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„Spinnst Du, Berkamp! Wir müssen hier bleiben und den Vorfall melden,“ verkündet Mona entschieden. Seit unserer ersten Begegnung redet sie mich, lieb gemeint, nur mit Berkamp an. Erst dank Mahina sagt sie auch mal „Bear“.

„Das hier ist ein Tatort. Mit Straftaten, die sich gewaschen haben.“

Sie hebt die linke Faust, klappt der Reihe nach ihre Finger empor.

„Fremdenfeindlichkeit, Beleidigung, Nötigung, Landfriedensbruch, Bandenkriminalität, unerlaubter Waffenbesitz, versuchte Geiselnahme. Da kommt einiges zusammen, was für mehrere Jahre Knast gut ist. Plus schwere Körperverletzung.“

„Wieso das, Mona?,“ schrecke ich auf. „Bist Du verletzt?“

Sie sieht mich mit Schmullmund, aber Funkeln in den Augen an.

„Unbedingt. Jetzt, wo ich darüber nachdenke, habe ich garantiert eine schwere Gehirnerschütterung. Mein linker Fuß muss mindestens drei Monate lang geschient werden. Mahina hat bestimmt innere Blutungen.“

„Absolut, in zehn Tagen wieder,“ bestätigt die mit gewohnt gleichgültigem Gesichtausdruck.

Sie hat weiter gedacht als ich.

Dabei zwingt sich ihre Überlegung geradezu auf.

„Komm mit, Bear,“ deutet sie knapp mit dem Kinn in Richtung des Schwarzhaarigen mit dem gebrochenen Arm und dem Springmesser im rechten Oberschenkel. Ich wüsste zu gern, wie das dorthinein geraten ist. Wie der Mann röchelt, kommt mir der Verdacht, dass eine Hälfte seiner Lungen durch den Sprungangriff etwas abbekommen hat. Mahina geht neben ihm in die Hocke. Erst denke ich, sie will sich um den gebrochenen Arm kümmern, das Messer entfernen oder dem Mann beim Aufstehen helfen.

Der Gutmensch in mir schimmert gelegentlich durch.

In der Hinsicht verfügt Mahina über eine bessere Beherrschung.

„Hör zu, tu yourself etwas Gutes, Asshole,“ schlägt sie mit unbeteiligter Miene vor. „Beantworte meine Frage: Wer schickt euch?“

Einfache, gut verständliche Worte mit einer Spur Amerikanisch in der Aussprache. Stimmt, der Punkt sollte unbedingt geklärt werden.

Der Rocker hebt den Kopf ein wenig in ihre Richtung, Schweiß auf der Stirn, das Gesicht schmerzverzerrt, Wut in den graubraunen Augen, aus dem Mundwinkel Speichel triefend.

Nach kurzem Anhusten grummelt er: „Fuck off, Stinkfotze!“

„Okay, you had your chance,“ stellt sie fest, ganz sachlich.

Doch sie erhebt sich nicht.

Sondern schlägt kurz mit der Rückseite ihrer linken Finger gegen den emporragenden Griff des Springmessers.

Ganz sachlich.

Der Kerl läuft dunkelrot an im ohnehin rötlichen Gesicht, stößt – wie ein waidwunder Hirsch – einen heiser röhrenden Schrei aus, beginnt, am ganzen Leib zu zittern.

Mir läuft es kalt über den Rücken.

Doch innerlich stimme ich Mahina zu.

Messer. Auf kurze Entfernung sind sie mindestens so lebensgefährlich wie Pistolen. Den Rocker nachdrücklich daran zu erinnern, ihm eine Kostprobe der eigenen Medizin zu verabreichen, finde ich durchaus angebracht.

Bei wichtige Anliegen entfaltet Mahina beachtliche Zielstrebigkeit.

„Okay, man. Life is a bitch. Leben kann hart sein. So, once again, wer schickt euch? Wer ist Auftrageber?“

Ihre linke Hand wedelt wie zufällig wieder dicht neben dem Messergriff.

„Luft, ich kriege keine Luft mehr,“ keucht der Rocker immer noch zitternd. Seine dunklen Augen rasen wie aufgescheuchte, dicke Fliegen hin und her.

Mahina bleibt ungerührt.

„Wer schickt euch? Sag den Auftraggeber.“

Sie schnippt mit einem Finger gegen die Klinge.

Der Mann bläst die Backen auf, als müsste er platzen. Sein Oberkörper bebt empor. Nach erneutem Husten röchelt er deutlich hörbar:

„Frag euren Rotfuchs, du perverse Saufotze.“

Mit einem schnellen Ruck zweier Finger reißt Mahina ihm das Messer aus dem Oberschenkel und reicht es mir. Sie öffnet seine Gürtelschnalle, zerrt den breiten Ledergürtel aus seiner Jeans und bindet das Bein oberhalb des Einstichs ab. Da ist der Mann bereits geistig weggetreten.

*

Mona hat Janina und Samira getröstet, sie durch die Reihe parkender Autos im Bogen zu meinem BMW geführt. Ich drücke die Fernbedienung, damit die beiden Mädchen einsteigen, sich in Sicherheit bringen können. Janina findet das übertrieben, ist zu aufgeregt, um still zu sitzen. Samira bleibt kurz im Wagen, verfolgt mit großen Augen, was ein paar Meter weiter geschieht. Da die Gefahr eines neuen Kampfes gebannt scheint, steigt sie wieder aus, geht zu Janina. Beide haken sich mit den Armen ein, folgen Mahina mit achtsamem Abstand wie ein Schatten.

