Читать книгу Der falsche Tote - Günter Billy Hollenbach - Страница 14

13

Оглавление

Sie und ich. Unsere Umgangsformen, ganz privat.

Mona erträgt es nicht, unten zu liegen.

Seit der frühere Oberkommissar Schuster sie in ihrem kleinen Schlafzimmer unerwartet niederschlug, zu Boden drückte und einen derben Plastikpimmel in sie hinein zwang. Der eigene Ringelschwanz taugte dafür nicht. Der Schaden, den der Angriff in Monas Seelen- und Sexleben anrichtete, wirkte lange nach. Dass sie im Alltag trotzdem die meiste Zeit halbwegs heiter daherkam, spricht für ihr lebensfrohes Wesen. Wetterfest; aus gutem Grund.

Schließlich hat die kleine Mona auch die Fürsorge ihrer stolz alleinerziehenden Mutter in gefahrgeneigter Berufstätigkeit weitgehend unbeschadet überstanden. Dass der Vierundzwanzigjährigen nach Schuster unser Zusammenleben – Corinna, sie und ich, wie eine „richtige“ Familie – gelegen kam, wer mochte ihr das verdenken.

Dann, vor gut drei Monaten, geschah der Messerangriff. Mona wäre um Haares Breite verblutet. Das Glück im Unglück und ein entschlossen Gas gebender Polizeibeamter wollten es, dass ich wenige Meter hinter ihr war. Wenn das Ereignis – erfreulicherweise sehr selten – zur Sprache kommt, schwört Mona, dass es meinem verzweifelten Zudrücken ihrer verletzten Halsschlagader zu verdanken ist, dass sie noch lebt. Ich denke, es war die Obhut unerschrockener Notärzte, die etliche, tiefschwarze Sekunden später zügig eingriffen.

Wie dramatisch diese Minuten wirklich verliefen, erfuhr ich erst zwei, drei Tage später. Beim Einschieben der Trage in den Rettungswagen erlitt Mona einen kurzzeitigen Herzstillstand. Beleitet von einer Augenblicke zuvor einsetzenden Nahtod-Erfahrung wie im Lehrbuch. Das Ereignis erwies sich mit jedem Tag klarer als Wendepunkt, eine Art Neubeginn in Monas Leben. Als Erstes kündigte sie ihre Arbeit als Labor-Technikerin und bereitete sich auf das Studium der Kriminologie vor. Das ist ihr neuer Lebensauftrag.

*

Wie aus sich selbst heraus vollzogen sich in kurzer Zeit bemerkenswerte Veränderungen. In Monas Erscheinung; wie sie lächelt, über sich und die Welt spricht. Was ihr wichtig ist. Wie von Zauberhand verschwand die oft rumalbernde, spitzzüngige Heranwachsende. Hervor trat eine meist heitere, gelassen selbstbewusste junge Frau. Attraktiver und hübscher – jedenfalls in meinen Augen – als je zuvor; äußerlich und bis ins Herz ihrer Seele.

Über ihrer bisherigen Genügsamkeit entfaltete sich eine erstaunliche Zielstrebigkeit. Mona stellte sich, begleitet von verschämt gestandenen Selbstvorwürfen, ihrer anhaltenden Lust- und Empfindungslosigkeit, was das Geschlechtliche betrifft. Und der wachsenden Angst, in einem sexlosen Dasein alt zu werden. Nach ihrer Entlassung aus der Klinik bestand sie darauf, einige Nächte neben mir zu schlafen. Aus Angst vor der Dunkelheit. Mehr noch, um im Vertrauen auf sexuelle Unberührtheit körperliche Sicherheit zu erleben.

Ich empfand es als beglückenden Liebesbeweis.

Argwohn schert sich selten um Tatsachen.

Corinna bekam von dem Anschlag auf Mona nichts mit. Halbwegs von dem Giftpfeil in der Schulter genesen, war sie sang- und klanglos in eine selbstverordnete Nachsorge-Kur abgetaucht. Zufall oder nicht, bei ihrer unangemeldeten Heimkehr fand sie Monas Unterwäsche in unserem Schlafzimmer. Und zog daraus den naheliegenden Schluss. Der gab ihr den letzten Anstoß, wieder nach Frankfurt zu ziehen.

Das fanden wir zwar übertrieben; dennoch war Mona erleichtert. Mit Mammi gingen eine Menge Kindheits- und Jugenderinnerungen auf Abstand. Ohnehin, wenn die Mutter sogar an Wochenenden im Geist oder tatsächlich mehr bei ihren Verbrechern ist als daheim, bleibt wenig Gelegenheit für Familienleben. Aber Raum für den unausgesprochenen Vorwurf, Mona und ich stiegen bei jeder Gelegenheit im landläufigen Sinn miteinander ins Bett. Gerade weil er falsch war, rührte der Verdacht mächtig an dem, was Mona zu schaffen machte.

Woraufhin sie wieder etwas Unerwartetes tat; nach eigener Aussage ein unabweisbares Herzensbedürfnis. Kaum eine Woche zurück aus der Klinik, rief sie in Kalifornien an und lud sie zu uns ein. Angestoßen durch ihr neuerwachtes Interesse an spirituellen Erfahrungen. Mit ihr empfand Mona eine unerwartet starke innere Verbindung. Netterweise gab sie mir bescheid, als Mahina fast schon im Flieger hierher saß.

Das Leben allgemein – und unseres wohl bevorzugt – geht gelegentlich unergründliche Wege. Mona behauptet felsenfest, Mahina gegenüber nie ein Sterbenswort über ihr inneres Befinden verloren zu haben. Ich habe dazu ebenfalls geschwiegen.

