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IV
Vardiello
ОглавлениеVardiello, ein Erztölpel, spielt seiner Mutter hundert schlimme Streiche und verliert schließlich ein Stück Leinwand. Und als er es auf törichte Weise von einer Statue wiederhaben will, wird er reich.
Menica hatte ihre Geschichte beendet. Sie wurde für nicht weniger schön befunden als die anderen, denn sie war so voller seltsamer Abenteuer, daß alle gespannt bis zum Ende lauschten. Auf den Befehl des Fürsten nahm nun Tolla das Wort. Und ohne sich lange aufzuhalten, begann sie wie folgt zu erzählen:
Wenn die Natur die Tiere in die Notwendigkeit versetzt hätte, sich selbst zu bekleiden und für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, so wäre das vierbeinige Geschlecht schon längst zugrunde gegangen. Aber sie finden ihre Nahrung, ohne daß ein Gärtner sie zieht, der Koch sie bereitet, der Diener sie vorschneidet; ihr Fell schützt sie vor Regen und Schnee, ohne daß der Kaufmann das Tuch liefert, der Schneider das Kleid näht und der Lehrjunge um Trinkgeld bittet. Wohingegen die Natur sich dem verstandbegabten Menschen gegenüber keine Mühe gegeben hat, ihm ähnliche Bequemlichkeiten zu bieten, denn er weiß sich selbst zu beschaffen, was ihm not tut. Und das ist der Grund dafür, weswegen die Weisen sich gewöhnlich des Reichtums entschlagen müssen, während die Dummköpfe wohl damit versehen sind, wie ihr es auch aus der Geschichte ersehen könnt, die ich euch jetzt berichten will.
Grannonia von Aprano war eine sehr gescheite Frau, aber sie hatte einen Sohn namens Vardiello, der war der jämmerlichste Tölpel der ganzen Gegend. Dennoch liebte die Mutter ihn über die Maßen, denn die Augen der Mütter sind behext und schielen, und so hegte und pflegte sie den Jungen, als wäre er das schönste Geschöpf auf der Welt.
Nun hatte diese Grannonia eine Glucke und erhoffte sich von ihr eine schöne Schar Kücken, woraus sie guten Gewinn zu ziehen gedachte. Eines Tages, als sie sich eines Geschäftes wegen von Hause entfernen mußte, sagte sie zu ihrem Sohne: „Liebes Söhnchen, komm mal her und höre zu: hab ein Auge auf die Glucke, und wenn sie aufsteht, um zu fressen, sorge dafür, daß sie auf das Nest zurückkehrt, sonst werden die Eier kalt, und du bekommst weder Hühnchen noch Hähnchen.“ — „Laß mich nur machen“, erwiderte Vardiello, „denn du hast nicht zu einem Tauben gesprochen.“ Ferner fügte die Mutter hinzu: „Sieh her, geliebtes Söhnchen, in diesem Schrank ist ein lackiertes Töpfchen mit einer vergifteten Speise. Hüte dich, daß dir der Versucher nicht in den Kopf setzt, sie anzurühren, denn du würdest sofort alle viere von dir strecken.“ — „Das sei fern von mir“, versetzte Vardiello, „Gift kann mich nicht reizen. Und, du kluges Dummköpfchen, hast mich nicht umsonst davor gewarnt, denn es hätte mir doch in die Finger fallen können, und dann hätten mich weder Dornen noch Knochen daran hindern können, es in den Magen hinunterzuschicken.“
Kaum hatte die Mutter den Rücken gewendet, da eilte Vardiello, allein zurückgeblieben, unverzüglich in den Garten, um kleine Gräben auszuheben und mit Zweigen zu bedecken, damit die kleinen Kinder hereinfielen. Er war gerade mitten in der Arbeit, da bemerkte er, daß die Glucke außerhalb der Kammer spazieren ging. Sofort schrie er: „Husch, husch, mach dich fort, scher dich weg!