Während ich das Springmesser an spitzen Fingern zum Kofferraum meines Autos trage, durchsucht Mahina – gründlich bis zum Schluss – die Taschen der Rocker. Schließlich gilt es, ihre Motorradschlüssel, weitere gefährliche Gegenstände sowie das uns zustehende Schmerzensgeld sicherzustellen. Dabei beschränkt sie sich auf Hundert-Euro-Scheine; am Ende immerhin zwölf.

Diebstahl? Haben wir nicht nötig. Widerstrebt uns. Wie in einem früheren Fall überweisen wir neunzig Prozent der auf diesem Weg erzielten Einnahmen als Spende an den „Weißen Ring“, eine Hilfsvereinigung für Opfer krimineller Gewalt. Der Rest deckt unsere Unkosten. Merke: Sogar hartgesottene Rocker bringen es gelegentlich zu unvermuteter Wohltätigkeit, wenn auch aus dem Verborgenen heraus. Während Mahina den Kerl zur Kasse bittet, dem ich die Mund- und Nasengegend blaurot verfärbt habe, eilt von der Frankfurter Autobahn her das blecherne Tatütata eines Polizeihorns herbei.

*

Frag euren Rotfuchs? Mona?

Sagt der Kerl das bloß so? Oder bin ich dabei, in seine hinterhältige Falle zu tappen? Das kennt man doch; diese Typen lügen wieselflink und wie gedruckt. Immerhin, Mumm hat der Rockermeister. Schweigt eisern, trotz höllischer Schmerzen. Aus ungebrochenem Ehrgefühl als Rocker? Oder weil er riesige Angst hat?

Amerikanische Kriminologen wissen – nicht erst seit Guantánamo –, dass in gut fünfundneunzig von hundert Fällen unter massivem Zwang – auf Deutsch Folter – falsche, unbrauchbare Aussagen gemacht werden. Vor Gericht verwertbar sind sie ohnehin nicht. Überzeugendere Begründungen für die Wertlosigkeit von übertriebener Einschüchterung und brutaler Gewalt als Mittel der Informationsgewinnung gibt es nicht. Wir sprechen hier nicht vom manchmal notwendigen Hinweis auf unerwünschte oder sozial und wirtschaftlich schädliche Folgen für den, der sich hartnäckig weigert, zu kriminellen Taten wahrheitsgemäße Zeugenaussagen zu machen. Nebenbei beweisen die erwähnten Forschungsergebnisse, dass Drohung und Folter unmäßig oft angewendet werden. Obwohl sie bekanntermaßen nicht bringen, was als Rechtfertigung dafür vorgetragen wird. All zu häufig bezweckt man in Wahrheit nicht die Informationsbeschaffung. Sondern will das Opfer sadistisch quälen und körperlich und seelisch dauerhaft verkrüppeln.

Zufall, dass mir das gerade jetzt einfällt? Die Härte und Gefühlskälte, die Mahina bei solchen Anlässen zeigt, dürfte manchen Psychopathen mit Neid erfüllen. Glücklicherweise kenne ich auch ganz andere Seiten ihrer Persönlichkeit. Mit den schädlichen Wirkungen von Stress und Gewalt für Körper und Seele kennt die gewissenhafte Kampfsportlerin sich aus, hat Meter von Büchern dazu gelesen. Als Mittel zur Förderung von Einsicht ist Brutalität wertlos. Das weiß sie. Gleichwohl; einen Angreifer mit der Wirkung seiner Waffe am eigenen Leib bekannt zu machen; wenn es nebenbei der Wahrheitsfindung dient – einen Versuch sollte das wert sein.

Außerdem muss betont werden: Das Messer steckte bereits im Oberschenkel des Rockers, als Mahina sich mit ihrer höflich vorgetragenen Bitte um Auskunft an ihn wandte. In Würdigung aller dargelegten rechtliche Argumente ergeht der Beschluss, im vorliegenden Fall den Vorwurf der Folter fallen zu lassen. Gleichwohl wird die hier vorstellige Person ermahnt, zukünftig bei ähnlichen Ereignissen die gebotene Zurückhaltung an den Tag zu legen.

Und was wäre nachts?

Ich gestehe, ein wenig verstörend finde ich die Erfahrung eben schon; die hartnäckige Widerborstigkeit des Rockers trotz seiner hand- und fußfesten Niederlage. Mehr noch, der Kerl ist bösartig genug, Zweifel und Zwietracht in unseren Reihen zu säen. Mit einer aus der Luft gegriffenen Behauptung über Mona. Weil die sich dafür anbietet? Als Rache für Walli, denkbar. Und um sie nachträglich in ein schlechtes, mitschuldiges Licht zu rücken?

Dieses Dreckschwein.

Und wenn doch etwas dran ist an seiner Behauptung?

Blödsinn.

Vorsicht, Berkamp! Was sagt dein Drittes Auge?

Bei Lügen kribbelt es zuverlässig. Jetzt bleibt reglos.

Einige sehr nachdenkliche Schritte weiter stehe ich neben Mona.

Die strahlt mich mit zufriedenem Lächeln an. Nach einem schnellen Handschlag „Hoch-fünf“ und einem Kuss auf die linke Wange lehnt sie sich an mich: „Sag nur einer, wie wären nicht gut!“

Der falsche Tote

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