Читать книгу Hauptkommissar Theobald Weinzäpfli und die vergifteten Weggen von Meggen - Günter Struchen - Страница 9

Kapitel 5

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«Was liegt denn bei Ihnen rum, Kollege von Rotz?», fragte Zgraggen, der jüngste der drei Kriminalpolizisten, von jenseits des Geleises. Alois von Rotz stupste mit der Spitze eines Astes und verzogenem Gesicht gegen einen flach gedrückten Teil Mensch. Dann liess er den Ast zu Boden fallen und erwiderte: «Ich glaube, das ist der Kopf, aber fragen Sie nicht nach Details, ich mag gar nicht hinsehen.»

Mit diesen Worten wandte er sich von der Leiche ab und fingierte einen Brechreiz. Anschliessend zückte er ein kariertes Taschentuch und tupfte sich die Stirn trocken, eine Verhaltensweise, die er schon fast krankhaft häufig und ebenso krankhaft intensiv ausübte.

«Ich erkenne hier bei mir die Beckenknochen, einen langen, starken Muskel, vermutlich den Gluteus maximus, auch Gesässmuskel genannt, und zwei Stummel, die wohl einmal die Oberschenkel gewesen sein müssen», meldete sich von der anderen Seite Oberleutnant Brändli zu Wort. Er war ursprünglich Doktor med. dent. gewesen und hatte bereits im Medizinstudium intensiv mit Leichen hantiert. Vor zehn Jahren hatte man ihn aus nicht bekannten Gründen mit einem Berufsverbot belegt, woraufhin er eine neue Karriere bei der Polizei einschlug. Den Fachjargon des Mediziners hatte er aber nicht verlernt. Und die Erfahrungen aus seinem früheren Berufsleben führten dazu, dass er kaum Berührungsängste mit Leichen hatte. Er grüpelete im Gras und studierte das, was er sah, zwar mit gerümpfter Nase und doch penibel genau. Schliesslich spielte er den Ball zurück zum Kollegen aus Zug: «Und was können Sie vorweisen?»

Auch Zgraggen musste nun wohl oder übel einen flüchtigen Blick auf die Leichenteile werfen, die zu seinen Füssen lagen. Es tschuderete ihn. Seine linke Hand fingerte nervös an einem Kruzifix herum.

«Ich vermute, ich habe hier die Arme.»

Zgraggens Mundwinkel gingen in einen Lätsch über. Der Rest des Gesichts machte aber nicht mit, was einen gesamthaft inkongruenten Gesichtsausdruck bewirkte.

«Aber ehrlich gesagt bin ich mir nicht sicher.»

Zgraggen liess das Kruzifix in seinem Hemd verschwinden. Plötzlich runzelte er die Stirn.

«Da ist noch was!»

Von Rotz und Brändli horchten auf.

«Ohalätz!», dämmerte es ihm auf einmal: «… das ist eine Armbanduhr … teures Teil … eine Alpina womöglich. Jetzt ist sie aber flach wie ein Blatt Papier.»

Die Runde war abgeschlossen und für einige Zeit sagte niemand mehr etwas. Es war nicht so, dass die Leiche, die derart weit weg von der üblichen Erscheinungsform von Menschen war, ihnen nahegegangen wäre oder sie gar an ihre eigene Vergänglichkeit erinnert hätte. Aber es war schlichtweg niemandem klar, wie man solch eine verworrene Situation hätte sinnvoll und effektiv entwirren können. Die Grillen zirpten ein lautes Konzert, in den saftig grünen Wiesen surrten Bienen, Wespen und Hummeln und von Zeit zu Zeit erhob sich ein Schwarm Schmetterlinge aus dem hohen Gras. Die Bauern hatten bereits mit Mähen begonnen, deshalb hing ein frühlingshafter Duft in der Luft. Hoch oben über ihren Köpfen zogen die Milane ihre Kreise.

Nach einer mehrminütigen Paralyse begannen die drei Kriminalpolizisten zeitgleich damit, in ihren begrenzten Revieren herumzutigern und nach Argumenten zu suchen, die legitimierten, den Fall an jemanden anderes abzutreten. Der Erste, der die Idee in die Tat umzusetzen versuchte, war Zgraggen.

«Ich habe genug gesehen, der Grind liegt bei Ihnen, Kollege von Rotz, Sie können übernehmen», sprach er in der für ihn typisch quirligen Art und Weise, strich sich zum Abschied durch sein struppiges, blondes Haar und wollte schon in Richtung Zug davontauben. Von Rotz liess sich nicht lumpen.

