Читать книгу Einfach weitergehen - Gertraud Hofbauer - Страница 8
Im Flugzeug
ОглавлениеEs ist noch dunkel, als wir am Hotel abgeholt und zum Flughafen gefahren werden. Im Duty Free Shop sind um diese Zeit nur wenige Leute und wir wollen hier zwei Stangen Zigaretten besorgen. Da wir um diese frühe Morgenstunde beide noch nicht sehr gesprächig sind, bummeln wir fast schweigsam durch den Shop. Rupert kauft schließlich nur eine Stange und meint, dass diese genüge. Ich wundere mich etwas, aber es ist mir egal. Anschließend gehen wir über den Flugplatz zum Flugzeug und steigen ein.
Im Handgepäck haben wir nur meine Handtasche und jeder eine Jacke für die Ankunft, da wir den 30. Oktober haben. Am Abend wollen wir mit den Kindern meinen Geburtstag nachfeiern und essen gehen. Den Tisch haben sie bereits reserviert und wir freuen uns auf das Wiedersehen.
Nachdem ich unsere Jacken verstaut und Platz genommen habe, bemerke ich mit einem Blick auf meinen Mann, der am Fenster sitzt, dass er sich offensichtlich nicht wohl fühlt.
»Geht’s dir nicht gut?«
»Ich habe wieder diesen Druck auf der Brust«, erwidert er leise.
»Dann lass uns jetzt sofort aussteigen! Du musst zum Arzt!«
»Nein, das vergeht schon wieder«, bekomme ich unwillig zur Antwort.
»Doch, du musst aber unbedingt zum Arzt!«, dränge ich. »Seit wann spürst du denn den Druck?«
»Seit dem Duty Free Shop.«
Aha, deshalb also nur eine Stange Zigaretten!
»Komm, bitte lass uns aussteigen«, hake ich nach.
»Jetzt hör auf, ich geh dann übermorgen zu Hause zum Arzt!«
»Nein, dann geh wenigstens gleich heute noch«, bitte ich eindringlich.
»Ich hab vor übermorgen keine Zeit! Morgen muss ich erst arbeiten und möchte dann hinterher im Stüberl noch etwas fertig machen.« (Das Stüberl ist unser neuer Aufenthaltsraum in unserer Vereinsgaststätte).
Naja, wenn er das alles noch vorhat, wird es vielleicht doch nicht so schlimm sein, hoffe ich, sonst wäre er beunruhigter.
Nur wenige Sekunden später blicke ich in sein angespanntes Gesicht und nehme wahr, dass seine Gesichtsfarbe aschfahl geworden ist.
Er stirbt!
Für den Bruchteil einer Sekunde taucht eine Todesahnung auf. Er gibt die Schmerzen zu und im nächsten Augenblick stehe ich auf, hebe meine Hand und rufe laut: »I need your help!«
Eine Flugbegleiterin kommt auf uns zu und ich sage ihr auf englisch, dass mein Mann, der jetzt nur noch stöhnt, einen starken Druck auf dem Herzen und vermutlich einen Herzinfarkt habe und wir schnell einen Arzt bräuchten.
Während sie nach vorne läuft und telefoniert, frage ich, ob ein Arzt unter den Passagieren sei. Es meldet sich tatsächlich einer und gibt meinem Mann nach dem Messen des Blutdruckes aus dem Erste-Hilfe-Koffer der Stewardess einen Hub Nitrospray.
Ich kann den Wettlauf gegen die Zeit fühlen, alles in mir krampft sich zusammen und ich habe das Gefühl, es gehe nichts vorwärts im Cockpit. Ich will ruhig bleiben für ihn und kämpfe gleichzeitig gegen die Panik, die sich in mir ausbreiten will.
Dann endlich geht es weiter. Ein Arzt kommt mit einem Rollstuhl und mein Mann setzt sich unter verhaltenem Stöhnen um, während ich unsere Jacken und meine Handtasche schnappe. Vor dem Aussteigen werde ich noch nach der Beschreibung unserer Koffer gefragt und nehme gleichzeitig wahr, wie eine Frau mir zuruft: »Alles Gute, auch für Sie!«
Der Moment, in dem wir das Flugzeug verlassen, fühlt sich an, als würde ich den Boden unter den Füßen verlieren. Mir ist klar, wir brauchen zwei neue Flüge, unsere Konten sind überzogen und wir haben keine Bleibe mehr. Ich weiß nicht, wo ich in der jeweils nächsten Minute sein werde und habe keine andere Wahl, als mich fallen zu lassen in dieses Nichts. Zeitgleich breitet sich das unklare Gefühl in mir aus, geführt zu sein.