Читать книгу Hauptkommissar Theobald Weinzäpfli und die vergifteten Weggen von Meggen - Günter Struchen - Страница 10

Kapitel 6

Оглавление

Nachdem sich sogar noch die beiden Besitzerinnen des Schuhgeschäftes am Pfarrhausplatz der Reinigungsaktion angeschlossen hatten, waren die Sagmehlsäcke innert kurzer Zeit weggetragen und die Strasse von den Spänen befreit. Der Dorfpolizist bedankte sich bei Linder, Friedli und Chummer für die Unterstützung, und die unflätigen Jünglinge verzogen sich derweil kommentarlos und mit hängenden Köpfen wie ein Bund welker Tulpen. Es bestand ein stummer Kontrakt zwischen allen Beteiligten, dass man die Sache auf sich beruhen lassen würde. Zumindest vorläufig. Linders Stirn glättete sich. Wie das Barometer auf Veränderungen im Luftdruck reagierten die Runzeln auf seiner Stirn auf negative Schwingungen in seiner Umgebung. Die negativen Schwingungen hatten sich gelegt. Für die Berner Beamten war die Sache damit gegessen und das war das Stichwort. Philipp Keller erklärte ihnen, dass das Mittagessen sie erwarte. Sie könnten bequem zu Fuss von hier aus zum Hotel gehen, was der Linder Franz aber partout nicht wollte, und weil es Linder nicht wollte, wollte es Friedli aus naheliegenden Gründen umso mehr. Schliesslich sassen Chummer und Linder also nur noch zu zweit und somit wesentlich bequemer im Automobil. Der Motor ratterte und sie tuckerten davon. Friedli wollte gerade losmarschieren, da vernahm er aufgeregte Stimmen hinter sich. Er blickte über seine Schulter und sah mit Erstaunen, wie zwei Männer die Gasse herunter auf ihn zurannten und im Rennen einen kuriosen Kampf ausfochten. Sie überholten sich immer wieder für wenige Sekunden, hielten sich an den Hemden zurück und versuchten, sich gegenseitig zu stöcklen oder auf die Seite zu ellbögelen. Die Männer rannten an Friedli vorbei. Vor dem Polizeiposten angelangt, blieben sie stehen. Die Enttäuschung war beiden anzusehen.

«Wo sind sie, die sogenannten Gesetzeshüter, die unsere Bürger daran hindern, altehrwürdige Bräuche zu praktizieren?», schrie einer von beiden – ein gross gewachsener, gepflegter Mann mit auffälligen Hosenträgern und gut gebügeltem Hemd, dessen Gesicht von einer ungesunden Bleichheit war.

«Wo sind sie, die eindeutigen Belege dafür, dass in unserem Dorf eine kommunistische Verschwörung im Gange ist?», echote der zweite, der weit weniger elegant, dafür aber gesünder wirkte. Dann drehten sich die beiden während ein paar Sekunden mehrmals um ihre eigene Achse, wie ein Tanzpaar, das zu schwungvoll am Werk gewesen war. Der Bleiche realisierte als Erster, wie die Tatsachen lagen.

«Wir sind zu spät und das ist Ihre Schuld!»

Und das Gchäder begann von Neuem.

«Wagen Sie es ja nicht, mir die Folgen Ihrer Inkompetenz in die Schuhe zu schieben. Hätten Sie mich nicht daran gehindert, meiner Arbeit nachzugehen, wäre ich rechtzeitig hier eingetroffen.»

Friedli wünschte sich, Linder wäre ihm zur Seite gestanden. Weil dies aber nicht der Fall war, konnten die negativen Energien nicht wie sonst über Linder in den Kosmos abgeführt werden. Und es geschah, was bereits Minuten zuvor beinahe geschehen wäre. Der kleinere der beiden Streithähne verpasste dem anderen einen saftigen Chlapf, eine Tat, die der Bleiche mit einem Tätsch auf den Hinterkopf vergütete. Als Antwort reagierte der Kleine mit einer Strublete an den Grännihaaren, die der zweite notgedrungen und aus der Schieflage mit einem präzisen Fausthieb gegen die Nase beendete. Friedli dachte nicht daran, sich in diesen Kampf einzumischen. Manchmal war es ohnehin gut, wenn man Kräfte walten liess, sodass sie sich nicht zu mörderisch potenten Energien bündeln konnten, die weitaus schlimmere Katastrophen herbeiführten als ein Handgemenge. Er beobachtete das Geschehen zusammen mit ein paar Schaulustigen, die spontan stehengeblieben waren und verblüfft realisierten, dass sie heute einen besonders ereignisreichen Tag erwischt hatten. Mit dem Faustschlag war der Kampf aber zu Ende. Der kleinere der beiden Männer fiel zu Boden und blieb liegen. Den Zuschauern entwich ein kollektives «Ohhh». Kaum lag der Mann am Boden, schoss auch schon eine Blutfontäne aus seiner Nase und ergoss sich über ihn wie die Funken über das Zuckerstöckli. Jetzt stiessen die Zuschauer ein «Ahhh» aus. Die Szene hatte durchaus etwas Ästhetisches an sich. Noch während sich im Übeltäter die Erkenntnis verfestigte, dass er diese Tat bereuen würde, knallte die Tür des Polizeipostens in die Angeln und Balthasar Seeholzer kam in Begleitung seines Vorgesetzten auf sie zugerannt.

«Hier geblieben, Jack!», schrie der Wachtmeister der Küssnachter Polizei, als der bleiche Mann zur Flucht ansetzte, und ergriff dessen Hosenträger im letzten Moment, worauf dieser rückwärts zu Boden fiel. Daraufhin warf sich Seeholzer auf den Schläger wie eine Hyäne auf ihre Beute. Zwar ergab sich der Mann umgehend, er tobte und schimpfte aber, als er in Handschellen abgeführt wurde. Zwei Frauen, die auf dem Markt eingekauft hatten, legten ihre Taschen mit den Einkäufen nieder und halfen dem Verletzten auf die Beine, während ihm Friedli seinen Nasenlumpen reichte. Der Mann nahm den Lumpen an sich und stopfte ihn sich in das Nasenloch, sodass der Blutstrom versiegte. Er bedankte sich näselnd bei den Frauen. Dann wandte er sich Friedli zu und musterte ihn.

«Mein Name ist Pierre Sidler, ich bin Journalist und Verleger des ‹Freien Schweizers›, der grössten und wichtigsten Zeitung in der Region.»

Sie schüttelten sich die Hände.

«Und wer sind Sie? Aus Küssnacht stammen Sie jedenfalls nicht.»

Friedli stellte sich ihm artig vor, und als der Sidler vernahm, woher der Fremde kam und welcher Arbeit er nachging, erwachte die Neugierde in ihm. Es war die natürliche Neugierde eines Journalisten. Er hatte über eine vermeintliche kommunistische Verschwörung berichten wollen und war aus heiterem Himmel auf ein Mitglied der Berner Kriminalpolizei gestossen. Der Tag hatte eine erstaunliche Wendung genommen.

Hauptkommissar Theobald Weinzäpfli und die vergifteten Weggen von Meggen

Подняться наверх