Nur; Mahina ist eben Mahina. Bereits wenige Tage nach ihrer Ankunft erkannte sie, was Mona quälte. In der ihr eigenen Art verlor die Mond-Göttin kein Wort darüber. Sondern ging die Schwierigkeit geradeheraus an. Mit Handauflegen an Monas empfindlichster Stelle. Und an den folgenden Abenden mit sehr anschaulichen Erzählungen; über den traditionellen Umgang hawaiischer Frauen mit dem eigenen Körper, mit den Männern und dem Sex.

Was ich von ihrer inneren Befreiung mitbekam, verschlug mir buchstäblich die Sprache. Denn einige Tage später, abends im Bett, setzte Mona sich – mit zärtlicher Entschlossenheit – auf mich, meine Männlichkeit in ihr. Seit der Nacht machen wir das öfter und selbstverständlicher. Ich bin jedes mal hin und weg, sie auf mir zu sehen und zu fühlen. Anfangs beschlich mich der Verdacht, sie tat es vor allem, um herauszufinden, ob sie es noch – oder wieder – schaffte; körperlich und vor allem seelisch. Heute kann ich die Sorge nur verständnislos belächeln. Dass ich Mona bedingungslos liebe und ewig für sie da sein werde, auch ohne Sex, war mir lange vorher klar.

*

Die ihr weitgehend fremde kalifornische Kampfkunst-Trainerin einzuladen umschreibt Mona rückblickend mit Worten wie Blindflug, Intuition; vielleicht tatsächlich höhere Fügung. Dass und wie schnell Mahina ihr zu innerer Heilung verhalf, hat sie jedenfalls bewusst nicht für möglich gehalten. Auch sonst hatte Mona nahezu keine Vorstellung, worauf sie sich einließ. Zum kennen Lernen ein mehrtägiger Aufenthalt; und dann? Dabei wurde eins bereits in den ersten Tage klar: Mahina war und ist Mona gegenüber unbeirrbar wohlgesonnen. Und Mona empfand mindestens ebenso schnell, Mahina möge hier bleiben.

Das tat sie auch. In ihrer unkonventionellen Art stellte die Mond-Göttin unsere Dreier-Beziehung mit ein paar verblüffend klaren Sätzen auf ein nichtalltägliches, sehr belastbares Fundament. Gleich am Anfang verkündete sie als unumstößliche Entscheidung, mit mir alt zu werden. Gern gemeinsam mit Mona; sofern die will. Wie die zwei Frauen es schafften – ich war nicht dabei.

Jedenfalls einigten sie sich umgehend darauf, nach Lust und Laune mit mir Sex zu haben; nach ihrer eigenen Lust selbstverständlich. Getreu einer früher auf Hawaii geltenden Vorgabe für heranwachsende Mädchen: Tue es nie aus Pflichtgefühl „ihm“ zuliebe. Tue es nur, wenn dein Körper sich bereit fühlt und dein Herz aufrichtig dafür ist. Übertragen auf hier; wenn „er“ uns wirklich liebt, erkennt er, wie viel Wert und Weisheit in diesem Umgang miteinander liegt.

Für den praktischen Hausgebrauch folgte daraus, dass Mona – auch Mahina gegenüber – stets das letzte Wort bezüglich Sex mit mir hat. Somit ist mein grünäugiger, rothaariger Schatz unser eigentlicher Haushaltsvorstand.

Ich finde, es war eine kluge Entscheidung und die beste Wahl, die mir blieb. Ich weiß, was ich an beiden Frauen habe. Ehrlich zueinander zu sein ist uns heiligste Selbstverpflichtung. Vertrauensbruch – beim Sex, aber auch beim Geld – betrachten wir als das Kernübel, das vorzugsweise die herkömmliche Zweierbeziehung befällt.

Vor bösartig giftigem Streit wissen wir uns zu schützen. Unsere Wertschätzung füreinander verkraftet Missverständnisse oder gelegentliche Patzer; nicht unbedingt immer locker, aber ein selbstkritischer Blick in den Spiegel hilft. Vor allem Mahina zieht uns – und sich selbst – gern gnadenlos ironisch mit unseren Macken und Eigenheiten auf. Als Vorwurf werden sie folglich unbrauchbar. Dafür bewähren sie sich als Anstoß, darüber zu lachen. Nebenbei fördert es die eigene Bescheidenheit. Spätestens vor dem Einschlafen vertragen wir uns wieder. Ehrlich.

*

Manche Dinge besprechen Frauen lieber unter sich. Dann nächtige ich nebenan in Monas ursprünglichem Zimmer. Sollte mir jemals ein Mensch die Frage stellen, welche von beiden Frauen „besser im Bett“ sei, meine Antwort wäre stummes, tiefstes Bedauern. Klarer Befund, auch ohne Kernspintomographie: Hirnlosigkeit. Ich kenne keine Vergleichsmerkmale für liebevollen Sex, suche auch nicht danach.

Wenn es einen Unterschied gibt, dann in mir selbst. Ungefähr eine Woche habe ich gebraucht. Seitdem erlebe ich es beinahe täglich als wundersame Gewissheit: Mit Mona und Mahina fühle ich mich selbstsicherer, wacher, erfüllter und zugleich gelassener als jemals mit Corinna. Beinahe so zuversichtlich und voll Vertrauen in unsere Fähigkeiten und unseren Zusammenhalt wie in den ersten Ehejahren mit Gisela und Klein-Claudia.

Mona mag es zärtlich und anschmiegsam. Mit ihren Beckenmuskeln kann Mahina Dinge tun, die mir wie anatomische Wunder vorkommen. Auch auf der Ebene habe ich dazugelernt.

Noch Fragen zu unserem moralisch unkorrekten Privatleben?

Der falsche Tote

Подняться наверх