst’s mich in Ruh. Ihr Nebochanten35 …«

Da der Apparat partout keine Ruhe gab und unaufhörlich weiterläutete, hob Nechyba schließlich doch ab und raunzte:

»Ja …«

»Herr Oberinspector, sind Sie das? Bin ich richtig verbunden?«

»Wer spricht?«

»Schmerda hier. Hofrat Schmerda. Ich wollt’ mich nur bei Ihnen bedanken, Herr Oberinspector. Also die Fleischlieferung ist angekommen und Ihre Frau Gemahlin zaubert derzeit wunderbare Sachen in der Küche. Wie in der guten alten Zeit vor dem Krieg …«

»Das freut mich.«

»Als Zeichen meiner Dankbarkeit und Verbundenheit hab’ ich ihr heut beim Mittagessen aufgetragen, dass sie sich Fleischknochen und ein Suppenfleisch mit nach Hause nehmen soll. Es ist nur legitim, lieber Herr Oberinspector, dass Sie auch wieder einmal ein ordentliches Stück Fleisch und ein kräftiges Supperl bekommen.«

Nechyba, vom Schlaf noch immer benommen, war verdattert.

»Da … da … sag ich ein ganz herzliches Dankeschön. Da machen S’ mir eine Mordstrum Freud’.«

»Na, das freut mich dann umso mehr. Übrigens: Die Verhaftung der Aufwiegler haben Sie und Ihre Leute vorbildlich durchgeführt. Jetzt, wo die Rädelsführer alle eing’sperrt sind, ist wieder Ruhe in den Betrieben.«

»Ja, hoffen wir’s, dass es so bleibt. Wenn sich die allgemeine Verpflegungssituation aber nicht bessert, sehe ich schwarz. Da werden die Leut’ auch ohne die linksradikalen Rädelsführer neuerlich streiken. Weil a knurrender Magen ist wie ein bissiger Hund …«

»Korrekt, Nechyba. Das ist absolut korrekt. Hoff’ ma, dass sich alles zum Besseren wendet. Nicht wahr?«

»Hoffen kann man ja …«

»Apropos Hoffnung: Wissen S’, auf was ich hoffen täte? Auf einen schönen saftigen Schweinsbraten, eine Schweinsstelze, geselchte Ripperln, einen fesch durchzogenen Schopfbraten vom Schwein und natürlich auf Schweinsschnitzerln …«

Nechyba schwieg. Es knisterte in der Leitung. Schließlich murmelte er:

»Wer hätt’ das net gerne?«

»Freilich, Nechyba, freilich. Ich bitt’ Sie, denken S’ an mich. Vielleicht fällt Ihnen was ein. Es soll nicht zu Ihrem Schaden sein.«

Nechyba dachte an einen Schweinsbraten mit einer knusprigen Kruste und bekam vor Aufregung feuchte Hände. Der Speichelfluss in seinem Mund war kaum zu bändigen, und er musste zweimal schlucken, bevor er antworten konnte.

»Ich werd’ mich umhören, Herr Hofrat.«

»Ausgezeichnet, Nechyba. Ausgezeichnet. Also bis bald, gell? Beste Grüße, ich empfehle mich.«

Nechyba saß an seinem Schreibtisch und freute sich auf heute Abend. Fleischknochen und ein Suppenfleisch. Mein Gott! Wie lange hatte es das schon nicht mehr in seiner Küche gegeben? Ja, der Herr Hofrat ließ ihn nicht verkommen. Dafür musste er sich natürlich wiederum erkenntlich zeigen und den Guadn kontaktieren. Dass der dem Hofrat möglichst eine halbe Sau liefern würde. Da müsste dann ja auch wieder etwas für ihn selbst abfallen. Dieser Gedanke trieb seinen Blutdruck in die Höhe, sein Herz pochte schneller, und der Speichelfluss wollte weiterhin nicht versiegen. Nechyba sah auf seine Taschenuhr. Es war halb vier Uhr nachmittags. Im Polizeigebäude herrschte Totenstille und der Oberinspector hatte plötzlich Lust auf etwas Gesellschaft. Mit der Faust pumperte36 er an die Wand, sodass es im Nebenzimmer laut und deutlich zu hören war.

Augenblicke später trat sein Adjutant ein, der folgende Instruktionen empfing:

»Pospischil, Er hält die Stellung hier. Falls mein Telefon läutet, hebt Er ab und sagt, dass ich einen Auswärtstermin habe. Falls irgendwer persönlich nach mir fragen sollte, gibt Er die nämliche Auskunft. Anliegen dienstlicher Art werden notiert und mir morgen früh rapportiert. Hat Er verstanden?«

»Jawohl, Herr Oberinspector!«

»Gut. Ich geh jetzt.«

Nechyba setzte seine Melone auf, sein Assistent half ihm, in den Überzieher zu schlüpfen. Dann verließ der Oberinspector eiligen Schrittes seine Dienststätte. Draußen in der kalten Winterluft atmete er einige Male befreit durch und lenkte seine Schritte in Richtung Café Landtmann.

