Читать книгу Hauptkommissar Theobald Weinzäpfli und die vergifteten Weggen von Meggen - Günter Struchen - Страница 7
Kapitel 3
ОглавлениеWie aufgeplusterte Gockel stelzten die drei Kriminalpolizisten aus den Kantonen Schwyz, Luzern und Zug durch das hohe Gras um die Leiche herum. Oder um das, was davon noch in zusammenhängender Form übrig geblieben war. Und dabei gaben sie peinlich acht darauf, nicht etwa die Kantonsgrenze und damit ihren Zuständigkeitsbereich zu übertreten, was keine einfache Aufgabe war, da die Gliedmassen rund um das Geleise in alle Herrgottshimmelsrichtungen verstreut und die Kantonsgrenzen in diesem Gebiet keineswegs eindeutig gezogen, sondern durch ein paar Grenzsteine lediglich halbbatzig angedeutet waren.
Hauptmann Alois von Rotz, Leiter der Kriminalpolizei des Kantons Schwyz, war der erste Beamte gewesen, der am Ort eingetroffen war. Was sich ihm dort präsentierte, überstieg seine schlimmsten Befürchtungen. Man hatte ihm nur mitgeteilt, dass ein Zug auf der Strecke Rotkreuz–Arth–Goldau kurz vor Immensee jemanden überfahren habe. Der Lokführer sei noch bis nach Arth weitergefahren, dort Hals über Kopf aus der Lokomotive gestürmt und habe beim nächsten Polizeiposten zu Protokoll gegeben, dass es sich durchaus auch um einen Menschen gehandelt haben könnte. Dann hatte der bemitleidenswerte Mann eine Panikattacke erlitten und war zum Arzt Arnold Huber-Winkler gebracht worden, der zugleich Dorfmetzger und Seelsorger war und meinte, er solle deshalb nicht in die Hosen machen, wer am helllichten Tag auf den Geleisen spaziere, sei ohnehin besser im Himmelreich aufgehoben. Die Beamten auf dem Polizeiposten Arth nahmen es aber nicht im gleichen Masse gelassen. Erst recht nicht, nachdem sie an der Lokomotive Blutspuren gesichert hatten, die so menschlich waren wie eine Beizenschlägerei zur Fastnachtszeit. Sie machten nicht lange Federlesen, sondern boten sogleich den Chef des Fahndungsdienstes auf, wie die Kantonspolizei in Schwyz hiess. In der Zwischenzeit waren ein Jäger aus Meierskappel und ein Rekrut aus dem Welschland unabhängig voneinander auf den Leichnam gestossen und hatten ihrerseits die Polizei kontaktiert, allerdings jene des Kantons Zug im Falle des Rekruten und die des Kantons Luzern im Falle des Jägers. Das führte dazu, dass letztlich innerhalb von nur einer Stunde gleich drei Kriminalpolizisten am Ort des Geschehens eintrafen: Hauptmann Alois von Rotz aus Schwyz und seine Berufskollegen aus Zug und Luzern, Zgraggen Isidor, der eben erst beförderte Leutnant der Zuger Kriminalpolizei, und Brändli Joseph, Oberleutnant und stellvertretender Leiter der Kriminalpolizei Luzern.
Obwohl von Rotz vieles an dieser Leiche seltsam vorkam und ihm die genauen Gegebenheiten, die zu diesem Unfall geführt hatten, schleierhaft blieben, eines wusste er sehr genau: Diesen Fall wollte er unter keinen Umständen übernehmen. Und der aufgrund der Streuung nicht präzis bemessbare Fundort der Leiche sollte seine Ausrede sein. Dummerweise war es die Strategie, die auch Zgraggen und Brändli verfolgten, die genau so wenig Lust verspürten, sich mit einer zerdrückten Zug-Leiche herumzuschlagen. So war also eine verfahrene Situation geboren: Man hatte einen Toten vorgefunden, im Grenzgebiet dreier Kantone, wobei die Leiche in Stücke gerissen und in alle Weltgeschichte verteilt war: Das eine Bein und die Arme lagen im Zugergebiet, der Grind lag in Schwyz und das Hinterteil in Luzern. Dazwischen eine ungeheure Moorerei. Die Zuständigkeit war und blieb so unklar wie die Wasseroberfläche des Lauerzersees. Und das Schicksal wollte es, dass der Tag, an dem das Sterben in der Innerschweiz einsetzte, auch der Tag war, an dem sich der Polizeiposten Lorraine-Breitenrain zum alljährlichen Frühlingsbummel aufgemacht hatte, der von Bern nach Luzern über Küssnacht bis auf den Kulm der Rigi führen sollte.