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Dreizehntes Kapitel

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Mo­ti­ve al­ler Art scho­ben sich durch­ein­an­der und in­ein­an­der, wur­de ge­sagt. Wer dürf­te ver­su­chen, so in­nig Ver­wirr­tes zu son­dern!

Ne­ben Feld­zü­gen und Schlach­ten, die ich weit­läu­fig in lee­ren Zim­mern un­ter Benüt­zung von Fuß­bo­den, Stüh­len und Ti­schen mit mei­nen Zinn­sol­da­ten durch­führ­te, war ich im­mer noch Ching­ach­gook, ritt das wind­schnel­le Step­pen­roß und hat­te au­ßer­dem Ham­let, den Dä­nen, in mei­nen Wachtraum auf­ge­nom­men. Der Büh­nen­ein­druck, durch den es ge­sch­ah, steht in kei­nem Ver­hält­nis zu sei­ner un­aus­lösch­li­chen Dau­er.

Ich lag krank an Mumps oder sonst ei­ner Kin­der­krank­heit im Zim­mer Nu­me­ro Sie­ben am Ende des Flurs. Es war Win­ter, in ei­ner Zeit, wo man um vier Uhr die Ker­zen an­zün­det. Es brann­te eine an mei­nem Bett. Da hat­ten Carl und Jo­han­na den Ge­dan­ken ge­fasst, mir die Zeit zu ver­trei­ben. Sie brach­ten ein klei­nes Kist­chen her­ein, aus dem sie al­ler­hand Din­ge her­aus­hol­ten. Es wa­ren klei­ne Ku­lis­sen aus Papp­de­ckel, die einen fei­er­lich-go­ti­schen Raum, das In­ne­re ei­nes Do­mes, vor­zau­ber­ten. Was Prinz Ham­let mit die­sem Dom zu tun hat­te, wuss­te ich nicht. Er war eben da! In schö­ner Rüs­tung, mit gel­bem Haar, aus­ge­schnit­ten aus Papp­de­ckel, un­ten mit ei­nem Klötz­chen ver­se­hen. Mir von Jo­han­na und Carl als Prinz Ham­let vor­ge­stellt und durch ih­ren Mund al­ler­lei Wor­te her­sa­gend, stand er je­doch nur kur­ze Zeit auf dem Holz­klötz­chen. Dann wur­de er auf zwei Pup­pen­stühl­chen ge­legt und lag dort, ich weiß nicht zu wel­chem Zweck, eine Wei­le aus­ge­streckt.

So blieb er mir in Erin­ne­rung. Die Ant­wort auf die Fra­ge wes­halb wird nie er­schöp­fend zu ge­ben sein. Eine Papp­fi­gur, ein Thea­ter­chen, das ge­wiss nicht mehr als acht Gro­schen kos­te­te, und doch kam das Gan­ze der fei­er­li­chen Grund­stein­le­gung ei­nes Bau­es gleich, der durch sieb­zig Jah­re ge­wach­sen ist. Das be­deu­tet der frü­hen Ju­gend In­nen­ge­walt, es be­deu­tet Voraus­sicht des Un­be­wuss­ten, es be­deu­tet Wirk­sam­wer­den der Vor­se­hung, es be­deu­tet schöp­fe­ri­sche Ent­wick­lung.

Mag sein, bei dem ein­zi­gen Zuschau­er, der ich war, ha­ben ei­ni­ge Fie­ber­gra­de mit­ge­spielt. Es hat die nächt­li­che, viel­leicht auch stür­mi­sche Stun­de der Äqui­nok­ti­al­ta­ge mit­ge­spielt. Das gan­ze Haus mit den lan­gen Flu­ren über­ein­an­der, sei­nen kal­ten, lee­ren, ge­spens­ter­be­wohn­ten Zim­mern – auch Ham­lets Geist er­leb­te ich einen Au­gen­blick – hat mit­ge­spielt. Die wei­ten, lee­ren, ei­si­gen Säle mit ih­ren Bil­dern, dem Leich­nam, den man vom Kreu­ze nimmt, ha­ben mit­ge­spielt. Sie wa­ren mit Nacht gleich­sam voll­ge­stopft und ha­ben viel­leicht im Stur­me ge­zit­tert. Mit Fins­ter­nis voll­ge­stopft wa­ren die Kü­chen, die Vor­räu­me, die Bü­fett­stu­be. Die ver­las­se­nen Ga­le­ri­en des großen Saals wa­ren mit Fins­ter­nis voll­ge­stopft. Durch all das seufz­te viel­leicht der Wind. Er fauch­te, er ächz­te, er krächz­te und ras­sel­te. Ge­gen al­les das, was ei­nem schwar­zen Uni­ver­sum ver­gleich­bar mich ein­ker­ker­te, kämpf­te der klei­ne Schein ei­nes Lichts, das ein Acht­gro­schen­thea­ter mit ei­nem go­ti­schen Dom be­leuch­te­te, der nicht mehr als zwei Pfen­ni­ge ge­kos­tet ha­ben kann.