“ Aber die Glucke zog sich nicht zurück. Als Vardiello sah, daß sie störrisch wie ein Esel war, schlug er sich nach vielem Husch! Husch! auf die Schenkel, und als das nichts half, warf er seine Mütze hinter ihr her, der Mütze schleuderte er einen Knüppel nach, der traf sie mit voller Wucht, so daß sie nach kurzem Todeskampf die Beine von sich streckte. Da saß Vardiello nun schön in der Tinte und dachte darüber nach, wie er dem Schaden abhelfen sollte. So machte er aus der Not eine Tugend und zog, damit die Eier nicht kalt würden, die Hosen herunter und setzte sich darauf; da er sie aber mit dem Hintern zu stark drückte, verwandelte er sie in einen Pfannkuchen. Nun war er aus dem Regen in die Traufe gekommen und drauf und dran, sich den Kopf an der Mauer einzurennen. Da aber jeder Schmerz seine Nahrung braucht und er eine Schwäche im Magen fühlte, beschloß er, sich die Glucke einzuverleiben. Darum rupfte er sie, steckte sie auf einen braven Bratspieß, zündete ein großes Feuer an und begann sie zu schmoren. Als sie beinahe gar war und er keine Zeit verlieren wollte, breitete er ein schneeweißes Tischtuch auf einen alten Kasten, nahm einen Krug und stieg in den Keller, ein Fäßchen Wein anzuzapfen. Gerade war er im besten Zug, den Wein hineinzugießen, da hörte er ein Rumoren und einen Lärm, als zöge eine Schar berittener Soldaten vorbei. Voller Bestürzung wandte er die Augen und erblickte einen großen Kater, der die Glucke samt dem Spieß davonschleppte, und eine Katze lief hinter ihm her, die miauend nach ihrem Anteil verlangte. Um den Verlust zu verhüten, stürzte sich Vardiello wie ein Löwe auf den Kater und ließ in der Eile das Fäßchen weiter auslaufen. Nachdem er durch alle Winkel des Hauses „Fang mich!“gespielt hatte,kam er wieder zu seiner Glucke; mittlerweile aber war der Wein aus dem Fäßchen über den ganzen Boden gelaufen. Als er in den Keller kam und die Überschwemmung sah, da lief ihm auch das Fäßchen seiner Seele durch die Röhren seiner Augen aus. Dann aber kam ihm ein rettender Gedanke. Um den Schaden wiedergutzumachen und dafür zu sorgen, daß seine Mutter nicht das ganze Unglück merkte, nahm er einen hochgefüllten Sack Mehl und streute ihn in das Fußbad. Bei alledem zählte er sich an den Fingern die Reihe der Unglücksschläge zusammen, die ihn getroffen hatten, und es kam ihm der Gedanke, daß ihm ein solches Übermaß von Eseleien wohl um die Gunst Grannonias gebracht haben würde. Darum faßte er den festen Entschluß, seiner Mutter lebend nicht wieder unter die Augen zu treten. Er nahm also aus dem Schrank das Gefäß mit den gezuckerten Nüssen, die nach ihrer Angabe Gift waren, und führte seine Hand solange hinein, bis er dem Topf auf den blanken Boden schauen konnte. Nachdem er sich so den Bauch gefüllt, kroch er in den Backofen.
Inzwischen kehrte die Mutter zurück. Sie klopfte eine Zeitlang, als sich aber niemand regte, trat sie die Tür ein und kam ins Haus. Mit lauter Stimme rief sie nach ihrem Sohne; da aber niemand Antwort gab, dachte sie, es sei ein Unglück geschehen, ihr Kummer wuchs, und sie schrie noch lauter: „O Vardiello, Vardiello, bist du denn taub geworden, daß du nicht hörst? Hast du die Gicht, daß du nicht hervorkommst? Hast du den Pips, daß du nicht antwortest? Wo steckst du nur, du Galgengesicht? Wo bist du, du Drückeberger, du Taugenichts? Hätte ich dich doch in meinem Backöfchen erstickt, als ich dich machte!“ Vardiello hörte das Geschrei, und endlich sagte er mit einem kläglichen Stimmchen: „Hier bin ich, ich stecke im Ofen, und du wirst mich nicht wiedersehen, liebe Mutter!“ — „Warum?“ fragte die arme Mutter. „Weil ich mich vergiftet habe“, erwiderte der Sohn. „Weh mir!“ fuhr Grannonia fort, „und wie hast du das angestellt? Welchen Grund hast du gehabt, die Untat zu begehen, und wer hat dir das Gift gegeben?“ Und Vardiello erzählte der Reihe nach all die schönen Kunststücke, die er angestellt hatte und deretwegen er sterben und nicht länger als Zielscheibe des Unglücks auf Erden weilen wollte.
