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Die Rettungshelfer arbeiten zügig. Der schwarzhaarige Motorradrüpel liegt halbnackt, teilweise mit wärmender Goldfolie bedeckt, einige Meter entfernt auf der Rolltrage. Sein rechter Arm steckt in einer blauen Streckschiene. Der Notarzt betrachtet den Oberschenkel mit einem Vergrößerungsglas, besprüht die Ränder der Stichwunde aus einem flachen, weißen Plastikbehälter.

Corinna und ich sehen aus einiger Entfernung zu. Meine Erklärung hört sich unsere Hauptkommissarin ungerührt an. Der Mann ist in sein eigenes Messer geraten, als Mahina ihn mit einem Kickstoß daran hinderte, eines unserer Mädchen an sich zu reißen. Erst denke ich, sie bezweifelt meine Aussage, wie sie den Kopf etwas zur Seite legt.

Doch sie befindet grinsend:

„Hätte ruhig etwas weiter oben treffen können. Messer sind nun mal gefährliche Gegenstände. Sollte der Arsch eigentlich wissen.“

Wir schauen uns verwundert um.

Mahina und Mona sind verschwunden; ohne ein Wort zu sagen.

Statt dessen kommt Janina zu uns, zögernd, richtet ihren wachen Blick, der manchmal ein wenig zu schielen scheint, auf Corinna.

„Äh, ... da war noch etwas, Frau Sandner. Ich glaube, das ist wichtig,“

erklärt sie stockend.

„Na denn, komm her. Hey, Du siehst gut aus. Wie geht ’s dir, Janina? Was macht die Schule?“

„Mir, och, eigentlich ziemlich gut. Sind ja noch Ferien. Erst nächste Woche. Deswegen waren wir ja hier, Ausgehen, alle zusammen. Inzwischen übe ich sogar freiwillig. Jedenfalls kann ich schon viel besser lesen; immer noch langsam, aber mit ganz wenig Fehlern.“

„Na, das ist doch was. Also, Du wolltest mir etwas sagen.“

„Ja, heute Morgen. Unten an der Straße, am Anfang vom Fußweg zu den Hochhäusern, wo Mona wohnt, die drei eben. Weil ... ich komme doch immer mit dem Fahrrad.“

„Schön der Reihe nach. Um wie viel Uhr war das?“

Die zunehmende Aufregung ist Janina anzuhören.

„Elf? Kurz davor? Weil, mit Mahina. Da durfte ich schon ein paar Mal mitfahren. Vorhin, der Mann mit den Stoppelhaaren saß da drauf. Das rote Motorrad da, das stand neben dem Fußweg zu den Häusern.“

„In Steinbach? Das da, das rote Motorrad? Mit dem Mann?“

„Ja. Ne, da war keiner. Den Mann habe ich nicht gesehen. Aber das Motorrad. In Steinbach. Ich weiß genau, wie eine richtige Harley-Davidson aussieht; schwarz, hinten mit einem breiten Sattel und großen Seitentaschen. Aber nicht so wie das Ding da, so abgeschnitten und ohne Taschen.“

„Du bist sicher, Janina?“

„Klar doch! Da, sehen Sie! Mit Harley-Davidson, die Schrift an der Seite am Tank und unten am Motor. Ich bin sogar vom Rad gestiegen und habe nachgeschaut, deswegen doch. Weil die nicht wie eine echte Harley aussieht. Auch hinten, mit diesem fetten Hinterreifen. Und so ein kleines Nummernschild an der Seite hat Mahina auch nicht. Das war genau das Motorrad da.“

„Bestens, Janina. Gut, dass Du das sagst,“ lobe ich. „Das passt ins Bild, Corinna. Drüben beim Essen an einer Tischgruppe im Freien hat der gleiche Kerl uns beschattet. Hat wahrscheinlich seine Kumpels informiert, als wir fertig waren und gegangen sind.“

Janina schaut mich bekümmert an.

