Читать книгу Der falsche Tote - Günter Billy Hollenbach - Страница 12
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Оглавление„Selten so viel Spaß gehabt,“ erklärt Mona hörbar unerfreut, trinkt ihren Kaffee aus. „Auch wenn es Schöneres gibt als sich den Tag von diesen Dumpfbacken versauen zu lassen. Schade um die Zeit danach. Starker Auftritt, Mammi.“
Ihre Mutter sieht sie streng an, schüttelt missbilligend den Kopf.
Wir haben Janina und Samira in mein Auto geschickt, sind mehrere Schritte in Richtung Treppenhaus 3 gegangen. Um ungestört zu sprechen und die Kaffeebecher in den Abfalleimer nahe der Tür zu werfen.
„Lass die Faxen, Mona. Dafür ist die Sache zu ernst.“
Corinna sucht mit flüchtigen Blicken die hellgrauen Träger und Flächen der Parkhausdecke ab.
„Haben die hier keine Überwachungskameras? Das ist ja mittelalterlich. Seht ihr irgendwo Video-Kameras?“
„Ne, jedenfalls nicht in Sichtweite des Vorfalls.“
„Mist, das erschwert die Rekonstruktion des Tathergangs. Na schön, Monas Tonaufnahme und eure Zeugenaussagen helfen ein gutes Stück weiter. Hört zu, ihr Raufbolde!“
Eine Tonlage strenger.
„Ich denke, ihr hättet besser daran getan, die Auseinandersetzung zu vermeiden und ...“
„Wie denn?,“ ruft Mona dazwischen. „Die wollten Zoff, gezielt mit uns! Egal was wir getan hätten.“
„Schon gut. Ab sofort, Mona-Mädchen, und Du, Robert, bis auf Weiteres geht ihr nur noch mit Kanone aus dem Haus. Achte darauf, Mona, dass sie dir nicht geklaut wird. Also, Waffe immer sicher am Körper. Und Du, Mahina, bitte sei besonders vorsichtig. Ich denke, ihr wisst, wie man Verfolger entdeckt.“
Mona reißt die Augen auf.
„Was ist denn jetzt los, Mammi? Die Sache ist erledigt. Die Scheißkerle haben ihre Abreibung gekriegt. So schnell vergessen die das nicht.“
Mahina schaut mich stumm an, schüttelt kaum erkennbar den Kopf.
Und Corinna wird ärgerlich.
„Gerade deshalb, verehrte Frau Kriminologie-Lehrling.“
Ihr Dienst-BMW hindert einen gelben Käfer am Verlassen des Parkplatzes. Die junge Frau darin hupt mehrmals. Corinna schaut sich unschlüssig um, läuft dann aber zu ihrem Wagen, setzt ein Stück zurück, lenkt in die freiwerdende Lücke.
Als sie aussteigt, wirkt sie sichtlich unwirsch.
„Her mit euch. Mona, noch mal. Das waren zwar Hobby-Rocker ...“
„Na super! Das weißt Du einfach so?,“ unterbricht Mona spitz, „obwohl Du nicht miterlebt hast, wie die Typen sich aufgeführt haben?“
„Du musst genauer hinschauen, Mädchen. Mit den langen Haaren und selbstgeschmückten Lederwesten. Die Kerle sind weit entfernt von den echten Höllenengeln. Bei denen ist seit Jahren Glatze angesagt. Außerdem wären die härter zur Sache gegangen.“
„Das können wir auch,“ erklärt Mahina vor sich hin.
Corinna zieht die kleinen Steilfalten zwischen den Augenbrauen zusammen.
„Darum geht es nicht. Ich fürchte, dahinter steckt mehr. Mit Janinas Beobachtung erhält der Vorfall eine weiterreichende Bedeutung. Wir müssen die Typen ernstnehmen.“
Wir stehen am Kofferraum ihres Wagens zusammen.
„Janinas Beobachtung? Wann? Was hat sie denn ...?,“ wundert Mona sich.