Aber was wur­de mir die­ser Dom, die­se un­ter­ir­di­sche, in die Schwär­ze des Nichts ver­senk­te Ka­the­dra­le! Ich muss an West­mins­ter Ab­bey den­ken, wenn ich einen schwä­che­ren Ab­glanz da­von ha­ben will. Sie war gehüllt in schwar­zes Nichts als leuch­ten­des Mys­te­ri­um. Wo hat­te man frei­lich bei spä­te­rem Wie­der­se­hen mit die­sem düs­te­ren Dich­ter­werk die glei­che Begleit­mu­sik?

*

Welch ein gro­tes­kes Ne­ben­ein­an­der be­her­bergt ein Kna­ben­hirn! Ne­ben dem Ham­let, der in ei­ner Art von Hei­li­gen­schrein auf­be­wahrt wur­de, ru­mor­te in mir die Ge­stalt ei­nes an­thro­poi­den Af­fen. Ein andres Thea­ter, das Kur­thea­ter, war die Ur­sa­che. Man­ches hat­te es mich in­zwi­schen ge­lehrt, die­ses Haus.

Wenn ich nun auf dem Heim­gang von der Schu­le ver­stoh­len, wie oft ge­sch­ah, ins dunkle Par­terre schlüpf­te, hat­te ich längst be­grif­fen, dass hier, selbst am Schluss ei­nes Trau­er­spiels, nie­mand ge­tö­tet und auch der Tod nur ge­spielt wur­de. Das ge­spro­che­ne Wort wur­de im Frei­en kaum ge­hört, meist war es da­her Mu­sik, die uns Kin­der in die Sperr­sit­ze lock­te, mit­un­ter aus über­hel­ler, glü­hen­der Son­nen­welt in den küh­len Däm­mer ei­ner von künst­li­chem Licht be­schie­ne­nen künst­li­chen.

Ja, die Grie­chen, die sind klas­sisch,

doch so klas­sisch nicht wie wir!

war der Re­frain, den eine Sou­bret­te im­mer wie­der, ak­kom­pa­gniert von der Kur­ka­pel­le, her­aus­schmet­ter­te, wo­bei sie sich fesch auf den Schen­kel schlug.

Ei­nes Abends hat­te mich dann mei­ne Mut­ter in eine Gast­vor­stel­lung mit­ge­nom­men. Der Gast war ein Akro­bat, der, in brau­nen Filz ein­ge­näht, einen Men­schen­af­fen dar­stell­te. Er hat­te sich, oder man hat­te ihn, in ei­ner Pflan­zer­fa­mi­lie, viel­leicht auf Bor­neo, hei­misch ge­macht. Es war ein miss­ver­stan­de­nes Tier, glau­be ich, das we­gen un­gu­ter Ei­gen­schaf­ten, haupt­säch­lich wohl von dem Pflan­zer, rau be­han­delt wur­de. Aber da kam der den Orang-Utan glo­ri­fi­zie­ren­de Au­gen­blick. Die ein­sa­me Farm ge­riet in Brand, die Flam­men lo­der­ten um ein Schlaf­zim­mer, in dem hoff­nungs­los ver­lo­ren ein Säug­ling und, ich glau­be, noch ein klei­nes Mäd­chen zu­rück­ge­blie­ben wa­ren. Man hör­te die Far­mers­leu­te ver­geb­lich jam­mern. Da aber, im Au­gen­blick der höchs­ten Ge­fahr, er­schi­en mit leich­tem Schwun­ge der Affe, der Ret­ter, im Qualm der ben­ga­li­schen Flam­men auf der Fens­ter­bank. Sorg­fäl­tig hob er den Säug­ling aus dem Bett und ent­fern­te sich mit ihm durch das Fens­ter, kam wie­der und ent­riss auch das Mäd­chen den Flam­men. Ich glau­be, er trug sie hucke­pack, als er sie wie­der­um durch das Fens­ter mit sich nahm, um sie den El­tern zu über­ge­ben. So­gleich be­wies auch ihr Freu­den­ge­schrei, dass es ge­sche­hen war.

Die­ser Affe be­weg­te sich dann noch zwei- und vier­hän­dig auf der Ba­lus­tra­de des ers­ten Ran­ges au­ßer­halb der Büh­ne her­um, ja mach­te auf ei­nem höl­zer­nen Zwei­rad, wie dem des Ka­pell­meis­ters, zu­letzt un­glaub­li­che Kunst­stücke.

Dies mach­te ich ihm in der Fol­ge nicht nach, da­für aber war sein ge­sam­tes äf­fi­sches Ge­ba­ren zwangs­läu­fig auf mich über­ge­gan­gen: die ei­gen­tüm­li­chen Kehl­lau­te des Tie­res, die nach In­nen ge­bo­ge­nen Fin­ger­spit­zen, die ein Ge­hen auf den Knie­beln1 er­mög­lich­ten, und schließ­lich sei­ne ei­gen­tüm­li­che Be­weg­lich­keit. Der Er­folg mei­nes Nach­ah­mungs­triebs lock­te selbst mei­nem Va­ter, der da­mals noch kaum aus dem Rah­men sei­nes stei­fen Erns­tes trat, eine Art Bei­fall ab, der sich al­ler­dings nur durch ein Her­bli­cken und eine kaum merk­li­che Ver­än­de­rung des be­herrsch­ten Ge­sichts aus­drück­te.

