Читать книгу Hauptkommissar Theobald Weinzäpfli und die vergifteten Weggen von Meggen - Günter Struchen - Страница 11

Kapitel 7

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Weinzäpfli war zwar kein besonders Gmerkiger, aber die Pistolen, die die drei Männer in Lederhalterungen umgeschnallt hatten, fielen ihm auch aus der Ferne subito auf. Der Ältere mit dem Bäuchlein und den auffällig langen Armen trug eine Sig P210. Ebenso der Jüngling. Der Schmächtige, Glattrasierte hingegen eine Walther PKK. Es waren typische Polizeiwaffen. Weinzäpfli wusste dies, nicht weil er ein Faible dafür gehabt hätte, sondern weil er sich seit Jahren dagegen sträubte, selber eine dieser neuartigen Waffen zu tragen. Er konnte sie nicht leiden und bevorzugte stattdessen seinen Ordonnanzrevolver, der notabene noch mit Schwarzpulverpatronen schoss. Dass diese drei Herren Polizeiwaffen bei sich hatten, machte Weinzäpfli stutzig. Wenn Menschen in Zivilkleidung nämlich Polizeiwaffen trugen, konnte dies nur eines bedeuten: Da waren Kriminalbeamte vereint, und das Problem war, dass, was Kriminalpolizisten vereinte, nur selten erfreulich war. Es musste sich ein Unheil zugetragen haben und soeben war er unvermutet Teil davon geworden. Weinzäpfli spürte förmlich, wie er von einer Geschichte einverleibt wurde. Er glaubte nicht, dass der Zufall ihn zu den anderen Kriminalbeamten geführt hatte. Diese Männer standen vor einem unlösbaren Puzzle und es brauchte sein Mitwirken, um das Bild zu vervollständigen.

Mit langen, ungelenken Schritten und fortwährend prüfendem, wenn auch alles andere als scharfem Blick lief er durch das kniehohe Gras die steile Böschung hinunter, stieg über den Schotter und das Geleise und blieb vor den drei etwas ratlosen Herren stehen.

Hauptmann Alois von Rotz näherte sich ihm einen Schritt, machte wischende Handbewegungen und sprach: «He, Sie da, gehen Sie besser einen anderen Weg, hier gibt’s nichts zu sehen … oder … na ja …» Er hielt kurz inne und murmelte mehr zu sich selbst: «Zumindest nichts, was man sehen will.»

Weinzäpfli studierte von Rotz. Sein Kinn übersprang den Hals und führte direkt zum Jochbein. Beim Sprechen waggelete es hin und her wie bei einem Truthahn. In der Zwischenzeit war auch der OL-Läufer unten an der Böschung angelangt und hatte sich neben Weinzäpfli postiert. Als er die Leichenteile sah, verlor sein Gesicht sofort jegliche Farbe.

«Was ist denn das?», schrie er auf, wandte sich ruckartig ab und schlug die Hand vor die Augen, was angesichts dessen, dass er sich ja schon umgedreht hatte, eine sinnlose Handlung war. Als ob ein Herdentrieb die drei Kriminalpolizisten steuern würde, der stärker war als die Macht jedes Grenzsteins, bauten sie sich wie ein schützender Wall zwischen den vermeintlichen Wanderern und der Leiche auf.

Nun war es Joseph Brändli, der das Wort ergriff: «Hier hat sich ein Zugunfall ereignet, ein Mensch ist verstorben. Wir werden das Gebiet absperren, die Spurensicherung ist auf dem Weg. Kehren Sie um … Gehen Sie nach Hause!»

Die Aufforderung war scharf gesprochen. Erst jetzt bemerkte Weinzäpfli die Leichenteile auf der Wiese. Und auf einmal hatte er keine Augen und kein Gehör mehr für die Kriminalbeamten. Er verfiel in jenen seltsamen Zustand, der den Polizisten auf dem Posten Lorraine bestens bekannt war und dem man so wenig traute wie einer Kartenlegerin im Krankenhaus, aber der gleichzeitig – zumindest in polizeilicher Hinsicht – sehr potent war; auch wenn niemand wusste, wie genau er die Potenz entfaltete. Es war ein Zustand, der ihn einnahm und blind machte für anderweitige äussere Einflüsse. Noch bevor sich ihm jemand in den Weg stellen konnte, war Weinzäpfli an den aufgereihten Polizisten vorbeigehuscht bis dorthin, wo er den Kopf und somit das Zentrum der zerstückelten Leiche erblickt hatte. Er ging in die Knie und studierte eingehend, was er sah. Kommentarlos gesellten sich die Polizisten zu ihm. Mit etwas Sicherheitsabstand auch der OL-Läufer. Weinzäpfli strich sich über sein schlecht rasiertes Kinn. Da mussten gewaltig destruktive Kräfte am Werk gewesen sein. Die Leiche weckte alte Erinnerungen in ihm.

