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„Die Vögel“

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Als dieses sehr lange24 und doch fest in sich geschlossene Stück des Jahres 414 v. Chr. beginnt, sieht man zwei müde Männer ratlos über die Bühne irren. Es sind dies Peisetairos (so stellt man heute die Namensschreibung her), das heißt „Der beratende Freund“, mit einer Krähe auf der Hand, und Euelpides („Der gute Hoffnung hegt“) mit einer Dohle. Ein Tierhändler hatte sie ihnen angedreht, als sie nach einem Vogel fragten, welcher den Weg zum Wiedehopf wüsste, zum Wiedehopf, der einst König Tereus gewesen, jetzt nach seiner Verwandlung Herr unter den Vögeln sei. Die beiden Männer sind Athener, die auswandern wollen und sich von den weit umher schauenden Vögeln Auskunft darüber erhoffen, wo es eine Stadt gibt, in der man in Ruhe und gut leben könnte (128ff.). Mit einigem Glück finden sie die Behausung des Wiedehopfes, der gibt auch Hinweise, aber alle vorgeschlagenen Städte haben irgendwelche Nachteile. Da weiß Peisetairos, obschon eigentlich ein Feind der Vögel (die von den Menschen ja gern verspeist werden), endlich für sich und die Tiere Rat: Man müsste selber eine Stadt, und zwar fern der Menschen in den Wolken gründen25 und sich zu Herren der Lüfte machen, indem man den die Götter nährenden Opferduft von der Erde nicht mehr durchlässt und ihnen auch verwehrt, weiter frei auf die Erde hinab zu ihren Liebschaften zu reisen (193, 557ff.).

Gesagt, getan: „Auch von ihren Feinden lernen Kluge mancherlei“ (375), so willigt der Wiedehopf ein. Man will daraufhin alle Vögel zusammenrufen lassen, und so weckt der Wiedehopf die Nachtigall in einem überaus zarten Liede, und dann auch alle anderen in einem nicht minder schönen Ruflied.26 Es ist vielleicht einen schwachen Versuch wert, das Lied so wörtlich wie möglich zu übersetzen, mit dem der Wiedehopf die Nachtigall weckt (209 / 222):

„Auf, du Gefährtin mir, ende den Schlaf, lass’ frei die Weisen heiliger Lieder, die du klagst durch göttlichen Mund um meinen und deinen vielbeweinten Sohn Itys! Helle klingend in schnellem Gesang aus flatternder Kehle strömt klar der Klang durch die Laubestressen der Eiche zum Sitz des Zeus, wo ihn der goldhaarige Phoibos vernimmt, deinem Trauerliede auf elfenbeinziselierter Phorminx antwortet und dann ordnet den Reigen der Götter. Aus unsterblichen Mündern strömt mit dir zusammen klingend der Seligen göttliche Klage.“ Man entdecke einmal eine Nachtigall im dichten Eichenlaub, betrachte ihre flatternde Kehle und staune über die Kunst des Dichters, das Flattern der Kehle durch sein „elelízomené“ (213) wiederzugeben; aber besonders schön ist, wie die Klage der in eine Nachtigall verwandelten Königstochter Prokne im Olymp von Apoll saitenschlagend und von den Göttern dazu singend und tanzend beantwortet wird.

So gerufen, kommen alle, vom Flamingo bis zum Specht.27 Nach anfänglicher Skepsis folgen die Tiere dem Rat des Menschen, dieses „verschlagenen Geschöpfes“ (451f.), das den Vögeln beweist, eigentlich seien sie und kein anderer die Herren der Götter und Menschen (467ff.). Die Götter einschränken und die Menschen sich verpflichten durch Vertilgung von Heuschrecken und Ameisen und durch Aufzeigen verborgener Goldadern und Schätze, sie auch vom teuren Götterdienst entlasten, das ist der Plan.

Die Stimmen der Vögel vereinigen sich nun zu einem Chorlied (676ff.). Die Nachtigall eröffnet (jetzt nennt auch der Chor sie „Sangesgefährtin“: 678, vgl. 209), dann fallen die anderen ein, und es entsteht ein Gesang von schöner Kraft, gerichtet an die Menschen, die da „von einem im Dunkel lebenden Wesen, gleich der Art der (rasch gilbenden) Blätter, weniges könnend, geformt aus Lehm, ein schattenhaft schwaches Geschlecht“ sind (685f.; hier mischt sich Homerisches [Ilias 6, 146] mit Pindarischem [Pyth. 8, 95]); untermischt wird das Lied allerdings, wie es der Komödie ansteht, mit einigen Seitenhieben: Sie singen zunächst eine Kosmogonie aus der Vogelsicht, die mit der Werbung endet, sie, die Vögel, als Götter zu verehren (723ff.). Dann erklingt ein herrlicher Musenanruf (737 / 752), auf den dann ein ins Grotesk-Komische abfallendes Versprechen folgt (755 / 768: Unter Vögeln dürfe man zum Beispiel sehr wohl seinen Vater verprügeln, 757). Dann aber schwingt sich der Gesang erneut zur Höhe, zu einem klangvollen Lied über den Singflug der Schwäne (769 / 784), und wieder lässt das Singen und Sagen sich hinabfallen ins deftig Zotige, um die Lacher zu reizen. Es lohnt sich, diese Dichtung aufmerksam und mit offenem Sinn für das schöne Wort zu lesen.

