Читать книгу Der falsche Tote - Günter Billy Hollenbach - Страница 3

2

Оглавление

Mein Privatleben ist meine Sache.

In Grenzen, zugegeben. Die Liste der eindeutig zweideutigen Bemerkungen, die hinter meinem Rücken gedacht oder gemurmelt werden, dürfte inzwischen alles umfassen, was auch nur entfernt zu passen scheint. Je oller, je doller; Gockel im Hühnerhof; Hahn im Korb – als die eher freundlichen Betitelungen. Alter Lüstling mit jungem Gemüse; liebeskranker Kater; blinder Trottel, der sich von raffinierten Miezen ausnehmen lässt ...; wer bietet mehr? Nur weil ich unsere Wohnung im Vordertaunus-Städtchen Steinbach selten mit weniger als zwei Frauen verlasse.

Leute, bevor ihr weiter lästert: Dazu gehören immer alle, die daran beteiligt sind. Als könntest du dir einfach aussuchen, mit wem dich das Leben zusammenführt. Übrigens, an diesem Oktobertag gehören zwei weitere jungen Damen zu meinem Gefolge.

Zugegeben, von Ferne betrachtet bietet mein Privatleben Anlass zum Naserümpfen. Für uns selbst ist jedoch alles einfach und bestens geregelt. Etwa mit Mahina Ling, gelegentlich Mai gerufen; eine exotische Schönheit auf den zweiten Blick. Zum ersten Mal begegnet bin ich ihr im Oktober vorigen Jahres in San Francisco. Der Zufall hatte mich dort in eine versuchte Kindesentführung verwickelt. Als Dankeschön und Sicherheitsvorkehrung schenkten mir die vermögenden Eltern der kleinen Janey Selbstverteidigungsunterricht in einer bei uns wenig bekannten Kampfsportart. Erteilt von einer schwer durchschaubaren, beinharten Trainerin mit ein paar Tropfen chinesischen Bluts in den Adern.

Geboren in Lahaina auf der Hawaii-Insel Maui, hat Mahina – sehr zu ihrem Leidwesen – die amerikanische Staatsbürgerschaft. Denn sie ist mit Leib und Seele Hawaiianerin. Wenn auch keine ganz gewöhnliche. Ob es am Reichtum der Insel Maui an Geistern und spirituellen Energien liegt oder an einer erblichen Belastung seitens ihrer Großmutter Caren lässt sich nicht klären. Jedenfalls lebt Mahina seit ihrer Jugend mit einer ausgeprägten, eher seltenen geistigen Fähigkeit. Die machte mich, trotz fortgeschrittenen Alters bei gerade mal gewöhnlich tageslichttauglicher Erscheinung, zu einem der wenigen für sie annehmbaren Beziehungspartner.

Sie wusste das, bevor ich es begriff.

Gut zwei Wochen mit Mahina in San Francisco veränderten mein weiteres Leben mehr, als ich bei meiner Rückkehr nach Steinbach in den wildesten Träumen für möglich gehalten hätte. Für etliche Monate blieb die attraktive Kampfsport-Trainerin lediglich eine liebe Erinnerung. Später zeigte sich, für Mahina gestaltete sich diese Zeit als gelassenes Warten auf etwas, das kommen würde. Das Ende meiner damaligen Frankfurter Liebesbeziehung vor etwa drei Monaten. Wenige Wochen und einen Kurzbesuch in Steinbach später beschloss Mahina, Kaliforniern dauerhaft den Rücken zu kehren. Die naheliegende Folge: Seit Monaten teilen wir Tisch und Bett.

*

Genau so bombenfest und klar geregelt ist die Sache mit Mona, Studentin im ersten Semester Kriminologie und Neurokognitive Psychologie; die Bezeichnungen stammen nicht von mir. Mona fühlt sich berufen, das Wesen von Psychopathen zu erforschen.

Zunächst war sie lediglich die Tochter ihrer Mutter, Corinna Sandner. Die ist Kriminalhauptkommissarin im K 11 des Frankfurter Polizeipräsidiums; mithin die Fachfrau für Mord und Totschlag. Inzwischen teilt Mona ebenfalls Tisch und Bett mit mir. Und Mahina; in einer Wohnung. Platz genug haben wir. Unsere – moralisch nur bedingt vorbildliche – Lebensführung entspringt meiner entschlossenen Unfähigkeit, mich für eine der beiden Frauen, somit gegen die andere, zu entscheiden.