«Kommt nicht in Frage, bleiben Sie gefälligst stehen, junger Mann!», befahl er. Und wieder hatte er schlagartig das Taschentuch gezückt. Er nahm seine Brille mit den leicht getönten Brillengläsern vom Kopf und tupfte sich die Stirn ab. Anschliessend überreichte er die heisse Kartoffel dem Dritten im Bunde.

«Sagt nicht unser Pfarrer stets, dass die Brust die Heimat der Seele sei? Und ich sehe hier bei mir nirgends eine Brust. Liegt die etwa bei Ihnen, Sepp?»

Der Brändli Joseph, der es überhaupt nicht verputzte, wenn man ihn Sepp nannte – was alle wussten und deshalb umso lieber taten –, winkte vehement ab. Seine markanten Wangenknochen traten hervor, der Grind errötete.

«Nichts da, nichts da!», hielt er fest, trocken wie eine Sanddüne. «Mit Ausnahme des Hinterns und einiger Kleiderfetzen habe ich nichts Substanzielles vorzuweisen.»

Dieses Mal hatte er auf Fachjargon verzichtet. Der Zgraggen Isidor kicherte leise und doch irgendwie aufdringlich.

«Was gibt es da zu lachen?», fuhr ihn Brändli an. Er respektierte den erfahrenen Schwyzer Kriminalpolizisten von Rotz. Vom eben erst frisch ernannten Leiter des Zuger Kriminalkommissariats hingegen liess er sich nichts bieten.

«Man könnte das als Zeichen dafür deuten, dass Sie als Luzerner den Fall übernehmen müssen!», erklärte Zgraggen. Brändli verstand nicht. Er fixierte ihn scharf.

«Na, das Füdle schaut nach Meggen», half ihm Zgraggen auf die Sprünge und kicherte erneut. Brändli teilte Zgraggens Humor nicht. Im Wissen, dass er seinen Kollegen genau dadurch am härtesten treffen konnte, stiess er einige Flüche über das Zuggeleise hinweg aus und er konnte es sich nicht verkneifen, den Flüchen auch den einen oder anderen Tannenzapfen hinterherzuwerfen, wobei einer davon das Ziel mitten an die Stirn traf und für eine Beule sorgte.

«Aua!», schrie Zgraggen entrüstet auf. Er stampfte mit erhobenen Fäusten bis an den Grenzstein, wo ihn der Mut verliess, und fuchtelte mit den Fäusten durch die Luft.

«Meine Herren, meine Herren, bewahren Sie doch die Contenance, seien Sie so gut!», mischte sich von Rotz ein, ebenfalls unmittelbar bei seinem Grenzstein stehend. Seine langen, primatenähnlichen Arme hingen seitlich am Körper herunter, er war leicht in Rücklage, und obwohl er eigentlich schlank gebaut war, schob sich ein kleines Bäuchlein über seine Gurtschnalle. «Das bringt uns auch nicht weiter.»

Die zwei Streithähne chifleten noch ein bisschen, tauschten ein paar letzte Schlämperlige aus, die aber immer uninspirierter wurden wie die Schläge bei einem erschlaffenden Pingpongspiel. Dann verstummten sie. Zgraggen rieb sich die wunde Stirn, Brändli dachte an seinen Doktortitel und regenerierte damit sein Selbstwertgefühl. Von Rotz faltete das Taschentuch. Keiner der drei wollte sich auch nur eine weitere unnötige Sekunde mit dieser Zug-Leiche befassen. Und doch wusste niemand einen Ausweg aus diesem Dilemma.

«Solange sich der Herrgott unser nicht erbarmt und kein Zeichen entsendet, müssen wir uns wohl oder übel alle damit abgeben», seufzte Zgraggen schliesslich und wies mit der Handfläche auf das Gemetzel vor ihnen. Exakt präzise genau in diesem Moment stogleten urplötzlich zwei Gestalten aus dem Unterholz, das rund zwanzig Meter östlich des Zuggeleises anfing und den Anfang des Chiemenwaldes bildete. Eine Gestalt sah kurliger aus als die andere. Nie hätten die Kriminalpolizisten Brändli, Zgraggen und von Rotz vermutet, dass der jüngere und etwas weniger kurlige der beiden Fremden ebenfalls ein Kriminalbeamter war. Und ein vertammi Begabter obendrauf.

Hauptkommissar Theobald Weinzäpfli und die vergifteten Weggen von Meggen

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