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„Der Friede“

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Das Jahr 424 war ein Unglücksjahr für Athen gewesen. Der großartige Spartaner Brasidas hatte sich auf dem Landwege nach Thrakien bis in die Chalkidike durchgeschlagen und brachte dort etliche Gemeinden zum Abfall von Athen, nahm Amphipolis am Strymon-Fluss und setzte sich in den Besitz der Goldminen am Pangaion-Gebirge. Ferner waren die Athener in einer großen Schlacht am Apollo-Heiligtum in der Nähe von Tanagra (bei Delion: Thukydides 4, 76, 4) von den Böotern geschlagen worden. Im folgenden Jahr sandte Athen seinen Kleon nach Thrakien, und vor Amphipolis fielen 422 er sowie Brasidas.23 Nun begannen Friedensverhandlungen, und kurz vor Abschluss eines fünfzigjährigen Friedens erschien das Stück des Aristophanes auf der Bühne.

Das Spiel verläuft geradlinig in drei Etappen: Ein athenischer Weinbauer, Trygaios mit Namen („Hefler“), von seinem Weingut durch die spartanischen Verheerungen vertrieben, weiß nicht mehr, wie er die Familie ernähren soll (119ff.). Er beschließt, es wie der Bellerophon des Euripides zu machen, der auf einem Flügelross gen Himmel fuhr, und so fliegt er auf einem Reittier, einem gewaltigen Mistkäfer, zu Zeus, um ihn um Frieden anzugehen, um Frieden für alle Griechen (93, 105). Nun die zweite Etappe: Droben angekommen, findet er Zeus und die Götter bis auf Hermes verreist. Der war zurückgeblieben, um auf die Habe der Gottheiten aufzupassen (ausgerechnet er, der Gott der Diebe). Hermes erlaubt es nach langem Bitten, sehr gegen den Willen des Herrn Polemos („Krieg“), der so gern ganz Hellas in einem Mörser zerstampft hätte (236 – 288), dem Chor aus Vertretern sämtlicher Griechengemeinden, die Göttin Eirene („Frieden“), die Zeus in ein Loch gestopft hatte, herauszuzerren (511). Es sind dabei die Bauern, denen es nach langer Mühe der anderen endlich gelingt. Die Göttin (eine große Puppe) erscheint, und Hermes erklärt, wie es zu dem Kriege überhaupt kam: Als Phidias, der Freund des Perikles, Gold beim Ausrichten des Parthenon-Tempels auf der Akropolis unterschlagen und so seinen Freund kompromittiert hatte, zettelte der zur Ablenkung einen großen Krieg an (605 ff.), und die kriegswütigen Völkerschaften verjagten den Frieden (624, 637). So verkamen die Bauern (625). Nun aber ist der Friede endlich wieder erschienen, und im dritten Teil des Dramas übergibt der Gott die Eirene samt Opora (706), der Fülle, und Theoria, der Rateingeberin (713), dem Trygaios, der verjüngt (wie der Demos der „Ritter“: 861 ff.) die Theoria dem athenischen Rat überlässt (846, 873), Opora aber als Braut mit sich nach Hause nimmt, um daheim sein ganz eigenes Friedensfest zu feiern (wie der Dikaiopolis der „Acharner“). Doch zuvor wird geopfert und zur Eirene gebetet, und zwar in Worten (987 ff.), die für das Athen dieses Jahres hoher Ernst waren und die man frei etwa so wiedergeben könnte: „Zeige dich ganz, so edel du bist, uns, deinen Verehrern, die wir uns nach dir sehnen nun schon dreizehn Jahre! Hindere die Schlachten und die Tumulte, auf dass wir dich ‚Kriegsauflöserin‘ nennen. Beende unser Misstrauen gegeneinander, das fein und unbemerkt sich einschleichende, das wir untereinander ausschwatzen, und lasse in uns Griechen einfließen den Saft der Freundschaft, wie es am Anfange war, und benetze unseren Sinn mit mildem Verzeihen!“

Dann aber regiert wieder der Spaß, und Trygaios weist in einer Reihe von Szenen mit kontrastierten Personen einen Orakel plärrenden Seher (dem es doch nur ums Essen geht: 1050) mit dessen eigenen Sprüchen ab (1112), lässt einen Sichelschmied mitspeisen (1197), einen Waffenhändler und andere Hersteller von Kriegsgerät dagegen nicht (1210ff.). Den Knaben seiner Hochzeitsgäste, die, fehlunterrichtet in der Schule, nur Kriegslieder kennen und sie hier vortragen wollen, verweist er den scheußlichen Gesang (1270ff.). So ist am Ende der Weg frei, nun alle und auch den Chor der Bauern zum großen Schmause einzuladen, und es ist auch an der Zeit, etwas sehr Menschliches zu tun, nämlich die Opora zu genießen.

Sicherlich ist Trygaios eine Kraftnatur und wird zum überwirklichen Starken Hans wie Dikaiopolis in den „Acharnern“ und in seiner Art auch der Wurstmacher der „Ritter“; gewiss ist auch das ganze Stück ein Traumspiel, ausgelöst allerdings durch eine sehr real bedrückende Lage, und zweifellos bleibt alles Geschehen an der Oberfläche. Aber hier und da kommt verborgen auch eine Sehnsucht zum Ausdruck, die wohl die meisten athenischen Bürger und Bauern spürten, und kommen Sorgen zur Sprache, die alle bedrückten: die Sorge, wie es nun nach dreizehn Jahren Krieg weitergehen werde. Doch nicht nur um diese Sorge geht es; man ist auch unglücklich ob der kriegshetzerischen Schulerziehung, eine Sorge, die seither nur zu berechtigt geblieben ist; hinzu kommt die bittere Erinnerung daran, wie rücksichtslos Athen mit seinen geduldigen Kämpfern umzuspringen pflegte (1172ff.): Man ließ ihnen vor dem Ausmarsch nicht einmal Zeit, das Nötigste mitzunehmen; dazu die Selbstzerfleischung der Bürgerschaft durch grenzenloses Misstrauen jedes gegen jeden (993), welches das Klima der Stadt vergiftete und welches die freie Meinungsäußerung, die doch ein heilsames Regulativ ist, völlig unterband. Was die Sehnsucht angeht, so sehnt der in der Stadt eingepferchte Bauer sich nach dem heimatlichen Land, ja nach dem geliebten Vegetabilischen überhaupt, dem Ackern, dem Wachsen, dem Gedeihen (1140 ff. und 1318ff.). Und nicht vergessen sei die kleine, aber aussagekräftige Selbstdemaskierung des Wahrsagers: In Notzeiten wuchert das Unwesen der Zukunftsdeuterei, die Deuter aber haben nicht das Wohl der Stadt im Auge, sondern Sattwerden und Profit (1093 ff.). Freilich waren bisher die Prominenten, allen voran Kleon, von solchen komödiantischen Reduzierungen und Demaskierungen umspielt; aber dass nun auch die kleinen Alltagsbürger hiervon ergriffen werden, ist neu in dem uns vorliegenden Werk des Aristophanes. Es verwundert allerdings nicht mehr nach dem, was in den „Wolken“ an innerem Geschehen zu spüren war.

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