Natürlich hatte das Schicksal die Finger im Spiel, als es mich erst mit Mona, dann mit Mahina zusammenführte. Klingt etwas dick aufgetragen? Glaub mir, wenn du gemeinsam in den Abgrund des Todes geschaut hast – das stärkt innere Bindungen ungemein.

Wie die beiden Frauen damit zurechtkommen? Bestens, soweit ich das beurteilen kann. Zumal sie unser Zusammenleben eingefädelt haben. Unerwartet schnell und verbindlich einigten Mahina und Mona sich, warfen die hierzulande gültige Vorstellung der gottgegebenen Zweierbeziehung über den Haufen und packten mich bei meiner Schwäche für beide. Wenn Sie meine – zugegeben voreingenommene – Meinung dazu hören wollen: Es war das Beste, was uns Dreien blühen konnte.

Wie unverkrampft wir nach kurzer Zeit damit umgehen, einstweilen jedenfalls, hätte ich nicht für möglich gehalten. Vergiss besitzergreifend, sexlüstern oder peinlich. Meine anfängliche Sorge, ich könnte ungewollt der Einen das Gefühl geben, sie der Anderen zu bevorzugen, fanden beide abwegig und erheiternd. Sie sind nun mal unterschiedliche Persönlichkeiten. Für einen aufrichtigen, liebevollen Umgang miteinander brauchst du keine Waage. Gewiss kommt hinzu, dass uns gemeinsame Macken und Interessen verbinden, und wir viel und offen miteinander reden. Oder uns einfach ziemlich unerschütterlich mögen.

Hin und wieder auftauchende Reibereien enden regelmäßig mit Zungerausstrecken, haarsträubend übertriebenen Anschuldigungen, unsinnigen Rechtfertigungen und anschließendem Gelächter reihum. Je nach Stimmung in englischer und deutscher Sprache. Uns auch im drögen Alltag zu ertragen gelingt – alles in allem – erstaunlich gut. Ohnehin verschafft der Hinweis auf ihre monatliche Befindlichkeit den Frauen einen beneidenswerten Beziehungsvorteil.

Mahina ist dreiundvierzig, Mona fünfundzwanzig Jahre alt. Der Alters- und Mentalitätsunterschied mag ein weiterer Grund sein, weshalb die beiden Frauen herzlich gut miteinander klarkommen. Ihres Wertes für mich sind sie sich ganz sicher bewusst. Aus Gründen der Gleichbehandlung – ich bin sechzig. Zumindest laut Geburtsdatum.

*

Ursprünglich war Corinna Sandner meine Herzensdame; voriges Jahr noch im Kommissariat für Raub und Einbruch tätig. Wenn dein Auto geklaut und für einen Raubüberfall benutzt wird, bist du froh, wenn die Polizei schnell erscheint und deine Zeugenaussage aufnimmt. Zumal, wenn die Polizei dich verständnisvoll behandelt, nett aussieht und sich ein paar Tage später zu einem Waldspaziergang überreden lässt.

Dafür nimmst du einiges in Kauf. Etwa, dass die langjährige Single Corinna in Wahrheit mit ihrem Beruf verheiratet ist. Und nur halbherzig bei mir in Steinbach einzog. Zudem eine Tochter hat, die prompt folgte und „einen auf Familie“ machen wollte, zu der Zeit immerhin mit vierundzwanzig Jahren. Erst nach und nach zeigte sich, welche üble Last die junge Frau – eigentlich eine umgängliche Frohnatur – mit sich rumschleppte. Die Lust auf Männer war ihr vergangen. Als Folge einer Beziehung, die binnen weniger Monate zunehmend gewalttätig wurde. Aus der Mona sich nach einem brutalen Angriff mit dem Mut der Verzweiflung befreite; ein Vierteljahr vor meiner Zufallsbegegnung mit ihrer Kripo-Mutter.

Ab da fügte sich für uns vieles für einen wünschenswert freundlicheren Lebensabschnitt. Wir hätten es gut haben können nach meiner Rückkehr aus Kalifornien. Doch eine Kette hässlicher, Corinnas Beruf geschuldeter Ereignisse brachte unseren Alltag arg durcheinander. In der Folge reifte in ihr die Überzeugung, dass sie besser zu nervenfordernder Polizeiarbeit taugt als zu trauten Wochenenden in Steinbach mit mir und Tochter. Zumal sie der insgeheim unterstellte, mir schöne Augen zu machen. In zweitbestem Einvernehmen zog Corinna schließlich zurück in ihre Frankfurter Wohnung.

