Читать книгу Roman Paket 9 Glenn Stirling Liebesromane für den Strand - Glenn Stirling - Страница 11
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ОглавлениеSchwester Jutta war diensthabende Stationsschwester im Spätdienst. Sie hatte noch den Mantel an, als sie ins Stationszimmer kam, wo noch immer Schwester Marita am Tisch saß und die Eintragungen für die Spätschicht vollendete.
„Du, sag mal, Marita, was war denn mit Frau Doktor Bender los? Die ist mir eben begegnet, weiß wie eine Wand, den Blick starr. Ich habe sie gegrüßt, aber sie hat getan, als habe sie mich gar nicht gesehen. Wie eine Schlafwandlerin ging die an mir vorbei.“
„Keine Ahnung“, sagte Schwester Marita. „Vorhin ist der Oberarzt dagewesen, wollte sie sprechen und sie ging mit ihm hinaus. Ich habe sie nicht mehr gesehen.“
„Kiesewetter ist mir auch begegnet, der machte auch eine sauertöpfische Miene. Aber immerhin hat er wenigstens gegrüßt.“
„Er kam herein und wollte ihr irgendetwas mitteilen, unter vier Augen, wie er sagte. Sie sind nach draußen, aber was dann war... Ich habe keine Ahnung.“ Schwester Marita hatte sich erhoben. „Ich bin hier fertig. Wenn du willst, kannst du übernehmen. Unterschrieben habe ich schon. Du musst ganz besonders auf 335 achten, das ist die Nierenbeckenentzündung. Das Fieber ist herunter, die Schmerzen sind geringer geworden, aber es ist noch längst nicht vorbei. Und denke dran, der Mann hat mit dem Herzen zu tun, ist überhaupt sehr schwach. Deswegen haben sie ihn ja ins Krankenhaus gebracht. Und noch etwas, die alte Frau mit den Nierensteinen ist heute Morgen ex gegangen.“
„Was?“, fragte Schwester Jutta, „Wie kam denn das so plötzlich? So hinfällig war sie doch gar nicht.“
Schwester Marita sagte gar nichts, zuckte nur die Schultern. „Ich muss ab morgen in den Notdienst. Ausgerechnet mit Preiß.“
„Doktor Preiß?“, Schwester Jutta lachte. „Na hör mal, das ist doch ein netter Bursche, mir gefällt der. Wenn ich nicht schon verlobt wäre...“
„Willst du für mich in den Notdienst gehen? Ich bin jedenfalls nicht scharf drauf“, sagte Schwester Marita.
„Morgen kommt Heidewitzka wieder“, entgegnete Schwester Jutta. „Sei froh, wenn du eine Weile weg bist. Die lässt die anderen ganz schön arbeiten. Selber spielt sie immer die Fröhliche, Aufgekratzte, immer einen Scherz auf den Lippen, und wir dürfen die Arbeit machen. Ich bin ganz zufrieden, dass ich im Spätdienst arbeiten kann und nicht nur unter Heidewitzka schuften muss wie ein Pferd. Sie ist immer um den Chef herum oder um den Oberarzt, zumindest aber um die Stationsärzte. Und wir, wir dürfen herumflitzen wie Rennpferde.“ „Ein bisschen recht hast du.“
„Den Posten, den sie hat, hättest du auch haben können. Du hast ja alle Prüfungen. Ich müsste noch eine machen. Aber wann komme ich dazu?“
„Was nützt es schon?“, meinte Schwester Marita deprimiert. „Ich habe diese Prüfungen und komme auch nicht weiter. Ich verdiene so viel wie du.“
„Du solltest an eine andere Klinik gehen, irgendwohin, wo du Stationsschwester werden kannst. Und wenn es nur ein Kreiskrankenhaus ist. Mein Vater sagt immer „Lieber ein König unter Bettlern, als ein Bettler unter Königen“. Was nützt mir der große Name vom Hafenkrankenhaus, wenn ich ein Nichts bin. Ich glaube, ich mache doch meine dritte Prüfung und dann nichts wie weg von hier. Von mir aus in die Provinz. Mein Freund will sowieso von Hamburg weg. Die Großstadt, sagt er, die schlechte Luft und das alles. Lieber aufs Land, in die Heide. In Buchholz ist ein nettes kleines Krankenhaus. Das ist wie eine große Familie da, weißt du?“
Marita schüttelte den Kopf. „Das kann ich besser beurteilen. Ich bin als junge Schwester schon an einer solchen Klinik gewesen, eine Privatklinik. Wir waren im Ganzen nur vier Schwestern und dann noch die Frau des Besitzers und Chefarztes. Von früh bis abends war Mord und Totschlag. Wenn ich damals älter gewesen wäre, hätte ich mich als Nachtschwester gemeldet. Aber die Bedingung war damals, dass man fünfundzwanzig Jahre alt sein muss. Sie hatten eine ältere Frau dafür. Die Nachtschwester hatte ihre Ruhe. Aber am Tag war nur Zank und Streit. Und auch die Ärzte waren in der Öffentlichkeit ganz freundlich zueinander, aber jeder hat Krieg gegen den anderen geführt. Und allesamt haben sie auf uns herumgehackt. Du sagst, wie eine Familie? Es gibt auch solche Familien. Aber dann möchte ich lieber nicht in einer solchen Familie sein. So, ich gehe jetzt.“ Sie dachte an die Einladung zum Abendessen. Große Erwartungen hegte sie nicht, was diesen Abend mit Dr. Preiß betraf. Auf der anderen Seite war sie ehrlich genug mit sich, zu spüren, dass es etwas Verlockendes hätte. So ganz gleichgültig war er ihr nicht, auch wenn sie sich das nicht eingestehen wollte. Gab es überhaupt ein Mädchen im Haus, das ihn nicht mochte? Er hatte eine Art, die war einfach unwiderstehlich.