«Es handelt sich zweifellos um einen Menschen, wir haben die Armbanduhr des Verunfallten gefunden. Allerdings konnten wir das Opfer noch nicht identifizieren», plapperte Leutnant Zgraggen drauflos. Er wusste selbst nicht so genau, woher seine Offenheit rührte. Er wies mit dem Zeigefinger an jene Stelle im Zuger Territorium, an der sich «sein» Teil der Leiche befand. Brändli starrte Zgraggen entsetzt an. Weinzäpfli erhob sich und überquerte das Terrain in die Richtung, in die der Zuger Beamte gewiesen hatte. Die anderen trotteten hinter ihm her. Vor der Leiche grüpelete sich Weinzäpfli wieder nieder. Nun war es von Rotz, der das Bedürfnis hatte, den Fremden einzuweihen.

«Ein Lokomotivführer hat heute Morgen die Polizei in Arth dahingehend informiert, sein Zug sei kurz nach halb zehn Uhr, wenige Minuten vor Immensee mit einem Menschen kollidiert», fasste der Hauptmann die Geschehnisse zusammen. Weinzäpfli legte den Kopf auf das Gras und inspizierte den Arm der Leiche, der einigermassen gut erhalten geblieben war. Am Handgelenk befand sich die Armbanduhr, die der junge Leutnant erwähnt hatte. Weinzäpflis Blick verharrte einen Moment lang auf ihr. Dann untersuchte er vorsichtig den Boden um die Leiche herum. Wie hatte es nur zu dieser Sauerei kommen können?

«Wir gehen davon aus, dass es ein Spaziergänger war, der aus nicht nachvollziehbaren Gründen auf den Geleisen ging und überfahren wurde …», sagte von Rotz, wie wenn er Weinzäpflis Gedanken gelesen hätte. «Auch wenn es mir unerklärlich ist, wie man auf dieser Strecke eine nahende Lokomotive überhören kann.»

Er zuckte nichtssagend die Schultern. Nun wurde es dem Brändli Joseph endgültig zu viel der Offenheit.

«Ist es klug, wenn wir beliebige Spaziergänger in unsere Polizeiarbeit einbeziehen?», schnauzte er seine Kollegen an. Das war der Augenblick, in dem Weinzäpfli aus seinem Schlummerzustand auftauchte. Er erhob sich, blieb in einer schiefen Körperhaltung vor den drei Männern stehen und zeigte sein berühmtes, leicht dümmliches Lächeln. Brändli studierte ihn eingehend. Der Spaziergänger wirkte zwar wie ein Trottel, war aber durchaus ein gut aussehender Mann. Er hatte volle Lippen, einen verwirrend dunklen Hautteint und ansehnliche Gesichtszüge. Die Garderobe hingegen unterstützte diese Vorzüge in keiner Weise. Die Schuhe waren abgetragen, die Hosen zu eng geschnitten. Sie setzten erst wenige Zentimeter über den Knöcheln an, sodass die nackten Beine zu sehen waren. Eines der Bänder seiner Hosenträger baumelte funktionslos zwischen Nabel und Brust in der Gegend herum, während das zweite Band zu straff an der Hose zerrte. Sein Hemd war nur mangelhaft in die Hosen gestopft. Die obersten Knöpfe steckten nicht im dazugehörigen Loch. Es resultierte ein tiefer Ausschnitt, der Einblick auf eine braun gebrannte, gäderige Brust und eine sorglos verknotete Schnur eröffnete, an der ein Bernstein hing.

«Ich bin kein Spaziergänger, geschätzter Kollege», sprach Weinzäpfli endlich, direkt an den stellvertretenden Leiter des Kriminalkommissariats Luzern gerichtet.

«Mein Name ist Theobald Weinzäpfli und ich bin Hauptkommissar in Bern. Und eines kann ich Ihnen sagen …» Er reichte einem nach dem anderen die Hand und blickte von einem verblüfften Gesicht ins nächste, ehe er schloss: «Das war kein Unfall, es war Mord!»

Hauptkommissar Theobald Weinzäpfli und die vergifteten Weggen von Meggen

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