Die im Sti­le der Birch-Pfeif­fer ge­dach­te thea­tra­li­sche Af­fen­ge­stalt über­trug sich also, ähn­lich wie Ching­ach­gook, von in­ne­rer in äu­ßer­li­che Wirk­lich­keit, und zum ers­ten Mal war da­bei Kunst als neu­er­wor­be­nes Kön­nen im Spie­le.

*

Eine an­de­re Kunst hat­te sich da­mals ohne mein Zu­tun in mir aus­ge­bil­det. Mein dau­ern­des Le­ben in frei­er Na­tur, be­son­ders vom frü­hen Früh­jahr bis zum spä­ten Herbst, Jah­res­zei­ten, die ich vom ers­ten Le­ber­blüm­chen, Him­mels­schlüs­sel und Maiglöck­chen bis zur letz­ten As­ter aus­kos­te­te, mach­te mich zum Schü­ler der Sing­vö­gel. Selt­sa­mer­wei­se gab es Nach­ti­gal­len in Salz­brunn nicht, aber sonst alle mög­li­chen Ar­ten. Um ein Rot­kehl­chen oder sonst einen Sän­ger nach­zuah­men, be­durf­te ich kei­nes In­stru­ments als ei­ner Mem­bra­ne von Bir­ken­rin­de. Lang­ge­zo­ge­ne Lau­te, Ge­schmet­ter und end­lo­se Tril­ler brach­te ich mit der Keh­le her­vor, so täu­schend, dass eine Grup­pe von Ba­de­gäs­ten hin und wie­der an­däch­tig ste­hen­blieb, wenn ich mei­ne mich selbst be­glücken­de Kunst im Däm­mer des Abends, in ei­nem Ge­büsch ver­steckt, aus­üb­te. Ich hat­te da­mit, wo ich mich her­aus­wag­te, bei ein­fa­chen Leu­ten des Orts, auch bei Apo­the­ker Lin­kes, nicht in der ei­ge­nen Fa­mi­lie, eine Art Berühmt­heit er­langt und wur­de nicht sel­ten ge­be­ten, mich hö­ren zu las­sen.

Sinn für die Welt der Vö­gel und Lie­be zu ihr hat­te ich al­lent­hal­ben ge­won­nen. Moch­ten es die Scha­ren von Sper­lin­gen sein, die da­mals weit zahl­rei­cher als heut Höfe und Stra­ßen mit ih­rem lus­tig fre­chen We­sen be­völ­ker­ten, oder in der Schus­ter­werk­statt die spre­chen­de Doh­le und das Rot­kehl­chen oder die Sta­re, die früh­jahrs pfei­fend ihre al­ten Star­käs­ten in Be­sitz nah­men, oder die som­mer­li­chen Sing­vö­gel oder bei Fräu­lein von Ran­dow im Kur­län­di­schen Hof der Pa­pa­gei. Oder in den Glas­schrän­ken des Mül­lers von Wil­helms­höh aus­ge­stopft alle er­denk­li­chen, sel­ten ge­se­he­nen hei­mi­schen Ar­ten. Oder die Reb­huhn­fa­mi­lie, die eben­so wie ein bal­zen­der Au­er­hahn, in großen Glas­käs­ten un­ter­ge­bracht, den Ein­gangs­raum un­se­res Gast­hofs schmück­te.

*

Wer war die­ser Mül­ler von Wil­helms­höh? Ein äl­te­rer, schweig­sa­mer Mann in grü­nem Rock, der Wil­helms­höh, einen Aus­flugs­ort, von der Ba­de­ver­wal­tung ge­pach­tet hat­te. Wer den Mül­ler von Wil­helms­höh er­wähn­te, mein­te einen ge­heim­ni­sum­wo­be­nen Mann, dem man man­cher­lei un­ge­wöhn­li­che Din­ge zu­trau­te. Wil­helms­höh war um­ge­ben von Wald. Nie an­ders als im grü­nen Rock, die kur­ze Pfei­fe im Mun­de, traf ihn, wer nach­mit­tags dort sei­nen Kaf­fee trank. In dem ro­ma­nisch-go­ti­schen Bau des Ver­gnü­gungs­lo­kals war sei­ne or­ni­tho­lo­gi­sche Samm­lung un­ter­ge­bracht, auch eine Eier­samm­lung war da­bei, und man konn­te mo­d­erns­te Jagd­flin­ten in ei­nem Glas­schrank be­wun­dern.

War er ein Frei­schütz, der Mül­ler von Wil­helms­höh? Gerüch­te um ihn, Ge­mun­kel, Ge­flüs­ter woll­ten nicht auf­hö­ren. Wo kam er her? Wahr­schein­lich hat­te er eine Far­mer- und Pelz­jä­ger­schu­le in der Neu­en Welt hin­ter sich. Auch auf uns Kin­der wirk­te er als ein Mensch, der in den klei­nen Rah­men von Salz­brunn nicht hin­ein­pass­te.

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