Читать книгу Einfach weitergehen - Gertraud Hofbauer - Страница 14
Ich habe ein Hotelzimmer
ОглавлениеFranz ist zurückgekommen! Er hat unsere Koffer, die Gott sei Dank am Flughafen waren, abgeholt und für mich ein Hotelzimmer gefunden, nur einen kurzen Fußmarsch vom Krankenhaus entfernt. Es war das letzte verfügbare, mit Frühstück und bezahlbar.
Er hilft mir noch, die Koffer in mein Zimmer im ersten Stock zu tragen und erinnert mich daran, dass ich seine Nummer im Handy habe und ihn jederzeit anrufen könne.
Das geräumige Doppelzimmer hat ein Fenster direkt zur dicht befahrenen Hauptstraße, ist sehr hellhörig, aber sauber. Ich bin unendlich erleichtert, dass ich die Koffer und vor allem das Ladekabel wieder habe, das mir den Kontakt nach Hause zu den Kindern ermöglicht.
Ich habe solche Sehnsucht nach ihnen! Wie gerne hätte ich sie jetzt umarmt! Gleich nachdem Franz fort ist, rufe ich zu Hause an.
»Hallo, Maus (ich nenne meine Tochter Manuela häufig Maus), ich bin es, Mama! Ich hab jetzt ein Hotelzimmer! Die Koffer sowie das Ladekabel fürs Handy sind auch hier. Wir können also jederzeit telefonieren. Wie geht es euch?«
»Hallo, Mama!«
Ihre Erleichterung ist fast spürbar. Ebenso ihre Angst.
»Wir machen uns solche Sorgen um dich, weil du in dieser Situation jetzt ganz alleine bist!«
»Ihr braucht euch um mich keine Sorgen zu machen, ich komm schon zurecht!«, versuche ich sie zu beschwichtigen. »Und ansonsten kann ich ja noch Franz um Hilfe bitten. Aber ich mache mir große Sorgen um euch! Ihr seid zu Hause allein mit dieser Situation und ich kann euch nicht helfen! Es fühlt sich an, als ließe ich euch im Stich!«
»Nein, Mama, wir kommen schon klar! Ich habe Andi angerufen und gefragt, ob er und Andrea heute Abend zu uns kommen wollen. Dann sind wir nicht allein! Bei dir in der Arbeit wissen sie auch Bescheid und ebenso Gerlinde und Robert!«
Ich bin erleichtert, dass mein Bruder und meine Schwägerin heute Abend bei den Kindern sind und in unseren engsten Freunden Robert und Gerlinde haben sie eine große Stütze an ihrer Seite.
Auch meinen Schwager, Ruperts Bruder und gleichzeitig Chef, hatte Manuela angerufen. Dieser wollte es Mutter und Schwester beibringen.
»Manuela, weißt du, was ich im Krankenhaus erfahren habe? Jeden Dienstag und Donnerstag kann man am Nachmittag für jeweils eine Stunde die Angehörigen über einen Monitor sehen! Das werde ich gleich morgen machen!«
»Ja, Mama, dann siehst du Papa wenigstens, wenn du schon nicht zu ihm rein darfst!«
»Das stimmt, und ich habe das Gefühl, dass ich damit wenigstens irgendetwas für ihn tun kann und ihm zumindest auf diese Art nah sein kann!«
Manuela berichtet noch, dass am Vormittag ihre Schwiegermutter zu ihr kam und sie gemeinsam mit den zwei kleinen Kindern zu einer Kapelle in der Nähe spazierten, um eine Kerze anzuzünden.
Zum Abschluss des Gespräches habe ich noch eine große Bitte an sie: »Es gibt etwas, womit du mir sehr helfen könntest. Vielleicht ist es möglich, dass ihr mich ab 17 Uhr immer anruft? Vorher bin ich wahrscheinlich nie im Zimmer. Ich möchte bei Papa in der Nähe sein. Aber es wäre schön, am Abend mit jemandem telefonieren zu können, damit mir nicht die Decke auf den Kopf fällt und ich nicht in Grübeleien versinke!«
»Ja, natürlich machen wir das, und ich sag es auch Gerlinde!«
»Danke, und es ist beruhigend, zu wissen, dass ihr heute Abend nicht allein seid. Ich hab euch lieb!«
»Wir dich auch, Mama!«
Nach dem Telefonat gehe ich zum Fenster und betrachte den Ausblick. Es erscheint mir fast als Ironie des Schicksals, dass sich direkt auf der gegenüberliegenden Straßenseite die gleiche Bank befindet, die an unserem ersten Urlaubstag in Girne unsere EC-Karte eingezogen hatte und von der ich jetzt problemlos Geld abheben könnte.