Marita verließ den Fahrstuhl und trat ins Foyer. Da kam ihr Roswitha entgegen, die als Telefonistin arbeitete. Sie hatte jetzt auch Dienstschluss. Die mollige Blondine kam im rosa Kleid mit weißen Tupfen auf Marita zu und sagte wichtigtuerisch: „Hör mal, weißt du auch das Neueste? Der Freund von der Bender ist tot.“
„Was sagst du da?“, rief Marita, bestürzt. „Redest du von Frau Doktor Bender?“
„Ja, ja, die hat doch diesen Anästhesisten von der Frauenklinik, diesen Doktor Kluge. Er ist auch mal hier gewesen und hat hier in irgendeiner Geschichte ausgeholfen. Ich kenne ihn, oft holt er sie ab. Er hat einen tollen Porsche. Naja, jetzt hat es ihn erwischt. In der Türkei, im Erdbebengebiet. Sie sind mit einem Auto verunglückt.“
„Doktor Kluge ist tot? Jetzt verstehe ich, was Jutta mir da erzählt hat.“
„Was hat sie dir denn erzählt?“, wollte Roswitha wissen.
„Als mich Jutta ablösen wollte, kam ihr Doktor Bender entgegen, weiß wie eine Wand, sagt Jutta. Und wie eine Nachtwandlerin sei sie ihr vorgekommen.“
Dann hat sie es wohl gerade erfahren. Die haben von Genf angerufen. Kiesewetter hat mit ihnen gesprochen. Er wollte es der Bender sagen.“
Marita nickte gedankenverloren, sagte aber nichts dazu. Erst nach einer ganzen Weile murmelte sie: „Sie ist immer so nett. Die einzige von den Ärztinnen, die wirklich nett ist. Und außerdem kann sie was. Wenn ich da an die Grund denke, die darf alles und kann nichts. Aber hochnäsig wie sonst was. So eine eingebildete Kuh und hinter jedem Mann her. Die alte Mutter könnte noch leben, wenn sie nicht an die Grund geraten wäre.“
„Die ist ja wirklich doof, die Grund“, bestätigte Roswitha. „Der letzte Heuler hier im Haus. Aber wenn sie auf ihren hochhackigen Schuhen angetrippelt kommt und mit dem Hintern wackelt, da gucken ihr die ganzen Männer nach.“
Marita schüttelte den Kopf. „Das sind nicht mehr viele, die ihr nachsehen. Und die das tun, die kennen sie nicht. Auf der Station verrenkt sich keiner mehr den Hals. Und der Chef redet mit ihr wie mit einem Lehrling. Neulich hat er sie angebrüllt, das hat man durch die Doppeltüren gehört.“
„Die telefoniert auch dauernd. Es ist mir bloß zu blöd, ich könnte es ja mithören, aber ich will es gar nicht. Und immer ist es irgendein anderer Mann, der anruft.“
Sie verließen beide die Klinik und Roswitha fragte:
„Nimmst du den Bus? Dann müssen wir uns beeilen.“
„Nein“, lächelte Marita, „ich werde ausnahmsweise mal abgeholt.“
Roswitha blickte Marita überrascht an. „Hast du einen Neuen?“
„Nein, nein. Es ist, glaube ich, eine einmalige Sache. Es geht um etwas Fachliches. Doktor Preiß holt mich ab.“ Roswitha pfiff wie ein Junge zwischen den Zähnen. „Donnerwetter!“, rief sie anerkennend. „Den hast du dir geangelt? Ein toller Hecht! Mensch, das wäre auch mein Traum einer schlaflosen Nacht, der gefällt mir.“
„Es ist nicht so, wie du denkst“, entgegnete Marita, blickte an Roswitha vorbei und sagte: „Da ist er schon. Entschuldige mich. Wir werden uns übrigens die nächste Zeit nicht sehen“, erklärte sie, während sie schon weiterging, und rief dann über die Schulter zurück: „Ich muss in den Notdienst.“ „Einen schönen Abend noch!“, rief ihr Roswitha nach, aber Marita hörte es nur mit halbem Ohr. Da stand ihr schon Harald Preiß gegenüber.