„Selbst schuld, Töchterchen. Dir war ja Kaffeeholen wichtiger als gründliche Tatbestandsklärung. Der Überfall begann schon vor dem Anrollen der Rocker.“
Monas unverzügliche Antwort: Herzhaftes Rausstrecken der Zunge.
Corinna übergeht es.
*
Frau Hauptkommissarin in neuer Verfassung. Die Veränderung kam vor ein paar Monaten mit einer Serie von Gewalttaten. Die ihre Kollegin Vera Conrad unter dem Arbeitstitel „Rache-Hexe“ zusammengefasst hat.
Über Wochen verteilt hielten uns zunächst unbekannte Täter auf Trab. Und in Angst. Zwei Frauen, wie sich am Schluss herausstellte. Als Manfred Schusters bereitwillige Vollstreckerinnen verübten sie mehrere blutige Angriffe. Acht Monate nach dessen spurlosem Verschwinden. Gerichtet gegen alle Menschen, von denen sich der im Privaten gewalttätige, einstige Oberkommissar – und enge Kollege Corinnas – in seiner Ehre verletzt und aus der beruflichen Bahn geworfen fühlte.
Eine Klinikärztin, die den verwundeten Schuster betreut hatte, wurde überfallen und sadistisch verletzt; eine stümperhaft gebaute Briefbombe, an uns in Steinbach adressiert, verletzte eine Putzfrau im Hauseingang; Corinna traf ein Botox-Giftpfeil in die Schulter. Nachdem eine Pistolenkugel Mona – für ihren angeblichen Verrat an Schusters Liebe – haarscharf verfehlt hatte, wurde sie in ein Fluchtauto gezerrt und lebensgefährlich verletzt aus dem Wagen gestoßen.
Die Erfahrungen zeigten Wirkung in Corinnas Umgang mit Gewalttätern. Vergiss polizeidienstliche Korrektheit. Bereits früher war sie im Präsidium bekannt für ihre kreativen Verhörmethoden und den lockeren Umgang mit Dienstvorschriften. Notorischen Rüpeln – wie den Rockern – mit gefasster Verbindlichkeit zu kommen, betrachtet Corinna seit langem als handwerklichen Fehler. Höflichkeitsformen zu missachten, vorzugsweise bei Begegnungen mit Vertretern der Staatsmacht, verleiht solchen Leuten das Selbstwertgefühl, an dem es ihnen im Kern mangelt. Hinter ihren wüstesten Beleidigungen steckt oft die höchste Anerkennung, zu der sie fähig sind. Sowie die Einladung, entsprechend deftig dagegenzuhalten. Als Frau in dem Beruf muss Corinna die doppelte Ladung wegstecken und austeilen können.
Hin und wieder die Hohe Schule polizeilichen Sprachgebrauchs zu bereichern, würzt ihren Dienst „im Feld“. Nebenbei ist das rechtlich einwandfrei; Beleidigung gegen Beleidigung. Sie muss nur darauf achten, dass es nicht zu Handgreiflichkeiten kommt. Bei gewaltgeneigten Männern kippt verächtliche Großmäuligkeit schnell um in nackte Wut und brutale Raserei.
Jedenfalls; Corinnas Duldsamkeit im Umgang mit bestimmten Tätern hat abgenommen. Seit der Rache-Hexe-Serie geht sie unnachsichtig ruppig mit Leuten – Männern wie Frauen – um, die wehrlosen oder unbeteiligten Personen Gewalt zufügen. Ein beiläufiger Ruck mit dem Knie in den Unterbauch bringt manchen Drecksack überraschend schnell dazu, die Kriminal-Dame mit anderen Augen zu betrachten. Damit nicht genug. Sobald Corinna Gefahr für ihr Häuflein „Familie“ wittert, schaltet sie entschlossen auf Kampfbereitschaft. Dafür nimmt sie sogar kleine Unbequemlichkeiten in Kauf. Früher führte sie ihre Dienstwaffe häufig in ihrer schwarzen Umhängetasche mit sich. Jetzt trägt sie die Pistole stets gut sichtbar an der rechten Hüfte. Und übt mit uns auf der Schießbahn. Bei Einsätzen mit absehbar hoher Gefährdung trägt sie unter den Jeans eine kleine Glock 42 in einem flachen Halfter innen über dem linken Fußgelenk. Und Pfefferspray in der Hosentasche.