Dankbarkeit breitet sich in mir aus und abermals dieses Gefühl, geführt zu sein. Ich verlasse das Hotel und will sehen, welche Geschäfte sich in der Nähe befinden. Da ich einen ungemein schlechten Orientierungssinn besitze, gehe ich nur einige hundert Meter die Hauptstraße entlang, um mich nicht auch noch zusätzlich zu verlaufen. In einem kleinen Laden möchte ich mir Wasser kaufen. Einen Kanister mit klarer Flüssigkeit kann ich nicht eindeutig identifizieren, da er nur auf türkisch beschriftet ist. Es könnte sich ebenso um destilliertes Wasser oder um eine andere Flüssigkeit handeln.
Mit der jungen Verkäuferin an der Kasse ist gestikulierend schnell geklärt, dass es tatsächlich Trinkwasser ist. Mit dem Kanister und zwei Bananen mache ich mich auf den Rückweg, lege die Vorräte im Hotelzimmer ab und spaziere dann in die andere Richtung die Straße entlang. Auf dem Rückweg werden meine Schritte immer langsamer und ich fühle, wie sich ein Eisenring um meine Brust legt.
Ich habe Angst vor meinem Zimmer! Dort bin ich ohne Ablenkung und fühle mich konfrontiert mit all meinen Ängsten, die wie schwarze Schatten in mir aufzusteigen beginnen.
Ich wandere wie ein Tiger im Käfig in meinem Zimmer umher, setze mich aufs Bett, gehe zum Fenster, zur Toilette, trinke etwas Wasser und wiederhole dieses Spiel immer wieder, um zu vermeiden, zur Ruhe zu kommen.
Was ist, wenn Rupert aufwacht und ich bin nicht da? Wird er dann denken, dass ich ihn allein zurückgelassen habe?! Er weiß ja nicht, dass ich nicht zu ihm rein darf! Was ist, wenn er aufwacht und Schmerzen hat? Er kann sich doch nicht mitteilen! Ich möchte an seinem Bett sitzen, seine Hand halten und auf dem Stuhl neben ihm wachen!
In meinem Kopf kreisen immer wieder dieselben Gedanken. Nur daran, dass er sterben könne, daran denke ich nicht, will ich nicht denken.
Ich zwinge mich, eine Banane zu essen, obwohl es mich davor ekelt. Aber ich muss durchhalten!
Das Telefon läutet. Es ist meine Kollegin Dragana.
»Hallo, Gerti, wie geht es dir?«
Beim Klang ihrer sanften Stimme lösen sich die ersten Tränen und ich berichte ihr weinend von meinen Ängsten um Rupert und die Kinder. Ich kann ihre Betroffenheit und ihr Mitgefühl deutlich spüren.
»Heute Vormittag habe ich, gleich nachdem die Kollegen mich angerufen hatten, mit Geistheilung begonnen! Anschließend bin ich zum Spätdienst gefahren. Im gesamten Team herrscht tiefe Betroffenheit und ratloses Schweigen. Die Stimmung ist echt gespenstisch. Wenn wir dir auf irgendeine Weise helfen können, lass es uns bitte wissen. Wir denken ständig an dich!«
»Danke, Dragana, dass du mit Geistheilung hilfst! Damit fühle ich mich nicht so hilflos, weil ich das Gefühl habe, dass etwas unternommen wird! Ich kann nicht sagen, wie es weitergehen wird und wann ich wieder zurückkomme!«
»Mach dir bitte wegen uns keinen Stress, jetzt zählt nur, dass du gut auf dich selbst achtest! Ich bin in Gedanken bei dir und drück dich! Ich melde mich wieder! Bis bald!«