Na klar, so etwas spürt eine Frau doch. Folglich muss was dran sein. Erst die Mutter, dann die Tochter; sehr praktisch. Geschmacklos. Wie zum Beweis schlief Mona vor mehreren Wochen ein paar Mal auf dem früheren Platz ihrer Mutter; neben mir. Ohne Sex. Sondern um zu reden, beinahe nächtelang. Einige Tage zuvor war sie – als widerlicher Nachschlag aus ihrer längst beendeten, gewalttätigen Beziehung – lebensgefährlich verletzt worden. Die Bluttat seelisch bewältigen, das Gefühl von Sicherheit erleben und in sich wieder aufbauen, das brauchte und wollte Mona. Seit dem Angriff liebe ich sie wie mein Leben.

Kein Sex der Welt schafft das.

*

Mahina ist hawaiisch, heißt übersetzt „Mond“, auch „Mond-Göttin“. Wie sehr der Name zu ihr passt, verstehst du, sobald du sie näher kennen lernst. Sie bringt die Nacht in magischem Licht zum Strahlen.

Ihre dunkle Seite ist beängstigend, selbst für mich noch gelegentlich ein wenig unheimlich. Wer außerhalb unserer vier Wände mit Mahina zu tun hat, hält sie für undurchschaubar, eigensinnig, unterkühlt und hart. Dass sie oft geradeheraus – bis an den Rand der Unhöflichkeit – ihre Meinung sagt, mag dazu beitragen. Was ihr an Fingerspitzengefühl abgeht, ersetzt sie durch Neugier und Furchtlosigkeit. Sie lacht selten, ihr spärliches Mienenspiel verrät wenig über ihre Gefühlsregungen. Dass Menschen dazu neigen, sich in ihr zu täuschen, ist ihr gleichgültig, gelegentlich sogar willkommen.

Privat erlebst du eine andere Frau. Wem Mahina vertraut – was sehr selten geschieht – dem öffnet sich ihre Seele voll Wärme und Einfühlungsvermögen. Und sehr viel Phantasie und Liebe.

Mahina versteht sich auf den Umgang mit „höherer“ Energie; mit Willenskraft und heilenden Händen statt mit esoterischem Getue und äußerem Brimborium. Bereits wenige Tage, nachdem sie bei uns eingezogen war, erkannte sie, welcher Dämon Mona quälte. Ohne viel Gerede nutzte Mahina ihr Können, erschütterte Mona bis ins Mark, öffnete einen Sturzbach an Tränen. Auf ungewöhnliche Weise bewirkte dies weit mehr als Monas „innere Befreiung“. Sexual Healing. Seitdem verbindet die beiden Frauen unverbrüchliche Liebe.

Die Anlässe und persönlichen Hintergründe, die uns zusammenbrachten, zu Trennungen führten und den Weg für Neuanfänge öffneten, waren alles andere als lustig, teilweise sogar dramatisch und blutig. Im Kern hingen sie mit Corinnas Berufstätigkeit zusammen. Ihre Polizeiarbeit schien gewaltgeneigte, sogar lebensgefährliche Angriffe auf Mutter und Tochter, schließlich auch auf mich, anzulocken.

Verschrecken ließen wir uns dadurch nicht; im Gegenteil. Wir hielten fester zusammen; bereit, füreinander durchs Feuer zu gehen. Mehr oder weniger zwangsläufig vermittelte mir der Umgang miteinander eine Menge Wissen und Fertigkeiten auf dem Feld der Kriminalistik.

Hinzu kamen die Wochen in San Francisco. Bezogen auf Polizeiarbeit sowie in Sachen Bedrohung, Gewalt und Selbstschutz bewirkten sie eine unerwartete, aber nachhaltige Abhärtung. Damit veränderten sich auch einzelne meiner Wertvorstellungen. Wenn es unausweichlich wird, schlage ich schnell und hart zu. Sogar die solide Beherrschung eines handlichen, schwarzen Geräts, das bis zu fünfzehn tödliche Neun-Millimeter-Geschosse losschicken kann, zählt für mich inzwischen zu den willkommenen Früchten des Lernens.

Der falsche Tote

Подняться наверх