Читать книгу Hauptkommissar Theobald Weinzäpfli und die vergifteten Weggen von Meggen - Günter Struchen - Страница 14

Kapitel 10

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Sidler übernahm kurzerhand die Rolle des Touristenführers. Beim beeindruckenden, zugleich aber auch beelendenden Rundgang durch die Glashütte ermöglichte er Friedli einerseits Einblicke in die beinharte Büez, die die Glasproduktion den Arbeitern abverlangte, andererseits lernte Friedli futuristische Maschinen kennen, wie er sie noch nie zuvor gesehen hatte. Besonders die beiden Wannen und die vollautomatische Glasblasmaschine weckten seine Neugierde. Es waren wahrhaftige Wunderwerke der menschlichen Zivilisation, von denen kaum mehr nachzuvollziehen war, wie sie verrichteten, was sie verrichteten. Und erst recht nicht, wie sie es derart effizient taten. Selbst wenn die Maschinen um einiges hässlicher und erheblich weniger monumental waren als beispielsweise die Pyramiden in Gizeh, waren ihre Auswirkungen auf die Menschheit um ein Vielfaches potenter. Daran änderte auch der Umstand nichts, dass die Maschinen in Küssnacht am Rigi und nicht in Paris, London oder Moskau standen. Wie sie Friedli so anschaute, war er sich sicher, dass sie erst die Vorboten von etwas viel Grösserem waren. Diese Maschinen bedurften immer noch menschlicher Arbeitskraft. Wenn man die Entwicklung aber weiterdachte, war es absehbar, dass der Mensch in der Glasproduktion gänzlich überflüssig werden würde. Vielleicht sogar in der Produktion ganz allgemein. Bei diesem Gedanken wurde ihm schwindlig.

Sidler fiel auf, wie genau Friedli die Maschinen musterte und erklärte ihm, dass man die kleine und die grosse Wanne 1943 und 1946 elektrifiziert habe und in ihnen seither Halbweissglas von ausgezeichneter Qualität produziert werde. Dieser Schritt habe nicht nur neue Arbeitsplätze geschaffen, sondern auch zu einer unfassbaren Produktivitätssteigerung und somit zu Wohlstand für die ganze Region geführt.

Friedli nickte zwar anerkennend, war aber erstaunt darüber, dass der Sidler die Kehrseite der Medaille verschwieg. Darüber, dass in der Glashütte die nahezu totale Entfremdung der Arbeiter von ihrem Schaffen und von den Produkten, die sie mit ihrem Schweiss hervorbrachten, vonstattengegangen war, verlor Sidler kein Wort. In früheren Zeiten war die Arbeit auch hart und unangenehm gewesen, das war Friedli sehr wohl bewusst. Aber man war immerhin mit der Arbeit verbunden gewesen. Durch sie hatte man sich die Welt geschaffen, die man sich erwünscht hatte, und dieses Ziel hatte den Qualen der Arbeit Sinn verliehen. Ein solches Ziel hatten die Arbeiter in der Fabrik nicht. Sie waren keine Meister mehr. Sie waren austauschbare Rädchen in einem gewaltigen Getriebe, von dem sie manchmal nicht einmal mehr wussten, was genau es herstellte.

Friedli richtete seine Aufmerksamkeit auf die vielen Personen, die auf verschiedenen Etagen in der Halle verteilt waren und allesamt jenen leeren Blick besassen, der ihm bereits zuvor beim Schichtwechsel aufgefallen war. Er vermutete, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis hier auch der Arbeiter selbst zur Ware würde; zur Ware mit einem Wert und begrenzter Haltbarkeit. Vor seinem inneren Auge begannen diese Menschen allmählich zu verschwinden. Sie waren die Webstühle des 20. Jahrhunderts. Gerade als er diesen Gedanken dachte, sah er einen Mann, der ganz anders wirkte als der Rest. Es handelte sich um einen älteren Herrn mit flammendweissem Bart, der auf einer Treppe stand, die zum Plateau hochführte, von dem man Zugang zur grösseren der beiden Wannen hatte. Im Gegensatz zu den anderen Arbeitern, die verschwitzt und verschmutzt die sich fortwährend wiederholenden Bewegungen vollführten, stand der Alte einfach nur da. Er regte keines seiner Glieder, einzig die Lippen sprachen immer wieder dieselben Worte. Ihre Bedeutung konnte Friedli aus der Ferne nicht bestimmen. Auch wenn dieser Arbeiter keinen Wank ausführte, war er paradoxerweise der lebendigste unter ihnen. Friedli betrachtete ihn irritiert. In diesem Moment wandte der Alte seinen Kopf in seine Richtung und sie schauten einander direkt in die Augen. Friedli lief sogleich ein kalter Schauer den Rücken hinunter.

Hauptkommissar Theobald Weinzäpfli und die vergifteten Weggen von Meggen

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