Nun aber zurück zur „Realität“ der Vogelstadt. Sie erhält einen Namen (819), nämlich „Wolkenkuckucksheim“, man trifft Vorbereitungen für den Mauerbau, opfert fürs Gelingen, und während dann droben gemauert wird, tritt – das Vorhaben der Vögel wird inzwischen ruchbar geworden sein – ein Poet auf, der Lobeshymnen anbietet, ferner ein Wahrsager, der Wahrsprüche offeriert; ein Landvermesser, der genaue Pläne zu liefern sich erbietet, und auch noch ein Gesetzeshändler – alle werden sie grob davongejagt und geprügelt (Peisetairos will halt keine Stadt wie die, der er entfloh). Nein, der Vogelchor verkündet jetzt seine eigenen Gesetze, Gesetze gegen Vogelfang und Vogelmord (1077 / 1083; sie werden bis heute grob missachtet). Doch es bleibt nicht beim Verbieten, jubelnd singen die Vögel Verse voller Seligkeit sommerlichen Vogellebens und glücklichen Überwinterns. Dann ist die Stadt fertig, doch auf einmal wird die Lufthoheit grob verletzt: Iris, die Götterbotin, hat sie gebrochen, sie will zu den Menschen und sie mahnen, weiter Opferdüfte emporzusenden (1231f.). Hier beginnt eine zweite Serie von Abfertigungen (siehe Anm. 24). Iris wird mit Schimpf und Schande davongejagt. Nach ihr erscheint ein Bote von drunten, von den Menschen: alle Welt ahme den Vogelstaat nach, man gebe sich bereits Vogelnamen, ja man wolle aussehen wie Vögel! Peisetairos befiehlt nun, so viele Federn herbeizuschaffen für die Menschen wie möglich, und er treibt die Vögel mit der Peitsche an (1335f.) – so weit wäre man also wieder!

Und noch jemand kommt von unten: Ein junger Mann singt begeistert vom Adlerflug, aber warum kommt er zu den Vögeln? Nur, weil er weiß, dass es in der Vogelwelt so eingerichtet ist, dass die (zur Reife gekommenen) Söhne ihren Altvögeln gegenüber unabhängig werden und sich durchsetzen, sie hacken und prügeln (1347f.). Das gefällt ihm, aber Peisetairos fertigt ihn mit der Bemerkung ab, er solle sich lieber bewaffnen und in Thrakien für Athen kämpfen.28 Der ebenso dürre wie dümmliche Dithyramben-Poet Kinesias, den Lesky (1993, 468) vorstellt, wird gleichermaßen schroff abgefertigt, dann aber erscheint ein wunderlicher Mann, der sich unter einem Sonnenschirm verbirgt: Es ist Prometheus, der nicht von Zeus erblickt werden möchte (1494ff.), und der meldet, dass die Götter hungern. Und in der Tat, es kommt auch schon dieserhalb eine Abgesandtschaft der Olympier: Poseidon, Vielfraß Herakles und ein Barbarengott „Triballos“, der in lustiger Weise nichts so recht versteht (1572, 1628, 1678). Man schließt einen Vertrag: Peisetairos erhält die Jungfer Basileia von den Göttern und damit die Königsherrschaft über den Vogelstaat. Die Vögel aber erhalten die Lufthoheit und Herakles bleibt zum Essen! Athenische Rede- und Rategewandtheit hat der Vogelwelt also den Sieg gebracht, und mit einem herrlichen Hochzeitslied (1731ff.) klingt das Spiel aus.

Die Menschen des Aristophanes – hier sind es zunächst zwei gebeutelte Athener, mit denen man mitzufühlen bereit ist, zwei sehr reale Vertreter der einfachen Bürger. Wieder ist es ein Traum,29 um den es geht, ein mächtiger, beglückender und dieses Mal auch ein gesangerfüllter Traum. Und wieder ist es ein „Starker Hans“, der am Ende ein beseligendes Weibchen erhält. Erneut zeigt ein athenischer Dichter, wozu die menschliche Phantasie fähig ist, zu welcher Lust und zu welcher Wortschönheit. Aber es mischen sich auch dunkle Töne in das schöne Bild: Wieso traktiert Peisetairos Vögel mit der Peitsche und wieso brät er (1583) Vögel? Gut, er nennt sie Aufrührer und sagt, sie seien deswegen hingerichtet worden, aber hatte es nicht eben noch geheißen, Vogeltötung dürfe es nicht mehr geben (523ff.)? Und dann verzehrt der Mann, ein „tyrannos“ (1708), die gebratenen Vögel auch noch selber (1688; anders N. Dunbar, Aristophanes Birds, Oxford 1995, 720, dem ich nicht folge). Man muss nun nicht nach haargenauen Analogien zu Vorgängen in Athen fahnden wollen, wovor Newiger (1975, 277) zu Recht warnt; aber es scheint doch so zu sein, dass der erfolgreiche Peisetairos das Maß zu verlieren beginnt. Zumindest angedeutet ist die leider allzu menschliche Hybris, die ja auch eines der gewichtigsten Themen des Thukydides war.30 Und nicht nur dies anklingende schwergewichtige Thema lässt die „Vögel“ sich über die Ebene eines bloß lustigen Spiels erheben; auch die Sentenz 375f. („Kluge Menschen lernen auch von ihren Feinden gern“), der herrliche Gesang des Wiedehopfes (209ff.) und des Chors, der sich schier zu pindarischen Höhen beim Bejammern des Menschenlosen aufschwingt, geben dieser schönen Komödie hohen Rang.

Kleine Geschichte der antiken Komödie

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