Auf seine gewinnende Art lächelte er sie an.
„Ich wollte eigentlich erst nach Hause, ich muss mich noch umziehen.“
„Umziehen? Wozu denn? Was haben Sie denn unter dem Mantel an? Ich sehe nur die dunkelblauen Hosen.“
„Eine Strickjacke und eine weiße Bluse. Ich weiß nicht, ob ich da... “
„Nun hören Sie mal, damit kann man überall hingehen. Wir sind doch nicht mehr in Opas Zeiten. Kommen Sie, so groß wollte ich Sie nicht ausführen. Ich habe mich auch nicht umgezogen. Und wenn, dann wäre ich in Jeans gekommen. Also gehen wir.“ Er hakte sie unter und sie gingen auf seinen Wagen zu, der ein Stück entfernt stand. Er hatte ihn in der zweiten Reihe geparkt.
„Wenn das die Polizei sieht“, meinte Marita.
„Ach was“, erwiderte er. „Ich bin ja eben erst dahingefahren. Ich fürchtete schon, Sie könnten direkt zum Parkplatz gehen. Nun kommen Sie, steigen Sie ein.“
Es war ein hoffnungslos vom Rost benagter alter Audi und innen roch es, wie es oft in alten Autos riecht. Die Sitze waren durchgesessen und Marita glaubte zu versinken.
Er sprang auch nicht sofort an, als ihn Dr. Preiß in Gang setzen wollte. Aber schließlich entschloss sich der Motor doch seinen Dienst zu tun und es hörte sich an, als würde vorn unter der Haube mit Topfdeckeln geklappert. Der Wagen fuhr rumpelnd und laut, doch bei dem nun einsetzenden Schneeregen fühlte sich Marita in dem Vehikel fast wohl.
Sie sprachen nicht, bis Harald Preiß in einer Seitenstraße der Innenstadt anhielt, sie ausstiegen und er einen Knirps aufspannte, damit Marita nicht nass werden sollte.
„Lassen Sie doch, ich habe eine Kapuze“, rief sie. Aber er bestand darauf, den Schirm über sie zu halten. „Wir haben nicht weit. Da drüben, das Lokal, das wäre etwas für uns. Nicht so nobel, aber die Kost ist gut und vor allen Dingen auch reichlich, worauf ich besonderen Wert lege.“ Er lachte.
„Ich nicht so sehr.“
„Ich kenne den Spruch von der Linie. Vergessen wir das. Es wird Ihnen so schmecken, dass Sie ordentlich zulangen, hoffe ich.“
Als sie sich dann gegenübersaßen, nachdem sie mit einiger Mühe zwei Plätze erwischt hatten, da fragte Marita: „Haben Sie gewusst was mit dem Freund von Frau Doktor Bender passiert ist?“
Er nickte und wurde sofort ernst. „Ja, Kiesewetter hat es mir gesagt. Das ist furchtbar für die Frau. Ich muss zwar zugeben, dass ich nicht immer besonders gut mit ihr auskomme, aber auf der anderen Seite erkenne ich an, dass sie eine sehr gute Ärztin ist und sich äußerst kollegial verhält. Sie besitzt bloß manchmal eine sehr herausfordernde Art.“
„Das bilden Sie sich nur ein“, sagte Marita. „Sie lässt sich bloß nicht unterbuttern, wissen Sie. Das gefällt mir so an ihr. Sie gibt den Männern, die so tun, als hätten sie allein das Sagen, ganz schön kontra. Ich wollte, ich könnte das auch. Ich bringe es nur nicht fertig. Ich denke zwar vornweg, ich sollte etwas sagen und ärgere mich hinterher, dass ich es nicht getan habe. Aber wie gesagt, im rechten Moment fehlen mir die richtigen Worte. Das geht mir immer so.“ Preiß sah sie lächelnd an. „Sie sind sehr ehrlich, und Sie sehen hübsch aus, wenn Sie so etwas sagen. Irgendwie passt bei Ihnen alles zusammen.“
„Machen Sie mir bitte keine Komplimente.“
Aber ich meine die so ehrlich, wie Sie das vorhin auch gesagt haben“, beteuerte er.
Der Kellner kam, und sie bestellten. Marita beließ es bei einer Kleinigkeit, aber Harald Preiß bestellte sich ein ganzes Menü.