Als sie das hörte, wurde es der armen Mutter schwarz vor den Augen und bitter ums Herz, und sie hatte allerhand zu tun und zu reden, um Vardiello, dem ihr Herz mit großer Zärtlichkeit entgegenschlug, die Mucken aus dem Kopf zu vertreiben. Darum überhäufte sie ihn mit Zärtlichkeiten, und mit Hilfe anderer Süßigkeiten nahm sie ihm die Furcht vor den gezuckerten Nüssen, die kein Gift, sondern eine Magenstärkung waren. Nachdem sie ihn auf diese Weise mit guten Worten besänftigt und mit tausend Liebkosungen überschüttet hatte, zog sie ihn aus dem Backofen heraus.
Um ihn vollends zu beruhigen, kam sie auf den Einfall, ihm ein schönes Stück Leinen anzuvertrauen, damit er es auf den Markt trüge, und sie ermahnte ihn, sich nicht auf ein Geschäft mit einem geschwätzigen Menschen einzulassen. „Ausgezeichnet!“ sagte Vardiello, „ich werde dir zur vollen Zufriedenheit dienen, darauf kannst du dich verlassen.“ Und er nahm die Leinwand unter den Arm und trabte der Stadt zu.
So schlenderte er über die Straßen und Plätze von Neapel und rief: „Leinwand! Leinwand!“ Aber wenn jemand auf ihn zukam und ihn fragte: „Was für Leinwand ist das?“ dann erwiderte er sofort: „Bleib mir vom Leibe, du bist mir zu geschwätzig!“ Und wenn ein anderer ihn fragte: „Was kostet sie?“ so nannte er ihn einen Schwätzer und behauptete, er habe ihn taub geredet und ihm den Kopf zerschlagen. Schließlich entdeckte er in dem Höfchen eines Hauses, in dem es spukte und das deswegen unbewohnt war, eine Statue, und der arme Kerl, müde und zerschlagen von den Wanderungen durch die Stadt, ließ sich auf einem Mäuerchen nieder. Da er niemand in dieses Haus, das einem ausgeplünderten Dorfe voller Wunderlichkeiten glich, hineingehen noch daraus hervorkommen sah, sagte er zu der Statue: „Hör mal, Kamerad, wohnt niemand in diesem Hause?“ Und da sie keine Antwort gab, kam sie ihm wie eine Person vor, die mit Worten sparsam umgeht, und so machte er ihr plötzlich den Vorschlag: „Willst du diese Leinwand kaufen? Ich lasse sie dir billig ab.“ Wieder schwieg die Statue, und er fuhr fort: „Wahrhaftig, jetzt habe ich gefunden, was ich suchte! Hier nimm sie und laß sie prüfen und zahle mir dafür, was dir gefällt, morgen komme ich wieder und hole das Geld.“ Mit diesen Worten ließ er die Leinwand auf dem Mäuerchen liegen, auf dem er gesessen hatte, und der erste, der hereintrat und in dem Höfchen ein kleines Geschäft zu verrichten hatte, machte den glücklichen Fund und trug ihn fort.