„Ich gehe von Folgendem aus,“ fährt Corinna mit Nachdruck in der Stimme fort. „Die vier Typen selbst werden sich bis auf Weiteres hüten, in eurer Nähe aufzutauchen. Sofern sie überhaupt können. Aber solche Banden halten sich an ihre berühmten Vorbilder, achten wie die auf eine straffe innere Rangordnung. Um den harten Kern herum hängen Möchtegern-Mitglieder und Unterstützer.“
Corinna spricht vor allem in meine Richtung. Wohl in der Hoffnung, dass ich den beiden Frauen besser ins Gewissen reden kann.
„Diese Mitläufer machen mir größere Sorgen als die Chorknaben in der ersten Reihe.“
„Wieso?,“ fragt Mona unsicher.
„Ganz einfach. Rache für die heute erlittene Schmach ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Das gehört zum Ehrbegriff dieser Macker. Üblicherweise schicken sie dafür nachgeordnete Hilfswillige vor. Die sind oft noch blöder als ihre Vorturner. Gerade deswegen aber gefährlich. Geben sich härter und brutaler, weil sie beweisen wollen, dass sie dazugehören. Kapiert, Mona?!“
„Ja, tut mir leid, Mammi. Habe ich nicht bedacht.“
„Ich fürchte, ihr müsst ab sofort als gefährdete Personen gelten. Möglicherweise auch die beiden Mädchen. Leider ein beliebtes Mittel, um in Wahrheit euch zu treffen. Um Himmelswillen, sagt ihnen das nicht.“
„Oh nein, unsere beiden herzigen Töchter,“ entfährt mir.
„Tja, darauf solltet ihr euch einstellen, Robert. Es wäre dumm, das nicht zu tun,“ legt Corinna nach.
Sofort rast meine Phantasie los. Janina oder Samira – von einem der Ekel-Kerle festgehalten; während ein anderer ihr die Haare abschneidet und die Kleider vom schlanken Körper reißt. Rastlos aufspüren würde ich die Fieslinge. Erst mit einem Nussknacker ihre Eier zermatschen, sie dann mit einem Elektro-Schleifer auf Stecknadelkopfgröße bringen; bedenkenlos. Nehmt ’s leicht Leute; ihr wolltet unbedingt euren Spaß haben; jetzt habe ich meinen.
Mahina, die dicht neben mir steht, zeigt ein kleines, wissendes Lächeln, nickt kaum merklich mit dem Kopf.
„No big deal,“ befindet sie staubtrocken. „Wer die Mädchen oder Mona körperlich angreift, stirbt. End of discussion.”
Mann, ich liebe und fürchte diese Frau.
Corinna rollt missbilligend die Augen, will wohl laut werden, sagt dann jedoch beinahe vorsichtig:
„Mahina, bitte.“
Die bleibt ungerührt.
„Keine Drohung, nur die nackte Tatsache.“
Darauf die Hauptkommissarin hörbar gereizt:
„Vorsicht, meine Liebe! Keine Selbstjustiz! Das ist strafbar. Mach dich nicht unglücklich.“
So gut kennt Corinna meine Hawaii-Frau dann doch nicht. Die meint, was sie sagt. Und tut es.
„Corinna, get this right. Verdreh nicht die Wirklichkeit. Die Gangster machen Selbstjustiz. Ich stoppe sie nur effektiv. Deine Polizei kann nicht überall sein. Oder?“
Mahina mit ihrem Hang, Sachverhalte ungeschönt darzustellen.
Trotz freundlichen Oktoberwetters; im Parkhaus droht ein Wintereinbruch. Corinna und Mahina im Zweikampf unvereinbarer Standpunkte, bekräftigt durch harte Blicke. Mir kriecht es kalt über den Rücken.