„Tut mir leid, Robert. Ich wusste nicht, ob das wichtig ist. Sonst hätte ich es gleich gesagt.“

„Nicht weiter schlimm. Hauptsache, wir wissen es jetzt.“

*

Kann man wohl sagen. Corinna zieht die beiden Steilfalten zwischen den Augenbrauen zusammen, bekommt den mir vertrauten, harten Zug um den Mund. Als sie mich ansieht, scheinen ihre Augen Funken zu sprühen. Schluss mit lustig.

Immerhin gibt sie Janina noch einen Klaps an den Unterarm.

„Danke, Mädchen, das war nicht nur wichtig, sondern sehr wichtig. Abmarsch zu deiner Freundin.“

Während Janina sich zum Gehen dreht, tritt einer der beiden Uniformierten näher.

„Entschuldigung, Frau Kollegin.“

„Was, Mann? Wie, ja, was gibt ’s?“

„Die beiden Schwerverletzten sind notversorgt und müssen jetzt ... Die werden ins Klinikum Frankfurt-Höchst gebracht. Ist das okay?“

„Ne, ne, ne. Augenblick, vorher rede ich mit denen. Sie halten die beiden Anderen fest und auf Abstand, notfalls mit Handfessel.“

Sie läuft zu den Rettungshelfern.

Einer hat die Rolltrage in Bewegung gesetzt. An deren Fußende piept ein hellrotes, tragbares EKG-Gerät, das über eine Messklammer am linken Mittelfinger des Rockers Herzschlag, Blutdruck und Sauerstoffgehalt im Blut erfasst. Der zweite Helfer führt den Mann mit der blau angelaufenen Nase, in jedem Nasenloch einen weißen Mullstecker, mit der Linken neben sich her, während er mit der Rechten die Trage lenken hilft.

„Sekunde, Leute.“

Die beiden anderen Rocker stehen, mit einer Stahlhandfessel um ein Handgelenk miteinander verbunden, mit grimmigen Mienen bei ihren Motorrädern.

Corinna schaut sich um.

„Sie alle hören mich, okay?,“ fragt sie scharf.

„Ich frage Sie hiermit vor dem Kollegen als Zeugen: Erstattet einer von Ihnen Anzeige, etwa wegen Körperverletzung?“

„Aber gewaltig! Und wegen Diebstahls!,“ nuschelt der große Blonde durch das lädierte Mundwerk. „Die sch...schwarzhaarige Fotze hat mir etlisch...sche Euro gestohlen.“

„Mir auch,“ näselt der mit der Watte im Riecher. „Zweihundert Euro.“

„Halt die Schnauze, Walli,“ röchelt der Schwarzhaarige halb aufgerichtet auf der Trage, den Kopf gegen eine graue Stütze mit erhöhten Seitenkanten gelehnt. Er hat hörbar Mühe beim Atmen und Sprechen.

Schau an. Beim Geldmanagement gibt es wohl kleine Unstimmigkeiten zwischen den Herrschaften.

„Was wir an Kohle machen, ... da kann man ...schon mal den Überblick verlieren,“ bollert der Rocker auf der Trage. „Lass das besorgte Getue, Bullenschlampe. ... Wir erstatten keine Anzeige. Ehrensache. Wozu? Wir lieben es nun mal handgreiflich. Rau, aber herzlich. Danach ist wieder Ruhe. Dafür sind wir gut versichert. Was hat man sonst vom Tag?!“

Corinna nickt mit eisigem Blick und Gift in der Stimme.

„Das sehe ich genauso. Die Bullenschlampe schenken Sie sich, sonst reicht das Schmerzensgeld ihrer Versicherung gleich nicht mehr. Falls Sie es sich anders überlegen, bitte nur mit einem Rechtsanwalt. Damit alles seine Ordnung hat. Unsere besondere Fürsorge gilt nun mal harmlosen Motorradfahrern, die keiner Fliege etwas zuleide tun und ohne Vorwarnung angegriffen werden.“

Sie hält inne. Ich kenne sie gut genug.

Den dicken Knüppel zieht sie gern erst am Schluss hervor.

„Die beiden Verletzten sind schnell und umfassend ärztlich erstversorgt worden. Auch dies wird von meinen anwesenden Kollegen bestätigt. Bitte zügiger Abtransport in die Klinik Höchst.“

Kleine Spannungspause, als Haltezeichen erhobene linke Hand.