Als Vardiello ohne die Leinwand zu seiner Mutter zurückkehrte und den Fall erzählt hatte, wollte der armen Frau fast das Herz brechen. Und sie schimpfte auf ihn ein: „Was hast du mir schon alles angestellt! Rechne mal nach! Aber die Schuld daran habe in erster Linie ich, weil ich ein zu weiches Herz habe und dir nicht von Anfang an den Kopf mit einer ordentlichen Tracht Prügel zurechtgesetzt habe. Jetzt sehe ich, daß ein mitleidiger Arzt die Wunde unheilbar macht. Wenn du es so weitertreibst, dann ist das Maß bald voll, und dann mach dich auf eine gründliche Abrechnung gefaßt.“
Vardiello seinerseits hütete sich zu antworten: „Schweig still, Mutter, es wird schon nicht so kommen, wie du sagst, du sollst noch ganz was anderes haben als frisch geprägte Heller. Glaubst du vielleicht, ich käme von Dummsdorf und wüßte mich nicht bezahlt zu machen? Morgen sollst du’s erleben! Von hier bis Neapel ist nicht weit, und du sollst schon sehen, ob ich den Stiel in diesen Spaten bekomme!“
Am anderen Morgen, als die Schatten der Nacht, verfolgt von den Häschern der Sonne, das Land räumten, begab sich Vardiello zu dem Höfchen mit der Statue und sprach: „Guten Morgen, mein Herr! Wäre es dir wohl gefällig, mir die paar Heller zu geben? Vorwärts, bezahle mir die Leinwand!“ Als die Statue nach wie vor stumm blieb, hob er einen Stein auf und schleuderte ihn mit aller Gewalt der Statue vor die Brust, so daß er ihr eine Ader zerriß, und das wurde zur Rettung seines Hauses. Denn es lösten sich die Massen des Mörtels, und zum Vorschein kam ein Topf mit goldenen Talern. Er nahm ihn in beide Hände und rannte mit halsbrecherischer Geschwindigkeit nach Hause. Laut rufend stürzte er ins Zimmer: „Mama, Mama, sieh mal wieviel rote Lupinen! Wie viele, o wie viele!“ Die Mutter aber, welche sofort erkannte, welches Vermögen in den Talern steckte, die ihr so unverhoffterweise in den Schoß gefallen waren, machte sich plötzlich klar, der Sohn könne den Fall ausposaunen, und der Gefahr wollte sie vorbeugen. Sie sagte also zu Vardiello, er sollte sich vor die Haustür setzen und aufpassen, wenn der Milchhändler vorbeikäme, denn sie wolle für ein paar Heller Milch kaufen.
Vardiello war nun ein gutmütiger Geselle und setzte sich sofort vor die Haustür. Die Mutter aber ließ eine gute halbe Stunde lang mehr als sechs Maß gedörrte Trauben und trockene Feigen auf ihn herabhageln. Er sammelte sie auf und schrie: „Mama, o Mama, nimm Mulden, hol Kufen, bring Körbe, denn wenn dieser Regen anhält, so werden wir reiche Leute!“ Und als er sich den Bauch vollgestopft hatte, ging er in seine Kammer und legte sich ins Bett.
Nun geschah eines Tages, daß zwei Leute aus dem Orte, übles Gesindel, sich zankten wegen eines Goldstücks, das sie auf der Straße gefunden hatten. Vardiello kam herzu und sagte: „Was seid ihr doch für Erzesel, solch ein Geschrei zu erheben wegen einer derartigen roten Lupine! Ich pfeife darauf, denn ich habe einen ganzen Topf voll davon gefunden!“
Man meldete dem Hohen Gericht diesen Ausspruch, und das schöpfte Verdacht, so daß man Vardiello vorladen und vernehmen ließ, wann und bei wem er die Taler gefunden, von denen er gesprochen habe. Vardiello antwortete: „Ich habe sie in einem Palast gefunden, in dem Leibe eines stummen Mannes, an dem Tage, da es gedörrte Trauben und trockene Feigen hagelte.“ Der Richter, der den falschen Ton in der Melodie gleich heraushörte, roch den Braten und verfügte, daß er ins Irrenhaus gesteckt werde, denn es war der für ihn zuständige Richter.
So machte die Unwissenheit des Sohnes die Mutter zu einer reichen Frau und der gesunde Verstand der Mutter die Eselhaftigkeit des Sohnes wieder wett, woraus man klar ersehen kann:
Ein klug und gut gesteuert schiff
fährt selten auf ein felsenriff.