„Ich habe Kohldampf bis unter die Ohren“, erklärte er, als der Kellner weg war. „Sagen Sie mal, wo wohnen Sie eigentlich?“
„Bei meinem Bruder und meiner Schwägerin. Ich habe eine kleine Einzimmerwohnung oder sagen wir mal, ein bescheidenes Appartement im Souterrain ihres Einfamilienhauses.“
„Der große Bruder hat das Haus und die kleine Schwester wohnt in der Hundehütte?“, fragte Preiß scherzend.
Marita blieb ernst; ihr war nicht zum Lachen zumute. Die Sache mit Frau Doktor Bender beschäftigte sie noch immer.
„Nein, nein, so ist es nicht“, widersprach sie. Ich brauche ja nicht mehr als dieses Zimmer und die kleine Kochstelle, das reicht mir. Und wenn ich wirklich einmal etwas benötige oder Besuch habe, kann ich auch das Wohnzimmer meiner Schwägerin benutzen. Die sind beide sehr nett zu mir.“
„Wissen Sie eigentlich“, fragte Preiß, „dass uns der liebe Gött beide dazu ausersehen hat, in den Notdienst zu gehen? Wir werden also die nächste Zeit zusammen verbringen. Eigentlich ein Grund zum Feiern.“
„Finden Sie den Notdienst so schön, Herr Doktor Preiß?“
„Hören Sie mit dem Doktor auf. Nennen wir uns beide doch beim Vornamen, das ist nicht so förmlich. Ich heiße Harald und Sie Marita. Nein, Marita, Sie haben recht, ein Zuckerlecken ist der Notdienst nicht, aber die Tatsache, dass wir beide zusammen sind...“
„Sie schmeicheln mir immer. Wäre es nicht besser, wir würden aufrichtig miteinander sein?“
„Ich bin aufrichtig“, versicherte er. „Was erwarten Sie von mir?“
Sie lächelte. „Das habe ich Ihnen heute schon einmal gesagt. Ich erwarte von Ihnen das Übliche. Nach meiner Wohnung haben Sie sich schon erkundigt. Übrigens kümmert sich niemand darum, wenn ich Besuch empfange, wenn Sie das wissen wollten.“
„Vielleicht will ich es nicht wissen. Ich habe ja auch eine Bleibe, wir könnten dahingehen.“
Sie nickte. „Genauso hatte ich es mir vorgestellt“
Er hörte den Spott durchaus heraus. „Aber vielleicht will ich das gar nicht“, sagte er. „Vielleicht bringe ich Sie nach Hause, wie ich es Ihnen versprochen hatte. Wir sagen uns „Gute Nacht“, Sie gehen in Ihr Bettchen und ich fahre heim zu mir.“
„Vielleicht stellen Sie sich alles mit mir sehr einfach vor, Harald. Aber es ist nicht so einfach. Ich habe eine ziemliche Enttäuschung hinter mir, vielleicht lohnt es sich für Sie gar nicht. Wissen Sie, ich gehöre nicht zu den Mädchen, die daran Spaß haben, eine kurze Episode zu erleben. Wenn ich „ja“ sage, dann meine ich es bitterernst und erwarte, dass der andere das auch tut. Ich wollte Ihnen das von Anbeginn an sagen, Harald, bevor Sie sich noch mehr Ausgaben machen.“
Er prallte zurück, als habe er einen Schlag bekommen. „Warum reden Sie so?“, fragte er konsterniert.
„Sie haben ja erkannt, dass ich sehr offen bin. Warum sollen wir eigentlich alles übertünchen, um den heißen Brei reden und so tun, als wären wir beide ein wenig blöd, als könnte sich der eine nicht vom anderen denken, was der will.“
„Es gibt Spielregeln, man sollte sie einhalten.“
„Mir bedeuten die nichts“, entgegnete Marita. „Es ist mir vollkommen gleichgültig, was man tut oder tun sollte.“
„Sie sprechen wie eine Frau, die eine Menge hinter sich hat.“
„Ich habe etwas hinter mir, wenn auch nicht eine Menge. Aber mir reicht es.“
Der Kellner brachte den beiden ihr bestelltes Bier. Als er wieder weg war, prosteten sie sich zu, tranken einen Schluck und dann drehte Harald Preiß das Glas zwischen den Händen. Das Gespräch war wie abgestorben. Jeder hing den eigenen Gedanken nach. Marita, indem sie mit den Bierdeckeln spielte, die noch herumlagen, und Harald, der nachdenklich auf den Schaum in seinem Glas starrte.
Plötzlich sagte Marita: „Wie mag ihr jetzt zumute sein? Ob sie morgen überhaupt in den Dienst kommt? Ich versuche mir das vorzustellen. Was geht in einem Menschen vor, der eine solche Nachricht bekommt? Das ist doch wie ein Blitzschlag...“