»Der Klimt is’ g’storben.«

»Kenn ich den?«

Leutnant Goldblatt sah seinen Freund Joseph Maria Nechyba irritiert an. Er rückte seine randlose Brille zurecht und replizierte:

»Also den wohl berühmtesten zeitgenössischen Maler werden Sie doch kennen.«

Nechyba gab Zucker in seinen schwarzen Kaffee, rührte um und murmelte:

»Sie meinen den Klimt … den … den … Gustav Klimt?«

Leo Goldblatt nickte und bestellte beim vorbeischlendernden Kellner:

»Gehn S’, bringen S’ mir einen ›Goldblatt‹ ohne Kaffee.«

Der Kellner stutzte, nickte dann und sagte:

»Der Herr Leutnant wünschen einen Trebern. Kommt sofort.«

Nechyba bemerkte amüsiert:

»Noch komplizierter kann man eine Bestellung wirklich net aufgeben.«

»Wieso? Ich hab’ Gusto auf einen ›Goldblatt‹. Da es keinen Bohnenkaffee gibt und der Türkische, der mit Ersatzkaffee zubereitet wird, noch grauslicher schmeckt, als wenn man ihn normal kocht, bestelle ich den ›Goldblatt‹ eben ohne Kaffee.«

»Und was bringt das?«

»Na, dass ich die Illusion hab’, auch in diesen Zeiten einen ›Goldblatt‹ bestellt zu haben.«

»Mein Gott, wann werden wir wieder eine Schale Bohnenkaffee bekommen?«

»Als Mitglied des Kriegspressequartiers antworte ich Ihnen: Sobald unsere glorreiche Armee den Feind besiegt hat. Inoffiziell, als Ihr Freund, sag ich nur: Lang kann das nicht mehr so weitergehen. An allen Ecken und Enden merken wir es jetzt auch bei der Armee. Die Mangelwirtschaft gibt den Ton an. Es ist schrecklich. Einfach nur schrecklich.«

Nechyba rückte ganz nahe zu Goldblatt und murmelte:

»Der Scheißkrieg muss endlich aufhören und …«

Er wurde von einer lauten Stimme unterbrochen:

»Leutnant Goldblatt, na, so eine Überraschung!«

Goldblatt erschrak, stand auf und salutierte.

»Ist schon gut, lieber Freund. Setz’ dich, setz’ dich …«

»Darf ich vorstellen? Oberst Eisner-Bubna, Leiter des Kriegspressequartiers. Oberinspector Nechyba, er arbeitet im Polizeiagenteninstitut.«

»Charmant, charmant! Da sitzen Vertreter der zwei wichtigsten Säulen unseres Staates beisammen: Armee und Polizei. Da setz’ ich mich doch glatt dazu. Meine Herren, was trink ma?«

»Ich hab’ gerade ein Stamperl37 Trebern bestellt.«

»Genial, Goldblatt! Einfach genial. Herr Ober!«

»Der Herr Oberst wünschen?«

»Der Herr Leutnant hat einen Trebern bestellt. Das geht net. Bringen S’ uns die ganze Flasche … und drei Gläser … weil ma da so charmant beisammensitzen, Armee und Polizei.«

Zwei Piccolos38 stellten einen Zusatztisch auf. Darauf kam in einem Eiskübel die Flasche Trebern. Der Oberkellner schenkte den drei Herren mit eleganter Geste ein. Der Oberst erhob sein Glas.

»Also servus, gell. Auf unsere siegreiche Armee und unsere tüchtige Polizei!«

Die drei Herren schütteten den Schnaps hinunter und stellten die Gläser mit klirrendem Geräusch zurück auf die marmorne Platte des Kaffeehaustisches. Der Oberst räusperte sich und sagte:

»Also, wo war ma vorher stehen geblieben? Wo hab’ ich euer Gespräch unterbrochen, meine Herren?«

Nechyba verdrehte die Augen und bemühte sich, keinen roten Kopf zu bekommen. Goldblatt antwortete kühl:

»Bei Klimt. Der is’ nämlich g’storben.«

»Klimt? Muss man den kennen?«

»Er war Präsident der Secession und Star der Kunstausstellungen in den Jahren 1908 und 1909. Sein Bild ›Der Kuss‹ wurde sogar vom Ärar39 erworben.«

»Ich erinner’ mich dunkel … viel Gold … viel Gold, nicht wahr?«

»Touché, Herr Oberst. Klimt liebte es, Gold in seinen Gemälden zu verwenden.«

»Auf das Gold! Auf das Gold dieser Welt trink ma jetzt, prost, meine Herren!«

Wieder kippten Nechyba, Goldblatt und Eisner-Bubna ihre Stamperln hinunter. Danach herrschte ergriffene Stille. Plötzlich kniff der Oberst die Augen zusammen und fragte Goldblatt leise:

»Sag, Herr Leutnant, hat dieser Kimt oder Zimt oder wie er g’heißen hat, hat der nicht auch Nackerte g’malt? Nackerte mit viel Gold?«

»Herr Oberst, du hast ein exzellentes Gedächtnis und einen ausgezeichneten Kunstgeschmack.«

»Jaja … meine Frau Mama hat immer wollen, dass ich Künstler werd’. Aber mein Herr Papa hat mich in die Militärunterrealschule gesteckt. Na ja … fotografieren … nicht wahr … tu’ ich schon gern, da sagt man mir auch ein gewisses Talent nach. Aber dieser Zimt … alle Achtung! Der hat was können, der hat Nackerte gemalt à la bonne heure.«

Der Oberkellner schenkte neuerlich die Stamperln voll. Eisner-Bubna ergriff seines, erhob es und sagte feierlich:

»Auf den alten Zimt und auf die Hunderttausende Braven, die in unserer glorreichen Zeit für Gott, Kaiser und Vaterland ihr Leben geben …«

Er hielt inne und fügte leise hinzu:

»… und auf die feschen nackerten Madln von Wien!«

35 minderwertige Menschen

36 lautstark klopfen

37 Schnapsglas

38 Kellnerlehrlinge

39 Staat

Schönbrunner Finale

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