„Damit hier alles korrekt vonstatten geht, teile ich Ihnen förmlich mit: Born to be wild hat auch Schattenseiten. Ich erstatte Strafanzeige gegen alle vier wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, unerlaubtem Waffenbesitz, Körperverletzung, Beleidigung, Nötigung und Nachstellen gemäß den einschlägigen Paragraphen des Strafgesetzbuchs. Ihre Motorräder gelten als Tatwerkzeuge und sind beschlagnahmt. Die Einzelheiten veranlasst der zuständige Staatsanwalt, insbesondere die grundsätzlich durchzuführenden Hausdurchsuchungen. Alles streng nach unseren Gesetzen. Wenn ihr daran Anstoß nehmt, schlage ich vor, eure eigenen Gesetze zu überdenken. Jedes Motorrad wird von unserer Kriminaltechnik zerlegt und auf Verstecke von unerlaubten Stoffen, Waffen sowie entsprechende Spuren untersucht.“

„Ähi, Tussi. Wir doch nicht, wir sind clean!,“ mault der Rocker mit der gebrochenen Nase .

„Das wird sich zeigen, Jungchen,“ fährt Corinna mit der Gelassenheit ihrer amtlichen Machtstellung fort. „DNA-Erfassung ist selbstverständlich für alle vier fällig. Dazu Blutalkoholtest und Drogenuntersuchung. Gehört zum verbindlichen Vorsorgeprogramm für alle Täter, die zum gemeinschaftlichen Schlaganfall in den Fäusten neigen. Je nach Ergebnislage kann die Anzeige um den Gebrauch verbotener Substanzen gemäß Betäubungsmittelgesetz erweitert werden. Nebenbei werfen wir einen Blick auf eure Konto-Bewegungen. Mal sehen, was uns noch einfällt. Damit wünsche ich Ihnen einen erholsamen Nachmittag.“

„Miese Nazi-Schlampe,“ zischt der Rocker mit den rötlichen Stoppelhaaren.

„Danke. Dafür gibt es eine kostenlose Darmspiegelung als Bonus-Leistung. Verdacht auf Drogenschmuggel im Körper.“

„Das ist reiner Polizei-Terror!,“ kräht der Stoppelkopf zurück.

„Nein, mein Freund, ein erlesener Genuss für Arschlöcher aller Art. Die beiden unverletzten Personen sind für die erkennungsdienstliche Erfassung vorläufig festgenommen. Sollte sich herausstellen, dass einer von Ihnen unter strafrechtlichen Bewährungsauflagen steht, wird eine sofortige Wiedereinweisung in die zuständige Justizvollzugsanstalt beantragt. Ende der Rechtsbelehrung. Weiterhin viel Spaß mit der Lust auf Freiheit und Abenteuer.“

Mehrere Sekunden frostiges Schweigen.

Im Hintergrund das Starten eines Automotors.

Die Helfer sind froh, die Verletzten wegschaffen zu können, setzen sich mit der Trage in Bewegung.

Der Blonde mit der großsprecherischen Neigung faucht dazwischen.

„Halt! Nein! So nicht! Nicht mit uns! Das ist Bullenterror in reinster Form! Carlo, Mann, ruf unseren Anwalt an! Wir wollten bloß gemeinsam einkaufen. Seit wann ist das strafbar?! Das können die Bullenschweine nicht mit uns machen.“

Carlo ist offenbar der Bandenbruder auf der Trage. Walli schaut ihm nach, als fühle er sich im Stich gelassen.

Einer der Uniformierten tritt, seine Hand unübersehbar am Griff des Schlagstocks, einen Schritt auf den Blondkopf zu.

