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„Lysistrate“
ОглавлениеDer Name der Protagonistin, die „Heerauflöserin“ heißt, nennt bereits den Gegenstand des Spiels von 412 / 411: die Beendigung des Krieges. Er soll auf zwei Wegen zu einem Ende geführt werden: Die Frauen erheben sich von ihren Webstühlen und Kocharbeiten, übernehmen das Regiment, indem sie sich zum einen den Kriegsschatz der Männer aneignen und sie zum anderen durch Ehestreik gefügig machen, und beenden so das Leid. Dieses sehr streng gebaute Drama nimmt trotz seines Kriegsthemas nicht Bezug auf ein konkretes Ereignis, obschon dazu wahrlich genug Gelegenheit gewesen wäre: Das gesamte Expeditionsheer der Athener wurde 413 in Sizilien31 gefangen genommen und verkam nun in den Steinbrüchen von Syrakus (die gewaltige, erschütternde Höhle, das „Ohr des Dionysios“, kann man heute noch aufsuchen), Attika wurde erneut verwüstet und auch die Silberminen von Laureion gerieten in Feindeshand.
Lysistrate hat alle Frauen, die von Athen und die von Sparta, zum Burgberg (also ins Dionysos-Theater) gerufen. Sie schlägt, um die Männer willig zu machen, einen Ehestreik zuhause vor und draußen die Besetzung der Burg mit dem Kriegsschatz. Man stimmt zu, die Spartanerinnen gehen heim, die Athenerinnen ziehen auf die Akropolis, um das Beschlossene ins Werk zu setzen (111 / 253). So geschieht es, und nun kommt ein Chor älterer Männer heran, um die Frauen zu vertreiben (ausräuchern will man sie), ein Chor von reiferen Frauen verteidigt die eingenommene Burg, begießt die Männer und ihre Feuerbrände (349 / 469) und verjagt gar den Polizeihauptmann samt seinen Schergen (462; 608). In der folgenden Verhandlung zwischen den Frauen und dem Polizeihauptmann weist der Amtsinhaber darauf hin, dass die Männer doch nur den Staat retten wollen (497); Lysistrate antwortet, dass allein die Frauen dies vermöchten, und klagt mit ergreifenden Worten über das Geschick der Frauen im Kriege: Zwar durchschauten sie die Unsinnigkeit der Kriegsbeschlüsse, dürften als Frauen aber nicht mucksen. Nur immer arbeiten, immer nur ertragen, das sei ihr Los gewesen (507 ff.). Der Amtmann wird böse und will von einer Frau derlei nicht hören, will vor einer Haube nicht weichen. Da ergrimmt nun auch Lysistrate, stülpt dem Mann die Haube über den Kopf, die anderen Frauen greifen zu und staffieren den Mann hohnlachend als Frau aus (532ff.). Danach beschließen sie, den Männern den Beischlaf zu verweigern (551f.), um sie gefügig zu machen, selber dann das Regiment zu übernehmen und so den Staat „auszuklopfen“ und „umzukrempeln“, wie Lysistrate mit einem Bild aus dem Bereich der weiblich-häuslichen Wollarbeit sagt (574ff.). Und erneut klingt Bitteres an: In der Zeit, in der eine Frau sich ihres jungen Lebens freuen sollte, sie, die doch (im Süden) rasch verblüht, da muss sie, wenn der Mann im Kriege, im Bett alleine liegen und in ihrer Kammer still dahinaltern. Und kommen die Männer dann, selber gealtert, wieder heim, nehmen sie die Jungen, und die, welche ausgehalten haben, müssten dann traurig zurückschauen auf ihren einst vergangenen „kurzen Frühling“ (596), und doch sind es die Frauen, die den Männern die Knaben gebären zum Hoplitenkampf (590)!
Auch die nachfolgende Auseinandersetzung in der Parabase zwischen Männer- und Frauenchor (614ff.), bestehend aus gegenseitigen Beschimpfungen, gewinnen die Frauen, aber dann naht Unheil: Die Frauen, eingeschlossen in der Burg, spüren allmählich Liebesverlangen, doch Lysistrate bleibt hart, so auch ihre Gefährtin Myrrhine, die vorgibt, ihren gequälten Mann erhören zu wollen, ihn aber in erheiterndster Weise hinhält und kurz vor der Erfüllung davonrennt (979).
Der Polizeihauptmann und sein spartanischer Kollege treffen sich, in sichtbarer Not mit gestrecktem Phallos daherschleichend (1073), und sind nun endlich fürs Verhandeln, wollen unter dem Druck in ihren Leibern das Volk dazu bringen, Verhandlungsführer zu entsenden (1009ff.). Erneut treten die Chöre auf, die Männer höchst unanständig, die Frauen, scheinbar mitleidig, verdecken die Scham der Männer unter allerlei Spott. Der athenische Ratmann und sein spartanischer Kollege kommen herbei und beteuern nun endlich ihren Friedenswillen. Da erscheint Lysistrate mit einem süßen Weibchen, der „Versöhnung“ (1114), und die zieht Athener und Spartaner an ihren Schweifen zu sich heran und bewirkt den Schwur des Friedensschlusses: „Der Feind (die Perser) steht vor der Tür, und ihr vernichtet euch gegenseitig!“ (1133f.). Das Ende ist ein tolles Fest.
Nur im Allgemeinen ist dies Stück ein Friedensstück, es nimmt auf keine besonderen historischen Ereignisse Bezug; es plädiert aber für den Frieden in einer umso stärkeren, erschütternden Weise, wenn die Frau über den stummen Gehorsam klagt, den der Mann ihr auferlegt, und über ihren rasch vergehenden Lenz, wo sie es doch ist, die dem Staat die Kämpfer für die Phalanx gebiert. Es ist ein fest in sich geschlossenes Gebilde, es integriert den Chor (diesmal aus zwei Teilgruppen, aus Männern und Frauen), und man soll nicht zu genau fragen, wie glatt die beiden Strategien der Lysistrate – Eroberung der Burg draußen und zuhause der Ehestreik – miteinander verfugt seien.32 Ein utopisches Traumglück steht am Ende, voller Verspieltheit, aber auch voll Trauer. Es wird gerade an diesem Drama deutlich, wie Aristophanes seine erheiternden Bühnengeschehnisse auf einem dunklen Grunde aufruhen lässt, wie er dem Lachen die Trauer beigibt.