„Du Knubbelkopf siehst doch, dass wir es können,“ grinst Corinna, ganz dienstliche Selbstsicherheit. „Hört ihr Kotzbrocken keine Nachrichten? Bedank dich bei deiner arroganten Blödheit und euren beschissenen Vorbildern. Meint ihr, wir drehen Däumchen, wenn „Hells Angels“ und „Bandidos“ im Frankfurter Raum immer öfter ihre Streitigkeiten mit Messern und Schusswaffen regeln? Pech gehabt, inzwischen gehen wir Bullenschweine gnadenlos gegen alles vor, was unter dem Fähnchen Rocker-Bande daherkommt. Mit ausdrücklicher Ermutigung des Innenministeriums. Willkommen in der neuen Rechtssicherheit. Abmarsch!“

*

Der Notarzt mit dem indischen Aussehen ruft den davon trabenden Helfern nach: „Macht hin! Der Patient braucht sofort Sauerstoff. Ich bin gleich bei euch. “

Der Arzt faltet sein Arbeitsköfferchen zusammen. Als er Corinna und mich kommen sieht, nimmt eine aufrechte Haltung ein und erklärt unaufgefordert in bestem Hochdeutsch.

„Meine Erstdiagnose: Der Mann hat einen Spontan-Pneumothorax und drei gebrochene Rippen im unteren linken Thoraxsegment. Das ist lebensbedrohlich, weil ein Teil der Lunge in sich zusammenfällt. Seltsam ist das schon. Denn der äußere Brustbereich weist fast keine auf den ersten Blick erkennbare, massive Prellung auf.“

Dann ergänzt er beinahe flüsternd:

„Noch etwas; der Mann hat schlechte Zähne. Ich denke, Ihr Verdacht auf Drogenmissbrauch trifft zu. Wahrscheinlich wiederholt Methamphetamin. Das raubt den Knochen Kalk und zerfrisst das Gebiss. Der zweifache Zahnverlust des Blonden deutet auf die gleiche Problematik hin. Gewöhnlich verkraftet ein gesunder Kiefer einen mittleren Faustschlag besser.“

Corinna lächelt sogar kurz.

„Besten Dank, Herr Dr. ...“

„Mehrotra, ich bin Dr. Ravi Mehrotra, in Stuttgart geboren,“ meint er, sichtlich erfreut über die kleine Zugabe am Schluss.

„Gut, Herr Doktor. Die Mitteilung ist hilfreich. Ich bin KHK Sandner, Sie wissen schon, Kriminalbullenschlampe.“

Corinna schüttelt ihm die Hand, wendet sich mit der Andeutung eines soldatischen Grußes ab, zieht ihr Mobiltelefon aus dem Jackett und spricht eine Weile in das Gerät. Das bringt mich auf den Gedanken, mein Satelliten-Telefon herauszuholen und die Nummernschilder der vier Harleys zu fotografieren.

Gerade als ich mich entschließe, mit Janina und Samira ins Auto zu steigen, erscheinen Mona und Mahina vergnügt in der Tür des Treppenhauses Nummer 3. Aus einer großen Plastiktüte, die Mahina achtsam trägt, zaubern sie vier mittelgroße braune Pappbecher voll Kaffee nebst Plastikdeckeln sowie mehrere Beutel Zucker hervor.


*

Gut zehn Minuten später stoppen zwei dunkelgraue VW-Passat-Kombiwagen neben dem Absperrband, an Bord fünf sportliche junge Männer. Sie fotografieren das, was von dem Vorfall noch zu sehen ist, insbesondere die Stellung der Motorräder. Dann geleiten sie die beiden unverletzten Rocker, von der verbindenden Handfessel befreit, jeweils zu einem Passat. Ich bitte einen der Beamten zum Kofferraum meines Wagens, wo er das Springmesser eintütet. Mahina übergibt die Schlüssel zu den Harleys. Drei der Männer starten die Maschinen und fahren sie vorsichtig die Ausfahrtrampe hinab zu einem wartenden Lastwagen mit Ladekran und einer flachen Pritsche zum Befördern von Fahrzeugen.

Die Eschborner Kollegen falten das Absperrband ein, werden von Corinna mit Handschlag verabschiedet und fahren davon. Bis auf ein paar Blutstropfen auf dem Betonboden, wo der Rocker mit dem gebrochenen Arm und dem Messer im Oberschenkel gelegen hat, sieht das Parkhaus wieder alltäglich aus.

Der falsche Tote

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